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1. Belastbar! - Zuversichtlich durchs Leben

Wir leben in Zeiten einer umfassenden Vertrauenskrise. Das betrifft nicht allein das Bankenwesen. Es umfasst den gesamten Unternehmenssektor, Institutionen und natürlich auch den Einzelnen in unserer Single-Gesellschaft. Vielleicht ist es geradezu ein Kennzeichen sich ausdifferenzierender Individualisierungsprozesse, dass der „Vertrauenskit“ zwischen den Menschen brüchig wird und dann folgerichtig die Devise „Everyone for himself“ bis zur letzten Konsequenz ausgelebt wird. In Ermangelung vitaler moralischer Instanzen laufen die Lösungsmuster gesellschaftlicher Verantwortungseliten meist lediglich hilflos auf eine Verschärfung der Gesetzgebung hinaus, die den erlittenen Vertrauensmissbrauch einschränken soll. Unglücklicherweise verschärft diese aber nur die Vertrauenskrise. Denn jeder ahnt, dass der Gesetzgeber so eine Art Bestatter ist, der dann die Arbeit aufnimmt, wenn jede andere Hilfe bereits zu spät gekommen ist.

Ist es zu spät für Vertrauen? Man kann noch Hoffnung haben. Denn Vertrauen ist auch ein wichtiger Schmierstoff für die Wirtschaft, dessen Vorhandensein maßgeblichen Anteil für den Erfolg eines Unternehmens zeichnet. Management-Guru Fredmund Malik schreibt: „Im letzten kommt es darauf an, dass zwischen Unternehmen und Mitarbeitern gegenseitiges Vertrauen herrscht. Wo wechselseitiges Vertrauen herrscht, findet sich meist auch Motivation unter der Mitarbeiterschaft, und zwar ohne, dass man diesbezüglich besondere Maßnahmen ergriffen hätte. Misstrauen dagegen verhindert Motivation. Vertrauen schafft eine robuste, eine belastbare Führungssituation, die über viele Fehler im Management hinweghilft.“ - Geht doch! Auch wenn man auf das durchschnittliche Gewissen nicht mehr allzu viel wetten möchte - auf das Management und die Wirtschaft ist Verlass. Denn was Profite verspricht, wird noch immer möglich gemacht. „Ich glaube an die Deutsche Bank. Denn sie zahlt aus in bar…“

Wer’s glaubt…! Es fragt sich nämlich, inwiefern es sich beim Vertrauen um eine operationalisierbare Größe handelt: Kann man Vertrauen „machen“, herstellen? Oder ist es nicht ein Phänomen, das aus dem Sein von Personen erwächst, sozusagen die Aura ausmacht, die den Personkern eines eben vertrauenswürdigen Gegenübers umweht. Handlungen verweisen dabei auf eine Haltung, die ihrerseits auf einen Charakter schließen lassen, wo etwas in uns sagt: „Jawohl, der ist in Ordnung! Auf den lass ich mich ein.“ Misslich, wenn die ersten Beziehungen im Leben eines Menschen nicht von solchen Erfahrungen geprägt sind, bzw. wenn es diese Urbeziehung zur Mutter gar nicht erst geben konnte. Denn Vertrauen kann nicht deklaratorisch initialisiert werden, sondern muss mit der Zeit erworben werden. Das wirft ein Problem auf: Der Faktor Zeit - ein rares Gut in Zeiten, wo die Entwicklung eines Menschen mit der ökonomischen Kenngröße „Time-to-market“ konkurrieren muss.

Nach allem, was sich abzeichnet, sind die Kinder die Verlierer dieses Kampfes, weil ihnen die Entwicklung dieses Urvertrauens als unverzichtbare Voraussetzung einer gelingenden Existenz durch das Diktat des Arbeitsmarktes in der heutigen Zeit deutlich erschwert wird. Ohne den intensiven Kontakt zur Mutter wird den sog. Krippenkindern nach Warnung von Psychologen schwere Schäden zugefügt. Die sich in der späteren Entwicklung mit vermehrter Wahrscheinlichkeit einstellenden Bindungsprobleme bei der Beziehungsaufnahme bergen einen volkswirtschaftlichen Schaden, der heute noch gar nicht richtig zu ermessen ist.

Der Kampf um die Urbeziehung bildet sich auch in der religiösen Sphäre ab. In der biblischen Tradition ist Vertrauen das Thema schlechthin. Es geht hier mit der Frage nach dem Glauben um das unbedingt Vertrauenswürdige unserer Existenz. Es geht um den Belastungstest unserer Fundamente: Was trägt mich wirklich? Worauf kann ich mich unbedingt verlassen? Was hat wirklich Wert? - Die Bibel „steht“ dabei nicht auf Münchhausiaden a la „Ich vertrau auf mich selbst…“ Die Sache mit dem Zopf hält sie pessimistisch für eine haarige Angelegenheit, die den Verbleib im Sumpf auf ewig zementiert. Als belastbarer erweist sich nach Erfahrung der Alten der Rückgriff auf externe Hilfe. Unsere Zögerlichkeit in diesen Dingen heute ist eigentlich seltsam: Vielleicht war der Blick nach außen damals deshalb so einhellig, weil man in einer vor-narzissistischen Gesellschaft lebte und noch dazu wenig Rücksicht auf kurzatmige Legislaturperioden und rückkopplungssensible Medien nehmen musste. So erklärte man die Hilfe zur Chefsache und sprach den an, der schon einmal das Chaos zum Kosmos geformt hatte.

Diesen Weg gehen derzeit laut einer Pew-Umfrage ca 85 % der Weltbevölkerung, die statistisch gesehen an die Existenz eines höheren Wesens glauben. Sie lassen sich den Masterplan für ihr Leben durch den geben, der als Schöpfer des Universums die nötige Kompetenz für eine so verantwortungsvolle Aufgabe hat. Wenn schon, denn schon… Man lässt sich ja auch sonst im Leben nicht von jedem Dahergelaufenen coachen. Expertise muss schon sein! Bei wichtigen Entscheidungen braucht man belastbare Informationen und ein Gegenüber, dem man vertrauen kann. Am besten man vereinbart erst einmal ein persönliches Gespräch und lernt sich kennen. So hat Gott das auch gemacht. Er kam vorbei. Einige der „Gesprächsprotokolle“ werden hier kommentiert. Die sind belastbar. Darauf können sie Gott festnageln. Gute Nachrichten, eben „Evangelium“ für alle, die auf der Suche nach einer belastbaren Lebensgrundlage sind.

A. Warm-up: Auf der Suche nach Glück (Joh 4,5-24)

Da kam Jesus in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab. Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde. Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen.

Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. - Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und der gäbe dir lebendiges Wasser. Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt. Spricht die Frau zu ihm: Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht herkommen muss, um zu schöpfen!

Jesus spricht zu ihr: Geh hin, ruf deinen Mann und komm wieder her! Die Frau antwortete und sprach zu ihm: Ich habe keinen Mann. Jesus spricht zu ihr: Du hast recht geantwortet: Ich habe keinen Mann. Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; das hast du recht gesagt.

Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.

Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.

Es geschah „am Brunnen vor dem Tore“, damals in der Mittagshitze Palästinas, als der Fremde mit der Samaritanerin über alltägliche Fragen ins Gespräch kommt. Unversehens findet man sich in einem Gespräch wieder, in dem die Routine des Alltagsschwätzchens nicht mehr greift, ja, in dem es urplötzlich um alles geht. Um Sehnsüchte, um den Verlauf von Biographien, um Glück.

Lassen wir uns nicht vom Ambiente täuschen: Eine solche Geschichte könnte auch gut in unserer Stadt passieren: Im Mediamarkt vor den Regalen mit den Plasma-Monitoren. Im Wartezimmer beim Arzt. Im Chat auf einer Dating-Website. Oder auf der Baustelle für das lang ersehnte Eigenheim. Überall könnte es passieren, dass der geheimnisvolle Fremde auftaucht und die Sorte von Gespräch anfängt, die uns dazu bewegt, unser Leben neu zu vermessen, neu darüber nachzudenken, in welche Richtung unser Leben eigentlich gerade läuft. Lassen wir uns durch Wasserplätschern und Holzeimer nicht blenden: Die Frau repräsentiert uns. Durst hat sie. Das Leben dreht sich nun einmal um derlei Dinge. Es will gemeistert werden. Und wenn man sich die ganze Sache ein wenig erleichtern könnte, wär’s doch eigentlich ganz dufte. Lebendiges Wasser? Mit anderen Worten: Quellwasser statt abgestandene Brühe. Wunderbar, her damit! Nicht mehr den Eimer mühsam aus dem tiefen Schlammloch hochziehen müssen. Das Leben ein wenig angenehmer gestalten. Endlich Schluss mit Schweiß und Nervereien. Genauso träumt der Fußgänger heute vom Auto, der Mieter von den eigenen vier Wänden und der Angestellte von der Verbeamtung. Also: Nichts neues unter der heißen Mittagssonne. Jeder hat so seinen eigenen inneren Fahrplan, von dem er glaubt: Wenn ich das noch hätte, dann liefe mein Leben richtig rund. Dann bin ich komplett. Dann kann ich endlich glücklich sein.

Das Leben ein wenig angenehmer gestalten. Endlich Schluss mit Schweiß und Nervereien.

Um genau dieses Glück geht es nun in dem Gespräch mit Jesus. Was ist das eigentlich: „Glück?“ Und wie komme ich dazu? – Jesus hat darauf eine Antwort: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und der gäbe dir lebendiges Wasser. Jesus deutet an, dass es etwas gibt im Leben, was als Geschenk erkannt und angenommen werden will. Außerdem: Dass dieser Sachverhalt mit seiner Person zusammenhängt. Die Tür zum Glück steht also ganz weit offen. Worum es geht, ist der Glaube! Doch dazu kommt es erst einmal nicht. Die Frau verfällt nämlich nun auf eine Verhaltensweise, die unseren Strategien von Lebensbewältigung verdammt ähnlich ist, und sie trotz Holzeimer als moderne Frau ausweist. Das Wort „verdammt“ ist übrigens durchaus wörtlich zu nehmen: Statt in die Gegenwart des Glücks zu treten, legt sie Verhaltensweisen an den Tag, die dazu geeignet erscheinen, sich weitest möglich vom Glück zu trennen! Es sind jene Strategien, die zu ihrem (und unserem!) Alltag so selbstverständlich dazugehören wie das Atmen: Es geht um Selbstbestimmung, Bedürfnisbefriedigung und Techniken, um diese zu erreichen. Sie sollen die Steigbügelhalter zum Glück sein und wirken doch unweigerlich als Sargnägel zur Stabilisierung des Unglücks.

Jesu Angebot, der Frau etwas zu schenken, das in der Beziehung zu seiner Person ergriffen wird, löst in der ganzen Art, wie sich die Frau dieser rätselhaften Wirklichkeit nähert, nur Fragezeichen aus. Diese Wahrheit ist ihr ganz und gar verborgen. Und so reagiert sie, wie man eben dem Fremden und Rätselhaften gegenüber reagiert. Sie mauert erst einmal. Sie schützt ihre Person gegenüber dem Fremden. Sie grenzt sich ab und sagt: „Hör mal, was haben wir zwei eigentlich miteinander zu schaffen? Zwischen uns ist eine ganz klare Trennlinie. Jeder muss für sich sein eigenes Glück finden.“ Was hier zwischen zwei Volksgruppen, zwischen Samaritanern und Juden abläuft, kennen wir auch zwischen unterschiedlichen Alters-, Bevölkerungs- und Milieugruppen. Und wir kennen es insbesondere im Bezug auf Gott und den Menschen: „Gott ist im Himmel und du auf der Erde.“ Dieser Satz wird jetzt verstanden als die Parole der großen Trennung: Jeder macht sein eigenes Ding!

Lebensglück ist eine Sache, die der selbstbestimmte, auf sich gestellte Mensch von sich aus nicht mit Gott in Verbindung brächte. Stattdessen sucht man fieberhaft, wie durch Eigeninitiative die Voraussetzungen geschafft werden, dass sich Glück einstellt. Ursache und Ziel dieser Bewegung zum Glück liegen, so denkt der Mensch, in einem selbst. Die Ursache dieser Bewegung sind die Bedürfnisse, die wir haben, der Lebensdurst, der uns nicht stillstehen, der uns nach Befriedigung, nach Stillung streben lässt und all die Dinge verbannen möchte, die einer möglichst effizienten Bedürfnisbefriedigung entgegenstehen. Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht herkommen muss, um zu schöpfen! So soll der Zug zum Glück ins Rollen kommen. Und die Frau meint das ganz ehrlich: Wenn ich erst einmal nicht mehr den beschwerlichen Gang zum Brunnen machen muss… Wenn ich nicht mehr zu Fuß zur Schule gehen brauche… Wenn ich nicht mehr allein bin, sondern einen Partner habe… Wenn ich erst mein Haus gebaut habe und nicht mehr von Vermietern abhängig bin…

Lebensglück ist eine Sache, die der selbstbestimmte, auf sich gestellte Mensch von sich aus nicht mit Gott in Verbindung brächte.

All diesen Plänen zum Glück wohnen im Grunde die gleichen Voraussetzungen inne:

1. Ich bin meines Glückes Schmied

2. Es geht um die Befriedigung punktueller Bedürfnisse und

3. Das Glück ist durch eine von mir selbst beherrschbare Verfahrensweise realisierbar. Wir nennen das „Technik“. Wir haben alles im Griff. Alles unterliegt unserem Zugriff.

Darum auch die Unruhe der Frau: Wie macht man das mit dem Wasser? Welche Technik steht dahinter? Herr, hast du doch nichts, womit

du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? Die Technik sichert die ersten beiden vermeintlichen Glücksstrategien ab: Ich bin meines Glückes Schmied. Ich befriedige meine Bedürfnisse. Nun gib mir noch schnell die dazu nötige Technik an die Hand, die Methode, die es mir autonomen, selbstbestimmten Menschen möglich macht, alles unter Kontrolle zu bekommen, mein Glück selbstständig zu verwirklichen.

Das menschliche Glücksprogramm scheint irgendwie, durch einen verborgenen Virus korrumpiert, schlussendlich zum Absturz führen zu müssen.

Merken Sie, wie man in dieser Konstellation, wenn man sie einmal von außen betrachtet, unwillkürlich Platzangst bekommt? Auf der einen Seite Jesus mit der weit ausgestreckten Hand, in der das Geschenk Gottes liegt. Das Beziehungsangebot: Alles, was ich habe und bin, gebe ich für dich. Ich bin für dich da! Vertrau mir! – Und auf der anderen Seite dieser hektisch hortende Mensch, dieses klaustrophobisch in sich selbst verkrümmte und abgeschottete Wesen, das zwanghaft aus sich selbst leben will, statt sich der Quelle des Lebens anzuvertrauen. Der ständig seine Bedürfnisse meditiert und nach Techniken sucht, um sie zu befriedigen. Was für ein irres Bild, zumal es ständig untermalt ist von dem selbstgewissen Ruf: „Ich gehe geradewegs zu auf mein Glück. Und ich habe alles unter Kontrolle.“

Dieses Bild ist grotesk. Es ist düster. Die Situation ist völlig verquer. Das menschliche Glücksprogramm scheint irgendwie, durch einen verborgenen Virus korrumpiert, schlussendlich zum Absturz führen zu müssen. Und noch im Absturz ruft der autonome Mensch: „Ich habe alles unter Kontrolle.“ – Das ist wahre Dunkelheit. Hier fährt der Karren ungebremst vor die Wand!

Aber nun: Drei Worte, die die Situation kippen lassen: „Ruf deinen Mann!“ Drei Worte, die die ganze Illusion vom selbstbestimmten, kontrollierten, auf Bedürfnisbefriedigung zielenden Leben zerplatzen lassen, wie eine Seifenblase. Jesus stellt manchmal Fragen, die wirken wie ein gezielter Schuss beim Schiffe versenken. Sie heben die gesamte Statik einer Lebenskonzeption aus den Angeln: Schuss – Treffer – versenkt! Jesus bringt die verborgene Wahrheit ans Licht: Es ist nicht so weit her mit der Kontrolle. Es klappt nicht so reibungslos mit der Bedürfnisbefriedigung. Das Konzept vom Menschen als Steuermann auf seiner eigenen Reise zum Glück lässt sichtbare Risse erkennbar werden.

Fünf Männer hast du gehabt… Fünf Männer, die alle sicher ursprünglich als Weg zum Glück gedacht waren. Jede dieser Beziehung wurde in dem Enthusiasmus gestartet, dass der es nun endlich sei. Jeder als Indiz für den unstillbaren Lebensdurst, jene Sehnsucht nach Zuhause: Angenommen sein, geliebt werden. Und nun stehen sie da, als großes Mahnmahl des Scheiterns. Dieser unerfüllten Sehnsucht nach Beziehung. Enttäuschung über das Leben selbst. Sie bilden eine lange Kette, gemeinsam zeugend für die Zerbrechlichkeit der persönlichen Existenz.

Fünf Männer hast du gehabt… – Ich frage Dich: Was sind Deine „fünf Männer“? Sind es die fünf geschönten Einkommensteuererklärungen, durch die das zusätzliche Geld „erwirtschaftet“ wurde, um das Leben noch ein bisschen angenehmer zu gestalten? Sind es jene fünf Unaufrichtigkeiten, die zu dem Karrierevorteil führen sollten, weil diese Dich gegenüber Deinen Kollegen um das eine Quäntchen besser dastehen lassen? Oder reden wir hier von den fünf Lästereien in der Mensa neulich, mit denen wir unser Image, freilich auf Kosten der Kommilitonen, so nachhaltig verbessern konnten? Jesus erkennt den Lebensdurst auch hier: den Wunsch nach Beziehungen, der Wunsch etwas zu gelten vor den anderen. Und Jesus wendet sich nicht etwa angewidert ab. Im Gegenteil:

Jesus stellt manchmal Fragen, die wie ein gezielter Schuss beim Schiffe versenken wirken.

Er nimmt das sehr ernst. Er kennt die Bedürfnisse der Menschen. Er kennt den Lebensdurst. Er weiß um unsere verborgenen, auch unterbewussten Wünsche. Und er weiß auch um unsere langen, verzweifelten und vergeblichen Anstrengungen nach der Stillung dieses Lebensdurstes.

Und er bringt es ans Licht mit all dem Versagen. Nicht, um daraus eine sensationelle Enthüllungsgeschichte zu machen, damit alle hinterher mit Fingern auf dich zeigen und sagen: „Du bist ja ne Sau…“ Nein, er bringt es ans Licht, um Wahrheit in unsere kaputten Beziehungen zu bringen, um uns zu zeigen: „Schau, ich verstehe Deinen Lebensdurst. Aber so, wie du diesem Durst nachgehst, wird das nichts. Ich will dir helfen. Ich will mit dir sein. In einer Beziehung zu mir kannst du der werden, als der du von deinem Schöpfer erdacht worden bist. Glaube mir! Ich heile deine Beziehungen. Ich schenke dir einen Blick, der Menschen nicht länger als Verbrauchsmaterial sieht, als Mittel zum Zweck, als Verfügungsmasse für deine Bedürfnisbefriedigung, für deinen Erfolg, für deinen guten Ruf.“ – Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘, du bätest ihn, und der gäbe dir lebendiges Wasser.

In Jesus ist das Geheimnis der Beziehung zwischen Gott und Mensch aufbewahrt. Er ist der Gott-Mensch, der Immanuel, der „Gott-mit-uns“.

Glück kann man nicht herbei manipulieren. Man kann sich des Glücks nicht bemächtigen. Es eröffnet sich selbst wie eine Blume. Es schenkt sich uns als eine Gabe, die wir aus Gottes Hand wie ein Kind empfangen müssen. „Unser tägliches Brot gib uns heute…“ In diesem Satz steckt eine ganze Haltung zum Leben. Wir plündern diese Erde nicht aus. Wir nehmen uns nicht als die Herrenmenschen, was wir können. Wir konsumieren nicht. Sondern wir empfangen aus Gottes Hand die Gaben, die er uns gibt. Die Dinge zum Leben. Auch die Menschen, die uns anvertraut sind. Unseren Beruf, den wir als Berufung Gottes verstehen. Die Bildung, die wir in der Schule empfangen und die dem Ziel dient, zu Seinem Ebenbild gestaltet zu werden. Wenn wir die Gaben aus Gottes Hand nehmen, wenn wir uns von ihm beschenken lassen, dann wächst die Beziehung, auf die Jesus die Samaritanerin hier hinweist: In Jesus ist das Geheimnis der Beziehung zwischen Gott und Mensch aufbewahrt. Er ist der Gott-Mensch, der Immanuel, der „Gottmit-uns“.

Wo wir die Dinge unseres Lebens dankbar aus Gottes Hand nehmen, da wächst das Bewusstsein und die Gewissheit, dass wir Geschöpfe Gottes sind und nicht selbst Götter, die Leben und Glück hervorbringen müssen. Wir verdanken unser Leben einem anderen und tun gut daran, mit ihm verbunden zu bleiben, ihm „zu glauben“, wie die biblischen Texte formulieren. Bewusst als Geschöpf zu leben bedeutet, dankbar und offen zu sein für das, was wir von Gott empfangen.

Diese Offenheit ist die Haltung des Glaubens: Ihr korrespondiert das aufnahmebereite Herz, die Achtsamkeit des Geistes, die hörenden Ohren und die geöffneten, zum Empfang bereiten Handflächen. Mit ihnen schöpfen wir aus der Quelle des lebendigen Wassers, dessen Strom sich zum Meer des ewigen Lebens hin weitet. Dann erkennen wir, dass ein anderer für uns sorgt, und dass er unser Leben auf eine Weise erfüllt, wie wir das nie könnten: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin 's, der mit dir redet. - Vielleicht ist es Zeit, ihm jetzt zu antworten.

B: Gruppen-Workout

Alle Menschen haben „Durst“ nach Leben. - Denkt über die verschiedenen Wege dahin nach, und wie sich das in unserem Umfeld bemerkbar macht!

Welche Strategien entwickelt die Frau in unserer Geschichte?

Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘, du bätest ihn…“ Jesus verknüpft unseren Lebensdurst mit seiner Person und verspricht ihn zu löschen. Wie das?

Was könnte der Grund sein, dass Jesus ausgerechnet die „Beziehungskisten“ der Samaritanerin anspricht?

So, wie die 5 Männerbeziehungen für die (missglückte) Suche der Frau nach Glück stehen, so haben auch wir vermutlich Enttäuschungen erlebt, wo unser Plan vom gelungenen Leben letztendlich nicht tragfähig bzw. der Durst blieb. Magst Du davon berichten?

C. Isotonisches zur Wegzehrung

1. Glaube leistet sich kindliche Lebenszuversicht (Mk 9,33-37)

Willkommen in der Leistungsgesellschaft! Das bekommt auch Jesus zu spüren, als er seine Nachfolger auf seinen Weg ins Leiden vorbereiten will. Die Jünger verstehen ihn überhaupt nicht. Die Leistungsgesellschaft ist taub für Ohnmacht und Leiden. Sie ist nicht zufällig erstaunlich inkompetent für die Belange des Menschen am Anfang und Ende seines Lebens. Die Ohnmacht des Alters möchte sie deshalb gerne mit milder Spritze entsorgen. Und auch die Kinder unterliegen als künftige „Human Resources“ für den Arbeitsmarkt den Ökonomierungsmechanismen einer leistungsorientierten Politik.

Welchen Code nutzt du, um das Muster des Lebens zu entschlüsseln?

Folgerichtig diskutieren die Jünger in dem Paradigma, das die Leistungsgesellschaft vorgibt: Wer hat am meisten zu bieten? Wer ist der Größte? Wer hat die meisten Kapazitäten, in diesem Schema seine Vitalität auszubreiten?

Es geht bei dem Gegensatz zwischen Jesus und seinen Jüngern um nicht mehr und nicht weniger, als um das, was das Leben eigentlich ausmacht und nach welchen Spielregeln es funktioniert. Die zugrunde liegende Regel ist das, was die Bibel Glauben nennt: Worauf verlässt du dich? Welchen Code nutzt du, um das Muster des Lebens zu entschlüsseln?

Um den Gegensatz zu veranschaulichen und seine Überzeugung zu verdeutlichen, stellt Jesus ein Kind in ihre Mitte. Denn: Das Kind ist in all seiner Zerbrechlichkeit doch ein Bollwerk gegen jede Leistungs- und Anspruchsmentalität. Es hat keinerlei besondere Fähigkeiten, Qualitäten oder Expertise und doch gleichzeitig die im Sinne des Leistungsgedankens befremdliche „Fähigkeit“, jederzeit in dem Gefühl zu leben, von jedermann angenommen zu sein. Der Papa mag sich gerade mit Kanzlerin, Wirtschaftsweisen und der Fußballnationalmannschaft zusammen im wichtigsten Meeting der Welt befinden. Völlig egal! Der Sohnemann wird reinkommen und fragen, ob er ihm die Jacke zumacht. Und wenn die Kanzlerin eine komische Frisur hat - der Kleine wird keine Sekunde zögern, sie darauf anzusprechen. Statusfragen? Völlig uninteressant! Mit Rotznase vor so wichtigen Leuten? „Ei, warum denn nicht?! Irgendeiner von denen wird sie mir schon abwischen…“

Das Kind lebt in einem anderen Paradigma. Es deutet die Welt ganz anders. Und wenn Jesus den Jüngern sagt, dass sie die Kinder in ihre Welt, auch ihre Denkwelt aufnehmen sollen, dann wird bei den Jüngern der Groschen fallen: „Wir haben ja auch einmal in dieser Freiheit gelebt. Wir waren ja auch einmal frei von diesem Denken, dass man sich sein Leben und seine Stellung erst verdienen muss, und dass man angeblich solange an seinen Defiziten und all dem Unfertigen leiden wird, bis es ausgemerzt ist.“

Das Credo: „Ich leiste, also bin ich“ ist ein Erwachsencredo. Es führt nicht zum Leben, sondern allenfalls in den Hitzetod, ins „Burnout“.

Und zu glauben, bedeutet dann, zu merken, dass wir wieder der werden können, der wir ursprünglich eigentlich sind. Nicht leistungsfeindlich, das ist das Kind ja auch nicht. Es freut sich ja, wenn sein Turm nicht einstürzt und es ihn heute höher gebaut hat als jemals zuvor. Aber es kommt nicht auf den tödlichen Gedanken, die erbrachte oder nicht erbrachte Leistung mit dem Wert seiner Person in Verbindung zu bringen. Das Credo: „Ich leiste, also bin ich“ ist ein Erwachsencredo. Es führt nicht zum Leben, sondern allenfalls in den Hitzetod, ins „Burnout“.

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr das Reich Gottes nicht erben, sagt Jesus an anderer Stelle. Leistungs- und Verdienstmentalität sind keine (Er-)Lösungsstrategien. Sie lösen nicht die Frage, die der menschlichen Existenz gestellt ist. Leben gelingt nur da, wo Menschen sich dem Widerfahrnis des Lebens in dem Vertrauen öffnen, dass darin eine wohlwollende Wirkkraft begegnet. Diese nennen religiöse Menschen „Gott“.

Uns fehlt der Glaubensmut der Kinder! Kinder haben die Fähigkeit, sich selbstverständlich lieben zu lassen. Darin sind sie uns Vorbild.

Die Schwierigkeit besteht nun aber darin, dass wir uns durch Enttäuschungen und Verletzungen hindurch angewöhnt haben, das verlorene Vertrauen in das Leben zu ersetzen durch Weltklugheit, sog. Nüchternheit, im schlimmsten Fall Zynismus. Damit reagieren wir aber nur auf eine Verschleißerscheinung, kompensieren eine verlorene Fähigkeit: Uns allen erlebten Widrigkeiten zum Trotz dem Geheimnis des Lebens anzuvertrauen, das uns liebend begegnet.

Uns fehlt der Glaubensmut der Kinder! Kinder haben die Fähigkeit, sich selbstverständlich lieben zu lassen. Darin sind sie uns Vorbild. Das Kind spottet dem Grunddogma dieser Welt: Ich bin, wenn ich erfolgreich bin.

Der Lebensstil Jesu entspricht diesem kindlichen Paradigma: Ich bin geliebt, also bin ich. Aus dieser Freiheit entspringt die Kraft der Hingabe, die Jesus in die Passion führen wird, die ihn aber deshalb nicht abschreckt, weil er sich als Kind seines Vaters im Himmel weiß, der sein Leben trägt und erhält - selbst an der Grenze des Todes, die nur nach menschlichem Ermessen nicht überschritten werden kann. In dieser Kindschaft liegt das ganze Geheimnis wahrhaft erwachsenen Glaubens: Nur wer sich ohne eigene Leistungen bei Gott angenommen weiß, ist im wirklichen Leben angekommen, wie es aus Gott entspringt. Das „Reich Gottes“ entspricht diesem Masterplan des Lebens. Und wer aus der Liebe lebt, statt durch Leistung dem Leben etwas abringen zu wollen, der wird für diese ursprüngliche Bestimmung des Lebens sozusagen „resozialisiert, in der man in kindlicher Lebenszuversicht an den Vater „glaubt“ und darauf vertraut, dass das Leben so gelingen wird.

2. Glaube erwächst aus einer begründeten Hoffnung (Mt 14,22-34)

Wenn man mit Menschen spricht, die dem Glauben gegenüber zwar aufgeschlossen sind, aber bisher keinen Zugang dazu gefunden haben, sagen die nicht selten: „Das ist schon beneidenswert, wenn man solch einen inneren Kompass hat und sich von einer größeren Wirklichkeit getragen weiß. Aber ich kann das nicht. Mir fehlt da der Zugang…“ Die vorliegende Episode zeigt allerdings, dass sogar die Jünger, also die Gemeinschaft der Gläubigen, diesen Glauben anscheinend nicht ein für alle Mal und zu allen Zeiten hat, das sie nicht immer glauben kann. Vielmehr zeigt sich die Kirche hier als ein auf dem Meer des Lebens orientierungslos und führungslos dahintreibendes Gebilde. Glaube ist offensichtlich keine Eigenschaft, die man erwirbt, die dann wie ein Seelenschutzbrief bei jedem erdenklichen Lebenscrash einzulösen wäre. Vielmehr gibt es Stationen des Übergangs, wo auch erprobte Christen Nächte der Gottvergessenheit zu durchstehen haben, wo alles fraglich und zwielichtig wird, wo der Boden unter den Füßen gleichsam weggezogen ist. Da gibt es anscheinend auch kein „Vorratsglaubenspeicherung“. Das erfahrungsgesättigte Hochgefühl nach der Speisung der Fünftausend muss im Gegenteil eine erstaunlich geringe Halbwertzeit besessen haben. Wir bunkern den Glauben nicht. Es gibt ihn nur frisch in der Gottesbegegnung, nicht aus der Konserve. Er muss sich uns neu erschließen, indem ER sich erschließt. ER, der nicht zufällig im Zwielicht der Morgendämmerung erscheint. ER, der durch sein Erscheinen den Adrenalinpegel erst einmal hochschnellen lässt. Das Leben scheint nicht nur stürmisch-schwierig. Es scheint auch auf Vernichtung aus. Die Angst wächst sich zur Existenz-, ja zur Todesangst aus. Momente des Übergangs bringen Krisen mit sich, die manchmal mit ungeahnter Wucht Themen nach oben spülen, die man vorher für längst erledigte Geschäfte gehalten haben mag.

Wir bunkern den Glauben nicht. Es gibt ihn nur frisch in der Gottesbegegnung, nicht aus der Konserve.

Ich bin’s! Das ist der Wendepunkt. An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen einer grundsätzlichen Überzeugung hinsichtlich einer allgemein bestehenden Zähmung dieser Welt durch göttliche Mächte einerseits und einem wirklich lebendigen Glauben andererseits offensichtlich: Da gibt es keine richtige Einstellung mehr, ein „Gestell“, das mich halten würde. Nein, hier hält nichts mehr, hier ist kein „Grund“ zu glauben, das Schicksal ist schlechthin nicht mehr zu fassen. Aber das Unfassbare fasst plötzlich mich! Es streckt seine Hand aus und fasst, hält mich. Ich bin gehalten. Es gibt einen Grund in aller Bodenlosigkeit: Der „Ich bin“, der schon im Alten Testament die Väter ansprach, die dann zu Vätern des Glaubens wurden. Er ist der Grund unter meiner Bodenlosigkeit.

Wir sehen unsere geringen Möglichkeiten, unsere Beschränkungen. Und schwupps, liegen wir auf der Nase.

Nicht permanent, auch nicht sofort. Nicht als Programm. Nicht kampagnenfähig. Der Petrus, der neuen Glaubensmut fasst, muss auch erst wieder untergehen, muss dann mit Jesus ins Boot finden, bis sich die Furcht in Ehrfurcht wandelt und der Friede eintritt, der höher ist als alle Vernunft, stärker als alle Todesangst und Zerstörungsmächte, die zu zermalmen drohen. Und es wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Petrus fällt. Ja, wir wissen, dass ihm sein größter Fall biographisch noch bevorsteht. Mit Petrus steht uns der exemplarisch Glaubende vor Augen. Mal schauen wir auf Jesus und tun auch Glaubensschritte. Vielleicht denken wir auch: Jetzt hab ich’s! Dann aber sinkt der Blick. Wir sehen unsere geringen Möglichkeiten, unsere Beschränkungen. Und schwupps, liegen wir auf der Nase, zweifeln, fragen uns vielleicht, ob wir je ernsthaft geglaubt haben.

Aber zwischen den anrollenden Wellenbergen, wo man sich mal oben auf, mal ganz unten findet, steht plötzlich Jesus und schenkt mit seiner Anwesenheit die Geborgenheit, die allen Schrecken übertrifft. Denn in seinem Wort ist der wirksam, der die Kompetenz zur Befriedung der Elemente hat. Die Jünger erkennen in ihm den Schöpfer, der am Anfang die Chaosmächte bezwang und den geordneten Kosmos ins Sein ruft. - Er tat dies vor Anfang der Zeit durch sein Wort. Dasselbe Wort ergeht auch auf dem See. Und es ist heute wirksam, wenn der Boden unter den Füßen wankt und Menschen Gott wie damals Petrus um Hilfe anrufen: „Herr, hilf mir!“ Unter Gottes Wort legt sich der Sturm und das Lebensboot nimmt wieder Kurs zum Leben auf. Vermutlich wird es nicht der letzte Sturm gewesen sein. Die nächste Herausforderung kommt bestimmt und das Leben wird nicht leichter - oder gar angenehmer - durch den Glauben.

Aber es entwickelt sich ein Qualitätsbewusstsein dafür, was es bedeutet, einen guten Steuermann mit an Bord zu haben. Er ist da, wenn es drauf ankommt. Er bestimmt die Richtung. Er führt sicher ans Ziel. Seine Gegenwart ist überhaupt lebensentscheidend. Biographisch führt das in der Folge sukzessive zu einem Steuerungswechsel auf der Kommandobrücke. Es wird ein anderes Geschäftsmodell gefahren: Es ist das Ende der Ich-AG nach dem Motto des selbstsicheren Credos „Ich habe ja meinen Glauben“, oder auch in der säkularen Variante: „Ich glaube an mich“. Vergiss es! Beides wird im Sturm des Lebens untergehen. Wer aber Jesus als den „Gott mit uns“ ins Boot holt, wird teil einer GmbH, einer „Gemeinschaft mit einer begründeten Hoffnung“ auf Erreichung des Lebenszieles. Sie segelt unter der Flagge „Fürchtet euch nicht“ - auch, wenn es im Leben zuweilen gespenstisch zugeht.

3. Glaube weiß sich gehalten (Mk 2,1-12)

Als die vier Männer seine Liegeunterlage ergriffen und ihm entschlossen erklärten, sie brächten ihn jetzt zu einem, der ihm helfen kann, wusste der Gelähmte, dass er Freunde hatte, an die er glauben konnte. Und obwohl er in einer Zeit lebte, in der es keinerlei staatliche Sozialsysteme gab, die ihm medizinische Hilfe ermöglichten, hatte er persönlich in seinen Freunden ein „Sozialsystem“, das trug. Das ist Glauben: Wissen, dass mich einer trägt. Das ich gehalten bin und trotz allem Leid nicht ins Bodenlose falle. In solchen Situationen merken wir: Niemand lebt für sich allein. Menschsein bedeutet immer auch, von anderen abhängig zu sein, bedürftig zu sein. Individualismus ist eine Schönwetter-Erscheinung. In der Krise trägt nur die Beziehung. Und dann brauchen wir Menschen, deren Hand wir ergreifen können und die uns, wenn nötig, sogar tragen. Und wir „glauben“ an diejenigen, die unserem Leben merklich Stabilität verleihen, die uns halten, wenn wir fallen oder das Leben uns gar so gelähmt hat, dass wir es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen.

Der Gelähmte glaubt an seine Freunde. Die Freunde wiederum glauben an Jesus. Er kann helfen, sagen sie. Er kann heilen. Er bringt Dinge wieder zurecht. Ob man das glauben kann? - Der erste Eindruck spricht nicht dafür. Die Leute um ihn herum versperren den Weg. Die Gemeinde zeigt sich oft nicht als hilfreich, ja steht im Weg, wo Menschen den Weg zu Jesus suchen. „Wenn das Christsein ist, hoffe ich, es ist nicht ansteckend!“, hörte ich mal einen im Bezug auf eine Gemeindesituation sagen. Bitter, aber manchmal wahr. Zum Glauben einladende Gemeinden sind selten. Drängelnde Interessengemeinschaften im religiösen Postamt Kirche bestimmen leider allzuoft das Bild. Aber was soll’s! Um den Star des Abends zu sehen, muss es halt manchmal Backstage sein. Die Freunde sind zu allem entschlossen. Sie steigen Jesus aufs Dach. Viele Glaubensbiografien wissen von diesen entschlossenen, geradezu penetranten Freunden zu berichten. Und sie werden belohnt: Als sie das Dach aufreißen, öffnet sich auch über der Menge der Himmel. „Liebster Jesus, wir sind vier…“ Die wirkliche Gemeinde ist oft klein. Aber wirksam.

Sie lassen ihren Freund zu Jesus hinab. Es gibt Dinge, die überfordern den Menschen. Wir können eine Wegstrecke lang Begleiter sein und das Schicksal anderer mittragen. Aber Heilung, das Heil, sollte man nicht von uns erwarten: „Ich habe dich geheiratet, damit du mich glücklich machst.“ Ein fataler Satz. Wer so etwas von Menschen erwartet, überlastet sie, ja, macht sie zum Götzen. Man erwartet Gottgleiches von ihnen. Damit hat man die Lizenz zum Unglücklichsein schon in der Tasche. Die vier Jungs sind weiser. Sie kennen ihre Grenzen. Und sie vertrauen auf die grenzenlose Macht des Mannes, zu dessen Füßen die Bahre inzwischen angekommen ist: „Kobra, übernehmen Sie!“

Was lähmt unser Leben? Der Mangel an Mobilität? Der Mangel an Gesundheit? Der Mangel an sonstigen Ressourcen? Jesus sagt: „Nein. Eure Schuld lähmt Euch.“

Jetzt muss Jesus den Gelähmten tragen. Jetzt wird sich erweisen, ob man an ihn glauben kann. Wie das? - Ganz klar: Indem er geheilt wird! Aber was ist Heilung? Wie wird ein Mensch wieder ganz? „Hauptsache gesund?“ - Jesus votiert anders: Deine Sünden sind dir vergeben. First things first! Zuerst müssen die Dinge angegangen werden, die den Kern der Lähmung ausmachen. Was lähmt unser Leben? Der Mangel an Mobilität? Der Mangel an Gesundheit? Der Mangel an sonstigen Ressourcen? Jesus sagt: „Nein. Eure Schuld lähmt Euch, die wie Mehltau auf euren Beziehungen lastet.“ Jeder denkt nur an sich und sein Fortkommen. Und so stehen alle im Stau. Das Leben ist nicht mehr wie es ursprünglich gedacht ist. Die Umwelt-, Ehe- und Schuldenkrisen sind in Wahrheit Beziehungskrisen des Menschen, der - und das ist der Kern der Sünde - beziehungsunfähig geworden ist. Der Mensch hat seine Bestimmung zum Lieben verloren. Stattdessen ge- und missbraucht er alles, was ihm unter die Finger kommt. Und im persönlichen Bereich greift diese Beziehungslähmung auch um sich. Wieviel gelähmtes, ungelebtes Leben haben wir zu beklagen, weil wir aus Angst, zu kurz zu kommen, ständig mit Dingen beschäftigt sind, die uns daran hindern, uns auf den Weg zu unserer ureigenen Identität und Einmaligkeit aufzumachen und der zu werden, als der wir von Gott erdacht und erschaffen wurden? Nach dem Motto: „Ich bin eigentlich ganz anders. Ich komm nur so selten dazu…“

Kind, deine Sünden sind dir vergeben. Kind? Da liegt doch ein Erwachsener! Ja, aber einer, bei dem das Leben noch einmal neu beginnen kann, wie bei einem Kind. Wer bei Jesus in die Gegenwart Gottes tritt, dem wird die Last der Vergangenheit abgenommen. Die Last, das Leben alleine tragen zu müssen. Die Last, das Leben aus sich selbst hervorzubringen. Die Last auf sich genommener Schuld. Die Beziehung zu Gott, der Glaube, bringt Leichtigkeit ins Leben, auch dort, wo es eigentlich schwer ist, wo Krankheit und andere Bürden durchaus noch das Leben belasten. Glaube bedeutet: „Auch wenn es schwer ist: Ich bin gehalten. Ich muss mich nicht um alles sorgen. Es ist für mich gesorgt.“

Das ist so, wie wenn nach einer Flaute endlich wieder Wind das Segel füllt. Nach einer Zeit des Stillstandes nimmt das Boot wieder Fahrt auf und man ist stets aufs Neue überrascht, wie durch einen leichten Hauch ein tonnenschweres Boot in Bewegung gerät. - So überrascht, und noch dazu voller Freude wird der Gelähmte auch gewesen sein, als Jesus ihm sagt, dass es jetzt Zeit ist „zu gehen.“ Und zwar wörtlich! Wenn wir das Gelähmte in unserer Mitte durch alle menschliche Ohnmacht zu Jesus, in die Gegenwart Gottes bringen, dann macht er unserem Leben Beine. Dann kommen Dinge in Bewegung, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Aber wir müssen sie Jesus zu Füßen legen. Sonst bleiben wir gelähmt zurück wie die Schriftgelehrten. Sie glauben ihm nicht. Sie halten ihr Herz nicht der heilenden Kraft der Vergebung hin. Die Menge dagegen erkennt die Wirkmacht Gottes in diesem Geschehen und wird erfasst von der Freude und Leichtigkeit, die dem Glauben innewohnt.

Wenn wir das Gelähmte in unserer Mitte durch alle menschliche Ohnmacht zu Jesus, in die Gegenwart Gottes bringen, dann macht er unserem Leben Beine.

4. Glaube erschließt eine neue Sicht der Dinge (Mk 8,22-26)

Mit Blindheit geschlagen zu sein, ist kein Spaß. Eingeschränkte Teilhabe am Leben. Ständig ist es dunkel um einen. Der Gang bleibt unsicher. Wenn ein wesentlicher Wahrnehmungsaspekt von Wirklichkeit fehlt, ist das ein großer Verlust. Diese Einsicht hat Jesus bereits in der Geschichte zuvor seinen Jüngern zu vermitteln versucht. Denn sie traf der Urteilsspruch der Blindheit: Augen habt ihr und seht nicht, Ohren habt ihr und hört nicht. „Eure Sinne versagen gegenüber der Wirklichkeit Gottes! Ihr seid schon so lange mit mir unterwegs, aber nehmt Gott, der jederzeit durch mich wirkt, einfach nicht wahr.“ Wenn ihr glaubtet, wäre das anders. Der Glaube öffnet die Augen für die Wirklichkeit Gottes. Die Natur wird als Schöpfung erkennbar. Das Schicksal als Schickung eines mich liebenden Gottes. Die weglose Wüste des Alltags zu einem gangbaren Weg mit sich mehr und mehr abzeichnenden konkreten Zielen. Der Heilungsprozess hin zum sehenden Herzen – „Denn man sieht nur mit dem Herzen gut“, wie Antoine de Saint-Exupéry mit Recht sagt – braucht dabei erfahrungsgemäß Zeit. Die Schärfung der Optik für die Welt Gottes ist ein lebenslanger Lernweg, wie diese Heilungsgeschichte in ihren unterschiedlichen Stationen verdeutlicht.

Der Glaube öffnet die Augen für die Wirklichkeit Gottes.

1. Am Anfang des neuen Erkennens steht erst einmal das Verlassen des alten Standortes, des bisherigen Lebenszusammenhanges, um neues Sehen, Sehen in einem neuen Geist zu ermöglichen. Am Anfang eines Glaubenslebens stehen biographisch häufig Lebenskrisen, die neben all dem Tragischen aber eben auch das Gute an sich haben, dass sie Leben neu in Bewegung setzen. Nach dem Zerbruch des Alten müssen sich Dinge neu organisieren, neu finden. Im Bild gesprochen, zerbricht der alte Rahmen, der ja einen bestimmten Blick auf das Bild vorgegeben hat. Der ist nun weg, so dass die Möglichkeit zu neuen Perspektiven und einer neuen Sicht eröffnet ist. Wahrnehmung kann dann auch gedanklich mit neuer Freiheit verarbeitet werden, anstatt weiter den alten Begründungsmustern zugeordnet oder gar durch die Denkfiguren überkommener Ideologien vergewaltigt zu werden. So konnte beispielsweise Luther vom Windelnwaschen und den dabei auftretenden Gerüchen als „köstlichstes Gold und Edelsteine“ geradezu schwärmen, weil er darin etwas Gottgewolltes zu tun gewiss war, wogegen seine Zeitgenossen überzeugt waren, dass so etwas einem Mann zu verrichten unwürdig sei.

2. In einem zweiten Schritt wendet sich Jesus diesem Menschen ganz zu, was im Grunde gar kein zweiter Schritt ist, sondern die innere Sicht, die sich einem auftut, wenn man den äußeren Schritt raus aus dem Alten vollzogen hat! Es gehört nämlich zum Eigentümlichen geistlicher Wirklichkeitswahrnehmung, das das, was äußerlich als eine neue „Deutung“ von Wirklichkeit beschrieben wird, im persönlichen Erleben dessen, in dem der Glaube erwacht, als ein Überwältigt werden durch die Zuwendung Gottes erfahren wird. Gott wendet sich mir zu, er sieht mich an, berührt mich in meinem innersten Kern und mir erschließt sich dabei eine neue Wirklichkeit. Ich, der ich mich von Gott angesehen weiß, der ich nun Ansehen bei Gott habe, sehe nun meinerseits die Welt mit neuen Augen. Ich sehe sie wie in neues Licht getaucht, so als wenn nach einem trüben Winter die schon vergessene Sonne endlich wieder scheint.

3. Die Heilung des Blinden geschieht nun in einem Dreischritt, der verschiedene Aspekte der neuen Sicht auf die Wirklichkeit beschreibt. Zunächst ist von einem Aufblicken die Rede. Die Perspektive wendet sich nach oben. Die Dimension des Himmels bricht in das eigene Leben hinein. Es verdeutlichen sich auf einmal bisher nicht erkannte, sinnhafte, vertikale Strukturen, die in unsere Welt des Horizontal-immanenten Denkens hineinreichen und unsere Lebensentscheidungen daran neu ausrichten lassen. Das Aufblicken beinhaltet aber auch die Erfahrung überwundener Scham: Ich lasse mein Minderwertigkeitsgefühl zurück. Ich bin keine Laune der Natur, sondern ein von Gott geliebter Mensch, habe Ansehen bei ihm. Und alles schuldhafte Verhalten muss weichen unter seinem liebenden Blick. Es hat nicht die Macht, mich länger in der Dunkelheit zu halten. Fortan leiten mich seine Augen.

4. Es gehört zu den eigentümlichen Erfahrungen des Glaubens, dass der Weg zum wirklichen Sehen mit Nachbesserungen verbunden ist. Wir müssen uns von Gott immer mal wieder die Optik zurecht rücken lassen, müssen im Grunde lebenslang in seine Sehschule des Glaubens gehen, damit wir durchblicken, wie es dann auch bei dem Augenpatient von Jesus heißt. Überhaupt scheint die Schule des Glaubens dazu beizutragen, dass wir wieder zu Sinnen kommen. Paulus spricht davon, dass der Glaube aus dem Hören kommt und er fügt an, dass dieses Hören durch das Wort Gottes initiiert wird, das zu hören und zu lesen zu einer erheblichen Schärfung der Optik verhilft (vgl. Röm 10,17).

Die Heilung erweist sich dabei als ein umfassenderes Geschehen als die bloße Beseitigung von körperlichen bzw. psychischen Leiden.

5. Am Ende der glücklichen Heilung steht das Einsehen, die Einsicht. Das ist die Fähigkeit, die Wirklichkeit Gottes hinter den vordergründigen Geschehnissen unseres Alltags zu erkennen. Der Heilige Geist, der solche Einsicht ermöglicht, wirkt dabei also als eine Art Freischaltungsschlüssel, um die Handschrift des Schöpfers in allen Dingen wahrzunehmen. Die Heilung erweist sich dabei als ein umfassenderes Geschehen als die bloße Beseitigung von körperlichen bzw. psychischen Leiden. Beziehungen werden heil: Der Sehende erkennt nun seine Mitmenschen und kann mit ihnen in ganz neuer Weise in Kontakt treten und am Leben teilnehmen. Und die Heilung eröffnet darüber hinaus eine Perspektive auf die größere Wirklichkeit Gottes und eröffnet so die Möglichkeit zur Neuaufnahme der Beziehung zum Schöpfer dieses Universums. So leuchtet in dieser Heilung das Heil Gottes auf. Die Strukturen des Reiches Gottes verdeutlichen sich bei ihm, auch wenn er später wieder in seinem ganz normalen Dorf wohnen wird.

5. Glaube folgt einem speziellen Erkenntnisweg (Joh 7,14-16; 8,32-36)

Wie kommt eigentlich ein Mensch zu gesicherter Erkenntnis über Fragen des Glaubens? Wie können wir von Gott sprechen, ohne der Unsicherheit zu erliegen, dass alles vielleicht doch ganz anders ist? Oder ist es sogar so, wie viele heute sagen: „Das mit Gott muss jeder für sich selber wissen. Das ist hochgradig subjektiv. Nichts genaues weiß man nicht. Wir verlassen hier das Feld objektiv-belastbarer Rede. Und vermutlich werden alle Religionen sparsam gucken, wenn einmal der Vorhang fällt. Denn wer Gott, wenn es ihn denn gibt, dann wirklich ist, das gibt eine große Überraschung…“

Und wenn man das ganze nicht ohnehin für finstersten Aberglauben hält, dann traut man allenfalls der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der religiösen Überlieferung zu, hier Licht ins Dunkel zu bringen. So wird Jesus auch kritisch angefragt, mit welchem Recht er denn überhaupt meint, im Reden über Gott eine Lippe riskieren zu können, wo er doch nicht einmal eine anständige theologische Ausbildung hatte. Denn Wahrheitserkenntnis, so seine Gesprächspartner, stellt sich doch nur im wissenschaftlichen Diskurs mit der Überlieferung ein. „Erst einmal muss man eine ganze Menge Wissen erwerben, um dann, nach reiflicher Überlegung und Abwägung, dieser Lehre vielleicht etwas abzugewinnen.“

„So funktioniert das nicht“, sagt Jesus. Um die Heilige Schrift zu verstehen, ist eine intellektuelle Auseinandersetzung mit ihren Inhalten niemals hinreichend. Wirklich ver-standen hat sie nur, wer beim Vater steht. Das heißt: Zum Glauben kommt nicht der, der sich durch regelmäßige Zeitungs-Lektüre in den Dschungel der tausend Erwägungen, Thesen und (Verschwörungs-)Theorien begibt. Er kommt in der Gottesfrage nicht weiter. Nach Jesus ist es dagegen vielmehr das Hören und Tun, das jene Erkenntnis schenkt, die wirklich hilfreich ist. Ein Millimeter Gehorsam ist, pointiert gesprochen, erkenntnisreicher als tausend Kilometer Diskussion. Lernen und Verstehen wird dabei als ein ganzheitliches Geschehen verstanden, das dem nachahmenden Lernen der Kinder ähnelt, die ihre Eltern beobachten, sie kopieren und in diesem Kopieren als einem Verinnerlichungsprozess auch kapieren. Es reicht nicht, dass man sich kognitiv Inhalte aneignet, sich religiöse Texte quasi „in die Birne zieht“. Erkenntnis muss ganz andere Tiefenschichten im Menschen erreichen, muss aus dem Intellekt durch handelnde Aneignung zur Haltung werden, die unsere Überzeugungen durchwirkt. Erst dann kann sie als Glauben, als tiefes Vertrauen, den Grund unseres Herzens erreichen.

Das ist vielleicht die psychologische Dimension im Ansinnen des Didaktikers Jesus. Dazu kommt aber ein noch gewichtigerer Aspekt: Es ist das Wesen des Erkenntnisgegenstandes, das diesen Erkenntnisweg nötig macht! Es geht um die Natur, das Wesen des Wortes Gottes. Das ist von allem Anfang an Schöpferwort, kreatives Geschehen. Nicht Information über religiöse Phänomene, die wir zusammensetzen, damit ein Wissen über Gott entsteht. Sondern kreatives Geschehen, das sagt, was es tut und tut, was es sagt. Es bringt Dinge zur Existenz, die vorher nicht da waren. Es gehen Kraftwirkungen von ihm aus. Das wird im Schöpfungsgeschehen der Genesis deutlich. Aber auch bei den Jüngerberufungen und Heilungen Jesu. Jesus sagt etwas und es geschieht. Es wird in dem Moment Wirklichkeit. Menschen folgen nach. Sie werden geheilt. Der Sturm wird gestillt.

Hören und Tun gehören in der Bibel immer zusammen.

Dem Wort Gottes wird also anders entsprochen als der (akademischen) Lehre. Im universitären Denken stellt sich Wahrheit dadurch ein, dass Wissende im Diskurs ihren gemeinsamen Kenntnisraum erweitern. In der Begegnung mit Gottes Wort ist es hingegen so, dass im schöpferischen Wort Gott selbst als der Schöpfer hervortritt und an dem Angeredeten handelt. Er versetzt den, der wirklich hört, ins Tun. Der Hörer entspricht dem zu ihm sprechenden Gott durch hörenden Ge-hor-sam, durch hörendes Tun. Hier vollzieht sich (Neu-)schöpfung! Darum gehören Hören und Tun biblisch immer zusammen. Diese Verbindung nennt der Evangelist Johannes das „Bleiben“ in Jesu Wort. Es ist sozusagen die Inkubation des schöpferischen Geschehens, in das der Hörende wie in ein Kraftfeld hineingerät.

Das Innewerden, von dem Johannes spricht, das Gewinnen der inneren Überzeugung, dass in diesem Wort der Bibel sich nicht nur religiöse Überzeugungen niederschlagen, sondern Gott selbst sich verdeutlicht, geschieht dann nicht objektiv-distanziert, wie in einem naturwissenschaftlichen Versuchsaufbau. Sondern im „Hören und Tun“ werde ich selbst Teil eines lichtvollen Wahrheitsraumes, in dem sich die Wahrheit als Begegnung mit dem Ewigen ereignet. Nicht ich, der religiös Suchende, lege dann die Bibel objektiv aus, um etwas von Gott „zu wissen“ zu bekommen. Sondern ER selbst tritt mir entgegen, tritt sozusagen aus dem Wort heraus, wie der Schauspieler in dem Woody-Allen Film „Purple Rose of Cairo“ plötzlich eine Zuschauerin im Kino anredet und dann gar die Dimensionen von Film und Wirklichkeit durchbricht, in dem er aus der Leinwand in den Zuschauerraum tritt. So ist auch die metaphorische Wirkung der Bibel. Gott überschreitet durch ihre Metaphern (von griech. metaphorein = hindurchleuchten, überschreiten) die Schwelle hin in unsere Welt. Plötzlich leuchtet eine andere Wirklichkeit durch die unsrige hindurch wie ein Hologramm. Gott verdeutlicht sich. Er zeigt sich. „Offenbarung“ nennt das die Bibel. Im Wort Jesu redet der ewige Gott selbst, durchbricht Zeit und Ewigkeit, spricht schöpferisch in den Resonanzraum unseres Lebens hinein und verleiblicht sich schließlich in unserem Tun. Das Wort wird Fleisch im Gehorsam des Hörenden - und der erkennt, dass er es mit Gott zu tun hat. Das ist der eigentümliche Weg geistlichen Erkennens - das ist weit mehr als eine Kopfgeburt!

6. Glaube hat Beißerqualitäten (Mt 15, 21-27)

Oh je, ein Gott zum Kuscheln ist das nicht! Diese Geschichte ist befremdlich, zeigt uns einen Gott, wie er selten Eingang in die Poesiealben findet. Wieviel Fremdheit sind wir bereit, zuzulassen, wenn wir es mit Gott zu tun haben? Die Ausländerin, Verzeihung, die Frau „mit Migrationshintergrund“ akzeptiert eine ganze Menge Befremdlichkeit und ist bereit, über Grenzen zu gehen,

Was sind das für Kräfte, die an einem Menschen zerren? Sind das „die Umstände“…?

weil sie bereits in einer grenzwertigen Lage ist. Ihre Tochter (Wer könnte ihr normalerweise näher sein?) ist ihr krankheitsbedingt ganz fremd geworden. Wie durch eine andere Macht gesteuert wirkt sie, wie vielleicht die durch Demenz persönlichkeitsveränderte Oma. Sie ist nicht mehr sie selbst. Was helfen alle psychologischen Diagnosen. Alles Gerede von Stoffwechselveränderungen – und was da sonst noch erzählt wird. Das will man in so einer Situation alles gar nicht hören. Das hilft doch nix! Sie will ihr Kind zurück, das sie liebt und das ihr jetzt ins Unglück zu entgleiten droht. Was sind das für Kräfte, die an einem Menschen zerren, der vielleicht aus gutem Hause kommt, eine behütete Kindheit hatte, und nun völlig „auf den Hund gekommen“ ist? Sind das „die Umstände“… wie man dann hastig einwirft, oder trifft es die Rede vom bösen Geist eigentlich viel besser?

Dass Jesus sie tatsächlich auf diese Wirklichkeit hin ansprechen wird, ist für sie vermutlich nicht das schlimmste. Das Schlimmste wird in diesem Text bei all den vordergründigen Aufregern gern überlesen. Da heißt es: Und er antwortete ihr kein Wort. Ist das nicht furchtbar? Du rufst zu Gott und bist ganz eingekerkert in die kleine Zelle deines Leidens. Du weist nicht mehr, an wen du dich wenden sollst und schreist das Leid heraus zu Gott oder jedenfalls zu einer nebulösen Instanz, die jenseits der Grenze deiner bisherigen Erfahrung steht. Und dein Schreien verhallt einfach. Keine Antwort! Und er antwortete ihr kein Wort. „Warum Gott, wenn es dich denn gibt, antwortest du nicht?“ Wie oft wird dieses Gebet wohl gebetet worden sein? Wie oft wird es auf dieser schmerzgeschwängerten Welt wohl in diesem Moment gerade herausgeschrien? - Und Gott schweigt… Und die Dunkelheit in einer grauenvollen Nacht des Schmerzes bleibt.

Das Leben muss vorwärts gelebt werden. Dummerweise wird’s aber nur rückwärts verstanden.

Und dann sind da noch die Leute. Nein, es ist ja viel schlimmer: Es sind die Jünger. Die Gemeinde. Sie drängt diese Sucher durch ihre Attitüde noch ab: Lass sie gehen. „Komm, bedräng uns nicht. Wir sind so beschäftigt mit unserer religiösen Routine. Das stört uns nur.“ - Man muss das schon fragen: Stellt sich so die Kirche dar? Haben wir solche Grenzen aufgebaut, dass die ehrlichen Sucher nicht mehr reinkommen, weil sie die Insignien der In-Group nicht tragen: Nicht den Kirchenslang. Nicht den Habitus und die äußere Erscheinung der Mittelschicht? Wie hoch ist der unsichtbare Zaun vor unseren kirchlichen Veranstaltungen? Und wann sind wir schon mal jenseits des Zaunes unterwegs? In Sidon und Tyrus, in Freundeskreisen und Vereinen, Parteien und Initiativen, wo Menschen den christlichen Glauben lediglich für ein wirres Abenteuer halten und Sidon allenfalls als Rapper durchgeht?

Ich bin froh, dass wir biblische Geschichten vom Ende her anschauen können. Das geht mit dem Leben ja nicht. Das muss vorwärts gelebt werden. Dummerweise wird’s aber nur rückwärts verstanden. Vom Ende her ist das Schweigen eine Prüfung gewesen. Es ging wohl darum Geduld zu üben und weiter an Jesus festzuhalten. Glauben wird auch geprüft. In der Rückschau geht einem das manchmal auf. In der Situation hilft das allerdings nichts!

Warum Gott so etwas zulässt? Ich weiß es nicht. Irgendwann werde ich ihn fragen können. Bis dahin bleibt die Gewissheit, dass der, der mich liebt, mir nicht unnötig Knüppel zwischen die Beine werfen wird. Und dass er niemanden unnötig vor die Hunde gehen lässt. Gott weiß ja, wie es ausgeht. Jesus wusste, dass sich mit dieser Frau eine wirkliche Kämpfernatur unter die trägen Schafe Israels gemischt hatte. Ein „Schaf im Hundepelz“ sozusagen. Der Glaube hat wirkliche Beißerqualitäten. Das ist nichts für Weicheier. Was für eine Vitalität darinnen steckt! Die Frau traut gegen alle Widerstände auf Jesus. Sie weiß irgendwie: Der kann mir helfen. Da ist das Leben, was dem ganzen Leiden um meine Situation ein Ende machen kann. Da ist der, der die Macht hat, die Geisterstunde zu beenden und das Licht in meinem Leben anzuknipsen, weil ER das Licht ist. Alle Vorurteile und Privilegien lässt sie gelten, alle Demütigungen über sich ergehen. Ist alles egal, wenn sie nur für ihre Tochter ein winziges Bröckchen von der Fülle des Heils abbekommt. Was für ein Glaube und was für eine Liebe!

Es ist für mich eine der wundersamsten Erscheinungen, dass Menschen sich von all dem selbstgefälligen Gewäsch, das in Kirchen und Gemeinden verlautbart wird, das sie sich von ignoranten Christen, von total abturnend ge-stalteten Veranstaltungen einfach nicht abschrecken lassen. Sondern dass sie tatsächlich noch kommen und wie die Trüffelschweine nach dem Körnchen wühlen, das darin verborgen liegt. Der Glaube ist ein Phänomen! Er überwindet Grenzen, gerade dort, wo man auf den Hund gekommen ist. Das Wort Jesu ist meine Hoffnung trotz der erbarmungswürdigen Figur, die unsere Gemeinden leider, leider immer wieder abgeben: Dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!

7. Glaube lebt aus einer antizipatorischen Kraft (Hebr 11,1f.;12,1f.)

Mit fortschreitendem Alter kommt man irgendwann an den Punkt, dass man die tragenden Überzeugungen und bedeutungsschweren Geschichten des bisherigen Lebens neu auf den Prüfstand stellt und sich fragt: Stimmt die Richtung noch? Gibt es überhaupt eine Richtung? Kann ich Aspekte meiner ursprünglichen Lebensvision in meinem Alltag wiederfinden?

Solche Fragen stellen sich insbesondere dann, wenn es große Abbrüche in der eigenen Biografie gegeben hat. Wenn das Leben ganz anders verlaufen ist, als man es früher einmal antizipiert hat. Was früher einmal als verheißungsvoller Strang erschien, endet nun scheinbar im Nichts, im Nebel oder vor der Wand harter Tatsachen.

So ging es auch den Hörern dieses Textes. Man war groß geworden mit einer bergenden Geschichte voller Heil. Das eigene Leben war eingefriedet in die Schöpfungsgeschichte und die Arche Noah. Männer des Glaubens zogen los und machten Geschichte. Aber man selbst fühlt in sich selbst die Stoßkraft dieser Geschichten abnehmen. Die Verheißungen der Vergangenheit ragen wie eine Bauruine in die Landschaft, die unbarmherzig ihre Unfertigkeit anzeigt. Die Sprache der Tatsachen predigt so viel lauter als die Träume der Jugend.

Der Hebräerbrief sagt nun: Das ging den Alten nicht anders als uns. Die haben auch manche Hoffnung im Wüstensand versickern sehen. Da blieb manches offen. Längst nicht jede Hoffnung hat sich erfüllt. Manche Verheißung wurde allenfalls von ferne in Augenschein genommen. Aber so ist das mit dem Glauben. Es ist nicht so wie mit den Dingen unserer vorfindlichen Wirklichkeit, die man in Besitz nimmt, ergreift, benutzt - allerdings auch verbraucht. Der Glaube richtet sich auf Verheißungen einer Wirklichkeit, die noch im Werden ist, und die manchmal so merkwürdig blass wirkt hinter den vermeintlich so handfesten Zielen diesseitiger Pragmatik. - Was wird sich ein Noah für Gedanken gemacht haben, als die Nachbarn Witze über seine Wüstenwerft gerissen haben? Und selbst nach erfolgreicher Fahrt wird der Gute doch irgendwann Zweifel bekommen haben, nachdem bei Gottes Radikalkur zwar die Welt versank, aber das Böse wie die Laus im Pelz den ersoffenen Hund überlebt hat. - Da blieb doch manches offen…!

Die Evidenz des Glaubens hatte sich auch bei diesen Glaubensvätern nicht in einer Gesamtbiographie abgebildet, die wie aus dem Ei gepellt daherkam. Stattdessen scheint ihnen durch die Verheißung eine Kraft zugewachsen zu sein, die sie über die vorfindliche Situation (und deren Enttäuschungen!) hinwegzusehen lehrte, um in dem Geschehen eine ganz neue Wirklichkeit angelegt zu finden. Sie sahen darin nämlich Gott am Werk und fühlten sich plötzlich gestärkt. Ihnen wuchs dadurch fast unerklärlich neue Kraft, Beharrungsvermögen, Standhaftigkeit zu.

Diese Kraft hat einen Namen: Hoffnung. Hoffnung, dass es einen Weg gibt, wo ich keinen sehe. Ein Weitermachen in dem Bauchgefühl „hier geschieht noch was… “ An diese Lebensregung in uns docken die Verheißungen der Vätergeschichten an, um den Weg zur Erfüllung in der Geschichte auch unserer Biografien zu nehmen. Gott setzt sich durch. Die Geschichte dieser Erde - und auch meine persönliche wird eine Geschichte des Heils werden.

Das Leben ist dabei kein Kurzsprint, sondern ein Marathon. Und spätestens bei Kilometer 30 wartet naturgemäß der „Mann mit dem Hammer“ und die eigenen Beine scheinen zu diesem Zeitpunkt aus reinem Beton. Aber die Kraft der Hoffnung auf das Ziel lässt geduldig weiterlaufen. Denn man erkennt im Glauben die Stränge der Verheißungen auf einen Fluchtpunkt zulaufen. Alle Verheißungen von Gottes Plan mit dem Menschen laufen zusammen am Kreuz. Hier ist alles Unfertige, Fragmentarische, Tragische - alles ungelebte Leben mit dem Gott-Menschen Jesus gekreuzigt. Zu ihm schaut der Glaube auf und hört das „Es ist vollbracht“. Dann wird gewiss, dass Gottes Verheißung sich nicht nur dort erfüllen, wo uns etwas gelingt, sondern in besonderer Weise auf Golgatha, wo Gott den Menschen annimmt, und dabei seine Heilsgeschichte und die kurvenreiche des Menschen zusammenführt.

Siebenkampf

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