Читать книгу The Chronicles of the Gods - Marry-Anne Idony Pepper - Страница 5

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Lichter. Gelb. Gleißend. Hell. Schnell. Stehend. Groß. Klein. Kurz. Lang. Massen. Fahren. Laufen. Gehen. Stopp. Schilder. Beton. Straße. Stein. Weg. Splitt. Staub. Sand. Meer. Ruhe. Dunkelheit. Rauschen. Plätschern. Zirpen. Schilf. Gras. Baum. Bäume. Wald. Lichtung. Reh. Ein. Schuss. Blut. Tod. Rot. Licht. Nackt. Haut. Geld. Braut. Tanz. Laut. Hacke. Beil. Fisch. Tisch. Stuhl. Messer. Gabel. Essen. Fleisch. Heiß. Weich. Weizen. Arm. Vegan. Reich. Scheiß. Menschen. Tiere. Mond. Stern. Welt. Weit. Raum. Schiff. Fern. Sehen. Musik. Spielen. Computer. Technik. Guckkasten. Bühne. Heim. Kino. Stadt. Land. Krankenwagen. Polizei. Feuerwehr. Brennen. Schrei. Hilfe. Angst. Geister. Stunde. Zeit. Uhr. Tickend. Außen. Innen. Vögel. Zwitschern. Sonne. Lichter. Strahlen. Scheppern. Wecker, Wecker, Wecker!

DRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRR!

Ich ließ meinen Arm unter der Decke hervorschnellen und schlug blitzartig zu. Erwischte knapp den Störenfried, der meine Träume störte. Doch ich war zu schwach und ließ meinen Arm schlapp hinabfallen. Ein helles »klong« ertönte und der Wecker gab unter dem Gewicht meiner Hand nach, fiel scheppernd zu Boden. Ich wälzte mich herum. Flauschig warm unter der Decke, so musste sich ein Schwein fühlen, dass sich im Schlamm aalt. Kurz erschlug mich ein Traum, ließ mich vergessen. Ich flog wie ein Vogel, unter mir sengende Hitze, Lava und Asche in der Luft. Dann Scheinwerfer, eine Schultafel. FUCK!

Ich sprang auf, wie eine Sprungfeder. Kämpfte mit der Bettdecke. Ich verlor den Halt, fiel mit halbem Körper von der Bettkante. Mein Gesicht drückte sich gegen den Boden, während ich versuchte, den Wecker zu ergreifen. Ich warf einen Blick auf die Zeiger der Uhr. Es war bereits halb sieben! HALB SIEBEN!

Erneut kämpfte ich. Irgendetwas hatte sich um mein Fußgelenk gewickelt. Ich kam nicht hoch, fiel wieder hin. Ein dumpfes Geräusch ließ den Boden vibrieren, ich küsste den Boden. Mein restlicher Körper wand sich aus dem Bett. Auf dem Boden angekommen verharrte ich, starrte hoch und kroch wie ein Wurm los, in der Hoffnung, dass ich mich so befreien könnte. Die Decke ließ nach und ich ergriff diesen Moment, um gegen das Stück Stoff zu gewinnen. Ich erhob mich, während ich mir meine Schlafhose und Unterwäsche von den Beinen rupfte, überzog meinen Kopf mit dem Schlafhemd und warf alles irgendwo hin. Dann ergriff ich die Klinke meines begehbaren Kleiderschrankes und öffnete die Tür. Ein kleines Stübchen, meiner würdig.

Ich ging hinein, suchte mir meine Kleidung und kam angezogen wieder heraus.

Heute trug ich etwas Einfaches: Eine weiße Bluse von Guess, eine dunkle Jeans von Armani und billige dunkle hohe Schuhe von Homers, schließlich ging ich in die Schule, und teure Schuhe zu tragen wäre eine Verschwendung gewesen.

Ich schloss den Kleiderschrank und machte einen Schritt zum Fenster rechts neben mir und aktivierte die Rollläden, die laut brummend nach oben fuhren. Ich drehte mich und ging gegenüber aus meiner Zimmertüre, um nach rechts in das danebenliegende Badezimmer zu wechseln.

Ich führe hier nicht näher aus, was alles in dem Badezimmer geschah, daher unterlasse ich Einzelheiten an diesem Punkt. Denn wichtig ist, dass ich in dem Badezimmer solange festsaß, bis mein Gesicht vollkommen perfektioniert war.

Das bedeutet: Schminke, die sich wie eine Maske über meine Haut legte. Lippen in der Farbe von zartem Rosé, ein geschwungener schwarzer Lidstrich auf jeder Seite der Augen und die blonden Haare streng zu einem Vogelnest gebunden. Angemessen, denn heute schrieben wir einen Spanischtest. Das richtige Auftreten war an jeden Anlass anzupassen und vor allem äußerst wichtig, denn die Erfolgreichen mussten sich auch entsprechend zu erkennen geben.

Viertel nach sieben, ich kam eigentlich zu spät aus dem Bad. Dennoch nahm ich die Treppe hinunter in das untere Stockwerk, machte mich auf in die Küche und nahm das von meiner Mutter vorgefertigte Frühstück aus dem Kühlschrank.

Alleine durch das streng kontrollierte Essen meiner Mutter konnte ich mein Gewicht von fünfundfünfzig Kilo bei einer Größe von einem Meter achtzig halten. Wieso sollte ich denn nicht den Wünschen meiner Mutter nachkommen?

Ich hinterfragte die Forderungen meiner Eltern nicht, denn dieses Leben war alles, was ich kannte und nicht nur erschien es mir so richtig, sondern auch normal. Alle anderen Normen oder Lebensweisen waren für mich grundsätzlich falsch. Leute, die sich nicht meiner Norm anpassten, erachtete ich als Schande für die Gesellschaft. Schlichtweg nicht zur Existenz berechtigt! Sie waren ein bedauerlicher Fehler!

Nach dem Frühstück zog ich mich wieder in mein Zimmer zurück und nahm meine große Gucci-Tasche vom Designerstuhl. In der Tasche befanden sich immer meine Schulsachen, die für den jeweiligen Wochentag benötigt wurden. Alle dazugehörigen Bücher befanden sich auf meinem Tablet. Digital. Wir leben ja hier nicht im Mittelalter!

Sowieso machte das die Tasche viel leichter zu tragen und weniger zu einem Problem für meine Schultern. Außerdem war sie von Gucci und sah darum auch noch gut aus, aber trotzdem war ICH das Highlight! Einfach alles verblasste neben mir!

Unten im Eingangsbereich kramte ich unter den Jacken meiner Familie meinen guten Armani-Mantel hervor. Von einem fragilen Glastisch hinter mir entwendete ich aus einer Glasschüssel Daddys Schlüssel für das Porsche-Cabrio. Er hatte sich vor zwei Jahren den Oldtimer gegönnt. Es war ein schicker Wagen, aufbereitet und eigentlich war es mir verboten, damit zu fahren. Doch meinen Vater sah ich so gut wie nie, er war die meiste Zeit bei der Arbeit oder auf Reisen und damit war ich auf der sicheren Seite, nicht dabei erwischt zu werden, solange ich den Tank immer brav auffüllte.

Draußen ging ich durch unseren mit dichtem Kies gefüllten Vorgarten. Jeder Schritt zu unseren Garagen knisterte. In einer der Garagen stieg ich in das Auto meines Vaters. Ich stellte meinen Bluetooth-Lautsprecher neben mir auf den Beifahrersitz und stöpselte meinen iPod an. Dann fuhr ich aus der Garage und unter den Klängen der neusten Charthits von der Einfahrt ab, raus auf die offene Straße.

Mein Fuß trat auf die Bremse, die daraufhin einen sehr lauten, quietschenden Ton von sich gab. Dann kam das Fahrzeug zum Stehen und ich stieg aus dem Auto, schloss ab und überquerte die Straße. Ich hatte in einer Seitenstraße gegenüber von meiner Schule geparkt. Genau diesen Platz, an dem Papas Auto thronte, mochte ich am liebsten. Die Parkplätze vor der Schule waren mit losen Kieselsteinen aufgefüllt und ich wollte nicht riskieren, den Lack zu zerkratzen.

Viertel vor acht. Ich hastete elegant auf die andere Seite der Straße und währenddessen vermehrten sich die Autos wie Karnickel. Innerhalb kürzester Zeit herrschten blanke Naturgesetze auf der Schulstraße. Affen, die am Steuer ihres jeweiligen Wagens versuchten, dem jeweils anderen klar zu machen, dass alleine er selbst im Recht war. Ungebändigte Kinder, die überall achtlos vor die Autos liefen und Fahrradfahrer, die Autos überholten und sich wie Schlangen durch den Metallwald schlängelten, nur um schneller zu sein. Ich kam jeden Morgen drei Minuten früher her, um diese Verkehrsanarchie bewundern zu können.

Aber recht schnell verlagerte sich meine Aufmerksamkeit, ich fokussierte mich wieder auf das Wesentliche und drückte mich gegen die schwere gelbe Eingangstüre unseres öffentlichen Gymnasiums. Ich ging hindurch und stieg dann die Treppen hoch in den nächsten Stock. Meine Eltern hatten gedacht, dass es gut für meine Moral sei, mich an eine öffentliche Schule zu schicken. Doch bis jetzt lernte ich keine Moral, sondern nur, dass alle an meinen Lippen klebten und ich das bekam, was ich verdiente: Aufmerksamkeit und Bewunderung!

Oben im zweiten Stock begab ich mich zu dem Raum, in dem wir heute unseren Spanischtest schreiben würden und auf den ich absolut bestens vorbereitet war.

Schließlich hatte ich immer Eins-a-Noten und wollte es dabei belassen. Natürlich war ich die Erste, die vor der Türe kampierte. Ich sah kurz auf meine goldene Uhr. Denn bereits zwei meiner engsten Nacheiferer ‒ oder auch „Freunde“ ‒ tauchten vor mir auf. Ich bewunderte zwar ihren Ehrgeiz, doch ihnen fehlte eindeutig etwas Bestimmtes, um meinen Ansprüchen gerecht zu werden: Geld und mein gutes Aussehen!

»Können wir bei dir abschreiben?«, rief mir Susi entgegen, eine meiner Bewunderer. Eine Bitte, der ich gerne nicht nachging!

»Nein!«, rief ich entsetzt. Wer nicht lernt, ist selber schuld.

Susi war vorlauter als ihre Begleiterin Yvonne, sie hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und sich mit ihrem billigen Make-up einen makellosen Teint gemeißelt.

»Och Menno … «, gab Susi zurück und zog an Yvonnes Unterarm.

Yvonne war größer als Susi, sogar ein wenig größer als ich selbst. Sie hatte die braunen Haare zu einem wilden Nest hochgesteckt aus dem mehrere Haarfetzen baumelten.. Sie trug viel zu viel Schmuck und war, wie Susi, durch ihre billig Make-up Tuben, mit einem makellosen Teint gesegnet.

Susi zog Yvonne an der Bluse herum, hinüber zu „Ente“ Emma, einer abartigen Gestalt, die auf dem Boden hockte. Sie erinnerte mich mit ihrer Matte schwer an ein Schaf, das man seit Jahren nicht geschoren hatte.

„Ente“ war im Übrigen ein netter Spitzname, den ich mir für sie ausgedacht und an der Schule in Umlauf gebracht hatte. Das hässliche Entlein trug keine „guten“ Klamotten und erinnerte mich immer an einen Penner auf der Straße. Emma schien ihre Kleidung nicht einmal farblich abzustimmen. Wenn man sie mit allen möglichen und unmöglichen Farben sah, hätte man sie auch genauso gut als Öko-Tante bezeichnen können. Ihre Haare waren ungebändigt, sodass ihr krauses, dickes Haarkleid durch die Gegend spross. Ihre Akne war eine Beleidigung für jeden in ihrer Umgebung und ihre Brille hatte dicke Milchgläser. Grottig. Wie konnte sie überhaupt etwas sehen?

Ihre ganze Person war für mich ein Schandfleck in der Gesellschaft und ich konnte sie kaum ertragen. Doch sie lief uns immer hinterher, wie eine Glucke oder ein Ein-Frau-Fanclub, und das, obwohl keines von uns anderen Mädchen je eine Gelegenheit verpasste, sie zu demütigen.

»Emma, wir schreiben bei dir ab«, legte Susi einfach fest und Yvonne beugte sich beinahe bedrohlich zu Emma hinab.

»Ihr wollt bei Ente abschreiben?«, mir entwich ein kurzes verächtliches Lachen.

»Ja, das wird schon gehen«, bestätigte Yvonne.

Yvonne war etwas seltsam, sie benahm sich wie eine Lady, aber ihre Stimme war dunkel und bedrohlich. Emma zuckte lediglich ignorant mit den Schultern und schaute weiter wie ein schüchternes Schäfchen zu Boden.

Wo zuvor nur vereinzelt Schüler im Gang gestanden hatten, strömten genau in jenem Moment mehrere Menschen in den Flur, und prompt läutete die Glocke. Daraufhin wurde den Lehrern der Weg geebnet. Der Unterricht wurde eingeleitet, als unsere Spanischlehrerin ‒ ein regelrechtes Miststück von etwa Ende zwanzig ‒ uns die Klassentüre öffnete.

Alle drängelten sich wie Hühner in der Massenzucht durch den Türrahmen. Als könnten sie die Stunden, in denen sie mit Wissen gefüttert wurden, nicht abwarten. Ich war die Erste, die hindurchglitt, und setzte mich an meinen Stammplatz: ganz vorne. Dort war ich sicher vor Ablenkungen und wurde somit für dieses Miststück von Lehrerin zu einem Musterbeispiel von einer Schülerin.

Emma setzte sich nach ganz hinten in die letzte Reihe, dicht gefolgt von Susi und Yvonne, die wie angekündigt bei ihr abschreiben wollten. Als die wilde Horde saß, und wir waren zu viele, um auseinandergesetzt zu werden, verteilte unsere strenge ‒ für mich ziemlich abartige ‒ Lehrerin die Testbögen. Vorbildlich, sie hatte doch tatsächlich einen Vokabeltest vorgefertigt. Er bestand aus zehn deutschen und spanischen Wörtern, die in die jeweils andere Sprache übersetzt werden sollten, zusätzlich aus einem Lückentext und einer kurzen Grammatikaufgabe bestehend aus einem Lückentext. Dafür hatten wir genau zwanzig kostbare Minuten Zeit. Unsere Lehrerin betonte, dass dies eine ebenso große Verschwendung sei, wie absolut jede Weitergabe von Wissen an uns armselige Geschöpfe.

Ohne mich um die Anderen zu kümmern, kritzelte ich wie eine Irre drauf los, als sei dieser Test ein Wettrennen. Hinter mir vernahm ich, neben dem Geschreibe der anderen Mitschüler, ein leises Kichern. Als ich gerade meine letzten Wörter schrieb, passierte alles Schlag auf Schlag.

»EMMA!«, brüllte die Lehrerin angepisst und ließ ein Papierrauschen durch das Zimmer schallen. Sie hatte Emma das Blatt unter der Nase weggerissen.

»Das hätte ich von DIR nicht gedacht!«, rief sie vorwurfsvoll.

Emma war mit guten Zeugnissen gesegnet, die recht nah an die Zeugnisse der Stufenbesten – also meiner – herankamen, aber anscheinend hatte das in jenem Moment kein Gewicht. Natürlich nicht!

Für Emma war der Test zu Ende, sie kassierte eine Sechs, während Susi und Yvonne nur darüber kurz lachten und dennoch mit einer knappen mittleren Note davonkommen würden. In diesem Moment drehte ich mich nicht zu dem Schauspiel um, dafür aber all die anderen Gaffer im Klassenraum. Ich blieb konzentriert, kam aber nicht daran vorbei mitzuhören, denn das konnte man nicht ignorieren. Die Szene zerfloss in meinem Kopf wie Butter in einer Pfanne, es breitete sich ein Genuss aus, den man mit einer Art inneren Gänsehaut vergleichen könnte. Es war Befriedigung. Allein bei der Vorstellung, wie Emmas Gesicht dabei jegliche Farbe verlieren musste ‒ auch wenn es da nicht mehr viel zu verlieren gab ‒, ließ mich den Test mit mehr Freude beenden, als es zuvor möglich gewesen wäre. Denn eines stand definitiv fest: Emma hatte diese Strafe ganz eindeutig verdient.

In der Pause – die ich als Zeitverschwendung empfand – kamen die Mädchen unserer Stufe, die versuchten mir nachzueifern, in einer kleinen Gruppe zusammen. Susi und Yvonne waren auch darunter und aßen gemeinsam ihre Brote und was sie sonst so dabeihatten. Ich hingegen aß in der Schule nie etwas.

Alles was ich brauchte, war genug zu trinken.

Statt nur zu essen, nutzten wir die Pause, um in den neuesten Zeitschriften zu blättern, die aktuellen Modetrends anzuschmachten oder über die Probleme der anderen zu diskutieren. Einige der Mädchen, die auch zu meinen Freunden zählten, redeten gerade über einen Sex-Artikel in der Glamour. Mein Interesse an Sex war eher mäßig, deshalb verzog ich mich in jenem Moment ganz schweigsam. Musste ja nicht jeder wissen, dass ich hinter Leon her war.

Ich schlenderte gelassen vom Schulhof und ging auf den nahegelegenen Parkplatz, der zum angrenzenden Schwimmbad gehörte. Dort stand Leon in seiner Rauchergruppe, darunter auch ein paar schäbig gekleidete Mädchen. Leon gab sich mit diesen Leuten nun mal ab, auch wenn ich wusste, dass er aus einem höher gestellten Haushalt stammte. Zwar war sein Vater nicht so gut bezahlt wie meiner, aber trotzdem reichte es, um ihn meinem Stand zuzuordnen. Vorübergehend und ausschließlich als Übungsobjekt sollte er genügen.

Leon war erst seit einem Jahr auf unserer Schule und eigentlich hegte ich noch nie ein sonderlich großes Interesse am anderen Geschlecht., wenn man bedachte, was für Idioten hier so herumliefen. Leon sah gut aus, was bereits sein Potenzial steigerte, benahm sich jedoch widerlich, was sein Potenzial wieder senkte. Eigentlich sprach vieles gegen ihn und ich könnte sagen, dass ich ihn trotz alledem für meine große Liebe hielt. Jedoch stimmte das absolut nicht.

Aufregung und damit verbundenes Herzklopfen?

Nicht im Geringsten.

Liebe?

Nein.

Aber die Tatsache, dass Emma in ihn verliebt war?

Einfach grandios!

Noch nie hatte ich mich so gefreut, etwas Delikates herausgefunden zu haben wie darüber, dass Emma in Leon verliebt war. Für eine alte Tasche von Gucci hatte ich ihre beste Freundin Stella zum Reden gebracht. Was ist schon eine Gucci Tasche im Vergleich zu solch famosen Auskünften?

Ich hatte die Information benötigt, um die lästige Klette endlich loszuwerden, denn egal, wo wir hingingen, Emma war nicht weit. Ich konnte diese abnormale Gestalt nicht mehr ertragen.

Ich begrüßte Leon und die anderen freundlich, denn ich hatte lange gebraucht, um mich in diese Gruppe einzuschleichen. Ich nahm mir sogar eine meiner Zigaretten heraus, um ein wenig daran zu ziehen. Ich versuchte den Pegel unten zu halten und seit einiger Zeit wieder vom Nikotin wegzukommen. Schwerer als man denkt …

Lange hatte es gebraucht, aber jetzt war ich mit jedem hier befreundet und hörte mir sogar die Probleme der Mädchen an, obwohl es für mich eine einzige Qual war. Doch nichts bereitete mir mehr Freude, als dieses Gefühl, endlich in Emmas leidendes Gesicht blicken zu können.

Leon und ich sprachen auch ab und zu miteinander, und dann kam jener Moment, auf den ich so lange hingearbeitet hatte. Viele seiner Muskeln hatte ich sanft berühren und loben müssen. Oft hatte ich meine Haare zurückwerfen und mit den Augen dumm klimpern müssen. Beinahe jeden Tag hatte ich die Leute ertragen müssen. Doch endlich war es so weit:

»Kannst du mir morgen nach der Schule in Mathe helfen?«, flüsterte er mir ein wenig verstohlen zu.

Ich willigte ein. Mathe war ja schließlich ein Codewort für ein Date, denn wer brauchte schon Hilfe in Mathe?

Natürlich könnte ich euch jetzt mit meinem tollen Leben in meiner Villa nerven. Groß erzählen, wie ich meinen Tag so verbringe. Größtenteils bin ich aber in der Schule oder nehme meine vielen außerschulischen Aktivitäten wahr, wie etwa Reiten, Synchronschwimmen, Cellounterricht, Klavierunterricht, Kunstunterricht und meine Arbeit als Model.

Ich könnte euch natürlich ebenso von meinen geheimen Vorlieben erzählen, darunter das nächtliche Lesen von Mangas. Doch lassen wir Einzelheiten lieber achtlos links liegen.

Alles was ihr Wissen müsst: Jeder Tag war genauso wie der andere. Vollgepackt. Ich hatte zwischen Schule und Freizeitaktivität genau zwei Stunden, die ich nicht mit Essen verschwendete. In der Zeit kümmerte ich mich um zu erledigende Hausaufgaben oder nahm Gelegenheiten, wie diese eine mit Leon, wahr. Und wenn der Tag dann zu Ende ging, ich ‒ neben dem Üben für meine Hobbys, dem Lernen und den Hausaufgaben ‒ noch ein wenig Zeit für mich selber hatte, dann ging das Ganze auch schon wieder von vorne los. Bei diesen Abläufen sah ich die anderen Familienmitglieder, darunter meinen Bruder und meinen Vater, nur an den Wochenenden, meine Mutter manchmal abends ab sechs Uhr, wenn sie von der Arbeit heimkam. Doch diese Routine war verglichen mit dem Date, das ich mit Leon haben würde, schlichtweg irrelevant. Spulen wir also vor:

Wecker. Aufstehen. Anziehen. Essen. Badezimmer. Make-up. Frisieren. Schreibtisch. Tasche. Schulsachen. Check. Schuhe. Vergessen. Schon so spät? Runtergehen. Flur. Garderobe. Mantel, Jacke, Collegejacke, Parka, Trenchcoat? Scheiße, wie viel Uhr? Egal. Jacke. Khujo. Schlüssel packen. Muss noch tanken. Tanken. Schule. Chaos. Menschen. Kinder. Raucher. Auto. Fahrrad. Roller. Eile. Schneller. Erste Stunde. Zweite. Dritte. Pause. Laut. Essen. Reden. Mädchen. Kram. Zeug. Leon. Reden. Einladungen. Geburtstage. Geburtstage? Stopp!

Ich erhielt an diesem Tag sogar zwei Einladungen.

Eine von Leon. Peinlich, denn ich wusste gar nicht, dass er diesen Monat Geburtstag hatte, und das, obwohl ich dachte, ich hätte mich bestens über ihn informiert!

Die andere Einladung kam von einer Freundin aus meiner Clique. Sie hieß Mindy und war ein echtes Großmaul. Wenn sie etwas sagte, wusste man, dass in ihrem Mund ein Haufen Scheiße zeltete, wodurch sie die abartigsten Wörter nur so aus sich heraussprudeln ließ. Sie sprach nicht richtig, sondern mit einem schrecklichen Gossenslang. Ausdrücke wie: „Ey“, „Jo“ und „Nä, ne?“, fanden sich zusammenhangslos in, vor und am Ende jedes Satzes wieder. Eine einzige Katastrophe, aber ich gab mich mit ihr ab, denn die anderen Mädchen wurden alleine durch ihr korpulentes Erscheinungsbild aufgewertet.

Mindy und Leon tuschelten miteinander über ihre Geburtstage, obwohl wir zusammen in der Gruppe standen. Beinahe so, als hätten sie etwas zu verheimlichen. Ich beäugte die beiden misstrauisch, aber nur ab und an. Solange, bis sie dann verkündeten, dass ihre Geburtstage an unterschiedlichen Tagen stattfinden würden, was aber offenkundig war, denn das stand auch auf den Einladungskarten.

Nun, mir sollte das egal sein, ich hatte keinen Anlass, mich groß in etwas reinzusteigern, schließlich gab es eine andere wertvolle Tatsache, die ich feierte. Ich konnte mir Leon endgültig schnappen und auf den beiden Partys ein eindeutiges Foto ergattern, mit dem ich Emma in die Schranken verweisen konnte. Wenn ich auch nur ein Bild bekäme, könnte ich es entweder auf Facebook, Twitter und Instagram posten oder direkt an Emma per WhatsApp schicken oder wieso nicht gleich in ausgedruckter Form per Post?

Dann konnte Emma sich das Bild einrahmen, um nicht zu vergessen von wem sie sich besser fern halten sollte.

Das wäre dann wohl der schönste und bisher beste Tag meines Lebens!

Ich ergötzte mich an dem Gedanken und strahlte bis zum Ende des Schulunterrichts in einem durch. Vielleicht konnte ich bereits heute meinen Triumph feiern!

Doch … als wir uns zum Mathe Lernen trafen, „zwinker“ … „zwinker“ … Haha … als wir uns also zum Mathe Lernen im Aufenthaltsraum unserer Stufe trafen …

da … lernten wir tatsächlich MATHE!

Leon war eine totale Niete in Mathe! Ein echter Idiot!

Er war gut in Deutsch und Englisch, Geschichte liebte er am meisten. Doch MATHE! Er verstand rein gar nichts! Selbst die Formeln im Buch, die man eigentlich nur stupide austauschen musste, kapierte er nicht!

Ich musste ihm alles von vorne bis hinten erklären und zwischen uns gab es keine einzige Annäherung. Von ihm kam nichts und von mir kam am Anfang ein wenig, bis ich Schwerbehinderte endlich begriff, dass er wirklich, tatsächlich und ohne Scheiß Mathe lernen wollte.

Also lernten wir mit meinem netten, freundlichen, meist geduldigen Ego Mathe. Doch diesem Ego riss nach zwei Stunden der Geduldsfaden. Außerdem musste ich sowieso gehen. Aber als ich dann im Auto saß, hämmerte ich erst mal erschöpft meinen Kopf gegen das Lenkrad. SO EIN TOTAL BESCHISSENER... HEH ARSCHLOCH!

Mittwoch. Die Mitte der Woche. Der Tag, an dem die fünf Tage Arbeit in der Woche beinahe zu Ende sind. Der Tag, an dem der Pegel der Motivation langsam wieder absinkt. Mittwoch. Ein Tag, der für viele so viel mehr als ein Tag ist. Ein Tag, der sich von allen abhebt. Ein Tag zwischen Montag und Freitag. Steht nach Dienstag und vor Donnerstag. Ein Tag: der Mittwoch. Ein guter Tag. Ein schöner Tag. Denn bald ist Freitag und Freitag setzt sich aus »frei« und »Tag« zusammen. Dann ist tatsächlich frei, jedenfalls ab der Hälfte des Tages. Dann, wenn die Kinder kein bisschen oder ein bisschen früher von der Schule nach Hause dürfen. Der Mittwoch ist der Anfang. Ein Meilenstein auf dem Weg hin zu diesem einen Tag: Freitag. Freitag, ein Tag an dem für mich die erste Stufe zu meinem Plan erklommen werden konnte: Emma loswerden. Emma psychisch fertigmachen. Sie zumindest in eine Starre zu versetzen und vielleicht ihren Hass auf mich zu entfachen. Nie wieder Emma! Ha! Vielleicht wechselte sie sogar die Schule! Das wäre ein Traum!

Wie immer fand ich mich in den Pausen bei Leon wieder, wir redeten noch mal über Mathe und auch über einige andere Dinge. Da ich bei der Planung für Mindys Geburtstagsgeschenk mithelfen wollte, verabschiedete ich mich früher. Ich drückte jeden, auch Leon, für den ich noch einmal ein bisschen die Haare zurückwarf, damit er meinen Ausschnitt besser bewundern konnte. Dann verließ ich die Gruppe und machte mich auf den Weg zurück zu meinen Leuten. Ich wollte gerade auf den Schulhof gehen, als mir Emma kerzengerade und mit wütendem Gesicht entgegentrat.

Sie packte blitzschnell meinen linken Oberarm und krallte sich wie eine Katze darin fest.

»Was soll das werden!?«, fauchte sie.

Sie starrte mich durch ihre dicken Milchgläser böse an. Beinahe wie ein Dämon. Aber ich blieb freundlich und gelassen, denn Angst vor der da hatte ich sicherlich nicht. Eine graue Maus, die kaum den Mund aufmachte und herumlief wie eine Vogelscheuche.

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, antwortete ich leicht lächelnd und starrte sie mit großen bedrohlichen Augen an. So standen wir uns gegenüber wie zwei Raubkatzen, die bei der jeweils anderen eine Pfote ins Revier gesetzt hatten. Wir schienen uns mit den Augen anzufauchen und die Krallen auszufahren, bei Emma war Letzteres wohl wörtlich zu nehmen.

Ich riss meinen Arm von ihren Nägeln los.

»Egal was du tust, Leon gehört mir!«, raunte Emma düster und unheilvoll. Das war eine unbekannte Seite an ihr, eine, die mich kurz frösteln ließ. Doch ich ignorierte das Kind schließlich und setzte meinen Weg, mir nichts anmerken lassend, fort. Man war das gruselig gewesen!

Die Gerüchteküche brodelte. Wie ein Feuer züngelten die Gerüchte um sich. Ich hatte kurz nach dem Vorfall Susi davon erzählt und wie ein Hund kläffte sie die Information weiter. Ich hatte sie um Stillschweigen gebeten, doch das war lediglich eine Masche, denn ich wusste, dass Susi das meist nicht tat, wenn man sie aufforderte zu schweigen. Sie war jemand, der die umgekehrte Logik beherrschte. Wenn etwas verschwiegen werden sollte, dann schien es wichtig und musste rumerzählt werden. Wenn aber etwas ausgesprochen werden durfte, schien es für Susi äußerst uninteressant, sodass sie kaum zuhörte und es so oder so für sich behalten würde – interessierte ja keine Sau!

In diesem Fall bewährte sich Susis Idiotie und verursachte, dass Emma fortan wie eine Aussätzige behandelt wurde. Bereits am Donnerstag kamen die ersten Reaktionen. Wenn sie über den Flur der Oberschüler ging, erntete sie abweisende Blicke und hinter ihrem Rücken wurde getuschelt. „Die Verrückte“, nannte man sie ab jetzt. Die Jungs veranstalteten irgendwelche albernen Bewegungen hinter ihr, taten so, als würden sie sie vögeln, um auf dürftige Art und Weise mit anderen des gleichen Geschlechts über weite Entfernungen hin zu kommunizieren.

Emma aber schien das ganze Gehabe nicht zu kümmern, vielleicht bemerkte sie es nicht einmal. Sie drehte sich manchmal stirnrunzelnd um, konnte aber dann nichts entdecken.

Trotzdem saß sie meistens in unserer Nähe auf dem Boden. Das hatte sie also nicht von uns fernhalten können. Sie versteckte sich weiter hinter den Milchgläsern und ihren dicken zerzausten Haaren, knabberte dabei nervös an ihren Fingernägeln.

Ich beäugte sie mit Misstrauen, denn diese irre Schnepfe war garantiert zu allem fähig!

Vielleicht würde sie mich hinterrücks attackieren und mit einem Mal fest in ihrem Griff haben, um mich von ihrem heiß geliebten Idioten fernzuhalten. Ihr konnte man nicht trauen, schon alleine, welche Kleidung sie wieder anhatte! Was war das bloß für eine Gestalt!? Es war mir unbegreiflich, hatten denn selbst ihre Eltern keinen Anstand? Dass sie das Kind so aus dem Haus gehen ließen! Was waren das für Leute!?

Als unser Geschichtslehrer auftauchte, hörte ich auf, mich wie eine Verfolgte nach ihr umzusehen. Der Geschichtslehrer war ein alter kleiner Mann mit Halbglatze, dicken wulstigen Lippen und ebenso dicken Wurstfingern. Doch ansonsten war er hager. Er hatte tiefe Raucherfalten unter den Augen, ganz dick und braun. Die Sommersprossen verteilten sich in seinem Gesicht, mischten sich mit großen Altersflecken und einer dicken schwarzen Warze über der linken buschigen Augenbraue. Ein schmieriger Typ, der immer einen langen, dünnen braunen Mantel trug – egal zu welcher Jahreszeit. Das war, als würde er jedes Mal so tun, als sei er Indiana Jones. Wenn er dann auch noch an Montagen und Freitagen seinen 20er Jahre Hut auspackte – braun, rund und mit zwei schmalen Einbuchtungen an der Hutvorderseite, ein echter Tribly –, dann toppte er das Ganze mit einer Begrüßung, indem er den Hut nur leicht anhob und dabei den Kopf kurz senkte. Er hatte sich eine starke Fehlhaltung angeeignet und sein Rücken bog sich in Schulternähe, was es so wirken ließ, als würden seine Schultern bald den Boden küssen. Sein Kopf lugte zwischen den Schultern hervor, er wirkte wie eine Schildkröte die einen Panzer spazieren führte, zusammen mit einem schweren alten Aktenkoffer neben sich.

Er ging leicht verwirrt seinen Schlüsselbund durch, bis er meinte, den richtigen Schlüssel gefunden zu haben. Sein langer brauner Mantel trug den typischen Alte-Leute-Duft in meine Nase. Ich musste ein wenig den Kopf zur Seite drehen. Ekelhaft!

»Ja, wo hab ich ihn denn nur?«, fragte er von seiner eigenen Altersverwirrtheit leicht belustigt und versuchte den nächsten Schlüssel.

Ich ertrug den Geruch nicht mehr länger und wich ein wenig zurück.

»Jetzt! Hab ich dich!«, rief er leise und öffnete die Türe mit einem ermahnenden »Lasst den alten Mann zuerst durch, ihr habt noch genug Zeit!«

Als er bei seinem Lehrerpult angekommen war, winkte er uns zu und ließ uns rein. Es brach ein erbitterter Kampf zwischen drei Klassenkameraden aus, die sich zugleich durch den Türrahmen quetschten. Ein Vierter stieß von hinten dazu und die ganze Gruppe stolperte in den Unterrichtsraum. Dann schienen sie sich um die Sitzplätze ganz hinten zu prügeln. Emma betrat als Letzte den Raum und fand hinten keinen Platz mehr. Sie setzte sich neben mich! NEBEN MICH!

Ich ließ sie gewähren, denn mir blieb nichts anderes übrig. Ich schaute dem Lehrer zu, wie er langsam redend und mit zittriger Hand an die Tafel schrieb. Seinen gekrakelten Schwachsinn konnten nur drei Leute im Raum lesen, und eine davon war nicht ich, sondern Susi, die selber eine Sauklaue hatte. Wenn ich sie schreiben sah, wollte ich ihr Blatt meist sofort zerreißen und das auch nur aus reiner Wut. Wie konnte ein Mädchen so schreiben?

Emma war auch keine von den Leuten, die seine Schrift lesen konnte, also mussten wir anderen das Gesagte aufnehmen und direkt mitschreiben. Ich konzentrierte mich auf meine Arbeit, und auch Emma schien ab und zu mal zwei, drei Sätze aufzuschreiben. Ansonsten saß sie desinteressiert herum und schien nicht großartig das Bedürfnisse zu besitzen, ihre Noten zu puschen oder einen guten Abschluss zu bekommen. Das regte mich noch mehr auf als die Tatsache, dass sie sowieso schon wie ein Haufen Scheiße aussah!

»Gut, schlagt Eure Bücher auf Seite zweihundertsechzehn auf.«

Wie Gläubige in der Kirche, die sich auf Befehl des Pfarrers hinknieten, schlugen wir unsere Geschichtsbücher auf. Ich nutzte mein Tablet. Doch auch in unserem Kurs gab es jene, die natürlich ihr Buch vergessen hatten oder Geschichte als bescheuert empfanden. In den hinteren Bänken riefen einige wie wild durcheinander.

»Ich hab mein Buch vergessen! Kann ich gehen?« Der Vogel, der so lauthals nach Freiheit kreischte, hieß Mark. Mark war ein richtiger Vollidiot und hatte absolut kein Interesse daran, am Unterricht teilzunehmen. Mark war Raucher. Mark war mit Leon befreundet und Mark hatte eine mit Akne überzogene Hackfresse. Seine Haare sahen aus, als hätte er sie von einem spanischen Straßenhund geklaut und seine Kleidung roch komplett nach Aschenbecher. Man wollte nicht neben ihm sitzen, es sei denn, man war selbst Raucher und hatte eine Nase, die durch das viele Rauchen nicht mehr dazu im Stande war, noch irgendetwas zu riechen. Ja, das war Mark. Einer, der den Unterricht immer störte und schon sehr viele Abmahnungen bekommen hatte. Aber das war auch der Mark, dessen Eltern Geld hatten, und dessen Vater kaufte ihm laut Gerüchteküche, immer wieder den Arsch frei.

»Dann schau bei deinem Nachbarn rein«, antwortete Herr Wachsler, der Geschichtslehrer leicht genervt.

»Der hat sein Buch auch vergessen!«, rief Mark oberschlau.

»Herrgott! Ihr seid unmöglich! Sucht euch jemanden, der eins hat, und nervt mich nicht! Ich werde euch trotzdem drannehmen! Selbst wenn ihr euer Buch vergessen habt oder sonst was! Sitzen bleiben!«

»Aber ich muss auf die Toilette!«, schrie ein Schüler, der nahe der Türe saß.

»Sitzen bleiben! Grade war Pause! Konntest du nicht dann gehen?«

»Aber da musste ich noch nicht!«, protestierte der Schüler.

»Dann musst du auch jetzt nicht!«, gab Herr Wachsler zurück und ging einfach zu den Hausaufgaben über.

»Herr Wachsler!«, rief Mark wieder. »Mein Hund hat auf meine Hausaufgaben gepinkelt. Ist noch ein Welpe. Aber ich hab versucht, sie trocken zu bekommen.«

»Mark Bender, willst du mich aufs Korn nehmen?«, knurrte Herr Wachsler.

»Nein, ehrlich nicht!«, Mark packte tatsächlich Blätter aus, vier Seiten, um genau zu sein.

Herr Wachsler sah sie sich kurz an, dann jaulte er stinksauer auf. »Was soll das denn sein!?«

»Na, meine Analyse«, gab Mark triumphierend zurück.

»Die riecht wie alte Socken vom Pfarrer!«

»Wie gesagt, mein Welpe hat…«

»Neu oder Sechs …«, unterbrach ihn Herr Wachsler und notierte, dass Mark seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. »Also Hausaufgaben nicht gemacht, tja, tststs, Mark. Das ist schon das dritte Mal. Der dritte Strich. Tja, Strafarbeit!«

»Boah ey!«, knurrte Mark den alten Herrn an. Alle blieben still und warteten schon darauf, dass Mark gleich einen seiner berühmten Ausraster bekommen würde.

»Selber Schuld«, gab Herr Wachsler kopfschüttelnd zurück und führte seine Runde fort.

Ich hatte meine Hausaufgaben natürlich.

»Gut, heute fangen wir mit einem neuen Thema an«, Oh Gott, ätzend, dachte ich, »worüber wir auch eine lange und ausführliche Klausur schreiben werden.« Zum Kotzen …

»Nationalsozialismus! Also fangen wir doch mit dem ersten 01. April 1930 bis 1933 an!«

Nicht schon wieder. Ich konnte es kaum noch hören. Krieg war schon immer ein Problem. Durchaus ein wichtiges Thema, aber musste man das echt in JEDEM Schuljahr durchkauen? Es erinnerte mich daran, dass Krieg immer bedeutete, dass am Ende irgendeiner der Geier und irgendeiner nur noch der Kadaver war. Tierische Instinkte werden geweckt, die Beute von Größeren erlegt. Sie fressen sich satt und überlassen so den Geiern das Schlachtfeld. Am Ende sollen die Knochen blank und kahl sein. Kriege sind gefährlich. Kriege bedeuten Tod, Leid, Zerstörung. Wir haben kaum noch ein Bewusstsein dafür. Die Gefahr ist stets da, wieder in den Bann des Terrors gezogen zu werden. So wie etliche Reiche vor uns. Ich hätte gerne mehr über ältere Geschichte gesprochen. Im Unterricht nahm man jedes Jahr nur die letzten dreihundert Jahre durch, bei wem es anders war, der hatte Glück. Ich hingegen hatte aus irgendeinem Grund jedes Jahr Napoleon, dann Nationalsozialismus, oder Französische Revolution und wieder Nationalsozialismus auf dem Unterrichtsplan. Die Ereignisse lagen nicht einmal beieinander. Entweder unser Lehrer wurde senil oder wir.

»Esmeh Walker! Hallo!« Herr Wachsler rief in meine geistige Abwesenheit meinen Namen und ich schreckte hoch, als mich Emma ‒ IGITT! ‒ am Arm anstieß.

»Wieder da? Sehen Sie das auch so wie Frau Fuchs?«

Oh, Shit, Emma heißt Fuchs, wieso muss der auch die Nachnamen benutzen? Scheiße … was hatte sie gesagt?

»Nein«, sprudelte ich hervor, weil ich nicht wusste, worum es ging, und zu langes Warten verursachen konnte, dass es tatsächlich so wirkte, als wüsste ich nicht, was vor sich ging – und das machte gar keinen guten Eindruck für eine Eins-a-Schülerin!

»So, da hören Sie es, Frau Fuchs! Frau Walker denkt, dass der Nationalsozialismus ein wichtiges Thema ist! Aber da sind Sie und ich wohl die Einzigen«, sagte er in meine Richtung, und erst jetzt bemerkte ich, dass einige Hände oben waren und es wohl eine Abstimmung gegeben hatte. Ich war leicht perplex, verdammt … VERDAMMT!

Wir drehten uns im Kreis. Drehten und drehten und drehten uns, bis nichts mehr von uns übrig blieb. Manche werden gefeiert, noch weit über ihren Tod hinaus, und viele in der modernen Welt streben nach einem solchen Ruhm. Doch die Moderne lässt ein solches Herausragen nicht zu. Nicht im Licht der Weisheit oder der Kunst. Höchstens als Schande der Gesellschaft oder als ruhmreicher Schauspieler oder Sänger (denn ganz ehrlich, alles andere geschieht eher selten). Das sind die Adligen der heutigen Zeit. Fernsehen, Kino und Musik kennt jeder, und jene, die keine Filme gucken oder keine Musik hören (Letzteres erscheint aber beinahe so unwahrscheinlich, wie dass Gott leibhaftig vor uns treten würde), gibt es zwar auch, doch diese zählen zu einer erstaunlichen Minderheit in unserer Gesellschaft … und selbst die haben irgendwann sicher schon mal einen Film gesehen. Also drehen sich die »normalen« Menschen permanent im Kreis. Jene, die glauben, man müsste sich ständig wie eine Rampensau überall präsentieren, weil man nur so ans Geld kommt, sind meistens auch jene, die eine gesellschaftliche Blamage darstellen. Es ist natürlich allgemein bekannt, dass Menschen, die in der Forschung etc. neue Erkenntnisse und Studien hervor- und in anderen Gebieten die Spezies Mensch weiterbringen, auch gut Geld verdienten und Anerkennung bekommen, doch vielen ist bewusst, dass so etwas nicht reicht, und sie hätten gerne genauso Milliarden von Dollar, Euro, was auch immer wie J. K. Rowling, Brad Pitt, Angelina Jolie, Zuckerberg, Trump, Kanye West und all die anderen Berühmtheiten.

Genau so jemand, eine Rampensau, die alles tat und sich sogar blamierte, wenn es sein musste, war Mindy. Rampensau, Großmaul und absolut schrecklich gekleidet. Die Hose vom Grabbeltisch und die Oberteile vom Billigladen. Die Haare zerzaust und oft äußerst fettig. Ich verspürte das Bedürfnis, ihre Haare abzuernten und das gewonnene Fett als Seifenbasis zu nutzen. Igitt!

Bei diesem widerwärtigen Gedanken lief mir jedes Mal ein Schauer über den Rücken.

»Ey, das wird riiiiiichtig klassäää morgen, Leudee!«, schrie sie über den gesamten Schulhof, wodurch sich sehr viele nach ihr und auch uns umblickten und sie wie ein Affe losjaulte: »Whooouu! Whuuuuuu!« Dabei hüpfte sie mit einer hoch erhobenen Hand hin und her. Sie hatte sogar eine komische bunte, lange Perlenkette an, als wäre morgen schon die Abschlussparty.

Ich erwiderte nichts. Zwar sah ich gut aus und hatte umwerfende Noten und einen sehr hohen Beliebtheitsgrad, doch jeder wusste, dass ich Stil und Klasse besaß und so etwas nicht von mir gab. Ich hatte schon gehört, dass man mich auch gerne als hochnäsig und herablassend, sowie arrogant bezeichnete, doch diese Worte hörte ich lediglich von neidischen Schülern. Die Lehrer waren immer alle hin und weg von mir.

Da ich mein hohes Ansehen behalten wollte, hielt ich mich heute sehr stark bei den Gesprächen zurück. Die meisten sprachen mit Mindy über ihren Geburtstag und das, was sie alles geplant hatte. Aber im Grunde wollten alle nur wissen, ob Mindy für Alkohol sorgen würde.

»Jooooo, Leudeeeeeeee!«, rief sie. Dann ging sie in ein Flüstern über: »Ey, natürlich gibt es Alk, ich hab extra einige meiner älteren Freunde dazu breitgeschlagen, uns etwas zu beschaffen. Jo, kein Stress!« Sie beugte sich näher an ihre Zuhörer heran. »Morjen wird’s auch was zum Durchziehn geben!«

Sie schien damit viele zu beruhigen, leichter Anflug von Drogensucht? Wer weiß …

Ich lächelte Mindy besänftigend zu. »Und deine Eltern, die spielen hoffentlich nicht die Anstandswauwaus?«

»Nääääää!«, rief sie und lachte, als hätte ich den Witz des Jahrhunderts gerissen. »Jo, die hab ich abgewimmelt. Jo ey, außerdem meinte meine Mutter zu meinem Vater nur, ey, das wäre ja auch recht peinlich, jo. Alda, bin echt froh, dass meine Mutter so gut drauf ist! Eh, alles kein Stress!«

So ging das den Rest des Tages. Niemand kannte ein anderes Thema als die Feiern von Mindy und Leon am Freitag und Samstag. Alle wuselten durcheinander und redeten davon, was sie anziehen würden. Manche verabredeten sich, um nach der Schule noch shoppen zu gehen. Da zog ich mit und folgte dem Schrei des Konsums unserer Gesellschaft. Doch blieb ich nicht lange und kaufte nichts. Ich zog nur mit, um mir meine Freunde schön warm zu halten. Mein Outfit wartete bereits im Kleiderschrank auf seinen Auftritt und ich freute mich schon auf den morgigen Tag, zumal es eine absolut perfekte Gelegenheit war, um mit Leon etwas anzufangen. Schließlich wusste jeder, dass auf Partys keiner ungeküsst oder ungevögelt blieb, der es nicht wollte.

Am nächsten Morgen erwachte ich von einem unruhigen Schlaf und seltsamen Träumen, Ängsten, alles so real wie das Bett, in dem ich lag, und doch so unwirklich, dass es sich anfühlte, als würde ich fliegen. Alles zerbrach wie in Scherben. Klirrte, zersprang auf dem Boden. Ließ Quietschen ertönen, wie von Reifen und Bremsen bei einem schlecht geölten Fahrrad. Ein Rumms und der Geschmack von Eisen im eigenen Mund. Hitze, Furcht, Schweiß. In Panik erwachte ich mehrmals aus diesem Traum. Immer und immer wieder schien mich dieser Traum zu plagen. Tanzte auf meinem Tisch, wie Mäuse, die wussten, dass die Katze nicht zu Hause war. Immer und immer wieder beteuerte ich, mein Kopf würde mir Streiche spielen, und zwang mich dazu, nicht wieder einzuschlafen. Doch die Müdigkeit überkam mich und ließ mich Träumen. Traum um Traum, bis ich wieder erwachte.

Ich ließ den Morgen ablaufen wie geplant, war zu langsam, schlich mich durch das Prozedere des Morgens und kam schließlich unten in der Küche an. Meine Mutter, die normalerweise nie zu einer solchen Zeit wach war, saß am Tisch. Sie trug Sportkleidung, was bedeutete, dass sie gerade von einem Lauf zurückgekommen war oder gleich loswollte. Sie trank ihren Shake und las in einer Zeitung, während ich das Essen anrührte, dass man mir zurückgelegt hatte. Ich musste auf meine Linie achten, und meine Mutter stellte mir auf einen angefertigten Essensplan hin immer etwas zu Essen heraus. Danach packte ich all mein Geschirr in die Spülmaschine und wollte gerade meines Weges gehen, da ertönte ein seltsamer Laut hinter mir:

»Esmeh«, hörte ich eine strenge Stimme. »Du hast Hausarrest.«

Hausarrest? Ich hab doch gar nichts verbrochen! »Was! Wieso?«, protestierte ich direkt.

»Du hast nicht auf deinen Tagesplan geschaut. Du warst gestern mit Freunden unterwegs und heute Abend und Morgen stehen zwei Geburtstage an. Ich habe alles von Yvonnes Mutter erfahren. Du weißt, was ich davon halte!«

Ich starrte auf meine Mutter, wie sie den Shake trank und ihre Zeitung ablegte, nur um sich dann vor mir aufzubauen.

»Das ist unfair!«, protestierte ich erneut.

»Du wirst doch nur Alkohol trinken, dann Drogen konsumieren und schwanger wieder zurückkommen. Ich habe eine anständige Tochter großgezogen. Du hast Hausarrest!«

»Das ergibt doch gar keinen Sinn!«, protestierte ich wieder, ballte meine Fäuste.

Ich sah schon meinen guten Status in der Schule beschmutzt.

»Keine Widerrede!« Meine Mutter stand sehr nah bei mir und packte fest meinen Oberarm, sodass es schmerzte. »Los! Zur Schule!« Sie schubste mich durch die Türe und drängte mich förmlich aus dem Haus.

Wie ein Torhüter stand sie in der Lücke zwischen Ausgang und Flur, damit ich meine Schuhe anzog, und Mantel und Tasche nahm, und drängte mich hinaus.

Sie selber lief die Straße hinunter und stöpselte sich die Ohren mit ihren grauenvollen Schlagern zu.

Ich tat so, als würde ich in mein Auto steigen, wartete kurz und holte mir die Schlüssel vom Wagen meines Vaters. Dann fuhr ich unter den Klängen der neuesten Charthits aus unserer Einfahrt und schaffte es gerade noch zum ersten Klingeln in den Unterricht.

Als ich später in der Pause auf der Mädchentoilette war ‒ vor allem, um mein Make-up nachzubessern – und noch immer versuchte, den Hausarrest, den meine Mutter mir aufgebrummt hatte, nachzuvollziehen, lief mir, als ich gerade gehen wollte, Emma über den Weg. Sie ging an mir vorbei, ohne den Kopf zu heben, rempelte mich an und schnellte in eine der Kabinen. Ihren Rucksack packte sie an der Türe direkt auf den Boden und den Geräuschen nach zu urteilen packte sie gerade eine Binde aus. Der Rucksack blieb vorne offen und ich konnte mir diese Gelegenheit nicht verkneifen.

Ab da ging alles sehr schnell. Zu schnell.

Ich schlich auf Zehenspitzen hinüber und stopfte meinen Geldbeutel hinein, wobei ich den Schlitz des Rucksacks schnell schloss, als ich die Spülung hörte.

Schnell und auf Zehenspitzen schlich ich aus der Toilette und eilte sofort zu Susi, die für solche Gemeinheiten immer zu haben war. Ich stiftete sie an, den Lehrern im Lehrerzimmer eine Lüge aufzutischen, und ich selbst wollte dabei aufgelöst weinen.

Kein Problem, nachdem ich vor einem Jahr viele Stunden Schauspielunterricht bekommen hatte und zu Hause, wenn es die Zeit erlaubte, übte. Ich dachte dabei an ein sehr grauenhaftes Gefühl, da musste ich nicht lange suchen, dann weinte ich los und Susi und ich machten uns auf zu den Lehrern. Dort angekommen erzählte Susi alles, was sie gesehen hatte. Das war nicht viel, außer welche Schuhe und Hose, aber das reichte eigentlich schon, denn Emma hatte sich heute mal wieder auffällig gekleidet: bunte Pluderhose und angeranzte graue Sneakers, die bereits ein Loch hatten.

Susi verdächtigte also Emma und bestätigte, als diese ins Lehrerzimmer zitiert wurde, dass sie genau diese Hose gesehen habe und sich haargenau an diese Sneakers erinnern würde. Susi spielte ihre Rolle fantastisch, ich war regelrecht erstaunt. Emma stritt alles ab und ließ ahnungslos zu, dass man ihren Rucksack durchsuchte. Sie wusste ja nicht, dass siemeinen Geldbeutel in ihrem Rucksack spazieren führte.

Während ich mir also die Tränen mit einem Taschentuch trocknete, erhob der Direktor seine Stimme und die Sekretärin gab einen erschrockenen Laut von sich.

»Frau Walker, ist das Ihr Geldbeutel?« Ich nickte verweint und nahm diesen hastig an mich. An Emma gerichtet schüttelte der Direktor nur den Kopf. »Frau Krane, stellen sie einen Schein aus, Emma Fuchs wird für einen Monat suspendiert, und rufen sie ihre Eltern an. Außerdem sollten wir die Polizei anrufen, falls Frau Walker eine Anzeige wegen Diebstahl aufgeben möchte.«

»Nein«, sagte ich sofort, schaute beschämt drein.

»Ich vergebe ihr. Wir alle machen Fehler.« Ich schaute zu Emma hinüber, die mich aus einer Hasserfüllten Fratze rot werdend anfunkelte.

Der Direktor und seine Sekretärin waren so gerührt von meiner Großherzigkeit, dass sie Emma verstärkt ausschimpften und ihr sagten, sie sollte sich eine Scheibe von mir abschneiden. Sie könnte mir dankbar sein, und, und, und. Ich war nur sehr erfreut, dass dieser Plan so gut funktioniert hatte. Auf verdächtige Weise zu gut. Plötzlich brauchte ich das mit Leon nicht mehr zu klären, der Hass von Emma war mir garantiert. Leon hatte das allerdings noch nicht so begriffen, als ich die Schule verließ und in mein Auto stieg, ohne ihn auch nur mit dem Arsch anzusehen.

Ich fuhr unter den Klängen der neusten Charthits los, bog nach rechts auf die Hauptstraße und dann nach links ab, fuhr geradeaus, in den Kreisverkehr und nahm die zweite Ausfahrt. Dann fuhr ich wieder geradeaus, die Landstraße entlang, fröhlich trällernd, denn heute Abend wollte ich saufen, tanzen, feiern.

Piep. Ein leiser Ton, er drängte sich in meine Ohren und ich konnte hören, wie jemand flüsterte. Piep. Jemand schrie, es war eine Frauenstimme. Piep. PIEP. PIEP. PIEP. PIEP!

Der gleichmäßige Ton wurde immer lauter. Dann war alles schwarz.

Ich schreckte hoch, nahm kurz einen Schemen wahr, der in das Zimmer kam, indem ich mich befand, und ich wollte mich übergeben. Ich griff nach einer kleinen Nierenschale auf dem Nachttisch und kotzte hinein. Ich kotzte und kotzte und kotzte. Grün, faserreich und schleimig. Ich übergab mich noch mal, solange, bis ich nur noch den zusammenzuckenden Magen spürte und vor lauter Erschöpfung schwer atmete.

Eine Frau im weißen Kittel drückte den Schwesternknopf und ein weiterer schriller Piep ertönte. Ich erbrach mich weiter und die Nierenschale drohte bereits überzulaufen. Da tauchte ein Arm vor meinem Blickfeld auf und hielt mir eine größere Schüssel hin, die ich mit meinem verbundenen Arm entgegennahm.

Erst nach einer gefühlten halben Stunde hörten die lauten Brechgeräusche, die ich von mir gab, auf. Doch jetzt hatte ich vor Erschöpfung Magenschmerzen und lag da, sah diese Frau im weißen Kittel vor mir und wurde schlagartig unglaublich müde.

»Frau Walker«, sprach sie mich an, »erinnern Sie sich, was passiert ist?«

Ich konnte mich kaum umblicken, die Stimme und Person verblasste und die Müdigkeit übermannte mich.

Als ich die Augen wieder öffnete, war es hellster Tag. Die Sonne schien gleißend durch ein Fenster und ich hörte den Wind durch das Einzelzimmer pfeifen. Wo zur verdammten Hölle war ich?

Eine Frau kam ins Zimmer und begrüßte mich. »Ah, Sie sind wach.«

»Ich werde einen Arzt holen«, sagte sie und rannte wie gestochen aus diesem seltsamen Zimmer. Einen Arzt? O mein GOTT, war ich etwa in einem Krankenhaus?

Ich wollte aufstehen, merkte jedoch, dass ich meine Beine nicht spürte! ICH SPÜRTE MEINE BEINE NICHT!

Ich schlug die Decke zur Seite weg. Alles was ich trug, war eine OP-Schürze, die hinten offen war. Sie war grün, ein ekelerregendes, helles Grün, und Blut klebte an ihr. Aber das Schlimmste war: Ich hatte riesige Schienen um meine Beine gewickelt. Herausstachen meine dicken gelb-orangen Füße und ich spürte sie nicht! ICH SPÜRTE NICHTS! GAR NICHTS!

Ganz ruhig, ermahnte ich mich, auch wenn das Pochen meines Herzens mich noch nervöser machte. Angeschlossen an dieses Gerät, das unentwegt piepte, steigerte ich mich nur mehr in meine Panik. PIEP, PIEP, PIEP, PIEP. WHAT THE FUCK!?

Ich wollte schreien. Ein Druck entstand und innerlich schrie ich so laut, dass die Welt erzitterte. Mein Herz hämmerte schmerzhaft gegen meine Brust, wie ein Presslufthammer auf der Straße, und Hitze stieg in meinen Kopf. PANIK, blanke PANIK!

Ich wurde von allem so sehr überwältigt, dass ich, als der Chefarzt durch die Tür kam, bereits heulend zusammengebrochen war. Mein Heulen wurde nur von dem permanenten Gepiepe des Herzmonitors übertönt. Der Arzt eilte hinaus, als er merkte, dass ich nicht ansprechbar war, und kam mit einer Spritze wieder. Er spritzte mir irgendetwas in meine Kanüle und weg war ich.

Ich wachte noch ein weiteres Mal auf. Die Sonne schien stark in mein Zimmer, es war heiß und eine Biene hatte sich in den Raum verirrt. Ich schrie nicht, obwohl ich allergisch gegen diese Tierchen war. Ich wünschte mir sogar, sie würde mich stechen!

JA! JAAA! Komm her Biene!

Ich hatte keine Lust mehr, ich wollte nicht mehr leben! Was für eine verfickte SCHEISSE!

Pflatsch, jemand hatte der Biene den Garaus gemacht.

»So, dat Vieh hamma gekillt!« Eine andere Schwester als heute Morgen stand bei mir und hielt eine gerollte Zeitung in der Hand. Sie stand breitbeinig vor meinem Bett und hatte im richtigen Moment zugeschlagen.

»Alles halb so wild«, sagte sie.

»ALLES HALB SO WILD!?«, schrie ich sie wütend an. »ICH SPÜRE MEINE BEINE NICHT!«

»Die Biene. Ik heb de Biene gemeent!«

»DIE BIENE! DIE BIENE! …« Ich fing wieder an zu heulen, langsam kam ich mir komplett idiotisch vor.

Sie reichte mir Taschentücher. »Passe mal auf, ich geh jetz und hol ma den Arzt.«

WOLLT IHR MICH EIGENTLICH VERARSCHEN!?

»Hallo Frau Walker«, sagte der Arzt, als er reinkam. Er hatte eine Glatze, kleine gedrungene braune Augen und eine kleine dicke Nase. Er trug eine Brille und hatte keine angenehmen Züge. Ich mochte ihn nicht, »So, das war alles ein wenig viel«, begann er locker. VIEL? VIEL! OH, EIN BISSCHEN VIEL!

BLÖDER PENNER!

Ich biss auf meine Unterlippe, da spürte ich eine Kruste.

O MEIN GOTT!

»Erinnern Sie sich an irgendetwas?«, fragte er.

SO EIN IDIOT! WIESO FRAGT MICH DAS JEDER?

»N… nein«, stockte ich. Allerdings konnte ich mich in Wirklichkeit an so Einiges erinnern.

Ich wurde geschleudert. Ich konnte mich erinnern, wie irgendetwas meinen Körper in die Schwebe versetzt hatte. Es war merkwürdig. Vielleicht durch die Wucht des Aufpralls und die Fliehkraft. Das erklärte aber nicht das Gefühl, als wäre jemand dagewesen. Als hätte mich etwas gepackt und mir den Hergang von oben demonstriert. Beängstigend und so irre, dass ich für eine solche Geschichte in der Psychiatrie landen könnte. Oder man würde mir sagen: »Schleudertrauma.«

»Sie haben eine leichte Gehirnerschütterung«, sagte er als Erstes. Er kam herüber und sah in mein Gesicht. Leuchtete in meine Augen. Dann nahm er eine dünne Wundauflage von meinem Gesicht ab.

»Frau Ehert …« Mehr musste er nicht sagen und die Schwester, die eben in einem seltsamen Dialekt gesprochen hatte, war weg und kam später mit allem Benötigten zurück.

»So, Ihr Gesicht … Nein, fangen wir mit dem an, was nicht so gravierend ist: Ihre Beine …« Mein Hirn raste. MEINE BEINE WAREN NICHT SO SCHLIMM WIE MEIN GESICHT?

WOLLT IHR MICH VERARSCHEN!?

Der Monitor wurde schneller und der Piepton kam in kürzeren Abständen. Ich spürte auch, wie sich mein Herz wieder aufwühlte und sich wie ein Maulwurf durch meine Gefühle bohrte.

»Ganz ruhig bleiben, Frau Walker!«, mahnte der Arzt.

FICK DICH!, schoss es mir durch den Kopf, ich sprach den Schrei aber nicht aus. Wie sollte man ruhigbleiben in so einer Situation?

Das Piepen wurde schneller und mein Kopf immer mehr rot. Dachte ich zumindest.

»Sie haben ein Polytrauma erlitten. Ohne das ganze Fachjargon ganz gerade heraus: Sie sind querschnittsgelähmt. Ihre Beine sind beidseitig zertrümmert, Ihr rechter Arm hat einen leichten Bruch, Ihr Kiefer ist zertrümmert, einige Ihrer Rippen haben Brüche und Sie haben schwere Verbrennungen dritten Grades in Ihrem rechten halben Gesicht. Entlang ihres Halses, hinunter bis zu Ihrer rechten Schulter. Sie wurden von zwölf unserer Ärzte in etwas mehr als neun Stunden operiert. Ich möchte hierbei betonen, dass es ein Wunder ist, dass Sie überhaupt noch leben. Wissen Sie, welcher Tag heute ist?«

Eine einfache Frage. »Samstag?«, antwortete ich, bereits ein wenig abgekühlt. Aber eher durch den Schock.

»Nein, wir haben Montag.«

Gut, okay, nicht aufregen …

»Ich würde Ihnen empfehlen, sich einmal zu beruhigen. Ich werde ihnen noch etwas gegen die Schwellungen geben lassen. Guten Tag.«

Er wandte sich an die Schwester, gab ihr kurze Anweisungen und schaute noch eben die Schienen an, aber auch die Schläuche, die aus mir rauskrochen.

»Morgen«, konnte ich hören, und dann verschwand der Arzt.

»Dat is nit so erg!«, sagte die Frau wieder.

WAS STIMMT MIT DENEN NICHT?

Ich war auf der Intensivstation gelandet und wurde bereits von so Vielen nackt gesehen, dass ich mich wie ein Pornostar fühlte. Vor allem aber war mir mein Nachbar unangenehm. Die Wände der Intensivstation waren nur zur Hälfte undurchsichtig. Die andere Hälfte bestand aus Glas und man konnte dem Patienten gegenüber zusehen … zusehen wie der andere ans Bett gefesselt war.

Ich durfte mich am nächsten Morgen einer weiteren Tortur unterziehen. Schlimm genug, dass mir der Kittel entwendet und ich von den Schwestern äußerst gründlich mit einem Schwamm gewaschen wurde, während der alte Mann gegenüber freies Sichtfeld hatte. Nein, hinzu kam auch noch der Arzt, ein überschwänglicher kleiner blonder Kerl, dem ich zu gerne eine reingehauen hätte! Er war zu fröhlich, und obendrein auch noch sadistisch!

„So, ich entferne jetzt die Schläuche!“, rief er aus. Ich betrachtete die Flaschen, die mit komischer Flüssigkeit gefüllt waren, und schaute auf die Schwester mit dem Müllbeutel. Diese Dinger steckten in mir?!

Da ich mich nicht wehren konnte und auch sonst an meinen Beinen keinerlei Gefühl hatte, war der gesamte Hergang der Entfernung recht seltsam. Es gab einen Ruck. Ich spürte, wie dieser oberhalb meiner Hüfte entstand, spürte aber nichts unterhalb. Er zog viermal an meinen Beinen und zweimal an meinem Arm. Am Arm spürte ich den Schmerz. Es zog und ruckte und drang beißend bis in meine Schulter ein. Das gab mir einen Anlass, wieder loszuweinen.

»So«, sagte er und verschwand. Ich konnte den Arzt und die Schwester allerdings in dem separaten Raum sehen, der nur mit Glas abgetrennt war, wie sie an den dort aufgestellten Tischen und den alten Retro-PCs herumwerkelten. Sie sprachen miteinander. Sie lachten und schauten auf die Papiere und, und, und … Jede Handbewegung untermalte ihre gesagten Worte und kein Zurückstreichen der Haare, kein Fassen ans Kinn und kein Kratzen entging mir.

So bewegungsunfähig wie ich war, kam ich nicht umhin, alles um mich herum genauestens zu beobachten und zu beachten.

Eine sinnvollere Beschäftigung hatte ich nicht.

Dem Treiben der beiden Angestellten überdrüssig wendete ich mich wieder dem alten Sack mir gegenüber zu; der apathisch geradeaus starrte. Vielleicht war er ja zu nichts mehr fähig? Vielleicht, hm, vielleicht konnte er ja gar nichts sehen? Vielleicht ein Hirnschlag oder er war komplett gelähmt?

Vielleicht ist es ok, dass er mich nackt sieht, weil er mich eigentlich nicht sieht?

Ich wurde müde.

»Sie ist sehr umgänglich«, hörte ich eine dünne Frauenstimme sprechen. Ich öffnete ein wenig meine dicken Augen und versuchte zu erkennen, wer da sprach. Nach einem grauen Schleier erkannte ich zwei Schwestern, die vor dem Fenster saßen und ihre Klemmbretter vor sich auf dem Schoß liegen hatten. War ich Teil einer Trainingslehrstunde für Neulinge geworden?

»Die meiste Zeit schläft sie eigentlich, also hast du nicht so viel zu tun.« Sie bemerkten mich gar nicht. Aber ich war ohnehin müde, meine Augen waren so schwer …

Normalerweise hatte ich immer geträumt. Jetzt aber war mein Schlaf so schwarz und leer. Allerdings ging mir das äußerst am Arsch vorbei. Was mir nicht am Arsch vorbeiging war, dass es sich, wenn ich einschlief und anschließend wieder aufwachte, so anfühlte, als wäre ein Riss zwischen heute und gestern entstanden. Eine tiefe Kluft, in die ich freiwillig hineingesprungen war, nur um wieder rauszuklettern. Aber auf der anderen Seite weinte ich dem Gestrigen hinterher, wissend, dass da Stunden fehlten, ohne dass ich mitbekommen hatte, was fehlte. Wenn man also schläft, dreht sich die Welt weiter, auch wenn man selbst das Gefühl hat, stillzustehen. Gruselig. Fühlte sich so auch der Tod an?

Ich war noch immer schockiert, dass ich mehr als einen gesamten Tag verpasst hatte, und ich war noch immer erstaunt, dass mir niemand Kleidung brachte. Ich war nackt! Ich hatte nichts zum Anziehen. Man hatte alle meine Klamotten zerschnitten, die komplett blutdurchtränkt waren, und schließlich den Sack mit den kaputten, bluttriefenden Klamotten in mein Zimmer gestellt.

Sadisten!

Außerdem hatte man mir seit dem Unfall nicht mal die Haare gewaschen!

Sadisten!

Okay, ich war auch die meiste Zeit nicht bei klarem Verstand, schlief hauptsächlich und merkte so gar nichts. Aber dennoch jagte mich der Gedanke im Wachzustand. Ich versuchte mich anders zu beschäftigen … HAHA!

Wie viele Tage waren eigentlich schon vergangen?

Mein Zeitgefühl war im Eimer …

Ich hörte, wie man draußen vor meinem Zimmer wild diskutierte, dann folgte Geläute, Gepiepe und Räder, die den Boden singen ließen. Durchsagen ertönten und Nahrung wurde in die Zimmer gebracht. Auch mir wurde etwas, das sie hier als Essen bezeichneten, auf meinen Tisch gestellt, welcher Nachttisch, Schrank und Tisch zugleich war. Meine Welt drehte sich um diesen Tisch, wortwörtlich, denn woanders konnte ich ja nicht hin.

»Du musst was essen«, ermutigte die Schwester mich, die in den letzten Tagen die meiste Zeit während meines Wachzustandes dagewesen war.

Ich sagte nichts, ich hatte keinen Hunger.

Ohne auf eine Antwort zu warten, schnitt sie mir alles klein und legte mir nur die Gabel hin. »So, vielleicht geht das besser so. Du kannst ja sowieso nicht beide Hände benutzen.«

Sie ging weg, auch wenn sie nicht weit weg war, denn hinter der Glasscheibe saß sie, immer ein Auge auf den Patienten, wäre ja gut möglich, dass er verreckt. Ich lag Tür an Tür und Scheibe an Scheibe mit alten Leuten und vielleicht auch jüngeren, die alle zwischen Tod und Leben schaukelten, weil sie irgendetwas erwischt hatte. Hallo Schlaganfall. Hallo Unfall. Hallo Herzinfarkt. Hallo Selbstmordversuch. Hallo, wie viel Scheiße gibt’s noch?

Gut, ich lag querschnittsgelähmt, polytraumamäßig abgefuckt hier rum und starrte an die Decke oder aus dem Fenster, nicht schlimm, alles gut! Ich meine, das hätte ja jedem passieren können! JEDEM!

Es klopfte an meiner Türe, dann kam jemand rein, eine Tasche in der Hand und ein Geschenk in der anderen. Ich dachte grade noch drüber nach, ob ich nicht vielleicht doch Träume, aber er war es wirklich. Er stand im Anzug vor mir, räumte meine Klamotten ein und überreichte mir achtlos das sinnloserweise verpackte Geschenk.

»So«, sagte er, »ich hab dir ein paar Anziehsachen besorgt. Alles nur Jogginghosen oder Trainingsanzüge, hier drinnen lohnt sich sowieso nichts anderes.«

Was geht hier ab?

»Danke«, meinte ich verwundert. Ich war schockiert. Mein Vater stand vor mir, der nie dagewesen war, nie, nicht ein Mal! Aber jetzt war er da?

»Wo ist Mutter?«, fragte ich wie paralysiert.

»Hm …«, sagte er und starrte auf das unberührte Geschenk. »Willst du nicht erst das Geschenk aufmachen?«

Er setzte sich auf einen der Stühle.

Ich öffnete das Paket und fand darin ein Smartphone vor. Tja, ja, mein Altes war Schrott.

»Ich dachte, das würde dich ein bisschen beschäftigen. Ich habe dir eine Karte besorgt, alles erledigt, eigentlich musst du das Phone nur anmachen und deinen Pin eingeben. Ach genau …«

Er holte einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche und übergab mir meinen Pin.

Ich war noch nicht fähig, etwas zu erwidern.

»Danke«, sagte ich angespannt. »Bist du alleine?«

»Ja, ach … Hm, ja, deine Mutter … sie wird vermutlich erst mal nicht vorbeikommen.«

»Warum?« Das war ein Schlag ins Gesicht und mein Gesicht war doch schon hinüber.

»Sie, erträgt deinen Anblick nicht«, sagte er frei heraus, stand jetzt vor mir mit seinen Händen in den Taschen. Er hatte es wohl auf dem Stuhl nicht mehr ausgehalten, so nervös, wie er vor mir auftrat.

»Wie bitte?«, hustete ich und schluckte …

Bah, ich glaub, da ist ein Kloß in meinem Hals.

»Du musst verstehen. Das ist nicht so einfach für uns. Ich habe auch Zeit gebraucht, um es überhaupt zu schaffen, hierher zu kommen. Es ist besser, du regelst das hier alleine. Du bist ja schon achtzehn«, sagte er, schlenderte ein wenig umher, dann setzte er sich kurz wieder. »Wir haben ja auch nicht die Zeit.«

Okay, ganz ruhig bleiben.

»Was ist mit dem, der in mich reingefahren ist?«

»Dieses Schwein«, sagte er. »Der hat meinen Oldtimer komplett geschrottet! Ich würde dem am liebsten die Kehle aufschlitzen!«

So hatte ich meinen Vater noch nicht reden hören, eine Ader sprang, während er so knurrte, auf seiner Stirn hervor und ich fürchtete beinahe, dass er wirklich einen Mord begehen würde.

»Doch darum wird sich mein Anwalt kümmern. Dieser Filou wollte dir sogar einen Besuch abstatten! Ich habe ihm gesagt, dass das nicht zustande kommen würde. Ich muss sagen, ich habe sehr meine Fassung verloren und bin ausfallend geworden …« Plötzlich piepste sein Timer.

»Ok, Zeit ist um, ich muss weiter. Auf Wiedersehen.«

Er gab mir förmlich die Hand und eilte im Schnellschritt aus dem Zimmer. Was zur Hölle war hier gerade passiert?

Ich weinte.

Jeder kennt den Spruch „besser zu spät als nie“. Nun, in meinem Fall traf dieses Sprichwort wohl zu. In einer Hinsicht. Während ich so im Bett lag und nachdachte, da ich nichts anderes tun konnte, erkannte ich, dass ich eine ziemliche Bitch war. Doch war ich es nicht, weil es mir Spaß machte, ich war es, weil ich dazu gemacht worden war. Doch dieses Sprichwort traf nicht zu, wenn man den Unfall und meine vorzeitige Verkrüppelung betrachtete. In dieser Hinsicht war der Spruch beleidigend und fehl am Platz. Ich wischte eine meiner Tränen fort.

Mit der Erkenntnis, dass mein bisheriges Leben nur auf Lügen basierte und ich ein Roboter war, der nur existierte, um zu gefallen, erkannte ich meine neue Situation als eine Art Grabstätte. Ein vorzeitiges Ableben meines Selbst. Meine Veränderung fand in mehreren Stufen statt.

The Chronicles of the Gods

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