Читать книгу Shylock Holmes und Dr. Wattsen - Martin Cordemann - Страница 5
ERSTER AKT
ОглавлениеErste Szene
(Eine Wohnung. Alles ist ganz hübsch aber irgendwie unpersönlich eingerichtet. Es gibt einen Schrank mit einer Karaffe Wasser und Gläsern, es gibt ein Hirschgeweih an der Wand und es gibt eine Tür, die zur Toilette führt. Shylock Holmes sitzt am Schreibtisch und hat ein Laptop vor sich. Er tippt und spricht dabei.)
SHYLOCK: (zum Computer) Bin wieder zu Hause. Könnte ein interessanter Tag werden. Meine Kollegin bringt einen neuen Kunden mit. Aufregender Fall. Hoffe ich jedenfalls. Und ein bisschen Geld wäre auch nicht schlecht. Spielschulden bezahlen sich schließlich nicht von selbst – obwohl sie das eigentlich sollten! Mit etwas Glück kann ich meine Schuldscheine einlösen.
WATTSEN: (kommt herein) Schon wieder am Computer?
SHYLOCK: Sollte ich nicht?
WATTSEN: Das kommt drauf an? Soziales Netzwerk oder Online-Pornographie?
SHYLOCK: Online-Pornographie!
WATTSEN: Schön wär’s!
SHYLOCK: (zum Computer) Ich melde mich später wieder, denn Dr. Wattsen ist hier…
WATTSEN: Wir haben einen Kunden.
SHYLOCK: (zum Computer) …und wir haben einen Kunden. (sieht auf) Was für einen Kunden?
WATTSEN: Einen, der im Gefängnis sitzt.
SHYLOCK: Ist er schuldig?
WATTSEN: Eben das sollen wir herausfinden.
SHYLOCK: Und dafür bezahlt er uns?
WATTSEN: Genau genommen nicht.
SHYLOCK: Wäre auch reichlich bescheuert.
WATTSEN: Nuuun…
SHYLOCK: Hey, ich will damit nicht sagen, dass es nicht so ist. Es gibt genügend Leute, die reichlich bescheuerte Dinge tun.
WATTSEN: Warum?
SHYLOCK: Weil sie reichlich bescheuert sind. Was ist unser Kunde?
WATTSEN: Verhaftet.
SHYLOCK: Das beantwortet die Frage nicht.
WATTSEN: Ich weiß. Aber wie du weißt kann ich dir nur sagen, was ich weiß.
SHYLOCK: Dann unterstelle ich mal, wir sollen nicht beweisen, dass er schuldig ist?
WATTSEN: Nein, dafür gibt es ja die Polizei. Er hat uns engagiert, weil er…
SHYLOCK: …unschuldig ist?
WATTSEN: Das behauptet er jedenfalls.
SHYLOCK: Alles andere wäre auch…
WATTSEN: …reichlich bescheuert?!
SHYLOCK: Exakt.
WATTSEN: Man hat ihn verhaftet, weil man ihn für den Täter hält.
SHYLOCK: Wäre ja sonst auch etwas unverfroren, oder? Was ist passiert?
WATTSEN: Der Schützenkönig wurde erschossen.
SHYLOCK: Entdecke ich da eine gewisse Ironie?
WATTSEN: Nicht bei mir.
SHYLOCK: Nein, eher beim Schicksal. Also der Schützenkönig wurde erschossen.
WATTSEN: Ganz genau.
SHYLOCK: Na, das sollte es doch einfach machen. Gibt ja nicht viele zugelassene Waffen. Es sei denn, natürlich, es war…
WATTSEN: …auf einem Schießstand!
SHYLOCK: Ja, das meinte ich. Und es war kein Unfall?
WATTSEN: Nein, es war Mord. Die Tatwaffe wurde in den Tresor des Schützenvereins eingeschlossen.
SHYLOCK: Vor oder nach der Tat?
WATTSEN: Sowohl als auch.
SHYLOCK: Hmm, langsam fängt es an, interessant zu werden.
WATTSEN: War es das nicht schon bei dem Wort „Mord“?
SHYLOCK: Ja, eigentlich schon.
WATTSEN: Willst du wissen, was passiert ist?
SHYLOCK: Nimmt das nicht ein bisschen die Spannung aus dem Fall?
WATTSEN: Ich sag dir ja nicht, wer der Mörder ist.
SHYLOCK: Okay, dann schieß los.
WATTSEN: Die Geschichte beginnt bei einem Schützenverein. Die haben einen Schießstand. Und dort…
SHYLOCK: Oh, darf ich raten?
WATTSEN: Wenn’s sein muss?
SHYLOCK: Das Opfer und die Verdächtigen… wie viele gibt es da?
WATTSEN: Unseren Auftraggeber und fünf weitere Personen.
SHYLOCK: Diese sieben Personen waren alle auf dem Schießstand.
WATTSEN: Das war bisher nicht so schwierig.
SHYLOCK: Hmmm, ich sage mal, sie haben alle mit derselben Waffe geschossen… weshalb sich auf der Waffe die Fingerabdrücke von jedem von ihnen befinden.
WATTSEN: Woher weißt du…?
SHYLOCK: Und natürlich hatten sie später alle Pulverspuren an den Händen, weil sie ja alle geschossen hatten.
WATTSEN: Wie…?
SHYLOCK: Ist doch die die einzige Möglichkeit, wie so was ablaufen kann.
WATTSEN: Woher wusstest du, dass alle ihre Fingerabdrücke auf der Waffe waren?
SHYLOCK: Weil sie alle verdächtig sind?!
WATTSEN: Vielleicht hatten sie ja alle einen Schlüssel für den Waffentresor.
SHYLOCK: Jaaaa, stimmt, das wäre auch möglich. Was war es?
WATTSEN: Beides.
SHYLOCK: Aha. Hmm. Aaaaalso, sie haben alle mit derselben Waffe geschossen und dann… weiter weiß ich nicht.
WATTSEN: Der Vereinsvorsitzende, unser Auftraggeber, hat die Waffe in den Tresor geschlossen…
SHYLOCK: …zu dem, wie du sagtest, alle unsere Verdächtigen Zugang hatten.
WATTSEN: Ganz genau. Die Waffe wurde eingeschlossen. Später am Abend fand man den Schützenkönig auf der Schießbahn. Erschossen. Die Waffe war im Tresor, sauber weggeschlossen. Dessen Tür scheint man merkwürdigerweise abgewischt zu haben, weil man da Seifenspuren gefunden hat. Komischerweise hat aber niemand die Fingerabdrücke von der Waffe abgewischt, weshalb…
SHYLOCK: …nur die Leute, die sie vorher benutzt hatten als Verdächtige in Frage kommen.
WATTSEN: Du sagst es.
SHYLOCK: Und es war ganz sicher die Tatwaffe?
WATTSEN: Laut den Ballistikexperten der Polizei ja.
SHYLOCK: Klingt interessant.
WATTSEN: Freut mich, dass es dir gefällt.
SHYLOCK: Soweit einem Mord gefallen kann.
WATTSEN: Schau dir die Zuschauerzahlen im Fernsehen an.
SHYLOCK: Das wirft kein gutes Licht auf unsere Gesellschaft, wenn du mich fragst.
WATTSEN: Tu ich nicht, keine Sorge.
SHYLOCK: Weise Entscheidung. Da ist nur eine Sache…
WATTSEN: Und die wäre.
SHYLOCK: Es ergibt keinen Sinn. Warum hat er die Waffe nicht abgewischt?
WATTSEN: Er?
SHYLOCK: Er. Oder sie. Er, der Mörder, geschlechtsunspezifisch. Um nicht die ganze Zeit sagen zu müssen: Warum hat er oder sie dies oder das nicht getan? Weißt du, wie viel länger unsere Konversationen damit werden würden?
WATTSEN: Als ob die nicht schon lang genug wären.
SHYLOCK: Eben. Also können wir bitte, nur, um die Sache einfacher zu machen, von dem Mörder sprechen, auch wenn er sich am Ende vielleicht als Frau erweist.
WATTSEN: Natürlich, mein Liebster. Obwohl du ja sicher weißt, dass Frauen ihre Opfer vergiften und Männer sie erschießen.
SHYLOCK: Welchen Sinn hätte es dann für eine Frau, einem Schützenverein beizutreten?
WATTSEN: Ich hasse es, wenn du Recht hast.
SHYLOCK: Da bist du nicht die einzige.
WATTSEN: Es sind vornehmlich Frauen, die das hassen, oder?
SHYLOCK: Nein, es sind auch Männer, aber die Frauen zeigen es mir mehr.
WATTSEN: Woran kann das nur liegen?
SHYLOCK: Weil sie mich für einen Frauenhasser halten.
WATTSEN: Und, stimmt das denn nicht?
SHYLOCK: Nein. Ich diskriminiere da nicht, ich kann Menschen allgemein nicht leiden. Also, warum hat er die Waffe nicht abgewischt?
WATTSEN: Vielleicht ist er sehr dumm?
SHYLOCK: Oder sehr clever?
WATTSEN: Und was machen wir jetzt?
SHYLOCK: Sollte ich das nicht fragen?
WATTSEN: Ich habe die Verdächtigen hierher eingeladen, damit wir mit ihnen sprechen können.
SHYLOCK: Gute Idee.
WATTSEN: Aber vorher muss ich noch was Wichtiges erledigen. (sie geht zur Toilettentür)
SHYLOCK: Und das wäre?
WATTSEN: Muss ich dir das wirklich erklären?
SHYLOCK: Wenn du es erklären musst, will ich es nicht wissen.
WATTSEN: Ich geh aufs Klo!
SHYLOCK: Das fällt unter „will ich nicht wissen“.
WATTSEN: Spießer! (geht ab)
SHYLOCK: (zum Computer) Meine Kollegin ist aufs Klo gegangen.
WATTSEN: (durch die Tür) Das will keiner wissen!
SHYLOCK: Das ist das Internet, das ist das einzige, was die wirklich wissen wollen! (zum Computer) Der neue Fall klingt interessant. Während mein Büro umgebaut wird, nutze ich meine Wohnung als Arbeitsplatz. Und jetzt kommen alle Verdächtigen hierher, damit wir mit ihnen sprechen können… man kann also sagen, dass ich mir die Arbeit mit nach Hause nehme. Was bedeutet… dass ich mir einen Mörder ins Haus hole. Offensichtlich ist das alles doch nicht so gut durchdacht. So, noch eine Wette platzieren und der Fall kann losgehen!
Zweite Szene
(Die Wohnung. Es klingelt an der Tür.)
SHYLOCK: Soll ich gehen?
WATTSEN: (durch die Tür) Na rate mal.
SHYLOCK: Dacht ich mir schon. (steht auf, geht zur Tür und öffnet sie) Hallo. Sie wünschen.
EMILIA: Es geht um den Mord.
SHYLOCK: Oh, wen wollen Sie denn loswerden? Nachbar? Ehemann? Steuerfahnder? Wir haben da gerade ein besonders günstiges Angebot.
EMILIA: Nein, Sie missverstehen. Ich möchte niemanden ermorden.
SHYLOCK: Deswegen sind Sie ja hierher gekommen. Damit andere die Drecksarbeit für Sie erledigen.
EMILIA: Es tut mir leid, sind Sie Sherlock Holmes?
SHYLOCK: Nein. Mein Name ist Shylock Holmes und ich mache natürlich nur Spaß.
EMILIA: Sie meinen, Sie sind nicht Shylock Holmes?
SHYLOCK: Doch, das schon, aber ich töte gegen Geld keine Menschen.
EMILIA: Und der Name?
SHYLOCK: Das ist eine lange Geschichte. Wissen Sie, wie meine Partnerin heißt?
EMILIA: Wattsen?
SHYLOCK: Dr. Wattsen, na, was sagen Sie nun? Ja, das klingt albern, da haben Sie Recht. Kommen Sie doch herein. Ich nehme an, es geht um den… Schützenkönig?!
EMILIA: Ja, das ist richtig. (tritt ein)
SHYLOCK: Schön. (schließt die Tür) Und Sie sind?
EMILIA: Unschuldig.
SHYLOCK: Gut zu wissen. Andererseits, wenn Sie die Tat jetzt zugeben würden, würden Sie uns eine Menge Arbeit ersparen.
EMILIA: Aber wenn ich es doch nicht war?
SHYLOCK: Dann würden Sie uns durch Ihr Geständnis nur unnötig aufhalten.
EMILIA: Ich dachte, Theo war es.
SHYLOCK: Theo?
EMILIA: Man hat ihn wenigstens verhaftet. War er es denn nicht?
SHYLOCK: Seiner Meinung nach nicht. Aber vielleicht will er sich nur um den Knast rumdrücken. Und Ihr Name ist…
EMILIA: …im Zusammenhang mit diesem Mord schon einmal gefallen, was mich sehr beunruhigt.
SHYLOCK: Ja, das kann ich verstehen!
EMILIA: Und ich weiß nicht warum. Wissen Sie, wie das ist, wenn man versucht, etwas zu erfahren, und man kommt keinen Schritt weiter?
SHYLOCK: Absolut!
WATTSEN: (tritt auf) Ah, hallo. Ich bin Katrin Wattsen, wir haben telefoniert.
EMILIA: Emilia Draeger. (sie geben sich die Hand)
WATTSEN: Nun, Frau Draeger, es ist sehr freundlich, dass sie sich mit uns unterhalten. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?
EMILIA: Ein Wasser.
WATTSEN: (sieht Shylock an)
SHYLOCK: (zuckt die Schultern) Ja, ich würd auch eins nehmen.
WATTSEN: (sieht ihn böse an)
SHYLOCK: Oh, klar, ich mach eins. Mit oder ohne Kohlensäure?
EMILIA: Mit, bitte.
SHYLOCK: Wir haben leider nur ohne.
WATTSEN: Warum fragst du dann?
SHYLOCK: Höflichkeit.
WATTSEN: Wir reden nachher noch miteinander.
SHYLOCK: Ich zittere schon.
EMILIA: Vorsicht, damit Sie nichts verschütten.
SHYLOCK: Ich geb mir Mühe. (er schüttet ihr etwas ein und bringt ihr ein Glas)
EMILIA: Danke.
WATTSEN: Nun, Frau Draeger…
SHYLOCK: Was ist Ihr Motiv?
EMILIA: Bitte?
WATTSEN: Bitte?
SHYLOCK: Naja, sie hat schon gesagt, dass sie es nicht war, da dachte ich, wir sparen uns das Drumrumreden und kommen direkt zur Sache. Was wäre Ihr Motiv?
WATTSEN: Ähm… (nimmt ihn beiseite) Was hast du vor?
SHYLOCK: Zeitersparnis?
WATTSEN: Inwiefern?
SHYLOCK: Wir haben sechs Verdächtige, richtig?
WATTSEN: Richtig.
SHYLOCK: Und ich nehme an, jeder von denen wird ein Motiv haben, den Ermordeten zu… ermorden?!
WATTSEN: Ja, nein, wieso?
SHYLOCK: Weil sie sonst nicht wirklich verdächtig wären, oder? Sonst sind das nur irgendwelche Leute, die die Möglichkeit zur Tat gehabt hätten.
EMILIA: Hallo? (winkt ihnen zu)
SHYLOCK: Wir sind gleich bei Ihnen. Also wenn sie kein Motiv hätten, wären sie nicht sonderlich verdächtig und deshalb dachte ich, ich kürze einfach ab.
WATTSEN: Ich würde es begrüßen, wenn du die Sache eher traditionell angehen würdest.
SHYLOCK: Du meinst, mit ausufernden Verhören, bei denen man genau zuhören muss, um mitzukriegen, wo ihr Motiv liegen könnte.
WATTSEN: Wenn es dir keine Umstände macht.
SHYLOCK: Na meinetwegen. (zu Emilia) Frau Draeger, schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Erzählen Sie doch mal, wie sind Sie zum Sportschießen gekommen?
EMILIA: Naja, das war so. Ich war ja damals auf der Schule im Basketballkurs.
WATTSEN: (raunt) Vielleicht nicht so ausufernd?!
SHYLOCK: Zu spät!
EMILIA: Die Präzision hat mir sehr gefallen. Ein Ziel anzuvisieren und es dann zu treffen. Ich wollte eine Zeitlang Biathletin werden. Aber ich habe festgestellt, dass ich Skifahren nicht mag. Also bin ich einem Schützenverein beigetreten. Ich liebe es, zu schießen.
SHYLOCK: Es sollte mehr Frauen wie Sie geben.
EMILIA: Finden Sie?
WATTSEN: (stößt ihm in die Rippen)
SHYLOCK: Wie lange sind Sie schon in dem Verein?
EMILIA: Seit 25 Jahren.
SHYLOCK: Wie oft waren Sie in dieser Zeit Schützenkönigin?
EMILIA: Meinen Sie die Frau an der Seite des Schützen oder die Frau, die den Vogel abgeschossen hat?
SHYLOCK: Letzteres.
EMILIA: Neun mal!
SHYLOCK: Glückwunsch.
EMILIA: Danke.
SHYLOCK: Gab es jemals Unfälle.
EMILIA: Sie meinen, dass Mike den Sieg für sich beansprucht hat, obwohl eigentlich ich den Vogel abgeschossen hatte?
SHYLOCK: Hmmm, ja, warum nicht?
EMILIA: Ja, das ist vorgekommen.
WATTSEN: Und gab es Unfälle, bei denen jemand verletzt wurde?
EMILIA: Nein, so was gab es nie. Wir waren immer sehr vorsichtig.
SHYLOCK: Sehr schön. Wer ist Mike?
WATTSEN: Das Opfer.
SHYLOCK: Oh.
WATTSEN: Mike Götsch.
EMILIA: Er war so ein bisschen der Star von unserem Verein. War neun Jahre lang in Folge Schützenkönig. Wenn er dieses Jahr wieder gewonnen hätte, hätte der Verein ihm einen Preis von 25.000 Euro auszahlen müssen.
SHYLOCK: Und ich nehme mal an, der Verein hat nicht soviel Geld. Weswegen die Polizei annimmt, der Vereinsvorsitzende hätte Mike umgebracht, um sich um die Auszahlung zu drücken.
WATTSEN: Die nennen das ein Motiv.
SHYLOCK: Nicht nur die. Ich würde das sogar ein ausgesprochen brauchbares Motiv nennen.
EMILIA: Er war ein guter Schütze.
SHYLOCK: War er besser als Sie?
EMILIA: Och, wissen Sie…
SHYLOCK: Nur keine falsche Bescheidenheit.
EMILIA: Nein.
SHYLOCK: Hmmm, diese Unstimmigkeit von der Sie sprachen, als Mike gewonnen hat, obwohl eigentlich Sie die Gewinnerin gewesen wären. Wann war das?
EMILIA: Letztes Jahr. Vorletztes Jahr. Und vor zehn Jahren.
SHYLOCK: Hatten Sie davor neunmal in Folge gewonnen?
EMILIA: Das hatte ich.
SHYLOCK: Gab es damals schon den Preis?
EMILIA: Ja, den gab es. Und ich hätte ihn fast gewonnen.
SHYLOCK: Wäre Mike nicht gewesen?
EMILIA: Wäre Mike nicht gewesen!
WATTSEN: Das ist ein gutes Motiv.
SHYLOCK: Nein, das wäre ein gutes Motiv gewesen. Vor zehn Jahren.
EMILIA: Habe ich Ihnen weiterhelfen können?
SHYLOCK: Nicht unbedingt.
EMILIA: Das tut mir leid.
SHYLOCK: Ist ja nicht Ihre Schuld. Sie können immer noch den Mord gestehen.
EMILIA: Lieber nicht. (erhebt sich) Das Wasser schmeckt merkwürdig.
SHYLOCK: Das tut mir leid. Ich wohne noch nicht so lange hier.
WATTSEN: Danke für Ihre Hilfe.
EMILIA: Gern geschehen. (sie bringen sie zur Tür)
SHYLOCK: Was genau ist eigentlich passiert?
EMILIA: Ich hatte den Vogel genau getroffen, aber dann ist Mike vorgestürmt und hat sofort geschossen, obwohl es meine Schüsse waren, die ihn herunter geholt haben. Es ist nicht mal sicher, ob Mike überhaupt getroffen hat oder ob der Vogel von selbst gefallen ist.
SHYLOCK: Ich meinte eigentlich an dem Tag, als Mike ermordet wurde.
EMILIA: Da waren wir auf dem Schießstand. Den ganzen Nachmittag. Haben die neue Waffe ausprobiert. Schönes Stück.
WATTSEN: Die Tatwaffe?
EMILIA: Das sagte man mir, ja. Theo hatte sie gerade neu gekauft für den Verein. Und wir durften alle damit schießen. Es war herrlich.
SHYLOCK: Und dann?
EMILIA: Sind wir gegangen. Nachdem Theo die Waffe weggeschlossen hatte. Schönes Stück, sehr schönes Stück.
SHYLOCK: Sie sind alle gegangen?
EMILIA: Ja. Es ist ja nicht so, als würden wir mit den Waffen ins Bett gehen. Ach, Theo hat wirklich Glück gehabt.
SHYLOCK: Inwiefern?
EMILIA: Dass er mit einer so schönen Pistole erschossen wurde.
SHYLOCK: Danke für Ihre Hilfe.
WATTSEN: Ich bringe Sie noch zu Ihrem Wagen.
SHYLOCK: Auf Wiedersehen, Frau Draeger.
EMILIA: Wiedersehen, Herr Holmes. (geht raus)
WATTSEN: Ich passe auf, dass sie draußen niemanden anschießt. (geht raus)
SHYLOCK: Guter Gedanke. (geht zu seinem Computer) Ich glaube, weibliche Waffennarren sind genauso wie weibliche Kegelclubs in Zügen – schlimm, aber auf eine andere Art schlimm als Männer. Nur gut, dass meine Partnerin keine Waffe hat. Wenn sie wüsste, dass ich unsere Firma beim Wetten verloren habe… Naja, sie muss es ja nicht wissen. Noch hab ich die Möglichkeit, sie zurück zu gewinnen. Mal sehen, wie meine Quoten stehen!
Dritte Szene
(Die Wohnung. Wattsen kommt herein. Sie ist in Begleitung von Werner Hirthe.)
WERNER: Und Sie sind ganz sicher, dass ich nicht zu früh bin?
WATTSEN: Sie sind absolut pünktlich.
WERNER: Gut. Ich wollte nicht zu früh kommen.
WATTSEN: Seien Sie unbesorgt.
WERNER: Danke. Darf ich mal Ihre Toilette benutzen?
WATTSEN: Natürlich. (sie führt ihn durch den Raum) Das ist übrigens mein Kollege, Shylock Holmes.
SHYLOCK: Hallo.
WERNER: Ich muss Ihre Toilette benutzen. (verschwindet durch die Tür)
SHYLOCK: Ist der nicht etwas früh dran?
WATTSEN: Lass das! Und woher willst du das wissen, immerhin habe ich die Zeugen eingeladen.
SHYLOCK: Ich dachte, es wären Verdächtige.
WATTSEN: Sowohl als auch. Also?
SHYLOCK: Also was?
WATTSEN: Also woher willst du das wissen?
SHYLOCK: Dass er zu früh ist? Ganz einfach: Du hast gerade unsere erste Verdächtige nach draußen geleitet. Und ich wage einfach mal zu bezweifeln, dass du gedacht hast, das Verhör würde so kurz werden. Deshalb tippe ich darauf, sein Termin ist… in ner halben Stunde?
WATTSEN: Weißt du, was ich an dir hasse?
SHYLOCK: Meine Klugscheißerei?
WATTSEN: Arrghh! Ja, er ist zu früh.
SHYLOCK: Möchtest du mir nicht etwas über ihn erzählen?
WATTSEN: Ja, schon…
SHYLOCK: Aber?
WATTSEN: Ich… weiß nicht genau, wer er ist!
SHYLOCK: Bitte?
WATTSEN: Naja, er hat mich mit Frau Draeger gesehen und kam auf mich zu und fragte ob ich die Detektivin wäre mit der er gesprochen hätte und er hätte einen Termin bei uns. Und ob er unsere Toilette benutzen dürfte.
SHYLOCK: Aber du hast nicht gefragt, wie er heißt?
WATTSEN: Nein. Ich nehme an, es ist Werner Hirthe, aber er ist…
SHYLOCK: …ein bisschen zu früh, schon klar. Und wenn es nicht Werner Hirthe ist…
WATTSEN: …dann ist er extrem zu früh…
SHYLOCK: …denn sein Termin wäre dann…
WATTSEN: …morgen!
SHYLOCK: Das wäre in der Tat ein wenig zu früh.
WERNER: (kommt herein) Vielen Dank, dass ich Ihre Toilette benutzen durfte.
SHYLOCK: Gar kein Problem.
WERNER: Ich bin ein bisschen zu früh, glaube ich.
SHYLOCK: Das kommt darauf an.
WERNER: Oh. Worauf?
SHYLOCK: Wer Sie sind!
WERNER: Ach so. Ja, entschuldigen Sie, mein Name ist Werner Hirthe und ich glaube, wir hatten telefoniert.
SHYLOCK: Sie hatten telefoniert. (deutet auf Wattsen und ihn, reicht ihm dann die Hand) Mein Name ist Shylock Holmes.
WERNER: Werner Hirthe. Das ist ein ungewöhnlicher Name.
SHYLOCK: Man gewöhnt sich dran. Nehmen Sie doch bitte Platz.
WERNER: Gerne. Danke.
SHYLOCK: Was zu trinken?
WERNER: Dann muss ich so oft zur Toilette. Ach, was soll’s, ein Bier bitte.
SHYLOCK: Wir haben nur Wasser, fürchte ich.
WERNER: Dann ein Wasser.
SHYLOCK: Ohne Kohlensäure!
WERNER: Das ist fein.
SHYLOCK: (macht es) Herr Hirthe, welches Motiv hatten Sie…
WATTSEN: (sieht ihn böse an)
SHYLOCK: …einem Schützenverein beizutreten? (reicht ihm das Glas)
WERNER: Danke. Nun, ich war ein kleiner Junge und ich habe auf dem Land gelebt. Da gibt es nicht viel. Und wenn man zur Gemeinschaft dazugehören will, dann tritt man dem Schützenverein bei oder der freiwilligen Feuerwehr.
WATTSEN: Und Sie haben sich für den Schützenverein entschieden!?
WERNER: Ich bin beidem beigetreten. Hatte ich „oder“ gesagt? Ich meinte „und“. Man tritt beidem bei. Das Wasser schmeckt merkwürdig.
SHYLOCK: Ja, das hab ich auch schon gehört. Also Schützenverein und freiwillige Feuerwehr. Schießen oder Löschen.
WERNER: Es geht um andere Dinge.
WATTSEN: Sie meinen Kameradschaft und Gemeinschaftsgefühl?
WERNER: Nein, Trinken. Viel trinken. Das ist oft das einzige, was man auf dem Land tun kann. Auf den Feldern oder im Stall arbeiten oder trinken. Ich meinte „und“.
SHYLOCK: Und wenn Sie trinken meinen…
WERNER: Alkohol! In rauen Mengen. Das Landleben kann sehr langweilig sein. Aber es sind diese Vereine, die das Gemeinschaftsgefühl erhalten.
SHYLOCK: Sind Sie noch immer bei der freiwilligen Feuerwehr?
WERNER: Nein. Ich hatte Probleme mit meiner Leber.
SHYLOCK: Wie ging es weiter?
WERNER: Ich bin in die Stadt gezogen. Ich hatte Abitur und habe studiert. Das war eine schöne Zeit. Aber dann habe ich irgendwann festgestellt, dass ich das Landleben ein bisschen vermisse.
WATTSEN: Und deshalb sind Sie einem Schützenverein beigetreten?
WERNER: Das ist richtig. Dürfte ich Ihre Toilette noch einmal benutzen?
SHYLOCK: Aber natürlich.
WERNER: Danke. (erhebt sich)
WATTSEN: (will ihm den Weg weisen)
WERNER: Ich finde den Weg schon. (verschwindet auf die Toilette)
SHYLOCK: (wendet sich dem Computer zu)
WATTSEN: Was machst du da?
SHYLOCK: Na, wir haben doch gerade Pause, oder?
WATTSEN: Wir könnten über den Fall sprechen.
SHYLOCK: Was willst du wissen?
WATTSEN: Wer der Täter war!
SHYLOCK: Ist im Moment noch ein bisschen diffus. Hat sonst noch jemand einen Schlüssel?
WATTSEN: Für den Waffentresor? Nein, praktischerweise nur unsere Verdächtigen.
SHYLOCK: Und das Opfer.
WATTSEN: Bitte?
SHYLOCK: Na, das Opfer wird doch auch einen gehabt haben.
WATTSEN: Ja, und?
SHYLOCK: Was, wenn die Person, die das Opfer angeblich gefunden hat, der Täter war? Hat den Schlüssel des Opfers genommen, die Waffe geholt, das Opfer erschossen und die Waffe wieder eingeschlossen.
WATTSEN: Es gibt ein paar Dinge, die dagegen sprechen.
SHYLOCK: Die da wären?
WATTSEN: Die Fingerabdrücke.
SHYLOCK: Okay, ja, die hatte ich vergessen.
WATTSEN: Und natürlich die Leute, die die Leiche gefunden haben.
SHYLOCK: Denen kann man vertrauen, weil…?
WATTSEN: …sie die Polizei sind? Die haben spät am Abend Licht im Vereinsheim bemerkt und haben sicherheitshalber mal nachgesehen.
SHYLOCK: Tja, klingt so, als könnten wir die dann wohl ausschließen.
WERNER: (kommt herein) Bin ich zu früh.
SHYLOCK: Sie sind genau richtig.
WERNER: Danke, dass ich Ihre Toilette benutzen durfte.
SHYLOCK: Kein Problem. Noch ein Wasser?
WERNER: Nein, danke. (setzt sich) Sie haben sicher noch Fragen an mich.
SHYLOCK: Eine ganze Menge.
WATTSEN: (sieht ihn böse an)
SHYLOCK: Ein paar. Kleine. Hier und da.
WERNER: Fragen Sie.
SHYLOCK: Nun… jetzt hab ich’s vergessen.
WATTSEN: Wie lange sind Sie schon in dem Schützenverein?
WERNER: Seit 41 Jahren.
WATTSEN: Waren Sie jemals Schützenkönig?
WERNER: Nein. Wissen Sie, es geht mir nicht so ums Schießen.
SHYLOCK: Sondern um die Gemeinschaft?!
WERNER: Es erinnert mich an meine Jugend. Und ich mag den Geruch von Schießpulver. Aber ich war nie ein guter Schütze. Ich habe die Faszination für Waffen, die die anderen haben, nie geteilt. Erst neulich hat Herr Bauschulte eine neue Pistole gekauft.
WATTSEN: Die Tatwaffe.
WERNER: Ach, war das die Tatwaffe? Ja, ich habe mal damit geschossen. Hat mir nicht gefallen. Roch nicht gut.
SHYLOCK: Können Sie uns etwas über das Opfer erzählen?
WERNER: Mike Götsch? Natürlich. Über den kann ich Ihnen eine ganze Menge erzählen. Alles, was Sie wissen wollen. Oh, äh… dürfte ich noch mal Ihre Toilette benutzen?
SHYLOCK: Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.
WERNER: Danke. (erhebt sich) Ich find es schon. (geht aufs Klo)
SHYLOCK: Du wirkst ein wenig unentspannt.
WATTSEN: Du weißt schon, dass ich eigentlich Gerichtsmedizinerin bin. Und dass ich, streng genommen, ein großes Risiko eingegangen bin, als ich mich selbständig gemacht habe.
SHYLOCK: Ja und ja.
WATTSEN: Ich bin diese Detektivarbeit nicht gewöhnt.
SHYLOCK: Wolltest du dich für den Rest deines Lebens mit Toten abgeben und herausfinden, was sie umgebracht hat?
WATTSEN: Was machen wir denn hier?
SHYLOCK: Okay, gutes Argument. Andererseits hast du hier nicht nur mit Toten zu tun, sondern mit Lebenden… nein, ich glaube, das spricht eher für deinen alten Beruf.
WATTSEN: Es ist interessant, zugegeben. Ich muss mich nur erst daran gewöhnen. Und im Zweifel kann ich ja immer in meinen alten Beruf zurück.
SHYLOCK: Das ist die richtige Einstellung!
WATTSEN: Dass ich in meinen alten Beruf zurück kann?
SHYLOCK: Oder das, was du davor gesagt hast.
WATTSEN: Weißt du, was mich wundert?
SHYLOCK: Was?
WATTSEN: Dass noch niemand versucht hat, dich umzubringen.
SHYLOCK: Der Tag ist noch jung!
WERNER: (kommt herein) Danke.
SHYLOCK: Jederzeit.
WERNER: In meinem Alter wird alles ein bisschen schwieriger. (setzt sich) Sie wollten etwas über Mike Götsch wissen.
SHYLOCK: Das wäre sehr hilfreich.
WERNER: Er war ein guter Schütze. Nicht so gut wie Frau Draeger, aber ein guter Schütze. Ihm ging es immer nur ums Gewinnen. Alles war für ihn ein Wettkampf. Alles wurde zum Wettstreit. Und er musste immer der Sieger bleiben. Egal, worum es ging.
SHYLOCK: Ist er mit Ihnen auch so umgegangen?
WERNER: Nein, mich hat er nie als eine Konkurrenz angesehen. Im Gegenteil. Als Schütze war ich ihm zu schlecht. Er hat sich sogar dafür eingesetzt, dass Mitglieder, die eine bestimmte Leistung nicht erbringen, aus dem Verein ausgeschlossen werden.
SHYLOCK: Haben Sie die nötige Leistung erbracht?
WERNER: Nein. Er hat nie verstanden, worum es bei einem Schützenverein wirklich geht. Er war, wie sagt man…
WATTSEN: Ehrgeizig?
WERNER: …ein Arschloch! Ja, das ist die richtige Bezeichnung. Er war ein dummes, ehrgeiziges Arschloch!
WATTSEN: Können Sie uns sagen, was am Tag des Mordes passiert ist?
WERNER: War das der Tag, als Herr Bauschulte die neue Pistole mitgebracht hat?
SHYLOCK: Ähm…?
WERNER: Ja?
SHYLOCK: Wer ist noch mal Herr Bauschulte?
WATTSEN: Theo Bauschulte. Unser Auftraggeber. Der Mann, der im Gefängnis sitzt.
SHYLOCK: Oh, der. Der Vereinsvorsitzende.
WATTSEN: Genau der.
SHYLOCK: Gut, dann weiß ich bescheid. Bitte fahren Sie fort.
WERNER: Herr Bauschulte hatte diese neue Waffe gekauft. Und wir haben sie dann ausprobiert. Alle waren begeistert davon. Ich hab auch mal damit geschossen, aber es hat mir nichts gebracht.
SHYLOCK: Und dann?
WERNER: Ich glaube, Herr Bauschulte hat sie wieder in den Tresor eingeschlossen. Danach sind wir gegangen.
SHYLOCK: Ich fürchte, ich muss das fragen, aber haben Sie Mike Götsch erschossen?
WERNER: Herr Holmes, es gibt Verhaltensweisen, die einfach nicht statthaft sind. Und wissen Sie auch, warum?
SHYLOCK: Weil sie nicht dem Geiste eines Schützenvereins entsprechen?
WERNER: Ganz genau.
SHYLOCK: Vielen Dank für Ihre Zeit.
WERNER: Es freut mich, wenn ich helfen konnte.
SHYLOCK: Ich denke, das konnten Sie. Es wäre möglich, dass wir im Rahmen unserer Untersuchungen noch einmal auf Sie zurückkommen.
WERNER: Wieso das?
SHYLOCK: Für die große Auflösung am Schluss! Da kommen alle noch einmal zusammen.
WERNER: Sie können auf mich zählen.
SHYLOCK: Besten Dank.
WERNER: (erhebt sich)
SHYLOCK: Möchten Sie noch mal zur Toilette.
WERNER: (lächelt) Nein. (überlegt es sich) Vielleicht besser doch. (geht ab)
WATTSEN: Die große Auflösung am Schluss?
SHYLOCK: Gehört dazu!
WATTSEN: Und was, wenn die im Knast stattfinden müsste, weil unser Täter bereits verhaftet worden ist?
SHYLOCK: Das wäre… unerfreulich.
WATTSEN: Wieso, weil du dann um deinen Spaß kommst?
SHYLOCK: Nein, weil er uns dann wahrscheinlich nicht bezahlen wird.
WATTSEN: Habe ich dir schon mal gesagt, wie sehr ich es hasse, wenn du Recht hast?
SHYLOCK: Mehrmals. Täglich!
WATTSEN: Gut, dann bin ich beruhigt.
WERNER: (kommt herein) War nur falscher Alarm.
SHYLOCK: Besser auf Nummer Sicher gehen.
WERNER: Da haben Sie Recht.
SHYLOCK: Herr Hirthe, vielen Dank für Ihre Hilfe. (schüttelt ihm die Hand)
WERNER: Ich bin schon sehr gespannt auf die Auflösung.
WATTSEN: Da sind Sie nicht der einzige. Ich bringe Sie noch nach draußen.
WERNER: Vielen Dank. Sie sind eine sehr nette, junge Dame. Was machen Sie beruflich?
WATTSEN: Eigentlich bin ich Pathologin.
WERNER: Na, dann bekommen Sie mich ja vielleicht noch mal zu sehen.
BEIDE (ab)
SHYLOCK: (zum Computer) Habe heute eine Menge über Schützenvereine gelernt. Und ich habe erfahren, dass meine Partnerin Zweifel hat. Zum Glück weiß sie nicht, in welchen Schwierigkeiten unsere Firma steckt. Und dass sie nicht die einzige Frau in meinem Leben ist. Es würde ihr das Herz brechen, alles zu verlieren. Das Geld, das sie in die Firma und die Zeit, die sie in mich investiert hat… Doch alle Beweise dafür sind fest verschlossen. Nicht in meinem Herzen, sondern in meinem Tresor, hier, unter dem Schreibtisch. Da würde man bestimmt eine Menge interessanter Dinge finden… aber das hilft mir nicht, diesen Fall aufzuklären. Also schauen wir mal, wer der nächste Verdächtige ist.
Vierte Szene
(Die Wohnung. Wattsen kommt herein.)
SHYLOCK: Was denn, kein neuer Zeuge?
WATTSEN: Die kommen alle morgen.
SHYLOCK: Dann haben wir jetzt Zeit für was anderes?
WATTSEN: Zeit? Verdammt, es ist Zeit!
SHYLOCK: Geht es noch kryptischer?
WATTSEN: (sieht auf ihre Uhr) Es ist Zeit. Für den Anruf. Genau jetzt.
SHYLOCK: Offensichtlich ja!
WATTSEN: Wir müssen telefonieren.
SHYLOCK: Ich kann dich sehen und hören, also…
WATTSEN: Es geht um unseren Auftraggeber.
SHYLOCK: Ah. Der kommt… nein, der ist im Knast, der wird wohl kaum hierher kommen. Besuchen wir ihn?
WATTSEN: Nein. Er ruft uns an.
SHYLOCK: Er… was?
WATTSEN: Er ruft uns an. Jetzt gleich. Um diese Zeit.
SHYLOCK: Ich nehme an, das hat einen Grund?!
WATTSEN: Ich bin davon ausgegangen, dass du mit ihm sprechen möchtest?
SHYLOCK: Das stimmt.
WATTSEN: Da gibt es nur ein kleines Problem. Sagt dir der Name O. Thello etwas?
SHYLOCK: Bühnenfigur oder Polizeiinspektor?
WATTSEN: Letzteres.
SHYLOCK: Mit dem hab ich mal einen Fall bearbeitet.
WATTSEN: Und er ist derjenige, der diesen Fall bearbeitet. Deshalb möchte er nicht, dass du dich da einmischst. Also hast du Hausverbot im Knast. Und ich musste was anderes arrangieren.
SHYLOCK: Dass er uns hier anruft?!
WATTSEN: Dass er uns hier anruft! (hält ihr Handy hoch)
SHYLOCK: Super, Freisprechanlage.
WATTSEN: Das ist… ein weiteres Problem: Nachdem ich die Sache vereinbart hatte, habe ich festgestellt… dieses Handy hat keine Freisprechanlage.
SHYLOCK: Hm! Ich würde dir meins anbieten…
WATTSEN: …aber das ist noch veralteter als das hier.
SHYLOCK: Japp!
WATTSEN: (das Handy klingelt) Das ist er. Hallo? Oh. (hält den Hörer zu) Meine Nichte.
SHYLOCK: Die nervige oder die andere?
WATTSEN: Welche andere?
SHYLOCK: Das hatte ich befürchtet!
WATTSEN: (ins Handy) Chloe, wie geht es dir? Ja, er ist hier.
SHYLOCK: Ist er nicht!
WATTSEN: (ins Handy) Ich kann mir gut vorstellen, dass er mit dir sprechen möchte.
SHYLOCK: Das nenn ich Phantasie.
WATTSEN: (ins Handy) Wie kommst du denn auf die Idee? Natürlich mag er dich!
SHYLOCK: Erzähl ihr doch nicht son Mist.
WATTSEN: (ins Handy) Nein, warum sollte er dir erzählen, dass er umgezogen ist? Ach, das ist doch übertrieben. (hält den Hörer zu) Sie meint, du wärst umgezogen, damit sie dich nicht mehr finden kann.
SHYLOCK: Verdammt, das ist keine schlechte Idee. Warum bin ich nicht darauf gekommen?
WATTSEN: Aber selbstverständlich. (hält den Hörer zu) Möchtest du mit ihr sprechen?
SHYLOCK: Auf gar keinen Fall!
WATTSEN: (ins Handy) Er ist gerade… auf der Toilette. Das kann ne Weile dauern. Du hast… was??? Das ist… nein, warte, das musst du mir genau erzählen. (geht hinaus, vergisst aber ihren Schlüssel)
SHYLOCK: Dein Schlüssel! Oder benutz den… unter der Matte. Der Schlüssel unter der Matte. Hey! (zum Computer) Der Schlüssel liegt unter der Matte. Was für ein Klischee. Andererseits: Wo sonst soll man den Schlüssel hintun für den Fall, dass man sich mal aussperrt? Ich habe da ein ganz tolles Versteck – aber ich werde den Teufel tun, es zu verraten! Nein, ich sag’s euch nicht mal durch die Blume. Wo wir schon mal bei Blumen sind, was schenkt man seiner Geliebten eigentlich zum Jubiläum? Oh, und wo wir schon mal dabei sind: Heißt es teure Geliebte oder treue Geliebte? Wahrscheinlich teure Geliebte, weil sie einen eine Menge Geld kostet. Und wenn sie eine Geliebte ist, wird Treue bei ihr nicht besonders hoch im Kurs stehen, also würde treue Geliebte keinen Sinn ergeben. (es klopft an der Tür) Komme schon! (zum Computer) Zeit, meiner Partnerin die Augen zu öffnen – oder zumindest die Tür. (steht auf und geht die Tür öffnen, wobei er sich unterwegs den liegen gelassenen Schlüssel schnappt)
WATTSEN: Ich hab meinen…
SHYLOCK: (hält ihn ihr vor die Nase)
WATTSEN: Danke.
SHYLOCK: Keine Ursache.
WATTSEN: Chloe lässt schön grüßen. Sie hat gesagt, sie kommt nächste Woche vielleicht vorbei.
SHYLOCK: Es wird Zeit, wieder umzuziehen.
WATTSEN: (das Handy klingelt) Das ist er.
SHYLOCK: Das hast du schon mal gesagt.
WATTSEN: (ins Handy) Hallo? Er ist es.
SHYLOCK: Ich freu mich.
WATTSEN: (ins Handy) Ja, ich bin es, Katrin Wattsen. Shylock Holmes ist auch hier, so, wie wir es verabredet hatten. Ja, es ist ein komischer Name. (zu Shylock) Er sagt Hallo.
SHYLOCK: Hallo zurück.
WATTSEN: (ins Handy) Hallo zu… ach, Sie können ihn hören. (zu Shylock) Er kann dich hören.
SHYLOCK: Und ich kann dich hören!
WATTSEN: (ins Handy) Er konnte hören, dass Sie ihn hören konnten. Soll ich Sie jetzt weiterreichen?
SHYLOCK: Moment.
WATTSEN: Moment. (zu Shylock) Was ist?
SHYLOCK: Ich glaube, es wäre sinnvoller, wenn wir beide seine Antworten hören, oder?
WATTSEN: Ja, da könntest du recht haben. (ins Handy) Wir werden es so machen, dass Sie mir Ihre Antworten sagen und ich sage sie dann weiter, in Ordnung. (zu Shylock) Er ist einverstanden.
SHYLOCK: Super. Das wird… anders. Okay, fangen wir an. Herr Bauschulte, wie geht es Ihnen?
WATTSEN: (ins Handy) Moment, bitte. (zu Shylock) Bist du sicher, dass das eine angemessene Frage ist?
SHYLOCK: Es ist eine höfliche Frage und ich hätte sie in nem normalen Verhör möglicherweise auch gestellt.
WATTSEN: Okay. (ins Handy) Frage geklärt. Wie geht es Ihnen? (zu Shylock) Nicht so gut, das Gefängnis macht ihm zu schaffen.
SHYLOCK: Das tut mir leid.
WATTSEN: Er fragt, wie wir mit den Untersuchungen vorankommen.
SHYLOCK: Nun, wir haben leider noch nicht mit allen Zeugen sprechen können.
WATTSEN: (ins Handy) Bitte? (zu Shylock) Er fragt, wieso „Zeugen“, das wären doch alles Verdächtige.
SHYLOCK: Du hast… Wir haben leider noch nicht alle Verdächtigen verhören können.
WATTSEN: (ins Handy) Aber wir haben für morgen die drei noch ausstehenden auf der Liste. Nein, das habe ich zu Ihnen gesagt.
SHYLOCK: Herr Bauschulte…
WATTSEN: (zu Shylock) Er möchte, dass du ihn Theo nennst.
SHYLOCK: Nein! Herr Bauschulte, in welchem Verhältnis standen Sie zu dem Ermordeten?
WATTSEN: (zu Shylock) Er sagt, er habe ihn gut gekannt.
SHYLOCK: Wie lange.
WATTSEN: (zu Shylock) Er sagt, seit mehreren Jahren.
SHYLOCK: Mehr als 10?
WATTSEN: (zu Shylock) Er sagt…
SHYLOCK: Das geht so nicht.
WATTSEN: Bitte?
SHYLOCK: Er sagt, er fragt… das hält uns alles nur auf.
WATTSEN: Was soll ich machen, ihn wörtlich wiederholen?
SHYLOCK: (denkt einen Moment darüber nach) Ja, ganz genau. Und am besten in seinem Tonfall, wenn’s geht.
WATTSEN: Er sagt, er ist sich nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist. Er fragt, ob es keinen anderen Weg gibt. Ja, ich verstehe, was du meinst. (ins Handy) Nein, ich glaube, mein Kollege hat Recht. Ich denke, das spart uns eine Menge Zeit und Nachfragen. (zu Shylock) Okay, wir können weitermachen.
SHYLOCK: Sagst du das oder sagt er das?
WATTSEN: Das sagen wir beide.
SHYLOCK: Einigkeit, sehr schön. Gut, machen wir weiter. Wann haben Sie das Opfer kennen gelernt?
WATTSEN: („übersetzt“) Vor etwa zehn Jahren. Auf einem Schützenfest.
SHYLOCK: Wurde das Opfer da Schützenkönig?
WATTSEN: („übersetzt“) Ja, das stimmt.
SHYLOCK: Haben Sie ihn dann eingeladen, Ihrem Verein beizutreten?
WATTSEN: („übersetzt“) Das stimmt auch. Woher wissen Sie das?
SHYLOCK: Herr Bauschulte, haben Sie ihm etwas dafür versprochen, wenn er Ihrem Verein beitreten würde?
WATTSEN: (Schweigen)
SHYLOCK: Was ist?
WATTSEN: Er ist sprachlos.
SHYLOCK: Schätze, dann lieg ich wohl richtig.
WATTSEN: (hebt die Schultern, noch immer nichts)
SHYLOCK: Herr Bauschulte?
WATTSEN: („übersetzt“) Ja?
SHYLOCK: Grad heraus gesagt: Haben Sie das Opfer in Ihren Verein geholt, damit es der neue Schützenkönig wird und damit es den Siegeszug von Frau Draeger beendet?
WATTSEN: („übersetzt“) Ja.
SHYLOCK: Haben Sie ihm dafür etwas versprochen?
WATTSEN: („übersetzt“) Ja. Keine Mitgliedsbeiträge, freie Nutzung des Schießstandes, freie Nutzung der Waffen.
SHYLOCK: Munition?
WATTSEN: („übersetzt“) Die musste er sich schon selbst kaufen. Aber es war ein gutes Geschäft für ihn.
SHYLOCK: Haben Sie irgendjemandem von dieser Vereinbarung erzählt?
WATTSEN: („übersetzt“) Nein.
SHYLOCK: Warum haben Sie das gemacht?
WATTSEN: („übersetzt“) Wissen Sie, am Anfang war es schwierig, Mitglieder für den Verein zu finden. Schützenvereine sind etwas fürs Land, aber in der Großstadt gibt es das nicht oft. Da geht man kegeln oder spielt Tennis. Deshalb habe ich eine Belohnung ausgesetzt: Wer zehn Jahre in Folge Schützenkönig wird, bekommt 50.000 Mark – oder heute 25.000 Euro. Und es hat funktioniert, ich hatte auf einmal zahlende Mitglieder, die das Geld gewinnen wollten. Das war super, denn wer gewinnen wollte, musste mindestens zehn Jahre lang im Verein bleiben. Das Problem war nur: Ich hatte das Geld nicht. Und ich habe auch nicht damit gerechnet, dass es je jemand schaffen würde.
SHYLOCK: Aber dann kam Emilia Draeger.
WATTSEN: („übersetzt“) Sie ist eine großartige Schützin. Eigentlich hätte ich gedacht, irgendwann würde mal jemand anders gewinnen – aber sie ist einfach zu gut. Als ich dann Mike getroffen habe, dachte ich, ich könnte das zu meinem Vorteil ausnutzen. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass er selbst zu einem Problem werden würde.
SHYLOCK: Warum nicht?
WATTSEN: („übersetzt“) Ich dachte, die beiden würden sich mit dem Gewinnen abwechseln. Dass mal Emilia gewinnen würde und mal Mike. Aber so war es nicht. Weil Mike nicht sauber spielt.
SHYLOCK: Er hat betrogen?
WATTSEN: („übersetzt“) Davon bin ich überzeugt. Und nicht nur ich. Viele von uns waren der Meinung, dass einige seiner Siege nicht ganz korrekt waren. Aber sie konnten ihm nie etwas nachweisen und ich…
SHYLOCK: …konnten nichts sagen, weil er Sie sonst belastet hätte.
WATTSEN: („übersetzt“) Das ist richtig.
SHYLOCK: Was geschah am Tag des Mordes?
WATTSEN: („übersetzt“) Ich hatte gerade eine neue Waffe gekauft. Eine schöne Pistole, vernickeltes Silber, Perlmuttgriff, ein echtes Prunkstück. Alle waren davon begeistert. Bis auf Mike.
SHYLOCK: Warum das?
WATTSEN: („übersetzt“) Die Waffe fand er toll – aber er war der Ansicht, ich hätte das Geld, das ich ihm schulden würde, für eine teure Pistole verplempert.
SHYLOCK: Ich nehme an, damit meint er die 25.000 Euro?
WATTSEN: („übersetzt“) Ja.
SHYLOCK: Hatte er die zu diesem Zeitpunkt denn schon gewonnen?
WATTSEN: („übersetzt“) Nein, der Wettkampf findet erst nächsten Monat statt.
SHYLOCK: Hmmmmm…
WATTSEN: Was ist? („übersetzt“) Was ist?
SHYLOCK: Ich kann ein bisschen verstehen, warum Thello Sie verhaftet hat. Sie haben bisher ein ausgesprochen gutes Motiv. Und die Vorgeschichte mit dem Betrug an Frau Draeger, wenn wir das mal so nennen wollen, lässt Sie auch nicht unbedingt als eine vertrauenswürdige Person dastehen.
WATTSEN: („übersetzt“) Glauben Sie etwa, ich bin schuldig?
SHYLOCK: So weit bin ich noch nicht. Was können Sie mir sonst noch über Mike erzählen? Wie war das Verhältnis der anderen zu ihm?
WATTSEN: („übersetzt“) Gespannt. Er war ein Gewinnertyp und hat das den Leuten auch gezeigt. Unterbrechen Sie mich nicht.
SHYLOCK: Ich hab doch gar nichts gesagt.
WATTSEN: („übersetzt“) Ach nein? Ihr Verhalten ist schon die ganze Zeit völlig inakzeptabel. So lasse ich mit mir nicht umspringen, immerhin bin ich unschuldig.
SHYLOCK: Ich denke, das müssen wir noch herausfinden, oder?
WATTSEN: („übersetzt“) Diese Bemerkung können Sie sich irgendwo hinstecken. Ich weiß genau, was Sie denken. In fünf Minuten sind wir hier fertig.
SHYLOCK: Ach, wirklich?
WATTSEN: („übersetzt“) Hören sie, das ist absolut legal. Sehen Sie in Ihre Unterlagen. Mein Anwalt hat dafür gesorgt. Ja, das sind die Detektive, die ich engagiert habe. (zu Shylock) Oh, ich glaube, er spricht mit einem der Wachmänner. (ins Handy) Bitte? Sie sind wieder da? Okay. („übersetzt“) Wo war ich? Ach ja, Mike. Er hat sogar versucht, dafür zu sorgen, dass Herr Hirthe aus dem Verein ausgeschlossen wird.
SHYLOCK: Das wissen wir. Hätte er Erfolg damit gehabt?
WATTSEN: („übersetzt“) Dem Verein geht es nicht gut und ich bin auf jedes zahlende Mitglied angewiesen. Deshalb hab ich auch die neue Waffe gekauft, um den Verein interessant für neue Mitglieder zu machen. So eine Waffe hat nämlich sonst keiner.
SHYLOCK: Ja, ich wette, die zieht neue Leute. Besonders, wenn man dafür wirbt, dass man mit einer Waffe schießen kann, mit der ein Mord begangen wurde.
WATTSEN: („übersetzt“) Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Wow! Ist das denn möglich?
SHYLOCK: Frühestens nach der Verhandlung. Im Moment ist sie ein Beweisstück in einem Mordfall. Aber kommen wir zurück zum Opfer.
WATTSEN: („übersetzt“) Mike war groß, arrogant, selbstsicher. Ein passabler Schütze. Nicht der beste, aber sehr gut. Und er hat es immer darauf angelegt, zu gewinnen. Auf jedem Gebiet.
SHYLOCK: Für gewöhnlich macht man sich mit einem solchen Verhalten Feinde.
WATTSEN: („übersetzt“) Es gab da…
SHYLOCK: Ja?
WATTSEN: Ich warte noch! („übersetzt“) Es gab da ein paar Austritte seinetwegen.
SHYLOCK: Geht das etwas genauer?
WATTSEN: („übersetzt“) Nein. Aber es waren größtenteils Frauen, die ausgetreten sind. Oder deren Freunde.
SHYLOCK: Was die Frage nahe legt…
WATTSEN: …hat er was mit diesen Frauen gehabt? („übersetzt“) Das war jedenfalls meine Vermutung.
SHYLOCK: Hätten Sie auch eine Vermutung, wer ihn erschossen haben könnte?
WATTSEN: („übersetzt“) Nein. Aber ich war es nicht!
SHYLOCK: Gut. Danke für das Gespräch.
WATTSEN: („übersetzt“) Gern geschehen. Ich hoffe, Sie können mir helfen.
SHYLOCK: Wir werden unser bestes versuchen. Ach, ähm, wo waren Sie eigentlich zur Tatzeit?
WATTSEN: Das erklär ich dir später.
SHYLOCK: Auf einmal so vertraulich?
WATTSEN: (hält den Hörer zu) Das hab ich dir gesagt. Ich sag dir das sofort. (ins Handy) Herr Bauschulte, vielen Dank für das Gespräch. Bis bald. (legt auf)
SHYLOCK: Also?
WATTSEN: Er lässt dich grüßen.
SHYLOCK: Und sein Aufenthaltsort?
WATTSEN: Keiner von denen hat ein Alibi! Wirklich keiner. Sie waren entweder zu Hause oder auf dem Weg nach Hause, aber bei niemandem gibt es dafür einen Zeugen.
SHYLOCK: Gut, dann kann ich mir die Frage in Zukunft ja sparen.
WATTSEN: Das kannst du. (sieht auf die Uhr) Mist, ich muss Chloe noch anrufen. Ich soll mich nachher mit ihr treffen. Sehen wir uns noch?
SHYLOCK: Unter diesen Voraussetzungen nicht.
WATTSEN: Miesepeter. Dann bis morgen. (küsst ihn auf die Wange)
SHYLOCK: Bis morgen. Und vergiss…
WATTSEN: (hält den Schlüssel hoch)
SHYLOCK: Gut. Im Zweifel weißt du ja, wo der Ersatzschlüssel ist.
WATTSEN: Ja, das weiß ich. Soll ich Chloe von dir grüßen?
SHYLOCK: Auf keinen Fall!
WATTSEN: Mach ich! Bis bald. (geht hinaus)
SHYLOCK: Bis dann! (zum Computer) Absolut empfehlenswert: Telefonkonferenz mit einem Verdächtigen. Das ideale Geschenk für Leute, die schon alles haben. Zum Beispiel Glück im Spiel. Anders als ich. Schon wieder verloren. Warum setze ich immer auf die falschen Pferde? Und Frauen? Eine teure Geliebte finanziert sich auch nicht von selbst. Warum sonst sollte ich auf Pferde wetten? Nur gut, dass meine Partnerin nichts von meinen finanziellen Reserven weiß. Oder mein Buchmacher! Wenn ihr nur wüsstet… aber: Der Schlüssel zu meinen Geheimnissen ist „geweiht“. (sieht zu einem Hirschgeweih an der Wand und grinst) So, Schluss für heute. Ich hau ab und verbringe die Nacht bei meiner Geliebten. Bis morgen! (steht auf, schließt das Laptop, geht zur Tür, macht das Licht aus und geht hinaus)
Fünfte Szene
(Die Wohnung. Es ist Nacht. Die Tür öffnet sich. Ein Einbrecher kommt herein. Sein Name ist Stefan Murdt und er hat den Haustürschlüssel in der einen Hand. In der anderen hat er ein paar Ausdrucke aus dem Internet. Er macht das Licht an und hält sich den Haustürschlüssel vor die Nase.)
MURDT: Schlüssel nicht unter der Matte – „Ich sag’s euch nicht mal durch die Blume.“ – sondern im Blumenkasten.
(Er sieht sich in der Wohnung um und blättert in den Ausdrucken.)
MURDT: „Nicht in meinem Herzen, sondern in meinem Tresor, hier, unter dem Schreibtisch.“
(Er geht zum Schreibtisch, öffnet die Türen und findet den Tresor.)
MURDT: Der Tresor!
(Er sucht in seinen Ausdrucken.)
MURDT: „Der Schlüssel zu meinen Geheimnissen ist „geweiht“.“
(Er sieht sich um. Es dauert.)
MURDT: „Geweiht“. „Geweiht“.
(Er sieht das Hirschgeweih.
MURDT: „Geweih“!
(Er geht hin, nimmt das Geweih von der Wand und findet den Tresorschlüssel.
Er öffnet den Safe, lächelt, nimmt alles heraus und steckt es in einer Tasche.
Er befestigt den Schlüssel wieder am Geweih.
Er schüttet sich ein Glas Wasser ein, trinkt und verzieht das Gesicht.
Er sieht sich noch einmal um und geht durch den Raum.
Vor einem Spiegel bleibt er stehen, sieht hinein und streicht sich über die Haare.
Er geht zur Tür, macht das Licht aus und geht hinaus.)