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Träume

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Dichter Regen prasselte herab, vom heftig aufkommenden Wind immer wieder zu fast undurchsichtigen Schleiern verdichtet. Die Nacht, die bei dieser Witterung eigentlich stockdunkel hätte sein sollen, wurde von irgendwo her von einer milchigen Helligkeit durchdrungen. Grelle Blitze, denen fast unmittelbar ein heftiger Donner folgte, ließen die Konturen des großen Fernsehturms auf dem Kamm des Eggegebirges in fast schmerzhafter Helligkeit hervortreten.

Es sah aus, als ob die in immer kürzeren Abständen aufflammenden Blitze sich zunehmend auf einen Punkt in unmittelbarer Nähe des Turms konzentrierten, ihr Stamm, von vielen feurigen Verästlungen umgeben, schien in die Felsen, in die der Turm hineingebaut war, einzutauchen.

Jedes Mal, wenn ein Blitz aufflammte, wurde sie sichtbar. Zuerst nur undeutlich und schemenhaft, dann allmählich klarer und detailreicher werdend. Konnte man zu Beginn ihres Erscheinens die Anwesenheit einer Gestalt eher ahnen, wurde es bald möglich, in ihr eine Frau zu erkennen. Ein weiterer greller Blitz enthüllte in den Sekundenbruchteilen seiner Existenz neue Einzelheiten. Die Frau war vergleichsweise groß, jung, vielleicht Mitte zwanzig, hatte eher kurze schwarze Haare. Ihre Haut war sonnengebräunt und ihre Figur hatte etwas Athletisches an sich.

Etwa zwanzig Meter vor mir auf dem von Pfützen übersäten Waldweg stehend machte sie eine Geste, die auf den Punkt wies, an dem sich die Blitze scheinbar konzentrierten. Sie machte Anstalten, den Weg zu verlassen und quer durch den Wald auf den Felsen zuzulaufen und bedeutete mir, ihr zu folgen. Ich zögerte und blieb stehen. Ungeduldig wiederholte sie ihre Aufforderung, indem sie mit ihrem ausgestreckten Arm auf den Wald zeigte. Ihre Bewegungen hatten etwas Energisches an sich, auch schien sich bei ihr Ärger aufgrund meines Zögerns zu regen.

Wie immer in den letzten vier oder fünf Tagen erwachte ich an dieser Stelle des Traums. Ich schreckte hoch und saß aufrecht in dem großen Bett in meinem Schlafzimmer. Ich war allein.

Die Hitzewelle, die seit Tagen auch das eher für sein etwas raueres Klima bekannte Eggegebirge im Griff hatte, ließ den Schweiß an meinem Körper in Strömen fließen. Zunächst wirkte der Traum noch in mir nach und ich versuchte, die verwirrenden Empfindungen, die er bei mir erweckte, abzustreifen. Langsam fand ich in die Realität zurück und wie in den vergangenen Tagen ergriff mich eine trostlose Verzweiflung und legte sich wie eine eiserne Klammer um meinen Brustkorb und über den ganzen Körper.

Lange Zeit verharrte ich fast bewegungslos im Bett sitzend, stumpf vor mich hin brütend. Irgendwann wurde der Durst übermächtig und es gelang mir, die dunklen Schleier, die meinen Geist umfingen, für einen Moment zur Seite zu schieben. Ächzend erhob ich mich und stolperte in die Küche. Meinen ersten Gedanken an ein Bier verwarf ich und griff wie in den letzten Tagen zu einer Flasche Mineralwasser. Ich leerte sie trotz der energisch prickelnden Kohlensäure in wenigen Augenblicken und sank auf einen Küchenstuhl. Dann legte ich meinen Kopf zwischen meine Arme auf den Tisch. Die Verzweiflung überkam mich erneut.

Es war noch keine drei Wochen her, da war mit meinem Leben noch alles in Ordnung gewesen. Vor fünf Jahren hatte ich die Universität in Göttingen als Diplom-Ingenieur verlassen. Ich bewarb mich bei mehreren Firmen und landete schließlich in einem nicht allzu großen Dorf mitten im Eggegebirge, das die südliche Fortsetzung des Teutoburger Waldes darstellt und sich im östlichen Teil Westfalens befindet. Dort fing ich bei einer Firma an, die Zulieferteile für die Automobilindustrie herstellt und etwa achtzig Personen beschäftigt. Die Bezahlung war angemessen und das Arbeitsklima in Ordnung. Als Junggeselle verbrachte ich die meisten freien Wochenenden mit Studien-oder Schulfreunden außerhalb des Dorfes, in dem ich nun wohnte.

Als vor drei Jahren dort im Juni das alljährliche Schützenfest stattfand und die meisten meiner Freunde im Urlaub waren, blieb ich am Ort. Der Schützenverein ließ den Schützenkönig mit seiner Königin und dem Hofstaat in Pferdekutschen durch das Dorf rollen. Amüsiert betrachtete ich die Hofdamen, von denen einige sich sehr wichtig vorkamen. Ihre langen Kleider lagen teilweise so eng am Körper an, dass sie sich keine unvorsichtige Bewegung leisten konnten. Ich fragte mich, wie sie da noch Kaffee und Kuchen hineinbekommen wollten, ohne dabei die Nähte ihrer Kleider zum nachgeben zu zwingen. Begleitet wurde der Umzug von mehreren hundert Schützen, deren erheblicher Durst gleich nach dem Einzug des Königspaares auf dem improvisierten Thron in dem Festzelt einsetzte und sichtlich zur Freude des Festwirtes Stunde um Stunde zunahm. Ich vertrieb mir den Nachmittag und den frühen Abend damit, dem bunten Treiben zuzusehen und mit dem einem oder anderen Arbeitskollegen oder Bekannten, denen ich auf dem Festplatz begegnete, ein Bier zu trinken.

Gegen 22 Uhr stand ich alleine an einem Bierwagen und trank mein letztes Glas aus. Gerade wollte ich den Festplatz verlassen, als mein Blick auf einen uniformierten Schützen fiel, der schon einen ziemlich angeschlagenen Eindruck machte. Seine Bewegungen waren nicht mehr allzu ökonomisch, auf seinem Weg zum Bierstand wich er mehrfach deutlich von der Ideallinie ab. In seiner Begleitung befand sich eine junge Frau, die über seinen Zustand offensichtlich nicht sehr glücklich war. Als die beiden die mir gegenüberliegende Seite der Bierbude erreicht hatten, ließ er sie dort stehen und begab sich heftig schwankend in Richtung Herrentoilette. Die junge Frau sagte kopfschüttelnd etwas zu einigen Leuten in ihrer Nähe und drehte sich dann in Richtung Theke. Unsere Blicke trafen sich. Für einen Moment sah ich nur sie und alles um mich herum verblasste. Sie musterte mich mit ihren Augen und Bruchteile von Sekunden später lächelte sie mich an. Die unbekannte Frau war groß und schlank und hatte dunkelblondes Haar. Bekleidet war sie mit einem eng anliegenden, tief ausgeschnittenen Pullover. Für mich sah sie unverschämt gut aus. Ich ertappte mich dabei, sie anzustarren. Während mir gerade der Gedanke „Hoffentlich siehst Du jetzt nicht allzu blöd aus“ durch den Kopf ging, wandte sie sich mit einer anmutigen fließenden Bewegung von mir ab und setzte die Unterhaltung mit ihren Bekannten fort. An diesem Abend ging ich wie betäubt zurück in meine Wohnung. Auch in den nächsten Tagen dachte ich noch oft an diese Frau.

Zwei Wochen später begegnete ich ihr dann plötzlich auf der Straße. Sie schien sich tatsächlich an mich zu erinnern, schon von Weitem sah ich das strahlende Lachen, das mich beim Schützenfest so aus meinem inneren Gleichgewicht gebracht hatte. Kurz bevor wir uns auf gleicher Höhe begegnet hätten, sprach ich sie an. Ich weiß nicht mehr, was ich damals gesagt habe, aber allzu kritisch kann sie meinem Geplapper gegenüber nicht gewesen sein, sonst wäre sie wohl weiter gegangen. Meine Einladung in ein Cafe lehnte sie ab, stattdessen schlug sie einen Spaziergang im Wald vor, der sich in unmittelbarer Nähe befand. Während wir durch den dichten Wald gingen, unterhielt sie sich mit mir über alltägliche Dinge und erzählte über sich, als wäre ich ein alter Bekannter von ihr. Gelegentlich warf sie mir dabei kurze Blicke von der Seite zu, die ich nicht zu deuten vermochte. Ich hätte gerne gewusst, ob der wackere Schütze, in dessen Begleitung ich sie auf dem Schützenfest gesehen hatte, ein näherer Bekannter oder ihr Freund war, aber sie erwähnte weder ihn noch sprach sie über einen anderen Mann, der ihr nahe stand.

Ihr Name war Christine, sie war 26 Jahre alt und kam aus einem der noch kleineren Nachbarorte. Sie fuhr jeden Tag in das rund 25 Kilometer entfernte Warburg, wo sie als Büroangestellte in einem Großhandelsunternehmen arbeitete. Als ich ihr meinen Namen nennen wollte, bedachte sie mich mit einem spitzbübischen Grinsen und sagte dann: „Dein Name ist Werner Caldenberg, du bist 31 Jahre alt, seit zwei Jahren bei Naarmann & Co. beschäftigt, ledig und an den Wochenenden meist mit deinen Kumpeln auf Sauftour. Meines Wissens nach keine ernsten Frauengeschichten in den letzten Jahren. Ist das soweit korrekt?“. Ich musste sie ziemlich verblüfft angesehen haben, jedenfalls amüsierte sie sich offensichtlich königlich, bevor sie mir erklärte, dass diese Informationen von einer meiner Arbeitskolleginnen stammten, die von mir unbemerkt an jenem Schützenfestabend auch an dem Bierstand gewesen war. Immerhin, sie hatte Interesse an mir.

Ein Jahr später waren wir verheiratet. Die nächsten zwei Jahre waren die bisher glücklichsten meines bisherigen Lebens, wir ergänzten uns ideal. Die Arbeit machte uns beiden Spaß, wir kamen mit unserem Geld gut aus und einen großen Teil unserer Freizeit verbrachten wir gemeinsam. Wir waren glücklich.

Bis zu jenem 10. Juli, der nun 15 Tage zurücklag. Es war ein sonniger und warmer Tag, seit über einer Woche beherrschte ein Hoch das Wetter. Mit 25 – 27 ° bewegten sich die Temperaturen in einem angenehmen Bereich. Ich ging die 1,5 km zur Firma wie fast immer zu Fuß, während Christine in ihr Auto stieg, um zur Arbeit zu fahren.

An diesem Tag gegen neun Uhr kam das Grauen zu mir in der Gestalt von zwei Polizisten, die sich in der Begleitung des Firmeninhabers und meines Chefs Wolfgang Benner befanden. Als ich sah, wie die Streifenbeamten mit gesenktem Blick auf meinen Schreibtisch zusteuerten, wurde mir schlagartig eiskalt. Wie durch dicke Watte gedämpft kamen Wolfgangs Worte in meinem Gehirn an: „Werner, es tut mir leid, aber es ist etwas Schreckliches passiert ...“

Ein Autofahrer hatte auf der im Sommer mäßig befahrenen Nebenstraße, die Christine auf ihrem Weg zur Arbeit benutzte, ein Auto mit laufendem Motor und geöffneter Fahrertür mitten auf der Straße stehend aufgefunden. Er hielt an, um gegebenenfalls Hilfe zu leisten. Ein paar Meter abseits von der Straße fand er Christine auf dem Waldboden liegend. Sie war tot.

Zehn Tage später wurde sie endlich beerdigt. Der zuständige Staatsanwalt hatte aufgrund der Umstände dieses Falles ihre Leiche beschlagnahmen und obduzieren lassen. Als Diagnose wurde schließlich plötzliches Herzversagen festgestellt. Eine merkwürdige Todesart für eine bisher gesunde junge Frau, die noch nicht einmal 30 Jahre alt gewesen war.

Die Tage zwischen ihrem Tod und der Beerdigung verbrachte ich abwechselnd unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln oder Alkohol, manchmal nahm ich auch beides zusammen. Ohne meine Schwester Norma, zu der ich immer ein gutes Verhältnis hatte und der Hilfe meiner ebenfalls geschockten Schwiegereltern hätte ich die Vorbereitungen zur Beerdigung und diese selbst nicht durchgestanden.

Nach der Beisetzung, an der über 200 Personen, darunter viele Arbeitskollegen von Christine und mir teilnahmen sowie dem anschließenden Kaffeetrinken in einer Gaststätte kam ich mir vor wie nach einem Spießrutenlauf. Ich war fast verwundert darüber, dass ich nicht irgendwo als ein Häufchen Elend laut heulend zusammengebrochen war. Das passierte dann in meiner Wohnung. Norma hatte mich aus der Gaststätte heraus in ihr Auto bugsiert und nach Hause gefahren. Während ich meinen Tränen freien Lauf ließ, brachte sie die Wohnung in Ordnung. Sie blieb noch bis zum nächsten Tag und fuhr dann zurück nach Würzburg, wo sie als Rechtsanwältin in einer Sozietät arbeitete.

Über eine Stunde war nun vergangen, aber ich lag noch immer mit meinem Kopf auf dem Küchentisch. Die Hitze in der Küche war entsetzlich. Am Tag nach der Beerdigung hatten schwül-heiße subtropische Luftmassen das angenehm trocken-warme Sommerwetter abgelöst und die Temperaturen stiegen seit Tagen bei hoher Luftfeuchtigkeit auf über 35°. Schlaftrunken erhob ich mich, um ins Bett zurückzugehen. Es war kurz vor vier Uhr morgens und es war noch dunkel. Zur Arbeit war ich seit Christines Tod nicht mehr gewesen, bis gestern hatte mich mein Hausarzt krankgeschrieben. Danach hatte ich nach Rücksprache mit meinem Arbeitgeber und Chef, der mittlerweile auch mein Freund war, erst einmal vier Wochen Urlaub eingereicht. Ich musste mir nun über einiges klar werden, z. B. ob ich in diesem Ort und bei diesem Unternehmen, wo ich bis vor kurzem sehr glücklich gewesen war, noch weiter leben und arbeiten konnte. „Nimm dir Zeit und überstürze jetzt bloß nichts“, hatte mein Chef Wolfgang Benner gesagt. Es sprach für ihn, dass er mir ohne Zögern den gewünschten Urlaub gewährte, denn durch mein Fehlen vergrößerte sich die Personallücke, die durch Urlaub immer in dieser Jahreszeit bestand, bis an die Schmerzgrenze.

Wieder im Bett angelangt, fiel ich in einen unruhigen Halbschlaf. Es dauerte nicht lange und ich fing wieder an zu träumen. Dieses Mal unterschied sich der Traum von den vorhergegangenen, die immer wieder die gleiche Szene zum Inhalt hatten. Nun sah ich eine weite Ebene, über der die Luft in der Sommerhitze flirrte. Ein Teil dieser Ebene war mit Wald bedeckt, daneben konnte ich Getreidefelder sehen. Darüber hinaus gab es noch andere Gewächse, die in langen Reihen standen. Ich konnte sie nicht erkennen, da sie nur undeutlich zu sehen waren. Irgendetwas zog mich im Traum zu dem Wald hin, es war, als läge dort der Schlüssel, der es ermöglichen würde, die schrecklichen Vorgänge um den Tod meiner Frau zumindest zu verstehen.

Schweißgebadet erwachte ich schließlich gegen acht Uhr morgens aus meinem Dämmerzustand. Die Hitze im Schlafzimmer war schon jetzt unerträglich, dabei war der Tag gerade erst angefangen. Ich warf ein paar Eiswürfel in meinen Kaffee, um ihn abzukühlen und tauchte dann ein trockenes Brötchen hinein. Mehr konnte ich nicht essen. So ging es mir, seitdem ich die Nachricht von Christines Tod erhalten hatte, und ich hatte schon den Eindruck, dass meine Kleidung um meinen Körper herum bereits zu flattern anfing.

Wie stets in den seit der Beerdigung vergangenen Tagen machte ich mich auf den Weg zum Friedhof. Ein Großteil der Blumen auf dem Grab war bereits verwelkt und der Berg aus Kränzen und Blumen war in sich zusammengesunken. Auch hatte ich den Eindruck, als wäre die Erde über den Sarg bereits abgesackt. Um mich von meiner Verzweiflung abzulenken, begann ich, einige der verwelkten Blumensträuße auszusortieren und die verbliebenen Gebinde neu zu arrangieren. Ein paar Schalen mit Blumenschmuck, die etwas abseits standen, versorgte ich mit frischem Wasser. Anschließend begab ich mich auf direktem Weg zurück in meine Wohnung. Der Traum vom frühen Morgen kam mir wieder in den Sinn. Immer wieder zog die Landschaft, die ich im Traum gesehen hatte, vor meinem geistigen Auge vorbei. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, obwohl ich mir andererseits sicher war, diese Gegend in meinem bisherigen Leben noch nicht gesehen zu haben.

Ich schaltete meine Stereoanlage ein und legte eine CD mit Meditationsmusik ein. Eingehüllt von der beruhigenden Musik ließ die Spannung der vergangenen Tage ein wenig nach. Wieder zogen die Landschaftsbilder meines Traums an mir vorbei. Das irrationale Gefühl, dass dort der Schlüssel zum Verständnis der unmittelbaren Vergangenheit lag, verstärkte sich. Darüber hinaus vermittelte der Anblick dieses Waldes und der Felder mir einen gewissen Trost, mehr, als ich in den vergangenen Tagen von irgendetwas Anderem erhalten hatte. Aber diese Landschaft war ja nur ein Traumbild, und selbst, wenn sie tatsächlich existieren würde, ich kannte sie ja nicht, wo sollte ich suchen?

Trotzdem fühlte ich mich nach zwei Stunden Musikhörens, begleitet von diesen Tagträumen, ein wenig besser. Ungeachtet der sengenden Hitze begab ich mich in den Wald, dessen Schatten wenigstens ein wenig Illusion von Kühle bewirkte. Zum ersten Mal seit langer Zeit machte ich einen ausführlichen Spaziergang. Die hügelige Landschaft des Eggegebirges zusammen mit dem vielfältigen Flickenteppich der bewirtschafteten Felder tat mir gut, und die körperliche Anstrengung, die das Gehen in dieser Hitze erforderte, lenkte mich ab. Als ich am frühen Abend den Wald verließ, war ich durstig und hungrig. In einem nahe gelegenen Supermarkt kaufte ich frischen Käse und Wurst. Anschließend gönnte ich mir auf der Terrasse das erste üppige Abendessen seit langem. Ich spülte es mit kühlem Bier herunter. Die Bewegung, das Essen, der Alkohol und die Hitze hatten mich müde gemacht, und als ich an diesem Abend ins Bett ging, schlief ich tief und fest, lediglich vor dem Aufwachen erinnerte ich mich an einen kurzen Traum, in dem die Blitze vor dem Fernsehturm in dunkler Nacht mit der Landschaft, die ich in den letzten beiden Tagen gesehen hatte, ineinander verschmolzen. Mitten hindurch ging die schwarzhaarige Frau, dieses Mal ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Nachdem ich am nächsten Morgen aufgestanden war, ergriff mich eine merkwürdige Unruhe. Es war, als würde mich eine unbekannte Kraft von hier fortziehen wollen. Nervös lief ich im Haus auf und ab, denn nahm ich mir einen längeren Waldspaziergang vor, in der Hoffnung, dass dieser mir ähnlich gut tun würde, wie der vom Vortag, Die Hitze war noch schlimmer geworden, und mit jedem Meter, den ich mich vom Haus entfernte, wuchs meine innere Unruhe weiter. Nach einer Viertelstunde kehrte ich schließlich um und ging zum Haus zurück.

Eine merkwürdige Stimmung hatte mich erfasst. Wie in Trance öffnete ich einen Schrank, holte eine Reisetasche hervor und warf ein paar Kleidungsstücke hinein. Mechanisch schloss ich offen stehende Fenster, verriegelte die Terrassen- und die Haustür und begab mich zu meinem Auto. Ich fuhr einfach los, ohne irgendein Ziel zu haben. Es war, als habe irgendeine, sonst im Verborgenen liegende Instanz des Geistes, die Führung übernommen. Meine Reaktionen als Verkehrsteilnehmer waren davon vollkommen unberührt. Ich hatte mich immer für einen sicheren Fahrer gehalten, und auch jetzt reagierte ich der Verkehrslage entsprechend. Eine andere Ebene meines Bewusstseins bestimmte die Fahrtrichtung. Ich wusste immer noch nicht, wo ich überhaupt hinwollte, aber überall dort, wo ich die Wahl zwischen zwei oder mehr Richtungen hatte, zögerte ich nicht eine Sekunde bei der Entscheidung, wohin ich fahren musste. Gut vier Stunden nach meinem spontanen Aufbruch verließ ich hinter dem rheinland-pfälzischen Landau die Autobahn. Wie ein programmierter Roboter fuhr ich weiter, wechselte an Kreuzungen und Abzweigungen wie selbstverständlich die Fahrtrichtung, ohne zu wissen, auf welches Ziel ich mich zu bewegte. Etwa zwanzig Minuten, nachdem ich die Autobahn verlassen hatte, entdeckte ich ein großes Waldgebiet in einer Ebene. War dies die Gegend, von der ich in den letzten beiden Tagen geträumt hatte? Zumindest bestand eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem „Traumland“. Ich kam auf einem Parkplatz am Waldrand zum Stehen. Sollte dies etwa mein Ziel sein?

Mein Kopf war wieder frei und die Unruhe, die mich bisher vorangetrieben hatte, war wie weggeblasen..Ich zog eine Autokarte hervor und rekapitulierte die Namen der letzten Orte, die ich durchfahren hatte. Danach musste ich mit meinem Auto vor dem Bienwald, einem größeren Waldgebiet an der deutsch-französischen Grenze stehen. Ich beschloss auszusteigen und mir nach der langen Fahrt etwas Bewegung zu gönnen. Als ich die Autortür öffnete, traf mich die Hitze wie ein Schlag. Während der Fahrt hatte die Klimaautomatik in meinem Auto die Temperatur auf 26° gehalten, ein Blick auf die Anzeige am Armaturenbrett zeigte, dass die Außentemperatur bei 37° lag. Zügig ausschreitend beeilte ich mich daher in den Wald hineinzukommen, in dessen Schatten es ein wenig angenehmer wurde. Und wieder griff etwas Unbekanntes nach meinen Bewusstsein und schien es beeinflussen zu wollen. Mittlerweile war mir das Gefühl, bekannt und mit einer Mischung aus Furcht und Neugier bewegte ich mich weiter in den Wald hinein.

Bereits nach kurzer Zeit waren alle Geräusche der Zivilisation verstummt, und abgesehen von Vogelgezwitscher, welches ich gelegentlich aus größerer Entfernung vernahm, war es unnatürlich ruhig. Roboterhaft bewegte ich mich immer weiter in den Wald hinein. Endlich blieb ich in einer Lichtung mitten im Wald stehen. Plötzlich war mein Kopf wie in der kurzen Zeitspanne am Parkplatz wieder frei. Es war, als wäre nie etwas in meinem Kopf gewesen. Was war bloß mit mir los?

Nachdem ich einige Minuten unschlüssig herumgestanden hatte, setzte ich mich auf eine Wiese in der Lichtung. Bald darauf döste ich in der Hitze ein. Als ich nach kurzer Zeit wieder wach wurde, hatte mich ein merkwürdiges Gefühl ergriffen. Ich spürte, dass ich nicht mehr allein war. Langsam stand ich auf und sah mich um. Etwa zehn Meter, schräg hinter mir, stand eine Person. Ich verhielt mich völlig ruhig und auch die Person hinter mir bewegte sich nicht. Träge verrannten die Minuten in der schwülen Hitze. Dann hörte ich plötzlich eine Stimme: „Warten Sie auf mich?“ Sie gehörte zu einer jungen Frau. Da mir im Moment der Sinn nicht im Geringsten nach einer Unterhaltung, geschweige denn einem Flirt stand, wollte ich gerade eine unfreundliche Bemerkung machen. Ich drehte mich halb in ihre Richtung.

Als ich sie sah, gaben meine Knie nach und eine Gänsehaut, verursacht von einem eisigen Frösteln, überlief meinen gesamten Körper. Vor mir stand die Frau, von der ich immer wieder in den vergangenen Nächten geträumt hatte. Gleichzeitig war ich mir absolut sicher, dass sie mir noch niemals zuvor im realen Leben begegnet war. Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit verging, in der ich sie lediglich anstarrte. Meine Gedanken und Gefühle befanden sich in Aufruhr, in meinem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Irgendwo in meinem Hinterkopf keimte die Hoffnung auf, ich wäre lediglich in einem Alptraum gefangen und mit dem Klingeln des Weckers würde ich mich in meinem Bett neben einer fröhlichen und munteren Christine wieder finden. Sekunden später spürte ich Fluchtinstinkte, ich merkte, wie das Adrenalin meinen Körper flutete. Dann hatte ich den Wunsch nach einer Pistole, mit der ich mir das Leben nehmen konnte, bevor der Wahnsinn vollends Besitz von mir ergriff.

Mit einer energischen Willensanstrengung gelang es mir endlich, meine herum wirbelnden Gedanken in den Griff zu bekommen. Bewusst sah ich die Frau an. Sie hatte die ganze Zeit, nachdem sie mich angesprochen hatte, ruhig dagestanden. Meine konfuse Reaktion auf ihr Erscheinen nahm sie völlig gelassen hin. Sie war, auch nach genauem Hinsehen, ein ziemlich exaktes Abbild der Frau in meinen Träumen der letzten Tage. Etwa 1,75 Meter groß, schlank, sportliche Figur, schwarze Haare und fast schon olivbraune Haut. Sie erwiderte meinen Blick und wartete geduldig auf eine Reaktion von mir. Endlich hatte ich mich einigermaßen gefasst. „Um ihre Frage zu beantworten: ich weiß es nicht. Ich sehe Sie heute zum ersten Mal in der Realität. In meinen Träumen der letzten Tage habe ich jedoch eine Frau gesehen, die aussieht wie Sie.“ Sie wirkte zu meiner Verblüffung nicht sonderlich überrascht. „Ich habe nie daran geglaubt, dass Träume irgendeine Bedeutung haben könnten. Aber seit dem plötzlichen Tod meines Mannes hatte ich einige merkwürdige Träume in einer Art, wie ich sie noch nie hatte. Ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat.“

„Der plötzliche Tod meines Mannes“ – diese Worte schlugen in meinem Kopf wie eine Bombe ein. „Wann ist Ihr Mann gestorben?“ – die Frage kam schroffer als ich sie beabsichtigt hatte, aber ich war in diesem Moment emotional viel zu angespannt, um dies überhaupt zu bemerken. Sie sah mich an und sagte dann: „Am 10. Juli, vor knapp drei Wochen.“ – „Um wie viel Uhr und woran?“ – „Entschuldigen Sie, aber warum glauben Sie, das Sie das etwas angeht?“ – Ich sah ihr in die Augen: „Bitte beantworten Sie meine Frage, es ist wichtig, ich werde es Ihnen erklären.“ Sie zögerte einen Moment und sagte dann: „Nun gut, warum nicht. Mein Mann starb gegen neun Uhr an plötzlichem Herzversagen. Er war mit dem Auto unterwegs gewesen.“

Meine Überraschung über diese Auskunft hielt sich in Grenzen. Irgendjemand schien ein sehr übles Spiel eröffnet zuhaben und zwei Spielfiguren, die unbekannte Frau und ich, waren offensichtlich hier nicht zufällig aufeinander getroffen. Nur, mit wem hatten wir es zu tun? Ein Geheimdienst mit seinen vielfältigen Möglichkeiten war sicherlich in der Lage, zwei Menschen zum gleichen Zeitpunkt zu ermorden und dies wie einen natürlichen Tod aussehen zu lassen, aber konnte er schon Träume beeinflussen und Menschen dazu bringen aus eigenem Antrieb bestimmte Orte aufzusuchen? Was hatte das in unserem Fall für einen Sinn? Es musste noch andere Erklärungen geben.

Die Frau sah mich erwartungsvoll an. Ich trat ein paar Schritte auf sie zu: „Wir kennen uns nicht. Trotzdem scheinen wir einiges gemeinsam zu haben. Ich möchte Ihnen einiges erzählen, aber ich würde mich dabei lieber bewegen. Was halten Sie davon?“ Wortlos nickte sie. Wir gingen los und ich erzählte ihr meine Geschichte der letzten Tage. Ich sprach vom Tod meiner Frau, von der tiefen Verzweiflung, die mich danach ergriffen hatte, von meinen seltsamen Träumen, in denen sie erschienen war und von diesem seltsamen Gefühl, immer wieder von außerhalb gelenkt zu werden und das mich letztendlich über mehrere hundert Kilometer an diese Lichtung geführt hatte.

Sie hatte ähnliche Erlebnisse wie ich gehabt und erzählte, wie der Staatsanwalt die Leiche ihres Mannes, der bis dahin völlig gesund gewesen war, beschlagnahmt und obduzieren lassen hatte. Wie bei Christine wurde letztendlich als Todesursache plötzliches Herzversagen festgestellt. Nach der Beerdigung fingen auch bei ihr die Träume an, in denen immer wieder ein Fernsehturm vorkam. Ihre Beschreibung dieses Turms entsprach exakt dem Aussehen des Turms auf der Egge, nur wenige Kilometer von meinem zuhause entfernt. Auch hatte es in ihren Träumen ein heftiges Gewitter gegeben, das um den Turm herum tobte, aber ein Mensch, so wie ich sie im Traum gesehen hatte, kam darin nicht vor. Schließlich hatte sie dann heute, am frühen Nachmittag einen unerklärlichen Drang zu dieser Lichtung im Wald verspürt. Irgendein diffuses Gefühl sagte ihr, dass dort jemand auf sie warten würde.

Wir hatten uns nun fast zwei Stunden intensiv unterhalten und waren dabei ununterbrochen durch den Wald gegangen. Als Einheimische hatte sie stillschweigend die Führung übernommen. Schließlich kamen wir an eine Lichtung. Gut einhundert Meter vor uns stand von Bäumen und Büschen umgeben ein einzelnes Haus. Meine Begleiterin wies darauf hin: „Hier wohne ich. Wahrscheinlich sind Sie jetzt in dieser Hitze genauso durstig geworden wie ich. Also sollten wir jetzt erst einmal etwas trinken.“

Als sie das sagte, merkte ich, wie Recht sie hatte. Die vergangenen beiden Stunden waren für mich so aufregend gewesen, dass ich weder die enorme Hitze noch irgendwelchen Durst verspürt hatte. Jetzt bemerkte ich allerdings, wie mir die Zunge fast am Gaumen festklebte.

Wie beeilten uns auf dem kurzen Weg durch die sengende Sonne bis zu ihrem Haus. Sie schloss auf und aufatmend trat ich ein. Im Haus war es deutlich kühler als draußen in der Sonne. Sie bot mir einen Platz in der großen, abgedunkelten Küche an und holte aus dem Kühlschrank einen Krug mit kaltem Wasser, in dem sich einige Zitronenscheiben befanden. Nach den ersten beiden gierigen Schlucken ließ ich mit trotz meines großen Durstes Zeit, auf eine Magenverstimmung legte ich nun wirklich keinen Wert. Die Frau hatte mir gegenüber Platz genommen. Sie blickte mich an. „Ich glaube, wir haben uns bisher noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Angelika Angermann.“ – „Werner Caldenberg“ sagte ich. - „Angesichts der Gemeinsamkeiten die uns verbinden, könnten wir eigentlich auch „du“ zueinander sagen.“ – „Einverstanden. Dann könntest Du mir vielleicht einen Tipp geben, wo ich hier in der Gegend übernachten kann. Ich glaube, dass es ganz sinnvoll ist, wenn ich ein paar Tage hier bleibe und mich mal umsehe.“ Angelika nickte zustimmend. „Das denke ich auch. Wenn Du willst, kannst Du hier übernachten, das Haus ist groß genug und ein Gästezimmer gibt es auch.“

Etwas später fuhr sie mich zu dem Parkplatz, auf dem mein Auto stand. Ich stieg ein und folgte ihr zu dem Haus. Ihr Angebot, dort zu übernachten, hatte ich sofort akzeptiert. Die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit erschien mir in dieser Hitze eher mühsam und außerdem konnten wir uns so ohne große Umstände weiter unterhalten. Gesprächsbedarf gab es zu mindestens aus meiner Sicht ohnehin mehr als genug.

Nach unserer erneuten Ankunft zeigte sie mir mein Zimmer. Zum Abendessen bereitete sie einen Salat mit gebratenen Speck-und Brotwürfeln zu. Ich half ihr und schnitt mit einem Wiegemesser verschiedene Kräuter, die ich zuvor aus dem Garten des Hauses gepflückt hatte. Wir aßen auf der Terrasse, neben dem Wasserkrug stand in einem Weinkühler eine Flasche mit Weißwein ohne Etikett. Angelika erklärte mir, dies sei ein Weißburgunder, den ein Vetter von ihr für sich und seine Verwandtschaft privat keltere. Der Wein und auch das Essen schmeckten mir sehr gut und ich verspürte zum ersten Mal seit den Ereignissen, die mein Leben aus der Bahn geworfen hatten, fast schon so etwas wie Zufriedenheit. Auch Angelika wirkte einigermaßen entspannt. Wir trugen das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und gossen den restlichen Wein in unsere Gläser. Im lockeren Ton unterhielten wir uns über alltägliche Dinge. Es schien, als wären wir stillschweigend übereingekommen, die merkwürdigen Ereignisse, die uns zusammengeführt hatten, an diesem Abend nicht mehr zu erwähnen. Nachdem ich Angelika von meinem Werdegang und bisherigen Leben berichtet hatte, erzählte sie von sich. Aufgewachsen im südlichen Teil von Rheinland-Pfalz in einem kleinen Weindorf nahe der französischen Grenze hatte sie das Gymnasium besucht und war nach dem Abitur als Zeitsoldatin zur Bundeswehr gegangen. Da sie handwerkliches Geschick besaß, hatte sie in der Fahrzeuginstandhaltung gearbeitet und einen Berufsabschluss im Kfz-Handwerk erworben. Auf Grund ihrer körperlichen Fitness und guten Auffassungsgabe hatte sie bereits einige anspruchsvolle Lehrgänge mit Auszeichnung bestanden. Sie war im Begriff, Berufssoldatin zu werden, als sie ihren kürzlich verstorbenen Mann kennen lernte. Er war knapp zehn Jahre älter als sie und hatte sich bereits einen guten Ruf als Architekt erworben. Wohl wissend, dass sich Ehe und eine Karriere als Berufssoldatin nur begrenzt miteinander vertrugen, ließ sie ihren Zeitvertrag auslaufen und heiratete. Da ihr Mann auf Grund seiner vielen Aufträge oft auswärts unterwegs war, hatte sie eine Beschäftigung in einer Kfz-Werkstatt angenommen. Als ich sie fragte, ob sie ihren Mann vermisse, antwortete sie: „Natürlich, aber er war häufig weg, ich bin das allein sein gewohnt. Wahrscheinlich hat es Dich schlimmer getroffen.“

Wir unterhielten uns noch über ein paar Belanglosigkeiten, bevor wir schlafen gingen. Trotz der Hitze schlief ich, nur mit einem dünnen Laken bedeckt, tief und traumlos. Als ich erwachte, zeigte der Wecker 08.30 Uhr. Im Haus war es völlig ruhig. Ein Blick aus dem Fenster verhieß einen weiteren viel zu heißen Tag. Ich duschte, zog mir ein T-Shirt sowie eine kurze Hose an, schlüpfte in meine Schuhe und ging in die Küche. Dort fand ich einen Zettel: „Ich werde gegen 11.00 Uhr zurück sein. Frische Brötchen sind in der Tüte auf dem Tisch, der Aufschnitt ist im Kühlschrank. A.“

Ich kochte den Kaffee absichtlich sehr stark, so konnte ich anschließend ein paar Eiswürfel hineinwerfen, um ihn abzukühlen, ohne dass er zu dünn wurde. Anschließend belegte ich mir die Brötchen und frühstückte behaglich. Danach sah ich mir das Haus an. Es war relativ groß, die Wohnfläche auf den beiden Etagen betrug mindestens 200 Quadratmeter. Den Außenmauern zufolge musste das ursprüngliche Haus kurz vor oder nach dem letzten Krieg gebaut worden sein, die Innenausstattung war jedoch modern und es sah aus, als wäre es im Inneren erst vor kurzem gründlich umgebaut worden. Eine breite Treppe führte in den Keller, der in einen Partyraum und mehrere Lagerräume unterteilt war. Ansonsten war diese Haus genau so unauffällig wie das Haus, welches Christine und ich vor zwei Jahren von einem in finanziellen Nöten steckenden Autohändler erworben hatten. Meine irrationale Hoffnung, hier Anhaltspunkte zu finden, die die Geschehnisse der vergangenen Tage erklären oder zumindest transparenter machen konnten, erfüllte sich nicht.

Als Angelika wie angekündigt gegen 11.00 Uhr, zurückkam, saß ich in einer schattigen Ecke ihrer Terrasse und schwitzte erbärmlich. Sie schien die Hitze längst nicht so zu beeindrucken. Zu ihrem eher unauffälligen ärmellosen Kleid trug sie Ballerinas. Sie hatte eingekauft und ihren Arbeitgeber um zwei weitere Wochen Urlaub gebeten. Jetzt nahm sie mir gegenüber Platz. Ohne Umschweife lenkte sie das Gespräch auf die seltsamen Ereignisse, die wir beide erlebt hatten. „Ich habe heute Morgen lange nachgedacht. Vielleicht treibt irgendwer ein perverses Spiel mit uns. Aber das alles ergibt für mich überhaupt keinen Sinn. Und wer hat könnte überhaupt eine solche Macht über uns haben? Vor allen Dingen, hast Du irgendeine Ahnung, was das ganze soll?“ – „Auch ich grüble schon seit geraumer Zeit herum, aber ich bin kein bisschen klüger als Du. Aber wir sollten vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob es schon vor dem Tod unserer Ehepartner irgendwelche merkwürdigen Ereignisse gab, die im Zusammenhang mit den jetzigen Geschehnissen stehen könnten.“ – Sie schüttelte den Kopf. „Daran habe ich auch schon gedacht, aber alles bis zu diesem 10. Juli kommt mir total normal vor. Da ist einfach nichts.“ – „Denk nach. Vielleicht ist es nur eine Kleinigkeit, die man damals nicht weiter beachtet hat, aber jetzt in Zusammenhang mit den letzten Ereignissen bedeutsam sein könnte.“ Sie krauste die Stirn. Über eine Minute saß sie da, konzentriert, mit gesenktem Kopf, offensichtlich über Ereignisse der Vergangenheit nachdenkend. Schließlich sagte sie: „Da war etwas. Eher eine Kleinigkeit, die ich fast vergessen habe. Eine Blutuntersuchung, kurz vor meiner Entlassung bei der Bundeswehr. Der Stabsarzt sprach mich an. Meine Blutprobe hätte völlig unsinnige Ergebnisse erbracht. Es war ihm absolut unerklärlich. Er wollte mir am nächsten Morgen erneut Blut abnehmen. An diesem Abend schlug bei einem Gewitter ein Blitz in seiner Nähe ein. Dabei wurde er verletzt. Er war mehrere Tage dienstunfähig, also ging ich am nächsten Morgen nicht auf die Sani-Station und ein paar Tage später wurde ich entlassen. Mein Blut habe ich nicht mehr untersuchen lassen, wozu auch, ich fühle mich kerngesund und ich war davon überzeugt, dass sie meine Probe falsch behandelt hatten.“ – „Wir träumen von Blitzen, ein Arzt, der etwas Ungewöhnliches findet, wird von einem Blitz getroffen. Gibt es da einen Zusammenhang, oder geht mit uns jetzt die Fantasie durch?“ Angelika wirkte nachdenklich. „Wir wissen nicht, ob es trotz allem nur ein Zufall war, das wir uns getroffen haben oder ob irgendetwas anderes dahinter steckt. Wenn das der Fall ist, haben wir vielleicht etwas gemeinsam, was für jemanden, den ich einmal „X“ nenne, von Interesse ist. „Etwa eine ungewöhnliche Blutzusammensetzung? Und dafür lässt „X“ zwei Menschen tot umfallen und bringt uns mir seinen magischen Gedankenbefehlen zusammen? Was hat er dabei im Sinn? Abgesehen davon, dass „X“ über überragende technische und psychische Fähigkeiten verfügen müsste, an die ich als Ingenieur einfach nicht glaube, scheint mir das doch etwas weit hergeholt zu sein.“ – „Wenn es tatsächlich Zusammenhänge geben sollte, werden wir wohl oder über unsere Vorstellungskräfte bemühen müssen, denn alles, was wir bisher in den letzten Tagen erlebt haben, lässt sich nicht so einfach erklären. Apropos Blut, wann hast Du Dir zum letzten Mal ein Blutbild anfertigen lassen?“ – „Ich kann mich nicht erinnern. Wahrscheinlich noch nie.“ – „Du solltest das mal machen. Vielleicht finden wir eine Gemeinsamkeit, oder wir können zumindest eine Überlegung ausschließen. Ruf doch mal meinen Hausarzt an und lass Dir ein Blutbild anfertigen, das geht doch ganz schnell.“ Ihre Theorie kam mir weit hergeholt vor, aber etwas Besseres fiel mir auch nicht ein. Ich rief also ihren Arzt an und fragte, ob es möglich sei, kurzfristig ein Blutbild anfertigen zu lassen. Um weiteren Fragen zuvorzukommen, erklärte ich, ich sei gerade hier im Urlaub. Mein Hausarzt habe mich durchgecheckt und dummerweise sei meine Blutprobe verloren gegangen. Ich vereinbarte für den nächsten Morgen einen Termin zur Blutentnahme.

Nachdem wir eher wenig gegessen, aber umso mehr Mineralwasser getrunken hatten, entschlossen wir in den Wald zu gehen. Bald kam Angelika auf den Fernsehturm zu sprechen, den sie im Traum gesehen hatte, und der offensichtlich große Ähnlichkeit mit dem Turm auf der Egge hatte. „Es ist doch merkwürdig“, sagte sie, „Du siehst im Traum eine Frau, die Du nicht kennst, die es aber tatsächlich gibt, ich träume von einem Fernsehturm, den ich noch nie gesehen habe, der aber offensichtlich genauso existiert, wie ich ihn im Traum gesehen habe. Du hast geträumt, wie wir beide auf diesen Turm zugegangen sind. Sie sah mich an: „Ich möchte mir diesen Turm ansehen.“ – „Ich finde, das ist eine gute Idee. Das gibt mir außerdem die Möglichkeit, mich für Deine Gastfreundschaft zu revanchieren. Ich stelle Dir gern mein Gästezimmer zur Verfügung.“ Wir vereinbarten, am nächsten Tag an meinen Wohnort zu fahren. An diesem Nachmittag legten wir noch viele Kilometer durch den Wald zurück. Nur selten sprachen wir miteinander, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Ereignisse der letzten beiden Tage hatten mich abgelenkt und die Trauer um den Verlust meiner Frau in den Hintergrund gedrängt. Jetzt kam sie zurück, und ich versuchte, mich mit ihr auseinanderzusetzen. Auch Angelika wirkte niedergeschlagen, was mich nicht überraschte, sie hatte ja ihren Mann verloren. Gegen 17.30 Uhr verließen wir den Wald auf dem Weg, der zu Angelikas Haus führte. Dort angekommen, tranken wir größere Mengen Wasser gegen unseren mittlerweile erheblichen Durst, anschließend verkündete Angelika, dass sie eine Dusche brauche, und verschwand im Bad.

Ich hatte im Flur neben meinem Zimmer eine Gästedusche entdeckt, und so machte ich es ihr nach und spülte den Schweiß und den Staub des Bienwaldes aus meinem Haaren und von der Haut. Als ich fertig war, zog ich mich an und trat auf die Terrasse heraus. Angelika saß bereits dort, mit einem weiten T-Shirt und einer kurzen Sporthose bekleidet. Vor ihr stand ein Glas mit Eiskaffee. „Möchtest Du auch ein Glas?“ fragte sie mich. „Wenn es Dir nicht zu viel Mühe macht, gerne.“ – „Kein Problem“, sie lächelte mich kurz an, verschwand in der Küche und war kaum eine Minute später mit einem großen Glas Eiskaffee zurück. Er schmeckte hervorragend. „Das ist ein tolles Rezept“, sagte ich anerkennend. „Danke, ich mache so etwas gerne, es ist ein Hobby von mir.“ Danach versanken wir wieder in Schweigen. Erschöpft von der Hitze des Tages und ausgebrannt von den Ereignissen der jüngeren Vergangenheit fehlte uns in diesem Moment schlicht die Energie für eine Unterhaltung.

Nach ungefähr einer Stunde stand Angelika auf, um das Abendessen vorzubereiten. Ich bot ihr meine Hilfe an. Sie hatte am Vormittag im Supermarkt eingekauft. Während sie Filets in Streifen schnitt, hackte ich wie am Vortag Kräuter und zusätzlich Chilischoten und getrocknete Früchte. Danach bat sie mich, den Tisch zu decken und den Wein zu öffnen. Ich war kaum damit fertig, da servierte sie bereits das gebratene Fleisch auf den mit Kräutern und Früchten angemachten Salat. Dazu gab es wieder den Weißburgunder vom Vortag. Zum Schluss brachte sie noch zwei Teller Eis, das von Sahne gekrönt war. Alles hatte mir sehr gut geschmeckt. „Das war wirklich gut, Du könntest ein Restaurant aufmachen“, sagte ich zu ihr. Sie schüttelte den Kopf. „Nein danke“, sagte sie, „meine Eltern hatten eins. Ich ziehe es vor, Autos zu reparieren. Die sind nicht ständig am meckern, wenn Du sie bedienst, und wenn die Besitzer unzufrieden sind, gehen sie erst einmal zum Chef. Das ist entschieden stressfreier.“ – „Bist Du anfällig gegen Stress?“ – Sie lachte. „Eigentlich nicht, bei der Bundeswehr musste ich teilweise sogar eine ganze Menge Stress aushalten, aber ich suche ihn nicht, wenn ich ihn vermeiden kann, tue ich es.“ Ich hütete mich zu erwähnen, dass wir beide im Moment wohl unter einem extremen Stress standen und setzte die Unterhaltung in lockerem Ton fort. Der Wein tat sein Übriges, und es war längst dunkel geworden, als wir uns erhoben und unsere Zimmer aufsuchten.

Am nächsten Morgen fuhr ich noch vor dem Frühstück zu dem Arzt, den Angelika mir empfohlen hatte, ließ mir Blut abnehmen, hinterließ meine Heimanschrift und bezahlte bar im Voraus. Die Arzthelferin versicherte mir, dass ich auch am nächsten Tag anrufen könne, um mich nach dem Ergebnis zu erkundigen. Ich hielt die ganze Aktion zwar für überflüssig und rechnete nicht mit irgendeiner Überraschung, außer vielleicht der Mitteilung, dass der eine oder andere Wert bedenklich sei, aber ich hatte gestern dieser Maßnahme auf Angelikas Vorschlag hin zugestimmt, also ließ ich sie auch durchführen.

Nach meiner Rückkehr frühstückten wir gemeinsam und saßen noch eine Weile auf der Terrasse. Ich beschrieb Angelika den Weg zu meinem Wohnort und gab ihr meine Anschrift. Anschließend packte ich meine Tasche und fuhr los. Angelika wollte noch zum Friedhof und das Haus in Ordnung bringen und dann in ihrem eigenen Auto nachkommen.

Gegen sechzehn Uhr kam ich zuhause an. Die Hitze war kaum weniger schlimm als am Bienwald, und nach der Fahrt im meinem angenehm klimatisierten Auto traf sie mich wiederum wie ein Hammer. Das Haus war eine Sauna, während meiner Abwesenheit waren ja alle Fenster geschlossen gewesen, und ich hatte bei meinem merkwürdigen, irgendwie ferngesteuerten Aufbruch nicht daran gedacht, die Jalousien zu schließen. Ich riss alle Fenster auf und sprang unter die Dusche. Dann packte ich meine Tasche aus und begab mich zum Friedhof. Das Grab sah sauber und aufgeräumt aus. Wahrscheinlich hatten die Schwiegereltern während meiner Abwesenheit Hand angelegt. Ich würde sie später noch anrufen.

Ich war bis kurz vor meine Haustür gekommen, als Angelika mit ihrem Auto schwungvoll um die Ecke bog und direkt vor mir hielt. Die Gardine im Nachbarhaus bewegte sich. Nachbarin Amann war wieder auf Posten. Als Angelika ausstieg, wurde die Gardine weggezogen, Frau Amanns Neugierde ließ jetzt jede Diskretion zurücktreten. Der frischgebackene Witwer und seine Neue, das wäre ein Topthema bei jedem Kaffeeklatsch. Ich verwünschte sie im Geiste und begrüßte Angelika mit einem knappen „Hallo“. Sie hatte bereits ihre Tasche aus dem Wagen geholt und begleitete mich auf dem Weg zur Haustür. „Wie ich sehe, werde ich wohl bald einen angemessenen Platz im Rahmen des Dorfklatsches einnehmen“, sagte sie spöttisch und warf einen eindringlichen Blick in Richtung der Amannschen. Hastig wurde dort die Gardine wieder zugezogen.

Sie war über zwei Stunden nach mir losgefahren, aber nur wenig mehr als eine Stunde später angekommen. Auf meine Frage, ob sie einen Teil der Strecke im Flug zurückgelegt habe, antwortete sie lediglich, dass sie gerne Auto fahre. Ich zeigte ihr das Gästezimmer und das Bad und sagte ihr, ich würde sie auf der Terrasse erwarten. Als sie wenig später herunterkam, blieb sie einen Moment wie angewurzelt in der Terrassentür stehen. Sie starrte den Fernsehturm an, der wenige Kilometer entfernt, von meiner Terrasse aus gut zu sehen war. Nach ein paar Sekunden löste sie sich aus ihrer Erstarrung. Aufgeregt setzte sie sich neben mich. „Das ist genau der Turm, von dem ich ein paar Mal geträumt habe, ich bin mir absolut sicher.“ Wir sahen uns an. Es war schon bis jetzt nicht mehr sehr wahrscheinlich gewesen, das die Ereignisse der letzten beiden Tage lediglich auf mehr oder weniger wahrscheinlichen Zufällen beruhte. Angelikas jetzige Feststellung schloss Zufälle nun mit nahezu aus. Was steckte hinter alledem, was in den vergangenen Tagen passiert war und was wollte man von uns?

Ich ging in die Küche um etwas zu trinken zu holen. Auf dem Weg dorthin fiel mein Blick auf den Anrufbeantworter. Die Signallampe blinkte. Ich drückte auf den Knopf um die Mitteilung abzuhören. Es war die Arztpraxis, bei der ich mir heute Morgen Blut hatte abnehmen lassen. Meine Blutprobe ließe sich auf Grund eines unerklärlichen Fehlers leider nicht auswerten. Ich solle doch noch einmal vorbeikommen.

Angelika wirkte nicht sonderlich überrascht, als ich ihr davon erzählte. In einem Anflug von Galgenhumor meinte sie: „Da haben wir jetzt irgend etwas außergewöhnliches gemeinsam. Vielleicht sind wir ja vom großen Zampano zur Zucht von Kindern mit besonderen Eigenschaften auserwählt worden.“ Mir war weniger zum Scherzen zu Mute, waren doch im Verlaufe der mysteriösen Ereignisse der letzten Tage zwei Menschen, darunter meine Frau, zu Tode gekommen. Etwas gereizt wies ich sie auf diese Tatsache hin. Sie zuckte mit den Schultern: „Du hast Recht, es ist schlimm. Aber wir können das Vergangene weder ändern noch rückgängig machen. Wir können nur versuchen, herauszufinden, was das alles zu bedeuten hat.“ Sie hatte natürlich Recht. Ich wollte auch keinen Streit mit ihr anfangen, denn wenn es eine Möglichkeit gab, Licht in das Dunkel zu bringen, mussten wir zusammenarbeiten. Und ich hatte auch das Gefühl, das die Macht oder die Person, die hinter all diesen Vorgängen stand etwas mit uns gemeinsam vorhatte, was es auch immer sein sollte. Angelika teilte diese Sichtweise. Besorgniserregend fanden wir beide, dass Menschenleben in diesem Zusammenhang anscheinend keinen großen Stellenwert hatten.

Zu dem Fernsehturm führten mehrere Wanderwege. Da Angelika den Turm gerne aus der Nähe sehen wollte, beschlossen wir am späten Nachmittag dorthin zu gehen. Ich schloss gerade die Haustür ab, da kam auch schon Frau Amann aus ihrem Haus. Wahrscheinlich hatte sie schon eine ganze Weile auf der Lauer gelegen. Angelika geflissentlich übersehend, schoss sie auf mich zu. „Ach, Herr Caldenberg, Sie sind ja wieder da. Ich dachte schon, Sie wären ein paar Tage verreist, um sich von dem so unerwarteten und plötzlichen Tod Ihrer lieben Frau zu erholen.“ Während ihres Lamento warf sie einen verstohlenen Seitenblick auf Angelika, um nur ja nicht eine eventuelle Reaktion von ihr zu verpassen. Ich beschloss es kurz zu machen und sagte knapp: „Wie Sie sehen bin ich wieder da. Dies ist meine Schwester Angelika.“ Angelika reichte ihr die Hand. „Guten Tag, ich glaube, Sie kennen mich schon, Sie haben ja eben meine Ankunft durch Ihr Fenster genauestens beobachtet. Wenn Sie wissen wollen, was in meiner Tasche war, ich zeige Ihnen gerne den Schrank, in den ich die Sachen eingeräumt habe.“ Ich musste mir auf beide Backen beißen, um nicht laut loszulachen, vor allem auch, weil ich jetzt einer der wenigen Menschen war, die Frau Amann, die hinter ihrem Rücken unter Anderem auch „Dorflästermaul“ genannt wurde, sprachlos gesehen hatte. Abrupt drehte sie sich um und verschwand wie ein geölter Blitz in ihrer Behausung. „Oh je“, sagte ich in gespielter Verzweiflung, „was hast Du da bloß getan, wir werden jetzt bei jeder Kaffeetafel, in deren Nähe sie kommt, durch den Kakao gezogen werden.“ - „Nur Leute, über die gesprochen wird, sind in“, versetzte sie leichthin und dann: „Lass uns gehen.“

Wie erreichten den Turm nach einer knappen Stunde. Rund um ihn herum verlief ein Maschendrahtzaun. Sie warf nur einen kurzen Blick auf ihn, vielmehr schien sie die Umgebung zu interessieren. Die nächste gute halbe Stunde bewegte sie sich in immer größeren Kreisen um den Turm herum und inspizierte den Wald und die Felsen. Schließlich wandte sie sich mir zu. Sie schien enttäuscht. „Das war’s fürs Erste“, sagte sie, „gehen wir zurück.“ – „Wonach hast Du eigentlich gesucht?“ – „Ich weiß es selber nicht, aber ich hatte gehofft, hier etwas zu finden, das ich mit allem, was in den letzten Wochen geschehen ist, in Verbindung bringen könnte. Ich bin immer ein Mensch gewesen, der nicht an Übersinnliches glaubt, auch jetzt suche ich noch immer nach einer rationalen Erklärung jenseits von Magie und anderen übernatürlichen Dingen. Aber meine Schwierigkeiten, dies alles zu begreifen und zu verarbeiten werden immer größer.“ Mir ging es nicht anders und ich sagte ihr das auch. Sie sah mich an. „Irgendwie betreffen uns diese Ereignisse zusammen. Und ich denke, wenn wir diese Rätsel lösen wollen, müssen wir das gemeinsam versuchen.“ – „Da hast Du wohl Recht, aber im Moment habe ich schrecklichen Durst und auch Hunger. Ohne Nahrungszufuhr löse ich überhaupt nichts mehr.“

Wir machten uns auf den Rückweg. Am Horizont erschienen die ersten Wolken, sie waren noch weit entfernt. Doch der Wetterbericht hatte für die Nacht heftige Gewitter und nachfolgend einen deutlichen Temperaturrückgang angekündigt.

Wir kauften in einem Lebensmittelgeschäft für das Abendessen ein, die Auswahl der Zutaten überließ ich Angelika, die ohne langes Zögern die benötigten Dinge für ein leichtes, der Hitze angemessenes Essen zusammenstellte. Als ich noch eine Flasche Wein in den Einkaufswagen legen wollte, winkte sie ab. „Lass den ruhig hier, Wein liegt schon in Deinem Kühlschrank. Und der ist garantiert besser als dieser hier.“ Bei mir zuhause angekommen, leerten wir zuerst zwei Flaschen Mineralwasser. Anschließend sah sich Angelika kurz in meiner Küche um, überprüfte den Kühlschrank und begann Essen zuzubereiten. Sie arbeitete zielstrebig und effizient. Bereits nach kurzer Zeit roch es verführerisch nach Gebratenen und Gewürzen. Wenig später hatte sie zwei Teller gefüllt und trug sie auf die Terrasse hinaus. Sie hatte in ihrer Reisetasche auch ein paar Flaschen vom Wein ihres Vetters mitgenommen, der mir bereits bei ihr zu hause so gut geschmeckt hatte. Die Flaschen musste sie bereits bei ihrer Ankunft im Kühlschrank verstaut haben, denn als ich sie jetzt öffnete war der Wein angenehm kühl. Ich folgte ihr mit Gläsern und der Flasche auf die Terrasse. Wir aßen in aller Ruhe und danach saßen wir, vom Wein und der Hitze leicht schläfrig geworden in unseren Stühlen. Wir sprachen nur wenig miteinander, jeder hing wieder einmal seinen eigenen Gedanken nach. Die dunklen Wolken, die wir zuerst auf dem Rückweg vom Fernsehturm gesehen hatten, kamen langsam näher und mit der einsetzenden Dunkelheit kam ein leichter Wind auf. Wetterleuchten und gelegentlich ein entferntes Donnergrummeln waren die ersten Vorboten des nahenden Gewitters. Ich sicherte ein paar lose Gegenstände und danach räumten wir den Tisch ab. Nachdem wir das schmutzige Geschirr in der Spülmaschine verstaut hatten, zeigte ich meinem Gast im Wohnzimmer noch einige Bilder und Landkarten vom Eggegebirge und seiner herrlichen Umgebung. Dann gingen wir, erschöpft von den Tagesereignissen und der Hitze, in unsere Zimmer. Kaum lag ich auf meinem Bett, war ich auch schon eingeschlafen.

Unheimliche Tage

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