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ZEITBRUCH

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Eines Tages erwachte Bill Smythe mit einer bahnbrechenden Idee. Er wollte den größten Bankraub aller Zeiten durchführen. Und das schloss die Zukunft mit ein. Jede mögliche Zukunft. Oder zumindest ein paar davon. Er war sich nicht sicher, wieviele es gab – oder ob es überhaupt mehr als eine gab. Er hatte mal bei einem Preisausschreiben eine Reise „in die ferne Zukunft“ gewonnen, aber da hatte man nur versucht, ihm Heizdecken anzudrehen. Während die anderen „Gewinner“ noch überlegten, welche Farbe am besten zu ihrem Appartement passte, schlich Bill sich hinaus und machte einen Spazierganz durch eine Zeit in weiter Ferne…

Wie sich herausstellte stimmte es, was die Ferne anging, denn er befand sich mehrere tausend Kilometer von zu Hause entfernt, doch das mit der „fernen Zukunft“ erwies sich als Irrtum um nicht zu sagen Betrug. In der anschließenden Verhandlung, die Bill durch seine Klage angestrengt hatte, wurde durchaus anerkannt, dass ihr Treffen „in der Zukunft“ stattgefunden hatte, nämlich drei Wochen nachdem die Gewinner informiert worden waren, da jedoch von „einer Reise in die ferne Zukunft“ und nicht „in einer fernen Zukunft“ die Rede gewesen war, erkannten die Richter das Marketingkonzept der Heizdecken-Gruppe HDG Inc. nicht an. Außerdem sein von einer „fernen Zukunft“ die Rede gewesen und da konnte man drei Wochen ja wohl kaum als angemessen gelten lassen. Um sich vor weiteren Klagen zu schützen, spendierte man Bill seine ersehnte Reise in die Zukunft, in eine ferne Zukunft, so fern, wie es überhaupt nur ging (Spruch einer Marketingfirma, der die limitierte Reichweite ihrer Zeitmaschinen sowohl ansprach wie auch scheinbar negierte).

Es wurden 10 Millionen Jahre, mehr oder weniger. Es war eine Zeit, in der Reichtum nichts mehr bedeutete, weil jeder ihn hatte, oder keiner. Man lebte, genoss, aß, trank und starb, jedenfalls behauptete das der von TimeCorps Inc. eingesetzte Zeitreiseleiter. Er selbst, so sagte er, machte ab und an einen Abstecher hierher, nur um Mittag zu essen, aber das stellte sich als gelogen heraus. Bill spendierte ihm von seinem Geld aus dem Vergleich ein Mittagsmahl und während es sich der Reiseleiter auf seine Kosten schmecken ließ, machte sich Bill auf den Weg in etwas, das eine Art Bibliothek war, in Wirklichkeit aber nur so eine Art Implantat, das er sich einsetzen ließ und das sich mit Verlassen dieser Zeit in nichts auflösen würde. (Durch ein Missverständnis in einer Zeitmaschinenmanufaktur wurde einmal eine Zeitmaschine aus diesem Material gebaut – mit eher unangenehmen Folgen.)

Bill startete das Implantat – und es stellte sich als weit weniger beeindruckend heraus, als man es sich vorgestellt hätte. Er konnte Fragen stellen oder Fragen eingeben oder ganz einfach auch nur Fragen denken, was er tat. Denn er war hier, um etwas ganz bestimmtes in Erfahrung zu bringen. Schon seit frühester Jugend, so meinte er, sich erinnern zu können, interessierte er sich für dieses Thema und nun endlich hatte er einen Weg gefunden, einen Weg zu finden.

„Was ist die größte Bank des Universums?“ war seine erste Frage, doch die brachte nicht ganz das Ergebnis, das er sich erhofft hatte. Die Antwort lautete: „Die Bank von Klenndock Sinu, einem 24 Meter großen Kalu, die vor seinem Haus steht und auf der er die Sonnenuntergänge genießt.“ Es folgten Angaben zu Größe und Bauzeit und wieviele Arbeiter dabei sterben mussten, um dem Kalu eine passende Sitzgelegenheit zu bauen.

Bill formulierte seine Frage neu und fand die Geschichte der großen Bankhäuser – die sehr lang und umfangreich war, weil er nach den Geldinstituten des Universums gefragt hatte und das war ja bekanntlich ziemlich groß. Da war die Bank von Umar Su, die nur Kinder beschäftigte, was überraschend gut zu funktionieren schien, weil die mit Freude und ganz ohne Gier an die Sache herangingen. Da war die Bank auf Telurfott, die so viele unterschiedliche Währungen einführte, dass sie allein an den Druckkosten des benötigten Geldes pleite ging. Über die Bank von Dox war nicht viel bekannt, außer, dass sie eins der architektonisch schönsten Gebäuden besessen haben sollte, doch es war scheinbar schwierig, an mehr Informationen heranzukommen. Das B/A/N/K/H/A/U/S umfasste 21 Galaxien und hatte Filialen in 12 weiteren Milchstraßen, verspekulierte sich aber und wurde nun als potentieller Kriegsgegner Nummer 1 für verschiedene Völker angesehen.

Er erfuhr eine Menge Dinge über die verschiedensten Währungen, die es im Laufe der Zeit gegeben hatte und eventuell noch geben würde und das meiste davon stellte sich als ziemlich uninteressant heraus. Schnell schränkte er seine Suchparameter ein und nachdem sich selbst die Banken seiner eigenen Galaxie als zu zahlreich und unübersichtlich herausgestellt hatten, beschränkte er sich auf die der Menschheit.

Wie sich herausstellte, hatte es im Laufe der Geschichte ab und an Änderungen im Bankensektor gegeben. Irgendwann hatte man alle Wertgegenstände abgeschafft, was dazu führte, dass „das Geld“ und damit das Vermögen der Menschen rein virtuell geworden war, digital, Zahlen und Punkte. In dieser Periode der Geschichte waren Banken nicht mehr als größere Lagerräume für Server und es brachte nichts, rein physisch in eine Bank einzubrechen, weil es für jeden Server diverse Backupserver an anderen Orten gab. Es war eine traurige Zeit für Bankräuber – und eine wunderbare Zeit für Hacker, ein Begriff aus einer früheren Zeit, der aus Tradition bis in die Zukunft überleben sollte. Es gab kein elektronisches Sicherheitssystem, das man nicht irgendwie knacken konnte und so wurde es geknackt und noch nie waren mehr Konten und Bankdaten verschoben worden als in dieser Zeit. Als man gemerkt hatte, dass diese Werte keine Werte hatten, gab es wieder ein Umdenken und man führte wieder echte Wertsachen ein. Und man brauchte wieder Banken. Bill lächelte. Das war genau die Periode, nach der er gesucht hatte. Eine Zeit, in der in Banken Werte gelagert wurden, Werte, die man ansehen, anfassen – und stehlen konnte! Die Frage war: Hatte das schonmal jemand gemacht?

Die Antwort war… undursichtig. Es war ein bisschen merkwürdig. Bill hatte schnell herausbekommen, welches das Bankhaus mit den größten Werten, welches „die sicherste Bank im Universum“ war. Alle anderen Geldhäuser interessierten ihn nicht, er wollte das hier, das größte, das beste, das schwierigste. Wenn er seinen Coup durchführen wollte, dann nicht bei irgendeiner Wald- und Wiesenbank auf irgendeinem lächerlichen Asteroiden, er wollte den ganz großen Gewinn. Und er war sich sicher, dass er da nicht der Einzige war. Es war schon immer so gewesen, wenn es eine Bank gab, dann gab es auch jemanden, der sie ausrauben wollte. Dieser Jemand war er, aber er war sich sicher, dass es noch andere gab, geben musste. Er brauchte nicht lange, um sie zu finden. Es war eine auserlesene Truppe an Verbrechern, die sich an der Bank, die sich schlicht DIE BANK nannte, versucht hatten. Versucht, wohlgemerkt. Keiner hatte es geschafft und einige hatten es auch nicht geschafft. Das Sicherheitssystem ließ nicht mit sich scherzen und ab einem bestimmten Level waren die Maßnahmen offenbar tödlich – oder die Verbrecher hatten sehr bizarre Unfälle gehabt, das war jedenfalls die offizielle Ansicht der zuständigen Versicherung. Sie waren bei Nacht in die Bank eingedrungen, bei Tag, bei Vollmond, während einer Invasion der Grool, sogar bei der Taufe des Papst-Sohnes. Niemand hatte es geschafft. Niemand hatte seine Beute aus der Bank herausschaffen können. Sie alle waren verhaftet worden, oder getötet, oder, wie im Fall von O.J. Stark, beides. Es hatte nie…

Bill stockte. Da war ein Eintrag, nichts offizielles, mehr ein Gerücht. Es sah so aus… man sagte sich… es ging das Gerücht, es habe einen Einbruch in die Bank gegeben, einen erfolgreichen Einbruch. Es war ein Mythos, niemand hatte je Beweise dafür gefunden, vielleicht war es schlicht gelogen. Über die Täter war nichts bekannt oder vielmehr die angeblichen Täter und was sie angeblich erbeutet hatten. Es gab große Zweifel daran, dass diese Geschichte wirklich der Wahrheit entsprach. Offiziell.

Und doch stahl sich ein Lächeln auf Bills Gesicht. Es gab Hoffnung. Die Hoffnung, dass es doch nicht unmöglich war. Darauf hatte er gehofft. Hätte man ihm gesagt, dass es nie passiert war, niemand jemals erfolgreich gewesen war, es niemand überlebt hatte… er hätte es trotzdem versucht. Und wäre vermutlich daran gescheitert. Und das war noch immer möglich, denn nicht alle Verbrecher, die sich an der BANK versucht hatten, wurden namentlich aufgeführt, nur die Prominenten unter ihnen. Also konnte es gut sein, dass er es versucht hatte und wie so viele gescheitert war. Oder gestorben. Aber auch der Gedanke hätte ihn niemals davon abgehalten, denn er hatte mal in einem Buch gelesen, dass man seine Zukunft selbst bestimmte. Und wenn man seine Zukunft bestimmte, konnte man auch seine Vergangenheit verändern. Jedenfalls glaubte er das. Er lud sich alle verfügbaren Daten über die Bankraube und die Sicherheitssysteme der BANK herunter und holte dann seinen Zeitreiseleiter in dem Restaurant ab, in dem er ihn zurückgelassen hatte. Er kam gerade noch rechtzeitig, denn der bestellte sich gerade seinen zweiten Nachtisch.

Es würde eine langwierige, lange Aufgabe werden, dass wusste Bill. Aber es störte ihn nicht, denn er hatte Zeit. Alle Zeit des Universums, um genau zu sein. Denn er hatte einen Plan. Einen Plan, der so großartig war, dass er sich wunderte, warum vor ihm noch niemand auf diese Idee gekommen war. Alles, was er brauchte, war jede Menge Zeit – und eine Zeitmaschine. Beides war verfügbar. Die Zeitmaschine konnte er sich ausleihen, aber er würde sie nicht lange brauchen. Und es würde egal sein, wieviele Jahre seines Lebens er in diesen Bankraub investierte, am Ende würde alles zu seinen Gunsten verlaufen, er würde jung und reich sein und sein Leben genießen, wie er es noch nie genossen hatte. Es war egal, wie lange er für die Planung, die Ausarbeitung der Details brauchte, es war egal, ob er ein klappriger alter Mann sein würde, wenn er damit fertig war, denn es stand in seiner Macht, alles zu ändern.

Bill arbeitete sich langsam in die Materie ein. Das war das schöne an der Zukunft, in der er gewesen war, Banken interessierten dort niemanden mehr, DIE BANK war schon seit Jahrhunderten Geschichte und ihre Sicherheitsmaßnahmen waren nicht mehr geheim. Alles war öffentlich, alles war zugänglich, alles stand ihm zur Verfügung. Schritt für Schritt, Stufe für Stufe arbeitete er sich in das Sicherheitssystem ein, so lange, bis er sich im Schlaf darin zurecht fand. Irgendwann hatte er es dann, die Bank gehörte ihm, er konnte sich frei in ihr bewegen, in seinem Geist und in seinem holographischen Modell, das er sich angefertigt hatte. Er wusste, wo sich was befand und wie er von wo nach wo kam. Das war der Anfang. Die Frage war, ob es da vielleicht noch geheime Sicherheitsmaßnahmen gab, die nirgendwo verzeichnet waren?

Das war der nächste Schritt. Er setzte sich mit den Versuchen, die BANK auszunehmen, auseinander. Jetzt, wo er die Bank in und auswendig kannte, konnte er im Kopf die Schritte der Räuber nachempfinden. Er sah, wie sie welche Maßnahme ausgeschaltet – und woran sie letztendlich gescheitert waren. Einbruch für Einbruch ging er durch und irgendwann erahnte er schon vorher, an welcher Stelle der entsprechende Verbrecher scheitern würde. Und er hatte immer recht.

Lachend strich sich Bill über seine faltigen Wangen. Und wurde sich eines Fehlers in seinem Plan bewusst, eines klitzekleinen, nun, nicht unbedingt Fehlers, aber einer Unsauberkeit, die ihm gerade erst in ihrer Bedeutung klargeworden war. All dieses Wissen, das er hatte, die Möglichkeit, sich in der Bank perfekt zurechtzufinden, all dieses Wissen musste er zu gegebener Zeit vermitteln. Denn er selbst in seinem jetzigen Zustand würde den Bankraub nicht durchführen können, soviel stand fest. Vielleicht gab es ja die Möglichkeit, seine Gedanken zu kopieren, seine Erinnerungen an die Bank auf jemand anderen zu übertragen. Ja, das wäre der beste Weg, dachte Bill, das würde vieles vereinfachen. Doch darum würde er sich kümmern, wenn es soweit war. Noch hatte er nicht alle Probleme gelöst.

Leichtfüßig bewegte er sich durch sein Modell der BANK. Eine Sicherheitsmaßnahme nach der anderen, an der seine Vorgänger gescheitert waren, überwand er und kam so weit, wie noch nie jemand vor ihm gekommen war, jedenfalls nicht in der Wirklichkeit. Ab hier war es nur noch ein kleines Stück, aber er hatte keine Erfahrungswerte, wusste nichts darüber, woran man hier scheitern konnte, weil noch nie jemand bis hierher vorgedrungen war, um hier zu scheitern. Bill kannte die Sicherheitsmechanismen, die sich hier befanden – und nach einer halben Ewigkeit hatte er einen Weg gefunden, auch sie zu überwinden. Dann hatte er es geschafft. Er hatte sein Ziel erreicht, war in das Heiligtum der Bank vorgedrungen… jetzt musste er nur noch ein paar wirklich wertvolle Dinge stehlen und heile wieder herauskommen.

Das hatte sich inzwischen als der knifflige Teil herausgestellt. Nicht das Herauskommen, dafür hatte er eine Idee. Aber die Sache mit dem Diebesgut. Es gab keine Liste darüber, was genau sich in der Bank befand. Also würde er improvisieren müssen. Und ein bisschen recherchieren, was in der Zeitperiode, die er sich für seinen Bankraub aussuchen würde, als wertvoll galt und was sich möglicherweise im Tresor der BANK finden ließ.

Noch einmal ging Bill alles durch, einmal, zweimal, zwanzigmal, hundertmal. Am Anfang tat er sich beim Finale noch ein wenig schwer, aber irgendwann hatte er es dann raus. Wenn die Sicherheitsmaßnahmen in der wirklichen Bank so waren, wie in seiner, dann hatte er eine gute Chance. Nun wurde es Zeit, zum nächsten Teil des Plans überzugehen.

„Was?“ fragte der junge Mann ungläubig und starrte ihn an.

„Ich bin Bill Smythe“, wiederholte Bill, „Ich bin du… in alt.“

Der jüngere Bill schien ein paar Probleme damit zu haben, diese Tatsache zu akzeptieren.

„Hattest du nie das Verlangen, eine Bank auszurauben?“ fragte der alte Mann nun sein jüngeres Ich.

Das dachte einen Moment darüber nach, dann nickte es.

„Die größte Bank im Universum!“

„Die hab ich gefunden“, lächelte Alt-Bill. Irgendwann würde er sich das mit dem Universum und all dem erklären, aber das schien im Moment weniger von Bedeutung zu sein, wichtig war, dass sein jüngeres Ich sein älteres zu erkennen schien. „Und ich habe einen Plan ausgearbeitet, wie wir sie besiegen können.“

Oder, genau genommen, wie er sie besiegen konnte – nicht er, der alte, sondern er, der junge Bill. Das war von Anfang an sein Plan gewesen: Einen Weg zu finden, den größten Bankraub aller Zeiten zu begehen – und diesen Weg dann seinem jüngeren Ich zu vermitteln. Bill würde den Bankraub durchführen, aber nicht der alte Bill, der junge. Er würde die Bank ausrauben und reich werden und Bill würde ein großartiges Leben führen. Bill tat das für sich – und mit sich. Er hatte sogar einen Weg gefunden, die Erinnerungen, die er in seiner Banksimulation gesammelt hatte, so zu speichern, dass er sie auf sein jüngeres Ich übertragen konnte. Das würde ihm einiges an Erklärungen sparen und der Jung-Bill konnte schon bald genauso sicher durch die Simulation laufen, wie er es tat. Nachdem auch das ausbaldowert war, hatte Bill nur noch eine Zeitmaschine auftreiben müssen und dann konnte es losgehen – verdammt Zeit, wie er fand, denn er hatte viele, viele Jahre seines Lebens in die Ausarbeitung dieses Plans gesteckt und inzwischen war er wirklich zu alt dafür. Aber das hatte er ja schon immer in seine Überlegungen mit einbezogen.

„Was ist das?“ fragte der junge Bill und deutete auf das Gerät, das der alte Bill nun aus seiner Tasche geholt hatte.

„Es ist ein Geschenk“, meinte der Alte und lächelte. Es traf nicht ganz zu, gar nicht, um genau zu sein. Andererseits: „Für dich“, fügte er hinzu, da er irgendwie den Drang verspürte, nicht in allen Punkten zu lügen. So war es nur teilweise eine Lüge, je nach Standpunkt.

„Sollte ich fragen, woher es kommt?“

„Kennst du dich?“

„Dann sollte ich wohl nicht.“

Bill war schon immer ein schlaues Kerlchen gewesen. Zu schade, dachte der Alte, dass er sich an dieses Gespräch gar nicht erinnerte. Aber so gesehen hatte es ja auch noch nicht stattgefunden, wenn er dem Zeitreiseleiter auf seinem letzten Ausflug Glauben schenken durfte, oder seinem vorletzten, wenn man genau war. Er konnte sich nicht daran erinnern, weil das in einer anderen, was war da der Begriff, Zeitlinie stattgefunden hatte? In seiner ersten Zeitlinie, in der er ein trauriges, deprimierendes Leben geführt hatte, an das er sich kaum noch erinnern konnte. Vielleicht waren das schon die ersten Auswirkungen der Veränderungen, die er bewirkte, bewirken würde und bewirkt haben würde, wenn alles vorbei war. Sein Leben würde sich verändern, vielleicht auch seine Erinnerungen. Vielleicht wurde das ausgelöst durch sein Treffen mit sich selbst, das nie stattgefunden hatte, nun aber stattfand und damit alles veränderte. Was genau das Ziel war, alles zu verändern, sein Leben und seine Erinnerungen. Wenn der Mann mit der Zeitmaschine recht hatte, dann würde genau das passieren. Sein Leben, wie er es geführt hatte, würde ausradiert werden, hätte niemals stattgefunden und an seine Stelle träte das neue, bessere, wunderbare Leben, zu dem er sich gerade die nötigen Zutaten überreichte. Er würde nie dieses alte Leben geführt haben. Das Wort Paradox stand im Raum, oder Paradoxie, je nachdem, mit wem man darüber sprach. Die Zeitreisephilosophen behaupteten, dass sein Verhalten zu einem Paradox führen würde, oder einer Zeitschleife? Irgendetwas, das sich gegenseitig auflösen würde. Er hatte Filme darüber gesehen, aber die schienen auch kein einheitliches Bild davon zu vermitteln. Es bestand die Möglichkeit, sagten diese Philosophen, dass er seine eigene Vergangenheit änderte, darum ging es ihm ja. Das würde, so diese Leute, zur Folge haben, dass er seine Reise durch die Zeit gar nicht erst antrat, weil ja keinerlei Notwendigkeit dazu bestand. Das wiederum würde zu jenem Paradox führen, dass er eben nicht zurückreiste und seine Zeitlinie nicht veränderte, womit alles streng genommen beim Alten blieb und er zurückreiste… Es war verwirrend und unübersichtlich, aber er hatte lange genug darüber nachgedacht, um auch dieses Problem zu umschiffen.

Die Gefahr bestand also darin, dass er nicht zurückreiste und damit die neue, bessere, erfreulichere Zeitlinie gar nicht erst entstand. Also hatte er in seinen Erinnerungen, die er auf sein jüngeres Ich übertragen würde, mit einprogrammiert, dass er diese Reise tun musste, egal, wie gut es ihm ging. Er sollte sich das ganze Treffen so gut wie möglich einprägen, und, selbst wenn er ein phantastisches Leben gehabt hatte, so tun, als wäre es nicht so gewesen. Er musste sich alles so erzählen, wie er es sich gerade erzählte, auf dass die Schöpfung der neuen Zeitlinie auf jeden Fall stattfinden würde. Ergo: Kein Paradox!

„Worüber denkst du nach?“ fragte der junge Bill.

„Das ist… kompliziert.“

Sein jüngeres Ich hatte keine Vorstellung davon, wie kompliziert das alles war. Aber das würde schon noch kommen. Und er, der alte Bill, der deprimierte Bill, würde er weiterleben oder würde er einfach verschwinden? Die Philosophen hatten ihre Vorstellungen davon, aber genau zu wissen schien es niemand. Bill hatte seine eigenen Ideen. Natürlich war es möglich, dass er weiterlebte, aber irgendwie rechnete er nicht damit, wollte es auch eigentlich gar nicht. Wenn er weiterlebte, würden ihm dann seine eigenen Erinnerungen bleiben, die, die er gerne vergessen würde? Oder würden sie ausgetauscht durch die neuen Erinnerungen an ein schönes und wohlhabendes Leben? Würde er nur diese Erinnerungen haben, weil sein jüngeres Ich sie machte? Würden sie neben seinen jetzigen Erinnerungen bestehen oder sie ablösen? Würde er nicht wahnsinnig werden, während sich seine Erinnerungen eine nach der anderen veränderte?

Irgendwie hoffte er, dass es nicht so sein würde. Irgendwie hoffte Bill auf einen Neustart seines Lebens. Das würde nicht bedeuten, dass er sterben würde, es würde nur bedeuten, dass er nicht dieser Bill werden würde, der er jetzt war, sondern ein Bill, der ein tolles und erfülltes Leben geführt hatte. Seine jetzige Persönlichkeit würde verschwinden, aber das war nicht so schlimm, denn er glaubte nicht, dass er sie vermissen würde. Statt dessen würde er ein anderes Leben geführt haben, ein besseres… das war das, was er sich immer wieder einredete und das war der Grund, warum er all das machte.

„Mit dem Gerät erfährst du, was ich weiß“, sagte der Alte und reichte es dem Jungen. Auch das entsprach nur halb der Wahrheit. Die Erinnerungen an sein Leben, die, die Bill durch neue, bessere ersetzen wollte, würde er auslassen. Sein jüngeres Ich würde all das erfahren, was es wissen musste, über die BANK, die Hintergründe, die Recherche und den Aspekt, dass er sich so oder so diesen Besuch abstatten musste, damit die Wirklichkeit auch wirklich die wurde, die er wollte und sein jüngeres Ich wollen würde, wenn er sein Alter erreicht hatte. Das war keine Frage, das war ein Fakt, denn er hatte dieses Alter erreicht und er wollte diese Veränderungen.

„Aha“, meinte der junge Bill nur. War er immer schon so wortkarg gewesen? Offensichtlich.

An dieses Gerät zu kommen war eine weitere Herausforderung gewesen, aber keine große. Eigentlich hatte er dazu nur eine Sache gebraucht, und die brauchte er ohnehin.

„Sie stehen wohl echt auf Zeitreisen?“ hatte der Zeitreiseleiter gefragt, als Bill einmal mehr dessen Firma betrat.

„Hm“, nickte der alte Mann. Er hatte alles an Geld zusammengekratzt, was er hatte, nur um sich diese eine Reise leisten zu können, denn Zeitreisen war ein kostspieliges Unterfangen. Sein letztes Geld steckte in diesem Ausflug und er hoffte, dass es gut angelegt war.

„Wo soll’s denn hingehen?“ hatte der Mann gefragt.

„In eine bessere Zukunft“, hatte Bill geantwortet. Er hatte viel recherchiert, er wusste inzwischen, wie eine Zeitmaschine funktionierte. Und er wusste, wie man einen Mann betäuben konnte. Er tat beides, dann reiste er zu seinem ersten Zielort. Es war ein das DENKSTROM INSTITUT in etwa 200 Jahren. Dort, das hatte er erfahren, gab es die Gedankenübertragungsmaschine. Er musste den Zeitpunkt genau abpassen, denn zwei Jahre nach ihrer Markteinführung wurde sie verboten, weil die Regierung festgestellt hatte, wieviel Schaden man damit anrichten konnte – und wahrscheinlich wollte sie diesen Schaden selbst anrichten. Bill ging zur Bank, hob das Geld von seinem Konto ab, das dort seit 200 Jahren Zinsen abwarf, und kaufte dann den Gedankenüberträger. Das war weit einfacher, als ihn zu stehlen und fast schon ein bisschen schade, aber er hatte einen großen Coup vor, da wollte er vorher nicht zuviel Aufmerksamkeit erregen. Mit dem Gerät hatte er seine Vorbereitungen abgeschlossen und der nächste Schritt war, sich selbst in den Plan einzuweihen.

„Wow“, staunte der junge Bill und benutzte einen Begriff, der offensichtlich nie aus der Mode gekommen war und selbst in der Literatur der Endzeit aufgefunden werden konnte, wie Alt-Bill dort am Rande mitbekommen hatte. (Ein kleiner Fehler Billerseits, dessen Blick in der Zukunft zwar das Wort „Wow“ gestreift hatte, doch dort galt es als Abkürzung für „World of Worship“, eine religiöse Welt in einem Spiralarm der Vergo-Galaxie – siehe dazu auch „Die WOW-Chroniken“, in denen von fachkundiger Seite beschrieben wird, warum Religionen das Einzig Wahre sind und die leider nicht zuende geführt werden konnte, weil der Autor und alle anderen Bewohner von WOW in einem spektakulären Religionskrieg getötet wurden.) Bill hatte alles auf ihn übertragen, alles, was wichtig war, alles, was er wissen, alles, was er tun musste.

„Das ist erst der Anfang“, meinte der Alte.

„Weil ich das alles ausprobieren soll?“ lächelte der Junge.

„Wir verstehen uns.“

„Mehr als zuvor.“ Der junge Bill lachte. „Ich spüre jeden Schritt, den du gemacht hast“, er kniff die Augen zusammen, „und jeden Fehler.“ Sein Lächeln wurde strahlend. „Deine Knochen sind zu alt dafür. Ich glaube, ich werde weniger Zeit brauchen, als du.“

Alt-Bill hob eine Braue.

„Du glaubst nicht, dass du es ohne Übung schaffst?“

„Nein, denn ich kenne deine Gedanken. Und wie du dich erinnern wirst, hast du früher mal Texte aufgesagt.“

Ehrlich gesagt erinnerte sich Bill nicht daran.

„Und nur, weil man einen Text kennt“, fuhr sein junges Ich fort, „bedeutet das nicht, dass man ihn auch fehlerfrei sprechen kann. Fehler schleichen sich immer ein. Du hast völlig recht, ich brauche Übung, ich muss die Muskeln, meine Muskeln, meine jungen Muskeln an die Abläufe gewöhnen, die deine Muskeln schon kennen.“

Der alte Bill strahlte. Es war großartig, dass er so gut verstand, worauf es ankam.

„Na, dann fangen wir mal an.“

Sie benötigten fast eine Woche, bis sich der junge Bill sicher und der alte Bill mit ihm zufrieden war. Erst, als er den Einbruch zehnmal hintereinander fehlerfrei durchführte, waren sie sich einig, dass er bereit war. Es wurde Zeit, Abschied zu nehmen.

„Du hast die Erinnerungsmaschine gestohlen?“ hatte der Junge irgendwann gefragt.

„Nein, aber die Zeitmaschine.“

„Hatte die einen Piloten?“

„Ja.“

„Was ist mit dem?“

„Den hab ich irgendwo abgesetzt. Er ist betäubt.“

Jung-Bill sah sein älteres Ich fragend an.

„Ist der inzwischen nicht wieder aufgewacht?“

„Nicht, wenn wir alles richtig machen.“ Der Alte lächelte. Es hatte so viel zu bedenken gegeben. „Du brauchst die Zeitmaschine für deinen Einbruch, aber vorher musst du mich in meiner Zeit absetzen. Dabei holen wir den Piloten ab, und wenn wir es richtig machen, hat er bis dahin erst eine Minute geschlafen. Dann setzen wir ihn in der Zukunft ab, du setzt mich in meiner ab, ein paar Tage vor seiner, und dann… machst du den Bruch.“

„Und da er ein paar Tage nach deiner Ankunft aufwacht…“

„Oh, kurz, bevor ich ihn treffe, aber am anderen Ende der Stadt. Bis er seine Zeitmaschine erreicht hat, werde ich damit weg sein und er wird sich fragen, ob er das alles nur geträumt hat.“

„Und wenn nicht?“

„Hast du hoffentlich eh die Zukunft verändert und dieser Vorfall hat niemals stattgefunden.“

Was, wie Bill wusste, Vor- und Nachteile haben konnte. Im Zweifel, das hatte er sich eingegeben, sollte er, wenn er reich war, eben eine Zeitmaschine chartern und das ganze Paradoxieproblem wurde elegant umgangen. Es hatte niemals stattgefunden, aber nur deshalb, weil es nun niemals stattfinden musste. Veränderte Zukunft, niemand, der ihn verdächtigte.

Bill erhob sich und fühlte seine alten Knochen.

„Es wird Zeit“, meinte er. Streng genommen war die relativ, wenn man eine Zeitmaschine hatte, aber noch strenger genommen gab es da ja noch die Polizeitbehörde, die Zeitreiseaktivitäten unter die Lupe nahm. Theoretisch bestand da immer die Gefahr, dass die ihm auf die Schliche kamen, aber er hoffte, seine Zeitreiseaktivitäten waren bisher klein genug gewesen, um nicht weiter aufzufallen. Trotzdem bestand, je länger sie warteten, die Gefahr, dass jemand kam und sie stoppte. Es wurde also Zeit.

Und los ging es. Sie setzten den Zeitreiseleiter ab. Der würde mit einem Kater aufwachen und ein bisschen brauchen, bis er sich orientiert hatte. Vielleicht würde er denken, dass ihre Zeitreise schiefgegangen war und ihn die Zeitmaschine hier abgesetzt hatte, Bill hatte über solche Notfallvorkehrungen gelesen. Vielleicht würde er annehmen, dass seine Maschine zerstört und Bill tot war und möglicherweise würde er darüber schweigen und so tun, als wäre nichts passiert. Und möglicherweise würde das gar nicht stattgefunden haben.

Dann setzte Bill Bill ab. Ein bisschen in der Vergangenheit, bevor er die Zeitmaschine „auslieh“. Der Grund war ein einfacher, denn wenn etwas schiefgehen sollte, würde man ihn eher in der Zukunft suchen, nachdem die Sache mit der Maschine passiert war. Fand man ihn dort, bevor sein jüngeres Ich den Plan umgesetzt hatte, konnte alles umsonst gewesen sein.

Dann kam der letzte Teil, der Teil, an dem Bill nicht teilnehmen konnte… und den nur Bill durchführen konnte. Bill, der alte, saß auf einer Bank am Fluss und sah hinaus auf das Wasser, hörte sein Rauschen – und war mit seinen Gedanken unendlich weit entfernt. Er wartete, ob er eine Veränderung spüren würde, ob sich seine Gedanken, seine Erinnerungen, sein Standort verändern würden. Würde er plötzlich auf einer Party sitzen oder in einer teuren Villa am Swimmingpool, seiner teuren Villa an seinem Swimmingpool, würde er einfach verblassen, würde er plötzlich verschwinden… oder würde er einfach so weiterexistieren, während in einer parallelen Welt sein Ich ein besseres Leben hatte? Bald, dachte Bill, bald würde er es wissen…

Der junge Bill lächelte. Die Zeitmaschine war genau da angekommen, wo sie hatte ankommen sollen – und wann. Der Zeitpunkt, als die Sicherheitssysteme verbessert wurden. Es steckte eine gewisse Ironie darin, dass das exakt der Zeitpunkt war, an dem ein Teil davon einen anderen blockierte. Und zwar der Asteroidenschutz den Zeitschutz. Das Zeitfenster war nicht groß, nur ein paar Sekunden, aber Bill konnte es sowohl für sein Eindringen wie für seine Flucht benutzen, denn er hatte ja eine Zeitmaschine. Er würde also die Bank zu demselben Zeitpunkt verlassen, zu der er sie betreten hatte – diesen Teil auszutüfteln hatte den alten Bill eine ganze Menge Zeit gekostet. Aber es war möglich, zumal die Bank durch ihren Zeitschutz nicht mehr nach Zeitreiseaktivitäten innerhalb des Komplexes suchte. Und die Maschine befand sich in der Bank – der Teil erwies sich als einfacher, als er angenommen hatte.

Noch einmal vergewisserte sich der junge Bill, dass er alles hatte, was er benötigte, dann wurde es ernst. Ein Stück Kalbsleber, gebraten – er warf es durch die Schleuse. Die Sensoren nahmen das als den Leiter der Bank wahr und deaktivierten sich, wie es sich für sie gehörte. Weiter ging es, mit einem Handventilator, einem Luftballon zum Aufblasen, einem Stück bedruckter Pappe (jemand hatte es mit unbedruckter versucht und war von den Sicherheitsmaßnahmen desintegriert worden) und einem Sack biestiger Flöhe. Jeder dieser Ausrüstungsgegenstände hatte eine Funktion, jeder setzte eine andere Sicherheitsmaßnahme außer Kraft. Leichtfüßig, wie ein Tänzer, der seine Schritte im Schlaf kennt, bewegte sich der junge Bill durch die am besten gesicherte Bank der Menschheitsgeschichte und dann war er dort, wo noch kein Bankräuber vor ihm gewesen war: Im Heiligsten der Bank!

Sein altes Ich hatte gut recherchiert, er wusste, was er stehlen musste, er wusste, was wertvoll war und er wusste, wo er etwas dafür bekommen würde. Es mussten Dinge sein, die selbst deren Eigentümern nicht auf legale Weise zugekommen waren und die deshalb wohl kaum die Polizeibehörden auf ihn ansetzen konnten. Geraubte Kunstgegenstände, verloren geglaubte Reichtümer, Dinge, die niemand vermissen würde, weil sie bereits vermisst wurden. Wer weiß, vielleicht konnte Bill sogar noch ein gutes Werk tun und ein paar davon wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen? Doch das war nicht sein erstes Ziel, zunächst ging es darum, die Dinge zu finden – und damit wieder hier herauszukommen.

Bill lief durch die gigantischen Schließfächer, er fand die Dinge, die er suchte, handlich mussten sie sein und wertvoll. Er ließ sich nicht ablenken von all dem Glitzern, er hatte ein klares Ziel und sein Wille war stark genug, es zu verfolgen. Keine zehn Minuten später hatte er alles gefunden, was er brauchte. Er überlegte sich, ob er der Bank einen Abschiedsgruß hinterlassen sollte, einen Hinweis darauf, dass er sie, die uneinehmbare, unbesiegbare Bank besiegt hatte, aber er entschied sich dagegen. Er musste nicht protzen mit dem, was er vollbracht hatte, er musste es nur genießen.

Ohne Probleme erreichte er seine Zeitmaschine. Er veränderte ein wenig ihre Position, dann reiste er in der Zeit zurück, verließ auf dem selben Weg den er hereingekommen war die Bank… und war verschwunden.

Bill Smythe saß auf einer Bank und blickte entspannt auf den Fluss hinaus.

Bill Smythe hörte ein Klingeln an seiner Tür. Er öffnete. Eine attraktive Frau stand vor ihm. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Dann trat der Mann ins Bild. Bills Lächeln verschwand.

„Sie hatten eine Pizza bestellt?“ fragte der Mann.

„Nein“, widersprach Bill.

„Dann bin ich ja froh, dass wir keine mitgebracht haben. Was hätte das für einen Eindruck gemacht?“ lächelte der Mann und kramte in seiner Jacke nach etwas. Er präsentierte Bill einen Ausweis. „Detective Ethan Cause von der Polizeit, das ist meine Kollegin Captain Fect.“

„Vorgesetzte“, zischte die, lächelte und zeigte ebenfalls ihren Ausweis.

„Okay, meine Vorgesetzte, aber ich glaube kaum, dass das für ihn einen Unterschied macht.“ Ethan sah Bill an. „Macht das für Sie einen Unterschied, Herr…“

„Smythe, Bill Smythe.“

„Ich weiß, ich wollte nur sichergehen, dass wir an der richtigen Tür geschellt haben. Wir sind von der… aber das hab ich ja, glaube ich, schon gesagt.“

„Von der Polizeit.“

„Richtig.“ Der Polizist sah sich um, als hätte er etwas vergessen. „Weswegen sind wir nochmal hier?“

„Wir wollten mit ihm sprechen“, half seine Kollegin nach.

„Richtig, sprechen, das war’s.“ Ethan lächelte. „Verhören klingt den Leuten immer so unangenehm.“

„Geht das schon wieder los?“ zischte die Frau.

„Na komm, die meisten Leute, mit denen wir sprechen, sind Verdächtige, da ist der Begriff durchaus angebracht. Bei Zeugen würde ich dir zustimmen, dass wir uns da in einer Art Grauzone befinden, aber bei Verdächtigen kann man schon von Verhören sprechen, wenn du mich fragst.“

„Das tu ich aber nicht.“

„Das weiß ich.“ Ethan sah den jungen Mann an. „Nun, Herr Smythe, Sie werden sich aus unserem kleinen Disput schon zusammengereimt haben, dass wir Sie für einen Verdächtigen halten und wenn Sie möchten, dürfen Sie an dieser Stelle raten, wofür.“

„Keine Ahnung.“ Bill hob die Schultern. „Hat das schonmal jemand gemacht?“

„Schon oft.“

„Macht das die Leute nicht verdächtig?“

„Und wie!“

Bill lächelte. „Ich habe nichts zu verbergen, fürchte ich.“

„Na dann wird das hier ja ein angenehmer kleiner Plausch am Nachmittag.“

„Es ist Vormittag“. korrigierte Fect.

„Ich bin Zeitreisender, da isses gar nicht so leicht, auf dem Laufenden zu sein, welche Tageszeit gerade ist.“

„Du hättest mich fragen können.“

„Beim nächsten Mal.“ Ethan sah Bill an. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“

„Sie meinen, wenn Sie mich verhören?“ lächelte der junge Mann.

„Nun, wenn Sie es so formulieren möchten…“

„Kommen Sie doch bitte herein.“

„Danke.“

Die beiden Polizeitbeamten betraten die Wohnung. Alles war sauber aufgeräumt, aber da dieses Alles nicht gerade viel war, schien das nicht lange gedauert zu haben oder für gewöhnlich nicht lange zu dauern.

„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

„Sie dürfen, aber wir lehnen ab.“

„Und wenn ich etwas gewollt hätte?“ ließ sich die Frau vernehmen.

„Mich nicht Verhör sagen lassen, aber um Getränke schnorren?“

„Du warst früher charmanter.“

„Du warst früher nicht meine Vorgesetzte.“

„Sie müssen ihn entschuldigen…“

„Das müssen Sie nicht“, widersprach Ethan, „aber es wäre nett, wenn Sie mein Verhalten tolerieren können.“

„Sind Sie ein Paar?“ wollte Bill amüsiert wissen.

„Wir waren oder werden, je nachdem, das ist bei Zeitreisen nie so genau zu sagen.“

„Wieso?“ meinte Bill verwirrt.

„Das ist kompliziert“, sagte Fect.

„Weil mein älteres Ich, das ich noch nicht bin, mit ihrem jüngeren Ich, das sie einmal war, zusammen war. Oder ist. Oder sein wird.“

„Häh?“

„Ich sagte ja, es ist kompliziert.“

Fect lächelte.

„Sie fragen sich sicher, warum wir hier sind“, eröffnete Cause nun.

„Um mich zu verwirren?“

„Nein, das ist nur ein amüsanter Nebeneffekt. Wir ermitteln in einem Fall, in den Zeitreiseaktivitäten verwickelt sind und dabei sind wir auf Sie gekommen. Sie sind einer von mehreren möglichen Verdächtigen und da dachten wir, statt einfach alle zu verhaften und die Sache abzuhaken, sprechen wir doch mal mit Ihnen.“

„Und, weil es Vorschrift ist.“

„Ja, das auch“, gab Ethan zu.

„Um was geht es?“ fragte Bill interessiert und lud die beiden Polizisten ein, es sich auf seiner Couch gemütlich zu machen.

„Es geht um den größten Bankraub in der Geschichte des Universums.“

„In der Geschichte der Menschheit“, korrigierte Fect.

„Das nimmt dem Ganzen ein bisschen die Würze.“

„Es gab einen Bankraub in der Geschichte…?“

„Ja und nein.“

„Und was bedeutet das schon wieder?“ Bill lachte. „Ich weiß. Weil es ein Mythos ist. Weil niemand davon erfahren darf, dass die BANK jemals ausgeraubt wurde, damit ja niemand auf die Idee kommt, dass es möglich ist?!“

„Äh, nein, ja und nein deshalb, weil der Bankraub stattgefunden hat aber streng genommen noch nicht stattgefunden hat. Zeitreise und so.“

„Und Sie wollen ihn verhindern?“

„Aber auf keinen Fall. Das wäre unethisch. Oder sowas in der Art.“

„Wir versuchen, die Geschichte so wenig wie möglich zu verändern“, erklärte der Captain und schlug ihre Beine übereinander. „Der Einbruch hat stattgefunden, das steht fest. Unsere Aufgabe ist nur, herauszufinden, wer es war.“

„Warum?“

„Um ihn zu beglückwünschen. Die sicherste Bank im Universum…“

„Der Menschheit!“

„…auszurauben und damit durchzukommen, das verdient doch einen Preis.“

„Wirklich?“

„Nein, ich fürchte, der Gesetzgeber sieht das anders. Der besteht auf so einer Art Strafe.“

„So einer Art Strafe?“

„Auf einer Strafe, ja. Was denn, Verhör darf ich nicht sagen, aber Strafe schon?“

„Das hier ist kein Preisausschreiben, wo jemand einen Preis für den originellsten Banküberfall bekommt.“

„Und das ist schade, denn er war originell! Und es hat uns eine Ewigkeit gekostet, rauszukriegen, wie er das gemacht hat.“

„Oder sie.“

„Oder sie, genau.“

„Eine Ewigkeit?“ fragte Bill verwirrt. Für ihn lagen die Ereignisse erst ein paar Stunden zurück.

„Zeitreise“, wiederholte Ethan. „Wochenlang die Fakten durchgegangen, den Tatort untersucht, mit Theorien herumgespielt… sowas klärt man nicht von heute auf morgen. Von heute auf morgen kommt man nur mit einer Zeitmaschine überall hin, oder, in dem Fall eher von in ein paar Jahren nach Vorgestern.“

„Das ergibt keinen Sinn.“

„Ich weiß, aber solche Sinnsprüche sind mit Zeitmaschinen einfach sehr schwer zu aktualisieren.“

„Und was wollen Sie nun von mir?“

„Oh“, lächelte der Detective, „schön, dass Sie fragen. Sehen Sie, haben Sie ein Konto bei der BANK?“

Bill nickte. „Ja.“ Er hatte extra eins anlegen lassen, damit seine DNA dort erklärt war, wenn man welche fand.

„Waren Sie jemals in der Zukunft?“

„Ja.“

„In der fernen Zukunft?“

„Nein.“

„Wirklich nicht? Auch keinen Besuch von da?“

„Nein.“

„Ah.“ Ethan nickte. „Schade.“

„Was ist denn in der Zukunft?“

„Oh, nur alles, was sich ein cleverer Bankräuber wünscht. So ziemlich alle Informationen, die er benötigt, wenn er einen Bankraub planen möchte.“

„Ich fürchte, da muss ich Sie enttäuschen, ich war nie sehr weit weg. Ich bin sicher, das können Sie feststellen?!“

„Das können wir“, bestätigte Fect – und bestätigte, dass Bill die Wahrheit gesagt hatte.

„Dann kann ich mir also nicht die Informationen besorgt haben, um in die BANK einzubrechen und den größten Bankraub aller Zeiten zu begehen?“

„Scheinbar nicht.“

Bill lächelte. „Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte.“

„Oh, das konnten Sie“, meinte Ethan. „Sehen Sie, wenn Sie es nicht waren, dann können wir Sie von der Liste streichen und das hilft ja auch irgendwie.“ Ethan erhob sich. „Aber bevor wir mit dem nächsten sprechen, gehen wir erstmal was essen.“

„Wir?“ meinte Bill amüsiert.

„Ich meinte meine Kollegin und mich.“

„Vorgesetzte.“

„Auch gut. Aber wenn Sie sich uns anschließen möchten? Es soll hier ein gutes Restaurant geben für Kalbsbraten – der täuschende Ähnlichkeit mit einem Direktor der BANK hat.“

„Ich fürchte, ich mach mir nichts aus Kalbsbraten.“

„Tja, Ihre Entscheidung.“ Ethan nickte dem jungen Mann zu und machte sich dann auf den Weg zur Tür. Dann stoppte er. „Wissen Sie, was das Vertrackte bei Zeitreisen ist?“

„Nein, was?“

„Sie funktionieren in beide Richtungen.“

Bill zuckte die Schultern.

„Was soll das heißen?“

„Dass man nicht nur in die Zukunft reisen kann, um mehr über die Sicherheitssysteme einer Bank zu erfahren, man kann es auch tun, um herauszubekommen, was gestohlen wurde.“

„Gestohlen werden würde“, verbesserte Fect.

„Ich weiß, aber ich wollt’s nicht übertreiben. Und, naja, wenn man weiß, was gestohlen… wird, dann kann man sich darauf vorbereiten.“

„Vorbereiten? Wie?“

„Mit einem Peilsender. Ganz klein, gut versteckt. Und wenn niemand danach sucht…“ Ethan hob lächelnd die Schultern. „…verrät er einem die genaue Position des Bankräubers.“

„Sie meinen…“ Bill seufzte und seine Schultern klappten ein. Er wirkte auf einmal viel kleiner und irgendwie gebrochen. „…ein Peilsender hat mich verraten?“

„Nein“, Detective Cause schüttelte den Kopf, „das haben Sie selbst getan.“

„Wann?“

„Gerade eben. Es gibt nämlich keinen Peilsender“, seufzte Ethan, dem das Ganze fast ein wenig leid zu tun schien, „aber das wäre eine verdammt gute Idee gewesen!“

Bill Smythe saß auf einer Bank und blickte entspannt auf den Fluss hinaus. Als er ein Räuspern hörte, sah er auf. Ein Pärchen stand vor ihm, eine Frau, recht attraktiv, und ein Mann. Der Mann lächelte höflich.

„Bill Smythe?“ fragte er.

„Ja?“ sagte Bill.

„Das ist meine Vorgesetzte Captain Fect und ich bin DI Cause, wir sind von der Polizeit.“

„Oh“, brachte Bill nur hervor.

„Wir sind hier, um Ihnen mitzuteilen…“ Der Mann schien nicht ganz zu wissen, was er sagen sollte. „Wir ermitteln im größten Bankraub aller Zeiten und da sind wir auf Sie gestoßen.“

„Ich… aber… ich…“

„Oh, wir sind uns bewusst, dass Sie diesen Bankraub nicht begangen haben, nicht begangen haben können“, erklärte der Detective, „wir wollten Sie nur darüber informieren… dass Ihr jüngeres Ich erfolgreich diesen Bankraub durchgeführt hat. So erfolgreich, dass wir ihm leider nichts nachweisen können. Es wird ein erfülltes Leben voller Reichtum und Freude führen“, murmelte der Mann, „und wir können nichts dagegen unternehmen.“ Er sah Bill an. „Ich dachte, Sie sollten das wissen.“

Bill nickte dankbar und lächelte leise. Er sah hinaus auf den Fluss und genoss von nun an jeden Tag seines Lebens in dem Wissen, dass er es geschafft hatte.

„Es tut mir fast ein bisschen leid, ihn verhaften zu müssen“, meinte Ethan ein wenig traurig, als man den jungen Bill Smythe abführte. „Er hat sein Leben lang gearbeitet, um ein geniales Verbrechen zu begehen – und doch hat er nichts davon.“

„Du klingst fast so, als hättest du Hochachtung vor ihm.“

„Das hab ich auch. Diese Leidenschaft, diese Hingabe – hätte er für uns gearbeitet, er wäre bestimmt ein großartiger Polizist geworden.“

„Was macht dich so sicher…“

„Was?“

„Dass wir nicht gerade die Geschichte verändert haben?“

„Inwiefern?“

„Insofern, als er jetzt weiß…“ Auf Fects Gesicht erschien ein Lächeln. „Hast du ihm einen Tipp gegeben? Hast du ihm gezeigt, wie er beim nächsten Mal drum herum kommt, sich zu verraten?“

„Ich fürchte nicht, nein.“

„Aber… er wird sich doch an all das hier erinnern. Also kann er es verändern.“

„Nein.“

Fect blieb stehen und sah ihren Freund und Kollegen verwirrt an.

„Aber… wird sein älteres Ich denn nicht wissen, dass er verhaftet wurde?“

„Nein“ seufzte Ethan und schüttelte den Kopf. „Das hängt mit der Strafe für diese Art Verbrechen zusammen. Man hat sich etwas überlegt, das mögliche Wiederholungstäter wie ihn davon abhalten soll, es noch einmal zu versuchen.“

„Und wie sieht das aus?“

„Man löscht sein Gedächtnis!“

Eines Tages erwachte Bill Smythe mit einer bahnbrechenden Idee...

POLIZEIT-Bericht

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