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09.45 Uhr

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Die Zigarette qualmt in dem übervollen grünen Jadeaschenbecher noch immer vor sich hin; langsam, wie eine brandige Infektion, geht ihre Glut auf die abgerauchten Zigarettenstummel über. Ein beißender Geruch steigt auf.

Rauchen ist in sämtlichen öffentlichen Gebäuden, also auch in ihrem Büro, verboten. Eigentlich. Katrin ignoriert dieses Verbot meistens nonchalant. Sie raucht zwar immer am geöffneten Fenster, doch aus dem Rauchmelder in ihrem Büro hat sie die Batterien schon vor langer Zeit eigenhändig entfernt. Der Zigarettenrauch kann sich daher ungehindert breitmachen. Sie nimmt ihn nicht wahr.

Ihre Brüder. Keiner nennt sie Jürgen und Andreas. Jojo und Andy. Zwei und drei Jahre jünger als sie. Sie ist die Älteste. Die Vernünftige. Sie hat keinen Kosenamen. Sie ist immer nur Katrin.

»Du bist doch unsere Große«, sagten Papa und Mama immer.

Arrogante Ziege und Gymihenne nannten ihre Brüder sie. Manchmal auch Miss Etepetete. Verächtlich, von oben herab. Wenn sie stritten, war immer sie schuld, nicht Jürgen oder Andreas. Sie war die Älteste. So sahen es ihre Eltern.

Eigentlich hat sie überhaupt keine Beziehung zu ihren Brüdern, als Kind nicht und heute schon gar nicht. Nicht, dass sie darauf Wert legt.

Sie fragte ihren Eltern und Großeltern schon als Kind Löcher in den Bauch. So erzählte es ihre Mutter immer. Katrin kann sich nicht an die Zeit vor der Grundschule erinnern, doch sie hat noch undeutlich in Erinnerung, dass sie häufig mit unzähligen Fragen aus der Schule kam. Sie bekam nicht immer eine Antwort. Oder eine, mit der sie zufrieden war. Jojo und Andy löcherten die Eltern nicht mit Fragen. Spielten draußen, meistens mit den Jungen aus dem Dorf. Immer dreckig. Schule, Lernen, Hausaufgaben, es interessierte ihre Brüder wenig bis gar nicht. Es sind halt Jungen, sagten ihre Eltern immer, und Jungen müssen draußen spielen und sich schmutzig machen.

Wann begann das Gefühl, sich zu Hause nicht mehr wohlzufühlen? Anders zu sein? Weniger geliebt als ihre Brüder? Mehr zu wollen? Mehr wissen zu wollen? Mehr lernen zu wollen? Etwas »Richtiges«, »Wichtiges« werden zu wollen?

Sie weiß es nicht. Weiß nur, dass sie sich daheim schon früh wie das fünfte Rad am Wagen vorkam. Es interessierte einfach niemanden zuhause, was sie in der Schule machte. Außer, wenn die Note schlecht war. Was selten bis nie vorkam. Sie hat sich oft gefragt, fragt sich manchmal heute noch, woher dieses Desinteresse ihrer Eltern kam. Sie hatten ihr den Besuch des Gymnasiums ermöglicht. Das war’s. Der Rest interessierte sie nicht. Punkt. Warum nicht?

Arrogant. War sie das? Ist sie das? Das Gefühl, besser zu sein. Sie ging auf das Gymnasium. Als Erste überhaupt in der Familie. Ihre Brüder gingen nach ihr »nur« in die Realschule. Schafften ihre Prüfungen mit Ach und Krach. Kein Thema für ihre Eltern damals. Sind halt Jungen.

Die Empfehlung kam von ihrem Klassenlehrer.

»Katrin hat eine außergewöhnlich gute Auffassungsgabe. Sie denkt logisch und lernt extrem schnell. Lassen Sie es mich so sagen: Ihrer Tochter blitzt die Intelligenz aus den Augen. Sie sollten sie auf das Gymnasium schicken. Es wäre schade um ihr Talent.«

Er insistierte nachdrücklich.

Ganz verstanden hatte sie damals nicht, was er sagte. Ihre Eltern – nein, Papa – war nicht unbedingt davon angetan. Er stammte aus einfachen Verhältnissen. Seine Einstellung Frauen gegenüber war, milde ausgedrückt, eher konservativ. Er hatte sich nach der Maurerlehre zum Polier hochgearbeitet. Das Haus, in dem sie wohnten, das Haus von Mamas Eltern, selbst renoviert und umgebaut.

»Schuster, bleib bei deinen Leisten«, sagte er immer.

Seine Tochter soll nicht auf das Gymnasium zu den Besserwissern. Sie heiratet später sowieso jemanden aus dem Dorf. Oder dem Nachbarort. So, wie es bisher immer war. Ihre Mutter hat tagelang auf ihn eingeredet. Fand, dass Mädchen heutzutage gleichberechtigt sind und die gleichen Chancen wie Jungen bekommen müssen. Bildung ist wichtig, auch für Mädchen. Doch auf dem Dorf gingen die Uhren während ihrer Kindheit noch immer deutlich langsamer. Zumindest in dem Dorf, aus dem sie stammt. Oder vielleicht auch nur in ihrer Familie. Sehr viel langsamer.

Katrin selbst war es egal, auf welche Schule sie gehen wird. Nein, nicht ganz egal. Wichtig war für sie nur, dass sie mit ihrer besten Freundin zusammen in die gleiche Klasse kam. Und weil Susanne nach den Sommerferien auf das Gymnasium gehen würde, wollte sie auch dorthin. Unbedingt. Wenn Susanne auf die Hauptschule gegangen wäre, hätte Katrin auch dorthin gewollt. Mit zehn Jahren realisierte sie sich noch nicht, welchen Unterschied Schulen machen. Ein paar Jahre später schon.

Ihre Mutter setzte sich durch. Außergewöhnlich energisch, daran kann sich Katrin erinnern. Vielleicht, weil ihre Mutter früher selber irgendwann einmal mehr vom Leben haben wollte? Oder auch mehr hatte lernen wollen? Katrin weiß es nicht.

Sie erinnert sich an Diskussionen zwischen ihren Eltern. An laute Worte. Ihre Mutter, die auf Papa einredete. Das leicht mürrische Schimpfen ihres Vaters. Nicht zu den Besserwissern ... Mädchen sind gleichberechtigt ... Chancen im Leben ... heiratet doch sowieso ... muss als Frau keine Karriere machen ...

Ihr Vater gab schließlich nach. Vielleicht, weil er sich diesbezüglich nicht ständig mit seiner Frau streiten wollte, vielleicht war er aber auch insgeheim doch ein bisschen stolz auf seine Tochter. Wenigstens ein klitzekleines Bisschen.

Sie lächelt. Ein klitzekleines Bisschen.

Mit zittrigen Händen wischt sie über ihr Gesicht, das sich heiß und trocken anfühlt. Ihre Augen brennen. Nicht weinen. Reiß dich zusammen, Katrin, du bist doch keine Heulsuse.

3 X KURZ GEL...ESEN

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