Читать книгу Wegbereiter der Shoah - Martin Cüppers - Страница 22

3. NSDAP-Mitgliedschaft und Freiwilligkeit

Оглавление

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens gegen Angehörige der 1. SS-Brigade gaben nur 265 Zeugen Auskunft über ihre Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer der Parteiunterorganisationen. Die Vernehmungsbeamten entschieden im Laufe des Ermittlungsverfahrens scheinbar beliebig, welche Zeugen dazu befragt werden sollten. Der geringe Anteil von knapp 16 Prozent Aussagen zu diesem Komplex läßt trotzdem wichtige Anhaltspunkte hinsichtlich des Grades der ideologischen Überzeugung der Mannschaftsangehörigen erwarten. Von den Befragten gaben immerhin 160 Personen oder insgesamt 60 Prozent an, der NSDAP, der Allgemeinen SS oder der SA angehört zu haben. Acht frühere SS-Angehörige waren zur Zeit ihres Eintritts in die Waffen-SS für einen Parteibeitritt noch zu jung, sagten aber aus, in der Hitlerjugend gewesen zu sein. Weitere sieben Personen gaben darüber hinaus an, im Jahr 1939 polnischen Selbstschutzverbänden angehört zu haben. Letztlich lieferten damit zwei Drittel der befragten früheren Brigadeangehörigen Informationen über ihre Mitgliedschaft in der Partei, einer ihrer Untergliederungen oder eng verwandten Organisationssträngen. Im Vergleich übertraf der NS-Mitgliederanteil von früheren Soldaten der 1. SS-Brigade damit den entsprechenden Prozentsatz von Angehörigen des Reserve-Polizeibataillons 101 um das Doppelte. Für die Einheit der Ordnungspolizei war ein Anteil von NSDAP- und SS-Mitgliedern von 33,2 Prozent festgestellt worden.25 Ein Blick auf die bei der 253. Infanteriedivision des Heeres ermittelten Anteile zeigt, daß der dortige Wert dem des Reserve-Polizeibataillons weitgehend entsprach. Damit waren im Vergleich zu den Wehrmachtssoldaten auch zweimal so viele SS-Männer in nationalsozialistischen Organisationen vertreten.26


Tabelle 4: Mitgliedschaft der Männer der 1. SS-Brigade in NS-Organisationen

Eine Mitgliedschaft in der Elite der Allgemeinen SS räumten gut 43 Prozent der Befragten ein. Darüber hinaus sagte mit 46 Prozent fast die Hälfte dieser SS-Mitglieder aus, zusätzlich auch ein NSDAP-Parteibuch besessen zu haben. Eine Mitgliedschaft in der NSDAP, nicht aber in der Allgemeinen SS, gaben mit 42 Personen nur 15,8 Prozent der Befragten an. Von diesen Männern sagte ein kleinerer Teil von 11 Zeugen aus, zusätzlich noch in der SA gewesen zu sein. Über eine ausschließliche SA-Mitgliedschaft berichtete nur ein geringer Anteil von 1,1 Prozent der Vernommenen; drei Prozent gaben außerdem an, ausschließlich in der Hitlerjugend gewesen zu sein.

Der Blick auf den jeweiligen Beitrittszeitpunkt belegt zusätzlich, daß der Dienst in der Waffen-SS Ausdruck der nationalsozialistischen Gesinnung der Männer war und die Mitgliedschaft in NS-Organisationen keineswegs nur einen Begleitaspekt der Tätigkeit der SS-Soldaten darstellte. Von den 122 Mannschaftsangehörigen der Brigade, die diesbezügliche Angaben machten, waren alle bereits vor ihrem Eintritt in die Waffen-SS Mitglieder in mindestens einer der genannten nationalsozialistischen Parteiorganisationen. Kein einziger der Männer bewarb sich nach den vorliegenden Aussagen erst im Anschluß an seine Rekrutierung für die bewaffnete SS um eine Aufnahme in die NS-Gliederungen. Wenn auch ein derartiges Ergebnis keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben kann, unterstreichen ergänzend auch namentliche Besetzungslisten einzelner Schwadronen der SS-Kavallerie den hochideologisierten Charakter der Weltanschauungstruppe. Eine Besetzungsliste der im polnischen Seroczyn stationierten 3. Schwadron weist für den April 1940 unter den 119 Unterführern und Männern einen 52,9-prozentigen Anteil an Mitgliedern der Allgemeinen SS auf. In der zur gleichen Zeit angelegten Liste der in Lucmierz liegenden 9. Ersatzschwadron ist unter den insgesamt 117 Unterführern und Männern mit 46 Reitern ein Anteil von 39,3 Prozent an SS-Mitgliedern vermerkt. Zudem sind in der Liste 59 Männer oder 50,4 Prozent als „Bewerber“ für eine Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS geführt. Damit wird in der Schwadron in absehbarer Zeit ein Anteil von annähernd 90 Prozent erreicht worden sein.27

Immerhin ein Viertel der ehemaligen Einheitsangehörigen der 1. SS-Brigade, die entsprechende Angaben ablieferten, galten im Sinne der Nationalsozialisten sogar als „Alte Kämpfer“, die bereits vor 1933 eine Mitgliedschaft in einer der Parteigliederungen vorweisen konnten. Ein solcher Wert ist allerdings wenig aussagekräftig, da die Mehrheit der SS-Männer bis zur Machtübertragung an Hitler noch gar nicht in dem Alter war, um einen Partei- oder SS-Ausweis beantragen zu können. Insgesamt verdeutlichen die vorliegenden Angaben zur NS-Mitgliedschaft der Brigadeangehörigen, in welch hohem Maße sie sich die nationalsozialistische Ideologie zu eigen gemacht hatten. Teileinheiten der Totenkopfstandarten und Angehörige der Brigaden wiesen einen eklatant höheren Prozentsatz an NS-Mitgliedschaften auf als das zum Vergleich herangezogene Reserve-Polizeibataillon oder die Infanteriedivision des Heeres. Damit verbietet es sich schon allein auf Grundlage dieser Befunde, die Brigadeangehörigen nach Paul Hausser, dem früheren Oberstgruppenführer, als bloße „Soldaten wie andere auch“ zu bezeichnen.

Abgesehen von der Mitgliedschaft in NS-Organisationen, stellt allein schon der freiwillige Eintritt in die Waffen-SS einen deutlichen Beleg für die nationalsozialistische Gesinnung dar. Im Zuge des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens machten immerhin 409 frühere Brigadeangehörige Aussagen über ihren Beitritt zur Waffen-SS. Dabei gab die übergroße Mehrheit von 89,2 Prozent der Befragten an, freiwillig der Waffen-SS beigetreten zu sein. Weitere 6,8 Prozent sagten aus, nach freiwilliger Meldung bei der Polizei für die Waffen-SS rekrutiert worden zu sein. Nur in den seltensten Fällen geben die Vernehmungsprotokolle auch Auskunft über die jeweiligen Motive des Beitritts. Der damals 27-jährige Regierungsreferendar Walter M., zur Zeit seiner polizeilichen Vernehmung 1969 immerhin Regierungsdirektor, will sich kurz nach Kriegsausbruch 1939 „hauptsächlich aus optischen Gründen“ zur Waffen-SS gemeldet haben.28 Fast alle anderen früheren SS-Männer zogen es vor, sich nicht zu den persönlichen Beweggründen für die Freiwilligenmeldung zu äußern. Dieses Schweigen läßt wiederum Rückschlüsse zu. Während der Vernehmungen hätte es keinen Grund gegeben, die frühere Arbeitslosigkeit oder die persönliche finanzielle Notlage als Grund für den Beitritt zur Waffen-SS zu verschweigen. Derartige Aussagen fehlen jedoch in den ausgewerteten Ermittlungsverfahren. So werden es hauptsächlich doch die eigene nationalsozialistische Gesinnung, die Faszination der bewaffneten SS-Elite, der Wunsch, dazuzugehören oder andere, nicht weniger offensichtlich ideologische Motive gewesen sein, die die Männer in die Waffen-SS eintreten ließen.

Dem Gros der Aussagen, die eine freiwillige Meldung bei der bewaffneten SS bejahten, steht ein äußerst geringer Prozentsatz anderslautender Angaben gegenüber. Nur 3,9 Prozent der früheren Soldaten der Infanteriebrigade gaben ausdrücklich an, nicht auf freiwillige Weise zur Waffen-SS gelangt zu sein. Zu etwa gleichen Teilen äußerten sie, entweder nichts von ihrer Eingliederung in die Waffen-SS gewußt zu haben, den Dienst bei der jeweiligen Einheit ausdrücklich nicht freiwillig angetreten zu haben oder tatsächlich zur Mitwirkung gezwungen worden zu sein. Daß derartige Aussagen mit entsprechender Vorsicht zur Kenntnis genommen werden müssen, verdeutlicht der Fall des Ungarndeutschen Fritz J., der für sich geltend machte, zur Waffen-SS ‚gezwungen‘ worden zu sein. J. war in seiner Geburtsstadt Bulkes seit längerem in der nationalsozialistischen Ortsgruppe aktiv. Als er im März 1942 einen Musterungsbescheid zugestellt bekam, eilte J. zu seinem NS-Ortsgruppenleiter um zu fragen, ob er dem Bescheid Folge leisten solle. Der Gefragte riet, die Musterung wahrzunehmen, da er sonst „aus der deutschen Volksgemeinschaft ausgeschlossen“ werden würde. Besorgt über die bedrohliche Aussicht landete J. daraufhin zügig bei der Waffen-SS.29

Gleichwohl existierten Einzelfälle, in denen das Freiwilligenprinzip durchbrochen wurde. Im Zuge des raschen Ausbaus der bewaffneten SS seit Kriegsausbruch wurden Angehörige der Allgemeinen SS seit September 1939 verstärkt aufgefordert, sich für den Dienst zu melden.30 Daß solche Aufforderungen nicht mit direktem Zwang, durchaus aber mit einigem Nachdruck präsentiert wurden, verdeutlichen die Umstände der zeitgleich in der NSDAP stattgefundenen Werbungen für die Totenkopfstandarten. Robert Ley, der Reichsorganisationsleiter der NSDAP, hatte in Ausführungsbestimmungen für eine Werbeaktion im Januar 1940 zwar festgestellt, Werbungen sollten auf der Grundlage freiwilliger Meldung erfolgen, abschließend aber vieldeutig formuliert: „Es wird jedoch erwartet, daß die mit der Durchführung der Maßnahmen beauftragten Parteigenossen sich entsprechend der Bedeutung der Aktion nachdrücklichst einsetzen.“31 Über den Erfolg dieser Aufforderung berichtete Gottlob Berger, der Chef des Ergänzungsamtes der Waffen-SS einen Monat später, die Partei habe sich „im Gegensatz zu der SA“ bei der Werbung für die Totenkopfstandarten „sehr aktiv“ eingesetzt. „Daß teilweise“, so Berger weiter, „weit über das Ziel hinausgeschossen wurde, ist verständlich und weiter nicht schlimm. Es war anzunehmen, daß das durch den letzten Satz in der Verfügung der Reichsorganisationsleiters Dr. Ley kommen würde.“ Von der Streichung des Satzes hatte Berger nach eigenem Bekunden aus dem Grund abgesehen, „weil sonst der Schwung in einer Reihe von Gauen gefehlt hätte“.32

Auch bei der Rekrutierung volksdeutscher Freiwilliger gab es derartigen „Schwung“. Die Generalinspektion der verstärkten SS-Totenkopfstandarten räumte Anfang des Jahres 1940 ein, daß ein Teil der Volksdeutschen „ohne Rücksicht auf berufliche und familiäre Verhältnisse eingezogen worden“ sei. In Fällen, in denen besondere Härten entstanden seien, sollte nach eingehender Prüfung sogar eine Entlassung der Rekruten verfügt werden.33 Die Werbung von Rumäniendeutschen im Juni 1940 scheint vereinzelt unter falschen Versprechungen organisiert worden zu sein. Elmar K., ein junger Rumäniendeutscher, der später der 1. SS-Brigade angehörte, berichtete: „Wir waren mit etwa 1000 Studenten von Rumänien nach Deutschland gekommen, um unser Studium fortzusetzen. Dazu kam es aber nicht, weil wir einfach in Uniform gesteckt wurden.“34 Als Verantwortlichen für die Täuschung benannte einer der späteren SS-Männer Andreas Schmidt, den Führer der deutschen Minderheit in Rumänien, der „die junge Elite der Volksdeutschen verraten und verschachert“ habe.35 Die Mehrzahl der Volksdeutschen, die im Rahmen der Rekrutierungsaktion zur Waffen-SS kamen, äußerte jedoch im Gegenteil, sich im Juni 1940 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet zu haben.36 Wenn es auch Beispiele gegeben hat, in denen junge Männer durch Täuschung oder Druck von NS-Funktionären zum Dienst genötigt wurden, meldete sich die ganz überwiegende Mehrheit der Rekruten freiwillig. Für deutschstämmige Männer außerhalb des Reichsgebiets bestand erst mit Himmlers Verkündung der Wehrpflicht für Volksdeutsche ab August 1942 eine allgemeine Dienstpflicht bei der Waffen-SS. Im Reichsgebiet setzten überhaupt erst 1943 im Zuge der militärischen Niederlagen an der Ostfront und dem dringenden Rekrutenbedarf der Waffen-SS Werbungsmethoden ein, die partiell deutlich dem Freiwilligencharakter der Truppe widersprachen.37

Wegbereiter der Shoah

Подняться наверх