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Frauensache

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Irgendwann kommt in der Laufbahn eines jungen Polizeidetektivs der Zeitpunkt, an dem seinem Autor einfach nichts anderes einfällt und er einen neuen Partner bekommt. In meinem Fall war es zwar mehr neu, dass ich überhaupt einen Partner bekam, aber im Endeffekt hatten wir damit genau das erreicht, was neuen Schwung in eine alte Serie bringen sollte und wenn sich diese Figur dann als populär herausstellen sollte, konnte man immer noch für sie eine eigene Serie, einen Ableger, kreieren. Was das für das richtige Leben bedeutet ist mir zwar schleierhaft, aber im Bereich des Fernsehens liefen die Dinge augenscheinlich in diesen Bahnen.

Während ich also noch damit beschäftigt war, Holmes Ausführungen betreffs der Napoleonbüsten zu verfolgen (wie jeder gewitzte Leser des 20. Jahrhunderts war mir natürlich klar, dass sich in den Figuren etwas befunden haben musste, weswegen sie alle zerschlagen und damit durchsucht worden waren, aber was man nun darin verborgen hatte, blieb dem Leser stets bis zu Holmes Aufklärung verborgen), als es ohne anzuklopfen an meiner Tür klopfte, wie immer sich dies auch gestalten mochte. Gewarnt landete das Buch auf dem Tisch, meine Füße auf dem Boden und mein Drink in meiner Schreibtischschublade.

„Das ist Harry Rhode“, erklärte mein Chef, Herr und Gebieter Kronzucker einer jungen Dame. Sollte man sich doch endlich dazu durchgerungen haben, mir eine Sekretärin zuzubilligen? Und wenn, was sollte sie dann schreiben? Sekretärinnen mussten nicht immer schreiben... Aber das war sexistisch, machohaft und frauenfeindlich, also okay für mich. Wenn sie nichts zu tun hatte und auch keine Affäre mit mir wollte, konnte sie immer noch meine Romane sauber abtippen. Angesichts dieser Sachlage erhob ich mich.

„Herr Rhode?!“ Lächelnd gaben wir uns die Hand, das musste man dem Chef lassen, sie war genau mein Typ.

„Sehr richtig!“ murmelte ich.

Sie sah sich in meinem Büro-über-das-immer-wieder-zu-sagen-wie-unzutreffend-ich-diese-Bezeichnung-finde-meine-Lust-von-Mal-zu-Mal-mehr-abnimmt um. „Naja, sehr ansprechend ist es ja nicht gerade eingerichtet.“

„Vielen Dank!“

„Aber das bekommen wir hin“, meinte sie. Also eine Sekretärin mit eigenem Willen, was das Aussehen meines Büros-oder-wie-immer-man-das-auch-bezeichnen-wollte anging. Ob das als gutes Zeichen gewertet werden konnte? „Könnte etwas eng für uns beide werden!“ Nun horchte ich auf. Naja, gut, warum sollte sie nicht hier sein...

„Harry!“ Kronzucker nahm mich beiseite. „Frau Fischer wird eine Zeitlang...“

Ich nickte. „Okay.“

„Nein, äh, sie ist... eine Polizistin!“

„Aha.“ Nun hatte selbst ich begriffen, was man dem Leser schon im ersten Absatz begreiflich gemacht hatte. „Sie wollen sagen, sie ist...“

„Ihr neuer Partner! Tut mir leid, Harry, aber ich wusste nicht, wem ich sie sonst hätte anvertrauen können...“

„Ist schon gut.“

„Zeigen Sie ihr alles, machen Sie einen guten Eindruck, naja, Sie wissen schon.“

Es sah danach aus, als würde ich empfindlich in meiner Ruhe gestört werden werden.

Aufmerksam betrachtete mich Frau Fischer.

„Tja, herzlich willkommen!“ sagte ich zu ihr, während sich Kronzucker unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand davonstahl. Ich deutete auf meinen Besucherstuhl. „Ähm, Sie können den da nehmen.“

„Warum kann ich nicht Ihren nehmen?“ fragte sie keck.

„Weil es mir auf die Dauer zu schwer werden würde, wenn Sie den ganzen Tag auf meinem Schoß sitzen.“

„Sie könnten ja auf meinem sitzen“, schlug sie bissig vor.

„In dem Fall akzeptiere ich!“

Eine Wutfalte zeichnete sich in ihrem linken Mundwinkel ab. Was hatte man mir da ins Nest gelegt?

„Sie mögen Frauen nicht, stimmt’s?“

„Wie spät ist es jetzt?“

Sie sah auf ihre geschmackvolle Armbanduhr. „8 Uhr 27.“

„Um diese Zeit mag ich Frauen nicht!“ Um diese Zeit mochte ich niemanden, um genau zu sein. Ich ließ mich in meinen Sessel fallen.

„Sie könnten mir etwas anbieten.“

„Einen Kaffee?“

„Ich nehme einen.“

„Ich nicht.“

„Was?“

„Ich trinke keinen Kaffee, also wäre es ein wenig vermessen, wenn ich Ihnen einen anbieten, mir selbst aber keinen mitbringen würde, oder?“ Ich war mir nicht sicher, ob vermessen da der richtige Begriff war, aber es wäre zumindest ungewöhnlich gewesen. Wenn sie einen Kaffee wollte, sollte sie sich doch einen holen, aber man konnte ja wohl kaum erwarten, dass ich hier ihren Kellner geben würde.

„Ich trinke auch gerne Tee.“

„Schön für Sie!“ Musste ich ihr jetzt erklären, dass ich kein besonderes Interesse – oder kurz: keins! – an heißen Getränken hatte? Ich tat es, nur um sicher zu gehen.

„Soll ich Ihnen vielleicht einen holen?“ fragte sie gereizt.

Was hatte ich denn gerade gesagt?

„Ich mag keine heißen Getränke“, wiederholte ich langsam und der Sache ein wenig müde werdend.

„Ach, so einer sind Sie!“

„Ja.“ Als ob es „so welche“ gab. Man trank entweder Kaffee oder Tee, aber es gab kaum jemanden, der nichts davon trank, außer mir, weshalb es unwahrscheinlich war, dass ich „so einer“ war, weil es außer mir scheinbar nicht viele davon gab… und es unwahrscheinlich war, dass sie die anderen kannte.

„Sie sind wohl nicht sehr gesprächig!“

„Nicht um die Zeit.“

Ihr Blick verfinsterte sich, als hätte ich sie damit persönlich beleidigt. Nicht genug damit, dieses mein Büro-das-weder-meins-war-noch-ein-ebensolches-und-bei-dem-diese-Litanei-immer-störender-wird überhaupt benutzen zu müssen, nein, man hatte mir auch noch sehr wahrscheinlich eine hochnäsige, sich selbst überschätzende, arrogante Feministin, mit anderen Worten mein absolutes weibliches Feindbild angedreht. Mit besagter Wutfalte setzte sie sich grazil in den Besuchersessel und ließ den Blick schweifen.

„Sherlock Holmes? Finden Sie es richtig, während ihrer Arbeitszeit zu lesen?“

„Das ist Fachliteratur!“ Was wollte sie eigentlich? Gerade von der Polizeischule und schon wollte sie mich auf alle meine Fehler, die mir selbst gut genug bekannt waren, aufmerksam machen.

„Sie sind... unrasiert!“ Stellte sie fest.

„Sie doch wohl auch!“

„Wollen Sie mich verärgern?“

„Wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Frau Fischer, Sie... sind von der Vermisstenabteilung hierher versetzt worden?!“

„Wenn Sie es wissen, warum fragen Sie dann?“ (schnippisch)

„Ich frage mich nur: warum?“

„Herr Inspektor...“

„Ähm, es reicht, wenn Sie Herr Rhode sagen, mir bedeutet der Rang nicht viel...“

„Das sieht man Ihnen auch an!“

Abgesehen davon war ich mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt eine Art Rang hatte. Naja, mir war’s egal!

„Sollte ich Ihre Gefühle für Ästhetik verletzten...“

„Ja?“

„...kann ich gut damit leben.“

„Gut, Harry...“

„Moment, Moment! Auch wenn ich auf Sie wirke wie der letzte Penner oder ein zu heiß gewaschener Hippie, der mühsam den evolutionären Sprung vom Penner zum Polizisten geschafft hat, bin ich doch nicht auf der Dutz-jeden-Welle, oder möchten Sie, dass ich Sie Gerlinde nenne?“

„Mein Name ist Juridike!“

„Wieviel mehr müsste Sie dann die Anrede Gerlinde ärgern? Also gut, Frau Fischer, warum“ – zum Teufel – „sind Sie hier?“

„Sie wissen doch genau so gut wie ich, dass die Aufstiegschancen in der Mordkommission am größten sind.“

„Äh, das wusste ich zwar nicht, aber...“

„...das ist Ihnen auch egal!“

„Auffallend richtig. Sie wollen also Karriere machen?“

„Richtig.“ Sie nestelte sich, wie man so schön sagt, eine Zigarette aus ihrer Handtasche.

„Wir befinden uns hier in einem Nichtraucherbüro“-das-wenigstens-die-Bezeichnung-Nichtraucher-voll-und-ganz-und-zu-meiner-vollsten-Zufriedenheit-erfüllte-!

Die Wutfalte vertiefte sich, während sie die Zigarette, ich hatte natürlich gewartet, bis sie sie vollständig aus der Packung hervorgezaubert und ihr Feuerzeug hervorgeholt hatte, wieder in der Packung verstaute und meinte: „Ich denke, dass ich bald zum Inspektor befördert werde.“

„Ah ja.“ Abgesehen von ihrem doch nicht unattraktivem Äußeren war sie das genaue Abbild des Antiharry, sie verband alle unangenehmen und wirklich nicht erstrebenswerten Charakterzüge in sich. Wenn es einen Gott gab, so war dies eine Prüfung, die er für mich ausersonnen hatte. Das Jüngste Gericht schien vor der Tür zu stehen, Frau Fischer war die Vertreterin der Anklage.

„Sie machen sich keine Gedanken um Ihre Karriere, was?“

„Nein, wieso auch? Sehen Sie sich doch mal die meisten von diesen Karrieretypen an. Von dem, was sie tun sollten, haben sie keine Ahnung. Und die, die sich um ihre Arbeit kümmern, sind entweder zu faul, um Karriere zu machen, oder zu beschäftigt.“

„Und Sie sind zu faul.“

„Sie haben da eine richtig subtile Art, Ihre Gedanken zu veräußerlichen. Sie mögen mich nicht, damit kann ich leben. Um dem noch einen draufzusetzen, habe ich etwas für Sie zu tun.“ Ich reichte ihr die Akten, die auf meinem Schreibtisch lagen. Es handelte sich um ein paar von meinen alten Fällen, die ich mir spaßeshalber mal wieder herausgesucht hatte, die mich dann aber doch zu sehr gelangweilt hatten. Jedenfalls hatte ich Alibiakten auf dem Tisch und ich wusste sogar, worum es darin ging, im Falle eines Überraschungsbesuches des Polizeipräsidenten kein schlechter Schachzug. Während sie sich mit meinen alten Geniestreichen beschäftigte, beschäftigte ich mich mit denen Sherlock Holmes’.

„Sie halten wohl nicht viel davon zu arbeiten, was?“

„Nein. Was würden Sie daraus schließen, dass man eine Napoleonbüste zerschlagen hat?“

„Keine Ahnung.“

„Gut, was nun, wenn jemand fünf Napoleonbüsten gleicher Art, die sich an fünf völlig verschiedenen Orten der Stadt befinden, sucht, findet, zerschlägt und die Überreste zurücklässt?“

Sie überlegte. „Fünf Büsten... Napoleon... Die Büsten waren identisch? Hmm, vielleicht wollte er die Firma schädigen, die die Büsten hergestellt hat?“

„Aha. Haben Sie schon mal Kriminalgeschichten gelesen oder -filme gesehen?“

„So etwas sehe ich mir nicht an, dafür ist mir meine Zeit zu schade.“

„Natürlich, Körperpflege und Make-up braucht seine Zeit. Bleiben Sie bei Ihren Akten und ich bleibe bei meiner Fachliteratur!“ Mit diesen Worten begann ich sie zu ignorieren.

„Haben Sie diese Akten nur hier, um anzugeben, wie viele Fälle Sie gelöst haben?“

„Natürlich, Sie haben doch schon bemerkt, dass ich für meine Karriere alles tue und da gehört das eben dazu.“ Eingeschnappt las sie weiter, wahrscheinlich in der Hoffnung, mich eines Fehlers überführen zu können und somit einen Kandidaten aus der Todeszelle zu befreien, was mir freilich das Genick brechen würde. Es gab zwar keine Todeszellen mehr, jedenfalls nicht in diesem Land, aber das musste sie ja nicht wissen.

„Haben Sie diese Berichte selbst geschrieben?“

„Die mit den Tippfehlern!“

„Sie scheinen diesen Beruf für eine Komödie zu halten.“

„Ich halte das Leben für eine Komödie! Frau Fischer, darf ich Ihnen eine sehr persönliche Frage stellen?“

„Ja.“

„Sind Sie verheiratet?“

„Nein.“

„Ich hätte auch mehr auf geschieden getippt.“

„Falls ich Sie damit enttäusche, ich bin auch nicht geschieden. Und falls Sie das auch noch wissen wollen: Nein, ich habe keine Freund!“

„Tja, die Karriere!“

„Sehr richtig, die Karriere.“ Sie legte den Kopf schief. „Sie denken doch nicht, dass wir beide...“

„Gott behüte, meine Selbstmordphase habe ich hinter mir! Außerdem ist es nicht immer so, dass sich die beiden Partner, die sich am Anfang aufs Messer hassen, am Schluss ineinander verlieben, heiraten, zwölf Kinder kriegen und dann später bei einem Autounfall in dickem Nebel umkommen.“

„Da bin ich ja beruhigt.“

„Das sollten Sie nicht, Sie wissen ja nicht, was Ihnen dadurch entgeht.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie...“

„Ich meinte den Autounfall!“

Langsam machte es mir Spaß. Alle weiblichen Leser, die es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht getan hatten, begannen nun, mich zu hassen. „Da haben Sie also keinen Freund...“

„Und Sie? Haben Sie eine Freundin?“

„Um Gottes Willen, Sie können sich doch vorstellen, dass sich keine Frau in einen Hippie-Penner verliebt!“

„Doch, da kenne ich einige! Es verwundert mich, dass Sie keine abgekriegt haben.“

„Tja, das verwundert mich auch“, log ich. „Haben Sie heute Abend schon was vor?“

„Wollen Sie es doch versuchen, ja? Männer denken immer nur an das eine!“

„Und Frauen denken immer nur, dass Männer immer nur an das eine denken. Merken Sie, dass wir mit Vorurteilen immer nur bis zum Ende der Sackgasse kommen? Sie sind attraktiv, na und? Glauben Sie deswegen, dass alle nur mit Ihnen ins Bett wollen? Angesichts dessen, was Sie mir hier über Ihren Karrierefimmel gesagt haben, wäre das wohl auch das Beste, was man mit Ihnen anstellen kann!“

Danach hatte ich erstmal meine Ruhe.

In der Kantine traf ich Horstmann, den Chef des Vermisstendezernats, der mein erster Chef bei der Polizei gewesen war, vor vielen vielen... Tagen.

„Harry“, meinte er grinsend, schüttelte mir die Hand. „Lange nicht gesehen.“

„Ja, hmm.“

„Ähm“, sein Blick war scheinheilig. „Wie geht es so in der Mordkommission?“

„Das sollten Sie doch wohl besser wissen! Ich nehme an, in der Vermisstenabteilung geht es jetzt wieder besser.“

„Das kann ich Ihnen sagen.“ Wir setzten uns an einen Tisch und Horstmann fuhr fort: „Wir haben sie von der Polizeischule bekommen. Ziemlich hochnäsige Göre, herausgeputzt bis zum Gehtnichtmehr, karrieresüchtig, arrogant...“ Er winkte ab. „Ich bin froh, dass sie nicht mehr bei uns ist.“ Er kaute und schluckte. „Was macht sie denn bei euch so?“

„Nerven!“ Ich zog eine Grimasse. „Sie soll in Partnerarbeit in die Sache eingeführt werden.“

„Partnerarbeit?“ Horstmann verschluckte sich beinahe vor Lachen. „Wer ist denn der Arme?“

„Das bin ich!“ murmelte ich. Doch statt ihn zu Tränen zu rühren brach er in lauthalses Gelächter aus. Nach etwa drei Minuten, sein Gesicht war inzwischen blau angelaufen und alle Kollegen musterten ihn mit Misstrauen, verabschiedete ich mich dann und kehrte zurück zu meinem neuen Partner.

„Hat Ihnen das Essen geschmeckt?“ fragte ich höflich.

„Ich habe nicht gegessen, ich habe gearbeitet.“

„Schmeckt Ihnen die Arbeit?“

„Sehr witzig.“

„Keiner meiner besten Sprüche, ich geb’s zu. Aaaaalso, solange wir keinen Fall haben, kann ich Sie schwerlich in die Arbeit einweisen...“

„Ich kenne die Arbeit, ich war auf der Polizeischule. Im Gegensatz zu Ihnen“, fügte sie schnippisch hinzu.

„Bin eben Quereinsteiger!“

„Und ich habe mit Auszeichnung bestanden!“ unterstrich sie... was auch immer.

„Herzlichen Glückwunsch!“

„Wie Sie Ihre Fälle lösen“, begann sie, denn offensichtlich hatte sie sich endlich dazu entschlossen, mir Honig um den Bart zu schmieren, anstatt sich wie ein personifiziertes unsympathisches Arschloch zu verhalten, das selbst den emanzipiertesten, femininsten Leserinnen inzwischen auf die Nerven gehen müsste. „Lachhaft! Halten Sie nichts von wissenschaftlichen Methoden? Computern? Analysen? Statistiken?“ Ahhh, so lief der Hase also. Computer machen die Arbeit von Menschen. Computer können töten, dann können sie auch Verbrechen aufklären. Was wollte die eigentlich von mir? „Sie haben Ihre Fälle doch nur gelöst, weil Sie Glück hatten!“

„Ich seh das Problem noch nicht!“

„Wenn Sie Pech haben, versagen Sie, mein Lieber!“

„Tun wir das nicht alle?“

„Nicht, wenn wir wissenschaftlich arbeiten. Da braucht es kein Glück und da gibt es kein Pech.“ Ich lachte auf. „Wenn man Fakten hat, kann man Schlussfolgerungen ziehen.“

„Eine... eine Frage: Warum gehen Sie mir eigentlich die ganze Zeit auf den Sack? Wollen Sie testen, wie lange es dauert, bis Sie mich zur Weißglut gebracht haben? Oder ist das Ihre Art Hallo zu sagen und sich mit Ihrem neuen Mitarbeiter gut Kind zu machen? Meine Geduld hat in den letzten Jahren rapide abgenommen, und Sie, mein liebes Kind, erschöpfen Sie heute über Gebühr! Ich kann Ihnen also nur raten, freundlich und höflich und zurückhaltend raten, von jetzt an ein bisschen nachzudenken... Ach, was appelliere ich an Ihren Verstand? Perlen vor die...“ Ich war jetzt echt genervt und ließ es auch heraushängen: „Kurz und knapp: Wenn Sie mir weiterhin auf die Nerven gehen kriegen wir beide Probleme miteinander! Und ich würde mich an Ihrer Stelle nicht darauf verlassen, dass ich so unbedarft bin, wie ich auf Sie wirke!“ Meine aufgestauten Aggressionen trafen voll ins Schwarze und sie wurde ein bisschen kleiner. Nicht unbedingt viel, aber immerhin schien sie in Erwägung zu ziehen, dass ich gefährlicher sein könnte, als ich im ersten Moment den Eindruck machte. „Mögen Sie... Mögen Sie Discomusik?“ fragte ich.

„Ja.“

Ich seufzte. Es war zum Verzweifeln. Es gab wirklich nichts an diesem Wesen, das irgendwie positiv war, auf dem man eine positive Beziehung hätte aufbauen können. „Okay, ich geb es auf“, murmelte ich und legte meine Füße auf den Schreibtisch, nahm mir mein Buch und harrte irgendwelcher Dinge, die nichts Besseres zu tun haben würden, als einfach mal vorbeizuschauen. Für gewöhnlich passierte nichts. Manchmal kam jemand herein, heute nicht. Nur meine Kollegin, mein Partner, befand sich in meiner Nähe, musterte mich mit kaum verhohlener Abneigung und versuchte, schlauer zu sein als ich.

Kurz vor Dienstschluss, ich war gerade frohen Mutes aufgestanden, um mich meiner wohlverdienten Ruhe zu nähern, trat Kronzucker nach einem zaghaften Klopfen in mein Büro-das-nicht-nur-keins-war-sondern-nun-auch-nichtmalmehr-meins­, in unser Büro-das-nicht-nur-keins-war-sondern-das-ich-jetzt-mit-einer-der-sympathischsten-Personen-überhaupt-teilen-durfte und meinte, er hätte da was für uns. Wenn er nur etwas für sie gehabt hätte, beispielsweise ihre Versetzung in eine andere Abteilung, wäre ich schon zufrieden gewesen, aber wie es aussah, kam Arbeit auf uns zu.

„Selbstmord!“ erklärte Kronzucker.

„Wann?“

„Heute Nachmittag. Lohmann ist schon da.“

„Prima.“

„Fahren Sie beide hin, Lohmann macht dann Dienstschluss.“ Er wandte sich an meine Partnerin. „Es macht Ihnen doch nichts aus, länger zu arbeiten?“

„Das ist mein Job.“

„Harry, wann werde ich das mal von Ihnen zu hören bekommen?“

„Wenn ich pensioniert bin!“ Er reichte mir einen Zettel mit den wichtigsten Informationen, ich reichte ihn meiner Partnerin und bevor sie ihn Kronzucker zurückgeben konnte, befanden wir uns schon auf dem Weg in die Tiefgarage. „Möchten Sie fahren?“

„Wenn Sie mir nicht zutrauen, dass ich...“

„Haben Sie einen Führerschein?“

„Ich...“

Ich reichte ihr den Wagenschlüssel und sie nahm ihn. „Na also, geht doch.“

„Sie haben es wohl gerne, wenn Sie von Frauen bedient werden.“

„Ich seh hier keine Frau! Jedenfalls nichts, was ich mir unter einer Frau vorstelle. Außerdem hätte es, wenn ich es Ihnen nicht angeboten hätte, ja wohl sofort geheißen, ich würde keiner Frau zutrauen, Auto zu fahren. Also fahren Sie, verflucht noch mal!“

Wir fuhren los. Ich drehte die Beatles (das „Weiße Album“, das die Autodiebe seinerzeit verschmäht hatten, zum Glück!) laut genug auf, um sie zwar zu verstehen, nicht aber den Polizeifunk, was sie mit der Bemerkung: „Scheußliche Musik!“ quittierte. Also tauschte ich die Beatles gegen Frank Zappa aus, denn ich war mir sicher, damit würde sie („Das ist ja noch schlimmer!“) viel mehr anfangen können!

„Schlaftabletten“, meinte Lohmann und war schon auf dem Sprung.

„Probleme mit dem Einschlafen, Lohmann?“ erwiderte ich, aber Lohmann schien es mehr nach Hause zu ziehen.

„Sie hat Schlaftabletten genommen“, erklärte er, „35 Jahre, verheiratet, kein Abschiedsbrief, aber eine Überdosis Schlaftabletten. Selbstmord. Ich hau jetzt ab.“ Sprachs und tats.

„Schönen Abend noch. Ist hier irgendjemand der Gerichtsmediziner?“

„Das bin ich“, sagte selbiger, „Harry Rhode, wenn ich nicht irre?“

„Sie irren nicht!“

„Wie ich Ihren Kollegen schon gesagt habe, es war voraussichtlich eine Überdosis Schlaftabletten.“ Wir befanden uns inzwischen, was ich zu erwähnen versäumte, im Schlafzimmer der Toten. Auf dem Nachttisch befand sich ein leeres Glas, in dem sich noch Spuren der aufgelösten Schlaftabletten befanden. Das sah sogar ich als Laie. Die Tote lag im Bett, sie trug ihre gewöhnliche Straßenkleidung, jedenfalls trug sie kein Ballkleid oder ein wunderbares schwarzes Negligé mit Rüschen, durch das sich sanft ihre alabasterne Haut erkennen ließ und das ihre perfekte Figur... So etwas jedenfalls nicht! „Sie hat gewartet, bis sich die Schlaftabletten im Wasser aufgelöst haben und hat dann das Gemisch getrunken. Dann wird sie sich hingelegt haben und langsam eingeschlafen sein.“

„Gut, vielen Dank.“ Das war etwas, das sich selbst der unbegabteste Kriminalschriftsteller noch aus den Fingern gesogen haben konnte. „Machen Sie trotzdem eine Autopsie!“

„Warum?“ fragte mich meine neue Kollegin.

„Weil man ihr ja auch Rattengift verabreicht haben könnte, nicht wahr?“

„Mein lieber Herr Insp... mein lieber Herr Rhode, hier wird mir ganz deutlich, dass Sie von Frauen nichts verstehen.“

„Das weiß ich selbst, aber erläutern Sie es den Interessierten doch bitte an diesem Fallbeispiel.“

Sie deutete auf die Tote. „Eine Frau würde nie Rattengift nehmen.“

„Gutgut.“ Ich wartete. „Ich warte.“

„Herr Rhode, was macht Sie denn stutzig? Wittert der große Kriminalist etwa einen Mord?“ Ihr Tonfall war für meinen Geschmack drei Nummern zu höhnisch und mein Geschmack liegt normalerweise weit über dem Durschnittshöhnischen. „Was würden Sie denn machen, wenn Sie Selbstmord begehen?“

„Einen Abschiedsbrief hinterlassen, vielleicht?!“

„Vielleicht hat sie das ja?!“

„Vielleicht klären wir das?!“ Ich sah mich nach jemandem um. Da niemand da war, sah ich niemanden. Ich wollte mich schon hochbeamen lassen, als ich eines Mannes gewahr wurde, aber es war, wie in jedem guten Film, nur mein Spiegelbild. Dann kam jedoch ein Mann in Nichtzivil und fragte, was die Situation rettete: „Möchten Sie jetzt mit dem Gatten der Toten sprechen?“

„Wunderbar!“ meinte ich, was mir die üblichen bösen Blicke einbrachte. „Ich meine, äh, ja.“ Wir folgten dem Herrn und betraten das Wohnzimmer. Auf dem Sofa, in Tränen aufgelöst wie sich das gehört, saß, so vermutete ich, der Mann der Toten, nunmehr Witwer. „Guten Tag, mein Name ist Rhode“, stellte ich mich vor und er blickte auf. „Äh, und das ist meine Kollegin Frau... Fräulein Fischer.“

Frau Fischer!“ berichtigte sie.

„Äh, ja.“

„Nickel, Gernot Nickel.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Herr Nickel, es tut mir leid, aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.“ Eine Routinefloskel.

„Fragen Sie...“ Er schüttelte den Kopf auf die Art, als könnte er es noch immer nicht begreifen. Ein Klischee.W

„Sie haben Ihre Frau gefunden...?“ Eine übliche Begebenheit.

Er nickte. „Ich... ich war bei der Arbeit... im Büro“-das-sicherlich-mit-meinem-kaum-zu-vergeleichen-war-bzw-eher-umgekehrt „...als sie anrief. Sie hat... sie hat gesagt, es... es hätte keinen Zweck mehr... und sie... und sie würde sich das Leben nehmen.“ Eine stammelnde Erzählung – war mir auch schon geradezu annährend fast immer an irgendeiner Stelle eines Falles vorgekommen.

Er versank wieder in sich selbst.

„Wann war dieser Anruf etwa?“ Eine Hintergrundfrage.

„Nachmittag... Ich war zum Mittagessen...“ Eine Aufzählung: Er erzählte, dass er zum Mittagessen außer Haus gewesen wäre. Sie hätten eine Pizza gegessen und dann wäre er zur Arbeit zurückgefahren. Er arbeitete in einer Bank, sagte er, wo sie ihn dann am Nachmittag angerufen habe, gegen halb vier. Sie habe gesagt, sie wolle sich das Leben nehmen, er jedoch habe dies nicht ernst genug genommen, gleich einen Krankenwagen zu rufen, sondern sei sofort nach Hause gefahren, aber unterwegs im Verkehr stecken geblieben. Und dann habe er die Leiche seiner Frau vorgefunden – zu spät. Nun mache er sich schreckliche Vorwürfe, dass er sie nicht ernst genug genommen hatte.

„Herr Nickel, ich weiß, das ist keine nette Frage, aber... führten Sie eine glückliche Ehe?“ Was sollte er wohl darauf antworten? Angesichts der Tatsache, dass sich seine Frau umgebracht hatte, war eine Antwort wie „Wir waren noch so verliebt wie am ersten Abend, als wir uns auf der Fete auf den ersten Blick ineinander verliebt haben und wussten, dass unsere Liebe ewig halten würde!“ selbst für die schlechtesten Krimiautoren (naja, für die Autoren von Südstaatenepen war sie vielleicht akzeptabel) unwahrscheinlich, zumindest aber unglaubwürdig.

„Herr... Kommissar“, riet er einfach mal drauflos, „Sie kennen das sicher, in einer Ehe läuft es nicht immer gut...“

Ich kannte das zwar nicht, jedenfalls nicht aus eigener Erfahrung, aber einen solchen Satz unterbricht man halt nicht mit solchen plumpen Richtigstellungen. Meine Kollegin, Partnerin, zeigte mir durch den Blick, den sie mir zuwarf, dass sie ebenfalls annahm, dass ich das nicht kannte.

„...aber ich dachte, wir hätten... unsere Differenzen überwunden.“ Er sah, mit tränenzerflossenen Augen, auf. „Ich konnte doch nicht wissen, dass sie...“ Er ließ es ungesagt.

„Litt Ihre Frau unter Schlafstörungen?“

„Ja. Sie war deswegen in Behandlung... sie hatte deswegen...“ Es war der Tag des Ungesagtlassens.

„Der Arzt, bei dem Ihre Frau in Behandlung war...“ folgte ich dem Trend. Er nannte uns, was wir wissen wollten. „Haben Sie noch Fragen an ihn?“ nötigte ich meiner Kollegin eine Entscheidung ab. Sie schüttelte den Kopf und wir gingen. „Na, meine Liebe“, fragte ich, als wir außer Hörweite waren, „wie lautet Ihr Tipp?“

„Was für ein Tipp? Sie haben den Mann gesehen. Eheprobleme. Vielleicht war die Frau etwas zu sensibel, soll ja auch bei Frauen vorkommen...“

„Ja, davon habe ich auch gehört.“

„...und hat sich umgebracht. Und Sie Meisterdetektiv wittern einen Mord dahinter? Lachhaft!“

„Ich finde es halt originell, dass man seine Selbstmordabsichten neuerdings per Telefon bekannt gibt. Obwohl, sie hätte ja auch faxen können. Oder ein E-Mail schicken!“ Oder eine SMS, wie es heutzutage wahrscheinlich üblich war. Wahrscheinlich nahm man dann seinen Selbstmord auch noch mit der eingebauten Kamera auf… ach, die Fortschritte der modernen Welt! Damals dagegen waren die Dinge noch ein klein wenig anders gewesen… aber eben nicht viel.

„Vielleicht war sie ja eine von denen, die gerettet werden wollen?“

„Nicht, wenn man das Verkehrsaufkommen um diese Zeit kennt! Dass ihr Retter im Verkehr stecken bleibt, nein, sowas würde nur Leuten wie mir passieren.“

„Leuten wie Ihnen? Sie meinen: Männern?“

„Kann es sein, dass Sie was gegen Männer haben?“

„Männer?!“ Sie spie das Wort aus. „Männer glauben doch nur, dass sie besser sind als Frauen!“

„Richtig, ja, das hatte ich vergessen. Und Männer sind in Wirklichkeit alle Ausbeuter, wollen von den Frauen nur Sex, äh, gut, äh, haben keine Gefühle...“

„Und sie erkennen die Frau nicht an. Es ist jetzt an der Zeit, dass die Frauen den Männern zeigen, dass sie besser sind als sie. Männer glauben, sie können sich alles erlauben.“

„Das sollen Frauen jetzt auch?“

„Ja.“ Sie stutzte. „Was meinen Sie?“

„Ich? Oh, ich habe nicht das Recht, etwas zu meinen. Ich bin eben nur... ein Mann!“

„Ja... Warum sollen die Frauen nicht an die Macht?“

„Ich habe nicht gesagt, dass sie es nicht sollen. Ich habe nur gesagt, dass jede fanatische Richtung einseitig ist, dadurch wird sie dumm. Falsch und faschistisch ist es ohnehin und außerdem ist der Weg des knallharten Feminismus, den Sie da bestreiten, ziemlich genau die Art und Weise, die Sie den Männern vorwerfen. Nur eben mit anderem Vorzeichen. Und deswegen finde ich das ganze ziemlich primitiv und oberflächlich. Und unreflektiert dazu!“

Sie starrte mich, aber, was mich freute, nachdenklich an. Einen Moment schwieg sie, dann meinte Frau Fischer: „Ach.“ Dann schmollte sie, wenn auch etwas nachdenklicher. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass viel zu wenig Leute darüber nachdachten, bevor sie irgendeine leicht faschistoid angehauchte Fanatismusidee übernahmen... aber das lag ja auch irgendwie in der Natur dieser Dinge.

„Hauen wir hier ab!“ murmelte ich.

Kurz vor dem Wagen brach sie ihr Schweigen: „Wissen Sie was?“ Ich hob fragend eine Braue. „Ich werde darüber nachdenken. Über das, was Sie gesagt haben!“ Klang ein bisschen zu gut für einen chronisch negativ eingestellten Menschen wie mich.

Ich nickte ihr zu. „Klingt doch okay.“ Ich wedelte mit den Autoschlüsseln. „Wollen Sie fahren?“

Wir fuhren zurück ins Präsidium.

„Glauben Sie, dass es Mord war?“

„Keine Ahnung.“ Ich wusste es nicht. Es wäre zuviel gesagt zu behaupten, dass es mir egal war, aber... naja! „Aber hierzu sei angemerkt, dass ein Mord einen Fall weitaus spannender macht, als wenn es keiner ist!“ (Was nun zugegebenermaßen eine extrem beschissene Satzkonstruktion war!) „Warten wir doch einfach auf den Autopsiebericht.“ Das bedeutete auch, dass hiermit der Dienst für heute beendet war. „Es wäre natürlich nett, wenn wir Ihnen gleich zu Beginn hier einen netten Mord bieten könnten, aber... sieht wohl ziemlich unwahrscheinlich aus.“

„Eine Frage.“

„Hmm?“

„Mögen Sie die Musik von Richard Kleidermann?“ Kleidermann? Derjenige, der die schlechteste, mir bekannte Version meiner mehr als geliebten Rhapsody in Blue verbrochen hatte? Ich hob geringschätzig eine Braue und sie schrie auf: „Oh nein... machen Sie das noch mal!“

Meine Braue hob sich wieder, diesmal vor Verwunderung. „Bitte?“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ihre Braue...“

„Ich gebe zu, nicht die originellste Geste heutzutage und ich hab sie auch bei Spock geklaut...“

„Sie sind nicht zufällig... Star-Trek-Fan, oder?“

„Hmmm.“ Meine Wohnung war überfüllt mit Raumschiffen, Figuren, Büchern, Zeitschriften und Videos, wobei der Löwenanteil allerdings an die Figuren ging, die ich aber, im Gegensatz zu wahren „Sammlern“ ausgepackt hatte. Ein „Sammler“ ließ seine Figur verpackt, damit sie wertvoller blieb und ihr Preis im Laufe der Zeit stieg – eine Theorie, die nicht so richtig aufgegangen war! „Ja, kann man, glaube ich, so sagen.“

„Das war ja zu befürchten.“ Kam es zurück. „Können Sie sich vorstellen, dass ich auf dieses Augenbrauenheben stehe und können Sie sich vorstellen, dass ich noch nie jemanden getroffen habe, der ein so absoluter Fan von Star Trek ist und dass ausgerechnet ein Mensch wie Sie...“ Sie schüttelte den Kopf. Sie musste sich so fühlen wie ich, wenn ich mal wieder festgestellt hatte, dass das Mädchen, in das ich mich unsinnigerweise verliebt hatte, jemand anderen liebte – dieses Gefühl, eigentlich endlich sein Ziel erreicht zu haben, aber dann dort feststellen zu müssen, dass schon jemand anders auf dem Gipfel des unbezwungenen Berges ein Hotel gebaut hatte.

„Haben Sie Modelle?“ fragte ich. Sie nickte. „Auch Figuren?“ Sie nickte wieder. „Bedauerlich.“ Sie war auf dem besten Weg, sich nahtlos in oben erwähnte Kategorie einzufügen.

„Haben Sie alle Folgen auf Video?“ Ich nickte.

Classic, Next Generation, Deep Space Nine und Voyager. Seit ich arbeite, kann ich’s mir leisten, mir die Sachen auf Englisch zu kaufen, wenn sie rauskommen.“ Das war lange bevor einem das Zeugs in Komplettboxen auf DVD nachgeschmissen bekam, wo man sich Sachen noch mühsam aus dem Fernsehen mit Video aufnehmen und durch ein Buch die Nummern der Episoden bestimmen musste… aber wem erzähl ich das hier eigentlich? „Ja, ich bin im Moment auf dem neusten Stand.“

„Ja, ich auch.“

Das Schicksal verschränkte die Arme vor der Brust und grinste mich fies und breit an. Ich hatte bisher erst eine einzige Frau getroffen, die andeutungsweise dieses Hobby vertrat wie ich, aber das war eine genauso lang zurückliegende wie deprimierende Geschichte... also in etwa genau das, was mir hier bevorstand! Da fand man also einen der wenigen Menschen, mit dem man sich angeregt über seine Lieblingsserie(n) unterhalten konnte und was war: Dieses Wesen war – eine Frau? – eine Emanze? – eine Feministin? – schlicht unsympathisch? – JA!

„Ich bedauere es genauso wie Sie, glauben Sie mir!“ Aber vielleicht konnte sich ja alles ändern. Vielleicht konnten wir ja Freunde werden, uns lieben lernen, heiraten, unser erstes Kind Spock nennen und ihm beibringen, wie man eine Augenbraue hob... Vielleicht konnte ich aufhören, so viel zu saufen? Die Chancen dafür standen wesentlich besser! Verliebten sich die gegengeschlechtlichen Partner in den Kriminalfilmen eigentlich ineinander oder hielten sie dieses Spannungsverhältnis aufrecht, damit der Zuschauer auch beim nächsten Mal noch einschaltete, um zu sehen, ob die beiden sich ihre Liebe noch immer nicht gestanden hatten? Schlicht und ergreifend war mir das völlig egal!

Ohne uns seitdem ineinander verliebt zu haben trafen wir uns am nächsten Morgen zum Dienst. Überraschenderweise lag der Bericht des Gerichtsmediziners bereits vor, es konnte aber auch daran liegen, dass ich mein Limit von 15 Minuten, die ich normalerweise zu spät kam, diesmal überreizte und mit 57 Minuten Verspätung selbst meine eigenen Rekorde in den Schatten stellte. So war es kaum verwunderlich, dass, als ich in mein Büro-oder-wie-immer-man-diese-miese-kleine-schäbige-Kammer-die-ich-jetzt-auch-noch-mit-einer-Partnerin-teilen-musste-nennen-wollte kam, ich meinen Sessel bereits besetzt vorfand.

„Guten Morgen“, begrüßte ich meine Kollegin Juridike Fischer.

„Sie sind 57 Minuten zu spät!“ begrüßte mich meine Kollegin Juridike Fischer.

„Das ist nur fair. Ich wollte Ihnen Gelegenheit geben, sich mit dem Fall auseinanderzusetzen.“

Sie deutete auf die Mappe. „Gerichtsmedizin. Schlaftabletten.“

„Aha, was besonderes?“

„Hmm.“ Sie schüttelte den Kopf. „Vielleicht...“

Ich begann in dem Bericht zu blättern. „Vielleicht was?“

„Naja, sie war gegen das Mittel allergisch.“

„Aha.“ Über den Rand meiner Brille, die ich heute nicht trug, weil ich sie „so schnell“ nicht gefunden hatte, sah ich sie an. „Das ist doch interessant.“

„Vielleicht hat sie ja gedacht, dass sie bei gewöhnlichen Schlaftabletten nicht sterben würde...“

„Oder nicht so gut, hmm? Wann machen Arztpraxen gewöhnlich auf?“

„Keine Ahnung.“

„Dann rufen Sie doch bitte mal diesen Arzt von unserer Toten an...“

„Wieso ich?“

„Sie sitzen an meinem Schreibtisch auf meinem Platz, wäre es da zuviel verlangt, wenn Sie auch meine Arbeit tun würden?“

„Ja.“

„Machen Sie es trotzdem!“

„Hat Ihr Chef nichts dagegen, dass Sie zu spät kommen?“

„Heute wird er das als reine Feigheit, mich mit Ihnen auseinandersetzen zu müssen auffassen. Für gewöhnlich wäre er nämlich schon hier und würde mir sagen, wie wenig gut er es findet, dass ich zu spät komme.“

Sie schien nicht überzeugt, aber befriedigt und begann zu wählen, während ich mir die Berichte ansah. Allergie gegen... ich hatte so ein schlechtes Gedächtnis für chemische Verbindungen. Die Spurensicherung hatte, wie erwartet, kein Zeichen für Einruch oder ähnliches gefunden, so blieb uns nur, die Spur des Arztes zu gehen und den Fall abzuschließen. „Pizza...“ murmelte ich, weil mir wieder eingefallen war, dass der Mann der Toten gesagt hatte, sie hätten Pizza zu Mittag gegessen. „Moment...“ Ich blätterte im Bericht des Leichenaufschneiders. Da hatten wir es ja: Peperoni! Scheinbar hatte sie eine ganze Menge davon gegessen. Nun, das war doch etwas, womit man arbeiten konnte. Peperoni...

„Was murmeln Sie da eigentlich die ganze Zeit vor sich hin?“ wollte Juridike Fischer wissen.

„Nichts...“ Ich nahm ihr das Telefonbuch aus der Hand. „Sind Sie fertig?“ Sie nickte und ich wählte die Nummer der gerichtsmedizinischen Abteilung.

„Ja?“

„Rhode hier.“

„Ach ja, wenn Sie den wollen, der die Leiche untersucht hat, mit dem sprechen Sie!“

„Na hervorragend. In Ihrem Bericht steht, dass sich im Körper der Leiche von der letzten Mahlzeit Reste von Peperoni befunden haben.“

„Ja, das ist richtig. Sie hat davon gegessen.“

„Wissen Sie zufällig, ob sie scharf...“

„Extra scharfe Peperoni, ich habe mich selbst überzeugt.“

„Wie sieht es mit dem Wasserhaushalt aus?“

„Bitte? Ach so, ja, also das war ein bisschen merkwürdig. Sie ist ja nun nicht die erste Leiche, die ich nach einer Mahlzeit untersucht habe, aber man sollte ja meinen, dass nach einer extra scharfen Peperoni Pizza ein gehöriges Maß an Flüssigkeit zu finden sein sollte. Jedenfalls mehr als nach anderen Mahlzeiten.“

„Und das war hier nicht der Fall?!“

„Fehlanzeige. Und noch etwas: Der Tod ist sehr kurz nach dem Essen eingetreten!“

„Hmmmmmmmmm, könnte es eventuell sein, dass sie erst zu Mittag gegessen hat und dann etwas später am Nachmittag noch einen kleinen Happen der Pizza zu sich genommen und dann erst Selbstmord beging?“

„Wie ich es sehe, trat der Tod kurz nach dem Mittagessen ein.“

„Okay, vielen Dank.“

„Keine Ursache.“

Ich legte auf und sah meine Kollegin und Partnerin in Personalunion an. „Wann macht der Arzt auf?“

„Wir können in einer Stunde kommen, hat seine Sprechstundenhilfe gesagt.“

„In einer Stunde?“ Ich ließ mich müde in meinen Besuchersessel fallen. „Dann bin ich ja eine Stunde zu früh gekommen!“

Der Arzt blickte uns nicht eben freundlich an, das heißt, meine Kollegin blickte er freundlich an, aber mich nicht. Ich nahm an, dass er viele Jahre Arzt bei der Bundeswehr gewesen sein musste, aber es gab ja auch so in der freien Welt Arschlöcher.

„Sie möchten sich nach einer Patientin von mir erkundigen?“ fragte er meine Kollegin.

„Das ist richtig“, erklärte sie, „es handelt sich um Frau Nickel...“

„Sie wissen sicher, dass ich der ärztlichen Schweigepflicht unterliege.“

„Frau Nickel ist tot!“ erklärte nun ich und brachte den Doktor damit zum Stocken. „Man hat sie gestern gefunden, gestorben an einer Überdosis Schlaftabletten. Ihr Mann hat uns berichtet, dass sie Sie wegen ihrer Schlafstörungen aufgesucht hat.“

„Ja, das ist richtig. Es ist gar nicht lange her, dass sie hier war. Letzte Woche Freitag, glaube ich. Sie hatte zwar Schlaftabletten genommen...“

„...aber die haben nicht gewirkt, weil sie gegen den Wirkstoff...“, ich las ab, „...darin allergisch war?!“

„Ja, woher wissen Sie das?“

„Einfache Logik. Also ist sie mit ihren Schlaftabletten, gegen die sie allergisch war, zu Ihnen gekommen?!“

„Ja, das ist richtig. Die Packung war kaum angebrochen. Ich habe sie untersucht und festgestellt, dass sie gegen...“, er brachte es auswendig! „...allergisch war. Also habe ich ihr etwas anderes verschrieben.“

„Wirkte sie suizidgefährdet?“

„Nein.“

„Glauben Sie, sie würde eine Überdosis eines Mittels nehmen, von dem sie weiß, dass sie dagegen allergisch ist?“

„Ich würde es für unwahrscheinlich halten.“

„Das würde ich auch. Vielen Dank!“

Um die Zeit totzuschlagen fuhren wir auch noch zu seiner Arbeitstätte. Dort wurde seine Aussage bestätigt. Seine Frau habe angerufen und habe gesagt, sie wolle Selbstmord begehen. Man habe ihn überreden wollen, einen Krankenwagen hin zu schicken, doch er sagte, er würde ihr das schon ausreden und habe sich direkt auf den Weg gemacht. Das mit dem Ausreden habe dann wohl nicht geklappt, da er durch den starken Verkehr zu spät gekommen wäre. Soviel also dazu.

„Sie sind also immer noch bei Ihrer Mordtheorie?“

„Theorie? So weit würde ich nicht gehen.“

„Wo fahren wir hin?“

„Zu Gernot Nickel.“

„Wie soll er sie denn umgebracht haben?“

„Habe ich irgendwas davon gesagt? Es geht nur darum, ein paar Details zu klären... oder?“

„Können Sie es ihm beweisen?“

„Ihm was beweisen? Ich will mich nur mit ihm... unterhalten!“

„Sie lügen!“

„Das mag sein.“

„Sie machen dieses Theater doch nur, um mir zu imponieren.“

„Nein, das ist nicht ganz richtig. Ich mache dieses Theater nur, weil Sie mir auf die Nerven gehen. Normalerweise hätte ich wahrscheinlich schon längst gesagt: Selbstmord und Tschüß.“

Eigentlich nicht. Eigentlich verfolgte ich viele Fälle, die jeder normale Mensch als Unfall oder Selbstmord abgetan hätte, nur aus einem Grund: Um mich zu beschäftigen. Weil mir sonst zu langweilig wurde, in meinem kleinen Zimmer im Präsidium herumzuhängen und irgendwelchen unbefriedigenden Tätigkeiten nachzugehen. Aber mein Verstand brauchte Beschäftigung und so wurde dann mal schnell aus einem Selbstmord ein Mord… oder vielmehr aus einer Selbstmorduntersuchung eine Morduntersuchung. Und hin und wieder lag ich mit meinen aus der Luft gegriffenen Theorien sogar gar nicht so weit daneben. Ich dachte einen Moment nach.

„Worüber reden wir hier eigentlich, häh? Wir fahren dahin, um ein paar letzte Fragen zu klären, weil die gegebenen Fakten ein paar Unreinheiten aufweisen, okay? Ich habe nichts, aber auch wirklich nichts von Mord gesagt!“

Ja, gesagt hatte ich’s nicht. Aber dem geneigten Leser wird natürlich klar sein, dass das ganze nur auf eins hinauslaufen kann: auf Mord! Aber andererseits könnte das ja auch nur eine Finte des Erzählers sein, um ihn bis zum Ende der Geschichte zu fesseln, obgleich das Ende dann unweigerlich enttäuschend wäre – theoretisch jedenfalls.

Genau genommen... war es wahrscheinlich genau so, wie es sich jeder Leser ohnehin schon gedacht haben wird, weshalb es dann wahrscheinlich spannender und überraschender gewesen sein würde, wenn das Endergebnis kein Mord sondern Selbstmord wäre, weil wiederum inzwischen ja jeder damit gerechnet hat, dass es Mord ist... oder Selbstmord? Genau genommen kann man wirklich nichts mit absoluter Sicherheit sagen, und auch das nicht!

Nachdem wir ca. eine halbe Stunde nutzlos vor Nickels Wohnung verbracht hatten, fuhren wir zu seinem Arbeitsplatz, holten ihn da ab und fuhren mit ihm zurück zu seiner Wohnung. Wem dieses Unterfangen als ziemlich sinnlos vorkommt... der hat damit vollkommen Recht! Unser fadenscheiniger Vorwand war, dass wir uns noch einmal in der Wohnung umsehen wollten – vollkommen an den Haaren herbeigezogen, aber immerhin befanden wir uns ja nicht in irgendeiner Kriminalgeschichte.

„Herr Nickel“, kam ich nach etwas belanglosem Gewäsch zum eigentlichen Thema. „Sie haben gesagt, dass Sie Pizza gegessen haben? In Ihrer Mittagspause.“

„Ja, das stimmt.“

„Und gleich nach dem Mittagessen sind Sie wieder in Ihre Bank gefahren?“

„Genau.“

„Und dort hat Sie dann Ihre Frau angerufen? Wissen Sie ungefähr, wie viel Zeit zwischen Ihrem Aufbruch von hier und dem Anruf Ihrer Frau verstrichen ist?“

„Etwa... zwei Stunden.“

„Gut, zwei Stunden. Also, Sie haben zu Mittag gegessen, dann sind Sie weggefahren, Ihre Frau hat das Geschirr in die Spülmaschine gestellt, ist ein wenig auf und ab gegangen, wurde verzweifelt, nahm Schlaftabletten, nein, Verzeihung, rief Sie an, nahm Schlaftabletten... und starb.“

„So muss es sich abgespielt haben.“

„Ja, muss es wohl. Hmmmm, könnte ich wohl mal einen Blick in die Handtasche Ihrer Frau werfen?“ Ich bekam sie und fand darin eine neue, aber bereits geöffnete Packung des Schlafmittels, das ihr der Arzt verschrieben hatte. „Interessant. Was, äh, was haben Sie zu Mittag getrunken?“

„Wasser.“

„Ihre Frau auch?“

„Ja.“

„Viel Wasser?“

„Ich weiß nicht...“

„Immerhin war es eine scharfe Pizza.“

„Woher wissen Sie das?“

„Haben Sie nicht gewusst, dass mit Eintreten des Todes auch die Magenfunktionen aufhören? Unverdautes Essen ist leicht zu identifizieren.“ Er wurde nervös. „Tjaaaaaa“, ich seufzte, „was wollen wir beide jetzt machen?“

„Was? Ich verstehe nicht...“

„Der Autopsiebericht hat ergeben, dass Ihre Frau kurz nach dem Essen gestorben sein muss. Und so Schlaftabletten brauchen ja nun auch ein paar Minuten, um ihre Wirkung zu verbreiten, nicht wahr? Aus beidem kann man nun ableiten, dass es Ihrer Frau schwer gefallen sein wird, Sie zwei Stunden später in der Bank anzurufen!“

„Wa… warum?“

„Weil sie da schon tot war!“

Das war ein ziemlich guter Grund – und schwer zu widerlegen!

„Ich... ich gebe zu“, begann er nun, „ich habe sie hier gefunden. Sie... sie hat in Wirklichkeit nicht in der Bank angerufen.“

„Ach, nicht?“

„Nein.“

„Sehen Sie, und da haben wir doch den Beweis!“ Hmm, das hatte ich schlecht aufgebaut, der Beweis gehörte eigentlich an den Schluss, so quasi als Überraschung und Bestätigung für den cleveren Leser, der das alles schon selbst ausgetüftelt hatte.

„Beweis? Wofür?“

„Dafür, dass Sie Ihre Frau ermordet haben!“ Das war zugegebenermaßen etwas hoch gegriffen, aber das musste ich ihm ja nicht verraten.

„Und wie soll ich meine Frau Ihrer Meinung nach umgebracht haben?“

Meine Kollegin Schrägstrich Partnerin sah mich so, als würde sie auf diese Frage auch gerne eine Antwort haben. Das gab mir Gelegenheit, den Beweis doch an den Schluss zu verschieben.

„Aber das war doch noch der einfachste Teil der ganzen Geschichte.“ Und damit hatte ich ausnahmsweise mal Recht. „Sie wissen, dass Ihre Frau Schlaftabletten verschrieben bekommen hat.“

„Und die hat sie auch genommen.“

„Das hat sie eben nicht.“

Nun war er verwirrt.

„Hat sie nicht?“

„Hat sie nicht! Jedenfalls nicht, um sich damit umzubringen.“

„Wie? Aber sie hat sich doch mit Schlaftabletten umgebracht. Mit ihren Schlaftabletten!“

„Mit ihren alten Schlaftabletten! Was merkwürdig ist, da sie gegen diese Tabletten allergisch war.“

„Was?“

Ich nahm die Packung aus der Handtasche. „Das hier ist das neue Mittel, das man ihr verschrieben hat. Ich nehme an, wenn man sich schon umbringen will, dann nimmt man die guten Tabletten und nicht das Mittel, auf das man allergisch reagiert, oder?“

Da waren verdammt viele „Oders“ in meiner Argumentation – aber es waren rhetorische Oders!

„Das beweist gar nichts.“

„Ich dachte, den Beweis hätten wir schon dadurch erbracht, dass Sie Ihren Vorgesetzten vom Tod Ihrer Frau berichtet haben, obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vom Tod Ihrer Frau wissen konnten – und das hier wäre reine Zugabe.“ Mein Humor kam bei ihm nicht an – bei meiner Kollegin auch nicht. Ich seufzte. „Sie wollen also wissen, wie Sie es gemacht haben? Ganz einfach: Die Peperoni-Pizza!“

„Häh?“ kam es… von ihr, denn er wusste ja wohl, worauf ich hinaus wollte.

„Sie wollten, dass Ihre Frau ein Glas mit Schlaftabletten trinkt – und Sie wollten, dass Sie nichts davon weiß. Also wie ‚überredet’ man jemanden dazu? Indem man ihn durstig macht.“ Das war nun wirklich einfach – die gute alte Columbo-Schule! „Sie gaukeln ihm vor, es ist nichts zu trinken da, Sie lassen ihn durstig werden durch scharfes Essen… und dann trinkt er ein solches Glas auf Ex. Das Glas müssen Sie natürlich vorbereitet haben und trotzdem das ganze unauffällig aussehen lassen. Dann legen Sie die betreffende Person ins Schlafzimmer, das Geschirr in die Spülmaschine, fahren zur Arbeit und tun so, als sei nichts passiert. Problem ist nur, dass das Essen nicht verdaut wird und eine recht präzise Todeszeit angibt. Tja, wirklich schade.“

„Und Ihr Beweis?“

Ah, da dachte jemand mit.

„Nun, Sie sind doch frühzeitig aus der Bank nach Hause gegangen, oder?“

„Ja.“

„Aber denen haben Sie dafür doch einen Grund angegeben, oder?“

Es kam etwas stockender. „Ja.“

„Und der wäre?“

„Dass… meine Frau Selbstmord begangen hätte… begehen wollte und ich lieber mal nachsehen sollte.“

„Sehen Sie. Das haben die da auch bestätigt. Sie wollten sich also unter dem Vorwand, Ihre Frau hätte Selbstmord begangen, aus der Bank frühzeitig frei nehmen?! Und dann hinterher behaupten, alles wäre gut ausgegangen, nur um einen freien Nachmittag zu bekommen?“ Das klang ein wenig fadenscheinig. „Klingt ein bisschen weit hergeholt, finden Sie nicht?“ Oder so.

Er nickte.

„Nichtsdestotrotz haben Sie aber in Ihrer Bank diese Geschichte erzählt, stimmt das?“

Er nickte.

„Aber wie konnten Sie das, wenn Sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts vom Selbstmord Ihrer Frau wussten?!“

Wie üblich hatte er sich verraten. Und das sah er nun auch ein.

„Ja, verdammt, ich habe meine Frau umgebracht!“ Beweis, Satz und Sieg. Irgendwie bekamen die ertappten Täter bei mir nach ihrer Entdeckung immer so einen leicht aggressiven Ton. Ich wandte mich an meine Partner-Kollegin. „Liebe Frau Fischer, hätten Sie wohl die Güte, unsere Kollegen zu rufen?“ Sie hatte.

Als Nickel abgeführt wurde, sah sie mich merkwürdig an. Ich wusste, was jetzt kommen würde. „Das...“ Ihr Blick verriet Kritik, aber auch Ironie: „Das war doch reines Glück!“

Da konnte ich ihr wohl kaum widersprechen. „Es war Glück, es war Zufall, es war der Mangel an Wissen des Täters, seine Fehler... Aber lösen Sie mal einen Fall ohne diese Hilfen!“

Frauenvolle Morde

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