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Die verliebten Perücken

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Die Perücken lagen wie haarige Quallen auf den gesichtslosen Büsten, als die reiche, glatzköpfige Dame den Laden des Perückenmachers betrat. Sie blickte sich kurz um, wandte sich dann den Perücken für Frauen zu, um diese, eine nach der anderen, genau zu betrachten.

„Diese hier ist zu dick,“ sage sie und zeigte auf eine, „und die hier ist zu lang. Das ist die falsche Farbe, und die da sieht aus wie Tang.“

„Wie wär’s mit dieser?“ fragte der Perückenmacher, während er eine mit silbergrauen Locken hochhielt. „Oder diese wellige mit Ringellöckchen?“

Als die Dame die beiden vor dem Spiegel probierte, wurden zwei der Perücken ganz nervös: Perri und Ricki waren ineinander verliebt und konnten den Gedanken nicht ertragen, voneinander getrennt zu werden.

„Dich darf sie nicht nehmen,“ flüsterte Perri, während Ricki sich Mühe gab, auf dem Kopf der Dame so hässlich wie möglich auszusehen.

Was meinst du, für welche Perücke sie sich entschied?

„Diese hier ist wie gemacht für mich“, sagte sie, während sie Rickis Ringellöckchen aus ihren Augen strich. „Was meinen sie?“

„Die steht Ihnen ganz wunderbar“, schmeichelte ihr der Perückenmacher.

Solange er einen Verkauf tätigen konnte, kümmerte ihn die Wahrheit nicht sonderlich.

„Dann nehme ich sie“, sagte die Dame, während sie ihr Spiegelbild bewunderte. Dabei fiel ihr nicht auf, das Rickis Locken sich verzweifelt zu Perri hin streckten.

Einige Perücken atmeten erleichtert auf, als die Dame verschwand. Andere waren enttäuscht, dass nicht sie ausgewählt wurden. Aber Perri weinte und heulte bitterlich. Sein Herz war derart gebrochen, dass seine Haare langsam aber sicher grau, trocken und dünn wurden. Als der Perückenmacher Perris Zustand sah, schüttelte er seinen Kopf.

„Dich kann ich bestimmt nicht verkaufen“, murmelte er und warf ihn in den Mülleimer.

Perri war das egal.

„Es gibt keinen Schmerz, der größer ist, als meine Freundin Ricki verloren zu haben“, seufzte er, als die Mülltonne geleert wurde.

Währenddessen hoffte die Dame, dass die Männer sie nun attraktiv finden würden. Aber der Perückenmacher hatte sie angelogen. Die Perücke stand ihr überhaupt nicht. Ihre Freundinnen lachten über ihre hoffnungslos altertümlichen Löckchen, und die Männer hielten auf Abstand. Abend für Abend kam sie allein nach Hause und weinte sich in den Schlaf. Perri lag in einem Möwennest auf der Müllkippe und weinte ebenso.

Eines Tages kam ein völlig ausgehungerter Mann auf der Suche nach Möweneiern daher. Die aufgebrachten Seemöwen hackten ihm auf den Kopf, während er von einem Nest zum nächsten ging. Der Mann erblickte Perri, ergriff sie und schüttelte die alten Zahnbürsten und Eiscreme-Stiele aus dem Haar. „Die kann ich gut gebrauchen, um meinen Kopf zu schützen und auch, um mich zu verkleiden“, dachte er sich.

In der folgenden Nacht schlich er um die Häuser herum, in denen die Reichsten der Stadt wohnten. Um nicht erkannt zu werden, hatte er sich Perri aufgesetzt, als er sich in das Haus der Dame schlich. Leise schlich er die Treppe hinauf und hielt auf jeder Stufe inne, um zu lauschen.

Obwohl er sehr vorsichtig war, wachte die Dame auf, als er sich von ihren Juwelen bediente. Rasch setzte sie ihre Ringellockenperrücke auf und räusperte sich:

„Ähm, suchen Sie etwas Besonderes?“

Erschrocken zuckte der Dieb zusammen. Seine erste Reaktion war, so schnell wie möglich zu flüchten. Aber irgendetwas hielt ihn zurück. Und mit der Dame geschah auch etwas ganz Absonderliches: Als sie gerade die Polizei anrufen wollte, wurde sie plötzlich von einem Gefühl der Zärtlichkeit hingezogen zu dem Mann mit dem grauen, ungewaschenem Haar.

„Ricki! Bist du’s wirklich?“, rief Perri dermaßen elektrifiziert, dass sämtliche Haare auf dem Kopf des Diebes steil zu Berge standen.

„Ja, ich bin’s“, erwiderte Ricki, und ihre Locken steckten sich zu ihm hinüber.

Niemand weiß, ob die Perücken daran schuld waren, aber die Dame verliebte sich so hoffnungslos in den Dieb, dass sie aus ihrem Bett sprang und ihn auf der Stelle umarmte. Der Dieb war überglücklich, in den Arm genommen zu werden, sodass er förmlich dahinschmolz.

Von Emotionen gerührt, weinten sie Wange an Wange, wobei sich die Haare der Perücken zu einem ewigen Liebesknoten verflochten.

***

KRASSE MÄRCHEN

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