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Der Chronist

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Die Geschichte ist die Geschichte der Imperien und der ihnen notwendig korrelierenden Politik. Das Vorgehen eines Imperiums unterscheidet sich von dem einer bloßen Großmacht dadurch, dass es nach und nach sämtliche Willkür einbüßt. Indem sie Imperium wird, überschreitet eine Macht eine Schwelle, sie erreicht eine kritische Masse, die ihr von nun an die Gesetze ihres Handelns diktiert. Die Entscheidungen eines Imperiums sind von physikalischem Charakter. Deshalb ist es jenseits der Schwelle belanglos, wer auf dem Thron des Kaisers sitzt. Ein Apfel fällt vom Baum, ob nun ein Trottel oder ein Genie darunter sitzt, und das Imperium kann nichts anderes tun, als sich der Gravitation namens Macht zu überlassen. Macht ist Machterhalt und Machterwerb, wie Massen andere Massen anziehen. Der Umgang Roms mit aufständischen Provinzen gibt für alle Zeiten das Muster, etwa im Jüdischen Krieg. Man schätzt, dass die Niederwerfung der Erhebung in Judäa eine Million Zivilisten das Leben kostete. Am Ende stand in Jerusalem kein Stein mehr auf dem anderen, der Tempel war geschleift. Im Lauf seiner Geschichte hat Rom Dutzende solcher Strafaktionen durchgeführt und jede war immer auch ein Exempel, adressiert an die zahllosen anderen Völkerschaften des Riesenreiches und ihren unauslöschlichen Drang, die gute fremde durch eine schlechte eigene Regierung zu ersetzen. Wenn einer von ihnen nachgegeben worden wäre, wäre das Imperium in wenigen Jahren zu einem Diadochen-Wirrwarr zerfallen wie das Alexanderreich nach dem Tode seines Gründers, der schon zu Lebzeiten nur erobern, aber nicht befrieden konnte. Die römische Haltung war die der Rücksichtslosigkeit, die ein Problem erst dann als gelöst ansah, wenn es gelöst war – unabhängig von den Mitteln, die dazu nötig waren. Karthago wurde ausgelöscht. Aber schon nach Zama spürten Häscher in Kleinasien den flüchtigen Hannibal auf und brachten ihn um, dessen bloße Existenz noch immer eine Beunruhigung war. Man braucht sich nur einmal vorzustellen versuchen, wie sie mit späteren Konflikten umgegangen wären. Senat und Volk von Rom, mit einem Vorfall wie dem »Elften September« konfrontiert, würden in der Heimat der Attentäter gewiss nicht Brunnen gegraben und Schulen gebaut, sondern das Land auf den Kopf gestellt haben, bis die Drahtzieher am Kreuz gehangen hätten.

Das Dilemma der modernen Imperien seit Pearl Harbor ist es, imperiale Politik unter demokratischen Prämissen und mit humanitären Verbrämungen durchführen zu müssen. Hellsichtige Geister haben das schon früh gesehen. In den Worten des älteren Ash, formuliert unter dem Eindruck der Schlacht von Persephone: »Wir müssen die Freiheit beiseitestellen und uns in bittere Herrschaft fügen!« Über die fünftausend Toten, die der War against Terror einst die USA gekostet hat, würde ein römischer Senator gelacht haben, umso verächtlicher, als ihnen bis zuletzt keine vorzeigbaren Ergebnisse entsprachen. Mit den Ressourcen der USA würde ein Vespasian den Nahen und Mittleren Osten in Schutt und Asche gelegt und der Hydra al-Qaida die Stümpfe gerodet haben. Das ist bei der Allgegenwart der Medienwelt und der Empfindsamkeit des Publikums im 21. Jahrhundert nicht möglich gewesen. Man möchte den Wohlstand genießen und seine Feinde hinter Gittern wissen, aber Blut darf es keines kosten, nicht einmal das der erklärten Gegner der eigenen Weltordnung.

Nach Actium trat das Römische Imperium in die Augusteische Phase seiner Geschichte. Die Gegner im Äußeren waren niedergerungen. In ihnen hatte man es mit Großmächten zu tun gehabt, denen man militärisch auf gleicher Augenhöhe, kulturell mit dem Minderwertigkeitsgefühl des Emporkömmlings entgegengetreten war: Karthago, Griechenland, Ägypten. Zur Zeitenwende war das Imperium machtpolitisch saturiert und geografisch arrondiert. Die Phase der Aufstände und kleinen Grenzkonflikte schloss sich an. Das Errungene wollte auch behauptet sein. Im ersten und zweiten Jahrhundert kämpften die Legionen in Schottland und am Schatt al-Arab. Das Imperium erstreckte sich von den Bernsteinküsten zur Libyschen Wüste, von den Säulen des Herkules bis zum Kaukasus. Im Äußeren gab es keine Feinde mehr. Die vorherrschende Bedrohung war der schwelende, mal hier, mal dort virulente Separatismus der Völker, die zur Pax Romana zusammengezwungen worden waren und die, wie es der Natur des Menschen entspricht, die kleinen Nachteile höher bewerteten als die großen Vorteile, die ihnen das brachte. Die Römer waren, wie später die Briten, milde Herren, die in religiösen und kulturellen Dingen fünfe gerade sein ließen, solange Caesar gegeben wurde, was des Caesars war. Dafür boten sie Sicherheit und Stabilität sowie all die Errungenschaften einer Hochzivilisation, der in der Weltgeschichte wenig an die Seite zu stellen ist. In der Regel haben sich die Völker dareingefunden.

Auf die Phase der asymmetrischen Bedrohung durch Aufstände im Inneren und an den Rändern folgte endlich die dritte, die des Zerfalls, in der das Imperium dem erstarkenden Ansturm von Germanen, Parthern und Hunnen nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Seine Größe hatte es sicher, und seine Sicherheit hatte es leichtsinnig werden lassen. Geschichtslose Völkerschaften, Reiterhorden, Steppenstämme, die unfähig waren, eine Wasserleitung in Rom instand zu halten, fegten das Reich in den Rinnstein der Geschichte.

Kampf mit den Tloxi

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