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Prolog

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Noch zu Beginn der 2020er-Jahre haftete dem Begriff »Homeoffice« in der Firma, in der ich arbeite, etwas Bemitleidenswertes, wenn nicht gar Halbseidenes an. Mit »Viele Grüße aus dem Homeoffice« verabschiedete sich etwa eine unserer langjährigen Mitarbeiterinnen, die den Umzug in eine andere Stadt und neue Büroräume nicht mitgemacht hatte, stets in ihren E-Mails. Allen war bewusst, dass sie damit in erster Linie Anteilnahme erheischen wollte. Ich sitze hier zu Hause am Computer, war der Subtext ihrer Botschaft, und bin abgeschnitten von jeglicher Kommunikation. Bitte vergesst mich nicht, schanzt mir Aufgaben zu, haltet mich auf dem Laufenden!

Erhört wurden diese steten Hilferufe nach Aufmerksamkeit so gut wie nie. Dafür war einfach keine Zeit angesichts der beständig neuen Herausforderungen des Büroalltags. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, sie per Zoom in die wöchentlichen Redaktionssitzungen einzubinden oder für ihre Vorschläge und Ideen ein der Zusammenarbeit dienliches Slack-Tool einzurichten. Wenn sie Glück hatte, bekam sie später von jemand ihr Wohlgesinntem am Telefon eine Zusammenfassung des in der Konferenz Besprochenen präsentiert. An ihrer Situation des Außenvor-Seins änderte das wenig bis gar nichts. Es war ganz klar: Wer keinen Zugang zum Büro und seiner hermetischen Kommunikationswelt hat, der gehört im eigentlichen Sinne nicht mehr dazu. Der ist kein wirklicher Angestellter1 mehr, selbst wenn er noch vom Unternehmen bezahlt wird.

Etwas anders gelagert waren die Absichten, mit denen die angestellten Kollegen mit festem Büroarbeitsplatz den Begriff »Homeoffice« zu jener Zeit verwendeten. Wenn sie, meist etwas zu forsch, morgens per E-Mail oder am Telefon verkündeten: »Heute mache ich mal Homeoffice«, signalisierte das eine kurzfristige Abwesenheit, für die man nicht gewillt war, wertvolle Urlaubstage herzugeben. Die Gründe für solche spontanen Homeoffice-Tage konnten vielfältiger Natur sein und wurden meist nicht direkt angesprochen: Ein ungünstiger Handwerkertermin (»Wir kommen zwischen 8 und 12«), ein nicht rechtzeitig fertiggestellter Text, streikende Verkehrsbetriebe, eine durchzechte Nacht oder ein plötzlich durchbrechender Freiheitswille (»Nein, ich lasse mich heute nicht an der Kette ins Büro zerren«).

Den Homeoffice-Tagen lag also immer eine Art Ausnahmezustand zugrunde, die an der ansonsten gültigen Normalität und Notwendigkeit, der Präsenz im Büro, keinerlei Zweifel aufkommen ließ. Entsprechend akzeptierten die Vorgesetzten solche Ansagen in der Regel schulterzuckend, solange nicht an der stillen Vereinbarung gerüttelt wurde, diesen Joker des Zu-Hause-Bleibens nicht allzu oft zu ziehen. Niemals allerdings wäre es akzeptiert worden, hätte ein Kollege am Freitag verkündet: »Die nächste Woche mache ich Homeoffice.« Auch wenn er glaubwürdig versichert hätte, sein Arbeitspensum genauso gewissenhaft wie im Büro zu erledigen, ein Augenrollen und heftiges Kopfschütteln der Chefin wären ihm sicher gewesen. Um solch einen extravaganten Wunsch durchzusetzen, hätte er am Ende einen Kranken- oder Urlaubsschein gebraucht.

Wie grundverschieden ist hingegen meine Arbeitswirklichkeit heute! Seit die Corona-Pandemie die Welt im Würgegriff hält, habe ich viele meiner Kollegen nicht mehr leibhaftig gesehen. Von einem Tag auf den anderen verschwanden sie im Homeoffice und haben es bis heute nicht wieder verlassen. Wir begegnen uns nun nicht mehr auf dem Flur oder im Fahrstuhl, beim Mittagessen oder bei Meetings, sondern ausschließlich auf dem Bildschirm. Auf über Microsoft Teams eingestellten Videokonferenzen, ein- oder zweimal die Woche. Das Produkt, das wir herstellen, ein Magazin über Kunst und den Kunstmarkt, ist das Gleiche geblieben, aber die Bedingungen, unter denen es entsteht, haben sich radikal verändert.

Eine ganz ähnliche Erfahrung haben viele Angestellte in Deutschland und der westlichen Welt in jüngster Zeit gemacht. Man geht davon aus, dass seit dem ersten Lockdown etwa 30 Prozent der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik dauerhaft im Homeoffice arbeiten. Bei rund 45 Millionen Beschäftigten ist das eine stolze Zahl von rund 13,5 Millionen. Laut der Berufe-Studie 2020 der im deutschen Südwesten beheimateten HDI-Versicherung sind in dieser Zeit etwa 28 Prozent der berufstätigen Baden-Württemberger und 33 Prozent der berufstätigen Rheinland-Pfälzer ins Homeoffice gewechselt.

Studien vor Corona, wie sie etwa das ZEW, das Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, und das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung seit 2012 alle zwei Jahre durchgeführt hatten, stellten damals hingegen nur einen ausgesprochen langsam wachsenden Anteil des Homeoffice an der allgemeinen Beschäftigung fest. Das verwunderte etwas angesichts der im Umlauf befindlichen kühnen New-Work-Visionen, denen gern mit Bildern von entspannt an einem Karibikstrand ihren Laptop aufklappenden jungen Angestellten Nachdruck verliehen wurde. Nüchtern kalkulierende Unternehmer und Führungskräfte ließen sich von solchen Utopien jedoch nicht becircen (»Wo lädt der seinen Akku auf? Gibt es am Strand überhaupt WLAN?«). Sie behielten ihre grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Homeoffice bei. Zu groß war die Furcht, die Kontrolle über ihre Angestellten zu verlieren und das bewährte »Management by Zuruf« der in Deutschland so fest verankerten Präsenzkultur aufgeben zu müssen.

Etwas offener zeigte sich die Mehrheit der Angestellten, die sich zumindest ein zeitweises Arbeiten im Homeoffice vorstellen konnten. Sie hofften damit, Familie und Beruf noch besser vereinbaren zu können oder die Work-Life-Balance auf ein Optimum auszutarieren. Ein gänzliches Abtauchen im Homeoffice wäre aber auch ihnen nie in den Sinn gekommen. Berücksichtigt man diese Befunde, so lässt sich ermessen, welches gigantische Experiment in der Arbeitswelt mit der Corona-Pandemie begann. Der geradezu überstürzte, flächendeckende Rückzug ins Homeoffice markiert einen eruptiven gesellschaftlichen Wandel, dessen ökonomische, politische, soziale und mentale Auswirkungen erst langsam sichtbar werden.

Nur eines steht bereits fest: Unsere kapitalistisch verfasste Wirtschaftsordnung, der eine gewisse Freude an schöpferischer Zerstörung eingeschrieben ist, hat sich wieder einmal als überaus anpassungsfähig erwiesen. Die Geschäfte, die gemeinhin vom Büro aus betrieben wurden, kamen nicht zum Stillstand, sondern liefen nach einer kurzen Irritation erstaunlich reibungslos weiter. Anscheinend bereitete in der Angestelltenwelt die Pandemie-Umstellung weit weniger Kopfzerbrechen als in Fabriken und Ladengeschäften, Hotels und Restaurants oder Theatern und Konzertsälen.

Warum waren wir Angestellte und unsere Arbeitgeber auf das Homeoffice so gut vorbereitet? Hatte es sich vielleicht schon an anderer Stelle angekündigt? Waren die Bande, die uns an unsere Büros fesselten, womöglich bereits zerfaserter, als es den Anschein hatte? Und was macht dieser Transformationsprozess mit uns? Wer werden wir Büroarbeiter am Ende sein? Digitale Monaden (oder Nomaden), die sich untereinander vernetzen im Reich der Unternehmensserver, die über Zugang und Nichtzugang, Update oder Absturz allmächtig entscheiden?

Um all diese Fragen zu beantworten, müssen wir zunächst an einen Ort zurückkehren, den wir gerade erst verlassen haben. Das immer noch vertraute, alte Büro. Was war das für ein Leben, das wir so geräuschlos und ohne Widerstand aufgegeben haben?

1Der besseren Lesbarkeit halber wird in diesem Buch im Allgemeinen die männliche grammatische Form verwendet. Es sind aber immer alle anderen Geschlechter gleichberechtigt mitgemeint.

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