Читать книгу Die Frau am Dienstag - Massimo Carlotto - Страница 7

2.

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Am folgenden Tag, dem Samstag, wirkte Signor Alfredo besonders zufrieden und servierte das Frühstück mit einem Lied auf den Lippen, einem alten Hit von Gianni Morandi:

Non se ne va questo spirito libero

Questo ragazzo che porto dentro

È una vita che ti guardo

E non se ne va questa luce dagli occhi …

La voglia di rivivere tutto da capo e ogni momento

La voglia di chiamarti amore come non te l’avessi mai detto

In diesem Moment wusste Bonamente, dass sich Professor Bassi angesagt haben musste.

„Er bleibt das ganze Wochenende“, raunte ihm sein Vermieter zu.

„Sein Zimmer wird soeben hergerichtet.“

Dabei war das eigentlich gar nicht nötig, weil der Raum immer bezugsfertig war. Neidisch beobachtete sein Mieter, der beruflich wie privat im luftleeren Raum schwebte, den aufgeregt herumlaufenden Mann und wünschte sich das Gleiche, doch ein Wochenende mit seiner Dienstagsfrau war und blieb für ihn ein unerreichbarer Traum.

Um sich abzulenken, brach er zu einem Spaziergang auf und strebte auf ein Einkaufszentrum zu. Früher war er lieber ins Grüne gegangen, heute aber fühlte er sich in diesem riesigen Kasten, in dem die Luft von gigantischen Maschinen gewärmt und gefiltert wurde, sicherer.

Auf einer künstlichen Piazza setzte er sich unter einen Sonnenschirm, der niemals weder einen Sonnenstrahl noch einen Regentropfen abbekommen würde, und bestellte eine große Tasse Getreidekaffee, in den er Süßstoff schüttete, was ihm sofort in Erinnerung brachte, dass sein Körper vor der Zeit gealtert war und er nicht mehr als dynamischer, vitaler Vierzigjähriger durchging.

Die Ärzte hatten ihn zwar beruhigt, dass er ein ganz normales Leben führen könne, die Psychologin dagegen war kritischer gewesen und hatte ihm nicht gerade Mut gemacht. Dabei hätte er wenigstens dieses Mal eine kleine Aufmunterung gebrauchen können, selbst wenn sie nicht ganz ernst gemeint war.

Um nicht weiter in trübe Gedanken zu verfallen, betrat er ein Wäschegeschäft, um sich Unterhosen zu kaufen. Er wusste nach wie vor nicht, ob die Dienstagsfrau ihn lieber in Boxershorts oder Slips sah, und hatte sie nie zu fragen gewagt. Mal trug er das eine, mal das andere und achtete genau auf ihre Reaktion, ohne eindeutige Hinweise erhalten zu haben. Er ging an den Sonderangeboten vorbei und beschloss, dass sie blau-weiß gestreifte Boxershorts verdient hatte.

Sie wollte stets vollständig bekleidet empfangen werden, sogar mit Jackett, erst dann zogen sie sich aus, ohne sich dabei anzusehen. Bonamente schummelte immer ein bisschen, weil er sie ansehen, umarmen und küssen wollte. Er hätte alles dafür gegeben, ihr beim Ausziehen helfen zu dürfen.

Als der Professor kurz vor dem Mittagessen eintraf, saß er im Salon und las Zeitung. Bassi begrüßte ihn mit seiner üblichen Freundlichkeit.

„Was macht die Gesundheit, Bonamente? Sie sehen blendend aus.“

Er selbst wirkte älter als beim letzten Mal, als sie sich gesehen hatten, von den immer noch lebendigen und strahlenden Augen einmal abgesehen.

„Und Sie, Federico, werden immer jünger“, erwiderte er ganz ernst.

Der Professor nickte ihm lächelnd zu, war dankbar für die charmante Lüge.

Während des Mittagessens redete Federico ununterbrochen, wie ein Getriebener. Aber es machte Spaß, ihm zuzuhören, und Bonamente hing an seinen Lippen, während Signor Alfredo still und geschäftig zwischen Küche und Tisch hin und her lief.

Den Nachmittag verbrachte der Schauspieler auf seinem Zimmer, erst gegen Abend verließ er es wieder und bestellte sich ein Taxi.

Als er dem Fahrer die Adresse nannte, drehte der sich um und grinste ihm verschwörerisch zu.

„Es gibt ja nichts mehr außer dem Eden“, meinte er und bezog sich damit auf das letzte Pornokino der Stadt. „Mittlerweile schaut man sich Pornos zu Hause an, wo man gleich zur Sache kommen kann“, fügte er hinzu.

Im Kino lief ein Krankenhausporno, ein Genre, in dem Bonamente wenig Erfahrung hatte und mit dem er sich näher beschäftigen musste, wenn er die Rolle wirklich übernehmen wollte, die Martucci ihm angeboten hatte.

Niedergeschlagen verließ er am Ende das Kino. Nicht allein deshalb, weil es sich um eine slowenische Produktion und ein Remake gehandelt hatte, sondern weil es nicht einen einzigen Darsteller seines Alters gegeben hatte. Die Älteste war die Oberschwester mit höchstens fünfunddreißig gewesen.

Zu Hause wartete Alfredo auf ihn. Er hatte ihm das Abendessen warm gestellt und wollte sichergehen, dass er seine Medikamente einnahm. Kurz darauf, pünktlich wie immer, klopfte er an Bonamentes Tür, um ihm seinen Tee zu bringen.

Die Nacht verbrachte Signor Alfredo nicht in seinem eigenen Zimmer, sondern ging weiter zu Zimmer eins und drückte vorsichtig die Klinke herunter.

Federico stand am Fenster, als er das Zimmer betrat. Gekleidet in einen eleganten dunkelblauen Morgenmantel mit roten Borten, deklamierte er, ohne sich umzudrehen, mit tiefer, rauer Stimme das Gedicht von Pablo Neruda, mit dem er Alfredo jedes Mal seit vielen Jahren begrüßte, wenn er mitten in der Nacht zu ihm kam.

Ich habe dich zur Königin ernannt.

Größere gibt es, größer als du.

Reinere gibt es, reiner als du.

Schönere gibt es, schöner als du.

Aber du bist die Königin.

Alfredo ging auf ihn zu und zog ihm den Morgenmantel aus, küsste ihn auf den nackten Rücken, kniete nieder und begann mit der Zunge das Hinterteil des Professors zu liebkosen, griff gleichzeitig mit der linken Hand nach seinem Penis und streichelte ihn. Als er eine ganz zaghafte Erektion spürte, stand er auf und steckte ihm den Zeigefinger in den Hintern, suchte nach der Prostata. Verdammtes Alter, dachte er und fuhr fort, beides zu reizen, bis er ein wenig Sperma in der Hand spürte. Danach nahm er Federico zärtlich in den Arm.

„Du bist mein König“, flüsterte er.

Am Sonntag stand der Hausherr früh auf und backte Federicos Lieblingskuchen. Er war überglücklich und fest entschlossen, jeden Moment ihrer gemeinsamen Zeit auszukosten. Gerne hätte er sein ganzes restliches Leben mit ihm verbracht, bloß ließen das die Umstände und ihre unterschiedlichen Lebensverhältnisse nicht zu. Ihre Liebe war einfach zu verrückt, gänzlich unmöglich.

Ganz anders erlebte Bonamente den Sonntagmorgen. Gleich beim Aufwachen fühlte er sich so verloren wie immer an diesem Tag. Was sollte er mit seiner Einsamkeit anfangen? Während Paare und Familien Ausflüge machten, Parks und Restaurants bevölkerten, konnte er es kaum erwarten, bis die langweiligen Stunden vorbei waren. Bis der Montag und endlich, endlich der Dienstag kam.

Als er ins Frühstückszimmer kam, bemerkte er als Erstes den Kuchen.

„Für dich nicht mehr als ein halbes Stück“, warnte ihn Signor Alfredo, „in dieser Köstlichkeit ist einiges an Zucker und Butter.“

Als er für einen Moment den Raum verließ, zwinkerte Bassi ihm zu und reichte ihm ein weiteres Stück. „Beeil dich, sonst schimpft er mit mir.“

In Windeseile verschlang Bonamente den Kuchen und überlegte gerade, was er heute unternehmen sollte, um den beiden nicht lästig zu fallen, als der Professor zu seiner Überraschung den Wunsch äußerte, in ein Restaurant zu gehen, wo er früher Stammgast gewesen war, und ihn ebenfalls dazu einlud. Seine Ausrede ließ er nicht gelten.

„Ich erlaube mir, darauf zu bestehen. Es würde mich wirklich glücklich machen. Es ist zu lange her, dass ich mit Freunden auswärts gegessen habe. Jeden Sonntag nehme ich mit meinen Söhnen, meinen Schwiegertöchtern und den Enkeln das Mittagessen ein, die mich wie einen uralten Großvater behandeln. Dementsprechend benehme ich mich leider auch. Es ist eine echte Tragödie, wenn man zur Banalität gezwungen wird.“

„Vielleicht kannst du deine Verabredung ja verschieben“, schlug Signor Alfredo vor, der sehr wohl verstanden hatte, dass sein junger Freund abgelehnt hatte, um nicht aufdringlich zu wirken.

Nachdem alles einvernehmlich geregelt war, fuhren sie gemeinsam zu einem Restaurant am Stadtrand, von wo aus man in die Ebene und auf die Sojafelder blickte, die den Anbau traditioneller Getreidesorten verdrängt hatten.

Bei dem Fahrzeug, in dem sie saßen, handelte es sich um ein neues Elektroauto, das Alfredo Guastini gekauft hatte, als er von den Gefahren des Feinstaubs gehört hatte. Den Mercedes mit dem Dieselmotor hatte er verkauft und sich stattdessen für ein teures japanisches Modell mit allen Schikanen entschieden, dessen Hersteller zusätzlich damit werben durfte, dass der Wagen die Luft nicht verschmutze und dem Klima und der Gesundheit diene.

Bonamente saß still auf dem Rücksitz und beobachtete die vorbeiziehenden Häuser. Ein offenes Fenster, ein zugezogener Vorhang, aufgehängte Wäsche. Wie damals als Kind stellte er sich immer noch gerne vor, wer die Bewohner hinter den Fenstern wohl sein mochten.

Dann erreichten sie das Restaurant.

Bassi lächelte zufrieden, als er feststellte, dass es genau so war, wie er es in Erinnerung hatte, selbst die Karte schien sich nicht geändert zu haben.

Während sie ein hervorragendes Paprikahühnchen aßen und dazu einen Rotwein aus den Abruzzen tranken, fragte Signor Alfredo den Professor, wie er gerade auf dieses Restaurant so weit außerhalb gekommen sei.

„Weil hier keine Kollegen aus der Uni herkamen“, erklärte er lächelnd. „Ich kam immer mit einem Kollegen hierher, er hat mir übrigens die Pension empfohlen, wofür ich ihm auf ewig dankbar bin.“

Guastini seufzte und legte seine Hand auf die von Bassi.

„Ich habe geheiratet, weil ich meine Frau wirklich geliebt habe“, stellte der Professor klar. „Sie war eine schöne, starke und intelligente Frau, und ich leide sehr unter ihrem Verlust. Trotzdem habe ich sie immer mit Männern betrogen, aber ich hätte sie nie verlassen. Nicht wegen der Kinder, sondern weil ich sie vergötterte. Ich weiß nicht, ob sie wusste, dass ich nicht ausschließlich auf Frauen stand, das kann ich sie erst in unserem nächsten Leben fragen. In diesem jedenfalls haben wir darüber nicht gesprochen. Mit meinem ältesten Sohn Luigi wollte ich eigentlich darüber reden, doch er war schockiert und bat mich, das Thema nicht mehr zu erwähnen. Deshalb erzähle ich es Ihnen, Sie haben ja keinerlei Vorbehalte, sonst hätten Sie es nie so lange in der Pension Lisbona ausgehalten.“

Einmal mehr fühlte sich Bonamente in seiner Überzeugung bestätigt, dass Familienbande eine teuflische Falle waren. Sie verboten es den Menschen, sich frei auszuleben, zwangen sie sogar zur Lüge, zu Ausflüchten und Betrug. So wie der Professor sein Leben verbracht hatte, wollte er seines nicht verbringen.

Bassi riss ihn aus seinen Gedanken, indem er ihm auf den Arm tippte, damit er ihm weiter zuhörte.

„Mein ganzes Leben lang haben meine Freunde und die Experten, die ich dafür bezahlte, Ordnung in mein Sexualleben zu bringen versucht, mir gesagt, ich sei verwirrt wegen meiner Bisexualität. Vielleicht hatten sie damit nicht unrecht, nur bin ich inzwischen davon überzeugt, dass man das Recht hat, in sexueller Hinsicht verwirrt zu sein. Niemand sollte etwas dagegen sagen oder es ändern wollen. Meinen Sie nicht?“

Bonamente zuckte mit den Schultern. Er hatte zu diesem Thema keine feste Meinung. Zwar gab er dem Professor instinktiv recht, fürchtete allerdings, dass er in komplizierte Diskussionen verwickelt würde, darum stand er auf und ging unter dem Protest Bassis zur Kassa und beglich die Rechnung.

Am Montagmorgen erschien der Professor elegant gekleidet zum Frühstück und begrüßte Bonamente flüchtig, der gerade Getreideflocken in eine Tasse Mandelmilch schüttete.

Signor Alfredo strich ihm über die Schulter: „Alles gut, Frederico?“

„Ich muss mit dir reden“, sagte Bassi und starrte betreten zu Boden, während Alfredo ahnungsvoll zusammenzuckte, als hätte ihm jemand in die Rippen geboxt.

Auch der Mieter begriff, dass Ungemach bevorstand, und erhob sich schnell, um in der nächsten Bar ein angenehmeres Frühstück zu sich zu nehmen.

„Ich werde nicht mehr kommen“, flüsterte der Professor mit brüchiger Stimme, nachdem sie allein waren.

„Wegen der Kinder?“

Bassi nickte. „Wenn sie klein sind, sind sie von dir abhängig, sobald sie dann erwachsen sind, übernehmen sie die Kontrolle über dein Leben. Und wenn du alt geworden bist, liegt dein Schicksal ganz in ihrer Hand. Sie lassen dich für alles bezahlen, was du in der Jugend bei ihnen falsch gemacht hast, und im Namen der Gesundheit und des angeblichen Wohlbefindens nehmen sie dir noch die letzten Freuden. Auf diese Weise lebst du länger, bist dafür unglücklicher.“

„Du hättest dich deinem Sohn vielleicht nicht anvertrauen sollen.“

„Ich habe gehofft, dass er mich versteht und mich dabei unterstützt, hierher zu dir zu ziehen. Jetzt hat er nichts als Angst, dass ich mich und damit ihn lächerlich mache.“

Als sein langjähriger Liebhaber in sein Zimmer zurückgekehrt war, um zu packen, ließ Signor Alfredo seinen Tränen freien Lauf und folgte Federico nach einer Weile. Lange hielten sie sich im Arm, küssten sich und flüsterten letzte Worte der Liebe.

„Ich muss gehen, meine Königin“, verabschiedete sich der Professor, während Alfredo in sein Zimmer zurückkehrte, sich einschloss und es Erminia überließ, Bassi zur Tür zu begleiten. Es war nicht der erste Abschied, den sie in der Pension Lisbona erlebte, sie war sich indes ziemlich sicher, dass es der letzte sein würde.

Als Bonamente zurückkehrte, lag eine drückende Stille über der Pension. Als wäre jemand gestorben. Fluchtartig verließ er den traurigen Ort, streifte unschlüssig durch die Straßen und landete schließlich in der Bingohalle, in die er öfter ging. Selbst am Morgen war sie bereits gut gefüllt. Wie immer setzte er sich an den Tisch mit den Chinesen, die seiner Meinung nach Glück brachten.

Er nahm sich vor, besonders auf die Spieler zu achten, die „Bingo“ riefen, ihre Freude rührte ihn. Einmal hatte ihn ihr Erfolg so sehr bewegt, dass er eine halbe Stunde weinend auf der Toilette gesessen hatte, bevor er sich wieder beruhigt hatte.

Signor Alfredo hatte sich in seinem Zimmer verbarrikadiert. Er blieb dort, bis es Nacht wurde und sein einziger Gast schlief. Er wollte nicht in seiner Verzweiflung gesehen werden. Im Nachthemd begab er sich schließlich in die Küche, machte sich etwas Milch warm und aß den restlichen Kuchen, den er für seinen König gebacken hatte.

In den vergangenen Jahren hatte er so sehr darauf gehofft, dass sein König eines Tages zu ihm in die Pension ziehen würde. Alles allerdings einfach gottergeben hinzunehmen, dazu war er nicht bereit. Zu sehr haderte er mit dem Schicksal, das zwei alte Männer trennen wollte, die sich liebten. Ihm fehlten die Zeit und die Energie, sich die Zukunft neu zu erfinden. Der Einzige, an den er sich klammern konnte, war Bonamente. Resigniert betrachtete er seinen alten Körper im Spiegel. Egal, um ihn würde er mit dem Schicksal kämpfen.

Am Dienstag kam die Dienstagsfrau pünktlich um drei. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, an dem Besitzer der Pension vorbeizugehen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und direkt auf Bonamentes Zimmer zuzusteuern.

An diesem Nachmittag hingegen packte Signor Alfredo, der einen grünen Hut mit einem Schleier in gleicher Farbe trug, um seine rot geweinten Augen zu verbergen, die hochnäsige Dame am Arm.

„Sorgen Sie dafür, dass er nicht in diesem Film mitspielt“, forderte er sie entschlossen auf.

Sie verdrehte die Augen. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Es interessiert mich nicht und geht mich zudem nichts an.“

„Ach nein? Dann sollten Sie sich langsam fragen, ob Sie an den Trauerfeierlichkeiten für Ihren Lieblingsgigolo teilnehmen wollen oder nicht. Es dürfte eine interessante Erfahrung werden, die Sie Ihren neugierigen Freundinnen erzählen können.“

Die Dame war empört. Eine Stunde Vergnügen in der Woche, und selbst das nicht mal regelmäßig, wenn man die Feiertage, den Urlaub und unvorhergesehene Ereignisse abzog, und diese alte Transe vergeudete ihre kostbare Zeit. Ganz davon abgesehen, dass er ihre erotischen Fantasien störte.

„In Ordnung, ich werde darüber nachdenken, ob ich an der Trauerfeier teilnehmen werde.“

Alfredo verstand die Welt nicht mehr. Da richtete er das Wort an sie, weil er sich ernsthafte Sorgen machte, und dann eine solche Antwort.

„Der arme Bonamente kann es sich nicht erlauben, irgendwelche Medikamente zu nehmen, damit er eine fürs Kino passende Erektion hat, und ich fürchte, dass er bei Ihnen auch diesen Unsinn treibt, damit er Sie als Kundin nicht verliert.“

„Schluss, er ist ein erwachsener Mann und kann jederzeit auf mein Geld verzichten, wenn ihm danach ist“, sagte die Dienstagsfrau in noch eisigerem Ton und entfernte sich raschen Schrittes.

Alfredo schaute ihr hinterher und überlegte, ob er es falsch angepackt hatte. Nein, diese Frau war einfach eine blöde Kuh, und mit ihrem Verhalten würde sie die Situation noch schlimmer machen.

Der Junge hatte etwas Besseres verdient. Dem Transvestiten war seit Langem klar, dass er von Frauen überhaupt nichts verstand. Und von Männern desgleichen nicht, wenn man mal ehrlich war. Er war ein wunderbarer Mensch, dem man auf die Sprünge helfen musste, weil er sich mit den praktischen Dingen des Lebens einfach nicht auskannte oder sie nicht beherrschte. Für ihn war er wie ein eigener Sohn und er war ihm ein verlässlicher Partner, darum verstand er nicht, was diese Frau im Leben eines Gigolos bedeuten konnte.

Obwohl Alfredo Guastini sich nicht gerne an seine portugiesische Vergangenheit erinnerte, dachte er jetzt an ein Sprichwort, das er sich immer dann vor Augen führte, wenn bestimmte Situationen geradezurücken waren, und das besagte, dass man den Feind manchmal mit seinen eigenen Waffen schlagen müsse. Seufzend öffnete er den Schrank mit seinen Männerkleidern.

Zur selben Zeit bemerkte Bonamente, dass etwas nicht stimmte. Seine Dienstagsfrau war ins Zimmer gekommen, ohne sich auszuziehen.

„Was ist los?“

„Die angebliche Dame an der Rezeption hat mich aus dem Konzept gebracht“, erklärte sie vorwurfsvoll. „Was ist das für eine Geschichte mit einem Film, den du drehen und bei dem du Pillen nehmen musst, damit es mit deiner Erektion passt?“

Welch eine Peinlichkeit, dachte er und versuchte die Sache herunterzuspielen.

„Unwichtig, nichts jedenfalls, was dich betrifft.“

„Theoretisch nicht. Ein Besuch im Krankenhaus heißt nicht, dass ich mich um dein Leben kümmern will. Ich sollte vielleicht erneut eines klarstellen: Du verkaufst eine Dienstleistung, und ich bezahle dafür in bar“, hielt sie ihm in einem nicht gerade freundlichen Ton vor.

„Hast du eine deiner Flaschen mitgebracht?“, fragte Bonamente, um das Thema zu wechseln, und tat so, als hätte er sie nicht längst bemerkt.

„Willst du am Ende unseres Rituals anfangen? Keine schlechte Idee, um den unangenehmen Anfang wiedergutzumachen“, sagte sie zufrieden und legte das Geld auf den Nachttisch. „Zieh dich aus. Du weißt, dass ich gerne nackt trinke. Heute ist es ein Rye Whisky. Er wird aus einundfünfzig Prozent Roggen destilliert“, sagte sie und hielt dabei das Glas gegen das Licht. Als sie merkte, dass sein Blick stur auf ihre Brüste gerichtet war, fügte sie hinzu: „Steck deine Nase lieber in das Glas, der Whisky ist scharf und würzig, mit Spuren von Minze und einem Abgang aus reifen Trauben, Honig und weißen, in Wein eingelegten Pfirsichen. Dazu ein Hauch Tabak und Zimt.“

Sie schenkte sich ein zweites, dann ein drittes Glas ein und wünschte anschließend, geleckt zu werden. Bonamente war am Ziel seiner Träume.

Als die Stunde vorbei war, zog sie sich rasch an und nahm sich, bevor sie ging, die Hälfte des Geldes wieder vom Nachttisch.

„Ich denke, das ist recht und billig. Viel hattest du heute ja sowieso nicht zu tun.“

Bonamente widersprach nicht. Er duschte und dachte darüber nach, welche Standpauke er Signor Alfredo halten würde. Es gab keinen Grund, seine Dienstagsfrau mit Vorwürfen zu belästigen.

Sein Vermieter war nirgends zu sehen. Komisch, sonst saß er um diese Zeit immer im Salon und löste Kreuzworträtsel, eine seiner großen Leidenschaften, weil die angeblich halfen, im Alter nicht zu verblöden. Wo steckte er?

Wirklich überrascht wäre Bonamente gewesen, wenn er gewusst hätte, dass Signor Alfredo auf der Straße stand und auf die Dienstagsfrau wartete, um sie heimlich zu ihrer Wohnung zu verfolgen.

Der Weg dorthin dauerte bis exakt 16.25 Uhr, als die Dame die oberste Klingel der Gegensprechanlage des Hauses Via Cadorna 127 drückte. Sie war schnell gelaufen und hatte ihren alten Verfolger ganz schön ins Schwitzen gebracht. Zum Glück war sie so abgelenkt gewesen, dass sie ihn gar nicht bemerkt hatte.

Sobald sie im Haus verschwunden war, ging Alfredo zur Tür und merkte sich den Namen: T. FONTANA.

Zurück in der Pension, schaltete er den Computer an und begann mit der Suche. Der Name gehörte zu einem gewissen Tommaso Fontana, laut Telefonbuch und anderen Quellen ein ebenso bekannter wie geschätzter Anwalt, der sich vor längerer Zeit zur Ruhe gesetzt hatte. In einem alten Zeitungsartikel, der über seinen Rückzug aus dem Berufsleben berichtete, hieß es, dass er dafür eigentlich noch zu jung gewesen sei und es angeblich schwerwiegende persönliche Gründe für diesen Schritt gegeben habe.

Vermutlich war er zwanzig Jahre älter als die Dienstagsfrau, die Alfredo auf etwa vierzig schätzte. Zwei Möglichkeiten gab es: Entweder handelte es sich um ihren Vater, oder sie mochte ältere Männer und wollte lediglich einen jüngeren, wenn sie Lust auf Sex hatte.

Er würde es bald wissen.

Bonamente überraschte ihn vor dem Bildschirm. „Wie konnten Sie es wagen?“, schrie er außer sich vor Wut.

„Hat die Dame sich darüber beschwert, dass ich mir erlaubt habe, das Wort an sie zu richten?“

„O ja, und zwar mit vollem Recht. Sie sollten ihr nichts von meinen Schwierigkeiten erzählen. Darüber war sie sehr aufgebracht und hat eindeutig klargestellt, dass sie nicht mehr sei als meine Kundin.“

„Du wirst es bald verstehen.“

Die Augen seines Mieters füllten sich bei diesen Worten mit Tränen. „Ich habe Angst, sie zu verlieren, verdammt noch mal!“

In diesem Moment wurde Alfredo klar, dass der Darsteller gar nicht streiten konnte. Er wäre längst schon fuchsteufelswild gewesen. Betont ruhig sagte er: „Du hast recht, die Gefahr, sie zu verlieren, besteht durchaus. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens könntest du die Dreharbeiten nicht überleben. Zweitens werde ich sie so lange um Hilfe bitten, bis du endlich auf diesen Film verzichtest.“

„Das ist reine Erpressung!“

„Nein, ist es nicht. Ich versuche nur, dir das Leben zu retten.“

„Na gut. Dann gehe ich zu Martucci und sage ihm, dass ich die Rolle nicht spielen werde. Dafür müssen Sie mir schwören, dass Sie meine Dienstagsfrau ein für alle Mal in Ruhe lassen.“

„In Ordnung, versprochen. Je weniger ich sie sehen muss, desto besser.“

Der Gigolo verfluchte das Schicksal. Jetzt würde er sich einer dieser Situationen mit Martucci aussetzen müssen, die er immer zu vermeiden suchte. Und daran war allein sein verrückter Vermieter schuld.

„Ein Schlaganfall?“ Der Produzent fiel aus allen Wolken. „Bist du verrückt? Willst du uns alle ins Gefängnis bringen?“

Von Martuccis Reaktion regelrecht erschrocken, versuchte Bonamente sich rauszureden. „Ich wollte einen würdigen Abschied von der Branche, das ist alles.“

„Und ich hätte dir illegal ein paar Spritzen und Pillen besorgt, damit deine Erektion garantiert ist. Von deinen gesundheitlichen Schwierigkeiten wusste ich schließlich nichts. Du dagegen hättest daran denken müssen, dass in unserer Branche Ehrlichkeit in Sachen Gesundheit das oberste Gebot ist.“

„Teilweise. Hier geht es schließlich nicht um eine ansteckende Krankheit, insofern trage ich das Risiko ganz allein.“

„Und warum hast du es dir dann plötzlich anders überlegt?“

„Eine Person, die mir besonders am Herzen liegt, hat mich praktisch dazu gezwungen.“

Martucci seufzte. „Brauchst du Geld?“

„Im Moment nicht, wobei Geld zu haben natürlich nie schadet.“

„Ich kenne einen Typ, der gerade ein Lokal speziell für Damen eröffnet hat. Luxuriöses Ambiente, gehobene Klientel. Er hat schon eine Truppe junger Männer am Start, die zu allem bereit sind – was ihm noch fehlt, ist ein alter Hase für echte Ladys, die nach einem eher psychischen als physischen Abenteuer suchen.“

„Da bin ich nicht der Richtige.“

„Für mich bist du perfekt. Du siehst gut aus, bist gebildet und kannst zuhören.“

„Nein, ich bin wirklich nicht interessiert.“

„Dann dränge ich nicht weiter.“ Martucci streckte ihm die Hand hin. „Viel Glück, Zagor.“

Sein Darsteller verließ das Büro mit der Gewissheit, dass ab heute niemand mehr seinen Künstlernamen aussprechen würde. Das war das Ende gewesen, ein Händedruck und ein freundliches Lächeln. Zum Glück war im Pornogeschäft nichts ewig. Abschiede wurden nicht weiter beachtet, und deshalb gab es auch keine Feste mit peinlichen Ansprachen und schalem Sekt.

Er erinnerte sich noch gut an seinen Onkel Arnaldo, den Bruder seiner Mutter, der nach seiner Pensionierungsfeier bei ihnen zu Besuch gewesen war. „Schaut euch das an“, hatte er zu seinen Eltern gesagt und eine Schachtel aufgeklappt, in der eine Uhr „Made in Switzerland“ gelegen hatte, allerdings von einer eher unbekannten Marke. Auf dem Gehäuse war das Logo der Firma eingraviert. „Vierunddreißig Jahre im Betrieb und das ist das Einzige, was bleibt.“

Er hatte einige Gläser Grappa getrunken und war dann gegangen. Die Uhr hatte er auf dem Tisch liegen lassen. Bonamente war damals noch ein kleiner Junge gewesen und hatte ihm hinterherlaufen wollen, aber seine Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt. Die Uhr hatte bis zum Tod des Onkels bei ihnen in der Küchenschublade gelegen, danach hatten sie sie seiner Familie übergeben. Später hatten sie das gute Stück im Sommer im Gemüsegarten zwischen den vertrockneten Wassermelonenpflanzen gefunden.

Insofern war Bonamente erleichtert.

Eine potenziell schwierige Situation war mit wenigen Sätzen abgehandelt worden, und er beschloss, diesen glücklichen Ausgang zu feiern. In einer Konditorei bestellte er die Spezialität des Hauses, zwei Teigschichten, gefüllt mit einer zwei Finger dicken Creme aus Schokolade, Butter und etwas, das in seiner Konsistenz an einen Pudding erinnerte.

Als er die zweite Portion bestellte, bestärkte ihn die zufriedene Kellnerin mit den Worten, dass ein Stück nie genug sei. Er nickte, unterdrückte seine Sorge um den eventuell in die Höhe schießenden Blutzuckerspiegel und widmete sich ganz dem Genuss. Sein Magen und sein Gehirn waren ein Fass ohne Boden, das irgendwie gefüllt werden musste. Vielleicht war es doch nicht so einfach, eine Lebensphase abzuschließen. Vielleicht musste er seine Erinnerungen ordnen, die wichtigsten, die schönsten auswählen, um den vielen Erlebnissen der letzten Jahre einen Sinn zu geben. Eine ungeheure Anstrengung, die ihm letztendlich sinnlos erschien. Wenigstens in diesem Moment.

Satt und leicht benommen machte er sich schließlich auf in Richtung Pension, wieder nahm er Nebenstraßen, um der Feinstaubbelastung der Hauptverkehrsader zu entgehen. Signor Alfredo servierte zum Abendessen Kohlsuppe, die musste er ablehnen, sein Magen war nach wie vor wie zugeschnürt.

„Es tut mir leid, ich habe keinen Appetit“, sagte er und schob den Teller von sich weg.

Da Signor Alfredo nicht ahnte, dass er sich mit Süßspeisen vollgestopft hatte, führte er die Appetitlosigkeit auf das Treffen mit dem Produzenten zurück.

„Warst du bei Martucci?“, fragte er und legte ihm anteilnehmend die Hand auf den Arm.

„Ja. Seit heute ist meine Filmkarriere offiziell beendet, sicherlich macht die Neuigkeit bereits die Runde“, sagte er traurig.

„Früher oder später musste das ja passieren. Zum Glück bleiben die Filme, die du gemacht hast, man findet deinen Namen auf den Webseiten der Branche, das reicht, um dir Unsterblichkeit zu garantieren.“

Eigentlich wollte Bonamente erwidern, dass es insgesamt kaum mehr als ein Dutzend Pornofilme gab, die echte Klassiker waren, und dass seine Filme leider nicht zu diesem erlauchten Kreis gehörten. Die bittere Wahrheit war, dass Pornoliebhaber fast immer zu neuen Produktionen griffen und die Filme im Allgemeinen innerhalb weniger Monate veraltet waren, worauf sie in streng islamische Länder geschmuggelt wurden.

Stattdessen brachte er etwas ganz anderes vor. „Dann gibt es jetzt also keinen Grund mehr, meine Dienstagsfrau mit Dingen zu behelligen, um die Sie sich nicht kümmern sollten, oder? Lauter Dinge, die Sie nichts angehen.“

Trotz seiner Naivität schien Bonamente erkannt zu haben, dass Signor Alfredo nicht allein im Interesse seines Mieters, sondern zu seinem eigenen Vorteil gehandelt hatte. Offenbar fürchtete er sich seit Bassis Abgang vor der Einsamkeit. Ohne es allerdings zuzugeben.

„Ich werde mich zurückhalten, glaub mir. Ich war einzig und allein um deine Gesundheit besorgt. Wenn dir etwas passiert wäre, hätte ich mir das nie verziehen.“

Was natürlich gelogen war.

Die Frau am Dienstag

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