Читать книгу Magic Maila - Marliese Arold - Страница 5
ОглавлениеPunkt sechs flog das Türchen der Kuckucksuhr auf. Ein grellbunter Vogel stürzte so heftig heraus, dass er sich einmal überschlug. Mühsam kletterte er wieder auf die Stange und flötete mit silberheller Stimme:
»Werte Kundschaft, leider schließen wir gleich. Bitte gehen Sie zum Bezahlen an die Kasse. Wir wünschen Ihnen einen schönen Abend und hoffen, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen.«
Die 13-jährige Maila, die an der Ladentheke saß und Hausaufgaben machte, sah von ihrem Heft auf. »Danke, Wilbur! Aber es ist sowieso kein Kunde gekommen. Den ganzen Nachmittag nicht.« Sie seufzte.
Wilbur blickte nach links und nach rechts. »Stimmt!«, piepste er. Er stieß sich von der Stange ab und flatterte auf Mailas Schulter. »Schade. Warum kommen denn keine Leute mehr? Wir haben doch die allerschönsten Zaubersachen!«
»Ach, Wilbur!« Maila schlug ihr Heft zu. Mit Wilbur auf der Schulter konnte sie sich ohnehin nicht mehr konzentrieren. Der bunte Kuckuck hielt allzu gern ein Schwätzchen. »Das habe ich dir doch schon erzählt. In der Möchtegern-Straße hat dieses große Zauberei-Kaufhaus MacMagic aufgemacht. Die haben dort ein Riesenangebot und verkaufen die Sachen auch noch viel billiger als wir.«
Wilbur plusterte sich auf. »Das ist ziemlich doof, oder?«
Maila nickte. Heute nach dem Unterricht war sie extra an dem Kaufhaus MacMagic vorbeigegangen und hatte beobachtet, wie etliche ihrer Stammkunden im Eingang verschwanden, während andere mit vielen Tüten in den Händen wieder herauskamen. Außerdem hatte Maila neben der Tür einen magischen Finger an der Wand entdeckt. Dieser lockte die Leute an wie ein Magnet. Das war unlautere Zauberei und eigentlich verboten. Eigentlich. Inzwischen hatte der Bürgermeister eine Verordnung erlassen, der zufolge die kleineren Läden keinen magischen Finger verwenden durften. Nur die kleinen.
Läden wie zum Beispiel der Zauberladen Wünsch dir was, der schon seit vier Jahrhunderten Mailas Familie gehörte. Opa Orpheus fürchtete, dass die Tage des kleinen Ladens gezählt waren und sie in einigen Wochen schließen mussten. Außer, sie hatten sehr, sehr bald eine wahnsinnig tolle Idee, wie sie ihren Laden aufpeppen konnten.
Für wahnsinnig tolle Ideen war normalerweise Maila zuständig, aber all ihre bisherigen Vorschläge waren vom Familienrat abgeschmettert worden.
»Einen Tag in der Woche könnten die Leute umsonst bei uns einkaufen«, war eine von Mailas Ideen gewesen.
»Aber Maila, dann kommen die Leute an diesem Tag zu uns und räumen die Regale leer«, hatte Damian Espenlaub, Mailas Vater, gemeint. »Und an den anderen Tagen kaufen sie wieder bei MacMagic.«
»Hm.« Maila hatte überlegt. »Und wenn wir unseren besten Kunden einen Gutschein für eine Reitstunde auf einem Einhorn schenken?«
»Genau diese Idee hatte MacMagic auch schon«, hatte Alma Espenlaub, Mailas Mutter, geantwortet. »Eine Gratis-Reitstunde für einen Einkauf ab zweihundert Hexengulden.«
»Und wenn wir einen Gutschein ab hundert Hexengulden ausgeben?«, hatte Maila vorgeschlagen.
»Liebes, eine Einhorn-Reitstunde kostet hundert Hexengulden«, hatte Oma Luna gesagt. »Mindestens.«
»Schade.« Maila hatte ihr Gehirn so angestrengt, dass sie das Gefühl hatte, ihre Ohren würden gleich qualmen. »Wir könnten kostenlose Kekse mit einfachen Zaubersprüchen verteilen. So was wie Glückskekse.«
»Das haben wir schon einmal vor drei Jahren gemacht«, hatte sich Opa Orpheus erinnert. »Kekse mit Zaubersprüchen, die allerdings nur ein einziges Mal funktionieren. Leider bekam man von den Keksen blaue Zähne. Die Kunden haben sich massenweise beschwert.«
»Dann weiß ich auch nicht weiter«, hatte Maila geseufzt.
»Dass ich das noch erleben darf!«, hatte ihr großer Bruder Robin gespottet und sie an ihren karottenroten Locken gezogen. »Meine Schwester weiß nicht weiter. Wo sie doch sonst immer alles besser weiß.«
»Das sagst du doch nur, weil … weil … weil du neidisch bist auf mich!«, hatte Maila zornig gerufen. »Weil ich mit den Ohren wackeln kann und du nicht!«
Mit dem Ohrenwackeln hatte es in der Hexenwelt eine besondere Bewandtnis: Wer mit den Ohren wackeln konnte, der konnte auch die Schwelle zur Menschenwelt überschreiten. Das konnten nur sehr wenige Bewohner der Hexenwelt, vielleicht einer von hundert.
In Mailas Familie konnte außer Maila nur Oma Luna mit den Ohren wackeln. Obwohl Robin manchmal stundenlang vor dem Spiegel stand und übte – er schaffte es einfach nicht!
Bei dem Gedanken an Robin wackelte Maila automatisch mit den Ohren. In diesem Moment bimmelte die Ladenglocke. Ein kalter Windstoß öffnete die Tür und ließ Maila frösteln. Sie blickte auf. Ein hochgewachsener Mann in einem dunklen Mantel schob sich zur Tür herein. Den Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen.
Maila sprang erschrocken auf. »Eigentlich haben wir schon geschlossen!«
»Wie schade«, brummte der Fremde. »Ich würde ja morgen wiederkommen, aber leider bin ich nur noch heute hier.«
Eine unnatürliche Kälte ging von ihm aus. Maila fröstelte. Der Kerl war ihr unheimlich. Am liebsten wäre es ihr gewesen, er würde sich umdrehen und gehen. Stattdessen kam er näher. Sein Blick wanderte neugierig umher.
Jetzt konnte Maila auch sein Gesicht sehen. Es war hager und bleich, als würde sich der Fremde nie im Freien aufhalten. Seine Augen waren von einem stechenden Blau, und die lange, spitze Nase reichte fast bis zu seinem Mund. Ein dunkles Ziegenbärtchen wuchs an seinem Kinn und wippte mit, sobald der Mann sprach.
»Man sagte mir, dass man hier Dinge bekommt, die man nirgendwo anders erhalten kann«, murmelte der Fremde.
Mailas Herz klopfte vor Aufregung. »Ja, das kann sein«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Wir haben viele schöne Sachen. Was … was suchen Sie denn?«
»Schmeiß den Kerl raus!«, zischte Wilbur in ihr Ohr. »Mit dem stimmt was nicht!«
»Sei still, Wilbur«, flüsterte Maila.
Der Fremde lächelte dünn. »Ich hätte beispielsweise gerne diese Kuckucksuhr.« Er deutete mit seinen langen Spinnenfingern auf die geschnitzte Uhr, die an der Wand hing.
Wilbur stürzte vor Schreck von Mailas Schulter und plumpste auf die Theke, wo er in einem Glas mit Wünsch-dir-einen-Geschmack-Bonbons landete und panisch mit den Flügeln flatterte.
»Die Kuckucksuhr ist unverkäuflich«, sagte Maila schnell und fischte Wilbur aus dem Glas. »Tut mir leid.«
»Wie wäre es dann mit dem hübschen Vogel in deiner Hand?«, fragte der Fremde, und sein Blick schien noch stechender zu werden.
»Das … das ist Wilbur, und er ist ebenfalls unverkäuflich«, antwortete Maila. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.
»Ich würde dir fünfhundert Hexengulden für ihn bezahlen«, sagte der Fremde. »Und für die Uhr bezahle ich noch einmal fünfhundert.«
Maila rechnete im Kopf. Tausend Hexengulden! Manchmal nahmen sie in einer Woche nicht so viel Geld ein!
Trotzdem schüttelte sie den Kopf.
»Es geht nicht«, sagte sie. »Wilbur gehört zur Familie – und er ist außerdem mein Freund!«
»VERDAMMT!«, brüllte der Fremde und schlug so heftig mit der Faust auf die Theke, dass das Glas mit den Bonbons in die Höhe sprang. Maila zuckte erschrocken zusammen, und Wilbur schoss in die Kuckucksuhr zurück. Das Türchen knallte hinter ihm zu, und ein Schutzgitter rasselte herab.
»Gibt es ein Problem?«, ertönte eine Stimme hinter Maila.
Maila atmete erleichtert auf, als Oma Luna neben sie trat. Die Großmutter war zwar kaum größer als Maila, aber eine der besten Hexen weit und breit. In Mailas Alter war sie bereits zum ersten Mal Junior-Hexenmeisterin geworden. Im Wohnzimmer der Großeltern gab es eine ganze Wand mit Pokalen und Urkunden, die Oma Luna im Laufe ihres Lebens gewonnen hatte. Auch jetzt nutzte sie noch jede Gelegenheit, sich weiterzubilden, reiste zu Seminaren und Workshops und hatte mehrere Fachzeitschriften abonniert.
»Hallo, Luna«, säuselte der Fremde und verzog seine Lippen zu einem dünnen Lächeln. »Lange nicht mehr gesehen.«
»Das stimmt«, erwiderte Oma Luna mit eisiger Stimme. »Und es ist nicht so, dass ich dich vermisst hätte, Luzian.«
Maila spitzte die Ohren. Ihre Oma kannte also diesen merkwürdigen Mann?
»Ich habe dich aber schon vermisst, schönste Luna von allen«, sagte Luzian mit einem kurzen, harten Lachen.
»Was willst du?«, fragte Oma Luna scharf.
»Hast du einen Tarnumhang in meiner Größe?«, fragte Luzian. »Die meisten Umhänge sind mir zu kurz. Er muss so lang sein, dass auch meine Füße verschwinden.«
»Was hast du vor?«, wollte Oma Luna wissen. »Willst du wieder ein krummes Ding drehen? Es wundert mich, dass man dich schon freigelassen hat, nachdem du verbotene schwarze Magie betrieben hast und deine Frau und deine Tochter dabei umgekommen sind.«
»Es war ein bedauerlicher Unfall«, entgegnete Luzian. »Das mussten auch die Richter anerkennen. Ich habe meine Strafe in den Bergwerken von Alun verbüßt, und das war wahrhaftig kein Zuckerschlecken. Also – hast du nun einen Umhang für mich oder nicht?«
»Wir haben gestern den letzten in deiner Größe verkauft«, log Oma Luna. »Und es ist ungewiss, wann unser Lieferant wieder liefern kann. Geh doch zu MacMagic, vielleicht findest du dort das Gewünschte.«
»Bei MacMagic habe ich Hausverbot«, grummelte Luzian.
»So? Warum wundert mich das nicht?«, fauchte Oma Luna. »Und bei uns hast du auch Hausverbot, Luzian. Wenn du dich hier noch einmal blicken lässt, dann hetze ich meinen persönlichen Dämon auf dich!«
Luzian hörte endlich auf zu lächeln. Seine Miene wurde grimmig. »Ist das dein letztes Wort, Luna?«
»Mein allerletztes«, sagte Oma Luna.
»Das wirst du noch bereuen!«, sagte Luzian und streifte Maila mit einem so eisigen Blick, dass sie das Gefühl hatte, schockgefrostet zu werden. Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Laden. Oma Luna schoss hinter der Theke hervor und schloss hastig die Tür ab. Maila stellte fest, dass ihre Großmutter sehr bleich geworden war. Auch ihre karottenroten Locken waren auf einmal in sich zusammengefallen und hingen strähnig über ihre Schultern.
»Wer war denn das?«, fragte Maila mit schwacher Stimme. Der Schreck saß ihr noch in den Gliedern.
»Ein früherer Bekannter«, antwortete Oma Luna. »Luzian Morchelstiel. Wir haben zusammen an der Hexenakademie studiert, bis Luzian eines Tages dort rausgeflogen ist. Ich weiß bis heute nicht genau, was damals passiert ist. Niemand wollte darüber reden.« Sie fischte ein Gummiband aus ihrer Schürzentasche und band damit ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Luzian war ein kluger Kopf. Leider hat er sich der falschen Seite zugewandt. Aber jetzt lass uns das Thema wechseln. Bist du mit deinen Hausaufgaben fertig?«
Maila nickte.
»Dann kannst du mir vielleicht unten im Labor helfen«, sagte Oma Luna. »Gestern Nacht ist mir ein Rezept für einen neuen magischen Kräuterlikör eingefallen. Ich muss es unbedingt ausprobieren!«