Читать книгу Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte - Martin Luther - Страница 62
Viertes Kapitel.
In England
ОглавлениеUnterwegs teilte die Mutter ihrem Lieblinge mit, daß sie in Zukunft nicht mehr zusammenleben würden. Es kostete Mühe, bis er sich von einer solchen Möglichkeit überzeugen ließ, und sein Jammer darüber war so grenzenlos, daß Mr. Havisham im stillen nur den glücklichen Gedanken des Grafen, die Mutter in der Nähe wohnen zu lassen, pries, denn ohne diesen Trost hätte das Kind die Trennung schwerlich ertragen. Die Mutter that alles, um ihm die Vorstellung freundlicher zu machen, und tröstete ihn so herzlich und erzählte ihm immer wieder, wie nah sie ihm sein werde, daß ihm der Gedanke allmählich weniger schrecklich erschien.
»Mein Haus ist gar nicht weit vom Schlosse, Ceddie,« sagte sie, so oft die Rede darauf kam, »ganz nahe sogar, und du kannst immer herüberlaufen und nach mir sehen. Und denke dir nur, wieviel du mir dann zu erzählen haben wirst, und wie glücklich wir miteinander sein werden. Ach, es muß ja so schön dort sein! Wie oft hat mir dein Papa alles beschrieben. Ihm war das Schloß ganz ans Herz gewachsen, und du wirst es auch bald lieb gewinnen.«
»Wenn du auch dort wärst, dann wohl,« versetzte der betrübte kleine Lord mit einem tiefen Seufzer.
Es war ja ganz natürlich, daß ihm eine Einrichtung, die ihn von »Herzlieb« trennte, als etwas sehr Widersinniges und Unbegreifliches erschien. Mrs. Errol hielt es zudem für richtig, ihn über die Gründe dieser Trennung nicht aufzuklären.
»Verstehen könnte er es doch nicht,« sagte sie zu Mr. Havisham, »es würde ihn also nur alterieren und beängstigen, und ich bin überzeugt, daß er sich weit eher an seinen Großvater anschließt, wenn er nicht weiß, daß dieser einen Widerwillen gegen mich hat. Haß und Bitterkeit sind ihm ganz fremd, und ich glaube, der Gedanke, daß jemand mich haßt, würde ihn unglücklich machen! Sein Herz ist voll Liebe! Es ist viel besser, wenn er das alles erst später erfährt – viel besser im Interesse des Grafen namentlich, denn dies Bewußtsein würde eine Scheidewand zwischen ihm und dem Großvater bilden, wenn Ceddie auch noch ein Kind ist.«
Cedrik erfuhr also nur, daß diese Trennung aus Gründen, die er noch nicht verstehen könne, beschlossen sei, und daß er später einmal alles erfahren und begreifen werde. Das machte ihn wohl nachdenklich, allein schließlich war es ihm ja weniger um die Gründe, als um die Sache zu thun, und nachdem ihm sein Mütterchen wieder und wieder die Zukunft im rosigsten Lichte ausgemalt hatte, fingen seine Bedenken an schwächer zu werden, obgleich Mr. Havisham ihn noch mehr als einmal in einer seiner wunderlich altväterischen Stellungen dasitzen und aufs Meer hinausstarren sah, wobei sich mancher Seufzer aus seiner Brust stahl, der viel zu ernsthaft klang für ein Kind.
»Es gefällt mir gar nicht,« sagte er in einem seiner ehrbaren Gespräche mit dem Advokaten. »Sie glauben nicht, wie wenig mir die Sache gefällt, aber es gibt ja viel Kummer auf der Welt, den man eben ertragen muß. Das sagt Mary immer, und auch Mr. Hobbs hab' ich das sagen hören. Und Herzlieb will, daß ich gern zum Großpapa gehen soll, weil all' seine Kinder tot sind und das sehr traurig ist. Natürlich thut einem ein Mann leid, der all' seine Kinder verloren hat – und eins war so plötzlich tot.«
Wer Seine kleine Herrlichkeit kennen lernte, fand die altkluge Weisheitsmiene, die er gelegentlich in der Unterhaltung aufsetzte, bezaubernd: wenn man dabei in sein unschuldiges rundes Gesichtchen sah, hatten die weisen Bemerkungen einen unwiderstehlichen Reiz, und wenn der hübsche, blühende, goldlockige kleine Mann sich hinsetzte, die Hände ums Knie schlang und sich mit großer Würde unterhielt, war er das Entzücken seiner Umgebung und namentlich fand Mr. Havisham jeden Tag mehr Freude an ihm.
Als der minder glückliche Teil der Passagiere, der, welcher der Seekrankheit seinen Tribut zu bezahlen gehabt hatte, wieder auf Deck sichtbar ward und sich auf den bequemen Stühlen niederließ, schien auch kein einziger darunter zu sein, der die merkwürdige Geschichte des kleinen Lord Fauntleroy nicht kannte, und jedermann interessierte sich für den Jungen, der sich überall herumtrieb, wenn er nicht gerade mit seiner Mutter und dem steifen alten Engländer auf und ab ging oder mit den Matrosen plauderte. Mit allen schloß er Freundschaft, wozu er ja stets bereit war. Hatte er sich einer Gruppe von Herren angeschlossen, so marschierte er mit großen, festen Schritten neben ihnen her und ging bereitwillig auf jeden Scherz ein; war er im Kreise der Damen, so war des fröhlichen Lachens kein Ende, und spielte er mit den Kindern, so war das Spiel immer ganz besonders lebendig und lustig.
Seine Hauptfreunde aber waren die Matrosen – er erfuhr die wunderbarsten Geschichten von Seeräubern, Schiffbruch und einsamen, menschenleeren Inseln, er lernte Taue splissen und kleine Schiffe auftakeln, und erwarb sich in Bezug auf Topsegel und Mainsegel eine erstaunliche Gelehrsamkeit. Seine Redeweise bekam einen entschiedenen Anflug von Teerjackentum, und er rief einmal unauslöschliches Gelächter hervor, als er sich an einem kühlen Morgen, wo Damen und Herren sich warm eingehüllt hatten, mit der liebenswürdigsten Miene von der Welt und weicher Stimme äußerte: »Da fahr' mir doch gleich der Klabautermann in die Planken, heut ist's frisch.«
Er war sehr überrascht, daß diese seemännische Bemerkung solche Heiterkeit hervorrief; er hatte sie von einem älteren Seehelden, Namens Jerry, vernommen, in dessen Erzählungen sie öfter wiederkehrte. Jerry mußte, nach seinen Beschreibungen zu schließen, mindestens zwei- oder dreitausend Fahrten gemacht haben, wobei er unfehlbar jedesmal Schiffbruch gelitten und an ein mit Menschenfressern bevölkertes Eiland verschlagen worden war; daß ihm bei solchen Gelegenheiten mehr als einmal passiert war, teilweise gebraten und vollständig aufgezehrt und etliche zwanzigmal skalpiert zu werden, verstand sich von selbst.
»Deshalb hat er gar keine Haare mehr,« erklärte Lord Fauntleroy seiner Mama. »Wenn man ein paarmal skalpiert worden ist, wächst das Haar nie mehr. Jerry seins kam nicht wieder, nach dem letzten Mal, als ihn der König der Parromachaweekins mit einem Messer, das aus dem Schädel des Häuptlings der Wopslemumpkies gemacht war, skalpiert hatte. Er sagt, das sei fast das Schlimmste gewesen, was ihm je vorgekommen, und seine Haare seien ihm ganz zu Berge gestanden, wie der König das Messer wetzte, und hätten sich auch nachher nicht mehr gelegt, und der König trage nun den Skalp so, und er sehe aus wie eine Haarbürste. Nein, was für ›Verlebnisse‹ dieser Jerry gehabt hat! Ich wollt', ich könnte Mr. Hobbs alles erzählen!«
Zuweilen, wenn das Wetter schlecht war und man im Salon beisammen saß, gab Cedrik, der immer bereit war, das Seinige zur Unterhaltung beizutragen, Jerrys »Verlebnisse« preis, wobei er sehr aufmerksame Zuhörer fand.
»Jerrys Geschichten 'tressieren alle so,« sagte er dann zu seinem Mütterchen. »Manchmal denke ich beinahe – du mußt nicht böse sein, Herzlieb – es könnte nicht alles dran wahr sein, aber doch hat Jerry es selbst erlebt, aber, weißt du, vielleicht weiß er's hier und da nicht mehr so genau, weil er so oft skalpiert worden ist. Skalpiert werden, davon kann man ein schlechtes Gedächtnis kriegen.«
Elf Tage, nachdem er Dick sein Lebewohl zugerufen hatte, traf der kleine Lord in Liverpool ein, und am Abend des zwölften Tages fuhr der Wagen, der ihn, seine Mutter und Mr. Havisham an der Bahn abgeholt hatte, an Court Lodge vor.
Mary, die zu Mrs. Errols Bedienung mit herübergekommen war, hatte das Haus schon etwas früher erreicht, und als Cedrik aus dem Wagen sprang, sah er einige Dienstboten in der glänzend erleuchteten Halle stehen, Mary aber unter der Hausthür. Mit einem fröhlichen Ausrufe eilte er auf sie zu und küßte sie auf die knallroten Wangen.
»Bist du schon da, Mary? Herzlieb, Mary ist da!«
»Ich bin froh, daß Sie da sind, Mary,« sagte Mrs. Errol halblaut zu ihr. »Ich fühle mich weit weniger fremd, nun ich ein bekanntes Gesicht um mich habe.« Dabei reichte sie ihr die schmale Hand, die Mary kräftig schüttelte. Ach, sie verstand wohl, wie der jungen Frau zu Mute sein mußte, die ihre Heimat verlassen hatte und nun ihr Kind hergeben sollte.
Die englischen Dienstboten beobachteten Mutter und Sohn mit großer Neugierde. Alle möglichen Gerüchte waren natürlich über die beiden im Umlauf; jedermann wußte, weshalb Mrs. Errol hier wohnen mußte, und der kleine Lord im Schlosse, jedermann wußte genau, welch ungeheures Vermögen seiner harrte und was für ein jähzorniger Großvater mit Gichtanfällen und bösen Launen.
»Leicht kriegt er's nicht, der arme kleine Kerl!« Das hatten sie längst untereinander ausgemacht.
Was es aber für eine Art von Kind war, dieser Lord Fauntleroy, das wußten sie nicht, und das Wesen des künftigen Herrn von Dorincourt war für sie eben nicht leicht verständlich. Er zog sehr selbständig seinen kleinen Ueberrock aus, gerade, als ob er gewöhnt wäre, sich selbst zu bedienen, und dann sah er sich um in der weiten Halle, betrachtete die Bilder und die Hirschgeweihe und alle möglichen Dinge, die ihm sehr merkwürdig vorkamen, weil er noch nichts derartiges gesehen hatte.
»Herzlieb,« rief er, »das ist ja ein goldiges Haus, nicht wahr? Ich bin so froh, daß du da wohnst! Und ein ganz großes Haus ist es!«
Freilich war es groß im Vergleiche mit dem engbrüstigen Gebäude in der ärmlichen New Yorker Straße, und hübsch und freundlich war es auch. Mary führte die Ankömmlinge hinauf in ein helles, ganz mit buntem Kattun tapeziertes und ausgestattetes Schlafzimmer, wo ein fröhliches Feuer brannte und eine riesengroße, schneeweiße Angorakatze behaglich hingestreckt auf dem Teppich vor dem Kamine lag.
»Die Haushälterin vom Schlosse schickt sie,« erklärte Mary. »Die ist eine brave Dame und hat überall nach dem Rechten gesehen und alles eingerichtet. Ich hab' sie auch schon gesehen, und sie hat den Herrn Kapitän selig arg gern gehabt und ist betrübt, daß er tot ist, und dann hat sie gesagt, 's könne leicht sein, daß die Katze Ihnen die Stube heimeliger macht, wenn sie so faul daliegt. Den Herrn Kapitän selig hat sie schon gekannt, wie er ein Kind war, und er sei ein schöner Jung' gewesen, sagte sie, und dann ein feiner Herr, der auch für geringe Leute ein gutes Wort gehabt hat. Da hab' ich zu ihr gesagt: ›Er hat gerade so einen Sohn zurückgelassen‹ ja und dann hab' ich gesagt: ›Kein hübscherer Junge hat je Schuhe zerrissen, solange die Welt steht.‹«
Nachdem Mutter und Sohn etwas Toilette gemacht, gingen sie wieder ins Erdgeschoß in ein ebenfalls großes, helles Zimmer. Die Decke war getäfelt, der Raum nicht hoch, die tiefen, breiten Stühle hatten hohe geschnitzte Lehnen, und allerhand kleine Wandschränkchen, Schlüsselbretter und eigentümliche Verzierungen waren in den ebenfalls getäfelten Wänden angebracht; vor dem Kamin lag ein mächtiges Tigerfell und zwei bequeme Lehnstühle standen zu beiden Seiten. Die würdevolle weiße Katze fand es offenbar recht angenehm, sich von Lord Fauntleroy streicheln zu lassen, und hatte sich ihm sofort angeschlossen, und als er sich nun auf das prächtige Fell legte, rollte sie sich majestätisch an seiner Seite auf, wodurch die Freundschaft besiegelt war. Cedrik schmiegte sein Köpfchen neben ihr in das weiche Fell und nahm keine Notiz von dem Gespräch zwischen seiner Mutter und Mr. Havisham, zumal beide halblaut sprachen. Mrs. Errol war sehr blaß und sichtlich bewegt.
»Heute nacht muß er doch nicht schon gehen?« fragte sie, »Heute nacht darf er doch noch bei mir bleiben?«
»Gewiß,« erwiderte Mr. Havisham, »es ist keineswegs nötig, daß er heute nacht geht. Ich werde mich nach Tische aufs Schloß begeben und Seine Herrlichkeit von unsrer Ankunft in Kenntnis setzen.«
Mrs. Errol warf einen Blick auf Cedrik, der mit unbewußter Anmut auf dem bunten Fell hingestreckt lag, während das Feuer im Kamin wechselnde Lichter auf sein golden schimmerndes Haar warf.
»Der Graf weiß nicht, was er mir nimmt,« sagte sie mit schmerzlichem Lächeln und setzte dann, zu dem Advokaten aufblickend, hinzu: »Wollen Sie die Güte haben, ihm zu sagen, daß ich sein Geld nicht will?«
»Sein Geld? Sie sprechen doch nicht von dem Jahreseinkommen, das er für Sie ausgesetzt hat?«
»Doch,« antwortete sie einfach, aber bestimmt. »Ich möchte dasselbe lieber nicht haben. Die Wohnung hier muß ich annehmen und bin dankbar dafür, denn ich könnte ja sonst nicht in der Nähe meines Kindes bleiben; aber ich habe ein kleines Vermögen, das hinreicht, um bescheiden davon leben zu können, und mehr brauche ich nicht. Bei der Natur unsrer Beziehungen könnte ich keine Wohlthaten von ihm annehmen, ohne das Gefühl zu haben, ihm Cedrik zu verkaufen, und ich lasse ihn doch nur von mir, weil ich nicht an mich denke, sondern an sein Bestes, und weil sein Vater es wünschen würde.«
»Seltsam, sehr seltsam,« sagte Mr. Havisham, sein Kinn reibend. »Der Graf wird sich ärgern, wird es ganz und gar nicht verstehen.«
»Ich glaube doch, wenn er sich's überlegt. Nötig habe ich das Geld nicht, und Luxus annehmen von seiten eines Mannes, der mich so sehr haßt, daß er mir meinen Sohn nimmt, könnte ich nicht.«
Kurz darauf wurde die Mahlzeit aufgetragen, an der alle drei teilnahmen und bei der sich auch die Katze einfand, die unter vergnüglichem Schnurren den Stuhl neben Ceddie für sich in Anspruch nahm.
Im Verlaufe des Abends begab sich Mr. Havisham noch nach dem Schlosse, wo er sofort von dem Hausherrn empfangen wurde. Er fand ihn in einem bequemen Fauteuil am Kamin, das gichtkranke Bein auf einer Fußbank. Ein scharfer, fragender Blick flog unter den buschigen Augenbrauen hervor, und Mr. Havisham erkannte wohl, daß er trotz aller zur Schau getragenen Gleichgültigkeit in großer Unruhe und gespannter Erwartung war.
»Da sind Sie ja, Havisham! Gut angekommen? Was gibt's Neues?«
»Lord Fauntleroy und seine Mutter sind in Court Lodge angelangt. Beiden ist die Reise gut bekommen und ihr Befinden ist vortrefflich.«
»Freut mich, zu hören,« sagte der Graf mit einer etwas ungeduldigen Handbewegung. »Machen Sie sich's bequem und nehmen Sie ein Glas Wein. Was sonst?«
»Der junge Lord bleibt heute nacht bei seiner Mutter. Morgen werde ich ihn ins Schloß bringen.«
Der Arm des Grafen hatte auf der Stuhllehne geruht, nun hielt er sich plötzlich die Hand vor die Augen.
»Nun so reden Sie doch weiter. Briefliche Mitteilungen hatte ich mir ja verbeten, und so weiß ich noch von gar nichts. Was für eine Sorte ist der Bursche? Von der Mutter will ich nichts hören, nur von dem Jungen.«
Mr. Havisham kostete den alten Portwein, den er sich eingegossen hatte, und hielt das Glas in der Hand.
»Es ist schwierig, über den Charakter eines Kindes von sieben Jahren ein Urteil abzugeben,« begann er vorsichtig.
»Er ist also ein Schafskopf?« rief der alte Herr rasch aufblickend. »Oder ein schwerfälliger Tölpel? Das amerikanische Blut schlägt vor, hm?«
»Ich glaube kaum, daß ihm dasselbe zum Nachteil gereichte, Mylord,« erwiderte der Advokat in seiner trockenen, kühlen Weise. »Ich verstehe mich nicht besonders auf Kinder, aber ich halte ihn für einen hübschen Jungen.«
Vorsichtig und zurückhaltend in seinen Aeußerungen zu sein, war Havishams Art, und er kehrte sie heute mehr als je hervor, denn er wollte, daß der Graf selbst urteilen und seinen Enkel kennen lernen sollte, ohne irgendwie beeinflußt zu sein.
»Gesund? Gut gewachsen?«
»Offenbar ganz gesund und gut gewachsen.«
»Gerade Glieder – menschliche Physiognomie?«
Ein leises Lächeln flog um Mr. Havishams dünne Lippen, als er an den rosigen Blondkopf dachte, wie er ihn zuletzt auf dem Tigerfell hatte liegen sehen.
»Ein ziemlich hübsches Kind, soweit man das von einem Jungen sagen kann, und soweit ich mich drauf verstehe. Aber Sie werden ihn einigermaßen verschieden von den englischen Kindern finden.«
»Zweifle nicht daran,« brummte der Graf mit einem Zucken in dem kranken Beine. »Freches, vorlautes Volk, diese amerikanischen Kinder! Habe oft genug davon gehört.«
Mr. Havisham trank seinen Portwein und eine kleine Pause folgte.
»Ich habe einen Auftrag von Mrs. Errol zu bestellen,« bemerkte er ruhig.
»Verschonen Sie mich damit! Je weniger ich von der Person höre, desto besser!«
»Die Sache muß doch erörtert werden. Sie zieht es vor, die ihr von Ihnen ausgesetzte Jahresrente nicht anzunehmen.«
»Was soll das heißen?« rief der Graf auffahrend. »Was soll das heißen?«
Mr. Havisham wiederholte seine Mitteilung und setzte hinzu: »Sie sagt, sie bedürfe der Summe nicht, und da die Beziehungen zwischen ihr und Ihnen nicht freundlicher Art seien –«
»Nicht freundlicher Art! Das will ich meinen! Der bloße Gedanke an sie ist mir zuwider. Eine geldgierige Amerikanerin mit schriller Stimme! Ich will sie nicht sehen!«
»Mylord, geldgierig können Sie die Dame doch kaum nennen. Sie hat nicht nur nichts verlangt, sondern das ihr Angebotene abgelehnt.«
»Bloßer Kunstgriff,« grollte der edle Lord. »Damit will sie mich dran kriegen, daß ich sie sehen soll und womöglich ihren Geist bewundern, wovor ich mich wohl hüten werde. Amerikanischer Trotz! Ich will nicht, daß sie als Bettlerin vor meinem Thore wohnt. Sie ist die Mutter des Jungen und hat als solche eine Stellung zu wahren und soll sie wahren. Sie wird das Geld bekommen, ob sie will oder nicht! Damit will sie nur ihrem Jungen eine schlechte Meinung von mir beibringen! Wird ihn ohnehin schon genügend gegen mich eingenommen haben.«
»Nein,« sagte Mr. Havisham. »Ich habe Ihnen in dieser Hinsicht noch etwas von Mrs. Errol zu bestellen.«
»Was ich nicht hören will!« stieß Seine Herrlichkeit, keuchend vor Aerger und Gichtschmerzen, hervor.
Mr. Havisham aber fuhr ungerührt fort: »Sie läßt Sie bitten, in Lord Fauntleroys Gegenwart nichts zu äußern, was ihm klar machen könnte, daß Sie ihr nicht wohlwollen. Der Knabe hängt sehr an ihr, und sie ist überzeugt, daß ihn dies Ihnen entfremden würde. Sie hat ihm einfach gesagt, daß er noch zu jung sei, um die Gründe der Trennung von ihr zu verstehen, und zwar, weil sie wünscht, daß auch kein Hauch des Mißtrauens gegen Sie in des Knaben Herz aufkomme.«
Der Graf war in seinen Stuhl zurückgesunken; seine tiefliegenden, feurigen Augen funkelten hinter den starken Augenbrauen.
»Seien Sie vernünftig, Havisham,« sprach er mühsam, »Sie werden mir nicht weismachen wollen, daß die Mutter ihm nichts gesagt hat.«
»Nicht eine Silbe, Mylord,« versetzte der Advokat ruhig. »Der Knabe sieht in Ihnen nichts als den zärtlichen Großpapa. Nichts – absolut nichts ist je geäußert worden, was ihm auch nur den leisesten Zweifel an Ihrer Vollkommenheit erwecken könnte, und da ich Ihre Befehle in Bezug auf seine etwaigen Wünsche genau ausgeführt habe, sieht er in Ihnen den Inbegriff aller Großmut und Güte.«
»Wahrhaftig? Allen Ernstes?«
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß es einzig in Ihrer Hand liegt, wie Sie das Verhältnis zu Lord Fauntleroy gestalten wollen, und wenn ich mich unterfangen dürfte, Eurer Herrlichkeit einen Rat zu geben, so wäre es der, nie verletzend von seiner Mutter zu sprechen.«
»Pah, pah! Ein Junge von sieben Jahren!«
»Der diese sieben Jahre an der Seite einer Mutter verlebt hat, der sein ganzes Herz gehört.«