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Vorwort

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Martha Verdorfer

Ein Großvater erzählt, ein Enkel hört zu und beginnt irgendwann, die Geschichten aufzuschreiben und sich damit auseinanderzusetzen.

Das Ergebnis ist die sensible und reflektierte Rekonstruktion eines Männerlebens in Südtirol zwischen 1928 und 2019. Ein Leben, das geprägt war von den Umständen, in die man hineingeboren wurde, aber auch von getroffenen Entscheidungen und individueller Gestaltung. Ein Leben, das ebenso bestimmt war von den Verwerfungen der Südtiroler Zeitgeschichte des letzten Jahrhunderts. Kein Ausnahmeleben, sondern eines, wie es viele gegeben hat.

Geboren als uneheliches Kind, aufgewachsen in armen Verhältnissen bei Zieheltern, mit acht Jahren im Dienst bei Bauern – eine Unterschichtskindheit, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht selten war. Kollektive Erfahrung auch der Schulunterricht in der fremden italienischen Sprache. Die Option stellte sich für den elfjährigen Buben als besonderes Drama dar. Die leibliche Mutter entschied sich für die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft und wollte ihren Sohn, der sie bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht kannte, nach Innsbruck mitnehmen – was schließlich noch verhindert werden konnte. Und schließlich die Faszination für alles Deutsche, auch wenn es in Gestalt des Nationalsozialismus daherkam. Erlebnisse und Wahrnehmungsweisen, die die meisten Angehörigen dieser Generation in Südtirol prägen.

Es ist nicht so sehr der lebensgeschichtliche Verlauf, sondern vielmehr die Art und Weise der Erzählung, die das Besondere dieses Buches ausmacht.

Der junge Autor schreibt vom Glück, mit den Großeltern im gleichen Haus aufgewachsen zu sein, ihren Erzählungen aus einer anderen Zeit, ihren Wertvorstellungen, denen er oft mit Bewunderung, manchmal auch mit Unverständnis begegnet. Heimat und Familie sind zentrale Begriffe in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Großvaters und der eigenen Familie. Trotz dieser offen gezeigten emotionalen Nähe zum Großvater und seiner Geschichte beweist der Autor dennoch ein bemerkenswertes Gespür für die Komplexität erzählter Lebensgeschichten, die immer Rekonstruktion und Konstruktion gleichermaßen sind.

Der Dialog zwischen Großvater und Enkel präsentiert sich als Blick auf die Geschichte mit immer wieder wechselnder Perspektive: der Großvater, der mit Genugtuung und auch Stolz auf sein Leben zurückschaut, aber auch aus der Tiefe seiner Erinnerung als unehelicher Bub in armen Verhältnissen von seinen Verletzungen erzählt. Der Enkel, der zuhört, den Großvater als Vorbild sieht und ihn für seine Zähigkeit bewundert – und doch auch immer wieder einen Schritt zurücktritt und die Erzählungen reflektiert, sie mit seinem historischen Wissen und seinen eigenen Werten und Erfahrungen konfrontiert und auch darüber nachdenkt, warum der Großvater bestimmte Dinge so und nicht anders erzählt. Der alte Mann ist offenbar ein guter Erzähler, der seine Pointen zu setzen weiß und seine Zuhörer*innen gerne zum Lachen bringt.

Lebensgeschichtliche Erzählungen sind immer ein Konglomerat aus subjektiven Erlebnissen und Erfahrungen, gesellschaftlichen und kulturellen Wertvorstellungen und Deutungsmustern, in denen die Dimension der Vergangenheit mit jener der Gegenwart in einer spezifischen Weise verwoben ist. Erzählte Biografien spiegeln damit immer individuelle und kollektive Verarbeitungs- und Erinnerungsstrategien gleichzeitig wider. Ein besonders eindrückliches Beispiel gibt es dazu in diesem Dialog zwischen Großvater und Enkel.

Auf die Frage, was denn das Schlimmste gewesen sei, was ihm je widerfahren sei, lautet die Antwort des Großvaters: „Der Faschismus. Der Verlust meiner Kultur, unserer deutschen Identität.“ Eine Antwort, die man in Südtirol sehr oft zu hören bekommt, wenn von dieser Zeit die Rede ist, auch wenn man sich fragen kann, was „der Verlust der Identität“ für einen Buben, der 1939 gerade elf Jahre alt war, bedeutet haben könnte. Auch der Enkel ist nicht ganz zufrieden mit der Antwort.

Die Nähe, ja zärtliche Vertrautheit, die zwischen den Gesprächspartnern herrscht, ermöglicht es schließlich, auch über schwere Verletzungen zu sprechen, die verdrängt und verschüttet sind. Eine Missbrauchserfahrung, die hier vielleicht zum ersten Mal erzählt wird, kommt aus der Verdrängung und hinter dem Schleier der kollektiven Unterdrückung durch den italienischen Faschismus hervor.

An dieser Stelle drängt sich natürlich die Frage auf, wie sehr die Lebensgeschichten einer bestimmten Generation durch eine kollektive Geschichtserzählung geprägt und zum Teil auch verbogen werden. Insofern erstaunt es dann auch nicht sehr, wenn der Großvater als eine seiner schönsten Erfahrungen den Einmarsch der Nationalsozialisten in Südtirol im September 1943 anführt. Auch diesbezüglich würden ihm viele seiner Generation zugestimmt haben – und ebenso zur Aussage, dass es wieder einmal einen Krieg bräuchte. Der Enkel nimmt auch hier eine gewisse Distanz ein, die er zum einen auf sein erworbenes historisches Wissen zurückführt. Zum anderen wird der stille, aber dezidierte Einspruch des Nachbarn Leo, einige Jahre älter als Großvater Arthur, in die Erzählung eingeführt: „Nein. Nein. Einen Krieg braucht es nie mehr!“ Es gibt immer mehrere Perspektiven auf die Vergangenheit.

Immer wieder taucht in diesem intergenerationellen Dialog auch die Großmutter auf, die zu bestimmten Ansichten des Großvaters durchaus andere Meinungen und Einschätzungen äußert. Dass ihre Stimme nur im Hintergrund bleibt, auch das ist Teil des kollektiven Gedächtnisses. Ein Gedächtnis, das den Erinnerungen von Männern tendenziell mehr Gewicht zuweist als jenen von Frauen, weil Erstere ihr Leben eher an politische Ereignisse binden, oft sogar – wie in diesem Fall – es dahinter verstecken. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Frauen selbst ihre Erfahrungen für unwichtig halten. Es braucht mehr Enkelinnen, die die Geschichten ihrer Großmütter für wichtig genug halten, um sie aufzuschreiben.

Opa, erzähl mir!

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