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I. Einleitung Täter

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„Heute hört sich das alles so furchtbar grausam an, so unmenschlich und unmoralisch. Damals schien es mir in keiner Weise unmoralisch zu sein. Ich wußte ganz genau, was ich bei der SS tun werde. Wir alle wußten es. Das saß im Herzen, nicht im Kopf“, sagte Hans Hüttig – einer, der es wissen musste. Sturmbannführer Hüttig gehörte zum Führerkorps der Lager-SS. Dienst versah er in Buchenwald, Sachsenhausen, Flossenbürg, Natzweiler und Vught. Die Frage, wie er nur in einem Konzentrationslager (KL) habe arbeiten können, beantwortete er mit einem einfachen Satz: „Ich war ein Nazi.“1

Auf Hüttigs Interviewpartner Tom Segev wirkte der Seelenstriptease gekünstelt. Seine Antwort auf die Frage war die Dämonisierung der Weltanschauungstäter, die er in seinem Buch über die KL-Kommandanten „Soldaten des Bösen“ nannte.2 Die Vermutung, es nicht mit menschlichen Wesen zu tun zu haben, beschlich schon Michael A. Musmanno, den Vorsitzenden Richter im Nürnberger Emsatzgruppenprozess. In Otto Ohlendorf begegnete ihm die gefühlte Inkompatibilität von Menschenjägern mit einem hohen Bildungsniveau. Freimütig räumte der smarte Ökonom seine Verantwortung für den Mord an Zehntausenden ein. Um den Einsatzgruppentäter mit dem ambitionierten Wissenschaftler in Einklang zu bringen, verglich Musmanno Ohlendorf mit Robert Louis Stevensons „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, einem Mediziner, der sich nachts in ein blutrünstiges Monster verwandelt.3 Am 7. Juni 1951 endete Otto Ohlendorf am Galgen. An seiner Beerdigung im niedersächsischen Hoheneggelsen nahmen über 1000 Menschen teil. Hunderte von ihnen reckten den rechten Arm in die Höhe.4

In der Geschichtswissenschaft jener Jahre tauchten Männer wie Ohlendorf als Gestrauchelte, Trittbrettfahrer und Halbintellektuelle auf, die es ohne Heinrich Himmler und die SS zu nichts gebracht hätten.5 Den Anfang machte der Buchenwaldhäftling Eugen Kogon mit seinem SS-Staat, der 1946 erschien.6 In Gerald Reitlingers Studie zum Mord an den europäischen Juden, deren englischsprachige Originalausgabe 1953 auf den Markt kam, erfuhr die Paria-These Bestätigung.7 Dem Bild des formatlosen Henkers fügten Rudolf Höß’ Memoiren, 1958 von Martin Broszat herausgegeben, eine neue Komponente hinzu. Der Kommandant von Auschwitz inszenierte sich als ein „Rad in der großen Vernichtungsmaschine des Dritten Reiches“. Mithin als ein bloßer Befehlsempfänger. Bemerkenswert war allerdings, dass er seinen Rassenantisemitismus nicht verschleierte.8 Dies aufzugreifen und der Spur nach den inneren Triebkräften nachzugehen, versäumte jedoch Hannah Arendt, die 1961 den Eichmann-Prozess in Jerusalem beobachtete. Sie beging den Fehler, den in die Jahre gekommenen Angeklagten mit dem im besten Mannesalter stehenden Deportationsexperten des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) gleichzusetzen. So verfiel sie auf die Formel von der „Banalität des Bösen“. Und mit der Feststellung, bei Eichmann könne von „besonderer ideologischer Verhetzung“ nicht die Rede sein, verlor ihr Bericht (fast) jeden Mehrwert für eine Täterforschung.9 Verdienstvoll an ihm war die Entdämonisierung des nach langer Suche gefangenen Obersturmbannführers, der allerdings niemanden mehr schockte. Klaus-Michael Mallmann fasst denn auch ihr Personenporträt scharfzüngig zusammen: „ein zahnloser alter Mann der aussterbenden Art, ein Opfer seiner verqueren Pflichtauffassung, bieder, morbide und ungefährlich, ein Dinosaurier, der übriggeblieben war, ältlich und mit dicker Brille, keiner, der Angst machte, Selbstzweifel und Besorgnis auslöste. Dieser Eichmann sedierte, ließ einen kalt, forderte keine Anteilnahme heraus, machte sich klein und unbedeutend.“10

Raul Hilbergs Studie zur Judenvernichtung, 1961 in Chicago unter dem Titel The Destruction of the European Jews veröffentlicht, sparte eine eingehende Analyse der Täterbiografien ebenfalls aus.11 Bei Hilberg mordeten Strukturen. Die men on the spot ersetzte die Bürokratie, die „Machinery of Destruction“. Seitdem assoziierte man die Shoah12 mit „Todesfabriken“ und „Fließbandmord“. Einsatzgruppen, Ghettoliquidierungen und die Gewalt in den Stapo-Stellen, Konzentrations- und Arbeitslagern fielen der Vergessenheit anheim.

Einen zaghaften Versuch, den Tätern auf den Leib zu rücken, unternahm 1981 Hans-Heinrich Wilhelm in seiner Studie zur EG A (die mit Humbert Achamer-Pifrader auch ein Österreicher befehligte). Leider beschränkt sich seine Betrachtung des Führungspersonals auf fünf Seiten.13 Dass die Täterforschung nicht in Gang kam, lag daran, dass sich die Historiker an einem möglichen „Endlösungs“-Befehl Hitlers abarbeiteten. Seine Ausgabe vor dem 22. Juni 1941, dem Tag, an dem das Deutsche Reich die Sowjetunion überfiel, behauptete Otto Ohlendorf, der damit die Entlastung aller angeklagten NS-Täter bezweckte. Helmut Krausnick, von 1959 bis 1972 Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte und Sachverständiger in beinahe allen Einsatzgruppenprozessen, fiel auf die Ohlendorf-Legende herein. Mithilfe seiner Gutachten wurden aus den Tätern „Tatgehilfen“, die nicht wegen Mordes zu belangen waren. Eine Beschäftigung mit ihnen, den willenlosen Robotern, erschien rational unbegründet.14

Die Täterforschung als eigene Disziplin etablierte sich erst in den 1990er Jahren. Zu verdanken ist das Christopher R. Browning und Daniel Goldhagen, die beide die Angehörigen des Reserve-Polizeibataillons 101 untersuchten, jeweils aber zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen.15 Während Browning für das Mitmachen der Männer an Exekutionen Faktoren wie die Situation vor Ort, Gruppendruck, Anpassung, Gehorsam und Abstumpfung verantwortlich macht, erklärt es Goldhagen mit einem eliminatorischen Antisemitismus. Die 1995 eröffnete „Wehrmachtsausstellung“, die mit dem Nachkriegsbild von der sauberen Wehrmacht aufräumte, tat ihr Übriges, die Gemüter zu erhitzen und die Frage nach den Tätern neu zu stellen. Erschreckendes förderte der Blick hinter Ghettomauern und Stacheldraht, in die Folterkeller und Erschießungsgruben zu Tage:

„Hinter dem ‚Führer‘-Willen wird die Eigeninitiative der Akteure sichtbar, Hierarchie wird durch Autonomie ergänzt, Befehl vielfach ersetzt durch Freiwilligkeit. An die Stelle umfassender Planung tritt die Improvisation vor Ort, die Durchsetzung von ‚oben‘ weicht der Selbstermächtigung ‚unten‘. Statt strikter Geheimhaltung wird breite Öffentlichkeit erkennbar. Statt Zwang und blindem Gehorsam kommen Einfallsvermögen und Hingabe zum Vorschein, statt des behaupteten Widerwillens Beutementalität, Leichenfledderei und Grausamkeit, statt Gleichgültigkeit Fanatismus und Gläubigkeit, statt Autoritätshörigkeit das Vorhandensein verwurzelter Ideologeme. Die Aneignung der Situation durch das Individuum tritt in den Vordergrund. Das ‚Du mußt‘ wird verdrängt durch das ‚Du darfst‘.“16

In dem Aufsatz „Mensch, ich feiere heut’ den tausendsten Genickschuß“ führt Mallmann exemplarisch die Vielfältigkeit des Vernichtungskrieges vor Augen.17 Die Täter darin gehörten Sicherheitspolizei (Sipo) und SD an, jenem Bereich des SS-Polizei-Apparats, den das RSHA organisatorisch bündelte. Chef dieses Zweiges des Himmler-Imperiums und somit von Sicherheitspolizei und SD (CdS) war Reinhard Heydrich, auf den 1942 der Reichsführer-SS (RFSS) selbst und 1943 der Österreicher Ernst Kaltenbrunner folgten. Zu den exponiertesten Vertretern dieser Zunft – RSHA-Funktionäre, Stapo- und Kripo-Chefs, Führer von SD-Abschnitten, Inspekteure, Befehlshaber und Kommandeure (IdS, BdS, KdS), Führer mobiler Formationen wie den EG, Einsatz- und Sonderkommandos (EK, SK) – sind wissenschaftlichen Standards genügende Monografien nach wie vor Mangelware. Lobenswerte Ausnahmen stellen die biografischen Studien von Peter Black, Ulrich Herbert, Jens Banach und Michael Wildt dar.18 Dank ihnen verfügen wir über fundierte Kenntnisse zu Ernst Kaltenbrunner und Werner Best sowie zum Führerkorps von Sicherheitspolizei und SD. Erwähnenswert, aber nicht frei von Mängeln, sind die Biografien, die uns von Günther Deschner, Robert Gerwarth und Andreas Seeger zu Reinhard Heydrich und dem Chef der Gestapo Heinrich Müller vorliegen.19 Von einem fragwürdigen wissenschaftlichen Wert ist Christian Ingraos Studie Hitlers Elite, die ihrem Anspruch, eine innovative Kollektivbiografie zum Sipo/SD-Führungspersonal zu sein, in keinster Weise gerecht wird.20 Mit Gewinn liest man hingegen die Sammelbände und Aufsätze von Gerhard Paul, Klaus-Michael Mallmann und Michael Wildt, den Nestoren und Wortführern der NS-Täterforschung.21 Unser Wissen über die Männer in den SS-Uniformen bereichern zudem – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Arbeiten von Bernd Wegner, Ruth Bettina Birn, Ronald Smelser, Enrico Syring, Karin Orth, Andrej Angrick, Martin Cüppers, Jürgen Matthäus, Konrad Kwiet, Jürgen Förster, Richard Breitman, Carsten Schreiber, Christina Ullrich und Lenka Šindelářová, die sich ganz oder zu einem Gutteil mit ihnen auseinandersetzen.22 Zum Reichsführer-SS selbst liegt seit 2008 mit Peter Longerichs Himmler-Biografie ein erschöpfendes Lebensbild vor.23

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