Читать книгу Kuschel und die Sommerferien - Matthias Grau - Страница 4

Montag

Оглавление

„Guten Morgen, Kuschel! Aufstehen! Raus aus den Federn!“ Kuschel blinzelte müde und verschlafen. „Noch nicht … noch nicht. Kuschel müde, Kuschel schlafen!“ Doch Mama ließ nicht locker: „Komm schon, hoch mit dir! Die Sonne scheint, das Wetter ist fantastisch!“ – „Ich schlafe lieber noch ein Weilchen“, murmelte Kuschel, drehte sich zur Wand um und zog die Flauschedecke über den Kopf. „Wenn Prinzessin Kuscheline jetzt die Güte hätte, in Erwägung zu ziehen, das Bett zu verlassen, wäre das wirklich wunderhübsch!“

Die Beule unter der Decke bewegte sich zum Rand der Matratze, glitt hinunter auf den Teppich und rollte knurrend unter das Bettgestell. Dann erschien eine Hand, tastete suchend nach der Decke und zog sie hinterher.

Mama kniete sich hin: „Was bitte soll das denn jetzt?“ Das Mädchen maulte unter dem Gestell hervor: „Ich hab das Bett verlassen, das wolltest du doch!“ Mama hob die Decke an und lockte: „Aber Kuschel, die Sommerferien fangen heute an, hast du das etwa vergessen? Wir wollen zu Oma und Opa fahren …“

Schwupps! Einem Grashüpfer gleich sprang Kuschel mit einem Satz unter dem Bett hervor. „Bin schon wach! Omi und Opi? Wann geht’s los?“ Aufgeregt hüpfte sie auf der Stelle. „Hast du deine Sachen gepackt?“, fragte Mama. „Mach ich gleich!“, rief Kuschel, wirbelte durch das Kinderzimmer und war nach wenigen Augenblicken fertig angezogen, die Reisetasche in der Hand. „Und wo ist Teddy?“, fragte Mama streng. „Oh, nein …“ Kuschel sauste im ganzen Haus herum, auf der Suche nach Teddy. Er war ihr liebster Freund, immer fröhlich, immer mit dabei. Im Fernsehsessel wurde sie fündig. „Hab ihn!“ – „Prima, dann ab in die Küche, frühstücken. Und danach das Zähneputzen nicht vergessen!“ – „Okee!“

Sie stiegen die Flurtreppe hinab und gingen in die Küche. Mama holte die hölzernen Stullenbrettchen aus dem Schrank, die Eierbecher, dreimal Besteck und für jeden eine große Tasse. „Möchtest du Milch oder Kakao?“ Kuschel überlegte nicht lange. „Kakao, wie immer.“ – „Dachte ich mir schon.“ Mama schmunzelte. „Wo is’n Papa?“, fragte Kuschel und schaute sich ratlos um. „Er holt den Mietwagen ab.“ – „Was ist das, ein Mietwagen?“ – „Ein ganz normales Auto, nur gehört es nicht uns, sondern einer Firma. Sie geben uns das Auto für ein paar Tage und wir bezahlen ihnen Geld dafür. Das nennt man mieten. Daher der Ausdruck – Mietwagen.“ – „Ahaaa …“ Kuschel nickte verstehend. „Wenn ich Teddy vermiete, wie viel würde ich für ihn bekommen?“ – „Aber Schatz“, tadelte Mama vorwurfsvoll, „Teddy ist doch dein Freund, nicht wahr? Freunde vermietet man nicht, da werden sie ganz traurig.“ Sie legte die Eier ins kochende Wasser. Kuschel zog eine Schnute. Sie drückte ihr Lieblingsplüschtier fest an sich. Teddy war etwa so groß wie eine Katze und auch genauso kuschelweich, denn er hatte dichtes Fell, sandfarben wie ein Strand am Meer. „Nein, dass Teddy traurig ist, möchte ich nicht.“ Mit seinen braunen Knopfaugen schaute er dankbar zu Kuschel hinauf. Mama lächelte und strich ihr übers Haar. „Na, siehst du!“

Sie holte die Brötchen aus dem Schrank, stellte Butter dazu, goss etwas Milch in die Tassen und rührte den Kakao hinein. Draußen fuhr ein schwarzes Auto vor.

„Papa ist da!“ Kuschel sprang auf, lief ihm durch die Gartentür entgegen und warf sich in seine Arme. Er hob sie von den Beinen, schwenkte sie dreimal im Kreis und rief: „Guten Morgen, du Wirbelwind!“ – „Morgen, Papa!“ Dann trug er das Mädchen in die Küche und setzte sie ächzend auf dem Stuhl ab. „Oh je, mein Rücken! Ich glaube, du bist langsam zu schwer für solche Hebeaktionen. Hast du eigentlich schon gepackt?“ – „Ja, Papa, alles fertig.“ – „Prima, dann kann’s ja nachher gleich losgehen.“ – „Ihr habt es wohl ganz schön eilig, was?“ – „Tja, Häschen, wir freuen uns schon sehr lange auf unseren gemeinsamen Urlaub. Leider haben wir nur eine Woche und die Zeit vergeht rasch.“ – „Also, ich finde eine Woche ganz schön lang.“ – „Das kommt dir nur so vor, weil du noch jung bist. Wenn du älter wirst“, erklärte Papa, „hast du das Gefühl, dass die Zeit immer schneller verrinnt.“ Kuschel hielt das für eine von Papas üblichen Flunkereien. „Das glaube ich nicht!“ Er lachte, „Wirst schon sehen! Jetzt lass uns frühstücken!“

Sie aßen, sie tranken, und zum Abschluss legte Mama ein Päckchen mit Wurstbroten und drei Wasserflaschen zurecht. „Für unterwegs. Und jetzt – husch-husch, mach dich bereit!“ Kuschel lief ins Bad, putzte sich die Zähne, holte ihre Sachen und klemmte sich Teddy unter den Arm. „Fertig!“

Zu dritt bestiegen sie das Auto und rollten vom Grundstück. Sie durchfuhren ein paar Nebenstraßen, folgten einer langen Hauptstraße und bogen auf die Autobahn ein. Papa warf einen kurzen Blick nach hinten: „Gut festhalten, Kuschel, wir starten jetzt durch!“ Er drückte mit dem Fuß kraftvoll auf das Gaspedal. Kuschel kam es vor, als wäre sie die Kugel auf einem mächtigen Katapult, die plötzlich durch die Gegend geschleudert wird. Sie quietschte vergnügt: „Schneller, Papa, schneller!“ Er dämpfte ihre Ungeduld: „Noch schneller geht es nicht, Süße, das ist hier nicht erlaubt. Schau doch ein wenig aus dem Fenster, und wenn du etwas Tolles entdeckst, sagst du uns Bescheid.“ – „Okee!“

Kleine Gärten zogen vorbei, gefüllt mit Menschen, die an Klapptischen saßen und sich unterhielten. Oder über ihren Gemüsebeeten standen und Unkraut jäteten. Einige putzten auch nur ihre Autos blitzblank. Dahinter folgten unzählige kleine Felder, wie ein bunter Flickenteppich, endlos weit bis zum Horizont. Auf manchen wuchs Getreide, auf anderen Bohnen oder Mais.

Eine Kirche weckte Kuschels Interesse. „Was für einen komischen Turm die hat, so lang und spitz.“ – „Der ist über 500 Jahre alt!“ erläuterte Papa. „Waaaooo …“, flüsterte Kuschel ehrfürchtig, „so alt schon?“ Sie drückte Teddy etwas fester an sich und schaute wieder aus dem Fenster.

Wenn ihr langweilig wurde, hatte sie einen geheimen Trick, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie stellte sich vor, wie ein edler Ritter in goldener Rüstung versuchte, auf seinem Pferd reitend mit dem Auto mitzuhalten. Dafür musste er besonders geschickt sein, um auf den Wald- und Feldwegen, die neben der Straße kreuz und quer entlangliefen, nicht den Anschluss zu verlieren. Manchmal endete ein Weg plötzlich, oder eine Siedlung versperrte den Weg. Dann schaute Kuschel zurück und sah den Ritter mit zunehmender Entfernung immer kleiner werden, bis er schließlich verschwand. Hatte er irgendwann das Hindernis überwunden und in wilder Jagd das Auto eingeholt, winkte er ihr freundlich zu, und sie winkte zurück.

„Wem winkst du da?“, fragte Mama, die sich kurz nach hinten umgedreht hatte. „Meinem geheimen Freund! Er hat ein Pferd und reitet neben dem Auto her. Oder neben dem Zug, wenn wir mit der Bahn fahren.“ Mama zuckte ratlos mit den Schultern. Papa sah Kuschel über den Rückspiegel an: „Du hast ganz schön viel Fantasie, Liebes!“ Das Mädchen nickte.

Sie verließen die Autobahn, und nach einer Weile wurde das Land flacher, die vorbeiziehenden Ortschaften kleiner, bis irgendwann nur noch winzige Dörfer den Straßenrand säumten.

„Sind wir bald da?“ – „Ja, Häschen, nur noch ein paar Minuten.“ Mächtige Laubbäume standen entlang der Strecke Spalier wie Soldaten, denen das Strammstehen befohlen worden war. Danach folgten ein paar Kurven und zwei, drei weitere Örtchen, dann hatten sie Fischdorf erreicht.

Kurz hinter dem Ortsschild zeigte Papa auf ein verfallenes, altes Häuschen: „Sieh mal, Schatz, hier war früher eine Bäckerei drin. Der Bäcker hatte eine sehr hübsche Tochter, die manchmal im Laden stand und Backwaren verkaufte. Nur wegen ihr konnten meine Eltern mich damals zum Brötchenholen überreden, sonst wäre ich freiwillig niemals so früh aufgestanden.“ Mama warf ihm einen bösen Blick zu, den er aber nicht bemerkte, weil er noch immer der hübschen Bäckerstochter hinterherträumte. Kuschel hatte es jedoch genau beobachtet und musste lachen.

„Und das ist der Jachthafen. Dort lagern die Hobbykapitäne ihre Boote.“ Kuschel machte ein nachdenkliches Gesicht: „Was ist das, ein Hobbykapitän?“ Papa erklärte: „Das ist einer, der nur zum Vergnügen Boot fährt. Im Gegensatz zu einem Fischer, der macht das beruflich, um davon leben zu können.“ – „Okee!“ – „Und hier ist der Hafen für die Fischkutter, erinnerst du dich?“ Papa zeigte nach rechts auf die Holzschuppen, die entlang des Kais aufgestellt waren. „Weißt du, was ein Kai ist, Kuschel?“ – „Nein, was denn?“ – „So bezeichnet man das mit Steinmauern befestigte Ufer in Häfen. So können die Schiffe besser be- und entladen werden.“ Kuschel grübelte: „Dann ist mein Mitschüler Kai also nach einer Hafenmauer benannt?“ Mama schmunzelte: „Nein, das hat nichts miteinander zu tun!“

Sie ließen den Hafen hinter sich, auch den Lebensmittelladen und bogen kurz darauf in einen sandigen Feldweg ein, der an Obstbäumen und kleinen dörflichen Häusern vorbeiführte. Nach wenigen Metern hielt das Auto neben einem weiß gestrichenen Haus. Ein älteres Pärchen trat aus der Haustür und kam winkend den Weg zum Gartentor herunter.

„Hallo! Hallohooo! Ihr seid ja schon da! Wo ist denn unser Kuschel?“ Es waren Oma und Opa, sie öffneten das Tor. Kuschel sprang aus dem Auto, noch bevor es angehalten hatte und rannte ihnen entgegen. „Omi, Opi …“ – „Hallo, meine Kleine, wir freuen uns so, dich endlich mal wiederzusehen. Du bist ja inzwischen ganz schön groß geworden! Aber kommt doch erst mal rein.“ – „Nein, nein, wir wollen gleich weiter“, rief Mama, während sie Kuschels Reisetasche aus dem Kofferraum holte, „wir müssen uns rechtzeitig im Hotel anmelden, sonst verfällt die Reservierung. Wir sehen uns ja in den nächsten Tagen. Komm, Kuschel, sag auf Wiedersehen!“ Sie verabschiedeten sich: „Bis bald!“, und das Auto brauste davon.

Oma führte das Mädchen ins Haus. „Du musst sehr hungrig sein, nach der langen Fahrt. Wir haben dein Lieblingsgericht gekocht, Königsberger Klopse, die mochtest du gern, stimmt’s?“ – „Oh ja, sehr sogar!“ Kuschel setzte sich auf einen der alten Küchenstühle, Oma deckte den Tisch. „Heute gibt’s für dich ausnahmsweise mal Cola. Aber verrate das bloß nicht deinen Eltern, sonst bekommen wir mächtig Ärger!“ Augenzwinkernd goss Opa das zuckersüße Getränk aus der Dose in ein Glas, schob es zu Kuschel hinüber und verteilte das Essen. „Ich gebe dir erst mal etwas weniger, wenn du noch mehr willst, kannst du gern einen Nachschlag bekommen.“ – „Okee!“ Kuschel stürzte sich auf das herrlich duftende Mahl, und im Nu war der Teller leergeputzt. Oma staunte. „Aber Kind, iss doch langsam, es nimmt dir doch niemand was weg.“ Opa schaute ebenso erstaunt. Er fragte: „Möchtest du noch etwas mehr?“ Kuschel nickte. Der Teller war kaum aufgefüllt, schon war er wieder leer. Kuschel schmatzte vergnügt. „Das war lecker! Dankeschön!“ Oma freute sich. „Gern geschehen, Liebes. Nun erzähl mal, was möchtest du denn machen in der Ferienwoche?“ Das Mädchen baumelte mit den Beinen, legte den Zeigefinger auf die Stupsnase und überlegte. „Mhmm … ich glaube, ich möchte ein wenig herumstreunen. Mit dem Wind um die Wette laufen. Und am Strand die Sandkörner zählen.“ Oma und Opa lachten. „Na, dann lauf, du kleiner Streuner! Du weißt ja, wo der Strand ist.“

Sie erhoben sich, Oma räumte das benutzte Geschirr zusammen und trug es hinüber zur Spüle. Dabei kippelte die Coladose, fiel vom Tablett, kullerte auf dem gemusterten Küchenboden herum und kam schließlich direkt vor Kuschels Füßen zum Stillstand. Das Mädchen kicherte übermütig, holte aus und schoss die Dose mit einem kräftigen Fußtritt durch die offenstehende Tür. Opa ermahnte sie gutmütig: „Nicht doch, Kleines, so darf man nicht mit Dingen umgehen.“ Kuschel war verunsichert: „Aber … das ist doch nur ’ne Dose!“ – „Nicht nur Lebewesen wollen gut behandelt werden, Schatz, auch Dinge haben eine Seele. Alles, was dich umgibt, steckt voller Leben. Wenn du dir ein wenig Mühe gibst, wirst du das schnell entdecken. Jetzt geh, du Schlingel, hol die Dose zurück!“ Kuschel grummelte mürrisch: „Naaa guuut!“, und lief barfuß hinaus. Sie rannte über den Rasen, durchsuchte die Büsche, flitzte um die Obstbäume herum, konnte die Dose aber nirgends entdecken. Also schlüpfte sie durch das Gartentor und krabbelte auf der anderen Seite zwischen dichtem Gestrüpp umher, leider wieder ohne Erfolg. Nanu? Wo konnte sie nur sein? „Ach, was soll’s!“ Kuschel ließ die Sucherei bleiben und stand auf, mit den Händen den Staub von den Hosenbeinen abklopfend. „Ich will jetzt den Strand sehen!“

Sie folgte dem sandigen Weg. Er führte sie erst ein Stück geradeaus bis zu den Hühnerställen, verlief dann leicht abschüssig und knickte schließlich nach rechts ab. Die Zäune neben den Ställen waren schmutzig, es klebten eine Menge weiße Federn und Unrat daran. Der unangenehme Geruch raubte Kuschel den Atem. „Igitt, hier stinkt es ja gewaltig!“ Um diesen unangenehmen Ort schneller hinter sich zu lassen, zog sie das Tempo etwas an. Erst unten, beim Schilf, wurde es besser. Dort sorgte die Brise für einen frischen Duft nach Sonne, Sand, Seetang und Meer.

Kuschel suchte nach dem geheimen Pfad im Schilf, der nur Einheimischen bekannt war. Sie fand ihn, lief zwischen den Halmen entlang und versuchte, durch hektisches Herumwedeln mit den Armen, sich nicht von den vielen, gierigen Mücken stechen zu lassen, die zwischen den Blättern versteckt auf leckere Opfer warteten.

Endlich, der sumpfige Morast wurde trockener und mündete in einem weißen Sandstrand. Über ihm der riesige, blaue Himmel und vereinzelt ein paar Möwen. Das Mädchen schaute ihnen gut gelaunt hinterher, als es plötzlich einen schmerzhaften Biss im linken Fuß verspürte.

„Autsch! Aua, aua, aua …“ Kuschel sprang mit wehleidigem Gesicht auf einem Bein im Kreis und hielt sich den schmerzenden Fuß. Sie war in eine leere Blechdose getreten, und die hatte sich halb um den Fuß herumgefaltet. „Verdammt!“ Mit den Händen bog sie die Dose auseinander, bis sie sich entfernen ließ, und warf sie wütend weit von sich. Grimmig dreinblickend humpelte Kuschel in Richtung Wasser. Schon nach wenigen Metern vernahm sie eine vorwurfsvolle Stimme: „Warum bist du so gemein zu mir?“

Erschrocken hielt sie inne und flüsterte zaghaft: „Wer spricht denn da?“ – „Na, wer wohl. Ich natürlich … die Dose!“ Kuschel fragte staunend: „Die Dose kann sprechen?“ – „Jaaajaaa … die Dose kann sprechen!“, äffte die Dose im selben Tonfall nach. „Ja … aber … wieso?“ – „Wieso nicht?“, fragte die Dose zurück. „Aber du bist doch nur ’ne Dose!“ – „Och … na schönen Dank auch!“, schimpfte die Dose. „Danke, dass du mir gezeigt hast, wo mein Platz in der Welt ist! Es ist doch immer schön zu wissen, wo man hingehört! Nur ’ne Dose!“, meckerte die Dose mit rostiger Stimme.

Das Mädchen stand noch immer da wie versteinert und starrte das zerknitterte Stück Blech an. Die Dose starrte verärgert zurück und blaffte: „Was guckst du denn so? Als wenn es nicht schon schlimm genug wäre, dass du mich misshandelt hast, stehst du jetzt auch noch gaffend herum und ergötzt dich an meinem traurigen Anblick. Sieh nur, was du angerichtet hast!“ Betrübt schaute sie an sich herunter, bemühte sich verzweifelt, die vielen Falten in ihrem Blechkleid zu glätten, was ihr aber nicht besonders gut gelang. „Ich war mal knitterfrei und glänzend, mit einem bunten Kleid, voller Hoffnung und Cola … bis ich dir vor die Füße geriet. Von da an ging es bergab.“

Allmählich aus ihrer Erstarrung gelöst, fragte Kuschel: „Ja eben, wie bist du überhaupt bis hierher gekommen? Ich hatte dich doch nur durch die Tür geschossen!“ – „Oh ja, und das war nicht gerade sehr freundlich! Mir tut jetzt noch mein blecherner Hintern weh! Aber dass du auch noch mal nachtrittst, hier am Strand, das hätte ich nicht erwartet. Erst flog ich einem großen Hund vor die Pfoten, der schnappte sofort mit seinen spitzen Zähnen nach mir, sabberte mich dabei von oben bis unten voll und verschleppte mich hierher.“ Kuschel versuchte, die Dose aufzuheitern: „Das war doch sehr nett von dem Hund, hier am Strand ist es sehr schön!“ – „Ja, für dich vielleicht! Auf mich wartet hier nur ein langsames Ende. Eigentlich bin ich dazu bestimmt, nach der Benutzung wiederverwendet zu werden. Wenn mein Leben endet, werde ich mit meiner Familie, also den vielen anderen Dosen, wieder zusammengeführt. In großen Fabriken werden neue Dosen aus uns gemacht, oder Gartenstühle, oder Autos. Doch hier am Strand werde ich langsam verrotten. Der Regen, das salzige Meerwasser und die feuchte Luft werden mein glänzendes Kleid allmählich rosten lassen, ich werde mit der Zeit immer löchriger und unansehnlicher werden, irgendwann werde ich zu Staub zerfallen sein. Es wird viele Jahrzehnte dauern, vielleicht auch Jahrhunderte. Es wird langweilig werden und deprimierend.“

Nun machte auch Kuschel ein betrübtes Gesicht. „Tut mir sehr leid, das wusste ich nicht. Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?“ – „Ja, kannst du. Bring mich bitte in einen Abfallbehälter. Dann kümmert sich die Müllabfuhr um mich und führt mich wieder mit meiner Familie zusammen.“ – „Okee!“ Kuschel hob die Dose auf und trug sie behutsam zu einem orangefarbenen Behälter, auf dem mit großen Buchstaben geschrieben stand: Recycling. Kaum hatte sie die Dose durch den Schlitz geworfen, erhob sich im Inneren des Behälters kumpelhaftes Gegröle: „Hey, schaut mal Jungs, wer da ist! Das ist ja Cola! Hey, Cola, alter Blecheimer, wie geht’s dir denn so, erzähl mal! Hast du was Spannendes erlebt?“ – „Hi, Zitrus, du alte Brausetablette, lange nichts von dir gehört!“ Kuschel lauschte neugierig dem heiteren Wiedersehen. Unglaublich, da hat die Dose gleich ein paar alte Freunde wiedergetroffen. Was für ein toller Tag!


Sie wandte sich um und lief zurück zum Strand, auf das Wasser zu. Der Wind rauschte sofort heran und nahm sie überschwänglich in Empfang. „Kuhuhuschel … was für eine Fffreude, dich wwwiederzusehen! Dein letzzzter Besssuch muss ja sssccchhhon bald ein Jahr hhher sein!“ – „Grüß dich, Wind! Ja, stimmt, ich war auch letzten Sommer hier. Hätte nicht gedacht, dass du dich an mich erinnerst.“ – „Aber liebesss Kind“, zischelte der Wind, „so einen fffrischen Fffratz wie dich behält man doch gern im Gedächtnis.“ Er pustete ihr übermütig in das eine Ohr hinein und aus dem anderen wieder heraus. Kuschel gluckste vergnügt und hielt sich schnell die Ohren zu. „Iccchhh hab extra fffür dich alle Wolken beiseitegesssccchhhoben, ich hoffe, du amüsssierst dich gut! Und nun … muss ich erst mal weiterzzziehen, draußen auf dem Meer warten ein paar Sssegelbote auf mich … wir sehen uns ssspäter!“ –„Okee! Mach’s gut, Wind, und viel Spaß beim Wehen!“ Sie eilte ihm die letzten Meter bis zum Wasser winkend hinterher.

Die Wellen glitten geschmeidig und etwas verschlafen heran, doch als sie Kuschel entdeckten, legten sie sich kräftig ins Zeug, nahmen ordentlich Anlauf und schafften es schließlich, bis zu ihren Füßen vorzudringen. Sie krabbelten das Mädchen frech an den Fußsohlen, bis es kichernd von einem Fuß auf den anderen hüpfte. „Hört auf damit, das kitzelt!“


Ihre gute Laune erlitt jäh einen herben Dämpfer. „Ey, du Dorftrampel! Hör auf, hier herumzuspringen! Du machst uns alles kaputt!“ Die raue Stimme kam von unten. Kuschel sah hinab, konnte aber nichts erkennen. „Wer war das denn jetzt?“, fragte sie verwundert. „Hier, ich war das, Flipp, der Sandfloh!“ Das Mädchen hockte sich hin, um besser sehen zu können. Auf dem Sand entdeckte sie einen winzigen gelbbraunen Punkt. Es sah aus, als hätte der Punkt empört die Fäuste in die Hüften gestützt. Kuschel entgegnete: „Sei nicht so unhöflich! Ich komme aus der Stadt!“ Fieses Gelächter ertönte. „Hast du gehört, Flipp, sie kommt aus der Stadt.“ Das Lachen kam von Flopp, dem zweiten gelbbraunen Punkt, direkt neben dem ersten gelbbraunen Punkt. „Ja, ein Stadttrampel, hähähä …“ lästerte der dritte gelbbraune Punkt, der soeben zu den anderen beiden Punkten hinzugesprungen war. „Ich bin überhaupt kein Trampel“, empörte sich Kuschel, „ich bin Kuschel, das werdet ihr euch ja wohl noch merken können!“ – „Hach, immer dasselbe mit den Touristen!“, grantelte Flipp. Die drei Punkte flüsterten miteinander, dann sagte der mittlere Punkt in versöhnlicherem Tonfall: „Na ja, okay, entschuldige, war nicht so gemeint. Wir sind Flipp, Flopp und Flupp, drei Sandflöhe. Wir wohnen hier, zusammen mit Millionen anderen Sandflöhen, und du machst gerade unsere Strandhäuser kaputt.“ Kuschel schmollte, „Welche Strandhäuser denn? Ich sehe nur Sand, Seetang und angespültes Treibgut.“ – „Genau das sind doch unsere Häuser! Wir leben unter dem Seetang, und wenn es keinen gibt, buddeln wir uns in den feuchten Sand hinein. Dort verbringen wir den ganzen Tag, und wenn es dunkel wird, kommen wir heraus und feiern wilde Strandpartys.“ – „Und wieso seid ihr jetzt draußen? Es ist ja noch hell!“, wunderte sich Kuschel. Flupp hüpfte ein paar Zentimeter auf sie zu: „Na, weil du uns gestört hast! Wir können kleinste Erschütterungen genau spüren. Wenn jemand in unsere Nähe kommt, bringen wir uns sofort in Sicherheit.“ – „Mhm … tut mir leid“, entschuldigte sich Kuschel, „ich werde das nächste Mal etwas vorsichtiger sein. Versprochen!“ Nun hüpfte auch Flopp etwas näher: „Danke, sehr nett von dir, Kleines. Na dann, ein schönes Leben noch!“ Plötzlich vernahm Kuschel ein dreifaches leises Geräusch, das klang wie ,flipp‘, ,flopp‘ und ,flupp‘, und schon waren Flipp, Flopp und Flupp verschwunden.

Überrascht suchte das Mädchen die Sandoberfläche ab, aber die drei gelbbraunen Punkte waren nirgends mehr zu entdecken. Vorsichtig stieg es über die Stelle, an der die Flöhe gesessen hatten und lief weiter ins Wasser hinein, bis es zu den Knien reichte. Da vernahm sie eine tiefe, wohlklingende Frauenstimme. „Halt ein, mein Kind! Bitte warte kurz, bis ich vorüber bin. Die langen, giftigen Tentakeln, die ich hinter mir herziehe, brennen wie Brennnesseln, wenn man sie versehentlich berührt. In meinem Alter kann man auch nicht mehr so schnell.“ Kuschel entdeckte kurz vor sich eine geleeartige, halbdurchsichtige Erscheinung, majestätisch im Wasser gleitend. „Und wer bist du?“ Die Erscheinung verlangsamte ihr Tempo und wandte sich Kuschel zu: „Ich bin Appolonia, die Qualle. Ich schwimme bereits viele tausend Jahre durch die Meere.“ Kuschel fragte verblüfft: „Ehrlich? Sooo lange? Wie kommt es, dass du nicht alterst?“ Die Qualle seufzte. „Auch ich werde mit der Zeit älter. Wenn mein Körper nicht mehr so gut funktioniert, lasse ich mich auf den Meeresboden sinken und erneuere mich selbst. Ich werde wieder jung. Auf diese Weise bin ich unsterblich.“ – „Und warum ziehst du diese giftigen Fäden hinter dir her?“ Appolonia erklärte: „Ich ernähre mich von Plankton, das sind winzige, im Meer treibende Lebewesen, und von kleinen Fischen. Da ich kein Maul habe, mit dem ich flink zuschnappen könnte, auch keine Fangarme, und mich zudem noch recht langsam bewege, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Ich entwickelte im Laufe der Zeit diese langen Fäden, die mit mikroskopisch kleinen Giftpfeilen bestückt sind. Berührt ein Fisch diese Fäden, wird er durch das Gift sofort gelähmt und kann nicht mehr entwischen. Wie du siehst, habe ich auch einen sehr empfindlichen Körper, der sofort zerreißen würde, wenn ein Fisch sich in meinen Tentakeln verfängt und zu stark daran zerrt. Darum benötige ich das Gift.“ Kuschel wurde bei dieser Beschreibung etwas unwohl. „Ist das nicht grausam, wenn du die Fische vergiftest?“ – „Das ist der Lauf des Lebens“, erklärte Appolonia, „jedes Lebewesen auf dieser Erde ernährt sich von anderen Lebewesen, die großen von den kleinen und die kleinen von den großen. Wir Quallen werden oft von größeren Fischen gefressen, diese dienen Tintenfischen als Nahrung, Tintenfische werden von Walen gejagt und Wale sinken nach ihrem Tod auf den Meeresgrund und werden von kleinen Würmern zersetzt, die wiederum von Fischen gefressen werden. So schließt sich der Kreis.“ Kuschel staunte voller Ehrfurcht. „Du weißt aber gut Bescheid!“ – „Ja, ich bin viel herumgekommen und habe unterwegs unzählige interessante Dinge gesehen. An diesem Strand hier war ich schon um die einhundert Mal. Und du? Wie oft bist du schon hier gewesen?“ Kuschel kratzte sich verlegen am Kopf. Angesichts des hohen Alters der Qualle wollte sie nicht ganz so unerfahren dastehen und flunkerte ein wenig: „Ich war … äh … zwanzig Mal hier.“ – „Das ist eine recht beachtliche Anzahl“, staunte die Qualle, „für einen, der so jung ist wie du. Ich habe dich hier noch nie gesehen. Vielleicht kann ich mich auch nur nicht mehr an dich erinnern. So ist das mit dem Älterwerden – man wird vergesslich. Nun, ich werde in Zukunft mal nach dir Ausschau halten, vielleicht begegnen wir uns ja wieder, entweder hier oder an einem anderen Strand. Und nun tritt bitte etwas zurück, Liebes, damit du nicht mit meinen giftigen Tentakeln in Berührung kommst.“ – „Okee!“ Kuschel gehorchte brav und betrachtete respektvoll die langen, gefährlich glitzernden Fäden, während die Qualle an ihr vorbeizog. „Mach’s gut, Appolonia, bis zum nächsten Mal!“ rief sie ihr hinterher.

So ein aufregender Tag! Da bin ich gerade mal angekommen, schon passieren so viele seltsame Dinge. „Und wieso können die alle sprechen?“, wunderte sich Kuschel, während sie das Wasser verließ. „Du hättest auf deinen Opa hören sollen!“, meldete sich eine Möwe in schrillem Ton zu Wort. Kuschel drehte sich erschrocken um. Der Vogel war gerade gelandet und umkreiste nun das Mädchen. „Er hat dir doch erklärt, dass alles voller Leben steckt. Hast wohl wieder mal nicht richtig zugehört?“ – „Ja … aber … woher weißt du das?“ – „Na ja“, antwortete die Möwe, „so was spricht sich hier rasch herum. Die Mücke erzählt es dem Grashalm, der erzählt es dem Wind, der Wind trägt es zum Strand … Irgendwann weiß es halt jeder. Hast du was zu essen für mich?“ Sie wurde plötzlich sehr zudringlich und begann, das Mädchen anzuflattern. Kuschel hielt schützend die Arme vor den Körper, „Hey, lass das, hör auf damit! Ich habe nichts dabei!“ Die Möwe wurde ärgerlich: „Ach, komm schon, erzähl mir nichts, ihr Menschen habt doch immer etwas dabei. Fette Wurstbrote, leckere Pommes mit Mayo und zuckersüße Schokoriegel … miam-miam, die Dinger mag ich am liebsten! Ich will nicht immer diesen kalten, glibberigen Fisch aus dem Meer essen, igitt! Los, gib schon her, gib, gib!“ Kuschel wehrte das freche Vieh ab: „Nein, verschwinde, ich habe nichts!“, und lief, so schnell sie konnte, davon. Die Möwe eilte noch ein paar Meter hinterher, sah dann aber wohl ein, dass es zwecklos war und trollte sich verärgert.

Völlig außer Atem erreichte Kuschel den kleinen Hafen. Hier lagen ein paar Kutter am Kai vertäut, der größere Teil war jedoch unterwegs zum Fischen. Eines der Schiffe hatte heute einen guten Fang gemacht und war bereits zurückgekehrt. Die Fischer holten die randvollen Kisten aus dem Laderaum und stellten sie am Ufer ab. Dort wurden sie von einigen Frauen entgegengenommen, die sogleich den Inhalt sichteten, bisher unentdeckt gebliebenen Beifang aussortierten und ins Meer zurückwarfen. Ein gutes Dutzend gefiederte Verwandte der frechen Möwe hatten anscheinend kein Problem mit dem kalten, glibberigen Fisch, denn sie balgten sich erbittert um jedes noch so winzige Stückchen.

Die Vögel aufmerksam im Auge behaltend, näherte sich Kuschel vorsichtig dem Geschehen. Einer der Fischer hatte sie bemerkt und rief ihr zu: „Keine Angst, Kleine, die tun dir nix! Für die Viecher büst du schon ’n Happen zu groß!“ Die anderen Männer lachten, der Kapitän winkte beschwichtigend mit den Händen: „Lass dich nicht ärgern, Mädchen, die Jungs hier sind immer ’n büsch’n frech, weißt?“ Kuschel nickte, etwas eingeschüchtert vom rauen Charme der Seeleute. „Und? Wo kommst’ her?“ Das Mädchen rieb sich verlegen die Nase und antwortete: „Ich bin Kuschel aus Großmannsstadt.“ – „Na“, rief der Kapitän, „da hast du ja einen weiten Weg hinter dir. Ich bin übrigens Käpt’n Achim.“ Seine Blicke huschten ratlos auf dem Deck umher, schließlich hatte er eine Idee: „Warst du schon mal auf einem Fischkutter, Kleine?“ Kuschel verneinte wortlos. „Dann komm, ich führe dich mal rum!“

Er streckte ihr die Hand entgegen, sie war rau und schwielig von der schweren Arbeit, die Haut von Sonne und Salzwasser gegerbt. Kuschel ergriff sie, tastete sich mit den Füßen vorsichtig an die steinerne Uferkante heran und sprang mit einem Satz auf das Deck hinüber. „Gut gemacht!“, lobte der Kapitän. „Willkommen auf der Wibke, so heißt mein schönes Schiff. Ich hab es nach meiner lieben Frau benannt! Stimmt’s, Wibke?“ Er sah zu den Frauen am Ufer hinüber, eine von ihnen hob winkend den Arm. Er winkte zurück und wandte sich wieder Kuschel zu: „Was möchtest du denn zuerst sehen?“ – „Mhm … ich glaube … ähm … das Lenkrad.“ Der Mann lachte, „Bei uns heißt das ,Steuerrad‘.“ Er sprach das ,St‘ wie bei ,Husten‘. „Na, dann komm mal mit!“ Käpt’n Achim führte Kuschel zum Steuerhaus, öffnete eine schwere Tür und schob das Mädchen hindurch. Es roch nach altem Holz und Feuchtigkeit.

„Siehst du, da vorn? Das ist das Instrumentenpult. Dort befinden sich die Bedienelemente zum Steuern des Schiffes. Und hier …“, er wies auf das liebevoll gedrechselte, penibel gepflegte und blank geputzte Kunstwerk, „… ist das Steuerrad!“ Dem Kapitän war deutlich anzumerken – dies war sein ganzer Stolz. Ehrfürchtig fragte Kuschel: „Darf ich mal daran drehen?“ Der Mann schaute zunächst etwas skeptisch, überwand aber schnell sein Misstrauen: „Mhm … na gut, alles klar!“ Er machte einen Schritt zur Seite und ließ Kuschel vortreten. „Das ist aber groß!“, staunte sie. Mit beiden Händen drehte sie das Rad hin und her und rief ausgelassen: „Hurra, jetzt bin ich der Käpt’n! Alle Mann an Deck! Wir fahren heute nach links! Und dann …“, wieder kurbelte sie wild am Rad, „… nach rechts!“ Der Kapitän berichtigte: „In der Seefahrt heißt das nicht links und rechts, sondern Backbord und Steuerbord!“ Kuschel hielt inne: „Ach so? Warum?“ – „Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Eine davon lautet, die Wikinger, ein altes Seefahrervolk, hatten das Steuer auf ihren Booten rechts befestigt. In Großbritannien haben es die Autos sogar heute noch dort.“ – „Also mein Papa sitzt beim Autofahren immer links am Lenkrad.“ Kuschel drehte das Steuer wieder zurück. Dabei fiel ihr ein dumpfes Geräusch auf, das sich unter ihren Füßen im Rumpf des Schiffes ausbreitete. „Wo führt denn das Steuer hin? So ein Schiff hat doch keine Räder.“ Käpt’n Achim lächelte: „Schiffe haben hinten am Heck, unterhalb der Wasserlinie, ein großes Ruderblatt, das sich entweder in die eine oder andere Richtung dreht, je nach dem, wohin man fahren will. Willst du mal den Motor sehen?“ – „Okee!“

Der Kapitän öffnete eine Luke im Boden, darunter führte eine eiserne Treppe in den Maschinenraum. Er stieg die Stufen hinab und reichte Kuschel wieder die Hand. „Vorsicht, Kleine, schön festhalten!“ Unten angelangt, staunte sie über die lange Reihe von hellgrünen Maschinenteilen, die aussahen wie Wasserpumpen: zylinderartige, gusseiserne, aufrecht stehende Rohre mit einer Art Pumpenhebel am oberen Ende. „Das ist der Schiffsdiesel, also der Motor“, erklärte der Kapitän, „er treibt diesen Kutter an.“

Hier unten roch es stark nach Lösungsmittel, Farbe und Schweröl. Der beißende Geruch war etwas unangenehm, trotzdem hüpfte Kuschel aufgeregt auf und ab … halt wie sie es immer tat, wenn sie aufgeregt war. „Können wir nicht mal ’ne Runde im Hafen drehen?“ Der Kapitän lachte laut auf. „Nein, tut mir sehr leid, das geht nicht. So ein schweres Schiff benötigt viel Treibstoff, um bewegt zu werden. Eine Hafenrunde kostet bestimmt … also … so etwa …“ Er zog die Stirn in Falten und versuchte, den Verbrauch knapp zu überschlagen. „Also, äh … so um die zehn Euro kostet sie bestimmt! Hast du denn zehn Euro?“ Sein Blick richtete sich wieder auf das Mädchen. Betrübt verneinte sie. Das tat nun wiederum dem Kapitän leid. Aufmunternd sagte er: „Sei nicht traurig, wenn du zufällig mal hier vorbeikommst, während wir gerade rausfahren, dann nehmen wir dich mit, einverstanden?“ Ein fröhliches Leuchten huschte über ihr Gesicht. „Okee!“ In Gedanken notierte sie sich die versprochene Rundfahrt als Termin in ihrem Gedächtniskalender.

Zusammen stiegen sie die Treppe wieder hinauf, oben angekommen kletterte das Mädchen von Bord. „Tschühüss, bis bald!“, rief sie zur Schiffsbesatzung und schlenderte von dannen.

Inzwischen war es Abend geworden. Die Sonne fand, sie hätte ihr Tagwerk für heute erledigt und schickte sich an, zum Horizont hinunterzuwandern, um sich allmählich schlafen zu legen. Kuschel bemerkte es auch an der zunehmenden Kühle, daher trat sie den Rückweg an. Sie lief den Straßenrand entlang und kam am kleinen Lebensmittelladen vorbei. In der Tür stand Bommel, der Besitzer, und blinzelte in den Sonnenuntergang. Als er das Mädchen bemerkte, lächelte er. „Ja, wen haben wir denn da? Kommst du uns mal wieder besuchen, hier oben in Fischdorf? Bist du bei Oma und Opa untergebracht? Sind deine Eltern auch hier?“ – „Tag auch, Bommel!“, entgegnete Kuschel und hob die Hand zum Abklatschen. Sie kannte ihn bereits von vorigen Besuchen, er war immer gut gelaunt und beschenkte sie mit süßen Kleinigkeiten. „Mami und Papi sind drüben auf der Insel. Sie wollen mal für sich allein sein. Ich fahre sie morgen besuchen. Und was machst du so?“ Bommel fuhr sich durch das fuchsrote Haar. „Ich? Och … ich mach gleich zu. Nichts mehr los heute. Sind alle schon zu Hause und gucken Fernsehen. Wie lange bleibste denn?“ – „Eine Woche“, verkündete Kuschel. „Und? Brauchste irgendwas? Soll ich dir was besorgen?“ Kuschel überlegte … „Oh ja, eine Wundertüte wäre nicht schlecht!“ Bommel nickte, „Alles klar, bring ich dir mit. Komm einfach übermorgen vorbei.“ Erfreut bedankte sich das Mädchen und wollte gerade glücklich davonspringen, als Bommel sie aufhielt. „Warte, ich geb dir noch was mit, für unterwegs …“ Er lief hinein, langte hinter seiner Kasse in einen transparenten Behälter und kam mit einem Lutscher zurück. „Hier, lass ihn dir schmecken! Aber heute Abend schön die Zähne putzen, sonst kommen die bösen Zahnwehmännlein und knabbern die Zähne an!“ Kuschel rief lachend: „Nee, nee … zu mir kommen die nicht, meine Zähne sind alle in Ordnung.“ Um es zu beweisen, setzte sie das breiteste Lächeln auf, das sie zu bieten hatte. Bommel warf einen Blick auf die Zähne und bemerkte anerkennend: „Allerdings, die sehen ja wirklich perfekt aus!“ Stolz entfernte Kuschel die Folie vom Lutscher, schnappte beherzt zu, zog den leeren Stiel aus dem Mund und überreichte ihn dem Mann. „Danke, Bommel! Bis später!“ Der blieb sprachlos staunend zurück und warf den Stiel kopfschüttelnd in einen Abfallbehälter.

Kuschel verließ den Straßenrand, bog auf den Feldweg ein und lief bis zum weiß gestrichenen Haus. Oma stand an der Tür. „Da bist du ja endlich, Liebes, komm rein, wir warten schon mit dem Abendbrot auf dich.“ Opa saß am Tisch. „Hallo, Kuschel, setz dich! Erzähl mal, was hast du denn heute so erlebt?“ Das Mädchen erzählte, von der traurigen Dose, den frechen drei Sandflöhen, dem freundlichen Wind, der aufdringlichen Möwe und dem Versprechen des Kapitäns, sie mit aufs Meer zu nehmen. Opa hörte geduldig zu und sagte: „Käpt’n Achim? Den kenne ich schon seit Jahren. Ich versuche mal herauszufinden, wann er früh mit seinem Kutter ausläuft, und dann lauern wir beide ihm auf, um zu überprüfen, ob er sein Versprechen auch einhält.“ Anschließend knuddelte er das neben ihm sitzende Mädchen, das quietschte vor lauter Glück.

Wenig später lag Kuschel im oberen Teil eines Doppelstockbettes im Gästezimmer. „Gute Nacht, Liebes, schlaf schön!“ Oma zog die Decke zurecht und strich dem Mädchen übers Haar. „Bis morgen früh.“ Sie löschte das Licht und schloss die Tür.

Kuschel schlug die Decke wieder zurück, die Nacht war viel zu warm zum Zudecken. Im Dunkeln tastete sie nach ihrem Teddy, fand ihn aber nicht. „Teddy? Wo bist du?“ – „Hier unten, auf dem Sessel.“ Das Mädchen fluchte verhalten. „Dann muss ich wohl noch mal runtersteigen.“ Sie suchte nach der Leiter, kletterte leise die Sprossen hinab und tastete sich langsam zum Sessel vor. Auf der Sitzfläche erspürte sie etwas sehr Kuscheliges, das war Teddy. Das Mädchen nahm ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich. „Da bist du ja! Hab dich schon furchtbar vermisst!“ – „Du hast gut reden, warst den ganzen Tag unterwegs und hast mich hier einfach sitzen lassen“, brummelte Teddy. „Mir war ganz schön langweilig! Warum hast du mich nicht mitgenommen?“ – „Tut mir leid, eigentlich sollte ich ja nur die Coladose zurückholen, die ich durch die Tür geschossen hatte. Aber morgen … morgen nehm ich dich mit! Versprochen!“ Mit Teddy im Arm kletterte sie zurück ins Bett. In der Wand suchte sie nach dem etwas heller leuchtenden Quadrat, einem kleinen Fenster, etwa zwanzig Zentimeter groß. Sie öffnete es, und die Kühle der Nacht schwebte herein. Die frische Luft war aromatisch und roch nach Tannen, Erde und Moos. Von weitem wehte das Rauschen des Meeres herüber, der Wind strich über die Bäume und ließ sie leise rascheln. Müdigkeit legte sich auf Kuschels Gesicht, sie mummelte sich wieder in ihre Decke ein und flüsterte: „Gute Nacht, Teddy!“ Der war bereits halb eingeschlafen und brummelte nur etwas Unverständliches. Von den Baumkronen wehte der Wind herbei, schlich durch das kleine Fenster, schwebte einmal sanft über das Bett und säuselte leise: „Gute Nacht, fffrischer Fffratz! Wir sehen unsss morgen …“

Kuschel und die Sommerferien

Подняться наверх