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Eine verhängnisvolle Liebe
ОглавлениеWähne Dich niemals auf der sicheren Seite!
Du wirst nicht gefragt, ob du ES willst, du bekommst ES übergestülpt wie einen Sack, den du nie mehr los wirst. ES wird zu einem Teil von dir. Du willst ES abgeben, ungeschehen machen. ES ist wie ein Brandmal, ES bleibt. Du kannst darüber erzählen, schreiben, ES bleibt. Je mehr du preisgibst, in der Hoffnung ES loszuwerden, je verletzlicher wirst du. Das was du fühlst, kannst du nicht in Worte fassen. Niemand ist in der Lage dich zu verstehen. Du bist alleine, lebenslang. Du kannst nur für Momente in den Alltag zurückkehren. ES verändert alles, nichts wird mehr so, wie es einmal war.
Ich erzähle hier von den fünf Jahren meines Lebens, die alles entscheidend verändert haben. Von einem Leben mit einem skrupellosen Verbrecher, einem Soziopathen, der mit seiner Vernichtung vor nichts und niemandem halt macht.
Nach 30 Jahren erfolgreicher Selbstständigkeit habe ich mich mit 59 Jahren zur Ruhe gesetzt, mein Geschäft aufgelöst, meine Immobilien verkauft und bin auf Bitten meines Sohnes nach Köln gezogen, um hier, ganz in seiner Nähe eine gemütliche Wohnung zu beziehen.
In den ersten Wochen gehe ich auf Entdeckungsreise. In dieser Stadt gibt es sehr viel Neues für mich. Ganz bewusst nehme ich die Straßenbahn oder mache mich zu Fuß auf den Weg. Auto und Motorrad, ich hatte mit 59 Jahren den Motorradführerschein bestanden, lasse ich in der Garage und lerne so Köln kennen und lieben. Neugierig dehne ich die Exkursionen aus, mache lange Spaziergänge, oft von meinem Sohn begleitet und fühle mich hier schon bald wohl und zu Hause.
Finanziell unabhängig, fürs Alter, mehr als gut versorgt, genieße ich den wohlverdienten Ruhestand. Berührungsängste mit anderen Menschen kenne ich nicht, suche geradezu die Begegnung mit ihnen, so wie ich es von meiner Arbeit im eigenen Geschäft gewöhnt bin. Das Leben ist schön und die neuen Erfahrungen erfüllen mich mit Freude.
Den Tag beschließe ich oft in einem Lokal meines Sohnes in der Innenstadt und berichte ihm von meinen Erlebnissen und Neuentdeckungen. Dabei komme ich immer mehr zu der Erkenntnis, dass es richtig war, in seine Nähe gezogen zu sein.
Heute hat alles begonnen, heute am 25. November 2001 .
Seit 8:00 Uhr bereite ich im Deep, einem weiteren Lokal meines Sohnes, das er vor einigen Wochen im Belgischen Viertel eröffnete, wie jeden Sonntag den Brunch. Hier habe ich ein neues Betätigungsfeld gefunden, das mir sehr viel Freude bereitet.
Prüfend betrachte ich mein Werk. Liebevoll habe ich alles hergerichtet. Die Kaffeemaschine läuft, ich zünde die Teelichter an.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, es ist Zeit zum Öffnen. Bald schon treffen die erste Gäste ein. Wie immer herrscht eine entspannte fast familiäre Atmosphäre. Ich eile von Tisch zu Tisch, nehme die Bestellungen, oft und gerne auch Sonderwünsche auf. Hier ein freundliches Händeschütteln, dort Küsschen rechts und links auf die Wange. Diesen Beweis der Zuneigung kenne ich zwar von meinem Geschäft nicht, hier in diesen Kreisen ist er üblich und ich kann gut damit umgehen.
Sind alle Gäste versorgt, setze ich mich mit einer Tasse Kaffee dazu, immer darauf bedacht, allen gleich freundlich zu begegnen. Niemand soll zu kurz kommen. So erfahre ich den neuesten Klatsch, Freude und Kümmernisse der Gäste,
Zur Verstärkung trifft gegen 11:00 Uhr mein Kollege Andy ein. Viele Gäste erscheinen erst gegen Mittag und so wird es noch einmal richtig stressig. Andy und ich kommen gut miteinander aus. Wie ein Großteil der Gäste ist auch er schwul und wird mal wieder von Liebeskummer geplagt. Ich merke, er brennt darauf, mir sein Herz auszuschütten. Oft nennt er mich seine Ersatz-Ma und tatsächlich komme ich mir langsam, zugegeben nicht ohne Genugtuung, wie die Mutter der Nation vor.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Zufrieden und gesättigt verlassen die ersten Gäste das Lokal. Wir räumen die Tische ab. Ich begebe mich in die Küche und beginne, Torten und allerlei andere Leckereien aus eigener Herstellung für den Nachmittag anzurichten.
Jetzt ist Zeit für eine Verschnaufpause. Andy und ich setzen uns zu einem vertrauten Plausch zusammen. Es regnet in Strömen, darum rechnen wir am Nachmittag nicht mit großem Andrang . Ich schalte die Außenbeleuchtung ein. Die Kerzen verbreiteten zwar ein heimeliges Licht, ihr Schein dringt jedoch kaum nach draußen, so dass leicht der Eindruck entsteht, dass Lokal sei geschlossen. Um frische Luft hereinzulassen, öffne ich Fenster und Tür.
Ein einzelner Gast betritt den Raum und setzt sich an einen der Fensterplätze. Ich erhebe mich, bedeute Andy sitzen zu bleiben und gehe zu dem Neuankömmling, um seine Wünsche entgegenzunehmen. „Kakao mit Amaretto bitte.“ Nach einiger Zeit setzt er sich zu uns an den Tresen. Eine unverbindliche Unterhaltung kommt in Gang.
Mit der Zeit habe ich mir ein Schema zugelegt, in das ich die Gäste einstufe. Dieser kommt in die Kategorie "Angenehmes Erscheinungsbild", weiter mache ich mir keine Gedanken. Seine traurig blickenden Augen fallen mir auf. Was soll ich mir den Kopf zerbrechen über die traurigen Augen eines Fremden, den ich wahrscheinlich nie wiedersehen würde.
An einem der nächsten Tage fällt mir beim Durchblättern der Zeitung ein Inserat ins Auge. Private Reisegruppe sucht vom 28. Dezember 2001 bis 02. Januar 2002 noch Teilnehmer, die an einer Woche Urlaub im Bayerischen Wald interessiert sind. Spontan verspüre ich Lust, mich einzuklinken. Mein Sohn ermuntert mich zur Mitfahrt. Er hat sich über Weihnachten zum Dienst eingeteilt um die Mitarbeiter zu entlasten, wird also für mich wenig Zeit haben. Das Deep soll an den Feiertagen geschlossen bleiben.
Kurzentschlossen wähle ich die angegebene Telefonnummer und erhalte Informationen über den Programmablauf. Was ich höre gefällt mir, so dass ich meine Teilnahme an der Reise zusage.
Am 09. Dezember 2001, wieder einem Sonntag mit seinem üblichen Ablauf, betritt am frühen Nachmittag der Gast "Angenehmes Erscheinungsbild" unser Lokal. Keinen Gedanken habe ich an ihn verschwendet, werde jedoch durch ein bezeichnendes "o, o" von Andy auf ihn aufmerksam. Scheinbar hat er sich bei uns wohlgefühlt. Zielstrebig kommt er zum Tresen und nimmt Platz.
Ohne nachzudenken frage ich, „Kakao mit Amaretto?“ Ein Lächeln erscheint auf seinem markanten Gesicht, „das haben sie behalten?“ Täusche ich mich oder klingt in seiner Stimme ein wenig Genugtuung? Ich werde doch tatsächlich verlegen und ärgere mich. Den Kakao servierte ich ihm wortlos. Dem ersten Eindruck füge ich "sieht verdammt gut aus" hinzu. Meine Schweigsamkeit ignorierend, beginnt er ein Gespräch, in das er auch Andy einbezieht. Meine Befangenheit verfliegt und schon entbrennt eine angeregte Unterhaltung. So erfahren wir, dass er in der Türkei lebt, im Villenviertel von Alanya ein komfortables Wohnhaus sein Eigen nennt und im Zentrum der Stadt als Zahntechniker-Meister eine gut florierende Praxis mit Labor unterhält.
Um einen kürzlich erlittenen Herzinfarkt auszukurieren, ist er in Deutschland. Dank seines qualifizierten, zuverlässigen Personals, darunter ein aus Belgien stammender Zahnarzt, der ihn in seiner Abwesenheit gewissenhaft vertritt, kann er sich diese lange Auszeit leisten. In seinem Labor, so erzählt er weiter, fertige er spezielle, sehr lukrative Vertragsarbeiten für die Kliniken Köln, Düsseldorf, Aachen. Diese Verbindung besteht aus seiner langjährigen Selbstständigkeit in Deutschland.
Das alles erzählt er ganz beiläufig, in ruhiger, bescheidener Art, sodass er nicht den Eindruck eines Angebers oder gar Aufschneiders erweckt. Nach seiner gesundheitlichen Wiederherstellung wolle er zunächst nicht mehr arbeiten, sondern eine längere Auszeit nehmen. Aus diesem Grund suche er in Köln eine Wohnung, kaufen oder mieten sei noch offen. Bisher jedenfalls habe er noch nicht das Richtige gefunden.
Natürlich gebe ich im Laufe der Unterhaltung auch einiges über mich preis. Erzählte von meinem Umzug nach Köln, meiner Liebe zum Motorradfahren, dem sorgenfreien Ruhestand und wie viel Freude mir die Arbeit im Lokal meines Sohnes bereitet. Aufmerksam, ohne mich zu unterbrechen, hörte er zu. Nach dem dritten Kakao mit Amaretto und einem Blick auf die Uhr, verabschiedet er sich. Auf seine Frage, ob er wiederkommen darf, antworte ich unverbindlich: „ Mir ist jeder Gast herzlich willkommen.“
An einem der nächsten Abende betritt Peter Beermann, so hatte sich der angenehme Erzähler bei seinem letzten Besuch vorgestellt, das Lokal. Ich bin nicht erstaunt, habe fast mit seinem Erscheinen gerechnet. Geschmackvoll gekleidet sieht er unverschämt gut aus, kommt auf mich zu und reicht mir zur Begrüßung die Hand, vertraut wie bei alten Bekannten. Nach kurzem Plaudern sind wir beim Du, in Köln, vor allem bei einem Thekengesprächs nichts Unübliches.
Wieder begegne ich seinem traurigen Blicke. Das bilde ich mir nicht ein, da ist etwas Rätselhaftes, was ich mir nicht erklären kann. Es erweckt in mir das Gefühl, ihm helfen zu müssen, gut zu sein, zu diesem für mich doch eigentlich Fremden. Sicher, so denke ich, ist er in der Vergangenheit zutiefst verletzt worden.
Nie habe ich Mühe, Abstand zu halten. Hier ist es etwas ganz anderes. Von Anfang an ist da eine Nähe, gegen die ich mich nicht wehren kann, die mich fast in die Pflicht nimmt. Ich finde dafür keine Erklärung.
Wie selbstverständlich kommt Peter hinter die Theke und macht sich an der Musikanlage zu schaffen. Bei den ersten Klängen nimmt er mich bei der Hand. Ausgelassen drehen wir uns zur Musik. Gott sei Dank oder leider wird der Zauber des Augenblicks von eintretenden Gästen unterbrochen.
Nun kommt er jeden Abend. Unser Umgang wird vertrauter. Ich lasse die ein e oder andere Zärtlichkeit zu. Ein flüchtiges Berühren, ein Hauch von einem Kuss, eine zufällige kurze Umarmung, halt wie bei guten Bekannten. Seit vier Jahren lebe ich allein, bin nicht auf der Suche, jedoch finde ich Gefallen an diesem Geplänkel. Verspätet er sich, werde ich unruhig. Er hat im Dorint-Hotel in Köln-Junkersdorf Quartier bezogen, wo er ein Seminar für Nachwuchstechniker hält. Außerdem erweist er einem Kollegen aus Düren einen Freundschaftsdienst, indem er ihm bei der Behandlung komplizierter Fälle, wie der Erstellung von Implantaten, Beermanns Spezialgebiet, hilfreich zur Hand geht. Alles nichts Anstrengendes. Warum er seine Selbstständigkeit nicht in Deutschland ausübt, möchte ich wissen. Der Grund ist, dass er 1998 beim Verkauf seiner Anteile an einer Gemeinschaftspraxis von seinen Partner um ca. 200.000 DM betrogen worden sei. Den verbleibenden Erlös habe er am Fiskus vorbei in die Türkei transferiert, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen.
Peter erzählt von seinem sechsjährigen Sohn aus seiner gescheiterten Ehe, den er abgöttisch liebt. Um den Kontakt zu ihm nicht abbrechen zu lassen, fliegt er mehrmals im Jahr nach Deutschland, wohnt in der Zeit bei seinem Vater in der Nähe von Aachen im elterlichen Haus. Für den Unterhalt von Ex-Frau und Sohn sorgt er in großzügiger Weise.
Bei seinem letzten Deutschlandbesuch im Mai 2001 wird er wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung verhaftet und sitzt für kurze Zeit in U-Haft. Aus Mangel an Beweisen kommt er wieder auf freien Fuß. Man will jedoch ein Auge auf ihn haben, gibt man ihm zu verstehen. Er äußert den Verdacht, dass hier seine ehemaligen Geschäftspartner die Finger im Spiel haben.
Am 12. Dez. 2001 lädt Peter mich zum Essen ins Thai-Haus ein, eine Gelegenheit, mich wieder mal so richtig chic zu machen. Während der Arbeit im Lokal trage ich zweckmäßige, sportliche Kleidung.
Peter sieht mich bewundernd an und macht mir Komplimente. Es wird ein sehr schöner Abend. Anschließend begleitet er mich bis zu meiner Haustür und verabschiedet sich mit einem zärtlichen Kuss. Ich fühle mich wohl in seiner Nähe. Es ist angenehm und unverbindlich. Fast jeden Abend schaut er nun vorbei oder holt mich nach Feierabend ab. In einem der vielen Lokale finden wir nach ausgedehnten Abendspaziergängen immer ein gemütliches Plätzchen, essen eine Kleinigkeit, plaudern angeregt. Der Gesprächsstoff geht uns nie aus. Mal zahlt er, mal ich, so wie bei guten Freunden eben. Ob ich ihn zur Besichtigung einiger Immobilien begleiten würde, will er wissen. Sein Entschluss, sich in Deutschland ein zu Hause zu schaffen, nimmt immer festere Formen an. Es gibt nichts Auffälliges, keinen Grund beunruhigt zu sein, im Gegenteil.
Weil das Wetter für längere Spaziergänge zu ungemütlich wird, verbringen wir die Abende meistens bei mir, er wohnt weiter im Hotel. Er ist ein perfekter Unterhalter, ich eine geduldig interessierte Zuhörerin. So erfahre ich viele Details aus seinem Leben. Seinen Vater schildert er als unberechenbaren Trinker, der Frau und Kinder, Peter hat eine jüngere Schwester, tyrannisiert. Die Urlaube mit den Eltern, zumeist in Oberstdorf finanziert er sich schon als 14jähriger durch Arbeit bei Bauern auf dem Feld oder in Handwerksbetrieben. Kurz vor dem Abitur fliegt er von der Schule, weil er einen Lehrer, der seinen Vater vor der ganzen Klasse als Alkoholiker bezeichnet, tätlich angreift.
Mit seinem Berufswunsch Zahntechniker, ist der Vater nicht einverstanden. Das sei etwas für Schwule und Frauen. Durch die Vermittlung einer Tante, die eine leitende Stelle bei der Techniker-Innung bekleidet, beste Verbindungen zu umliegenden Praxen und Labors hat, tritt er trotz des väterlichen Widerstandes die Lehre in einem renommierten Labor an. Schon nach zwei Jahren legt er Dank seiner guten Leistungen, seinem nicht zu übersehenden Talent die Gesellen-Prüfung mit Bestnoten ab.
In seiner knappen Freizeit engagiert er sich bei der kath. Gemeinde seines Heimatorts als Jugendbetreuer, bereitet den Jugendgottesdienst vor, organisiert Gruppenreisen und begleitet die jungen Leute mehrmals im Jahr in die Freizeit. Mit Freude und Eifer ist er bei der Sache. Auf einer dieser Reisen lernt er seine spätere Frau kennen. Sie ist 15, er 19 Jahre alt. Sehr schnell und mit offenen Armen wird der zielstrebige, fleißige junge Mann im schwiegerelterlichen Haus aufgenommen. Hier lernt er ein Familienleben kennen, das ihm völlig fremd ist. Die zukünftigen Schwiegereltern und ganz besonders die mit im Haus lebende Großmutter umsorgen ihn liebevoll und bereiten ihm ein ganz neues zu Hause. Sabine ist seine große Liebe und er findet in allem seine Erfüllung. Gemeinsame Urlaube führen zumeist in die Toskana, wo die Schwiegereltern Mitinhaber eines alten Weingutes sind.
Für ihn entwickelt sich alles toll. Der Schwiegervater, ein Bankdirektor nimmt ihn mit zu seinen Kegel- und Herrenabenden. Für Peter erschließt sich eine ganz neue Welt.
Man feiert Verlobung. Das Dachgeschoss im Haus wird für das junge Paar ausgebaut, großzügig hergerichtet und schon bald zieht Peter aus dem Elternhaus um in das neue Domizil. Es läuft alles perfekt und wunderbar. Bald besucht er die Meisterschule und erlangt schon mit 24 Jahren den Titel des Zahntechnikermeisters.
Im Beruf erfolgreich, von der Familie anerkannt, schwebt er auf Wolke sieben. Arbeit und Überstunden, Überstunden und Arbeit. Geld, von seinem Schwiegervater gut beraten und gewinnbringend angelegt, spielt schon bald keine Rolle mehr. Er erfüllt sich seinen Traum und kauft einen Porsche, erwirbt einen Anteil an dem Weingut in Italien, die Sonne scheint Tag und Nacht. In allem passt er sich der Familie an, alles wird im Familienrat besprochen und beschlossen. Vor allem Sabine legt sehr viel Wert auf die Meinung der Eltern. Über einen gemeinsamen Telefonanschluss erreichen die eingehenden Anrufe nur über die Schwiegereltern das junge Paar. So werden auch die Gäste der Kinder erst im Parterre empfangen und begutachtet. Hin und wieder stört es ihn, noch überwiegen die Vorteile.
Der Familienrat drängte auf baldige Heirat. Sabine würde lieber ein Studium auf Lehramt beginnen. Sie fügt sich wie fast immer dem Wunsch der Eltern. Dass sie nun verschlossen und still wird, fällt bei den Hochzeitsvorbereitungen kaum jemandem auf.
In der Hochzeitsnacht bekommt Peter einen Vorgeschmack auf das künftige Zusammenleben mit seiner jungen Frau. Hat sie ihm bisher immer ihre Liebe beteuert, seine Nähe gesucht, bleib sie nun verschlossen und zeigt ihm die kalte Schulter. Ihr Verhalten gegenüber dem angeblich so geliebten Mann wird fast eisig. Auf Hochzeitsreise begibt sich die komplette Familie, natürlich ist auch die Großmutter mit von der Partie. Das Ziel ist, wie kann es anders sein, die Toskana.
Es scheint alles perfekt. Sabine gibt ihren Wunsch zu studieren auf, erlernt den Beruf der Chemielaborantin und ist schon bald so erfolgreich, wie ihr Mann. Er wünscht sich von Herzen Kinder, doch Weihnachten so Peter, ist öfter. Er vergräbt sich in seine Arbeit und kommt, meist schläft seine Frau schon, immer öfter sehr spät nach Hause. In diesem Jahr macht er sich selbstständig, richtet ein Labor nach dem modernsten Stand ein und holt ein junges, tüchtiges Team an seine Seite. Ohne jemanden ins Vertrauen zu ziehen, aus einer unguten Ahnung heraus und dem Bedürfnis etwas für sich ganz alleine zu tun, legt er sein schwarz verdientes Geld in den Kauf einer Eigentumswohnung im nahe gelegenen Belgien an. Seine Frau wird immer unzugänglicher. Es beginnt zu kriseln. Von Sabine vernachlässigt, von der Familie erdrückt, hält er diesen Zustand nicht mehr aus. In einer Kurzschlusshandlung bricht er aus dem goldenen Käfig aus und zieht in seine Wohnung nach Belgien. Sein gut gehendes Labor will er nicht aufgeben, darum fährt er nun jeden Tag über die Grenze. Außer seiner Mutter, der er sich anvertraut, kennt niemand seinen Aufenthaltsort.
Für kurze Zeit muss er mit akuten Magenbeschwerden ins Krankenhaus. Es werden Magengeschwüre diagnostiziert. Natürlich sorgt er für den Unterhalt seiner Frau. Loser Kontakt findet nur in seinen Laborräumen statt. Bald schon stellen beide fest, sie können nicht mit- aber auch nicht ohne einander. Nach einem halben Jahr finden sie wieder zusammen, ziehen aus dem Elternhaus aus, einige Straßen weiter in eine eigene Wohnung. Für kurze Zeit bessert sich alles, das zumindest meint Peter. Das Glück kehrte wieder ein. Sabine wird schwanger und leidet an einer schweren Schwangerschaftspsychose, wechselt die Ärzte wie andere die Hemden. Mit Blaulicht wird sie mehrfach in eine Klinik gebracht, bald wieder entlassen, organisch ist alles in Ordnung. Von nun an hat Peter keine ruhige
Minute mehr.
Seine Frau macht ihm wegen der Schwangerschaft Vorwürfe, denkt ernsthaft an Abtreibung, was er mit Unterstützung eines befreundeten Arztes verhindert. Der Sohn wird geboren. Peter ist bei der Geburt dabei. Überglücklich hofft er nun auf eine positive Entwicklung.
Auf Verlangen seiner Frau ziehen sie wieder ins Elternhaus. Durch ihre Psychose bleibt sie unberechenbar und wird mit dem kleinen Söhnchen zu einer Mutter-Kind-Therapie in eine Klinik eingewiesen. Dort will sie außer den Eltern niemanden sehen, auch ihren Mann nicht.
Nun steht er erneut außen vor und ist völlig verzweifelt. Oft fährt er abends oder am Wochenende hin, um aus der Ferne Frau und Sohn zu sehen. In dieser für ihn so schweren Zeit lernt er bei einem Fortbildungsseminar eine andere Frau kennen. Lange ist er hin- und her gerissen zwischen Pflicht und Gefühl. Nachdem sich das Verhalten seiner Frau auch nach Beendigung der Therapie nicht bessert, gibt er seinen Gefühlen nach und trennt sich von Frau und Sohn. In der Nähe seines Labors kauft er eine Eigentumswohnung, die er mit seiner neuen Liebe Edith bezieht.
Sabine reicht die Scheidung ein. Beermann erhält Besuchsrecht. Den Kontakt zum Söhnchen machen ihm die Schwiegereltern und seine Ex-Frau mit fadenscheinigen Argumenten sehr schwer. Um fast jede Minute Zusammensein muss er kämpfen. Das, was ihm seine Frau verweigert, gewährt ihm seine neue Partnerin in großzügigem Maß. Er genießt diese Zuwendung in vollen Zügen. Im Gegenzug verwöhnt er sie mit Geschenken. Auto, Schmuck, teure Garderobe, Urlaub in den besten Hotels.
Sein Labor floriert durch unermüdlichen Einsatz und Überstunden. Er verdient Geld ohne Ende, hat nichts dagegen, dass seine neue Partnerin mit ihren Freundinnen Alleinunternehmungen startet, Kurztrips nach Paris oder Holland, Tennisunterricht nimmt und auch sonst kein Kind von Traurigkeit ist. Sie arbeitet stundenweise in einem Praxislabor. Im eigenen Betrieb, im eingespielten Team will Peter sie nicht haben, da sie, wie er sehr schnell feststellen muss, vom Niveau nicht zu "seinen Leuten" passt. Immer öfter erhält er aus seinem Freundeskreis Hinweise auf Ediths zweifelhaften Ruf und dass sie es mit der Treue nicht so genau nimmt. Er schließt vor allem die Augen, denn Frau und Sohn wegen eines Flittchens verlassen zu haben, will er sich nicht eingestehen. Bald basiert die Verbindung nur noch auf rein sexueller Ebene. Edith wird schwanger. Wieder schöpft er Hoffnung, alles wird gut.
Tochter Alida wird geboren. Sie beschließen, weiter zusammenzubleiben. Nun, da es laut seiner geschiedenen Frau den Bastard gibt, gestaltet sich der Kontakt zu seinem Sohn noch schwieriger. Peter liebt beide Kinder, Joshua ist stolz auf seine kleine Schwester, Peter leidet und schweigt.
Edith nimmt schon bald ihre alten Lebensgewohnheiten wieder auf, startet viele Alleingänge und stellt als Mutter seiner Tochter unverschämte Forderungen. Er vergräbt sich in seine Arbeit.
Dann überstürzen sich die Ereignisse. Die Tochter muss wegen eines Herzfehlers operiert werden. Bei den hierzu erforderlichen Untersuchungen stellt sich heraus, Peter ist nicht Alidas Vater. Eine Welt bricht für ihn zusammen. Obendrein erwischte er Edith in Flagranti mit ihrem Tennislehrer. Daraufhin setzt sie vor die Türe. Peter unternimmt einen Suizidversuch, der fehlschlägt. Auf Anraten seines Arztes begibt er sich für 1/4 Jahr in eine Privatklinik in Bad Neuenahr. Vor kurzem fand ich in seinen Unterlagen einen Zahlungsbefehl der Klinik über 25.000 DM. Zur finanziellen Sicherheit Alidas, die er liebt wie eine eigene Tochter, schließt er eine hohe Versicherung ab. Auch seine Familie versorgt er großzügig. Langsam findet er wieder ins Leben zurück. Nach Verlassen der Klinik verkauft er sein Labor und bereitet seine Übersiedlung in die Türkei vor.
Das ist Peters Version.
(Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Edith trennt sich von dem untreuen, oberflächlichen Vater ihrer Tochter. Sie, eine fürsorgliche Partnerin und Mutter, hatte nie ein Verhältnis mit dem Tennislehrer. Gegen Peter läuft ein Verfahren wegen unterlassener Unterhaltszahlung in drei Fällen. )
Für den 15. / 16. Dezember 2001 lädt mich Peter zu einem Wellneswochenende in sein Hotel ein. Erfreut sage ich zu. Er lässt mich mit einem Taxi abholen, beschreibt mir am Telefon den Weg zu seinem Zimmer, sodass mir der Gang zur Rezeption erspart bleibt. Er ist aus dem Dorint Junkersdorf ins Dorint-Messe umgezogen, warum auch immer. Überall steht noch sein Gepäck herum. Was mich allerdings wundert ist, dass ich bei einem Anruft in der vergangenen Woche in Junkersdorf die Auskunft erhalte, dass von mir genannte Zimmer bewohne ein Herr Meuthen. Ein Peter Beermann ist im Haus nicht bekannt.
Die Zimmernummer habe ich von Peter. Hatte ich mich so verhört? Als ich ihn zur Rede stelle, nimmt er mich lachend in den Arm und erklärt, er halte das Seminar zusammen mit Kollege Meuthen und teile auch das Hotelzimmer mit ihm. Ich habe keinen Grund, seine Erklärung anzuzweifeln.
(Peters Großmutter heißt Meuthen. Er ist unter ihrem Namen in Junkersdorf abgestiegen. Ohne die Zeche zu zahlen, zieht er um ins Messehotel. Es gibt keinen Kollegen und auch kein Seminar. )
Peter verhält sich eigenartig zurückhaltend und einsilbig, wirkt verunsichert. Nichts von seinem Charme, seinem sonst so ungehemmten Redefluss. Plötzlich nimmt er mich bei den Schultern und sieht mich eindringlich an. „Ich habe dieses Wochenende mit dir unüberlegt und übereilt geplant“ sagt er. „Du weißt von meinen Negativerlebnissen mit Frauen. Es liegt mir sehr viel an unserer Beziehung, nur geht mir alles zu schnell. Bitte sei nicht böse, wenn ich dich wieder nach Hause begleite.“
Was soll ich dazu sagen, ich bin völlig überrumpelt. Er bringt mich zurück auf die andere Rheinseite, zu meiner Wohnung. Schon im Flur höre ich das Läuten des Telefons. Am anderen Ende der Leitung entschuldigt sich Peter tausendmal für sein Verhalten und versucht mir seine Berührungsängste zu erklären. Ihm sei erst jetzt klar geworden, wie viel in ihm zerstört ist. Ich will ihn ja verstehen, jedoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack.
Sonntag, den 16. Dezember 2001 trete ich wie üblich meinen Dienst im Deep an. Gegen Mittag kommt Peter. Das schlechte Gewissen steht ihm ins Gesicht geschrieben. Zerknirscht fragt er, ob ich ihm noch böse bin. Die Unterhaltung will nicht so recht in Gang kommen. Er wirkte übernächtigt, ist unrasiert. Nervös und zerfahren druckst er herum, was so gar nicht seine Art ist. Und dann kommt etwas, mit dem ich ganz und gar nicht gerechnet habe. Er bittet mich, ihm für ganz kurze Zeit 15.000 DM zu leihen, erzählt im Flüsterton von einer geheimnisvollen Organisation, der er seit einiger Zeit angehöre, deren Namen laut zu nennen äußerst gefährlich sei. Jedes Mitglied sei verpflichtet, in gewissen Abständen eine Einlage zu leisten. Käme er diesen Auflagen nicht nach, könne es ihn Kopf und Kragen kosten.
Die Organisation tätige Geldverleih in ganz großem Rahmen. Die Einlage bilde das Grundkapital für diese unseriösen Geschäfte, mit sehr hohem Gewinn. Aus eingangs erwähnten Gründen wage er sich nicht an seine Konten in der Schweiz, da er sich noch immer von der Steuerbehörde überwacht fühle. Ich bin überrascht, unangenehm berührt von seinem Anliegen. Angst beschleicht mich. Deutlich gebe ich zu verstehen, dass ich nicht gewillt bin, ihm zu helfen. „Mein Geld ist fest angelegt und so kurzfristig nicht kündbar.“ Völlig niedergeschlagen, mit den Worten: „Dann muss ich anderweitig um Hilfe bitten,“ geht er.
Am Abend kommt er wieder. Unter Tränen offenbart er mir, nicht mehr ein noch aus zu wissen. Die Organisation ließe nicht mit sich spaßen und setze ihn massiv unter Druck. Den Vater, der im Krankenhaus liegt, kann er nicht um Hilfe bitten. So bedrängt und in die Enge getrieben, verlange ich eine Bedenkzeit. Mein Sohn, den ich ins Vertrauen ziehe sagt: „Es ist dein Geld das du dir schwer verdient hast und nur du kannst entscheiden, was damit geschieht.“ Das bringt mich nicht weiter. Also rufe ich meine Freundin Elke an. Die reagiert empört: „Ein Mann, der eine Frau anpumpt, vor allem nach so kurzer Zeit, ist kein guter Mann. Schieße ihn in den Wind.“
Es ist alles unbefriedigend und nicht das, was ich hören will. „Zeig dich von deiner großzügigen Seite, spring über deinen Schatten und sei mal nicht so knauserig. Außerdem bekommst du ja nach kurzer Zeit das Geld mit hohem Gewinn zurück.“ Das will ich hören.
Für Montag Morgen bitte ich meine Kundenberaterin bei der Sparkasse um einen Termin, mit ihr will ich sprechen, sie hat Erfahrung in solchen Dingen. Auch sie rät mir konsequent ab. Aber er ist doch so nett und bemüht um mich, so liebenswürdig und vertrauenerweckend. Das kann ich doch nicht mit Füßen treten. Ich will genau so lieb und nett sein, mich von meiner großzügigen Seite zeigen, nur suche ich jemanden, dem ich die Verantwortung für mein unvernünftiges Handeln übertragen kann. Außerdem, hatte ich nicht im Elternhaus gelernt, und das wurde mir immer wieder vermittelt, sei lieb, sei nett und gefällig, dann wirst du auch geliebt?
Ich rufe meinen Sohn an und bitte ihn, abends ins Deep zu kommen. Peter wird da sein, um meine Entscheidung zu hören. So kann Eric ihn kennen lernen und sich seine eigene Meinung bilden.
Es wird ein netter Abend. Die beiden Männer unterhalten sich, mein Sohn findet Peter sympathisch, „aber Ma, was verlangst du von mir? Ich kann dir die Entscheidung nicht abnehmen.“
Peter begleitet mich nach Hause. Mit geschickt gewählten Worten vermittelt er mir das Gefühl, großartig zu sein, würde ich ihn aus der misslichen Lage retten. An der Haustüre verabschiedet er sich, geht nicht mit in meine Wohnung, sondern traurig mit hängenden Schultern davon.
Ich verbringe eine schlaflose Nacht, schwankend zwischen liebem Mädchen, bösem Mädchen. Dienstagmorgen gehe ich zur Bank, kündige einen Sparvertrag und lasse mir, begleitet von dem verständnislosen Kopfschütteln meiner Sachbearbeiterin 15.000 DM auszahlen. Meine Entscheidung ist gefallen und ich fühle mich gut. Großartig fühle ich mich am Abend, als ich bei der Geldübergabe das Leuchten in Peters Augen sehe. ch spüre seine Dankbarkeit und Erleichterung. Ich komme mir vor wie seine Lebensretterin. Warum habe ich nur so gezaudert? Ist der erste Schritt einmal getan, ist großzügig sein gar nicht so schwer. Außerdem bekomme ich das Geld mit Gewinn zurück.
(Mit meinem Geld begleicht er seine dringendsten Verbindlichkeiten.Vielleicht die Hotelrechnung in Junkersdorf, oder die ausstehenden Unterhaltszahlungen. )
Peter kommt weiter jeden Tag, zeigte sich sehr um mich bemüht, behandelt mich wie ein rohes Ei, wie etwas ganz besonderes. Von nun an bin ich das ja auch, nämlich seine "Scheinwerferin"! Er spielt seine Rolle perfekt, den anständigen überaus dankbaren Mann, der mir in keinster Weise zu nahe tritt. Es bleib weiterhin bei kleinen Zärtlichkeiten und liebevollen Küssen.
Eines Abends erzähle ich Peter von meiner bevorstehenden Reise in den Bayerischen Wald. Spontan, fast entrüstet reagiert er: „Du glaubst doch nicht, dass ich dich alleine fahren lasse. Ich möchte dich begleiten, natürlich nur, wenn du einverstanden bist. Ich habe Angst, du kommst nicht alleine zurück, bist für mich nicht mehr erreichbar. Ich habe dir noch nichts von meinen Gefühlen gesagt, nur so viel, ich möchte dich nie mehr verlieren.“ Also bucht er nach.
(Die Kuh, die sich so leicht melken lässt, will er nicht aus den Augen lassen. )
Am 23. Dezember 2001 ist mein letzter Arbeitstag. Peter und ich beschließen, die Feiertage gemeinsam zu verbringen. Aus seinen Erzählungen weiss ich, dass er ein leidenschaftlicher Koch ist. Er besteht darauf, das Festmenü für uns zu bereiten und beginnt sofort mit der Zusammenstellung der Einkäufe. Heiligabend holt er mich am frühen Vormittag ab und wir machen uns auf, zu dem geplanten Einkaufsbummel. Was er aussucht und wie er seine Wahl trifft, zeigt mir, dass er wirklich Ahnung hat. Richtig spannend wird es beim Aussuchen der Getränke. Er stellt sich als exzellenter Weinkenner heraus, nicht verwunderlich bei einem Mitbesitzer eines Weingutes in Italien. Wir nehmen hier und da eine kleine Kostprobe, sind beschwingt und ausgelassen. So gut habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.
Es war mir in den letzten Jahren beileibe nicht schlecht gegangen. Durch meinen Erfolg im Geschäft, mein umsichtiges Handeln konnte ich mir einen gewissen Luxus erlauben. Jedoch achtete ich sorgfältig darauf, dass mein finanzielles Polster nicht abnahm. Ich führte ein sorgenfreies Leben. Meine Wohnung, Auto, Motorrad, alles war bezahlt. Den Erlös aus dem Verkauf meines Geschäftes und der Immobilien legte ich Gewinn bringend an, erwarb Aktienanteile. Im Laufe der nächsten Jahre waren vier Lebensversicherungen zuteilungsreif.
Nun, nach vierjährigem Single-Dasein ist ein Mann an meiner Seite, bei dem ich mich rundherum wohl fühle. Wie lange diese Verbindung hält, darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich lebe im Heute und Jetzt. So unbeschwert habe ich das Leben noch nie genossen. Meine Zukunft ist gesichert. Über die 15.000 DM ist bisher kein Wort gefallen. Dieses Thema meiden wir beide. Mir ist es unangenehm ihn auf die Rückzahlung anzusprechen, ihm kann es Recht sein.
Der Heilige Abend verläuft traumhaft. Peters Essen ist köstlich. Ich habe den Tisch festlich gedeckt, die Wohnung weihnachtlich geschmückt, er bleibt zum ersten Mal über Nacht. Am ersten Feiertag besucht Peter seinen Sohn und auch beim Vater, der das Krankenhaus verlassen hat, will er vorbeischauen.
Bei seiner Rückkehr verhält er sich, als hätten wir uns wochenlang nicht gesehen und beteuert: “Ohne dich gehe nichts mehr. Beim nächsten Mal will ich dich unbedingt dabei haben und meinem Vater vorstellen. Meinst du, du kannst für immer mit mir leben?“ Ganz ernst sieht er mir bei der Frage in die Augen. Etwas sperrt sich in mir darauf zu antworten. Schweigend nehme ich ihn in den Arm. Es ist ein beeindruckender Gefühlsausbruch. Da wir ohnehin in drei Tagen den gemeinsamen Urlaub antreten, beschließen wir, nein macht er den Vorschlag, sein Hotelzimmer aufzugeben, und sein Gepäck zu holen. Er zieht bei mir ein, was nur als vorübergehende Lösung geplant ist, denn nach unserer Rückkehr aus dem Bayerischen Wald will er sich ernsthaft nach einer größeren Wohnung umsehen. Kaufen oder mieten, die Entscheidung möchte er erst treffen, wenn er ohne Gefahr Zugriff auf seine Konten in der Schweiz und Türkei hat. Der Fiskus, der Fiskus!!!
Die Zeit im Bayerischen Wald verläuft sehr harmonisch. Peter überrascht mich mit einer achttägigen Urlaubsverlängerung. Möglicherweise zahlt er die mit einem Teil meiner 15.000,-- DM. Mit dem Pächterehepaar unseres Hotels, Hermann und Resi, haben wir schon bald ein freundschaftliches Verhältnis.
Abends trifft sich unsere Reisegruppe zum gemütlichen Beisammensein. Es ist nicht zu übersehen, wie beeindruckt alle von diesem charismatischen Mann und seinen interessanten Erzählungen, vor allem über sein Können und Wissen als Spezialist der Zahnmedizin sind. Man hängt gebannt an seinen Lippen. Geschickt weiss er lustige oder auch tragische Episoden und Erfahrungen mit seinen Patienten in Deutschland und der Türkei einzustreuen. Ich spüre den Neid der überwiegend weiblichen Reiseteilnehmer. Dieser charmante Mann gehörte zu mir.
Peter bucht bei Hermann, zwar noch unverbindlich, Seminarräume für eine Masterwork-Schulung, die er mit seiner Agentur für Februar plant. Die Wahl des Veranstaltungsortes überlässt man ohnehin ihm. Das Hotel und seine Lage bieten sich geradezu für diesen Zweck an. Die Zahl der teilnehmenden Zahnärzte und Techniker steht noch nicht fest.
Nach unserer Rückkehr drängt Peter darauf, die Suche nach einer passenden Immobilie ernsthaft anzugehen. Er macht mir einen Heiratsantrag. Ich bin sprachlos und bitte um Bedenkzeit. Damit habe ich nicht gerechnet. Eigentlich will ich mich nicht mehr binden. Es ist doch auch so alles wunderschön. Auf mein Zögern reagiert er enttäuscht. „Solch einen Antrag stelle ich nur einmal, es ist mir sehr ernst, du bist meine Traumfrau.“
„Ist das nicht romantisch, geht er nicht toll mit mir um?“
(Im Rückblick wird mir speiübel.)
Die nächsten Wochen verlaufen unverändert. Peter fährt weiter jeden Morgen nach Düren, um dem Kollegen zur Hand zu gehen. Auf sein Drängen gebe ich die Arbeit im Lokal meines Sohnes auf. Ich kann ihn ja verstehen. Es missfällt ihm, dass ich oft spät in der Nacht nach Hause komme, außerdem sei er jetzt der Ernährer. Davon merke ich nichts, eigentlich merkte ich gar nichts.
Wir besichtigen mehrere Immobilien und werden Mitte Januar 2002 fündig. Unsere Wahl fällt auf eine traumhaft schöne Eigentumswohnung in Köln- Dellbrück, die gerade renoviert wird. Eigene Pläne und Veränderungswünsche können noch berücksichtigt werden. Mit dem Makler und den Handwerkern führen wir die notwendigen Gespräche. Alles soll natürlich nur vom Feinsten sein, so will es Peter. Wir besuchen Möbelmessen, Einrichtungshäuser, lassen uns Kostenvoranschläge unterbreiten. Es ist aufregend und wir schwelgen in Zukunftsplänen.
Meine Freunde und Verwandten, die ihn auf Familienfesten kennen lernen, sind von ihm begeistert. Eine Freundin fragt mich ganz verschmitzt, ob Peter nicht einen Bruder habe. Er beeindruckt alle durch sein charmantes Auftreten und bei seiner Art, spannend und überaus interessant zu erzählen, hängen alle an seinen Lippen.
Mein Gott habe ich ein Glück, ich kann es manchmal gar nicht fassen. In der letzten Zeit erwähnt Peter wiederholt ganz beiläufig die Organisation, der er angehört. Den Gedanken daran habe ich total verdrängt. Nun erfahre ich Einzelheiten. Da es sich bei den anderen Mitgliedern fast ausschließlich um Italiener handelt, komme ich bald zu dem Schluss, dass es sich um eine mafiöse Verbindung handeln muss. Als ich meinen Verdacht laut äußere, antwortete er: „Ich weiß, du bist ein kluges Mädchen.“ Ich bin entsetzt, geradezu entrüstet. Angst beschleicht mich. Ich verliere die Beherrschung. Mit solchen Menschen will ich nichts zu tun haben, darum stelle ich ihn vor die Wahl: „Die Mafia oder ich.“
Ich bin ein äußerst wahrheitsliebender Mensch mit festen Prinzipien, der sein Geld immer auf ehrliche Art verdient hat. So etwas kommt für mich nicht in Frage, da gibt es nichts zu überlegen. Lug, Betrug, gar noch schwerere Vergehen sind mir fremd, passen nicht in meine Gedankenwelt, geschweige in mein Leben. Andere Menschen zu hintergehen, ist für mich unvorstellbar. Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, damit kann ich etwas anfangen, das bin ich. Peter zeigt sich bei meinem Ausbruch total zerknirscht und ratlos.
Er ist schließlich kein einfaches, kleines Licht in dieser Organisation und kommt da nicht so raus, wie aus einem Kegelclub. Die meisten, die solch einen Versuch wagen, bezahlen mit ihrem Leben. Sein Pate Pauliano, dem er vor einiger Zeit in einer spektakulären Aktion das Leben gerettet hatte, sieht in ihm den zukünftigen Schwiegersohn und Ehemann seiner Tochter Ricarda. Es ist eine ganz besondere Geste, nicht nur, dass man einen Deutschen in der Organisation duldet, die Verbindung mit seiner Tochter macht Peter zum Familienmitglied, das ist eine einzigartige Auszeichnung. Gegen ein kleines Abenteuer mit einer Deutschen Frau, eine unbedeutende Lapalie, hat Pauliano nichts einzuwenden, jedoch eine feste Verbindung mit mir wird er nie akzeptieren.
Peter verspricht, den Paten in einem ernsthaften Gespräch umzustimmen, sich gar mit einer großen Summer freizukaufen. Er hofft auf Verständnis und Paulianos Entgegenkommen, da er mit mir die Liebe seines Lebens gefunden hat.Mich beschleicht ein unheimliches Gefühl. Ich habe Angst, panische Angst um Peter, um mich, unser Leben, unsere gemeinsame Zukunft. Zum ersten Mal in der Zeit mit ihm weine ich. Diesmal nicht vor Glück, sondern aus purer Verzweiflung. Unsere Lage ist so hoffnungslos. „Mafia,“ um Gottes Willen, in was bin ich da geraten? Wie sollen wir da herauskomme? Peter versucht mich zu beruhigen, Pauliano schon am nächsten Tag um die für uns so entscheidende Unterredung zu bitten. Diese Gespräche führt er nicht von unserem Telefonanschluß, sondern aus einer Telefonzelle, um die Gefahr abgehört zu werden, auszuschließen.
Beschwingt und guter Laune, mit guten Nachrichten kommt er nach kurzer Zeit zurück. Pauliano hat für einen der nächsten Abende seinen Besuch zugesagt. Auf den Tag genau festlegen kann er sich nicht, da ihn dringende Geschäfte in Italien aufhalten. „Vielleicht bringt er sogar Nicola, seinen Stellvertreter, einen mir sehr wohl gesonnenen Bruder mit, der sicher ein gutes Wort für uns einlegt. Auf seine Meinung hält Pauliano große Stücke. Du wirst sehen, Hase, wir finden schon eine allseits befriedigende Lösung. Wenn sie mein Mädchen erst mal kennen gelernt haben, können sie sich gar nicht gegen uns entscheiden,“ bei diesen Worten strahlt er mich überzeugend, mit einem Augenzwinkern an. „Ich werde was Tolles kochen. Pauliano ist ein Feinschmecker. Mit einem guten Essen kann ich ihn sicher friedlich stimmen. Natürlich wird es nicht einfach sein, für mich einen adäquaten Ersatz zu finden. Ich bin sein Mann für ganz besonders delikaten Aufträge. Den Job bei Dr. Marescou übe ich doch nur zur Tarnung aus. Nun habe ich dir schon fast zu viel anvertraut. Das hat mit Misstrauen nichts zu tun. Je weniger du weißt, umso sicherer für dich.“ Liebevoll sieht er mich an, „ich weiß doch, mein Mädchen ist verschwiegen.“
(Nie nennt er mich bei meinem Namen, benutzt immer die gleichen Kosewörter und das aus einem ganz simplen Grund. So läuft er keine Gefahr, sich bei anderen Frauen zu versprechen. )
Für Januar hat er einen Skiurlaub in Österreich geplant. Peter brennt darauf, in seinem Urlaubsdomizil, einem Nobelhotel im Defreggental seine zukünftige Frau vorzustellen. „Die werden Augen machen. Du musst wissen, ich bin fast so etwas, wie der Sohn des Hauses.“ Den Urlaub verschieben wir wegen Paulianos Besuch, der geht vor, ist lebensnotwendig für uns.
Endlich ist es so weit. Morgen Abend kommt der große Boss. Für das geplante Essen kauft Peter ein wie ein Weltmeister. Zutaten, Getränke , alles vom Feinsten. „Was ziehst du an Liebling? Bitte mach dich ganz besonders chic.“ Wir sind mit den Vorbereitungen früh fertig und warten gespannt und aufgeregt auf unseren Besuch. Der lässt auf sich warten. Je später es wird, je unruhiger wird Peter. Schließlich hält es ihn nicht länger in der Wohnung. „Ich gehe telefonieren,“ mit den Worten stürmt er aus der Tür. Ganz niedergeschlagen kommt er mit der Nachricht zurück: „Pauliano ist durch nicht vorhersehbare Ereignisse aufgehalten worden, kann den Termin mit uns nicht einhalten. Sein Besuch ist nur aufgeschoben.“ Wir essen drei Tage Kaninchenragout!
Das ereignet sich in der letzten Januar-Woche. Nichts wird aus dem Skiurlaub. Wir sollen uns für den nächsten Besuchstermin auf Abruf bereit halten.
(Pauliano existiert nur in Peters Phantasie, darum werde ich ihn nie kennen lernen.)
Am 04. Februar 2002 ruft Peter aus der Praxis an. Er hat einen wichtigen Auftrag in Hamburg und will mich unbedingt an seiner Seite haben. „Pauliano muss einsehen, dass ohne dich nichts mehr geht. Bitte, Liebling, packe nicht nur Wintergarderobe ein. Ich habe vor, nach Auftragserledigung mit dir in die Türkei zu fliegen. Du musst endlich meine zweite Heimat kennen lernen. Wenn du siehst, was ich mir dort in diesem wunderschönen Land mit seinen freundlichen, warmherzigen Menschen aufgebaut habe, wirst du stolz auf mich sein. Du weißt, Jan ist sehr daran interessiert, mein Ärztehaus zu kaufen. Vielleicht gelingt es mir jetzt schon alles abzuwickeln und eine größere Summe locker zu machen. Außerdem plane ich noch einen Abstecher in die Schweiz, du musst verfügungsberechtigt über meine Konten sein und Zugang zu dem Schließfach haben, in dem erhebliche Wertsachen und ein diplomierter türk. Pass lagern. Meine zukünftige Frau soll gut versorgt sein. In Hamburg lassen wir Fotos von dir machen, sodass du auch einen türk. Ausweis bekommst. Beziehungen, Beziehungen. Du siehst, die Organisation kann uns auch dienlich sein. Und Hase, dann bekommst du endlich dein Geld zurück, natürlich mit einer dicken Wiedergutmachung für alles, was du bisher für mich getan hast, lass dich überraschen! Der Notartermin für den Wohnungskauf rückt immer näher. Das schon ist Grund genug, eine größere Geldsumme nach Deutschland zu transferieren.“
Auf Paulianos Anweisung sollen wir mit dem Zug nach Hamburg fahren. Peter hat die Fahrkarten schon besorgt. Verärgert, dass er einfach so über mich und meine Zeit verfügt, packe ich alles Notwendige zusammen und bin pünktlich am Bahnhof, wo mich Peter sichtlich erleichtert mit den Worten, „ich hab schon ein tolles Mädchen,“ empfängt. Ist das Leben mit ihm nicht spannend? Die Aussicht, in die Türkei und Schweiz zu fliegen, mein Geld zurückzubekommen, seinen Besitz kennenzulernen, reizt mich ungemein. Außerdem, Pauliano hat etwas von einem letzten Auftrag verlauten lassen. Diese Nachricht beruhigt mich, sind wir nun endlich am Ziel?
Wir treten unsere Hamburgreise an und wohnen bis zum 14. Feb. im Dorint- Hotel an der Alster. In dieser Zeit erledigt Peter verschiedene Aufträge. Ich bin immer für fast eine Stunde allein und in höchster Sorge, weiss ich doch um die Gefährlichkeit dieser Unternehmungen. „Meistens,“ so vertraut er mir im Flüsterton, „muss ich Außenstände eintreiben und darf dabei nicht zimperlich vorgehen, denn die Schuldner rücken nicht immer freiwillig mit dem Geld heraus.“
(In Wirklichkeit trifft er sich mit anderen Frauen, ergaunert sich ihr Geld oder besucht Bordelle und ähnliche Etablissements.Die große Entfernung zu Köln stellt er her, weil ihm Justitia wegen diverser Betrügereien auf den Fersen ist. Geschickt versteht er es meine Angst um ihn, um uns zu schüren.)
Eines Abend sind wir bei einem Nobelitaliener zum Essen eingeladen. Einer der Mafia-Bosse Hamburgs unterhält dieses Lokal. Er und Pauliano beabsichtigen im Laufe des Abends zu uns zu stoßen. In bester Laune wählt Peter die teuersten Angebote aus Wein- und Speisekarte aus. Da wir eingeladen sind, ist mir das äußerst peinlich. Aber siehe da, auch hier glänzen die großen Bosse durch Abwesenheit. Um kein Aufsehen zu erregen, Diskretion ist geboten, wird mit meiner Kreditkarte bezahlt. Spreche ich Peter verärgert darauf an, antwortet er lachend, „Maus ich bin doch bei dir, ich laufe dir schon nicht davon.“ Womit er nicht mal die Unwahrheit sagt.
(Solange noch etwas bei mir zu holen ist, hat er keinen Grund davonzulaufen.)
Er verwöhnt und hofiert mich nach allen Regeln der Kunst, überrascht mich mit kleinen Aufmerksamkeiten und Geschenken, was ich aus meinem bisherigen Leben nicht kenne. „Liebling ist dir eigentlich aufgefallen, wie uns die Leute ansehen? Wir sind schon ein schönes Paar.“ Zu gerne lasse ich mich beruhigen. Pauliano erscheint nicht auf der Bildfläche. So fällt der Türkeitrip ins Wasser. Wir brauchen seine Zustimmung. Eigenmächtiges Zuwiderhandeln ist bekanntlich lebensgefährlich.
Zurück in Köln, stelle ich fest, dass der Briefkastenschlüssel an meinem Schlüsselbund fehlt, der Kasten quillt über. In der Wohnung bittet Peter mich um eine Haarnadel. „Mach du schon mal eine Tasse Kaffee, ich versuche derweil den Briefkasten zu öffnen.“
(Die Haarnadel benötigt er nicht. In Hamburg hatte er in einem unbeobachteten Moment den Schlüssel an sich genommen. Das gibt ihm die Möglichkeit, brisante Post von der Polizei oder Staatsanwaltschaft, Zahlungsbefehle, meine Bankauszüge verschwinden zu lassen.)
Zu dieser Zeit meine, ich noch keinen Grund zum Misstrauen zu haben. Mein Gott bin ich naiv und gutgläubig. Der Makler ruft an. Er will uns den Fortschritt der Umbauarbeiten in unserer Wohnung zeigen. Bei diesem Treffen drängt er auf eine Anzahlung, mit der wir uns das Vorkaufrecht sichern. Peter sagt für die nächsten Tage einen größeren Betrag zu und wir trennen uns in gutem Einvernehmen, nicht ohne ein gemeinsames Abendessen zu vereinbart, um den für beide Seiten guten Abschluss zu besiegeln. Es ist ja alles so toll.
Peter beabsichtigt, aus seiner belgischen Wohnung einige besonders schöne Möbelstücke zu holen und natürlich den Tresor, den braucht er unbedingt, den will er in der neuen Wohnung einbauen lassen. Wie er sich darauf freut, seiner wertvollen Gemäldesammlung endlich einen gebührenden Platz zu verschaffen. In Belgien verstaubt nur alles.
Mein Sohn ruft an und bittet uns um ein Gespräch. Einige Tage später treffen wir uns in einem Brauhaus. Er offenbart uns, dass er mit seinen Lokalen in finanziellen Schwierigkeiten steckt. „Das ist,“ so Peter „überhaupt kein Problem. „Warum hast du so lange gewartet, dich uns anzuvertrauen. Ich werde den Pachtvertrag fürs Deep übernehmen. Natürlich läuft er auf den Namen deiner Mutter.“ Meinem Sohn sind Peters Schwierigkeiten mit dem Finanzamt bekannt. „Sag mir was du in den Laden gesteckt hast und ich zahle dir eine angemessene Ablösesumme.“ Habe ich nicht einen großartigen Mann?
In Dellbrück die wunderschöne Wohnung und nun noch das Lokal im Belgischen Viertel, aus dem er ein exklusives Speiselokal machen will. Er der Hobbykoch, der bei Lafer und Müller Kurse besuchte, um seine Kochkünste zu verfeinern, kann sich nun am Herd so richtig austoben. Und einen Weinkeller, ja weit über Kölns Grenzen wird unser Lokal bekannt werden, ein Geheimtipp für Feinschmecker. Die noch verbleibenden, finanziellen Probleme meines Sohnes wird er mit einer großzügigen Zuwendung aus der Welt schaffen, natürlich erst, wenn er in der Türkei und Schweiz gewesen ist.
Er verhält sich wie ein Kind in Erwartung des Christkindes. Schmiedet Pläne. An bestimmten Abenden wird er zur Untermalung auf dem Saxophon spielen. Dieses Instrument beherrscht er perfekt.
(In Wirklichkeit kann er nicht eine Noten lesen.)
Eine neue Küche, am Besten eine komplett neue Einrichtung muss her, alles wie immer, nur vom Feinsten. Zufällig ist gerade die Gastronomie-Messe in Köln. „Schatz hier holen wir uns Anregungen, vielleicht finden wir auf Anhieb das Richtige und kaufen sofort. Mir schwebt schon etwas vor.“ Zu meinem Glück kommt es nie zu einem Kaufvertrag, auch der Pachtvertrag ist noch nicht unterzeichnet. „Wir müssen so schnell wie möglich in die Türkei, in die Schweiz und nach Belgien, dann mach ich mein Hasenherz zur reichsten Frau Kölns.“
(Er wiederholt sich oft, verspricht vieles, widerspricht sich nie. Sicher hat er seine Lügenmärchen schon zu oft erzählt.)
Einige Tage später ruft uns der Besitzer vom Deep an. Im Laufe des Gespräches erfahren wir, dass es für das Lokal keine Küchengenehmigung gibt, Bestimmung vom Ordnungsamt. So fallen unsere Träume allesamt mit einem Schlag ins Wasser. Nun erst Recht. Der Gedanke, ein Speiselokal zu eröffnen, hat sich so in Peters Kopf festgesetzt, dass er noch am gleichen Tag unseren Makler anruft und ihn mit der Suche nach einer passenden Immobilie beauftragt. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, es pressiert ja nicht. Rom ist schließlich auch nicht an einem Tag entstanden. Wir decken uns mit Fachliteratur ein. Ich zeige für alles größtes Interesse. Seine Weinlieferanten muss er unbedingt kontaktieren. Wir besuchen sogar ein Weinseminar. Ich mache alles voller Begeisterung mit.
Am 19. Februar 2002 komme ich nachmittags von einem Kosmetikbesuch nach Hause. Peter ist meines Glaubens arbeiten.
(In Wirklichkeit darf er sich nicht mehr in die Nähe der Praxis wagen. Er hat dort eine größere Menge Zahngold und sonstiges Material gestohlen, einen Vorschuss für Arbeiten kassiert, die er gar nicht beabsichtigt, auszuführen. Auch hier läuft eine Anzeige gegen ihn. )
Peter ruft mich tagsüber mehrfach aus der Praxis an und erkundigt sich, was ich gerade mache und wie es mir geht. Er ist ja so ein besorgter Mann. Als ich heute seine Stimme am Telefon vernehme, weiss ich sofort, da stimmt etwas nicht. Und tatsächlich, er ruft aus Hamburg, nicht aus Düren an. Er ist aufgeregt und tut sehr geheimnisvoll. Auftrag von Pauliano! „Du musst so schnell wie möglich nachkommen. Packe das Nötigste zusammen. Ich habe dir schon die Fahr- und Platzkarte von hier aus reserviert. Du musst sie nur noch am Serviceschalter des Kölner Bahnhofs abholen und in den nächsten Zug steigen. Und Maus, ich habe eine Überraschung. Ich war hier beim Juwelier Niessing und habe für uns die schönsten Trauringe ausgesucht. Freust du dich? Du bist so still.“
Ich bin tatsächlich sprachlos. Was soll ich sagen? Ich bin so perplex, so überfahren. Bin ich verrückt oder er? Außerdem hat er sich die Flugpläne für die Türkei ausdrucken lassen, kann mir jedoch am Telefon nichts Konkretes sagen. „Du weißt ja, wegen der Abhörgefahr.“
(Sofort ist sie wieder da, die Angst. Er ist sehr geschickt und durchtrieben oder bin ich zu gutgläubig?)
„Mausilein, meine Telefonkarte ist gleich leer, ich liebe dich und brauch dich hier, bitte komm.“ Die Verbindung bricht ab. Was mache ich? Natürlich, packen. Und so fahre ich in diesem Monat zum zweiten Mal nach Hamburg. Peter erwartete mich bei meiner Ankunft am Bahnhof. Die Freude ist überschwänglich groß,. „Bin ich froh, dich hier zu haben.“
(Natürlich, braucht er doch mein Geld. )
Dieses Mal wohnen wir im Hanse-Clipperhaus, einem anonymen Garni-Hotel. Hier wird unser Kommen und Gehen kaum registriert und da wir wie immer unter meinem Namen einchecken, besteht für Peter im Falle einer Fahndung, keine Gefahr. Er besteht darauf, dass wir sofort am nächsten Tag zu Niessing gehen, kann es kaum erwarten, mir die Ringe zu zeigen. „Sie sind etwas ganz besonderes, mein Hase, so wie unsere Liebe. Ich liebe dich mehr denn je und möchte, dass du endlich meine Frau wirst. Ich will dich nie mehr verlieren. Liegst du nachts nicht neben mir, kann ich nicht schlafen. Ohne dich könnte ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen.“
Und wirklich, wache ich nachts auf, so ist er oft über mich gebeugt, beobachtete mich im Schlaf. Mein Aufwachen am Morgen kann er kaum erwarten. Oft hält er mich stumm in den Armen. „Ich gebe dich nie wieder her.“ Es kommt vor, dass ihm dabei die Tränen laufen. Solche mir geltenden Gefühlsausbrüche kenne ich nicht. Bin ich nicht geradezu verpflichtet für diesen Mann alles zu tun? Na gut, anschauen kann ich mir die Ringe aber heiraten? Auch ohne Trauschein führen wir eine wunderschöne harmonische Beziehung. Es geht mir einfach alles zu schnell.
(Heute, nachdem ich nicht mehr träume, sondern mich einer bitter harten Wirklichkeit, geringem Sozialeinkommen, drückenden, von ihm verursachten Schulden stellen muss, frage ich mich, kann jemand so schauspielern? Dann hat er wirklich eine oscarreife Leistung hingelegt. Ein guter Freund sagte mir als ich an Selbstvorwürfen zu ersticken drohte: „Vergiss nicht, er hat das Betrügen zu seinem Beruf gemacht, und das perfekt. Mit Empathie, skrupelloser Gerissenheit war er dir immer nicht nur einen Schritt voraus, er kannte das Ziel und hatte es fest im Auge. Du dagegen tapptest ihm vertrauensvoll hinterher. Er hatte es so einfach. An deiner Seite brauchte er nur zu glänzen und musste sich nicht mal dabei anstrengen. Du bist eine gut aussehende Frau, mit sicherem Auftreten, weltgewandt. An dir, mit deiner offenen, herzlichen Art, den Menschen zugetan, kann man nicht vorbei schauen. Außerdem warst du vermögend. Du hattest alles, was solch ein Schmarotzer braucht. Jemand wie er, entwickelt dafür ein sicheres Gespür.“)
Einen guten Geschmack hat er, das muss man ihm lassen. Die Ringe sind von umwerfender Schönheit. Für mich hat er einen lupenreinen Halbkaräter mit unglaublichem Feuer, für sich einen schlichten, breiten Goldring gewählt.„Der Sonderpreis beläuft sich auf nur 15.000 €. Damit zeigt man uns ein nicht alltägliches Entgegenkommen. Müssen wir da nicht zugreifen?“ Da kann ich doch nicht nein sagen. „Hasenherz, du bist ja stumm, hat es dir die Sprache verschlagen oder gefallen dir die Ringe nicht? Ich habe für die Schönste und Beste den schönsten Ring ausgesucht und du freust dich nicht.“ Diese erschrockenen, enttäuschten Augen. Er hat sich so viel Mühe gegeben und nun soll ihm die Überraschung nicht gelingen. Das kann ich ihm nicht antun. Vor den Angestellten, sogar der Geschäftsführer ist extra wegen uns anwesend, nimmt er mich in die Arme, küsste mich und dann an die Umstehenden gewandt: „Habe ich nicht eine wundervolle Frau?“
(Kein Schutzengel steht hinter mir, der mich bei den Schultern nimmt und wach rüttelt. Meine innere Stimme, die versucht warnend in mein Bewusstsein vorzudringen, ignoriere ich. Keiner ist da, der mich rettete. Die Welle von der ich mich tragen lasse ist eine trügerische, die mich in die Tiefe zieht.)
„Komm mein Herz, jetzt gehen wir erst einmal lecker essen. Du musst dich nicht sofort entscheiden. Wir sind ja noch ein paar Tage hier und so lange hast du Bedenkzeit. Außerdem hat Pauliano seine Beziehungen spielen lassen, ich bekomme in den nächsten Tagen meinen Personalausweis zurück. Du weißt, den hat die Polizei bei meiner Entlassung aus der U-Haft einbehalten, um meine Rückkehr in die Türkei zu verhindern. Somit wäre das Problem auch bald vom Tisch und du musst auf die Rückzahlung der 15.000 € für unsere Eheringe und für das von dir so großzügig vorgestreckte Geld nicht mehr lange warten. Was glaubst du, wie sehr mich das bedrückt? Da liegt jede Menge Geld in der Schweiz, meine Konten in der Türkei wachsen und ich kann nicht darüber verfügen. Du willst doch auch nicht, dass ich zurück in den Knast muss? Es ist, solange ich meine Papier nicht habe, höchste Vorsicht geboten.“ „ Ach, das ist ja was ganz Neues, auch für die Ringe soll ich das Geld vor strecken?“ Nun bin ich richtig böse. „Nein, das geht wirklich zu weit. Du kannst dir ja dieses Mal das Geld von Pauliano leihen,“ sage ich heftig. Erschrocken, ganz entsetzt sieht er mich an. „Du weißt, das geht nicht. Er darf von unseren Heiratsplänen noch nichts erfahren. Er hat doch, was uns betrifft und mein Ausscheiden aus der Organisation, noch keine Entscheidung getroffen. Du liebst mich nicht mehr, sonst könntest du so etwas nie von mir verlangen. Du weißt genau, in welcher Gefahr ich schwebe. Ich will dir nur beweisen, wie ernst es mir mit uns ist.“ Er zeigt sich total zerknirscht und niedergeschlagen. „Wenn du mir so misstraust, werde ich eben das Wagnis auf mich nehmen und alleine in die Schweiz fahren. Ich hole mir den türk. Pass aus dem Schließfach, fliege weiter in die Türkei und werde alles erledigen.Wenn man mich an der Grenze allerdings ohne Papiere erwischt, darfst du nicht traurig sein und mir später Vorwürfe machen, Kleines. Du siehst, für dich tu ich eben alles.“
Er hat wieder zum Schlag ausgeholt und der sitzt. Im wahrsten Sinn des Wortes fühlte ich mich wie erschlagen. Wie kann ich ihm so misstrauen, ihn so verletzen? Wie kann ich nur so undankbar sein? Da ist der Mann der mich liebt, der Mann meines Lebens, der doch wirklich alles für mich tut und ich stoße ihn so vor den Kopf. Was habe ich mir nur dabei gedacht, wie kann ich das wieder gutmachen? Ich stammele einige unzusammenhängende Worte, von nicht so gemeint, von missverstanden. „Bitte nicht ohne Pass über die Grenze, alles, nur keine erneute Verhaftung. Ich will dich doch nicht in Gefahr bringen und dann wegen einer solch lächerlichen Summe. Bitte verzeih. Es sind nur dumme, nicht ernst gemeinte Gedanken. Morgen früh rufe ich Frau Fuchs bei der Sparkasse an, die kann mir das Geld nach hier überweisen. Eine Kleinigkeit. Du wirst sehen, in zwei Tagen haben wir unsere Ringe. „Ja,“ die Erleichterung ist ihm anzusehen „und lassen sofort unsere Namen eingravieren.“ Er erhebt sich von seinem Platz, kommt um den Tisch herum, das Essen ist eh unberührt und kalt, nimmt mich wie immer in solch einer Situation liebevoll in den Arm und küsst mich, trotz der neugierigen Blicke anderer Gäste. Was gehen mich die fremden Leute an und ob sie etwas von unseren Unstimmigkeiten mitbekommen haben. Mein Schatz ist nicht mehr böse, das ist die Hauptsache. Seine finstere Mine hellt sich auf, er ist guter Dinge.
(Alles läuft nach seinen Vorstellungen. Er hat sein Ziel erreicht. So soll es auch am nächsten Tag weiter gehen.)
Bei Niessing gratuliert man uns zu unserer Entscheidung und wünscht alles Glück der Welt, das ich meine, fest in meinen Händen zu halten. „Und morgen, mein Hasenherz, gehen wir ganz früh zum Fischmarkt, denn dort wartet eine weitere Überraschung auf dich.“ Beruhigt, glücklich und guter Dinge sehe ich dem nächsten Tag entgegen. Gutes Mädchen, braves Mädchen. Es ist so einfach, glücklich zu sein, den Mann, den man liebt, glücklich zu machen. Wenn es einer verdient, dann er.
Am nächsten Morgen, es ist bitter kalt, machen wir uns wie geplant auf den Weg zum Fischmarkt. Eng umschlungen schlendern wir von Stand zu Stand, trinken Tee mit Rum, der wohlig wärmt, essen allerlei Leckereien, sind guter Ding, es geht uns wirklich gut. In einer der Hallen gibt es Lifemusik, es herrscht ein fröhliches Treiben. Wir singen und tanzen ausgelassen mit. Nach einigen Gläsern Champagner bin ich nicht nur vom Alkohol berauscht. In einigen der roten Ziegelsteingebäude am Fischmarkt, die früher als Kornspeicher dienten, sind anspruchsvolle Geschäftsräume entstanden und beherbergen nun eine Vielzahl eleganter Ladenlokale. Peter nimmt mich bei der Hand und führt mich in eines der Gebäude. Mit dem Fahrstuhl gelangen wir in die oberste Etage. „Schau, was ich entdeckt habe.“ Wir stehen vor einem Goldschmiedeatelier und werden von der Inhaberin schon erwartet. Im Laufe des Gesprächs erfahre ich, dass Peter unseren Besuch angekündigt und darum gebeten hat, mir die schönsten Stücke der Schmuckkollektion vorzulegen. Beim Anblick dieser Kunstwerke bin ich überwältigt. „Bitte Liebling, such dir etwas aus, was dir ganz besonders gut gefällt. Schau mich nicht so an. Ich möchte dich für alles, was du bisher für mich getan hast belohnen, wieder gut machen kann ich es eh nicht. Egal auf was deine Wahl
fällt, es kann nie die Größe meiner Liebe zu dir ausdrücken.“ „Die ausgelassene Stimmung und diese edlen Stücke passen einfach nicht zusammen. Ich kann nicht so schnell umschalten“.
Er versteht mich sofort, er versteht mich so gut. Wie er immer zu sagen pflegt, „ich erahne deine Gedanken, noch ehe du sie aussprichst. Du hast Recht, das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Wir sind ja noch ein paar Tage hier. So eine Wahl muss man in Ruhe treffen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“ Natürlich hat die Goldschmiedin Verständnis für meine Entscheidung und beteuert, uns jeder Zeit gerne zur Verfügung zu stehen. Für einen Moment blitzt in mir der Gedanke auf, warum gibt er mir nicht einfach mein Geld zurück und legt ein selbstgewähltes Dankeschön hinzu? Das wäre nach meinem Sinn. Außerdem hatten wir erst vor einigen Tagen unsere wunderschönen Ringe gekauft. Manchmal, zwar höchst selten, gab es halt doch keine Übereinstimmung. Wir verabschieden uns und schlendern weiter an den Auslagen vorbei.
In einem Küchenstudio fällt uns eine extravagante Küche ins Auge. „Hase schau mal, das wäre was für unser neues zu Hause. Schade, dass wir die Pläne nicht dabeihaben und die Maße nicht wissen.“ Die Arbeitsfläche ist aus Granit. Das Rohmaterial kann man in einem Steinbruch in Lindlar aussuchen. Jede Gesteinsschicht besitzt eine andere Farbgebung. „Wenn wir zurück sind, fahren wir nach Lindlar, das liegt direkt vor den Türen Kölns,“ schlägt Peter vor. Wir vereinbaren mit der Verkäuferin einen Besichtigungstermin vor Ort. So haben wir die Möglichkeit, eine einzigartige Farbharmonie in unserer künftigen Küche herzustellen. Den Termin verlegt Peter in den März.
(Es wird nie eine Besichtigung geben und das weiss er genau.)
In Gedanken ist Peter längst weitergezogen und zwar auf die Insel Sylt. Dort befinden wir uns tatsächlich einige Tage später, wo er wieder einen der letzten Aufträge für Pauliano abzuwickeln hat. Der große Boss hat für uns in seiner unendlichen Großzügigkeit eine Suite in einem kuscheligen Strandhotel gebucht, natürlich auf meinen Namen, aus Sicherheitsgründen. Ich wäre viel lieber nach Hause gefahren. Außerdem wartet der Makler auf die Anzahlung. „Hasenherz versteh doch, ich bin noch nicht in der Position, mich Pauliano widersetzen zu können. Nicola hat mich davor gewarnt, ich soll mich noch für kurze Zeit gedulden.“ Die Unentschlossenheit des Paten nervt mich. Er muss doch endlich eine Entscheidung treffen. Egal wie sie ausfällt, sie bringt mir endlich Klarheit. Dann weiss ich, wie mein Leben weiter verlaufen wird.
(Dabei habe ich schon längst die Verantwortung für mein Leben abgegeben, an einen Verbrecher.)
Warum zögere ich nur? Ich fühle mich längst nicht mehr wohl in meiner Haut. Warum beende ich diesen Zustand der Ungewissheit nicht. Im Stillen gestehe ich mir die Angst ein, Peter zu verlieren, so lasse ich es zu, dass ich mich selbst verliere. Er hat eine für mich unbekannte Größe erschaffen, mit der er mich unter Druck setzen, mich in Angst und Panik versetzt kann. Die Mafia!
Oft wache ich in den nächsten Nächten weinend auf. Von Albträume gequält bombardiere ich Peter mit Fragen, auf die ich nie eine befriedigende Antwort erhalte. Dieser Zustand gibt ihm die Möglichkeit, sich wieder von seiner zärtlichen, beschwichtigenden Seite zu zeigen. Das hat er raus, das beherrscht er perfekt.
(Lug und Betrug, andere Ausnützen ist sein Lebensinhalt. Auf diesem Gebiet ist er eine Koryphäe.)
In Hamburg haben wir uns wetterfeste Garderobe besorgt. Stiefel, Anorak, alles, um für jedes Inselwetter gewappnet zu sein. Am 27. Feb. verlassen wir die Stadt und begeben uns mit der Bahn nach Sylt. Jeden Morgen macht sich Peter für eine Stunde auf, um Paulianos Aufträge auszuführen. Tatsächlich erkundet er die Möglichkeiten, die ihm die Insel für seine Bedürfnisse bietet. Nach einigen Tagen bestehe ich auf Abreise. Der Wohnungskauf steht bevor. Auf mein Drängen ruft er endlich den Makler an. Kurz angebunden gibt dieser Peter zu verstehen, die Wohnung sei inzwischen verkauft. Peter tobt, schimpft wie ein Rohrspatz, droht mit seinem Anwalt. Nur schwer beruhigt er sich und zetert nach Beendigung des Telefonats weiter. Aufgeregt läuft er im Zimmer auf und ab.
(Was für ein Schauspieler. Dabei ist er erleichtert, dass sich der Wohnungskauf erledigt hat. Er ist nicht in der Lage eine Tasse Kaffee zu bezahlen, geschweige eine Eigentumswohnung. Nichts, rein gar nichts besitzt er. Keinen festen Wohnsitz. Den Vater hatte er bestohlen, der ihn daraufhin vor die Tür setzte. Ohne Arbeitsstelle, ist er auch nicht auf der Suche nach einer, weil er befürchten muss, dass Dr. Marescou die Kollegen vor diesem Betrüger gewarnt hat. Mir spielt er den zutiefst Enttäuschten vor, schimpft auf Pauliano, der wieder unsere Pläne durchkreuzt hat.)
Der Besuch im Steinbruch wird abgesagt. Für die Küche benötigen wir keine Arbeitsplatte mehr, schon gar keine aus Granit. „Engelchen, sei nicht traurig und schimpfe nicht mit mir, du wirst sehen, wir finden noch etwas viel Schöneres. Es soll eben nicht sein, dann ist diese Wohnung auch nicht die Richtige für uns.“
Am 09. März hat mein Patenkind, das in der Nähe von Frankfurt wohnt, zum 30igsten Geburtstag eingeladen. Peter bucht für uns im Dorint-Hotel Drei-Eich, in dem er angeblich schon Seminare gehalten hat. „Was werden deine Verwandten Augen machen, wenn sie von unserer bevorstehenden Hochzeit hören und unsere wunderschönen Ringe sehen. Maus, dazu brauchst du unbedingt eine passende Uhr. Vor dem Besuch bei deinem Patenkind fahren wir in die Frankfurt City, dort werden wir bestimmt fündig.“ Meinen Protest wischt er mit einer Handbewegung weg, „du bist einfach zu bescheiden. Zur Feier sind wir pünktlich da, nun komm schon.“ Bei meinen Verwandten angekommen, es kennen ihn längst noch nicht alle,
wird er kritisch beäugt. Meine Schwägerin zieht mich in einem unbeobachteten Moment in die Küche. „Er sieht ja toll aus und ist auch sympathisch, aber meinst du nicht, dass er ein wenig zu dick aufträgt? Ob das mal alles so stimmt mit Türkei usw.“ Sie hat ja recht, zweifle ich nicht selber manchmal an dem Wahrheitsgehalt seiner Erzählungen. Schon gesellt sich Peter zu uns. „Na ihr zwei, habt ihr Geheimnisse?“ „Wenn man sich so lange nicht gesehen hat“ antworte ich, „gibt es halt viel zu erzählen.“ Am späten Abend fahren wir ins Hotel zurück.
Endlich, am 11. März sind wir wieder in Köln. Es ist so schön, zu Hause zu sein. Peter ruft bei Dr. Marescou an, ob Arbeit auf ihn wartet. Tatsächlich, so glaube ich, nimmt er seine Tätigkeit wieder auf.
(Wie er immer wieder in den Besitz größere Geldbeträge kommt, entzieht sich meiner Kenntnis. Wahrscheinlich verdient er es durch Mitwirken an pornographischen Filmen. Irgendwann, viel viel später finde ich in seinen Unterlagen bestätigende Hinweise in diese Richtung.)
Eines Abends erzählt mir Peter, dass seiner Agentur die Teilnehmerliste für das Seminar im Bayerischen Wald vorliegt. Nun ist es an ihm, vor Ort den Rest zu organisieren. In Frauenau bucht er in einem Hotel, das ihm nur aus meinen Erzählungen bekannt sein kann. Dort habe ich in der Vergangenheit mit meinen Kindern mehrfach Urlaub gemacht. Das ist doch nun endlich mal etwas, was nicht von Pauliano ausgeht und dieses Mal packe ich unsere Koffer mit gutem Gefühl. Vorher treffen wir uns noch mit einigen Leuten aus der Reisegruppe Bayerischen Wald, mit denen wir weiter losen Kontakt pflegen. Die Unterhaltung führt fast den ganzen Abend, wie kann es anders sein, Peter. Er erzählt langatmig von seinem bevorstehenden Seminar. Dass er eine neue Behandlungsmethode an einer Patientin demonstrieren soll. Insgesamt 27 Zahnärzte und Zahntechniker haben sich angemeldet, um sich in der neuen Technik unterweisen zu lassen. „Warum wohnt ihr nicht bei Hermann, sondern in Frauenau,“ will man wissen. Auch hier ist Peter um keine Antwort verlegen. „Wir wollen am Abend unsere Ruhe haben, ich muss mich hochkonzentriert vorbereiten. Ihr kennt doch Hermann, der würde kein Ende finden.“ Damit gibt man sich, ich auch, zufrieden.
„Sagt mal ihr zwei,“ platzt einer mit der Frage heraus, „habt ihr etwa heimlich geheiratet“ und deutet auf unsere Ringe. „Noch nicht, kommt mir Peter zuvor, „sobald wir wieder zurück sind, wird das nachgeholt. Wir gehören zusammen, darum tragen wir jetzt schon unsere Ringe. Natürlich seid ihr alle herzlich eingeladen. Schriftliche Benachrichtigung kommt nach.“ Diese Neuigkeit muss begossen werden und so wird es noch ein feucht- fröhlicher Abend.
Am 17. März 2002 machen wir uns auf den Weg nach Frauenau. Im Hotel werde ich als "Alter Gast" herzlich begrüßt und Peter, als mein zukünftiger Ehemann mit der gleichen Freundlichkeit aufgenommen, sodass er auf unbekanntem Terrain sofort wieder festen Boden unter den Füßen hat. An den ersten beiden Tagen spannen wir zunächst mal vom Ausspannen aus, machen Gebrauch vom Wellness- und Beautyangebot, unternehmen lange Spaziergänge, besuchen Glasbläserwerkstätten und lassen es uns gut gehen. „Hasenherz, könntest du dich mit dem Gedanken anfreunden, für immer hier in Bayern zu leben?“ Mit dieser Frage überraschte er mich eines Abends. „In Köln sollte es mit einer eigenen Wohnung nicht klappen. Warum versuchen wir es nicht einfach hier. Wir schauen uns ganz unverbindlich in der nächsten Zeit die Immobilienangebote an. Wenn wir zusammen sind, können wir überall glücklich sein.“ Das ist eine ganz neue Vorstellung, er erwartet noch keine verbindliche Antwort. „Haben wir nicht alle Zeit der Welt?“
Dann passiert etwas, was mich total in Peters Hände spielt. Ich erleide nach einer Fußreflexzonenbehandlung einen Schlaganfall. Der Thrombus setzt sich im linken Auge fest. Nun bin ich auf Peters Hilfe angewiesen, bin ihm völlig ausgeliefert. Er geht ganz in der Rolle des besorgten, aufopferungsvollen Partners auf. Mein Optiker in Köln hatte schon vor einigen Wochen eine auffällige Veränderung an meinen Augen festgestellt und mir dringend geraten, meine Augenärztin zu konsultieren. Sie bestätigte nach sorgfältiger Untersuchung die Wahrnehmung des Optikers. Für Ende März machte sie für mich einen Termin in der Uniklinik. Es lag kein Grund vor, den Urlaub abzusagen. Peters Sorge um mich steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er lässt es sich nicht nehmen, persönlich mit dem Professor in der Klinik zu telefonieren. Nachdem er ihm die Situation erklärt hat, wird mein Märztermin auf den nächsten Tag vorverlegt. Die besorgte Frage, nach Autoliegesitzen, kann Peter bejahen. Liegen und Ruhe sind wichtig für mich. Peter regelt unsere vorzeitige Abreise, zahlt mit meiner Kreditkarte. Nun bin ich gezwungen ihm zu vertrauen und sage ihm widerwillig meine Geheimnummer. Frau Ebel die Hotelinhaberin, auch sie ist Peters Charme vom ersten Tag an erlegen, wiederholt immer wieder, dass ich froh sein kann, einen solch umsichtigen Mann an meiner Seite zu haben.
Die Untersuchung in der Uni-Klinik ergibt, dass ich noch Glück im Unglück gehabt habe. Der Schaden an meinem Auge ist zwar irreparabel, beeinträchtigt meine Lebensqualität nicht weiter. Peter besteht dennoch auf Einweisung in die Klinik. Ich soll mich einer gründlichen Untersuchung unterziehen. Ist er nicht fürsorglich?
(Nein, alles ist gut durchdacht. So hat er freien, ungehinderten Zugang zu meiner Wohnung. Das gibt ihm die Möglichkeit, alles, auch meine Unterlagen in Ruhe zu durchforsten. Solch eine Gelegenheit kann er sich nicht entgehen lassen. So leitet er meinen totalen finanziellen Ruin ein.)
In der Klinik stellt man mich sprichwörtlich auf den Kopf. Die Diagnose des Professors bestätigt sich. Meine Ernährung muss ich umstellen und regelmäßig Medikamente einnehmen. Sonst wird sich nichts in meinem Leben ändern.
(Was sich alles ändern wird, ahne ich da noch nicht. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf, jedoch missachte ich die Warnzeichen.)
Mein treu sorgender Mann eilt mindestens dreimal täglich an mein Krankenbett und kommt nie mit leeren Händen. Stunden lang spielen wir Monopoly, Mühle, Dame. Meine grauen Zellen müssen aktiviert werden. Bei jeder Visite ist er zugegen, sucht förmlich das Gespräch mit den Ärzten. Mein Gott, tut er sich wichtig. Pauliano unterrichtet er von meinem Zustand. Großzügiger Weise verschont er Peter nun mit Aufträgen, was bei mir den Eindruck erweckt, der Mafioso sei uns mittlerweile wohl gesonnen. Vielleicht, so meine Überlegung, denkt er auch, die Angelegenheit erledigt sich durch meinen Schlaganfall von alleine. Was soll ein so gut aussehender Mann mit einer kranken Frau? Ich teile Peter meine Gedanken mit, er zeigt sich total entrüstet. „Wie kannst du nur so etwas denken? Das macht mich sehr traurig. Selbst wenn du im Rollstuhl sitzen müsstest, würde ich dich nie im Stich lassen. Das macht doch erst eine Liebe aus. Uns kann nichts und niemand auseinander bringen. Weißt du noch immer nicht, wie sehr ich dich liebe.“
(Wie gut er den gekränkten, traurigen Mann mimt.)
Seine Worte sind natürlich Balsam für meine desolate Verfassung. Das Ganze geht nicht spurlos an mir vorüber und die Angst, die Angst vor der Mafia bleibt. „ Nach deiner Entlassung aus dem Krankenhaus,“ so entscheidet Peter mit Bestimmtheit, „fahren wir nach Bayern und sehen uns dort ernsthaft nach einem neuen zu Hause um.“ Den Seminartermin bei Hermann hat er natürlich abgesagt. „Liebling, Du gehst vor.“
(Zufälle, wie zum Beispiel meine Erkrankung, helfen ihm immer wieder, glaubhaft dazustehen.)
Endlich darf ich die Klinik verlassen. Überglücklich holt mich Peter ab. In der nächsten Zeit entdecke ich einige Veränderungen an mir. Ich bewege mich unsicher. Mein Blickfeld ist erheblich eingeschränkt. An diesen Zustand muss ich mich erst gewöhnen. Hinter das Steuer meines Autos wage ich mich nicht, geschweige auf ́s Motorrad.
„Liebling, ich versuche meinen Audi-Quatro aus Belgien zu holen, natürlich Paulianos Einverständnis und Hilfe vorausgesetzt. Wie soll ich dem Fiskus den plötzlichen Besitz eines Autos erklären, wo ich doch noch immer keine Papiere habe. Ich werde den Hausmeister unserer Wohnanlage, der Schlüssel zur Wohnung, Garage und zum Auto hat bitten, den Wagen durchchecken zu lassen, sodass er fahrbereit ist. Ich möchte, dass du es auf der Fahrt nach Bayern bequem hast. Nichts gegen deinen Golf, er ist mir einfach nicht geräumig genug.“
Von Peters neuen Reiseplänen bin ich nicht begeistert, weil ich mich erst mal in vertrauter Umgebung zurecht finden, die alte Sicherheit wieder erlangen will. Außerdem kann er nicht ständig seine Arbeit vernachlässigen, schließlich warten wichtige Patiententermine auf ihn. Und überhaupt, wie ist es mit den Finanzen.Keine Arbeit, keine Reiseerlaubnis ins Ausland, Türkei, Schweiz, Belgien,
somit auch kein Geld.
„Schatz, bist du nicht zufrieden, so wie ich mich sorge und kümmere? Mach ich etwas falsch?“ Liebevoll hält er meine Hände. „Ich will doch nur, dass es dir wieder besser geht und du ganz gesund wirst. Habe ich nicht für die Unterbringung und gründliche Untersuchung in der Klinik gesorgt. Weißt du noch immer nicht, dass du für mich das Wichtigste auf der ganzen Welt bist. Ich liebe dich und meine es nur gut,“ dabei drückt er meine Hände so feste, dass es schmerzt.
(Er spielt den total Besorgten und hat mich schon wieder voll im Griff.)
Sofort bekomme ich Undankbare ein schlechtes Gewissen. Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Jede andere wäre froh, solch einen fürsorglichen Partner zu haben. Das Gespräch regt mich auf. Aufregung ist Gift für meinen Genesungsprozess. Ich werde sehr schnell müde, fühle mich hilflos und zerschlagen.
(So hat er wieder leichtes Spiel. Er kümmert sich, ich lasse es zu und bin auch noch dankbar.)
„Weißt du Hase, jetzt wo ich mein Auto aus Belgien bekomme, könnten wir doch deinen Golf Eric schenken. Der braucht dringend einen fahrbaren Untersatz, um die Einkäufe für das Lokal zu tätigen. Ich kann nicht mehr mit ansehen, wie er sich abschleppt. Sogar meinen Sohn schließt er in seine Fürsorge ein, was für ein guter Mann.
(Auch die Aktion Auto ist bestens von ihm durchdacht.)
Es ist Karfreitag, als Peter mit dem Vorschlag heraus rückt. Ich bin sofort Feuer und Flamme, geht es doch darum, meinem Sohn eine Freude zu machen.
Ostersonntag überreichen wir ihm symbolisch in ein Osterei verpackt, den Autoschlüssel. Mein Sohn kann erst gar nicht fassen, dass er nun Autobesitzer ist.
Bei dieser Gelegenheit erzählt ihm Peter von unseren Reiseplänen. „Natürlich nur zum Wohle deiner Mutter.“ Mein Sohn ist gerührt.
Diesmal packt Peter. Ostermontag fahren wir in Richtung Bayerischen Wald, jedoch nicht mit einem Audi-Quatro, sondern mit einem Mercedes-Leihwagen von Sixt. Der Hausmeister hat es zeitlich nicht geschafft, ist in den wohl verdienten Osterurlaub gefahren. Der Leihwagen läuft natürlich auf meinen Namen, meine Kreditkarte muss wieder herhalten, Peter hat ja noch keine Papiere.
Es strengt mich noch alles zu sehr an, also lasse ich es geschehen. Was ist auch schon dabei? Wir sind zusammen, ich werde verwöhnt und umsorgt. So beruhige ich mich.
(Vor meinem Schlaganfall habe ich keinen Einhalt geboten, so würde es weitergehen, bis zum bitteren Ende.)
Peter sucht für uns in St. Englmar ein wunderschönes Hotel aus, in dem ich mich auf Anhieb sehr wohl fühle. Aus seiner Sorge um mich macht er keinen Hehl, im Gegenteil. Er sonnt sich in der Bewunderung, die ihm dafür zuteil wird. Er achtet kleinlichst darauf, dass ich meine Medikamente regelmäßig einnehme.
(Die Kuh, die man weiter melken will, heißt es gut zu pflegen.)
Mit dem Küchenchef bespricht er meinen Speiseplan. Wegen meines hohen Cholesterinspiegels soll ich tierische Fette meiden. Ist etwas nicht nach seinem Sinn, beordert er den Koch an den Tisch, und maßregelt ihn vor den anderen Gästen. Mir sind diese Auftritte peinlich. Spreche ich ihn verstimmt und unangenehm berührt darauf an, erhalte ich zur Antwort: „Die bekommen unser Geld, also müssen sie auch gute Arbeit leisten.“ Er lässt sich mit meinem Namen anreden. Auch das Unterschreiben der Verzehrquittungen geht ihm ganz leicht von der Hand. „Hasenherz, ist es noch zu anstrengend, wenn wir uns einige Immobilien ansehen? Gefällt es dir hier, bleiben wir in Bayern. Ich könnte mich in Deutschland wieder mit einem Labor niederlassen. Wäre das nicht toll, wenn ich alles aus der Türkei hierher verlege. Habe ich dir schon erzählt, dass Akif mein väterlicher, türkischer Freund bald zu Besuch kommt? Du weißt, der mich in seinem Heimatland so großzügig unterstützt, nur weil ich einer entfernten Verwandten geholfen habe.“ Ja, ich erinnere mich an die Geschichte, die er ganz zu Anfang unserer Bekanntschaft in seine Erzählungen einflocht und nicht versäumte, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu wiederholen.
Zu der damaligen Zeit arbeitete Peter in Istanbul in einer Zahnklinik. Zur Entspannung weilte er einige Tage in Alanyia. Bei einem Spaziergang kam er an einem Menschenauflauf vorbei. Eine Frau saß, mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm, weinend vor einer Apotheke. Das Kind war bewusstlos. Es hatte einen Zuckerschock und schwebte in Lebensgefahr. Blitzschnell erkannte Peter die Situation. Die Mutter besaß kein Geld um das nötige Insulin zu kaufen. Ohne Bezahlung verweigerte der Apotheker die Herausgabe des Medikaments. Peter handelte und zahlte und rettete so dem Kind das Leben. Diese Geschichte kommt Akif zu Ohren. Mutter und Kind sind entfernte Angehörige seiner Sippe, deren Oberhaupt er ist. Akif, ein erfolgreicher Geschäftsmann will den großherzigen Deutschen kennen lernen. Er fühlt sich zu Dank verpflichtet.
Im Laufe der Zeit entsteht eine tiefe Freundschaft zwischen dem Türken und dem Deutschen. Von nun an stehen Peter alle Türen und Tore offen. Akif ist ihm bei allem behilflich, lässt seine Beziehungen, die er in fast allen großen europäischen Städten hat, spielen. Er stellt Verbindungen zu türkischen Banken her und handelt für Peters Geld einen sehr hohen Anlagezins aus. Seine fest etablierten Standorte in
Deutschland sind Köln und München. In der Nähe von Alanya kauft Peter sein Ärztehaus, ein Wohnhaus, Auto, Motorrad, alles ist vorhanden, alles mit Hilfe und Vermittlung des neuen Freundes. Peters gute Tat löst eine Lawine guter Taten aus. Von nun an gehört er zu Akifs Familie. Er holt einige ehemalige Angestellte und Arbeitskollegen aus Deutschland in die Türkei, darunter Jan, den belgischen Zahnarzt, der in seinem Heimatland Konflikte mit dem Betäubungsmittelgesetz hat. Aus diesem Grund darf er dort seinen Beruf nicht mehr ausüben. Alle finden in Peters Praxis einen sicheren, gut bezahlten Arbeitsplatz. Seine Bücher führt die Türkin Aiysche tüchtig und zuverlässig. Sie hat in Deutschland Betriebswirtschaft studiert.
Jan ist nicht abgeneigt, Peters Imperium für eine Ablösesumme in Höhe von 7 Millionen €. zu übernehmen. Mit Akifs Hilfe investiert Peter in einen Bootsverleih mit dazugehöriger Surf- und Tauchschule. Die Praxis florierte. Es läuft alles bestens.
(Ein orientalisches Märchen!)
„Weißt du Liebling, wenn mich die Behörden nicht in Ruhe lassen, siedeln wir ganz in meine zweite Heimat über. Nur im Moment denke ich, ist die Hitze deiner Gesundheit nicht zuträglich. Wir müssen ja auch nichts überstürzen.“ Ist er nicht rührend, denkt er nicht an alles?
Peter überrascht mich mit einem Abstecher nach München. Wir wohnen im Kempinski, wo wir vom Empfangschef wie Stammgäste begrüßt werden. Er überreicht Peter Theaterkarten für die Aufführung von La Traviata im Theater am Gärtnerplatz. Beruht dieser Empfang auf dem für meine Begriffe total überhöhten Trinkgeld?
(Sicher war es in diesem Haus nicht sein erstes Gastspiel in Damenbegleitung?)
Beim Bummeln durch München finden wir das ein oder andere schicke Kleidungsstück, für ́s Theater muss es etwas ganz besonderes sein. Diese Streifzüge, ob in Köln, Hamburg, München oder auf Sylt, lieben wir beide. Wir kaufen nicht unüberlegt, wir haben Freude an der Suche nach dem Besonderen. Für mich ein Lederensemble mit passenden Schuhen von Charles Jordon, für ihn einen Anzug von Armani usw. usw., es summiert sich. Die Opernaufführung ist überwältigend, anschließend essen wir beim Thai, dieses Mal nicht beim Italiener.
Am nächsten Morgen, auf dem Weg zum Frühstückraum überreicht der Maetre Peter die gesamten Werke Bayerischer Immobilienangebote. „Man muss nur die richtigen Leute zur richtigen Zeit an der Hand haben,“ so sein lapidarer Kommentar.
(Wie groß der Schein war, der für diesen Liebesdienst den Besitzer gewechselt hat, weiss ich nicht.)
Bei Durchsicht der Angebote hat Peter eine Kaufsumme von 1 Millionen €, anvisiert, drunter gibt es seiner Ansicht nach nichts Vernünftiges. „Liebling, sieh mich nicht so groß an, wir können das Geld gar nicht ausgeben, was sich auf meinen Konten angesammelt hat. Wenn Jan auch noch meine Praxis kauft...“ ja wenn. „Schau für meinen Sohn und seine Mutter habe ich gut gesorgt, meine ganze Familie profitiert von meinem Geld, also mach nicht so ein Gesicht. „Ich will dich zur glücklichsten Frau auf diesem Planeten machen.“
Peter schwebt ein Vierseithof vor, mit genügend Wald und Wiese hinterm Haus. „Wir werden uns einen Geländewagen, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Gerätschaften anschaffen. Ja und Angestellte, Angestellte für Haus und Hof, die sind ganz wichtig.Wir benötigen Personal, das uns zur Hand geht.Vielleicht können wir hier unsere Gastro-Pläne verwirklichen. Bei einem Anwesen mit entsprechenden Räumlichkeiten, Umbauten und Renovierungsarbeiten ist das machbar. Hasenherz, du müsstest nicht ernsthaft arbeiten, nur repräsentieren, die Angestellten beaufsichtigen, einfach für den richtigen Stil sorgen, das wäre eine Aufgabe, die dir auf den Leib geschneidert ist. Wenn ich denke, mit welchem Erfolg du Jahrzehnte dein Geschäft geführt hast, ist uns ein gutes Gelingen hier auch garantiert. Endlich könnte ich wieder kochen. Du weißt kochen und Zähnchen machen ist meine Leidenschaft.“
(Meine Erfahrung haben mich gelehrt, seine größte Leidenschaft die er mit unübertroffener Perfektion und Skrupellosigkeit ausübt, ist betrügen, zerstören, vernichten.)
Zurück im Hotel in St. Englmar berichtet er ausführlich von unseren Plänen, worauf ihn einige der Gäste, auch die Hotelbesitzerin auf mehrere geeignete, zum Verkauf anstehende Immobilien aufmerksam. Peter zeigt sich begeistert. Mann, insbesondere Frau schmeichelt ihm. Er zieht alle Register
(und sonnt sich in seiner nicht vorhandenen Größe.)
An solchen Gesprächen beteilige ich mich kaum, lasse ihn gewähren und übe mich in Gelassenheit. Sind wir allein, fragte ich, ob er alle in unsere Zukunftspläne einweihen muss. „Niemand hier gibt so viel Privates preis. Es ist mir oft unangenehm, ich fühle mich total entblößt. Außerdem sind es vorerst nur Pläne ohne Hand und Fuß.“ „Aber Liebling,“ oh, wie erschrocken er mich wieder ansieht, wie zerknirscht er sich zeigt. „Natürlich sind es Pläne, jedoch trage ich nicht dick auf, wie so manch anderer Gäste hier. Wir haben alle Möglichkeit, unsere Pläne in die Wirklichkeit umzusetzen.“
(Wie kann diese unverfrorene Dreistigkeit überhaupt noch überboten werden, frage ich mich heute.)
Immer wieder stelle ich ihm in Phasen des Misstrauens Fangfragen. Er verwickelt sich nie in Widersprüche.
(Scheinbar wird er dadurch sogar inspiriert, seine Geschichten mit vielen Details auszuschmücken. So wirkt er auf mich glaubhaft und überzeugend.)
Während dieser Zeit geht er jeden zweiten Tag abends zum Telefonieren. Er hat die Order, sich regelmäßig bei Pauliano zu melden, der ihn weiterhin mit Aufträgen betraut. Peter ist in der Regel nach zwei Stunden wieder zurück. Oft ruft er mich von unterwegs an: „Hase, vermisst du mich? Gleich bin ich wieder bei dir, geht es dir gut?“ Mein besorgter Mann!
(Alles geschieht nur aus Berechnung.)
Auch bei seinem Sohn meldet er sich regelmäßig und berichtet mir anschließend vom Verlauf dieser Telefonate. Wie sehr der Junge seinen Vater vermisst und wie er sich freue, mich bald kennenzulernen. Natürlich hat er dem Sohn von seiner neuen, tollen Frau berichtet. „Stell dir vor Hase, er ist so ein guter Schüler, dass er sogar eine Klasse übersprungen hat. Bald nimmt er an einem Musikwettbewerb teil, zu dem wir eingeladen sind. Habe ich dir schon von seiner außergewöhnlichen
musikalischen Begabung erzählt? Er spielt Klavier wie ein ganz Großer.“ Seine Ex-Frau zeigt sich versöhnlich. Sie hat einen neuen Partner und ist sogar zu einer Begegnung mit mir bereit. „Ist das nicht toll, besser kann sich alles gar nicht entwickeln.“ Bei solchen Gelegenheiten, er hat nahe am Wasser gebaut, laufen Tränen.
(Tränen der Begeisterung über seine Lügenmärchen, die er so gut verkauft, dass ich sie glaube. Nie und nimmer kommt es zu einem Telefonat mit seinem Sohn. Die angekündigte Begegnung ist nicht realisierbar. Es gibt keine Gespräche zwischen ihm und seiner Ex-Frau. Jegliche Kontaktaufnahme ist ihm unter Strafe untersagt. So muss er sich für den Musikwettbewerb eine perfekte Ausrede ausdenken, was ihm nicht schwerfällt.)
Da es nur in begrenzter Zahl Eintrittskarten gibt, bekommen natürlich die Großeltern den Vorzug, wofür wir gefälligst Verständnis aufbringen sollen. Fast hätte er schon die Flugtickets für den Flug ins Rheinland bestellt. Natürlich ist Peter enttäuscht und verbittert. Er schimpft auf seine ehemaligen Schwiegereltern und seine Ex-Frau. „Du siehst Liebling, es hat sich nichts geändert. Erst die Großeltern, dann erst lange danach der Vater.“
Mich berührte die ganze Sache nicht sonderlich. Natürlich hätte ich ihn zu diesem großen Auftritt begleitet und bei der Gelegenheit den kleinen Mann kennengelernt.
(Heute weiß ich, er hat für seinen Sohn und die Tochter nie Unterhalt gezahlt . Er verschwendet keinen Gedanken an seine Kinder. Im Gegenteil, benutzt er sie zur Untermauerung seiner Glaubwürdigkeit.)
„In den Sommerferien, darauf kannst du Gift nehmen, lasse ich mir mein Recht einige Wochen mit meinem Sohn zu verbringen, nicht nehmen. Dann mieten wir ein großes Wohnmobil, das für uns drei und natürlich das Motorrad,“ das noch immer in Belgien steht, „Platz hat.“ Die Reise soll uns an der Loire entlang bis zum Atlantik führen. „Dann kann er endlich für kurze Zeit wieder Kind sein, toben, Fußball spielen. Muss sich nicht dauernd die Ermahnungen, sei vorsichtig, passe auf deine Finger auf, die du zum Klavierspielen benötigst, anhören.“ Die Großeltern sind so ehrgeizig, erlauben sich Über- und Eingriffe in das Leben ihres Enkels, so wie früher bei Tochter und Schwiegersohn. Peter leidet sichtlich.
Wie gerne würde er den Kontakt zu seiner Schwester, ihrem Mann und dem kleinen Neffen pflegen, jedoch sind sie immer nur auf ihre Vorteile bedacht und darauf aus, von seinem Erfolge zu profitieren.
Hin und wieder telefoniert er mit seinem kranken Vater. Besuchen will er ihn nicht, da sich der Vater kurz nach dem Tod der Mutter eine dicke, dreckige Schlampe ins Haus geholt hat, so Peter. Zur Zeit hält sich der Vater bei seinem Freund, einem Förster in Mecklenburg- Vorpommern auf. Mit ihm zusammen hat er von einer großen Erbschaft ein Jagdrevier gekauft. Er ist ein leidenschaftlicher Waidmann. Diese Passion teilt Peter mit dem Vater. Ist der Abschuss nicht zur Genüge erfüllt, greift der Sohn zum Drilling und fährt für einige Tage ins Revier. Er legt beim Bau von Hochsitzen mit Hand an, hilft beim Aufforsten und macht sich überall nützlich.
(Tatsächlich hat der Vater geerbt. Von der verhältnismäßig großen Summe ist nach kurzer Zeit nicht viel übrig. Das betrügerische Agieren des Sohnes, der den Vater zu einer Bürgschaft für das hoch verschuldete Labor überredet, verschlingt fast die ganze Erbschaft. Daraufhin wendet der sich verbittert und enttäuscht vom Sohn ab und untersagt ihm den Zutritt zum Elternhaus. Auch vor dem Sparbuch der Großmutter macht Peter keinen Halt. Durch Fleiß und Sparsamkeit hat sich die alte Dame 130.000,-- DM fürs Alter zurücklegen können. Peter räumt alles ab, sodass sie auf Sozialhilfe angewiesen ist. Seine Betrügereien kann ich aufzählen, aufreihen, wie Perlen auf eine Schnur. Nur würde dabei kein edles Schmuckstück entstehen, sondern eine Spur von Elend, Zerstörung und Vernichtung.)
Auf unseren Immobilienbesichtigungen lerne ich Bayern von der schönsten Seite kennen. Die stille Weite Niederbayerns, einsam gelegene Erbhöfe. Für den Moment bin ich gefesselt, jedoch kann ich mir nicht vorstellen, für immer hier zu leben. Wo man die schönsten Gehöfte erwerben kann, hat die Abgeschiedenheit der kargen, spartanischen Landschaft eine fast depressive Wirkung auf mich. Die kaum zugänglichen Menschen kommen meiner rheinischen Frohnatur so gar nicht entgegen.
Zum Glück muss ich in den nächsten Tagen zurück nach Köln zu einer Kontrolluntersuchsuchung. Ich will endlich meinen Sohn wiedersehen und auch in meiner Wohnung nach dem Rechten schauen.
Endlich wieder zu Hause!
Wir streifen durch die Stadt. Hier geht es mir gut, hier fühle ich mich wohl. Endlich wieder am eignen Herd stehen, kochen und genießen. Einkaufen, in Läden, wo man wie alte Bekannte begrüßt wird. Es tut einfach nur gut. Zum Stammfrisör, ins Nagelstudio, in unsere Stammlokale, all die lieb gewonnenen, so lang vermissten Gewohnheiten wieder aufnehmen.
Die Nachuntersuchung fällt zur vollsten Zufriedenheit meines Arztes aus. Peter ist ganz aus dem Häuschen. Das Leben ist schön.
Die Immobiliensuche holt uns auch in Köln ein. Der Makler schickt uns täglich neue Angebote. Eines Tages meint Peter: „Es ist an der Zeit, deine Kölner Wohnung zur Weitervermietung in die Zeitung zu setzen und mieten in Bayern eine Ferienwohnung. Von dort können wir in aller Ruhe unsere Suche nach dem richtigen, für uns passenden Haus angehen.“
Ich bin nicht sehr begeistert. Nur schweren Herzens kann ich mich mit dem Gedanken anfreunden, meine Wohnung, die ich so ganz nach meinen Vorstellungen eingerichtet habe, aufzugeben. Meine moderne, neue Küche, maßgearbeitete Einbauschränke mit vielen Extras, einen neuen Dielenfußboden, all das liebe ich, liegt mir sehr am Herzen. Hier fühle ich mich wohl, das soll ich nun alles aufgeben. Ich will nicht so recht. „Außerdem,“ wende ich ein, „bekomme ich bei Weitem nicht die Summe, die ich in die Wohnung gesteckte habe.“ „Maus, auf das Geld sind wir nicht angewiesen, das Argument lasse ich nicht gelten. In unserem neuen Domizil in Bayern kannst du alles nach deinem Gusto gestalten. Bald hast du Zugriff auf meine Konten.“ Er wird immer drängender.
(Wie heiß muss ihm der Boden in Köln unter den Füßen sein.)
„Außerdem kommt Akif in der ersten Maiwoche nach München, um sich mit uns zu treffen. Er brennt darauf, endlich meine tolle Frau kennen zu lernen.“ Ich gebe mich geschlagen und beauftrage eine Agentur mit der Weitervermietung meiner Wohnung.
Auf Anhieb finden wir eine wunderschöne Ferienwohnung bei einer sehr herzlichen Familie in St. Englmar. Die drei Kinder, zwei Jungen, ein Mädchen schließe ich sofort ins Herz. Margit, die junge Frau mit ihrer erfrischenden Natürlichkeit, muss man ganz einfach mögen. Die Chemie stimmt. Der Hausherr arbeitet als Chefkoch in einem nahe gelegenen Romantikhotel. So fehlt es den Männern nicht an Gesprächsstoff. Peter schwelgt in Erinnerungen, erzählt ganz beiläufig von seiner Selbstständigkeit, seinem Besitz in der Türkei
(und hat wieder Gelegenheit, seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Lügen und Aufschneiden nachzugehen.)
Am Abend treffen wir uns meistens auf der großen Terrasse zum gemeinsamen Abendessen. Leider verabschiedet sich Albert immer sehr früh, um seinen Dienst in der Hotelküche anzutreten. Margit und ich arbeiten oft gemeinsam in Haus und Garten. Sehr schnell entsteht ein freundschaftliches Miteinander. Kehren wir abends etwas verspätet von der Immobiliensuche zurück, werden wir schon sehnsüchtig erwartet. Peter legt sich mächtig ins Zeug, berichtet vom Geschehen des Tages und genießt die allgemeine Bewunderung, die ihm zuteil wird. Margit von Beruf Gärtnerin, verschönert nebenbei so manche Umlage in der Nachbarschaft.
In der Zeit ihrer Abwesenheit kümmere ich mich um die Kinder, überwache die Hausaufgaben und mache mich nützlich. Unserer Vermieterin haben wir es zu verdanken, dass wir eines Tages unser „Refugium“ finden. Unter diesem Namen wird das Haus zum Verkauf angeboten. Wir vereinbaren mit dem Makler einen Besichtigungstermin. Was uns dann erwartet, verschlägt uns die Sprache. Selbst Peter ist für den Moment stumm bei dem was sich unseren Blicken bietet. Die Einzigartigkeit dieser Immobilie lässt sich kaum beschreiben. Auf einem ca. 4.000 2 großen, terrassenförmig angelegten Grundstück steht ein prachtvolles Herrenhaus. In seinem Schatten, das wesentlich kleinere, im bayerischen Stil erbaute Stammhaus. Teichanlage, bewohnbares Gartenhaus, gepflegte Rasenflächen, Blumenrabatten, atemberaubend schön, DAS ist es. Endlich, endlich sind wir fündig geworden!
Bei der Innenbesichtigung beider Häuser werden Träume wahr. Allein das Herrenhaus, an dessen Eingansportal das Familienwappen prangt, bietet eine Wohnfläche von 350 m2. Das Parterre besteht aus einer Halle mit offenem Kamin, der so in die Wand eingebaut ist, dass er auf der Rückseite einem großen Wohnraum als Kachelofen dient und dort seine Wärme spendet. Die Küche kann ich mir mit ihrer Größe gut in einem Hotel vorstellen. Modernes und Urtümliches fügen sich harmonisch zusammen. Das Bad zu beschreiben, erspare ich dem Leser. Es bleiben keine Wünsche offen. Aus der Halle führt eine breite Freitreppe mit geschnitztem Handlauf in die darüber liegende Etage. Wir erreichen eine rundum verlaufende Galerie. In die Dachbalkenkonstruktion ist die Halterung für den überdimensional großen, in Sonderanfertigung geschmiedeten Kronleuchter eingebaut, dessen warmes Wachslicht die Halle erleuchtet. Im Obergeschoss befinden sich vier Wohnräume, von denen drei als Schlaf- und Gästezimmer genutzt werden. Der größere vierte wird sowohl als Bibliothek, Spielzimmer, in ihm steht ein Billardtisch, wie auch als Arbeitszimmer genutzt. Ein weiteres luxuriöses Bad, separate Toiletten sind vorhanden. Es ist überwältigend. Außen verlaufen rundherum die für den bayerischen Baustil typischen Balkone. Überall solide Handwerksarbeit. Die Doppelgarage hat ein elektrisch betriebenes Tor, an alles ist gedacht.
Nun zum Stammhaus, mit seinem in den Fels gehauenen naturtemperierten Weinkeller und eigener Quelle, mit Hand betriebener Pumpe, Bauernküche, offener Schlaftenne und vielen, vielen Extras. Hier schwankt Peter, ob er das Stammhaus als Labor mit Schulungsräumen oder als exklusives Lokal für Gourmet-Freunde nutzen soll. Natürlich würde er gerne bundesweit, wenn nicht weltweit, Patienten sein einzigartig dental-medizinisches Können beweisen. Auf dem Gebiet, so immer wieder seine Beteuerungen, ist er eine Koryphäe. Genau so gerne jedoch würde er am Herd stehen, um die Gäste mit raffinierten Kreationen zu verwöhnen. Seine Pläne übertreffen noch bei Weitem die, die er für ́s Deep in Köln geschmiedet hatte.
Die Besitzer des Anwesens, ein älteres Ehepaar zeigen sich zufrieden darüber, dass sie endlich Kaufinteressenten gefunden hatten, die die Besonderheiten ihres Noch-zu-Hauses erkennen und honorieren. Die Herren entdecken im Verlauf weiterer Gespräche ihre Leidenschaft zur Natur insbesondere für die Jägerei. Ringsum an den Wänden der Eingangshalle hängt der präparierte Abschuss aus Afrika. Der Hausherr bietet an, beim zuständigen Revierförster ein gutes Wort zwecks Erteilung eines Jagdbegehungsrechts für Peter einzulegen. Das Gespräch mit dem Förster verläuft erfolgreich. Peter erhält für die nächste Jagdperiode eine Zusage, natürlich gegen einen entsprechenden Obolus. Bei den folgenden Begegnungen lässt Peter sich ausgiebig über seinen Besitz in der Türkei, auch die Schweiz erwähnt er ganz beiläufig, aus. So entsteht der Eindruck, dass Geld keine Rolle spielt. Er überzeugt das Ehepaar Steinfurt von seiner Bonität. Man einigt sich auf einen offiziellen, notariellen Preis von € 900.000,00, wobei eine zusätzliche Summe von € 200.000,00 unter der Hand den Besitzer wechseln soll. Wieder mal der Fiskus, Kosten und Steuern sparen. Um uns das Vorkaufsrecht zu sichern, sagen wir eine Anzahlung von € 20.000,00 zu. Diese Summe rufe ich von einem meiner Kölner Konten ab. „Liebling, nun wird es höchste Zeit, dass wir unsere Reise in die Türkei antreten. Du weißt gar nicht, wie sehr es mir widerstrebt, dass du für alles in Vorlage trittst. Bisher ist es uns gelungen unsere Umzugspläne vor Pauliano geheim zu halten. Irgendwie werde ich es schaffen, unbemerkt von ihm in die Türkei und auch in die Schweiz zu gelangen. Wenn ich meinen türkischen Diplomatenausweis, der auf den Namen Machmut Gyüven lautet, unbemerkt aus dem Schließfach holen kann, gibt es überhaupt keine Probleme. „Noch besser wäre es natürlich,“ so überlegt Peter laut, „wenn Akif das Geld mitbringen könnte, wobei hier das erhebliche Risiko einer Gepäckkontrolle am Flughafen besteht. Da ist sie wieder, meine Angst.
„Maus, ich habe dir doch erzählt, dass Akif und Pauliano geschäftlich in Verbindung stehen.“ Hat er mir wirklich davon erzählt? Ich kann mich nicht an ein solches Gespräch erinnern. Zur Not muss in solchen Fällen von Vergesslichkeit mein Schlaganfall als Erklärung herhalten. Außerdem, hat er mir nicht schon so viel erzählt? Da kann schon mal was untergehen.
„Pauliano weiß nichts von meiner engen freundschaftlichen Beziehung zu Akif und meinen Konten in der Türkei. Er versucht in der letzten Zeit in den Münchener Geschäftsbereich Akif ́s einzudringen, sodass gewisse Spannungen zwischen den beiden Herren bestehen. Du verstehst sicher, dass wir ganz vorsichtig agieren müssen.“
Für was zeige ich kein Verständnis. Wird nur im Entferntesten das Thema Mafia gestreift, mache ich dicht. Bei aller Freude auf unser neues zu Hause, sitzt mir bei dem Gedanken an diese gefährliche Organisation die Angst im Nacken. Es gelingt Peter durch scheinbar unbeabsichtigte Bemerkungen dieses Gefühl des Unbehagens zu schüren und wach zu halten.
Mit Familie Steinfurt verabreden wir uns zu einem gemeinsamen Abendessen. Schließlich muss auf das erfolgreiche Ergebnis angestoßen werden. Im Verlauf des Gesprächs erfahren wir, dass sie die Küche ausbauen und mitnehmen möchten. Sie kennen vor Ort einen sehr guten Schreiner, der bereit ist, uns alles neu anzufertigen. Peter greift das Thema sofort auf, weitet es aus auf neue Fenster, etliche Einbauschränke, mit einem Augenzwinkern zu mir, „evtl. ein neues Schlafzimmer.“ Am Stammhaus plant er ohnehin einige bauliche Veränderungen, die der Schreiner dann in einem Zuge mit erledigen kann.
Der Abend verläuft harmonisch. An Gesprächsstoff fehlt es verständlicher Weise nicht, wobei Peter wieder mal federführend ist. Ich bilde mir ein, seine ganze Vergangenheit zu kennen, jedoch überrascht er auch mich immer wieder mit neuen kleinen Anekdoten.
(Ich werde wohl nie erfahren, wo bei ihm das Lügen aufhört und die Wahrheit anfängt, ob es überhaupt einen Funken Wahrheit an seinen Erzählungen gibt?)
Am nächsten Morgen fahren wir zur Schreinerei Brause. Dort hat Herr Steinfurt unseren Besuch schon avisiert. Der Meister hat Zeit, begleitet uns, um an Ort und Stelle abzuklären, inwieweit unsere Wünsche zu verwirklichen sind. Er zeigt sich erstaunt von unseren Ideen und lässt sich von der Begeisterung anstecken. Wir ergänzen uns mit Vorschlägen, wobei er zum Ausdruck bringt, selten mit soviel Freude einen Auftrag angenommen zu haben. Auf meine Frage, ob nicht alles schriftlich besiegelt werden soll, meint Herr Brause, „bei uns genügt der Handschlag!“
(Seine Meinung soll sich sehr schnell ändern.)
Nun besuchen wir fast täglich Dekorations- und Einrichtungshäuser, lassen uns inspirieren und holen uns Anregungen. An eigenen Ideen mangelte es nicht. Warum soll ich misstrauisch sein?
Am 15. Mai kommt Peter vom Einkaufen zurück und berichtet, dass er bei der Sparkasse Achslach einen Termin hat, um sich über den bevorstehenden Geldtransfer und die weitere finanzielle Abwicklung beraten zu lassen. Wir planen einen Abstecher ins Münchener Auktionshaus. Hier hätten wir sofort zuschlagen können, wenn ja wenn der Geldtransfer erst mal über die Bühne wäre. Ein renommiertes Teppichhaus macht Totalausverkauf, natürlich finden wir ein paar edle Stücke. Aus verständlichen Gründen muss der Kauf auf die kommende Woche verlegt werden. „Dann,“ so Peter, „schwimmen wir im Geld.“
Für den Nachhauseweg wählt er nicht die bekannte Route. Auf meinen fragenden Blick sagt er verschmitzt lachend, „lass dich überraschen.“ Wenig später hält er an, fordert mich zum Aussteigen auf, holt aus dem Kofferraum eine Fl. Champagner und zwei Gläsern. Dann bedeutet er mir, auf einer nahe stehenden Bank Platz zu nehmen. Er öffnet die Flasche und weist meinen Blick in eine bestimmte Richtung. Was da in seiner ganzen Pracht und Schönheit in einiger Entfernung vor mir liegt, „unser Refugium“. Ich bin überwältigt und zu Tränen gerührt. „Lass uns auf unser Glück, unsere gemeinsame Zukunft im neuen zu Hause anstoßen Liebling.“ Eng umschlungen stehen wir, stumm, aus Angst den feierlichen Moment zu entweihen. Ich meine, die glücklichste Frau der Welt zu sein.
Das Pfingstfest steht vor der Tür. Gemeinsam mit unseren Vermietern bereiten wir eine gemütliche Kaffeetafel vor. Am Abend wollen wir grillen. Die Kinder sind ganz aus dem Häuschen.Gemeinsam besuchen wir den Gottesdienst. Im Hinblick auf unsere bevorstehende Nachbarschaft, unser Refugium liegt ganz in der Nähe, und weil ganz einfach die Chemie zwischen uns stimmt, hat sich eine richtige Freundschaft entwickelt.
Am 21. Mai 2002, Dienstag Morgen nach Pfingsten, fährt Peter zum Bäcker, um frische Brötchen zu holen. Beim anschließenden Frühstück sagte er ganz nebenbei: „Maus, ich habe dir für heute Nachmittag einen Frisörtermin gemacht, es ist dir doch recht?“ An solche Überraschungen habe ich mich mittlerweile gewöhnt.
(Mit diesen Terminen verschafft er sich zeitliche Freiräume. Bei Terminabsprache klärt er ab, wie lange meine Sitzung im Nagelstudio, Kosmetiksalon oder wie heute beim Frisör dauert. Das gibt ihm die Möglichkeit, die Zeitspanne seiner Ausbrüche genau zu kalkulieren. Meist begleitet er mich zu meinen Terminen und holt mich pünktlich wieder ab. Verspätet er sich bei seinen diversen Vergnügungen, was höchst selten passiert, gehe ich zu Fuß zur Wohnung. So gleicht er den Zeitverlust geschickt aus, ist vor mir zu Hause, um sich von seinen körperlichen Anstrengungen auszuruhen. Oft finde ich ihn im Bett liegend mit einem angeblichen Migräneanfall vor. Ich bin blind vor Liebe und vertraue ihm völlig.) Heute warte ich vergebens darauf von ihm abgeholt zu werden. Peter kommt nicht, was mich weiter nicht beunruhigte. Ich mache mich bei strahlendem Sonnenschein auf den Rückweg, habe keine Eile, ich genieße das Leben. Zu Hause angekommen, gehe ich zielstrebig ins Schlafzimmer. Statt Peter finde ich auf seinem Kopfkissen einen Brief mit folgendem Wortlaut:
„Meine große Liebe, erschrecke jetzt nicht. Wenn Du diesen Brief liest, bin ich auf dem Weg in die Türkei. Als Ehrenmann muss ich den Weg beschreiten. Ich halte diesen Zustand nicht mehr aus.Was musst Du mittlerweile von mir denken. Ich will Dir endlich Dein Geld zurückgeben. Beim Augenlicht meines Sohnes schwöre ich, dass ich Dich nie mehr enttäuschen werde. Du bist alles für mich. Dieses Wagnis muss ich alleine auf mich nehmen, ich will Dich nicht unnötiger Gefahr aussetzen. Ich weiß Liebling, Du verstehst mich. Unseren Freunden sag, ich sei auf Geschäftsreise. Rufe auch nicht auf meinem Handy an, es könnte zu gefährlich sein. Warte, bis ich mich bei Dir melde. Ich verspreche Dir beim Leben meines Sohnes, dass ich spätestens Samstag wieder bei dir bin. In einer großen Liebe, Dein Peter.“
(Nicht in der Türkei, im Kleinwalsertal verlustiert er sich ungestört eine Woche. Mir lässt er meine Mastercard, mit der ich keine Auszüge ziehen kann. Für sich nimmt er meine EC-Karte mit, von der er, was ich viel später feststelle, in dieser Woche ausgiebigen Gebrauch macht.)
Gehorsam erzähle ich unseren Vermietern die Geschichte von der plötzlichen Geschäftsreise. Während Peters Abwesenheit treffen auf dem PC unserer Vermieter mehrere mysteriöse, Angst machende Mails mit folgendem Wortlaut ein:
„Fordert uns nicht heraus! Wir wissen wo Beermann ist.“
„Haltet uns nicht für dumm, wir kriegen Euch auch noch.“
Bei mir gehen alle Sirenen in Richtung Pauliano an.
Bis zu Peters erstem Anruf habe ich keine ruhige Minute, komme um vor Angst und Sorge um meinen Geliebten. Hastig erzähle ich ihm, was inzwischen passiert ist. Er versucht mich zu beruhigen, was ihm natürlich nicht gelingt. Nach seinen Worten besteht die Gefahr, dass Pauliano mithört. Prompt wird die Verbindung unterbrochen. Meine Sorge und Unruhe muss ich vor allem vor den Kindern verbergen, darf mir nichts anmerken lassen. So gut es mir gelingt, gebe ich mich unbeschwert und fröhlich.
Wie versprochen kehrt Peter Samstag zurück. Er wirkt erschöpft. Kein Wunder. Ich schiebe es auf Reisestrapazen. Noch schlimmer, er kommt ohne Geld. Pauliano hat ihn am Flughafen in München mit den Worten „du hältst dich wohl für sehr schlau“ empfangen und ihn vor die Wahl gestellt: „Entweder du gibst mir das Geld oder ich verständige den Zoll. Unweigerlich landest du erneut wegen unerlaubter Geldtransaktionen im Knast. Wenn ich dann noch dem Fiskus einen Tipp gebe, wird es gewiss ein längerer Aufenthalt.“ Peter hatte das Geld angeblich in einem eigens für solche Zwecke angefertigten Ledergürtel am Körper. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als Pauliano das Geld auszuhändigen. Zerknirscht schwankt Peter zwischen Wut über sein verlorenes Geld, obwohl ihn bei der Größe seines Vermögen der Verlust nicht sonderlich schmerzt, und Verzweiflung darüber, dass er mich nun weiter zur Kasse bitten muss.
Die Angst vor dem unberechenbaren Mafioso steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er ist, wo immer er sein Unwesen treibt, der perfekte Schauspieler. Mein Mitleid, mein Trost jedenfalls, ist ihm sicher. Bei langen Waldspaziergängen kommt er wieder zur Ruhe. Dabei versteht er es, auch mich zu beruhigen. In Zukunft will er nicht mehr solche spontanen Aktionen starten, alles vorher mit mir bereden. Beim nächsten Versuch muss einfach alles klappen.
Die Schreiner lehnen eine Anzahlung entrüstet ab, was wohl ein besonderer Vertrauensbeweis sein soll. Die Arbeiten, die wir in regelmäßigen Abständen begutachten, gehen zügig voran. Alles verläuft zu unserer vollsten Zufriedenheit. Herr Steinfurt drängt auf einen Notartermin, Peters stimmt zu.
Einige Tage später fährt er mit mir zu einem einsam gelegenen Bauernhof. Lautes Hundegebell empfängt uns. Der Bauer züchtet Klein-Münsterländer. Beim Anblick der Welpen schmelze ich dahin. In der Vergangenheit war ich eine begeisterte Hundemutter. Meine Kinder sind mit Hunden aufgewachsen. „Liebling, gefallen Dir die Welpen?“ Natürlich, das weiss er ganz genau. Über die Anschaffung von mindestens zwei Hunden sind wir uns einig, jedoch erst nach dem Einzug in unser Refugium. Das sage ich ihm mit allem Nachdruck. „Was wollen wir jetzt schon mit einem Hund? In die Ferienwohnung können wir ihn nicht mitnehmen, also was soll das?“ Lachend nimmt Peter mich in die Arme, „du bist umwerfend, wenn du böse auf mich bist. Wir zanken viel zu wenig. Aussuchen habe ich gesagt, nicht mitnehmen. Die Welpen sind noch zu jung, um sie von der Mutter zu entwöhnen. Also suche dir einen aus. Wenn die Zeit reif ist, holen wir ihn dann zu uns. So weit entfernt von St. Englmar ist es ja nicht, wir können ihn fast täglich besuchen und der Kleine gewöhnt sich langsam an uns. Herr Schmidt, der Züchter, kann ihm schon mal einige Manieren beibringen.“
Das ist natürlich etwas anderes. Erleichtert wende ich mich nun dem munteren Hundegewusel zu. Ich muss nicht lange suchen, einer der Welpen macht es sich auf meinen Füßen bequem. Ich nehme ihn hoch und lasse die stürmische Begrüßung zu. Mit seinem feuchten Schnäuzchen schnüffelt er mir durchs Gesicht und schmiegt sich eng in meine Arme. Nun also bin ich Hundebesitzerin. Wir geben ihm den Namen „DAX“.
Fast täglich fahren wir hinaus, um unser neues Familienmitglied zu besuchen. Schon bald gebärdet er sich beim Herannahen unseres Autos wie wild vor Freude. Peter kann machen was er will, zielstrebig stürmt der Kleine auf mich zu und wickelt sich förmlich um meine Füße. Ich bin von der ersten Begegnung an seine Bezugsperson. Erst wenn wir unsere Liebesbeweise ausgetauscht haben, kommt Herrchen dran. Der kleine Racker macht zusehends Fortschritte und schon bald gewöhnen wir ihn behutsam an die Leine. Als er zum ersten Mal sein Spiegelbild in einem Teich entdeckt, stutzt er, um sich dann mit Wonne ins kühle Nass zu stürzen. Begeistert stellt Peter alsbald jagdtaugliche Eigenschaften an unserem Hund fest.
Wir unternehmen lange Spaziergänge. Wenn sich Dax dann vor meine Füße legt und partout keinen Schritt mehr weiter will, nehme ich ihn hoch und trage ihn bis zum Zwinger. Der Abschied ist jedes Mal eine Katastrophe. Er will mit uns und nicht zurück zu seinen Geschwistern. Sein Jaulen begleitet uns ein ganzes Stück unseres Heimweges.
So langsam nimmt alles Formen an bei unseren fleißigen Schreinersleut. Die Arbeitsfläche für die Küche, natürlich aus echtem Marmor, muss ausgemessen werden, sogar die Fenster sind fertig. Der Schreinermeister bestellt einen Elektrofachmann, der mit uns den Einbau der Küchengeräte bespricht. Marken und Typen werden bestimmt, jedoch bleiben einige spezielle Wünsche Peters offen, sodass der Bestelltermin noch um ca. 14 Tage verschoben wird.
In zwei Wochen soll Akif eintreffen. Ein LKW-Konvoi aus der Türkei nach Deutschland ist unterwegs, mit Warenlieferung. In einem der Wagen befinden sich mehrere Wertgegenstände für unser neues Heim. Teppiche usw. und gut versteckt ein größerer Geldbetrag für Haus und Handwerker.
Am 08. Juni 2002 erhält Peter einen Anruf von Paulianos Stellvertreter Nicola, der ihn in helle Aufregung versetzt, seine Stimme überschlägt sich. Die Situation in München zwischen Akif und Pauliano ist eskaliert.Von Seiten Paulianos hat es einige Übergriffe auf Akifs Geschäftsbereich gegeben. Im Verlauf einer heftigen Auseinandersetzung ist ein Türke getötet worden. Diese Tat will die Familie des Getöteten gesühnt sehen, sodass für das Leben des Mafioso höchste Gefahr besteht. Er will umgehend nach Italien zurück und Peter soll ihn begleiten.
Nun ist er zwischen die Fronten geraten. Hier sein bester Freund, der ihn „mein Bruder“ nennt, dort der mächtige Pate, der in ihm noch immer den zukünftigen Schwiegersohn sieht.
Ich mache gar nicht erst den Versuch, meinen Zustand zu beschreiben. Ich bin völlig am Ende mit den Nerven.
„Du kannst doch jetzt, wo der Geldtransport kommt, der Notartermin näher rückt, so vieles geregelt werden muss, nicht nach Italien fahren. Ich bleibe auf keinen Fall alleine hier, dieses Mal werde ich mitkommen. Sag das deinem Mafiaboss, ich spiele diese Spiel nicht mehr mit. Im Januar habe ich dich vor die Wahl gestellt, Mafia oder ich. Nun musst du dich entscheiden.“ Er entscheidet sich. Mein Toben, Bitten, Flehen, Tränenausbrüche, alles kann ihn nicht umstimmen. Ihn bewegt nur ein Gedanke: „Weg hier“!
(Alles, aber auch alles entspringt nur seiner kranken Phantasie. Diese ganze Geschichte inszeniert er, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehen und erneut untertauchen zu können.)
Er packt das Nötigste. Ich stehe dabei und rühre keinen Finger. Ich sehe ein, ich kann ihn nicht aufhalten. Er fährt, fährt einfach weg, mit dem Versprechen, sich so schnell wie möglich zu melden. Er verspricht, Herrn Steinfurt sowie die Handwerkern von unterwegs über die Verzögerung zu unterrichten. Von unseren Vermietern verabschiedet er sich wieder unter dem Vorwand dringender Geschäfte.
„Du hältst doch in der nächsten Woche in unserem Hotel ein Seminar, hast die entsprechenden Räume gebucht, Zimmer reserviert. Ich habe für dich und die Teilnehmer schon den Speiseplan vorbereitet und Einkäufe getätigt,“ wendet Alfons unser Vermieter ein. Fragend, vorwurfsvoll sieht er ihn an. Das ist mir neu, von diesem Plan hat mir Peter kein Wort gesagt. Er versucht zu beruhigen, dass er bestimmt bis dahin wieder zurück sei. Zur Not muss alles um ein paar Tage verschoben werden. Alfons bringt seine Verärgerung deutlich zum Ausdruck. „So ein Hotel ist ein Unternehmen, das sich an Abmachungen hält und bemüht ist, seine Verpflichtungen in vollem Rahmen zu erfüllen. Das Gleiche erwarten wir auch von unseren Gästen. Das solltest Du, der überlegt einen Gastronomie- Betrieb zu eröffnen, wissen.“ Peter verspricht, sollte er nicht pünktlich zurück sein, den finanziellen Schaden großzügig auszugleichen.
Dieses Mal ist sein Aufenthaltsort Oberstdorf. Er bleibt 14 Tage verschwunden.
(Die Vorbereitungen hierzu hat er bereits bei seinem Ausflug ins Kleinwalsertal getroffen, von dort eine Suite im Hotel Frankanger, dem ersten Haus am Ort gebucht.)
Er meldet sich mehrmals von unterwegs per Autotelefon, einmal von einer Fähre auf der Übersetzung nach Italien. Immer unter Zeitdruck, berichtet er von einer gefährlichen Irrfahrt.
(In Wirklichkeit genießt er einen ausgiebigen Wellness-Urlaub mit Damenbekanntschaften. Er bandelt mit der Frisörin des Hauses an, die in den Räumen des Hotels einen eigenen Salon betreibt. Dort lässt er nichts aus und setzt sich ab, ohne einen Cent zu bezahlen.)
Wer in den 14 Tagen nicht auftaucht, ist der Türke Akif. Dafür erscheint Herr Steinfurt wegen des Notartermins und der Anzahlung für ́s Haus. Dieses Mal ist er gar nicht mehr nett und freundlich. Auch die Handwerker melden sich. Voller Unbehagen kann ich nur immer wieder die Geschichte von der plötzlichen Geschäftsreise erzählen.
Montag, den 24. Juni 2002 ruft er an, um seine Rückkehr anzukündigen. Ganz nebenbei erkundigt er sich nach dem Dienstplan unseres Vermieters, um mit ihm den neuen Seminartermin zu besprechen.
(In Wirklichkeit will er eine Begegnung tunlichst vermeiden.)
Er wirkte müde, erschöpft, abgespannt. Kein Wunder. Wie vielen Damen er in dieser Zeit zu Diensten war, entzieht sich meiner Kenntnis. „Wir müssen sofort nach München,“ treibt er mich zur Eile an. „Packe das Nötigste zusammen.“ Unserer Vermieterin zahlt er die ausstehende Miete, wobei ein Rest von € 200,00 offen bleibt. „Wir sind ja bald zurück.“ „Die Handwerker, Herr Steinfurt,“ versuche ich einzuwenden, „was wird mit Dax?“ Unseren Hund habe ich während Peters Abwesenheit mehrfach alleine besucht. Der Züchter verlangt das Futtergeld. Er erwartet in den nächsten Tagen einen neuen Wurf und wollte mir den Welpen mitgegeben. „Später, später,“ wehrt Peter ab, „ich erzähle dir alles im Auto.“ Schon betätigt er den Anlasser. Mir bleibt nichts übrig, als mit meinen hastig zusammen gepackten Sachen einzusteigen.
Unterwegs überhäufe ich ihn mit Vorwürfen. Nichts von dem Vorausgesagten ist eingetroffen. Kein Akif, kein Geld. „Was bildest du dir ein, mich in solch eine Situation zu bringen?“ Dieses Verhalten, ständig zu Notlügen greifen zu müssen, widerstrebt mir. So ein rücksichtsloses Handeln ist mir absolut fremd, passt nicht in meine Lebensauffassung.
„Liebling, Liebling,“ Einhalt gebietend hebt er die Hand. „Ich habe die fürchterlichsten 14 Tage meines Lebens hinter mir. Geplagt von Sehnsucht und Sorge. Die Angst, Pauliano nicht sicher nach Italien zu bringen, die Frage, lässt er mich zurück zu dir.Was glaubst Du, wie es mir geht, wie ich mich fühle? Das scheint dich überhaupt nicht zu interessieren. Stattdessen höre ich nur Handwerker, Herr Steinfurt, Akif und Geld. Ich werde schon alles in Ordnung bringen, darauf kannst du dich verlassen, das schwöre ich dir beim Augenlicht meines Sohnes, bei meiner verstorbenen Mutter. Meinst du, damit gehe ich so leichtfertig um?“ Empört, ja wütend sieht er mich an.
Schon einmal hatte er mir auf seinen Sohn geschworen, um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen und dann sein Versprechen nicht gehalten. Wieder beschleicht mich ein ungutes Gefühl, wie schon so oft in letzter Zeit.
Er steuerte den nächsten Parkplatz an.
„So nun will ich dich erst mal in meinen Armen fühlen und einen richtigen Kuss bekommen. Schade, dass so viele Leute hier parken, sonst würde ich dir auf der Stelle zeigen, in welcher Sehnsucht ich mich nach dir verzehrt habe.“ Mit diesen Worten zieht er mich an sich. „Schatz, bitte vorsichtig, drücke mich nicht zu feste. Ich habe mir bei einem Schusswechsel auf dem Weg nach Italien eine Rippenprellung zugezogen. Zum Glück trug ich eine kugelsichere Weste, was mir das Leben gerettet hat. Du wärst die reichste Witwe Deutschlands geworden, ohne Trauschein, denn ich habe dich als meine Universalerbin eingesetzt. Bei zwei meiner Lebensversicherungen bist du als Begünstigte eingetragen. Eine läuft weiter auf meinen Sohn. Hase, dafür hast du sicher Verständnis. Es wird alles gut, dein Männe bringt alles in Ordnung, glaube mir. Warte nur, bis wir im Hotel sind.“ Ohne Luft zu holen sprudelt es aus ihm heraus. Ich bin zwar etwas ruhiger, jedoch überzeugt hat er mich nicht. Im Hotel angekommen, natürlich wieder das Kempinski, geht Peter zielstrebig ins Reisebüro, das praktischer Weise im gleichen Haus seine Räume hat. „Ich checke jetzt die nächsten Flugtermine in die Türkei, geh du schon mal auf ́s Zimmer.“
Um unser Gepäck muss ich mich wie immer nicht kümmern. In unserem Zimmer wartet ein riesiger Strauss Baccara-Rosen, in einem Eiskübel eine Fl. Champagner, zwei gekühlte Gläser, eine Schale mit Gebäck und andere kleine Köstlichkeiten auf mich. Kurz darauf kommt Peter. Er strahlt siegessicher und ist wie ausgewechselt. „Schatzi, ist mir die Überraschung gelungen? Das ist noch nicht alles, warte ich stelle den Fernseher an, man legt uns die Flugverbindungen in die Türkei auf den Bildschirm. Wir können in Ruhe genießen und überlegen, welchen Flug wir buchen.“Wieder so eine Überrumpelungsaktion. Meine Meinung dazu ist überhaupt nicht gefragt.
Dann startet er einen telefonischen Rundumschlag. Alle ruft er an, die Handwerker, die Küchenfirma wegen der Arbeitsplatte, Herrn Steinfurt. Alle weiß er in seiner charmanten Art und Redegewandtheit davon zu überzeugen, dass er als Ehrenmann alles Anstehende in den nächsten Tagen erledigen wird. Für Rückfragen gib er sogar die Durchwahl unseres Zimmers bekannt.
Dann telefonierte er mit einer Isabell.
(Später erfahre ich, es handelt sich um die Hotelfrisörin aus Oberstdorf, die in den 14 Tagen seine Geliebte war. Von ihr hofft er, den derzeitigen Stand der Dinge in Oberstdorf zu erfahren. Während seines Aufenthaltes im Hotel Frankanger hatte sie in einem unbeobachteten Moment einen Blick in seinen längst abgelaufenen Pass werfen können. Der Name stimmte nicht mit dem auf dem Anmeldeformular überein. Darauf angesprochen, tischte er ihr eine Geschichte von besonderen Aufträgen für den Geheimdienst auf, die für sie nicht sehr glaubhaft und überzeugend klang. Der Onkel dieser Isabell ist bei der örtlichen Polizei, sodass Peter der Boden zu heiß wurde und er fluchtartig Oberstdorf verließ. An der Rezeption meldete er sich für die nächsten zwei Tage wegen eines dringenden Termins ab. So verschaffte er sich, bis er zur Fahndung ausgeschrieben war, den nötigen Vorsprung. Davon bekam ich viel später Kenntnis durch Einsicht in Beermanns Gerichtsakten und ein Telefonat mit besagter Isabell. Dem Hotel fügte er einen Schaden von ca. € 3.500,00 zu, wobei sich alleine seine Telefonkosten auf € 1.235,00 beliefen. Diese Gespräche führte er ausschließlich mit Porno-Filmproduktionen, Begleitagenturen sowie 0190er Nummern.)
Die Rezeptionistin ruft an und teilt mit, dass sie eine eingegangene Nachricht auf unseren Bildschirm weiterleite. „Siehst du Mausi, das sind bestimmt die Flugverbindungen in die Türkei.“ Weit gefehlt, was wir da zu lesen bekommen, zieht mir den Boden unter den Füßen weg: „Ihr habt die Rechnung ohne mich gemacht, aus dem Flug in die Türkei wird nichts! Pauliano“
„Mein Gott,“ Peter ist wie versteinert. „Der hat seine Leute überall. Das kann ihm nur jemand aus dem Reisebüro gesteckt haben. Hase, das sagt mir, wir werden auf Schritt und Tritt überwacht. Sicher wird auch unser Telefon abgehört. Bestimmt hat Pauliano meine Zahlungszusagen mitbekommen, und will verhindern, dass wir in die Türkei fliegen. Warum macht er das? Halte ich mich nicht streng an seine Anordnungen, alle Befehle führe ich aus, bin sofort zur Stelle wenn er nach mir ruft, alles nur um ihn gnädig zu stimmen. Ich habe ihm in den 14 Tagen deutlich gemacht, wie sehr ich dich liebe, dass es für mich kein Zurück gibt. Ich möchte nur ein gemeinsames Leben mit dir. Seine Reaktion darauf hat in mir die Hoffnung geweckt, seine Entscheidung falle zu unseren Gunsten aus. Dieses Schwein, dieser Verbrecher.“ Außer sich, wie von Sinnen rennt Peter im Zimmer umher. Mit einem irren Blick in den Augen bleibt er vor mir stehen.
„Ich hatte in Italien ein Gespräch mit Maria, seiner Frau. Sie berichtete mir von beängstigenden Veränderungen in Paulianos Verhalten. Er sei ihr gegenüber sogar handgreiflich geworden. Ich wollte ihrem Bericht keinen Glauben schenken. Nun werde ich eines Besseren belehrt. Er ist total außer Kontrolle geraten, alle haben Angst vor ihm. Seine Kinder gehen ihm aus dem Weg. Nicola und die anderen Mitglieder sind in größter Sorge. Was ist nur aus diesem besonnenen Mann geworden, ein unbeherrschtes Monster. Ist er krank im Kopf? Wird er zur Gefahr für die Organisation? Eine Lösung muss her!“ Peter tobt herum, zieht wieder einmal seine Show ab. Mit den Worten, „lass mich nachdenken,“ sinkt er auf ́s Bett.
Was soll das, ich hindere ihn doch gar nicht daran, natürlich soll er nachdenken, sich endlich etwas Vernünftiges einfallen lassen. „Ich muss Verbindung zu Akif aufnehmen, ihn von den neuesten Ereignissen unterrichte, Du wirst sehen, meine türkischen Freunde lassen mich nicht im Stich.“ Seine finstere Mine hellt sich auf. „Morgen früh gehen wir zum Hauptbahnhof, dort kann ich Akifs Leute treffen. Wir werden eine Lösung finden.“ Wie umgewandelt nimmt er mich in den Arm. „Mein Hasenherz, jetzt gehen wir unter die Dusche, der Champagner wartet, wir wollen unser Wiedersehen feiern. Dann zeig ich dir, wie sehr ich dich vermisst habe,“ mit treuherzigem Augenaufschlag fügte er hinzu, „hast du denn gar keine Lust auf dein Männe?“
Tatsächlich fahren wir am nächsten Morgen zum Münchner Hauptbahnhof, um dort einen von Akifs Männern zu kontaktieren. Er bittet mich, in einem der Wartesäle auf ihn zu warten. Aus Sicherheitsgründen darf ich an solchen Treffen nie teilnehmen.
(Es findet nie ein Treffen statt, es gib diese Kontakte nicht.)
Nach einer Stunde etwa kommt er zurück und berichtete von einer erfolgversprechenden Unterredung. Dass sich Akif im Laufe der kommenden Woche um eine Lösung unserer Probleme bemühen will. Natürlich muss er mit äußerster Vorsicht agieren. Einen erneuten Zusammenstoß, bei der es Tote gibt, wie gehabt, will er nicht noch einmal heraufbeschwören. Und überhaupt können wir uns glücklich schätzen, dass die Familie des getöteten Türken nicht auf Rache besteht, dann nämlich wäre es in München zu einem Blutbad gekommen und wir zwischen die Fronten geraten. Italien – Türkei. „Unsere türkischen Freunde,“ so die Zusage, „werfen, egal wo wir uns aufhalten, ein schützendes Auge auf uns.“
(Heute frag ich mich, was ist das für ein Mann, mit wem hast du da zusammen gelebt? Ist er der Leibhaftige in Person? Er ist ein Monster! Was geht in solch einem Kopf vor, dass er in seiner blühenden Phantasie solche Gräuelmärchen erfindet? Für jede Situation, auch wenn sie noch so plötzlich und unvorhersehbar eintritt, hat er eine Geschichte parat)
Nachts, wenn mich Albträume plagen, weckt er mich. Wenn mich nagende Zweifel heimsuchen, küsst er mein Tränen überströmtes Gesicht, wiegt mich in seinen Armen, wie ein kleines Kind, überhäuft mich mit Zärtlichkeiten. Mit einer Seelenruhe und Überzeugungskraft treibt er mich in den Ruin. Er weiss mich auch dieses Mal wieder zu beruhigen.
Wir besuchen den Englischen Garten, genießen die Schönheit der Natur, die gepflegten Parkanlagen, gehen am Isarufer spazieren. Gewissenhaft telefoniert er mehrmals täglich mit Akif, um dann zuversichtlich zu mir zurück zu kommen. Er geht zur Handwerkskammer, um den Weg zur erneuten Selbstständigkeit zu ebnen, die Erlaubnis einzuholen, in Bayern auch künftig Seminare halten zu dürfen.
In Telefonaten mit den Handwerkern, dem Hausverkäufer, dem Notar erlebe ich erneut seine Überzeugungskraft, wie er diese erfahrenen Menschen einwickelt, mit seinen erfundenen Geschichten. „Liebling es wird alles gut.“ Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört?
(Seine Migräneanfälle, seine Herzbeschwerden täuscht er nur vor, um sich in Ruhe neue Lügengeschichten auszudenken, sie reibungslos, ohne Verdacht zu erwecken einzufügen, in das riesige Gebäude von Lug und Betrug. Was bringt ihm das, diese Frage, die ich mir immer wieder stelle, bleibt bis heute unbeantwortet. Er schädigt seine Mitmenschen, ist gnadenlos in seinen vernichtenden Betrügereien. Das Resultat daraus ist über kurz oder lang seine erneute Verhaftung, Anklage, Gerichtsverhandlung und am Ende die Freiheitsstrafe. Zu dieser Zeit weiß ich noch nicht, es ist nicht die erste Küche, die erste Wohnungseinrichtung, die er bestellt bzw. anfertigen lässt, ohne zu bezahlen. Benötigt er diesen Nervenkitzel, befriedigt das sein Geltungsbedürfnis, vermittelt ihm das ein Gefühl der Macht? Fragen über Fragen. Sicher weiss er selber keine Antwort.)
Der Makler in Köln hat einen Nachmieter für meine Wohnung gefunden. Ich muss unbedingt zurück, meinen Mietvertrag auflösen, die Ablösesumme für meine nagelneue Einbauküche, den Schlafzimmerschrank usw. aushandeln. Am 01. August 2002 wollen wir im Refugium einziehen. Einen Tag zuvor soll die Übergabe meiner Wohnung an den Nachmieter stattfinden. Die Umzugskartons sind noch nicht gepackt, so langsam kommen wir in Zeitzwang und wir befinden uns immer noch in München.
Am 06. Mai spricht Peter von Abreise, die unbemerkt von Paulianos Leuten vonstatten gehen muss, da der große Boss aus einer Laune heraus wieder dazwischen funken könnte. „Wir geben ihm einfach etwas zum Überlegen“ sagte Peter verschmitzt, „holen das Auto aus der Tiefgarage des Hotels und stellen es irgendwo auf einem öffentlichen Parkplatz ab. Checken wir ganz normal aus, erfährt er davon und weiss unsere Abreise zu verhindern. Da ich ihn nicht um Erlaubnis gebeten habe, kann das seine Pläne, die er bestimmt mit mir hat, durchkreuzen. Bei Anbruch der Dunkelheit bringe ich schon mal einen Teil unseres Gepäcks zum Auto. Morgen früh komme ich zum Hotel gefahren. Während du alles an der Rezeption erledigst, hole ich unsere restlichen Sachen und wir können in fliegendem Start losfahren.“
Es stürmt wieder so vieles auf mich ein. Der Kopf schwirrt mir, logisches Denken ist nicht möglich. Er hat auf meine Fragen wieder nur unbefriedigende Antworten. Ich verhalte mich wie eine Marionette, er bedient die Fäden, ich funktionierte. Wenigstens geht es voran, Richtung Ziel, so glaube ich. „Sollte ich nicht zur verabredeten Zeit am Hotel vorfahren, komm zum Viktualienmarkt,“ er nennt eine bestimmte Stelle. „Warte eine halbe Stunde. Kann ich nicht pünktlich sein, setze dich in den nächsten Zug nach Köln, dort treffen wir uns in der Wohnung. Siehst du Liebling, ich kalkuliere alle Eventualitäten ein, diesmal kommt uns niemand in die Quere. Das Gepäck ist im Auto, dein Beauty-Case nehme ich auch schon mit, so hast du nur leichtes Handgepäck.“
(In diesem Kosmetikkoffer befand sich ein Großteil meines Schmuckes. Ich sollte ihn nie wiedersehen.)
„Ich lasse mich von diesem verrückt gewordenen Italiener nicht mehr an der Ausführung unserer Pläne hindern, nun ist Schluss. Wir müssen endlich Ruhe in unser Leben bringen.“ Nichts lieber als das, ich will ihn bestimmt nicht daran hindern.
Den Abend vor unserer Abreise verbringen wir in einem gemütlichen Brauhaus. Am nächsten Morgen verläuft alles so, wie Peter es geplant hat. Er geht, um das Auto zu holen, ich zahle die Rechnung mit meiner Mastercard. Zur verabredeten Zeit kommt er nicht, also gehe ich zu der Stelle in der Nähe des Viktualienmarkts, warte dort vergebens. Er kommt nicht.
(Beermann ist schon längst auf dem Weg nach Köln. Er hatte nie die Absicht mich mitzunehmen.)
Ich gehe zum Bahnhof, löse eine Fahrkarte und steig in den nächsten Zug nach Köln. Kurz vor Siegburg geht es nicht weiter. Durch ein Unwetter umgestürzte Bäume liegen quer über die Bahngleise und verhindern die Weiterfahrt. Bis dann alles organisiert ist, Taxen bereit stehen, die uns an unseren Bestimmungsort bringen, vergehen einige Stunden. Nachts gegen 2:00 Uhr komm ich endlich vor meiner Wohnung an. Es ist alles dunkel. Schläft Peter etwa und wartet nicht auf mich?
(Ich dumme Gans. Niemand wartet auf mich. Er schläft schon längst in Kampen auf Sylt, in einem Luxushotel und sicher nicht alleine.)
Beim Betreten meiner Wohnung finde ich einen handgeschriebenen Zettel auf dem Fußboden, unter der Tür durch geschoben, mit folgendem Wortlaut: „Ihr haltet euch wohl für sehr schlau. Wir haben Peter! Daran seht ihr, dass Akif keine guten Leute hat. Wenn du dich an unsere Anweisungen hältst, passiert euch nichts und Peter ist in einigen Tagen wieder frei. Dann könnt ihr den geplanten Urlaub mit Julian antreten.“ Ich fühle gar nichts, bin wie betäubt, erschöpft von der langen, beschwerlichen Reise, will nur ins Bett, nichts mehr hören und sehen, nur schlafen. Einfach meine Ruhe haben. Ich verschwende auch keine sorgenvollen Gedanken an
Peter.
Für diesen Mafioso empfinde ich nur Verachtung. Er wagt es sogar, mich vertraulich mit „du“ anzureden. Unverschämt. Seine Zeilen jedoch sagen mir, er ist wieder über alles informiert, hat erneut unsere Pläne durchkreuzt. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein.
(Ich dummes Schaf durchschaue die Durchtriebenheit dieses Mannes noch immer nicht. Stattdessen quält mich wieder eine Angst um meinen Geliebten.)
Wo ist Peter, wie geht es ihm, hat dieser Mafiosi ihm etwas angetan? Was für Pläne hat er mit uns? Ich komme fast um vor Angst und Sorge. Ja, und natürlich der
geplante Urlaub mit Joshua, der uns mit dem Wohnmobil nach Frankreich an der Loire entlang führen soll. Zwei lange Tage und Nächte keine Nachricht, kein Lebenszeichen. Der kleine Mann wartet darauf, von seinem Vater abgeholt zu werden.
Von der Auskunft erfahre ich die Telefonnummer der Schwiegereltern und rufe dort in guter Absicht an. In schroffem Ton bedeutet man mir, sie mit solchen Anrufen zu verschonen.
Ich bin total perplex, habe es nur gut gemeint. Ich bin so involviert in die ganze Geschichte, dass ich nicht merke, wie lächerlich ich mich mache. Meinem Sohn, bei dem ich mich zurückmelde, tische ich eine unverbindliche, harmlose Geschichte auf. Färbt Peter schon auf mich ab? Warum soll ich meinen Sohn unnötig beunruhigen, es ist eine Notlüge. Ob er mir wohl glaubt?
Zwei Tage später, es ist Peters Geburtstag, meldet er sich endlich. Nicola hat ihm den Anruf ermöglicht. „Liebling, du bist sicher vor Angst umgekommen. Pauliano hat mir die Fresse poliert, damit ich endlich begreife, wer das Sagen hat. Wenn er glaubt, ich füge mich nun, hat er sich getäuscht. Stell dir vor, ich muss jeden Tag los und auf der Insel Koks verteilen, immer die Angst im Nacken, erwischt zu werden. - Vielleicht legt er es darauf an, vielleicht verpfeift er mich sogar, um mich seine Macht spüren zu lassen. Nun mache ich am eigenen Leib die Erfahrung, wie unberechenbar er geworden ist. Sogar in der Organisation begehrt man gegen ihn auf. Er ist so größenwahnsinnig, dass er den Widerstand der eigenen Leute, mit denen er teilweise sehr brutal umspringt, nicht bemerkt. Ich bin Außenseiter und muss mich ganz nach seinen Launen richten. Hasenherz, wie geht es dir, bist du gut in Köln angekommen? Ich habe mir so Sorgen und Vorwürfe gemacht. Morgens, schon auf dem Weg zum Auto nahmen mich zwei von Paulianos Leuten in die Mitte, gingen mit mir zum Parkplatz und zwangen mich zum Einsteigen. Einer der beiden setzte sich ans Steuer, ich saß hinten, wusste nicht, wohin die Fahrt ging und musste tatenlos zusehen. Nachdem mir die beiden hämisch grinsend versicherten, dir würde außer ein wenig Warten und Aufregung nichts geschehen, beruhigte ich mich etwas. Meine arme Frau, was hast du alles wegen mir durchgemacht, bereust du nicht........“ hier wird das Gespräch unterbrochen.
Bei seinem hastigen Redeschwall bin ich gar nicht zu Wort gekommen. Ich will ihm von meinem Anruf bei seinen Schwiegereltern berichten, ihn fragen, wie es nun weitergehen soll. Ich bin völlig ratlos. Ob und wann wird er sich wieder melden? Können wir an meinem Geburtstag zusammen sein? Nach feiern steht mir eh nicht der Sinn. Ob wir wohl halbwegs glimpflich aus dieser Geschichte herauskommen?
Mein Sohn besorgt mir Umzugskartons. Ich fülle die Zeit der Ungewissheit mit Packen aus. Der Umzug in unser Refugium steht kurz bevor.
(Ich werde es nie wiedersehen, geschweige dort einziehen. - Es ist mir kein Trost, dass er mit all seinen Opfern, denn ich bin nicht das einzige, so gnadenlos und gemein umgeht, nur um seine perversen Bedürfnisse zu befriedigen. Er kommt mir vor wie ein Ungeheuer, eine Hydra, der, wenn man einen ihrer Pläne unterbindet, gleich zwei noch viel brutalere einfallen. Dieser Kopf, dieses Gehirn muss krank sei, heckt es doch nur abstruse Ideen und Perversitäten aus. Seine erfundenen Geschichten, die darin vorkommenden Personen machen mir Angst, treiben meinen Blutdruck besorgniserregend hoch. - Dabei habe ich allen Grund, ihn zu fürchten. Er ist der Inbegriff des Bösen. - Später erfahre ich, dass er nichts auslässt auf Sylts Partiemaile. Vergnügt sich, hat unzählige amouröse Abenteuer, mit Müttern, mit ihren Töchtern. Er mischt laut der Aussage eines seiner Opfers die Insel regelrecht auf. Wie kann ein Vater seine Tochter verleugnen, auf das Leben bzw. Augenlicht des Sohnes schwören, um zu überzeugen, glaubhaft dazustehen. Sagt das nicht genug aus, über seinen verkommenen Charakter? Wie kann ein Sohn den an Krebs erkrankten Vater, ebenso die 90jährige, ans Krankenbett gefesselte Großmutter ausnehmen? Seine Taten stinken zum Himmel.- Es ist schwer begreiflich, dass ihm alle, Richter, Staatsanwälte, erfahrene JVA- Beamte, Sozialarbeiter, Familienmitglieder, Freunde, Frauen, vor allem Frauen, mich eingeschlossen, auf den Leim gegangen sind. - Nach einer erneuten Verhaftung und obwohl er gegen Bewährungsauflagen verstoßen hatte, mehrere weitere Anzeigen vorlagen, ließ ihn eine Richterin nach vierwöchiger U-Haft und einem Anhörungsgespräch wieder laufen.)
Zurück zur Sylt-Misere.
Zwei Tage nach meinem Geburtstag, Pauliano ist gnädig gestimmt, reserviert mir Peter eine Fahrkarte, sodass ich mich auf den Weg nach Sylt machen kann. Auf seine Anweisung habe ich so gepackt, dass ein Weiterflug in die Türkei möglich ist.
Er holte mich in Westerland am Bahnhof ab. Er macht einen erschöpften, übernächtigten Eindruck. Seine Pupillen sind stark vergrößert, Schweiß steht ihm auf der Stirne. Natürlich die Ereignisse, die riskanten Aufträge der letzten Tage, dazu kommt die Angst um mich. Mein armer, armer Mann. Wir fahren ins Hotel, wo Pauliano ihn in einem Apartment untergebracht hat. Vom geräumigen Wohnzimmer aus führt eine Wendeltreppe ins Schlaf- und angrenzende Badezimmer.
Beim Betreten des Schlafraumes fällt mein Blick auf das zerwühlte Doppelbett. Die Benutzung beider Betten erklärt Peter damit, Pauliano habe darauf bestanden, Nicola als Aufpasser bei ihm einzuquartieren. „Liebling, du schläfst in meinem Bett und ich leg mich auf Nicolas Seite. Morgen werden die Betten frisch bezogen. Ich hoffe, du bist für eine Nacht mit dieser Lösung einverstanden. Ich will das Personal nicht unnötig auf unsere brenzelige Situation aufmerksam machen.“
(Er hat es nicht einmal für nötig gehalten, die Spuren der vergangenen Tage und Nächte zu beseitigen. Das Liebesnest, noch warm von der Benutzung mit anderen Frauen ist nun frei für mich. Bei dem Gedanken wird mir heute noch übel.)
Peter schenkt mir nachträglich zu meinem Geburtstag ein dunkelblaues,viel zu großes, entsetzlich kratzendes Twinset. Ich tausche es um. Eine Ansichtskarte, die einen wunderschönem Sonnenuntergang zeigt, der einen Augenblick unserer großen Liebe verdeutlichen soll, trägt den Hinweis, dass noch immer das große Geschenk in der Hamburger Goldschmiede auf mich, seine große Liebe warte. Ich spiele die Hocherfreute, obwohl ich seine Geste als lieblos und unpersönlich empfinde.
(Ich verleugne mich, darauf bedacht, dass es ihm gut geht. Ich verleugne mich, den Menschen, der über 60 Jahre aufrecht und ehrlich durchs Leben gegangen ist. Mich, meine Persönlichkeit, das was mich ausmacht, lösche ich aus, ohne Rückgrat, abhängig von seiner Zuwendungen. Ich bin Wachs in seinen Händen. Warum gehe ich in klaren Momenten, oh ja, die habe ich tatsächlich manchmal, nicht zur Polizei? Jetzt kann ich mir die erstaunten, fragenden Blicke, das wissende Lächeln einiger Frauen erklären, denen wir in den nächsten Tagen begegnen.)
Das Hotel verlässt er jeden Morgen pünktlich um 10:00 Uhr. Mit einem bereit stehenden Taxi macht er sich auf den Weg, den Stoff entgegenzunehmen, um ihn anschließend auf der Insel zu verteilen. Meine Anwesenheit enthebt ihn nicht seiner „Pflichten“!
(Von einem Bett ins nächste.)
Ich gehe alleine zum Strand, unternehme lange Spaziergänge, immer begleitet von den Sorgen um ihn.Von Erholung kann keine Rede sein. Pünktlich um 15:00 Uhr trifft er völlig erschöpft an meinem Strandkorb, unserem Verabredungspunkt ein. An einem der nächsten Tage wird er von Pauliano gnädigst seiner Aufgaben enthoben.
(Sicherlich ist die Dame, die es hieß zufrieden zu stellen abgereist und er muss sich erst nach neuen Opfern umsehen.)
Seine Enthaltsamkeit bei mir erklärt er mit seiner großen Anspannung, der Angst und Anstrengung beim Dealen.
(Dabei steht er an anderen Stellen seinen Mann. Der Gedanke, dass er auf diese Art und Weise die Kosten unseres Syltaufenthalt bestreitet, unser Essen bezahlt, erfüllt mich mit Ekel. Ich glaubte bisher, so etwas gibt es nur in Filmen und Büchern. Das ich mit einem Callboy lebe, von ihm für seine Zwecke benutzt und ausgenommen werde, würde ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu träumen wagen. Ich bin so naiv und gutgläubig.)
Von meinem Anruf bei seinen Schwiegereltern zeigt sich Peter ganz und gar nicht begeistert. Wie auch. „Selbstverständlich habe ich dort angerufen,“ lügt er, „um den Urlaub mit Joshua abzusagen.“ Bei dem Gedanken daran kullern wieder Tränen. „Joshua ist so enttäuscht und traurig.“ Dass die Großeltern als Entschädigung, einen Fahrradurlaub in Holland planen, tröstet den kleinen Mann nicht darüber hinweg, den Vater nun doch nicht sehen zu dürfen.
(Für alles hat er eine Erklärung.)
Eines Nachmittags kommt er zum Strand und lässt sich stumm neben mir in den Sand fallen. „Was ist, was hast du?“ Auf meine besorgte Frage reagiert er nicht, starrt vor sich hin.
(Was für ein exzellenter Schauspieler.)
Ich warte, ahne nichts Gutes. Ein tiefer Seufzer, ein Stöhnen kommt aus seiner Brust. Dann platzt es aus ihm heraus. „Man hat beschlossen, Pauliano zu liquidieren. Übermorgen, am 26. Juli, will man ihn in Hamburg in eine Falle locken und erschießen. Das unberechenbare, grausame Verhalten des Paten ist für die Organisation zu einer großen Gefahr geworden und nicht mehr tragbar.“ Das Schlimme daran, Peter muss sich an dieser Hinrichtung beteiligen. Es ist üblich und beschlossene Sache, dass jedes Mitglied des „Familienrates“ einen Schuss auf das Opfer abgibt, damit unklar bleibt, wessen Schuss der tödliche ist. So sind alle in dieser Tat vereint, schuldig, unschuldig. „Es graust mir bei dem Gedanken“ flüstert er fast unhörbar, „jedoch darf ich mich vor dieser Aufgabe nicht drücken, sonst bin ich vielleicht das nächste Oper.“
Die Aussicht, dass wir damit frei und nicht mehr Paulianos Willkür ausgeliefert sind, mindert das ungeheuerliche Ausmaß seines Berichts. „Aber Peter,“ automatisch flüstere ich auch, „dann bist du ein Mörder.“ Es schüttelt mich vor Entsetzen. Ernst sieht er mich an. „Willst du, dass man mich auch tötet? In diesen Kreisen kennt man keine Gnade. Man wird in mir einen Verräter an ihrer Sache sehen. Mir bleibt gar keine andere Wahl. Außerdem, habe ich dir doch gerade erklärt, kann keiner wissen, wer der Todesschütze ist, sodass ich nur ein Mittäter und kein Mörder bin. Damit will ich das Entsetzliche der Tat nicht herunterspielen. Gleich im Anschluss wird Paulianos Nachfolger gewählt. Ich kann nur hoffen, die Wahl fällt auf einen mir Wohlgesonnen, damit ich endlich aus der Organisation ausscheiden darf. Dann, das glaube mir, hat alle Angst ein Ende.“
Als wolle sich die Natur unserer Lage anpassen, hat sich von uns unbemerkt ein Unwetter zusammengebraut. Plötzlich prasselt der Regen los. Der stürmische Wind erfasst unsere Sachen, wir haben Mühe, sie wieder einzusammeln. Hastig verstauen wir alles in der Badetasche und laufen zum nahe gelegenen Strandrestaurant. Hier drängen sich die Menschen Schutz suchend. Bilde ich es mir ein oder treffen mich wieder neugierige Blicke, tuschelt man hinter vorgehaltener Hand? Es nervt und verunsichert mich.
Würden diese Leute nur einen Bruchteil unserer Situation kennen, dass sich unser Gespräch eben noch um einen bevorstehenden Mord gedreht hat, wie würden sie reagieren? Was kümmern mich die Gedanken anderer. Nur wir zählen.
Im Hotel gibt mir Peter zwei Fahrkarten für den Autoreisezug mit Ziel München. „Hasenherz, wenn ich Samstag zurück bin, Freitag sollte das Urteil an Pauliano vollstreckt werden, fahren wir mit dem Zug nach Bayern, vergessen all unsere Sorgen. Dann sind wir endlich frei. Hoffentlich gibt es keine Schwierigkeiten. Pauliano hat eben doch noch einige treue, langjährige Anhänger.Vorsichtshalber werde ich wieder die kugelsichere Weste tragen, die mir einen gewissen Schutz bietet. Nun sieh mich nicht so entsetzt an Liebling, es ist nur zu meiner Sicherheit, deinem Männe wird schon nichts passieren.“ Warum spricht er erst so beruhigend, um mich sogleich mit dem nächsten Satz wieder in helle Aufregung zu versetzen. „Was noch hinzu kommt und für uns ganz wichtig ist, ich bekomme endlich deine EC-Karte zurück, die Pauliano vor einiger Zeit von mir gefordert hat, um mich ganz von ihm abhängig zu machen. Aber das weißt du ja, weil ich dir während deines Krankenhausaufenthalt das ein oder andere besorgen musste. Seit dem habe ich keinen Gebrauch mehr von ihr gemacht. Wenn Pauliano mich auch knapp hält, steckt Nicola mir heimlich immer wieder größere Summen zu. Du kannst dich darauf verlassen, Nicola ist auf meiner Seite.“
„Was, meine Kreditkarte in den Händen dieser Verbrecher? Das ist mir ganz neu. Schlaganfall hin, Schlaganfall her, nichts aber auch gar nichts ist mir davon bekannt.“ Wütend sehe ich ihn an.
Diese Karte benutzte ich so gut wie nie. Regelmäßig anfallende Kosten, wie Miete, Versicherungen, werden per Dauerauftrag von einem eigens für diese Zwecke eingerichteten Konto bedient. Auch eine bestimmte Summe für meine Privatausgaben werden von diesem Konto abgebucht. Für größere Anschaffungen benutze ich die Mastercard. Darum habe ich die Kreditkarte noch gar nicht vermisst. Sie ist für ein Konto gültig, auf dem mir jeder Zeit 250.000,00 € zum Abruf bereitstehen. Zu Deep-Zeiten hatten mein Sohn und ich mehrmals auf Ibizza
Urlaub gemacht und in Erwägung gezogen, auf der Insel eine Immobilie zu kaufen. Mir wird abwechselnd heiß und kalt.Verstohlen blicke ich auf die Uhr. Um bei meiner Bank anzurufen, ist es zu spät. In meinem Handy ist die Nummer gespeichert unter der ich meine Konten sperren lassen kann. Ich geh zur Toilette. Von dort aus veranlasse ich das Nötige. Langsam beruhige ich mich. Alles andere muss bis morgen warten. Peter gibt sich völlig unbefangen. „Bitte Schatz, packst du mir für den Hamburg-Aufenthalt ein paar Sachen zusammen? An der Rezeption habe ich schon Bescheid gegeben, dass ich für kurze Zeit außer Haus bin. Dann hat der ganze Spuk endlich ein Ende und wir konzentrieren uns auf unsere gemeinsame Zukunft. Schau mich nicht so zweifelnd an. Glaubst du mir etwa nicht? Warum hätte ich denn zwei Fahrkarten für den Reisezug kaufen sollen?“