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Montefiascone und die Familie Farnese

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Die Straße zieht von Bolsena weiter nach Süden, den Hang hinauf nach Montefiascone, einem Städtchen, das in spektakulärer Lage auf dem oberen Rand des Kraters liegt und von dort weit über das Land schaut. Auf der einen Seite geht der Blick zurück über den Bolsenasee, auf der anderen kommen schon Viterbo und die dunkel aufragenden Monti Cimini in den Blick. Die Siedlung lag indessen nicht immer hier oben. Erst im Mittelalter, als die römische Friedensordnung, die pax Romana, sie nicht mehr schützte, zogen sich die Menschen von der Ebene auf diesen Kegel zurück; sie versahen ihn mit hohen wehrhaften Mauern, die an der Rocca bis heute zu sehen sind. Die römische Straße verläuft knapp unterhalb des Gipfels und ist deshalb bequemer. Direkt an der Straße und am Fuß der Altstadt finden wir das älteste Monument: die eigenartige Doppelkirche S. Flaviano.14 Tatsächlich ist die Kirche uralt, im 9. Jahrhundert zum ersten Mal belegt, vielleicht auch noch älter, doch ein vorausgehendes römisches oder gar etruskisches Heiligtum, von dem die Lokaltradition – wie in solchen Fällen häufig – zu wissen meint, ist ebenso schwer zu erweisen wie zu widerlegen. Die romanische Doppelkirche besteht aus zwei Stockwerken, die in der Mitte miteinander kommunizieren – eine ansprechende, aber seltene und schwer zu erklärende Raumkomposition. Man hat an die Reisenden aus dem Norden gedacht und auf Parallelen in Deutschland verwiesen, in Aachen etwa oder in Schwarzrheindorf bei Bonn. Dort spiegelt sich in der Zweistöckigkeit des Monuments auch die Gliederung der Gesellschaft: Kirche für den Adel und Kirche für das einfache Volk. Diese Erklärung hilft hier nicht weiter. Allenfalls mögen es hier die Kirche für die Pilger und die Kirche für die lokale Bevölkerung sein, die sich übereinander gesetzt haben. In Kontakt bleiben sie doch miteinander, schließlich sind ja die einen auf die anderen angewiesen.

Montefiascone gehörte schon früh zum Kirchenstaat, hatte zeitweise auch eine hervorgehobene Rolle darin und war von den Päpsten zur Stadt und zur Diözese erhoben worden. Im 16. Jahrhundert wollte der ehrgeizige Kardinal Alessandro Farnese die Stadt zur Hauptstadt seiner Familienterritorien im nördlichen Latium machen. Schließlich stammte die Familie aus dieser Gegend – im Grunde aus bescheidenen Verhältnissen. Die Farnese waren lokale Grundherren mit Stammsitz in der Ortschaft, die noch heute ihren Namen trägt, wenige Kilometer westlich des Bolsenasees. Alessandro selbst war in Canino geboren, das ebenfalls nicht weit entfernt liegt – damals wie heute ein sehr beschauliches und bescheidenes Örtchen.

Wir werden ihm später in Rom wieder begegnen: als einem der mächtigsten Politiker und klügsten Gelehrten der Kapitale und dann vor allem als Papst Paul III. – dem der längste und vielleicht glanzvollste Pontifikat eines an Höhepunkten reichen Jahrhunderts vergönnt war (1534–49). Wenn wir ihn in Rom als großen Diplomaten auf internationaler Bühne sehen, als Kirchenreformer und Initiator des tridentinischen Konzils, als Bauherrn des Palazzo Farnese und Auftraggeber Michelangelos, der für ihn das Fresko des „Jüngsten Gerichts“ in der Sixtinischen Kapelle anfertigte, wenn wir an seinem prächtigen Grabmal direkt in der Apsis der Peterskirche stehen, dann tun wir gut daran, uns an seine Wurzeln zu erinnern, die ihn geprägt haben und die er sein Leben lang nicht vergaß. Diese Wurzeln liegen hier im Hügelland des nördlichen Latium um den Bolsenasee mit seinen Tuffhängen und Schafherden. Neben aller internationalen Politik hat er die Region nie aus den Augen verloren. Hier wollte er zugunsten seines Sohnes Pier Luigi die Familienterritorien erweitern und arrondieren. Die Weise, in der er seine kirchlichen Ämter und schließlich auch das Papsttum für seine familiären Interessen nutzte, mag nach damaligen Maßstäben nicht ganz so ungewöhnlich gewirkt haben wie nach heutigen. Doch dass auch im 16. Jahrhundert dieser Stil der päpstlichen Machtpolitik Anstoß erregte, zeigt nicht zuletzt die Kritik der Reformatoren am Nepotismus. Dennoch darf man auch nicht vergessen, dass gerade die Territorien der Farnese vom Einfluss der Familie profitierten. Wer etwa nach Ronciglione kommt – an der Via Cimina etwas weiter Richtung Rom –, fährt noch heute auf der Porta Romana unter den Farnese-Lilien in die Stadt ein. Die urbanistisch-architektonische Gestaltung der Stadt verdankt sie im Kern der Neuanlage im 16. Jahrhundert, die von den Farnese gefördert wurde.

Montefiascone, wie gesagt, sollte Hauptstadt der Farnese-Territorien in Latium werden, doch widersetzte sich das Städtchen diesen Plänen – und fuhr damit letztlich vielleicht ganz gut. Als das Patrimonium der inzwischen völlig überschuldeten Familie etwa 100 Jahre später zusammenbrach, ließ Innozenz X. (Pamphili) den Ort Castro, Hauptstadt des Herzogtums und Sitz der Diözese, dem Erdboden gleichmachen. Heute sind nur noch ein paar vom Gestrüpp überwucherte Ruinen davon übrig, stimmungsvoll in freier Landschaft gelegen: eine versunkene Renaissance-Perle, Bruchstücke der herrlichen Schöpfungen eines Antonio da Sangallo unter Disteln und Gebüsch.15 Der Bischofstitel ging an Acquapendente. Montefiascone hingegen thront weiter stolz auf seinem Berg.

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