Читать книгу Zwischen Kollar und Krawatte - Martin Stewen - Страница 6
ОглавлениеVorwort
Spätestens als im Jahr 2018 die Missbrauchsskandale im US-Bundesstaat Pennsylvania öffentlich gemacht wurden, erreichte die Diskussion dazu auch den hinterletzten Winkel kirchlichen Lebens. Jede und jeder hatte eine Meinung, was jetzt passieren müsste. Papst Franziskus ist nicht zu beneiden – vor allem auch, wenn ihm Gegner wie der ehemalige Nuntius in Washington, Carlo Maria Viganò, mit Blick auf die Taten des amerikanischen Erzbischofs Theodore McCarrick deutliche Vorwürfe machten. Inmitten all dieser Auseinandersetzungen schrieb der deutsche „Vater aller Missbrauchsenthüller“, der Jesuiten-Pater Klaus Mertes, wie gewohnt analytisch brillant und ohne Umschweife auf den Punkt gebracht:
Inzwischen zerfleischt sich die Hierarchie untereinander vor laufenden Kameras. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Aufklärung vorankommt. Denn auch dies gehört zu allen Aufklärungsprozessen von Machtmissbrauch: Aufklärung spaltet zunächst einmal. Die Hierarchie muss nun durch diese Spaltung hindurchgehen, um die tieferen Gründe für die Einheit überhaupt erst (wieder) zu finden.1
Das tut ohne Zweifel weh. Aber wie ist das denn nun mit dem Marsch durch die Spaltung? Macht die Kirche die Augen zu und rennt da mal fix durch, weil man sich des Problems, so schnell es geht, entledigen will? Oder wird geschaut, was sich rechts und links am Wege so tut? Wird wirklich nach Lösungen gesucht, die Zukunft haben?
Als im September 2018 die von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Studie zu sexuellem Missbrauch durch Kleriker der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, rollte der nächste Donner durch Deutschland: In knapp sieben Nachkriegsjahrzehnten, so ein Befund der Studie, haben sich 1.670 Kleriker an 3.677 Minderjährigen vergangen. Dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, sowie dem DBK-Missbrauchsbeauftragten, Bischof Stefan Ackermann, raubte es bei der Vorstellung der Studie fast den Atem. Zu Recht. Nach dem – mancherorts aber doch eher verhaltenen – Confiteor kam das Wundenlecken: Was soll man angesichts der Katastrophe nun tun?
Auf der Ebene der Weltkirche hat Papst Franziskus durchgegriffen und sogar fehlbare Bischöfe wie den früheren chilenischen Erzbischof Francisco José Cox Huneeus und seinen Mitbruder, den ehemaligen Bischof Marco Antonio Ordenes Fernández, aus dem Klerikerstand entlassen. Mehr solcher Schritte dürfen noch zu erwarten sein. Auf der Ebene der Bistümer läuft das Ringen zaghafter. Auch einige Ordensgemeinschaften tun sich noch schwer mit der Aufklärung. Was soll man tun, was ist zukunftsträchtig, was ist angemessen? Viel war zu hören: So forderte der DBK-Missbrauchsbeauftragte Ackermann eine „Kultur der Achtsamkeit“ – ein Vokabular, das mir seit meinen Studienzeiten in den 1990er Jahren noch geläufig ist. Bei der Jugendsynode im Oktober 2018 wollte Kardinal Marx den Eindruck überwinden, „dass Kirche letztlich Männerkirche ist“2. Ach?
Und infolge von Papst Franziskus’ Feststellung, Klerikalismus sei die Wurzel allen Übels, wollten plötzlich alle Kirchenoberen auch noch Klerikalismus abschaffen. Alles wird jetzt anders, offener, sensibler, partizipativer, völlig unklerikalistisch. Tönt gut und nett. Und hoffnungsvoll. Es wird einem wohlig ums Herz: Jetzt wird alles anders. — Aber dann ist da auch noch der kleine Teufel auf der anderen Schulter. Der die hässlichen Fragen stellt: Wie soll all das denn bitte gehen? Und noch viel mehr: Wer soll all das denn machen? Oder besser: Wer muss das machen? Und: Wer will es am Ende wirklich machen? Angesichts all der Bischöfe, die plötzlich Klerikalismus abschaffen wollen, kam mir ein Facebook-Posting in den Sinn, das diese Hirten der Kirche verglich mit „Fröschen, die ihren eigenen Teich trockenzulegen“ beabsichtigen.
Da will also jemand ernsthaft Klerikalismus in der Kirche abschaffen? Eine Kirche voller Kleriker ohne Klerikalismus? Keine hochwürdigen Herren mehr? Das Ende der Kaste der Besonderen? Keine Männerriege mehr, die im Dunst des Unnahbaren, Unberührbaren, Unfehlbaren ihr so ganz eigenes Leben lebt, von dem unsere Mütter und Großmütter einst sagten: „Das ist der Herr Pfarrer, der macht das alles schon richtig.“ — Schön wäre es ja, gelänge dieses Vorhaben: eine Kirche, in der real wird, was Paulus seinen Gemeindemitgliedern in Galatien in die Taufurkunde geschrieben hat:
Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid eins in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr […] Erben kraft der Verheißung (Gal 3,28f).
Immer mehr rumorte es in meinem Hirn und Herzen. Die mediale Weichspülerei, die uns wissen ließ, dass bald die ganze katholische Kirche ihr Antlitz erneuern wird, ließ meine Nackenhaare zu Berge stehen. Dieser Blenderei wollte ich nicht trauen. Und da auch ich als Vertreter dieser Kirche nach ihr gefragt werde und für sie hinstehen muss – vielmehr: für sie hinstehen will –, wollte ich hier nicht mehr folgen. Wer diese Kirche effektiv verändern will, der muss sich doch ihren Probleme stellen – offen, konstruktiv und realistisch. Realistisch. Nicht populistisch mit Dutzenden von Konjunktiven. Natürlich braucht es den Traum, es braucht die Träumer. Aber irgendwann muss man sich auch wieder von den Fakten einholen und erden lassen. Und dazu gehört auch, Unveränderliches zu benennen, anzunehmen und den Umgang damit zu gestalten. Und zuzugeben, dass diese Kirche nun mal ihre „Flecken und Falten“ (Epheser 5,27) hat, mit denen wir bis zu einem bestimmten Grad leben müssen. Natürlich muss man wohl auch immer wieder fragen, ob alles Veränderungspotential tatsächlich schon ausgeschöpft ist.
Meine Gedanken fasste ich in Worte, die am 8. Oktober 2018 als Artikel unter dem Titel „Klerikalismus: Wie das Amen in der Kirche“3 im Theologischen Online Feuilleton „feinschwarz.net“ erschienen. Infolgedessen erhielt ich vom Echter Verlag Würzburg die Einladung, meine Reflexionen ein wenig ausführlicher zu gestalten. Mit dieser Schrift nehme ich die Einladung gerne an. Mein Dank gilt Herrn Heribert Handwerk vom Echter Verlag für seinen Anstoß.
Dieses Buch ist keine systematische Darstellung eines theologischen Problems und möglicher Lösungen. Etliche theologische Gedankengänge habe ich nur allzu skizzenhaft darstellen können, als dass die Ausführungen einer tiefgehenden theologischen Diskussion genügen würden. Dieses Buch ist vielmehr ein Strauß von Beobachtungen und Überlegungen zum Thema ‚Klerikalismus‘. Es soll der Leserschaft aufzeigen, warum eine römisch-katholische Kirche ohne Klerikalismus wohl kaum existieren kann. Und es fehlen dazu sicher auch noch Erwähnungen – ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Gedanken zum Thema.
Beim Lesen wird man hier und da vielleicht den Drang zum Widerspruch verspüren. — Bitte! Darum geht es. Ich wäre froh und dankbar, wenn am Ende des Buches mir der eine Leser oder die andere Leserin mit einem Paket voller Gegenargumente aufzeigen könnte, wie falsch ich liege. Und dass alles ganz anders ist. Dann freue ich mich auf eine argumentativ fundierte Diskussion. Ein bestimmtes Bauchgefühl reicht nicht mehr.
Ich beginne meine Ausführungen mit einigen Beobachtungen aus der Weltkirche, Beobachtungen, die für mich in einem starken Widerspruch zum Anspruch, Klerikalismus abschaffen zu können, stehen. Das zweite Kapitel erzählt ein wenig aus meinem persönlichen Erleben. Ich meine, das Glück zu haben, in einem Umfeld mit einer Struktur tätig zu sein, in der Klerikalismus keine großen Chancen hat. Dass das so ist, hat Gründe, die ich aufzuzeigen versuche. Damit male ich kein Bild eines antiklerikalistischen Paradieses, aber ich zeige ein paar gesellschaftliche wie auch staatskirchenrechtliche Grundzüge dessen auf, worauf es ankommen könnte. Im letzten Schritt erlaube ich mir das Hoffen wider alle Hoffnungslosigkeit: Natürlich kann man was gegen Klerikalismus tun, aber konkrete Lösungen können nur tief einschneidend sein oder sie sind nicht mehr als Make-up. Man kann so einen Stress umgehen und einfach sagen, dass alles gar nicht so schlimm ist, und schließlich dick Schminke auftragen. Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht tatsächlich die derzeitige Lösungsstrategie der Wahl ist.
Die verwendeten Bezüge in diesem Buch stammen mehrheitlich aus dem Internet. Im Internet überschlagen sich die Kommentierungen der Ereignisse – bekanntlich gehen Diskussionen dort wesentlich schneller vonstatten als auf bedrucktem Papier. Das Buch versucht auch, den gegenwärtigen Stand der Ereignisse zu berücksichtigen. Gemäß seiner Natur ist es schwerfälliger in seiner Entstehung als die digitale Diskussion der Thematik. Auch können die Quellen einer gewissen Volatilität nicht entbehren – das bringt das Internet so mit sich. – Somit repräsentiert dieses Buch einen gewissen Stand der Diskussion, der sich vielleicht bald schon wieder ändert. Das ist wohl bei jeder Veröffentlichung so, im vorliegenden Fall mag es vielleicht aber besonders schnell gehen. Wir werden das sehen.
Ich danke meinem Vater Dr. Rainer Stewen ganz herzlich für seine Unterstützung bei der Korrektur und kritischen Durchsicht des Buchmanuskripts.