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Schwierigkeiten
ОглавлениеDer Verkehr war stark.
Ich kam nicht schnell voran.
Dabei war Geschwindigkeit wichtig.
Wenn ich mein Ziel rechtzeitig erreichen wollte.
Wenn ich schnell da sein wollte.
Um da zu sein.
Für sie.
Wenn sie mich brauchte.
Wenn es nötig war.
Wenn es wichtig war.
Ich hetzte durch die Stadt.
Autos hupten mich an.
Fahrradfahrer verwünschten mich.
Es war mir egal.
Manchmal muss man so handeln.
Manchmal hat man einfach keine andere Chance.
Wenn wichtige Dinge auf dem Spiel stehen.
Ich stieß die Tür auf.
Die Kneipe war halb gefüllt.
Die Luft stickig.
Die Atmosphäre verraucht.
An der Bar stand sie.
Drehte sich um.
Ich sah es ihr an.
Sah, weshalb ich mich so beeilt hatte.
Weshalb ich alles aufs Spiel gesetzt hatte.
Weshalb ich durch die ganze Stadt gerast war.
Sie wollte mich.
Ich stürmte durch die Kneipe.
Und küsste sie.
Das Beste des Tages!
Das „Schwierigkeiten“ war eine neue Szenekneipe, die an der Zülpicher Straße aufgemacht hatte. Das Viertel mit seinen Kneipen lag ganz in der Nähe der Uni und wurde deshalb vornehmlich von Studenten für ihre Abende ohne Lernen benutzt – also genau genommen für die meiste Zeit. Mit dem „Schwierigkeiten“ versuchte man, eine moderne Cocktailbar mit einer heruntergekommenen Kölschkneipe zu vereinigen. Das ganze war mehr so ein Experiment, ob diese Kombination überhaupt funktionieren konnte. Ich hatte meine Zweifel. Dafür mochte ich das Personal.
Jasmin arbeitete hier als Bedienung.
Eine Studentin.
Jura.
Trotzdem nett.
Eine tolle Küsserin.
„Ich hab Pause“, hauchte sie und küsste mein Ohr.
„Ich auch!“ murmelte ich.
Wir verschwanden aus dem „Schwierigkeiten“ und gingen in ihre Wohnung. Es dauerte nicht lange, bis wir nackt und völlig verschwitzt waren.
Jasmin war großartig. Eine Beziehung, wie man sie sich wünschte. Sie studierte. Kellnerte. Lernte. Hatte wenig Zeit. Man sah sich. Aber nicht zu oft. Und wenn man sich sah, nutzte man die Zeit. Nicht zum Streiten. Für wichtigeres.
Wir hatten uns bei der Polizei kennen gelernt. Als dort im Rahmen ihres Studiums ein Praktikum machte.
Ich kümmerte mich um sie. Zeigte ihr ein paar Tricks. Lernte sie kennen.
Wir trafen uns.
Mochten uns.
Liebten uns.
Sie war eine tolle Frau.
Und der Sex war großartig!
Ich seufzte und zündete mir eine Zigarette an. Dabei beobachtete ich, wie ein kleiner Schweißtropfen langsam über die Wölbung ihrer wohlgeformten Brust lief. Ein hinreißender Anblick.
„Woran denkst du?“ fragte sie.
„An dich.“
Ich sog den Rauch tief in die Lungen.
„Schwerer Tag?“
„Naja.“ Ich sah sie gelassen an. „Ging so.“ Sie hatte wunderschöne Augen. „Muss gleich noch n paar Leute befragen.“
„Nebenjob als Fernsehmoderator?“
„Ich wünschte, es wär so!“
Ihre Brustwarzen waren noch immer aufgerichtet.
Meine Hand streichelte ihren Venushügel.
„Haben wir noch Zeit?“
Sie sah auf die Uhr.
„Leider nicht.“
Sie küsste mich auf den Mund und stieg aus dem Bett.
„Willst du nicht duschen?“ fragte ich sie, als sie ihren BH anzog.
„Nein.“ Sie grinste. „Meine Gäste mögen es, wenn ich nach Sex rieche.“
„Der Laden war mir schon immer suspekt“, murmelte ich und ging unter die Dusche.
Eine Viertelstunde später befand ich mich wieder draußen in der Kälte. Zurück zum Tatort. Die Nachbarn befragen. Eine aufregende Angelegenheit.
Als ich vor dem Haus auf dem Bürgersteig parkte, trat bereits Inspektor Marcsen aus der Tür. Er war mein Partner und hatte den Vormittag frei gehabt.
„Ahh, der eifrige Kommissar“, begrüßte er mich.
„Ahh, der arbeitsscheue Inspektor“, war meine Antwort.
„Eigentlich darfst du da ja nicht parken.“
„Ich wusste, du hast es in dir.“
„Was?“
Er sah mich fragend an.
„Den Verkehrspolizisten. Ich werd mich gleich morgen darum kümmern, dass du dahin versetzt wirst.“
„Also, bei genauerer Betrachtung steht dein Wagen eigentlich ziemlich gut.“
„Lernfähig“, lobte ich.
„Was haben wir hier? Die von der Zentrale haben mir nur gesagt, dass ich dich hier treffen soll.“
„Erinnerst du dich an Dieter Werkel?“
„Dieter Werkel, Dieter Werkel... Oh nein! Dieser Typ, der diese elend langen Fernsehfilme mit Mario Adorf und Heinz Hoenig macht?“
„Quatsch, nein. Das ist Dieter Wedel!“
„Und der ist tot?“
„Nein. Naja, weiß nicht, möglich. Aber darum geht’s hier nicht. Es geht um Dieter Werkel.“
Bei Marcsen ging die Lampe der Erkenntnis an.
„Drogen, Prostituierten und Mord Werkel? Klar. Netter Zeitgenosse. Wie oft haben wir versucht, ihn hinter Gitter zu bringen?“
„Oft genug. Aber er hatte immer gute Anwälte.“
„Dieses ‚hatte‘...“
„...deutet darauf hin, dass die sich nur noch um seinen Nachlass kümmern können, ja.“
„Wow.“
Marcsen war echt erstaunt.
Aber keineswegs betroffen.
„Da hat es ja mal den richtigen getroffen.“
„Im wahrsten Sinne des Wortes! Sollte übrigens wie Selbstmord aussehen, wurde aber verpfuscht.“
„Und wofür brauchst du mich dann? Um zu feiern?“
„Tja, das kommt später. Vorher befragen wir erstmal seine Nachbarn.“
Er stöhnte.
Es gibt nichts schöneres, als Nachbarn zu befragen.
Die meisten machen einem gar nicht erst auf.
Die andern knallen einem die Tür vor der Nase zu.
Wer beides nicht macht, ist oft betrunken.
Oder hat eine abgesägte Schrotflinte hinter der Tür.
In jedem Fall bedeutet es Ärger!
Wir seufzten und machten uns an die Arbeit.
Erdgeschoß.
Fehlanzeige.
Typ in Jogginghosen und Unterhemd.
„Isch brauch keine Zeitungen.“
Die Tür knallte zu.
Wir klingelten wieder.
Durch die Tür knurrte es: „Wenn ihr Jesockse noch mal klingelt, ruf isch die Polizei.“
„Wir sind die Polizei!“ versuchte es Marcsen.
Die Tür ging auf.
„Watt wolln Sie von mir? Der Wajen jehört net mir! Der is wohl nur jeliehen.“
„Es geht nicht um den Wagen“, beruhigte ihn Marcsen. Dann sah er mich fragend an. „Geht es doch nicht, oder?“
„Nein, geht es nicht. Herr Dünnwald, wir haben da ein paar Fragen an Sie. Wegen eines Mieters.“
„Die alte Jrabitz? Dat is ne Vojelscheuche! Und die tratscht, watt datt Zeusch hält!“
„Wie sieht das mit Dieter Werkel aus?“
„Mit wem?“
„Dieter Werkel, dritter Stock, groß, gepflegt, Anzug.“
„Ahh der Fatzke. Hab isch nix mit am Hut. Putzt nie den Hausflur. Fieser Typ.“
„Haben Sie vielleicht heute im Laufe des Abends jemanden hier im Haus gesehen, den Sie hier noch nie gesehen haben?“
„Isch bin jrad erst nach Hus jekomme.“
„Spätschicht?“
Er lachte.
Eine schwere Fahne wehte uns entgegen.
„Joh, so könnte man dat nennen!“
Nette, ältere Dame.
„Sind Sie von der Polizei? Ich habe Sie angerufen. Ich habe Schüsse gehört. Zwei Stück. Ich dachte mir, das kann nicht richtig sein. Zwei Schüsse. Hier im Haus. Das ist nicht gut.“
„Frau, äh...“
„Grabitz. Ich wohne hier im Haus. Ich mochte ihn nicht. Diesen Herrn Werkel. Machte immer einen merkwürdigen Eindruck. Nicht höflich. Wohnt direkt über mir. Hatte manchmal komischen Besuch.“
„Haben Sie im Laufe des Tages jemanden im Haus gesehen, den Sie vorher noch nie hier gesehen haben? Oder jemanden, den Sie Herrn Werkels ‚komischen‘ Bekanntenkreis zuordnen können?“
„Ja. Das habe ich.“
Marcsen und ich sahen uns an. Das klang doch mal wie eine Spur.
„Jemanden, den Sie kannten?“
„Nein. Ich hatte ihn noch nie gesehen.“
„Wie sah er aus?“
„Groß. Breite Schultern. Lederjacke.“
Sie schwieg.
Wir sahen sie fragend an.
„Besser hab ich ihn nicht gesehen.“
„Okay“, murmelte ich. „Groß, breite Schultern, Lederjacke.“ Ich sah an mir herunter. „Trifft wohl auf mich zu!“
Marcsen seufzte.
„Meine Lederjacke ist leider in der Reinigung.“
„Okay, du hast ein Alibi. Naja, sowas in der Art. Gut, haben Sie vielleicht sonst noch etwas gesehen?“
„Nein, das habe ich nicht.“
„Dieser große, breitschultrige Mann mit der Lederjacke, wann haben Sie ihn bemerkt? Kurz nach den Schüssen?“
„Nein, vorher. Bevor ich die Schüsse gehört habe. Er ging die Treppe hinauf.“
„Und als Sie die Schüsse hörten?“
„Bin ich sofort ans Telefon gestürmt.“
„Okay, vielen Dank.“
Wohnung gegenüber.
Keine Reaktion.
Rechtsanwalt.
„Ich muss Ihnen keineswegs die Tür öffnen.“
„Sie wissen sicher über Ihre Rechte Bescheid?!“
„Das sollten Sie auch, meine Herren!“
„Sie waren nicht zufällig sein Anwalt?“
„Wessen Anwalt?“
„Dieter Werkel. Wohnt unter Ihnen. Bis eben.“
„Nein, ich war nicht sein Anwalt.“
„Haben Sie ihn gekannt?“
„Habe ich nicht.“
Schweigen.
„Können Sie uns irgendetwas über ihn erzählen?“
„Kann ich nicht.“
„Können Sie nicht oder wollen Sie nicht, weil Sie glauben, dass Sie es nicht müssen?“
Schweigen.
„In welcher Kanzlei arbeiten Sie?“
„Ihre Namen?“
„Bitte?“
„Ihre Namen! Ich werde mich über Sie beschweren!“
„Weswegen?“
„Ihre Namen?“
„Das ist Inspektor Harry Wepper und ich bin Kommissar Stefan Tappert.“
Schweigen.
Eiskaltes.
„Vielen Dank für das Gespräch!“
Junge Tochter, Eltern nicht zu Hause.
„Der Mann da unten? Nee, den hab ich nicht gesehen. Ich guck den ganzen Tag Fernsehen!“
Frau des Hausmeisters.
„Sie dürfen hier nicht rauchen!“
„Ähm, dürften wir Ihnen vielleicht...“
„Ich kaufe nix! Ham Sie das Schild nicht gelesen? Betteln und Hausieren verboten! Haut ab mit euren Zeitungsabonnements! Sowas wolln wir hier in unserem Haus nicht haben. Kapiert? Und wenn ihr unten bei meinem Mann vorbeikommt, dann sagt ihm, dass er mit seinen Zahlungen im Rückstand ist! Und jetzt haut ab!“
„Oh – Mann!“
Ich zündete mir eine an.
Die Haustür fiel hinter uns ins Schloss.
„Was ein Spaß! Dafür lohnt es sich doch, Polizist zu sein.“
Marcsen schien sich nicht sicher zu sein, ob er rauchen oder lachen sollte. Er wählte einen Kompromiss: Husten!
„Das gibt’s nur im Belgischen Viertel. Im selben Haus wohnen ein Vollproll, ein Rechtsanwalt und ein Krimineller. Tja, das ist Köln.“
„Ja. Ich versteh nur nicht ganz, wo du die Grenze ziehst?“
„Zwischen den sozialen Schichten?“
„Nein, zwischen dem Rechtsanwalt und dem Kriminellen!“
„Die Ausbildung! Der eine ist ein Profi, der andere ein wohlwollender Laie. Naja, wenigstens kann man nicht sagen, dass das ein verschwendeter Abend war.“
„Ach?“ fragte er hustend. „Und warum nicht?“
„Weil der Abend noch nicht zu ende ist!“
„Heißt das, wir machen für heute Schluss?“
„Heißt es!“
„Gut.“ Er kriegte sich wieder ein. „Und? Triffst du dich mit Jasmin?“
„Nee. Hat heut Spätschicht. Die ganze Nacht.“
„Und was steht statt dessen auf dem Programm?“
„Drogen!“