Читать книгу Lockdown Luck Down - Matthias Engelhardt - Страница 14

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MY HOME, MY CASTLE

»Die Weltgesundheitsorganisation zählt jedes Jahr rund 200 Ausbrüche von Viruserkrankungen, vor allem in Afrika. Viele dieser tödlichen Epidemien haben eines gemeinsam: Ihr Erreger kam aus der Natur. […] Durch die Zerstörung natürlicher Ökosysteme, den Verlust biologischer Vielfalt und den illegalen Wildtierhandel ist nicht nur die Gesundheit unseres Planeten, sondern auch unsere eigene Gesundheit in Gefahr. Pandemien sind quasi Symptome eines kranken Planeten.«

(World Wide Fund For Nature (WWF), Natur- und Umweltschutzorganisation, in einer Bekanntmachung – 07.04.2020)

Punkt 18.30 Uhr stieg Michael aus dem Aufzug des Versicherungsturms und betrat die geheiligten Hallen von Rocking Radio. Sein Arbeitsbeginn lag sonst eher zwischen acht und neun Uhr abends. Die Zeit bis zum Sendungsstart nutzte er, um Moderationstexte zu schreiben und die Songs zusammenzustellen. Für die Tagessendungen beschäftigte Rocking Radio eigens einen Musikredakteur, Pierre, doch Michael hatte aufgrund seiner mitternächtlichen Sendezeit nicht nur hinsichtlich seiner ausufernden Moderationen eine gewisse Narrenfreiheit. Und er wusste diese auszukosten! Eine folkloristische Hardcoretruppe vom Balkan? Neoklassizistischer Symphonic Metal aus Weißrussland? Niederländischer Unblack Metal mit Schwertern? Die Hörer liebten Metal Mike für solche Kuriositäten! Für die heutige Sendung hatte er schon einen ganz besonderen Abschluss eingeplant: Winter’s Gate von den finnischen Dark Metallern Insomnium. Das Stück vertonte eine Wikinger-Kurzgeschichte und dauerte stolze vierzig Minuten. Da die Leute von der Morning Show ohnehin nahtlos auf Sendung gingen, konnte er so deutlich früher aus dem Studio raus und etwas zeitiger ins Bett kommen. Der heutige Morgen steckte ihm noch in den Knochen – und im Trommelfell.

Michael grüßte Margot am Empfang und steuerte zielsicher auf Toms Büro zu. Durch die Glastür erkannte er, dass seine Moderationskollegin Noëlle noch beim Chef saß. Michael nutzte die Gelegenheit, um in die Toiletten zu schauen. »Mist, wieder jemand schneller!«, schimpfte er und verließ die Kachelräumlichkeiten ohne Klorollen. Dafür sah er, dass Noëlle gerade aufstand. Das Gespräch war offenbar zu Ende und er selbst an der Reihe. Michael rechnete mit dem Üblichen – »Fluch nicht so viel! Red nicht so viel!« – und bereitete sich schon darauf vor, wie immer auf Durchzug zu schalten.

»Ah, Michael, gut, dass du schon da bist! Noëlle, wir sind ja fertig.« Mit diesen Worten wies ihr der schlaksige Senderchef im Rentenalter die Bürotür. Bildete sich Michael das nur ein, oder war die Kollegin ein wenig bleich um die Nase, als sie an ihm vorbeischlich, ohne ihm in die Augen zu sehen? Und was war das für eine eingeschweißte Packung, die sie da in ihre Handtasche steckte?

»Also, warum du hier bist …«, begann Tom sogleich. »Ich mach’s kurz und schmerzlos.«

»Okay …« Das klang jetzt weder nach der verdienten Lobhudelei für seine Nachrichtenmeldung noch nach der erwarteten Sen- dungskritik.

»Ab morgen ist für alle Moderatoren und Moderatorinnen Homeoffice angesagt.«

»Äh, Moment … Homeoffice? Du meinst, von daheim aus recherchieren und Moderationen schreiben?« Michael runzelte die Stirn. »Das macht doch überhaupt keinen Sinn, wenn wir dann doch von hier aus senden.«

»Deshalb sendet ihr ja auch nicht von hier. Vollumfängliches Homeoffice ab Mitternacht! Das bedeutet, ihr geht zu Hause auf Sendung.« Verständnisvoll ließ Tom diese Nachricht bei Michael erst einmal sacken, bevor er fortfuhr: »Das ist alles mit Howie von der Technik besprochen. Er mailt dir nachher noch einen Patch. Den spielst du daheim auf deinen PC auf, und dann können wir dich durchschleifen. Live! Für die Leute da draußen wird es keinen nennenswerten Unterschied machen.«

»Tom, wie stellst du dir das denn vor?«, empörte sich Michael. »Die ganze Musik lagert doch hier! Oder gibt es dafür auch einen Patch?«

»Ach, als wüssten wir nicht beide, dass du deine kleine tragbare Festplatte regelmäßig heimlich mit unserem Musikarchiv volllädst.«

Michael verstummte augenblicklich.

»Auf die Jingles, Betten, Spots, Station-IDs und alle anderen Sendeelemente kannst du über die Cloud zugreifen. Wir laden da auch laufend die fertig gebauten Beiträge hoch, wenn du welche wiederholen willst. Das Passwort dazu schreibt dir Howie mit in die Mail. Ein gescheites Kondensatormikro hast du ja.«

Wie die meisten von Toms Moderatoren verdiente sich auch Michael ein paar Groschen als Freelancer dazu, mit dem Einsprechen von Hörbüchern beispielsweise. Seine Stimme Radiowerbespots zu leihen, war ihm allerdings sinnigerweise arbeitsvertraglich verboten. Bei beidem jedoch war die Nachfrage genauso eingebrochen, wie es keine Engagements für Bühnenmoderationen mehr gab. Entsprechend professionelle Hard- und Software hatte Michael also ungenutzt zu Hause, und das wusste Tom.

»Aber eine Webcam in meiner Bude – das kannst du vergessen, Boss!«

»Heute geliefert worden«, verkündete dieser stolz, holte unter seinem Schreibtisch eine Schachtel in Zellophanverpackung hervor und überreichte sie seinem Weisungsgebundenen. Der steckte sie zähneknirschend ein.

»Fragen?«

»Ja. Warum das Ganze? Gehörst du jetzt auch zu diesen Paranoikern, die meinen, wir werden alle sterben? «

»Michael.« Tom lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück, fächerte die Finger gegeneinander und gab sich ganz schulmeisterlich. »Du weißt doch, was da draußen los ist. Jeder und jede kann andere Menschen infizieren – dafür braucht er oder sie noch nicht einmal selbst Symptome zu zeigen. Je weniger Leute wir auf den Straßen haben, desto schneller bekommen wir die Krise in den Griff. Wenn wir als Rocking Radio unser Scherflein dazu beisteuern können, dann ist das nur recht und billig.«

Michael schaute verdutzt. So obrigkeitshörig kannte er seinen Chef gar nicht!

»Flatten the curve lautet das Gebot der Stunde! Nur wenn sich die Ansteckungen über einen möglichst langen Zeitraum verteilen und nicht alle auf einmal krank werden, hat das Gesundheitssystem eine Chance. Das wissen wir ja nun alle«, fasste Tom den Versuch der Behörden zusammen, die Infektionsrate so wenig exponentiell wie möglich wachsen zu lassen.

Als Ziel war ausgegeben worden, dass sich die Neuinfektionen nur noch innerhalb von vierzehn Tagen verdoppeln durften und nicht mehr, wie ganz zu Anfang der Krise, alle zwei Tage. Je mehr Leute zu Hause blieben und so wenig soziale Kontakte wie möglich pflegten, desto erreichbarer schien dieses Ziel. Anglizismen wie Social Distancing und Physical Distancing waren in aller Munde. Fast sämtliche TV-Anstalten blendeten dauerhaft neben ihren Sendelogos Mottos wie #StayHome ein. Nicht ganz uneigennützig, schließlich galt der gemeine Stubenhocker schon immer als Garant für hohe Einschaltquoten.

»Jeder und jede ist ein Teil unseres Kampfes gegen das Virus.« Tom hob den Zeigefinger. »Gemeinsam schaffen wir das!«

Jetzt zitierte der Alt-Achtundsechziger auch noch aus einer Fernsehansprache der Bundeskanzlerin! Das machte Michael sprachlos. Dem einstigen Hippie waren über die Jahre die langen Haare zwar in Würde ergraut, aber irgendwann hatte er eine Aversion gegen Schimpfwörter entwickelt und den Werbetreibenden als zahlenden Bruder entdeckt. Das jetzt war allerdings eine ganz neue Dimension! Ob die Fridays for Future-Kiddies, die vor Corona noch jeden Freitag statt in die Schule auf die Straße gepilgert waren, um zu Zehntausenden für eine effizientere Umweltpolitik zu demonstrieren, auch irgendwann Braunkohlewerke in der Lausitz leiten und Öltanker über die Ozeane lenken würden? Durchaus denkbar, Idealismus finanzierte nur selten steigende Mieten. Doch inzwischen sorgten sich die Jugendlichen weniger um das Klima als vielmehr darum, ob und wenn ja, in welcher Form die Abiturprüfungen stattfinden konnten. Zumindest hörte man in den Nachrichten nur noch das über die Jugend.

Das rief Michael sein eigenes Anliegen ins Gedächtnis. »Äh, Tom … du hast auf meine Nachricht heute Morgen gar nicht geantwortet. «

»Deine Nachricht?«

»Ja! Die Meldung von dem Toten, den ich im Volkspark gefunden habe. Habt ihr sie verwenden können?«

»Ach, die Nachricht meinst du! Nein, haben wir nicht.«

»Nicht?« Michael war überrascht. »Da schickt dir dein eigener Redakteur als Allererster die Meldung über eine Leiche ohne Kopf im Stadtgebiet, und du kannst sie nicht verwenden? «

»Michael«, Tom schaute ernst, »das ist keine Meldung. Nicht in den heutigen Zeiten.«

»Wie bitte!?«

»Pass auf: Was ist heute passiert? Wieder über achthundert neue Corona-Tote an einem einzigen Tag in Spanien. Unsere Bundeskanzlerin steckt wegen Verdachts auf Corona in Quarantäne. Und dann rastet hier im Rewedeka ein Kunde aus, weil er kein Toilettenpapier bekommt. Das sind die News, mit denen wir aktuell unsere Hörer und Hörerinnen auf dem Laufenden halten müssen! Niemand interessiert sich für einen Junkie mit Überdosis.«

»Überdosis … Überdosis!?! Hat der etwa ausgesehen, als wäre er an einer Überdosis gestorben?!? Die Droge möchte ich auch mal probieren, die einem gleich den ganzen Kopf wegsprengt!«

»Das ist nicht der Punkt, Michael.«

»Ach nein? Was ist denn dann der Punkt? «

»Der Punkt ist: Hatte der Tote eine Atemmaske vor der Nase? Nein, hatte er ja wohl nicht. Damit ist es höchst unwahrscheinlich, dass der Fall irgendwas mit Corona zu tun hat.«

Darauf wusste Michael ad hoc nichts zu sagen. Tom dafür umso mehr. »Corona ist das, was den Hörern und Hörerinnen unter den Nägeln brennt. Im wahrsten Sinne des Wortes, möchte man meinen, wenn man sich die Übertragungswege anschaut. Jedenfalls haben wir als Dienstleistende das zu respektieren und uns darauf einzustellen. Zumindest, wenn wir unsere Reichweiten nicht einbüßen und unsere Werbekunden und -kundinnen nicht verlieren wollen. Das sind nämlich diejenigen, die deine Miete bezahlen, Michael!«

Der sah ihn nur fassungslos an.

»Ja, Michael, nimm als Beispiel die ARD-Tagesschau. Seit fast siebzig Jahren geht sie jeden Tag auf Sendung. Worauf kannst du dich verlassen, wenn nicht gerade Fußballweltmeisterschaft ist? Die Nachrichtensendung beginnt pünktlich um zwanzig Uhr und endet pünktlich um zwanzig Uhr fünfzehn. Danach kannst du deine Uhr stellen! Die letzten Sonntage mal das Erste angemacht? Da informieren sie ihre Zuschauenden jetzt dreißig Minuten lang. Und fast alle Meldungen drehen sich nur um ein Thema: Covid-19!«

Michael traute seinen Ohren nicht. »Und was ist mit dem Foto? Hast du das wenigstens in unsere Online-Newsspalte gepackt?«

»Auf keinen Fall! Ich pack doch solch ein grauenvolles Bild nicht ins Internet! Willst du, dass unsere Seitenbesuchenden Panik bekommen?«

Michael hatte verstanden. Und einen Aufmacher für seine Show heute Nacht.


Michael war startklar. Noch wenige Minuten bis zu seiner ersten Livesendung von zu Hause aus! Das Mikrofon saß sendebereit vor ihm auf dem Tischstativ, das Moderationsprogramm auf seinem Laptop lief, genauso wie die Webcam, die er in eine Ecke montiert hatte und die sein Arbeitszimmer der gesamten Welt präsentierte. Michael hatte als kleine Dekoration ein altes Poster von Bon Scott im Hintergrund aufgehängt. Der vor vierzig Jahren verstorbene zweite Sänger von AC/DC galt noch immer als Legende, und so ziemlich alle Rockfans konnten sich auf ihn einigen.

»Piep – piep – piiiiiiiiiiieeeeeep«, bekam Michael über Kopfhörer das Signal, seine Sendung zu starten. Er schoss das Musikbett ab und legte los: »Ihr hört die Rocking Radio Midnight Show mit dem Besten in Sachen Rock! Wir spielen harte Musik für harte Kerle – und Kerlinnen, denn wir sind genderneutral! Die nächsten fünf Stunden mit mir, Metal Mike! Ab sofort und auf unbestimmte Zeit gibt es live von mir zu Hause aus Homeoffice Rocking Radio aufs Ohr – oder wie ich es gern abkürze: HORROHR.« Michael ließ dieses kleine Wortspiel, das wahrscheinlich nur ihn amüsierte, kurz wirken.

»Könnt ihr die ganze Scheiße um Corona auch nicht mehr hören und sehen? Egal, mit wem ihr euch unterhaltet, binnen Sekunden dreht sich alles nur noch um Corona. Welchen Fernsehoder Radiosender ihr einschaltet, welchen Social-Media-Kanal ihr wählt, und welche Homepage ihr auch besucht: Corona, Corona, Corona! Es gibt nichts anderes mehr!

Das ist ja auch verständlich: In der gesamten Menschheitsgeschichte ist die Corona-Krise das erste Ereignis, das wirklich alle betrifft. Jeder Einzelne von uns knapp acht Milliarden Erdenbewohnern spürt die Situation am eigenen Leib, in der einen oder anderen Form. Das hat noch nicht einmal der Zweite Weltkrieg geschafft. Sogar die Schweiz macht diesmal mit!

Und trotzdem ist Corona nicht alles. Wisst ihr noch, welche Themen uns noch vor ein paar Wochen unter den Nägeln brannten?«, zitierte er ganz bewusst seinen Senderchef. »Die südamerikanischen Regenwälder brennen! Und halb Australien. Millionen Tonnen Plastikabfall in den Weltmeeren! Klimakollaps! Wer war noch mal diese Greta Thundingsbums? Nach der Botschaft der inzwischen siebzehnjährigen Initiatorin von Fridays for Future fragt irgendwie keiner mehr, höchstens noch nach ihrer möglichen Corona-Infektion.

Schauen wir nach Deutschland: Rechte Arschlöcher verüben mörderische Anschläge auf Kommunalpolitiker und Synagogen! Und in Syrien geht das Massenmorden weiter. Humanitäre Katastrophe in den völlig überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln! Wen interessiert’s? Zumindest nicht die Leute, die im Hausarrest eingepfercht sind. Und auch nicht die Politiker da oben, die sich jetzt so selbstverliebt zu Krisenmanagern hochsterilisieren.«

Michael liebte es, verunglückte Fußballerzitate in seine Moderationen einzubauen. Und so langsam kam er auf Betriebstemperatur.

»Wisst ihr, was geht? Für Millionen von Euro 150.000 deutsche Touristen aus den abgeschotteten Urlaubsländern zurückholen. Und wisst ihr, was nicht mehr geht? 1.500 auf sich gestellte, weil unbegleitete und traumatisierte Kinder von Lesbos holen. Das war schon abgesegnet! Aber in der gegenwärtigen Pandemie ist das angeblich nicht mehr machbar. Das ist kein Krisenmanagement. Das ist Heuchelei!«

Zeit für eine Kunstpause.

»Versteht mich nicht falsch: Es ist absolut richtig, dass wir unsere Landsleute zurückholen. Auch jene Vollpfosten, die den Shutdown vor Augen meinten, noch schnell in den Urlaubsflieger nach Thailand springen zu müssen. Ein Sozialstaat hat auch für Deppen da zu sein. Aber wenn wir deutsche Pauschalurlauber vor Langeweile am Hotelpool retten können, können wir auch syrische Flüchtlingskinder vor einer ungewissen Zukunft bewahren. Sozial zu sein bedeutet, nicht nur an sich selbst zu denken. Ein Sozialstaat zu sein bedeutet, nicht nur an seine eigenen Leute zu denken.«

Ja, Tom, für diese Moderation wirst du mich bei deiner nächsten Aircheck-Analyse knutschen!, lobte sich Michael in Gedanken schon mal selbst. Irgendwo ganz tief drinnen musste sein Chef ja noch ein linkes Herz vergraben haben. Und vielleicht pochte es ja sogar noch ein bisschen … Pass auf, alter Revoluzzer, jetzt dreh ich erst richtig hoch!

»Apropos Krisenmanagement. Warum wird da oben über ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht zumindest mal diskutiert? Gefordert wird es ja von vielen Seiten! Jetzt nicht für immer, so weit würde ich niemals zu denken wagen in diesem erzkonservativen Staat. Aber was wäre mit den nächsten Monaten, bis wir aus dem Gröbsten raus sind? Das würde die breite Bevölkerung zur Ruhe bringen und all die Kurzarbeiter und zum Nichtstun verdammten Ladenbesitzer und freien Künstler vor Existenzängsten bewahren. Nicht diese gebetsmühlenartigen Beteuerungen, die Versorgungslage sei gesichert.

Okay, wenn es zu teuer sein sollte, zweiundachtzig Millionen Bundesbürgern minus den Minderjährigen Monat für Monat tausend Euro auszuzahlen«, der Prediger am Mikrofon war durchaus kompromissbereit, »dann gebt doch wenigstens denjenigen etwas mehr Kohle, die selbige gerade aus dem Feuer holen: der Krankenschwester und dem Altenpfleger. Der Erntehelferin und dem Brummifahrer. Der Supermarktkassiererin und dem Sicherheitsmann, der sie vor ihren marodierenden Kunden schützt.« Michael war kein nachtragender Mensch. »Aber nein! Lieber feiert ihr sie in euren geskripteten Reden als Superhelden der Krise und gebt ihnen Standing Ovations im Bundestag. Klar, das kostet nichts und gibt tolle Nachrichtenbilder.« Kunstpause. »Ihr hört Rocking Radio auf der 106.5 mit Metal Mike, und das sind die Politaktivisten von Rage Against the Machine mit Killing in the Name. Und möge die Nacht mit euch sein!«

Michael war sonst kein politischer Moderator. Und Rocking Radio war gewiss kein politischer Sender. Doch das hatte jetzt sein müssen! Zufrieden mit sich selbst und von seinen Affekten gereinigt, lehnte sich Michael in seinem gepolsterten Bürostuhl zurück, während Zack de la Rocha mehr Schimpfwörter in den fünf Minuten lang wütenden Crossover-Rock presste als Michael in fünf Stunden Livesendung: Nehmt das, ihr Werbefuzzis und Werbefuzzienen!

Michael blickte aus seinem Fenster. Die Aussicht auf ein Reihenhaus, das dringend einen neuen Anstrich brauchte, war natürlich nicht so bombastisch wie die aus dem Panoramafenster des Studios. Dafür war sein eigener Kaffee deutlich schmackhafter als der aus dem Senderautomaten.


Es war zwanzig nach vier. Insomnium öffneten das Winter’s Gate, und Michael gähnte herzhaft in die Webcam, die er schon vergessen hatte. Das Schichtende führte ihn aus seinem Arbeitszimmer hin zu der Emaillefacharbeit, die sein Badezimmer zierte. Anschließend fiel er auf seine Schlafcouch und in den Schlaf der Gerechten. Der Funkwecker war bereits auf 6.30 Uhr gestellt. Michael hatte einen Plan: Er würde sein Toilettenpapier bekommen!

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Corona-Newsticker:

+++ Soforthilfen gehen an Freiberuflern vorbei. +++

+++ Emmanuel Macron, französischer Staatspräsident: »Wir sind im Krieg gegen das Virus.« +++

+++ Homeschooling ersetzt Präsenzunterricht. Berufstätige Eltern sind überfordert. +++

+++ New York City: Epizentrum der Corona-Krise. +++

+++ ESA-Astronauten geben Bevölkerung Tipps gegen Einsamkeit und Lagerkoller. +++

+++ Um das Internet nicht zu überlasten: Videostreamingdienste drosseln Bildqualität. +++

+++ Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: 75 Prozent der Beschäftigten in systemrelevanten Berufen sind Frauen. +++

+++ Kampf gegen Corona: Slowakei greift auf Handydaten der Bürger zu. +++

+++ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisiert Alleingänge der EU-Staaten scharf. +++

+++ Straßburg: Corona-Patienten über achtzig werden nicht mehr beatmet. Sterbebegleitung erfolgt mit Opiaten und Schlafmitteln. +++

+++ Russland, China, Syrien, Iran, Nordkorea, Venezuela, Nicaragua und Kuba dringen bei der UN auf Ende der Sanktionen. +++

+++ »You pick the 26,000 people who are going to die.« New Yorks Gouverneur macht US-Regierung für hohe Todesrate verantwortlich. +++

+++ Polizeieinsatz wegen Klopapier: Kundin setzt sich auf Kassenband. +++

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