Читать книгу Als Maikäfer nicht fliegen durften … - Martina Emes - Страница 7
ОглавлениеKapitel 2
Auf einmal, wie aus dem Boden geschossen, stand ein Offizier im Türrahmen. Diejenigen, die ihn früh genug gesehen hatten, sind schnell durchs Fenster gesprungen, die anderen mussten bleiben und sich mit dem Gesicht auf den Boden legen und durften sich nicht rühren. Der Offizier zog seine Pistole und gab noch 3 Schüsse durchs Fenster ab, dann sah er sich im Zimmer um. Er machte ganz große Augen, als er die Verwüstungen sah. Dann fragte er, wer dies alles angerichtet hätte. Der eine Russe, der ein bisschen Deutsch konnte, wollte sich herausreden und wandte sich an mich: „Frau, ich doch nichts gemacht haben.“ Aber ich konnte und wollte ihm nicht helfen, denn er hatte ja so fürchterliche Sachen angestellt. So antwortete ich und gab dem Offizier zu verstehen „dieser Mann alles kaputt machen.“
Der Offizier blieb noch lange bei uns und verhörte die anderen Russen, die dann aber doch gehen durften. Als er dann selber gehen wollte, gab ich ihm ein Zeichen, noch kurz zu bleiben. Ich bat ihn dann, doch einen Posten ans Haus zu stellen, damit nicht wieder welche Soldaten kämen. Er hat meine Gesten verstanden, ging dann und wenige Minuten danach erschien tatsächlich ein Posten, der Wache hielt bis zum Morgen. Als dann am 6. März die ersten Lichtstrahlen rauskamen, waren wir froh, nochmal mit dem Leben davongekommen zu sein. Gegen 10 Uhr morgens erschien ein anderer Offizier zusammen mit einem Soldaten. Sie verlangten, dass 6 Frauen in die Soldatenkantine gehen sollten, um Kartoffeln zu schälen. Da keine mitgehen wollte, wurden sie zornig. Der Offizier aber konnte etwas Deutsch sprechen, und so erklärten wir ihm, was wir in der Nacht alles erlebt hatten, und dass wir Angst hätten, mitzugehen. Auf ihr Versprechen hin, dass uns niemand was tun würde, gingen wir dann doch mit. Die beiden blieben dann auch die ganze Zeit bei uns; so kam es, dass uns niemand anrührte. Wir schälten unsere Kartoffeln für die Küche und mussten anschließend ein paar Kühe melken. Danach wurde uns etwas Essen angeboten, das wir aber aus lauter Stolz nicht annahmen, obwohl wir großen Hunger hatten, was wir aber nicht zeigen wollten.
Gegen 13 Uhr waren wir mit dem Küchendienst fertig und durften gehen. Als wir zurückkamen, hatten unsere Eltern bereits ein Essen gekocht. Sie hatten die Hühner geschlachtet, die draußen noch rumliefen, denn wir wussten ja nicht, ob wir lange hierbleiben würden oder bald weitermüssten. Und so war es auch tatsächlich: Zu dem Hühnerbraten kamen wir nicht mehr, denn kurz nach uns erschien wieder ein russischer Offizier und ein Pole als Dolmetscher. Sie fragten jede einzelne der Frauen, wie alt sie seien und ob sie Kinder hätten. Als ich an der Reihe war, sagte ich: „Na, ich bin doch schon alt.“ Da wir alle Angst hatten, hatten wir uns zuletzt in dunkle Kopftücher gehüllt und uns die Gesichter mit Asche unkenntlich gemacht. Da sagte der Pole: „Nimm mal dein Kopftuch ab und wasche dein Gesicht, dann bist du ganz jung.“ Da ich es nicht machte, tat er es und ich musste mit, denn ich war erst 21 Jahre alt. Die Frauen, die Kinder hatten, durften bleiben, aber alle anderen Frauen zwischen 13 und 30 Jahren wurden ausgesondert. Dabei hatte unsere Gruppe noch Glück, denn an anderen Orten wurde keine Rücksicht auf Alter oder auch Kinderzahl genommen, es mussten alle mit (so habe ich später in den Lagern Frauen von über 50 Jahren angetroffen).