Читать книгу Der letzte Europäer - Martina Clavadetscher - Страница 7

INTRALOG

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ANGSTEs liegt, es sitzt, es steht ein Mann irgendwo im ehemaligen Europa. Und alles geschieht auf kleinstem Raum. Ein letzter Mensch, könnte man denken, denn Denken ist das einzige, das er noch tut. Überhaupt dachten sie allesamt unablässig. Mit Allesamt meine ich meine Insassen. Und mit Insassen meine ich meine Gäste. Sie sind mir freiwillig in die Falle gegangen. Damals, als ich an den Grenzgebieten zu knabbern begann. An den Rändern des Kontinents setzte ich beschwingt meine Füsse in alle Richtungen. Ich kroch den Stiefel herauf, als viehische Vorstellung von Bakterien, Viren, Krankheit und Tod. Von unten her griff ich an. Von Westen wehte ich herbei. Und von Osten frass ich mich mit Kampfeslust vorwärts.

Kinder, Kinder,

die Jahrhunderte haben mich eines gelehrt:

Was jemand im Sinne des Mehrheit vormacht,

(mit christlich-demokratisch-sozialistischem Geschick sozusagen,)

im Sinne der Freiheit sozusagen

im Sinne der Selbstbestimmung sozusagen,

das schlägt meist wuchtig Wellen,

überflutet die Menschenvernunft

und ertränkt den fleischigen Kern dieses Wesens,

genannt Kontinent, genannt Europa!

Und jetzt?

Wie schön hier alles liegt

und zum Erlegen gebracht wurde.

Nein, mein Betrieb soll nicht florieren.

Er soll lahmen.

Genau das wolltet ihr,

ihr Schläfer, schön schlummert ihr in Sicherheit,

meine hübschen Wohlstandssklaven.

Meine Kinder, Töchter, Söhne,

wo seid ihr jetzt?

Kommt, tretet vor,

sagt mir,

wie aussergewöhnlich,

ich eure Angelegenheiten führe,

wie wunderbar ich euch füttere und sichere,

gesund und sauber halte.

Kommt,

lobt meinen Führungsstil,

Kinder, Töchter, Söhne,

jetzt seid ihr endlich, fast unendlich

versorgt und entsorgt.

Was ist?

Keine Regung?

Wie schön. Diese Ruhe.

Und ihr Tierchen wenigstens?

Tretet vor,

durchstreift Wälder, Felder,

streunt durch die rückeroberten Straßen,

durch die leergefegte Vororte.

Schaut, der Mensch hat sich zurückgezogen.

Jetzt beginnt eure Zeit.

Keiner?

Wie schön. Diese Stille.

Sie festigt mein Imperium.

Kein Lied könnte mich lauter feiern!

Die Hündin tritt auf.

Jemand ist wach.

He du!

HUNDHe ich?

ANGSTEin Köter!

HUNDVerteufelt, was? Eine.

ANGSTEin Eindringling. Wo kommst du her?

HUNDAus dem Elend.

ANGSTWie alle Ankömmlinge.

HUNDNein. Ich habe deine Umgebung hin und her durchzogen.

ANGSTUnd?

HUNDNichts und! Überall nur Festungen und Anstalten, Mauern und Zäune.

ANGSTMein Reich.

HUNDUnd was soll das sein?

ANGSTMeine Gäste.

HUNDPapperlapapp. Eingekapselte Individuen, kokonisierte Lebewesen, auf deren Schale Freiheit steht.

ANGSTAber sie glauben es.

HUNDNein. Spielfiguren sind es. Hütchen. Puppen. Ihr Menschsein ist blosse Verkleidung.

ANGSTSei still!

HUNDPfui! Hier, Schwester. Mein Schweigen spuck ich dir vor die Füsse.

ANGSTDu wagst es? Bist wohl ein seltenes Exemplar.

HUNDIch wag es nochmals. Pfui!

ANGSTDeine hündische Gleichgültigkeit macht dich unantastbar.

HUNDIst. Mir. Egal. Gleich dreifach hingespuckt. Damit dich wenigstens etwas Dreck schmückt.

ANGSTWenigstens?

HUNDEs herrscht eine heillose Sauberkeit allerorts. Er widert mich an, dein Betrieb. Deine Gäste. Zum Erbrechen langweilig. Ein steriles Zuchthaus ist das. Nicht mehr und nicht weniger.

ANGSTDein Grimm ist erstaunlich. Knurr weiter.

HUNDWas ist aus all dem guten alten Dreck geworden? In den Strassen, Hinterhöfen und Bars. In jeder versteckten Ecke nur noch Spiegel und Bildschirme, Sauberkeit und Glück, soweit das Auge reicht – Pfui! Lange sollen sie leben, und gesund sollen sie leben, ohne Härte und ohne Konflikte sollen sie leben – Nochmals pfui! Gut gezüchtet hast du sie, deine Untertanen.

ANGSTEine herrliche Anlage.

HUNDNein! Sie bewegen sich nicht. Und sie bewegen nichts! Deine Menschen können keinen Stern gebären.

ANGSTNa und? Das konnten sie noch nie.

HUNDEinst haben sie es wenigstens versucht.

ANGSTVersucht? Versuchen gibt es in meiner Einrichtung nicht. Meine Zucht erfolgt nach klaren Regeln.

HUNDUnd doch stinkt sie dir zum Himmel.

ANGSTWas?

HUNDIch riech es doch. Du hast die Schnauze voll!

ANGSTPass bloss auf.

HUNDMir ist langweilig, dir ist langweilig, und deinen Gästen geht es irgendwann gleich. Was, wenn sie eines Tages ihre Nabelschnur durchtrennen? Kabel und Drähte und Grenzen niederreißen? Eines Tages will das dumme Männlein zurück. Hinaus in seinen Kontinent - um ihn wieder zu zerfleddern.

ANGSTGar nichts wird er tun, schau ihn dir an! Er lahmt - und ist der Betreuung kaum wert.

HUNDDann lass mich die Versuchung versuchen.

ANGSTWas bellst du da?

HUNDSchenk mir ein Exemplar.

ANGSTSchenken?

HUNDDiesen letzten Knecht aus deiner Sammlung.

ANGSTUnd wofür?

HUNDNur kurze Zeit mit mir und er wird seine Lage begreifen, er wird sich trennen und rennen, wird aus deiner Aufsicht verschwinden, wird aus diesem Tank und Bunker entsteigen, wird Schläuche, Sonden, Kabel, Bildschirme, wird all deine Eingaben und Auflagen hinterfragen, wird sein Gehirn lösen, sich entledigen von deinen sauberen Vorstellungen, von deiner obsessiven Obhut, die eigentlich eine Diktatur ist. Er wird erkennen, wie du ihn steuerst, wie du ihn fütterst mit magerem Essen, belustigst mit traurigen Bildern und am Leben erhältst mit toten Eingaben. Er wird dir ins Gesicht lachen, dir den Rücken kehren, er wird das Hindernis suchen, wird es übersteigen und zertrümmern. Kurz: Er wird sich bewegen.

ANGSTWird wird wird, wird wird wird. Das sind reichlich viele Wird(s). Nur naive Zungen wagen so viel Zukunft.

HUNDIch sehne mich nach dem Chaos. Und ich fürchte nichts. Im Gegensatz zu dir. In deiner Position – zum Totlachen.

ANGSTDu hast ein dreckiges Maul.

HUNDPfui. Ich danke und spucke auf dein Kompliment. Also?

ANGSTDu wirst sehen, er wird dir keinen Stern gebären.

HUNDIch werde sehen, was ich sehen werde. Und ist es ein Stern, so bin ich eben geblendet.

ANGSTHübsch gebellt, Fleischfresserchen.

HUNDIch belle, scherze und spucke. Mehr kann ich nicht. Also gilt das Spiel?

Der letzte Europäer

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