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Sechzehntes Kapitel: Der Drache von Angoume

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In dieser Nacht fanden alle den verdienten Schlaf. Die lange Wanderung hatte sie ermüdet. Theo verbrachte fast elf Stunden in einer komaähnlichen Starre. Als er am nächsten Morgen erwachte, erschien er Tabea und Richard so ausgeglichen und zugänglich wie schon lange nicht mehr. Sie hatten gerade mit dem Frühstück begonnen, als sie das durchdringende Rasseln eines alten, klapprigen R4 vernahmen. Victor war angekommen und begrüßte die Freunde mit einem lauten „’allo“.

Er schwenkte eine Mappe in der Linken, rief fröhlich: „Isch glaube, isch kann eusch ’elfen“, und drückte Tabea einen Kuss auf die Backe.

„Ich dachte immer, in Frankreich dürfen sich beim Begrüßungskuss nur die Wangen berühren“, frotzelte Tabea.

„Das ist rischtisch“, parierte Victor. „Wenn die Lippen höchstpersönlich die Wange liebkosen, dann drückt der Küssende damit eine ganz besondere Zuneigung aus.“

„Danke“, murmelte Tabea errötend und warf Richard, der möglichst unbeteiligt auszusehen versuchte, einen verstohlenen Seitenblick zu.

„Warst du gestern bei dem schönen Wetter wirklich in der Bibliothek?“, fragte sie Victor.

„Den ganzen Tag. Aber wenn es dazu gedient ’at, einer schönen Frau ein Läscheln auf die Lippen zu zaubern, dann ’at sisch die Arbeit gelohnt.“

Tabea errötete noch tiefer.

„Aber isch denke, ihr ’abt gestern ebenfalls den ganzen Tag gearbeitet?“

„Oh, wir waren eigentlich nur draußen in der Sonne“, erwiderte Richard und wunderte sich selbst über den aggressiven Tonfall in seiner Stimme.

„Das freut misch für eusch“, überging Victor galant Richards Verärgerung, setzte sich an den Tisch und öffnete seine Mappe.

„Es stört doch nischt, wenn isch sofort über meine Ergebnisse berischte?“

„Aber nein“, beeilte sich Tabea zu erklären.

„Als Erstes ’abe isch ’erausgefunden, dass ihr mit eurer Vermutung Rescht ’attet, dass der Weiler Vieaux frü’er Viseaux ’ieß.“ Er präsentierte den Freunden die Kopie einer historischen Karte aus dem vierzehnten Jahrhundert. „Schaut, ’ier ist Viseaux, ganz in der Nä’e des Lot, eines Flusses in der westlischen Auvergne.“ Er zeigte auf eine Markierung in der Karte. „Und dort, direkt daneben, befand sisch das Kloster Bressoardius.“

Tabea und Richard wechselten einen Blick. „Du lagst richtig, Tabea“, murmelte Richard. „Ich hätte den Arzt noch mal fragen sollen.“

„Welschen Arzt?“

„Später.“

„Gut. Als zweites ’abe isch entdeckt, dass dieses Kloster im Jahre 1384 abgebrannt ist“, fuhr Victor fort und freute sich sichtlich, als sich Tabea und Richard beeindruckt zeigten. „Angeblisch geschah es während eines gewaltigen Sturms in einer Vollmondnacht im Frühsommer besagten Jahres. Ein Blitz soll in die Lager’alle eingeschlagen und das frisch geerntete Getreide angezündet ’aben. Andere Quellen be’aupten, Bauern aus einem benachbarten Dorf ’ätten das Lager in Brand gesteckt als Racheakt für die Ketzerverfolgung im Jahr zuvor. Wie dem auch sei, der laut Zeitzeugen unnatürlische Sturm ’at bewirkt, dass der Brand auf die anderen Gebäude des Klosters übergegriffen ’at. Bressoardius wurde nischt nur nischt wieder aufgebaut, man ’at sogar den Namen der Ruine aus den Karten gestrischen, weil man den Platz für verflucht ’ielt.“

„Das ist ja hochinteressant“, kommentierte Richard beeindruckt.

„Absolut Klasse, was du da herausgefunden hast, Victor“, lobte Tabea überschwänglich.

„Das ’abe isch doch gern getan“, zeigte sich Victor geschmeichelt. „Als nächstes ’abe auch isch in weiteren Quellen bestätischt gefunden, dass Jacobus Almorella tatsäschlisch gelebt ’at. Nach 1384 wird er allerdings in keinem der Verzeischnisse mehr erwähnt.“

„Wahrscheinlich ist er in der Brandkatastrophe umgekommen“, vermutete Richard.

„Das kann natürlisch sein“, räumte Victor ein. „Wahrscheinlischer aber ist, dass er nach dem Brand seine Stellung verloren ’at.“

Tabea schüttelte den Kopf. „Wir waren an seinem Grab“, erklärte sie. „In Bressoardius.“

„Na ja“, fügte Richard auf den erstaunten Blick Victors hinzu. „Auch draußen in der Sonne lässt sich so manches herausfinden.“

Einige Sekunden lang war Victor sprachlos. „Können wir da ’infahren?“, fragte er dann aufgeregt.

„Viel besser“, trumpfte Tabea auf. „Wir fahren zu den Fingern des Teufels, dem geheimnisvollen Versammlungsplatz der ‚Schwarzen Katharer’. Hast du einen Schlafsack dabei? Wir werden wahrscheinlich dort übernachten.“

„Draußen in der freien Natur? Wundervoll, isch ’offe, dass wir uns da ein wenisch näher kommen werden. Isch ’abe nischt nur einen Schlafsack dabei, isch ’abe auch mein komfortables Zweimannzelt mitgebracht.“ Bei diesen Worten blickte Victor Tabea tief in die Augen. Diesmal errötete sie nicht, sondern schien vielmehr nach einer ausweichenden Antwort zu suchen.

„Rischard kennt das Zelt bereits“, fügte Victor deshalb schnell hinzu. „Und jetzt bin isch begierisch zu erfahren, was ihr drei so alles ’erausgefunden ’abt.“

„Das erzählen wir besser unterwegs, wenn es dir Recht ist“, entschied Tabea. „Wir sind schon ziemlich spät dran und haben heute noch einiges vor. Am besten, wir fahren sofort los.“

„D’accord! Auf zu den Fingern des Teufels!“

*

Bis sie sich endlich auf den Weg zum Garten der Feen machten, verging allerdings noch eine ganze Weile, da sie zuerst noch einige zu ihrem aufregenden Abenteuer gar nicht so recht passende Tätigkeiten erledigen mussten, wie packen, ihre Unterkunft säubern, nach Yssingeaux fahren, um dort ihren Vermieter zu bezahlen, den Kleinbus aufzutanken und um Lebensmittel für drei Tage in der freien Natur zu besorgen. Außerdem musste Richard noch unbedingt der einzigen Apotheke des Ortes einen Besuch abstatten, um ihren Verbandskasten aufzufrischen, wie er behauptete.

„Und wozu brauchst du das Ohropax?“, wunderte sich Tabea.

„Da draußen in der Natur könnte es des Nachts merkwürdige Geräusche geben“, raunte Richard geheimnisvoll und warf einen kurzen Seitenblick auf Victor.

Eine knappe weitere Stunde verloren sie schließlich auf der Polizeistation von Yssingeaux, wo Richard die Beamten bat, den Brief der Professoren an die zuständige Stelle in Edirne weiterzuleiten. Sie mussten ewig warten, bis sie endlich ins Büro gebeten wurden, und sie hätten sicherlich noch weit mehr Zeit verloren, wenn sich nicht die zuständige Beamtin als junge, hübsche, ein wenig gelangweilt blickende Frau herausgestellt hätte, was Victor dazu veranlasste, Richard in das Büro zu begleiten. Der Franzose übernahm sofort die Initiative und spielte seine naturgegebene Begabung gegenüber dem schwachen Geschlecht aus. Nach lediglich acht Minuten und zweiunddreißig Sekunden hatte er nicht nur erreicht, dass die junge Beamtin den Brief weiterleitete, ohne die Freunde länger mit Protokollen und Fragen aufzuhalten, sondern er hatte auch ganz nebenbei ein baldiges Rendezvous mit der Hübschen vereinbart.

Dennoch zeigte Richards Uhr schon beinahe auf drei, als sie endlich Yssingeaux verließen. Sie beschlossen, diesmal über Angoume zu fahren, wo sich die Einwohner hoffentlich ein wenig zugänglicher gegenüber ihren Fragen zeigen würden als in Vieaux.

„Und warum fahren wir nischt zuerst zu diesen Fingern des Teufels, bauen dort unsere Zelte auf und besuchen Angoume danach?“, schlug Victor vor.

„Weil wir einen Fußmarsch von mindestens anderthalb Stunden vor uns haben, bis wir zu den Teufelsfingern gelangen“, erklärte Richard.

„Oh“, stöhnte Victor und betastete schwer atmend seinen Bauch. „Ein Fußmarsch. Das ’at mir niemand gesagt. Es wird Zeit, dass ihr mir endlisch erklärt, um was es ’ier eigentlisch geht.“

Als sie schließlich nach einer abenteuerlichen Fahrt über enge, verschlungene „Straßen“, gegen halb fünf in Angoume angekommen waren, fühlte sich Victor ausreichend informiert.

Er übernahm es, sich im Dorf nach den Rätseln dieses Landstrichs zu erkundigen. Anfangs wirkten die Bewohner ähnlich reserviert und misstrauisch wie in Vieaux: Auch hier wurden Fensterläden geschlossen und Kinder von der Straße geholt. Aber dank Victors Charme begannen dann doch wenigstens einige ältere Frauen aufzutauen und über den Fluch, der über dem Garten der Feen lag, zu berichten. Sie erzählten von Hexerei, von einem Hirten, der vor über fünfzig Jahren bei den Fingern des Teufels einer überirdisch schönen Frau begegnet und daraufhin dem Wahnsinn verfallen sei, von merkwürdigem Ungeziefer, das immer wieder ihren Schaf- und Ziegenherden zusetzte, und natürlich davon, dass man diesen Ort besonders bei Voll- und Neumond meiden sollte, falls man an seinem Leben hing.

„Kommen Schie mit, wenn Schie unsch nicht glauben“, forderte sie ein älterer Mann auf, der sich hinzugesellt hatte. „Ich tscheige Ihnen mein Muscheum.“

„Ein Museum?“, wiederholte Richard ungläubig.

„Ja, mein Privatmuscheum. Kommen Schie!“

Das „Museum“ entpuppte sich als Scheune, in der an einer der Seitenwände zwischen Heu und Strohballen einige seltsame Relikte aufgebaut waren, Überreste sowohl pflanzlicher als auch tierischer Natur.

„Hier, diesche Unkräuter, die habe isch letschtes Jahr in meinem Feld am Waldrand gefunden.“ Der „Museumsführer“ holte einige Gräser von der Wand. „Die schind nicht von Gott erschaffen worden. Ich kenne mich ausch mit der Natur.“

„Tripsicum?“, wandte sich Richard an Theo.

„Tripsacum“, korrigierte dieser. „Oder Andropogon. Auf jeden Fall eine amerikanische Art. Der Mann ist ein guter Beobachter.“

„Und dasch hier“, fuhr ihr Führer fort und drückte ihnen einen Glasbehälter in die Hand, der ein großes, halbverfallenes Insekt umhüllte, „dasch schieht ausch wie ein Graschhalm, ischt aber ein Tier, dasch in der Schintflut umgekommen ischt.“

„Eine Stabheuschrecke“, flüsterte Theo aufgeregt. „Das ist unmöglich. Gibt es hier einen Insektenzoo in der Nähe?“

Victor übersetzte die Frage. Der Besitzer des „Museums“ sah aus, als wüsste er mit dem Begriff „Insektenzoo“ nicht das Geringste anzufangen.

„Haben Sie noch mehr ungewöhnliche Insekten gefunden?“, wollte Theo dann wissen, und Victor übersetzte bereitwillig.

Der Bauer schob einen Strohballen zur Seite. Darunter kamen noch weitere schlecht präparierte Tiere zum Vorschein, die sich in unterschiedlichen, meist fortgeschrittenen Stadien des Zerfalls befanden. Aber selbst die wenigen noch einigermaßen erhaltenen Exemplare reichten aus, um die Freunde in großes Erstaunen zu versetzen. Neben größeren und kleineren Spinnen lagen ein schillernder Käfer, ein gigantischer Hundertfüßer und zwei riesige Nachtfalter in ihren Behältern.

Der Besitzer der Sammlung zeigte auf eine der großen Spinnen. „Die hier hat meine Frau gebischen. Drei Tage lang konnte schie schich kaum bewegen.“

„Eine Vogelspinne“, erklärte Theo. „Hätte ich nur ein Bestimmungsbuch über die südamerikanische Faunenprovinz mitgenommen.“

„Und all diesche Viecher kommen von den Fingern desch Teufelsch“, behauptete der Bauer.

„Waren Sie jemals dort?“, erkundigte sich Tabea.

„Nein, ich würde mich niemalsch an dieschen verfluchten Ort wagen. Aber ich habe einen Acker nicht weit davon, direkt am Waldrand. Und auscherdem gehe ich oft im Wald schpatschieren, natürlich nur tagschüber und nie bei Voll- oder Neumond. Da habe ich dasch allesch gefunden, all diesche Kreaturen desch Teufelsch.“

Das begeisterte Feuer eines fanatischen Sammlers glänzte in den Augen des Mannes. „Aber nun werde ich euch etwasch tscheigen, wasch ich noch nie einem anderen Menschen getscheigt habe“, kündigte er an. „Esch ischt der Drache.“

„Ein Drache?“, wiederholten Tabea und Victor gleichzeitig.

Der Bauer nickte bedeutungsvoll und räumte einige weitere Strohballen beiseite. Schließlich zog er ein Stück Wirbelsäule mit langen, gebogenen, unten zusammengewachsenen Rippen hervor. „Dasch ischt ein Schtück vom Schwantsch desch Drachen“, raunte er und drückte die Knochen Victor in die Hand, der sie rasch an Theo weiterreichte.

Der Biologe hielt den Atem an. „Eine Schlange“, flüsterte er, „wahrscheinlich eine Riesenschlange.“

„Südamerikanisch?“

„Kann sein.“

„Wasch hat er geschagt?“, fragte der Bauer neugierig. Victor übersetzte ihm Theos Deutung.

„Unmöglich. Dasch ischt doch keine Schlange“, protestierte der Alte. „Dasch ischt viel tschu grosch dafür. Dasch ischt ein Schtück vom Schwantsch einesch Drachen, scho wahr ich hier schtehe!“

„Unser Freund hier ist immerhin ein Experte von der Universität“, griff Tabea in die Diskussion ein.

„Ekschperte?“, fragte der Bauer spöttisch und griff in das Stroh. „Und wasch ischt dann dasch da?“

In seinen Händen lag ein gewaltiger, klobiger Unterkiefer mit einem einzigen stumpfen Zahn. Theo riss den Knochen an sich und betrachtete ihn mit offenem Mund.

„Und? Was ist das?“, wiederholte Richard neugierig die Frage des Bauern auf Deutsch.

„Ich weiß es nicht“, gestand Theo. „Das ist mir völlig unbekannt.“

„Vielleicht ein Bär?“, schlug Richard vor.

„Das ist kein Raubtier.“ Theo schüttelte entschieden den Kopf. „Es ist auf jeden Fall ein Pflanzenfresser. Und ein Säugetier, kein Reptil. Die Rippen haben mit diesem Unterkiefer nichts zu tun.“

Richard beobachtete das Gesicht des Bauern, als Victor diesem die Aussagen Theos übersetzte. Dem Besitzer der Knochen war es überhaupt nicht recht, dass seine Drachentheorie von dem Vertreter der Wissenschaft nicht bestätigt wurde.

„Es ist auf jeden Fall ein wichtiger Fund“, versuchte Richard zu trösten.

„Hat der Mann noch mehr Knochen?“ wollte Theo wissen. Victor übersetzte.

„Noch einen“, teilte der Mann ein wenig eingeschnappt mit. „Aber der ischt gantsch bestimmt von einem Drachen.“ Mit diesen Worten enthüllte er eine gewaltige Klaue und überreichte sie Theo. Der Fund hatte die Ausmaße von Richards Unterarm.

„Welchesch Tier auscher einem Drachen hat eine scholche Klaue, hä?“, trumpfte der Bauer herausfordernd auf.

„Das kann ich ohne Buch nicht bestimmen“, brummte Theo.

„Aber stammt es aus Südamerika?“, hakte Richard nach.

„Ich kenne kein Tier in Südamerika, das solche Klauen hat“, wunderte sich Theo. „Vielleicht ein Ameisenbär? Aber der muss ja gigantisch gewesen sein. Victor soll diesem Mann erklären, dass ich nicht widerlegen kann, dass das Ding nicht doch von einem Drachen stammt.“

Victor folgte dieser Aufforderung, was den Bauern sichtlich zufrieden stellte.

„’aben Sie das auch im Wald gefunden?“, wollte Victor von ihm wissen.

„Nein, dasch schtammt ausch dem Garten der Feen.“

„Sie waren also doch dort oben?“, hakte Tabea nach.

„Nein, mein Sohn“, antwortete der Bauer mit Tränen in den Augen. „Er war erscht viertschehn, alsch er diesche Knochen entdeckt hat.“

„Haben Sie ihn verloren?“, fragte Tabea mitfühlend.

Der Alte nickte. „Er lebt in Parisch und läscht höchschtensch noch alle Schaltjahre wasch von schich hören. Ja, dasch ischt der Lauf der Welt.“

„Das ist ja großartisch“, schimpfte Victor, als sie die Scheune verlassen hatten. „Wo führt ihr misch denn eigentlisch ’in. An einen Ort, wo giftige Spinnen, riesige Schlangen und vielleischt sogar Drachen leben? Seid ihr denn wahnsinnisch?“

„Übertreibe nicht“, brummte Theo. „Diese Tiere können da oben gar nicht überleben. Sie müssen aus irgendeinem Wanderzirkus stammen. Die Winter hier sind viel zu kalt für Vogelspinnen und Riesenschlangen.“

„Und wenn es dort irgendwelche Höhlen gibt?“, schaltete sich Richard ein.

„’öhlen?“

„Wo es warm bleibt im Winter?“ Richard ließ sich durch Victors entsetzten Zwischenruf nicht stören. „Du hast doch gesagt, Theo, der Talkessel sei vulkanischen Ursprungs.“

„Vulkanischen Ursprungs?“, hakte Victor aufgeregt nach. „Auch das noch!“

„Der Vulkan hat schon seit über zehntausend Jahren kein Feuer mehr gespuckt“, beruhigte Theo. „Aber immerhin, ausschließen kann man nicht, dass es noch irgendwo Restwärme gibt. Und die Gräser und die Araukarie, die wir dort gefunden haben … Seltsam, alles sehr seltsam. Das müssen wir unbedingt untersuchen.“

„Also isch schlage vor, dass wir besser einen Ausflug nach Clermont-Ferrand machen. Es soll dort eine rescht ’übsche Bibliothek geben.“

„Wir können dich gerne nach Bressoarde zurückfahren, wenn du Angst hast“, schlug Richard vor.

„Angst?“, brauste Victor auf. „Isch ’abe doch keine Angst. Isch frage doch nur, ob ihr wirklisch an diesen verfluchten Ort gehen wollt. Lassen wir doch die Feen in Ru’e schlafen.“

„Wir gehen hin“, entschied Tabea mit einem Ton in der Stimme, der keinen Widerspruch zuließ.

Richard und Theo nickten zur Bekräftigung.

„Kommst du jetzt mit, Victor?“, forderte Tabea den Franzosen heraus.

„Natürlisch“, seufzte dieser. „Wer soll eusch denn sonst zurück’alten, wenn ihr in euer Verderben rennen wollt? Einer muss doch in diesem verrückten ’aufen ’ier bei Verstand bleiben.“

*

Der Besuch in Angoume hatte die Freunde mehr Zeit gekostet, als sie eingeplant hatten. Als sie endlich den Abstellplatz vom Vortag erreicht und den VW-Bus entladen hatten, war die Sonne schon auf zehn Grad über den Horizont gesunken. Bis zum Untergang des Tagesgestirns blieb ihnen höchstens noch eine Stunde.

Mit dem Gepäck auf dem Rücken kamen sie langsamer voran als am Vortag. Sie folgten dem Pfad, bis er sich verlor, doch als sie sich dann den Hang zum Krater hinaufquälten, fanden sie in der hereinbrechenden Dämmerung die Furche nicht mehr, die sie am vorigen Tag in den Talkessel geführt hatte.

„Ist das nischt ein Wink des Schicksals?“, fragte Victor in die Runde. „Sollten wir nischt besser umkehren?“

„Wir müssen uns mehr links halten“, beurteilte Theo die Situation. Richard und Tabea nickten. Dem Biologen trauten sie die beste Orientierungsgabe von allen zu.

„Warum ’ört denn niemand auf misch?“

Eine Viertelstunde später standen sie tatsächlich am Kraterrand. Das herrliche Panorama entschädigte sie für die Schlepperei. Im Schimmer des Abendrots glänzten die drei Basaltnadeln in königlichem Purpur. Doch um dorthin zu gelangen, mussten sie zuerst noch ein Hindernis überwinden: die Kraterwand. Über hundert Meter stürzte sie vor ihren Füßen in die Tiefe.

„Ihr wollt doch nischt etwa da runterklettern?“, stammelte Victor entsetzt.

„Hast du eine bessere Idee?“, entgegnete Tabea.

„Aber wir ’aben doch keine Seile.“

„Dann muss es eben ohne gehen.“

„Das ist Selbstmord.“

„Wir könnten am Kraterrand entlang marschieren, bis wir auf die Schlucht von gestern stoßen“, schlug Theo vor. „Dann gehen wir an der Schlucht entlang bis zu ihrem Anfang und von dort durch die Schlucht in den Krater. Das dauert zwar ein bisschen länger, aber dafür wird sich auch niemand ein Bein brechen.“

„Wenigstens einer unter eusch, der noch ein wenisch Verstand beisammen ’at.“

Der Kraterrand verlief unebener, als er am gestrigen Tag von unten gewirkt hatte. Immer wieder ging es bergauf oder bergab, immer wieder mussten sie stacheligen Gehölzen ausweichen, und immer wieder mussten sie kleinere Furchen überwinden. In der zunehmenden Dunkelheit wurde es von Minute zu Minute schwerer, den Steinen und Wurzeln auszuweichen. Vor allem Victor stolperte andauernd über Hindernisse. Doch endlich standen sie vor der gesuchten tiefen Klamm. Eine weitere halbe Stunde verging, bis sie durch die Schlucht in den Talkessel gelangt waren. Die drei Felsen wirkten wie schwarze Fangzähne in der tiefen Nacht, die inzwischen hereingebrochen war. Im Licht ihrer Taschenlampen mussten sie die Zelte aufschlagen, aber schließlich war auch diese Arbeit getan.

Eine halbe Stunde später saßen sie an einem gemütlichen Lagerfeuer und streckten ihre schmerzenden Beine aus.

„Da, eine Sternschnuppe.“ Tabea zeigte in den Himmel.

„Jetzt darfst du dir etwas wünschen“, meinte Richard. „Aber nicht verraten, was.“

„Also isch wünsche mir, dass wir das alles ’ier ’eil überstehen.“

„Kannst du denn nicht einmal einfach die Ruhe hier genießen?“, knurrte Theo ein wenig genervt.

„Isch versuche es ja, aber wenn isch an die Spinnen und Schlangen denke, die uns dieser Bauer gezeigt ’at … Isch glaube, isch werde in dieser Nacht kein Auge zutun. Apropos Ru’e. Ist eusch schon aufgefallen, wie absolut still es ’ier ist? Kein Vogel, noch nischt einmal eine Grille ist zu ’ören.“

„Stimmt“, stellte Richard fest und holte eine durchgebackene Kartoffel aus dem Feuer. „Seltsam. Warum nur?“ Nachdenklich befreite er den Erdapfel von der anhaftenden Asche.

„Wahrscheinlisch, weil die Spinnen und Schlangen alle Grillen und Vögel aufgefressen ’aben.“

„Warum ist es eigentlich so dunkel hier?“, wunderte sich Tabea. Sie erhob sich und ging ein paar Schritte auf die Basaltfelsen zu.

„Es ist mehr Feuchtigkeit in der Luft als in den letzten Nächten“, dozierte Theo. „Das dämpft das Sternenlicht. Nicht selten das erste Anzeichen für einen Wetterumschwung.“

„Das ist ja wundervoll.“ Nun erhob sich auch Victor und gesellte sich zu Tabea. „Wenn es regnet, bleiben die Spinnen vielleischt in ihren Löschern.“

„Glaube ich nicht“, widersprach Theo. „Was wir bei dem Bauer gesehen haben, waren allesamt feuchtigkeitsliebende Exemplare aus dem tropischen Regenwald.“

„Du verstehst disch darauf, andere aufzu’eitern, mein Freund.“

Der Schrei eines Käuzchens hallte durch die Nacht. In der Totenstille der Umgebung wirkte er doppelt laut, so dass Richard unwillkürlich zusammenfuhr. Tabea stieß einen dünnen Schrei aus. Victor griff sofort nach ihrer Schulter.

„Bist du erschrocken?“, flüsterte er. „Macht nischts, isch ebenso. Lass uns ans Feuer zurückge’en.“

Er legte einen Arm um Tabea und führte sie an den Lagerplatz zurück. Dort setzte er sich hinter sie und begann, ihren Nacken zu massieren.

„Du bist ein wenisch verspannt, ma chérie. Tut das gut?“

„Ja. Nicht aufhören.“

Richard fühlte einen Stich im Herzen. Er hörte, wie Tabea leise Laute von sich gab, die zeigten, wie sehr sie die Massage genoss. Ihm gefiel es nicht, wie Victor sich an sie heranmachte. Wie gerne würde er selbst an dessen Stelle sitzen und ihren Nacken kneten … Nur ruhig, ermahnte er sich. Tabea war eine gute Freundin, er hatte sie gern, aber er liebte eine andere, oder? Er blickte zu Theo, der mit träumenden Augen ins Feuer starrte. Dachte sein Freund ebenfalls an die Schöne? An den Traum, den sie beide geträumt hatten? Richard spürte, dass ihm ihr Bild heute nicht vor seinem inneren Auge erscheinen wollte. Er sah nur Tabea, und wie der Franzose sie anmachte.

„Wir alle geraten allzuleischt in Furscht an einem so un’eimlischen Ort wie diesem“, säuselte Victor ihr zu. „Doch es gibt ein unfehlbares ’eilmittel gegen die Angst. Eine Therapie, die man nur zu zweit durchführen kann, mein Schatz.“ Sanft küsste er Tabeas Nacken, während seine Hände sich ihre Wirbelsäule entlang hinunterarbeiteten, zu tieferen Regionen, was Tabea mit einem wohligen Seufzen beantwortete.

„Soll isch weitermachen, chérie?“

Nein, dachte Richard.

„Ja“, hauchte Tabea.

„Dann lass uns in mein Zelt gehen. Da kannst du disch bequem ausstrecken.“

„Das wäre schön.“ Tabea machte Anstalten, sich zu erheben. Victor reichte ihr galant die Hand.

„Was ist eigentlich mit Sophia, Victor?“ Richards Stimme klang schneidend.

„Sophia?“ Victor versuchte, so unschuldig wie möglich zu blicken.

„Deine Freundin. Seid ihr denn etwa nicht mehr zusammen?“

Victor ließ von Tabea ab, die sich verärgert zu Richard drehte.

„Isch ’abe dir doch erklärt, dass es nur eine Bezie’ung auf Zeit war“, erläuterte Victor.

„Und Nathalie? Und Amélie? Deine Freundinnen in Frankreich? Wie geht es ihnen denn so?“

„Jetzt reischt es aber.“ Victor ging auf Richard zu. „Was soll das?“

Plötzlich ernüchtert, stand Richard auf. Genau, was tat er da eigentlich? War er verrückt geworden? Tabea konnte doch schließlich machen, was sie wollte. Zerknirscht bemerkte er ihren wütenden Gesichtsausdruck und schaute zu Boden. Victor legte ihm einen Arm auf die Schulter. „Komm mit, mein Freund!“, verlangte er. „Wir zwei müssen uns einmal unter vier Augen unter’alten.“

Richard nickte. Zusammen entfernten sie sich vom Feuer.

„Und was soll jetzt das?“, rief ihnen Tabea hinterher.

Theo, der die ganze Szene beobachtet hatte, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, drehte ihr den Kopf zu. „Männer!“, seufzte er, Tabeas Tonfall perfekt imitierend.

„Warum ’ast du mir nischts davon gesagt?“, forschte Victor leise, als sie sich allein fühlten.

„Was denn?“

„Dass du in sie verliebt bist.“

„Wie bitte?“ Richard war wirklich perplex.

„Dann ’ätte isch selbstverständlisch die ’ände von ihr gelassen.“

„Ich bin nicht in sie verliebt.“

„Nischt? Und was sollte dann diese Szene eben?“

„Ich mag sie. Ja. Aber ich bin nicht in sie verliebt. Ich kann es nur nicht ausstehen, wie du dich an sie heranmachst.“

„Du ’ast es noch nischt einmal dir selbst eingestanden? Ihr Deutschen macht es eusch wirklisch schwer.“

„Ich liebe eine andere.“

„Ja?“ Victor klang nicht sehr überzeugt.

„Ja.“ Richard wandte sich ab. Was hatte ihn nur geritten, Victor von seinen innersten Geheimnissen zu erzählen? Aber vielleicht musste er einfach mit jemandem darüber sprechen. Warum nicht mit Victor, dem Experten?

„Sie ist … ein Traum“, druckste er herum.

„Ein Traum?“

„Ich habe sie gerade zwei- oder dreimal gesehen, in der Wirklichkeit gesehen, meine ich. Ich weiß nicht, wie sie heißt, was sie macht, woher sie kommt, ich weiß gar nichts über sie. Wir haben nie ein Wort miteinander gewechselt, nur einmal einen Blick. Aber dann ist sie mir in meinen Träumen begegnet. In Edirne, als ich im Fieber lag, in dieser Hütte im Dorf. Sie war der Engel, der mir den Eingang zur Höhle gezeigt hat. Der Traum war so intensiv, als wäre alles in Wirklichkeit passiert. Wir haben uns geküsst, doch dann wurden wir gestört.“

„Und?“

„Das war’s. Im Wesentlichen.“

„Du bist krank, mein Freund. Das Fieber aus Edirne scheint noch immer in dir zu stecken. Wie kann man nur in einen Traum verliebt sein? Wo du doch die Realität nur mit den ’änden zu greifen brauchst.“

„Vielleicht hast du ja Recht. Ich sollte darüber nachdenken.“

„Nachdenken? Du denkst sowieso schon zuviel, mein Freund. Ihr Deutschen denkt alle zuviel. Das Volk der Dichter und Denker, sagt man. Und wo bleibt das Leben?“

„Du hast ja Recht. Lass mir bloß noch etwas Zeit.“

„Zeit? Irgendwann ist das Leben vorbei, wenn du andauernd nur am Nachdenken bist. ’ör auf das, was du fühlst.“

Richard schwieg. Das war so leicht gesagt. Aber wenn er auf seine Gefühle hörte, müsste er dann nicht seinem Traum folgen? Dann dürfte er sich doch gar nichts aus Tabea machen. Und warum hatte er sich dann eben so aufgeführt? Er dachte schon wieder nach, fiel ihm auf. Grübelte er wirklich zu viel?

„Und, was fühlst du?“, fragte Victor.

„Nur, dass ich müde bin. Lass uns zu Bett gehen.“

Victor bedachte ihn mit einem äußerst skeptischen Blick.

„Wenn du meinst“, bemerkte er.

„Was sollte denn vorhin diese Szene?“, nörgelte Tabea leise, aber heftig, als sie und Richard sich in ihre Schlafsäcke gewickelt hatten und an den schweren Atemzügen Theos erkennen konnten, dass dieser schon ins Reich der Träume hinübergeglitten war.

„Ich möchte schlafen“, knurrte Richard.

„Warum hast du dich so kindisch aufgeführt?“ Tabea ließ nicht locker.

„Ich? Ich habe mich aufgeführt? Und du? Was schmeißt du dich so an diesen Kerl ran? Vor allen Leuten?“

„Und? Was geht dich das an?“

„Nichts. Ich weiß. Aber so was macht man einfach nicht. Das ist billig.“

„Du bist blöd. Ich kann immer noch rüber gehen, in sein Zelt, wenn du nur noch am Nerven bist.“

„Dann geh doch. Ist mir doch egal.“

Tabea wand sich aus ihrem Schlafsack. „Wie du willst.“ Sie rollte den Schlafsack zusammen und ging zum Zelteingang.

„Viel Spaß auch“, flüsterte Richard zum Abschied.

„Schlaf schön“, gab sie zurück und verschwand.

Natürlich wusste Richard, dass er heute Nacht kein Auge würde zutun können. Zu tief bohrte die Wut in seinem Bauch. Wut auf Victor, auf Tabea und vor allem auf sich selbst. Warum regte ihn diese Geschichte bloß so auf? Tabeas Verhalten ging ihn wirklich nichts an. Hoffentlich waren sie wenigstens nicht so laut beim … Ärgerlich griff er nach seiner Packung Ohropax. „Besser ist besser“, brummte er. Doch noch bevor er den ersten Stopfen in sein Ohr gepfriemelt hatte, hörte er ein nur zu vertrautes Geräusch, das all seinen Ärger verfliegen ließ: ein Schnarchen. Victors unsägliches Schnarchen. Richard grinste zum Zeltdach hinauf und genoss die famosen Sägekünste des Franzosen. Kurz darauf öffnete Tabea den Eingang und warf ihren Schlafsack neben Richard.

„Das ist ja unerträglich“, schimpfte sie. „Wie soll man so etwas aushalten?“

„Möchtest du Ohropax?“, bot Richard mit sanfter Stimme seine Hilfe an.

„Hast du noch welches übrig?“

„Für dich immer.“

„Danke, du bist ein Schatz.“

„Entschuldigung wegen vorhin.“

„Ebenfalls Entschuldigung.“

„Küsschen?“

„Küsschen.“

*

„Da ist sie.“ Sie standen vor dem Zelt und Theo zeigte auf eine Gestalt, die in sanftem, orangefarbenem Licht schimmerte.

„Sie winkt mir zu“, raunte Theo mit seltsam verhallender Stimme. Richard wusste instinktiv, dass er sich in einem Traum befand. In Theos Traum. Die Lichtgestalt schwebte vor dem Turm, der in voller Höhe vor den schwarzen Basaltfelsen aufragte. Engelsflügel entwuchsen ihrem Rücken. Waren sie für das Schweben verantwortlich? Ihr Gesicht wirkte undeutlich, verschwommen, doch Richard wusste, wer sie war. „Angila“, flüsterte er. Er schaute sich um, aber Theo war verschwunden. Langsam ging Richard auf die Gestalt zu. Je näher er kam, desto deutlicher kristallisierte sich das Gesicht der Erscheinung heraus. Die Flügel wurden kleiner und flossen in den Körper zurück, ihr Haar, erst golden, verwandelte sich in helles Silber, bis das Wesen ganz seiner Schönen glich, so wie er sie in seinem Fiebertraum erblickt hatte. Sie öffnete die Arme, Richard streichelte ihr Gesicht, dann umfasste er sie. Ihr Körper fühlte sich anders an als damals, stellte er irritiert fest. Sie löste sich aus seiner Umarmung und berührte die feine Narbe an seiner Wange, die in dumpfem Schmerz pochte. Leise begann sie ihre wunderschöne Melodie zu singen, und der Schmerz verebbte. Dann küssten sie sich, und plötzlich befand er sich an der Grabungsstätte bei Edirne. Er sah das volle Mondlicht vom Himmel leuchten, sie warfen sich auf den Boden und wälzten sich den Hang hinunter, bis der Schrei des Raben ihr Liebesspiel beendete. Da begann sie sich aufzulösen, dematerialisierte sich buchstäblich in seinen Armen. Er vernahm ein Lachen, nicht hell wie klingende Glocken, vielmehr war es eine Altstimme, verführerisch, aber ihm unbekannt. „Du nicht!“, verkündete die Stimme. „Nein, du nicht!“ Dann sah er, wie sich auch die Landschaft aufzulösen begann, und wieder konnte er ihr Lachen hören, das nun beinahe drohend klang. „Angila!“, rief er verzweifelt, doch das finstere Lachen übertönte sein Rufen.

Schweißgebadet schreckte er hoch. Er saß in seinem Zelt. Neben ihm lagen Theo und Tabea, letztere mit offenen Augen.

„Hast du geträumt?“, fragte sie mit Sorge in ihrer Stimme.

„Ja“, murmelte Richard, stand auf und ging nach draußen. Tief sog er die frische Nachtluft ein. Die Sterne wirkten nun noch blasser, von einigen hauchdünnen Federwolken zusätzlich in ihrer Leuchtkraft eingeschränkt. Wie die Krallen eines vorzeitlichen Ungetüms grüßten die Teufelsfinger herüber.

Was war geschehen? Was bedeutete dieser Traum? Was war das für eine Stimme gewesen? Richard konnte sich nicht erinnern, sie jemals vernommen zu haben. War es die wahre Stimme der Angila?

Richard zuckte zusammen, als er eine Berührung an seiner Schulter spürte. Es war Tabea, die ihn teilnahmsvoll betrachtete.

„Wer ist diese ‚Angila’?“, wollte sie wissen.

Richard starrte sie nur an.

„Du hast im Traum ‚Angila’ gerufen“, beantwortete Tabea Richards unausgesprochene Frage. „Ist sie der Engel aus deinem Traum, der dich in diese Höhle geführt hat, die du dann wirklich entdeckt hast?“

Richard nickte zögernd. Tabea schmiegte sich an ihn. „Magst du mir davon erzählen?“, forderte sie ihn sanft auf.

Richard schüttelte den Kopf. „Jetzt nicht“, flüsterte er.

„Du musst nicht“, sagte sie.

„Das ist lieb von dir“, bedankte sich Richard und schlang die Arme um sie. „Ich bin froh, dass es dich gibt, Tabea.“

„Ich auch“, hauchte sie und blickte ihn an. Richard fühlte, wie Verlangen in ihm aufstieg.

„Entschuldige noch mal, wegen vorhin“, murmelte er und streichelte ihre Locken.

Tabea lächelte, dann schaute sie ihm ernst in die Augen und öffnete den Mund, eine Einladung, der Richard nicht widerstehen konnte. Sie klammerten sich aneinander und bedeckten sich gegenseitig mit Küssen, bis ihre Lippen zueinander fanden. So lange hatte er sich danach gesehnt, und Tabea ebenso. Er spürte ihre Zunge und beantwortete ihr Verlangen, glaubte, dass seine Sinne zu schwinden drohten, alles um ihn begann zu verschwimmen, und dann war ihm, als würde er nicht mehr Tabea in den Armen halten, nein, sie war es, die Schöne, seine Angila, sie war es, die ihm gerade das T-Shirt über den Kopf zu streifen versuchte, sie, mit ihren unvergleichlichen Augen, ihren silbernen Haaren, ihre Stimme war es, die gerade vor Erregung seufzte.

„Nein!“, schrie Richard und befreite sich aus der Umarmung.

Tabea schaute ihn an. Ihre Augen drückten Verständnislosigkeit aus. „Was ist denn?“, fragte sie. „Hab’ ich was falsch gemacht?“

„Nein“, gab Richard tonlos zurück.

„Hast du eine andere?“

„Schon näher dran.“

„Du hast mir nie etwas davon gesagt.“

Richard nahm Tabeas Hände. „Ich habe keine andere.“

„Geht es dir nicht gut?“

Richard schüttelte den Kopf. „Ich mag dich wirklich sehr, Tabea, aber … ich muss dir etwas sagen. Ich … ich hab’ es dir verschwiegen, ich hab’ es allen verschwiegen, weil ich … ich hatte Angst, … ich … ich muss es dir sagen, jetzt, wo wir uns … sonst … Aber du musst mir versprechen, Theo nichts zu verraten, nicht das kleinste bisschen, es würde zu einer Katastrophe führen!“

Tabea beobachtete ihn still, nickte dann aber.

Und Richard erzählte ihr alles, angefangen von seiner ersten Begegnung mit der Schönen, über den Abend in der Disco und seinen Fiebertraum bis hin zu dem, was gerade eben geschehen war, als er und Tabea sich geküsst hatten. Er ließ keine Kleinigkeit aus, vor allem nicht, was seine Gefühle betraf.

„Sie ist fast wie ein Dämon“, schloss er seine Rede. „Wie ein Dämon, der meinen Willen steuert.“

„Und zwischen uns steht“, ergänzte Tabea.

Dann schwiegen sie lange Zeit. Schließlich ergriff Tabea erneut das Wort.

„Auf jeden Fall ist es nett von dir, dass du so ehrlich zu mir warst.“ In ihrer Stimme schwang Bitterkeit mit.

„Ich hätte es dir schon früher sagen sollen.“

„Da hast du Recht. – Wir sollten uns schlafen legen.“

„Ja.“

Tabea ging mit hängenden Schultern auf das Zelt zu. „Nein“, schoss es Richard durch den Kopf, „das darf nicht sein!“ Er eilte ihr hinterher und fasste sie am Arm.

„Tabea“, flehte er.

„Ja?“ In ihrem Blick konnte er Enttäuschung lesen.

„Ich … ich …“ Er suchte krampfhaft nach Worten, wie er ihr erklären konnte, dass er sie trotzdem sehr gern hatte, ja sogar liebte, wirklich liebte … Oder? Liebte er sie tatsächlich? Redete er sich das nicht nur ein? War Tabea nicht vielmehr ein billiger Ersatz für die Frau, die er in Wahrheit liebte und die er nicht bekommen konnte?

Sein innerer Kampf wurde durch ein schreckliches Stöhnen beendet, das aus ihrem Zelt drang, gefolgt von mehreren lauten Schreien. Rasch stürzten sie hinein. Theo wälzte sich in seinem Schlafsack, die Augen weit aufgerissen. Panisch schlug er mit den Armen um sich, Speichel spritzte aus seinem Mund. Mit vereinten Kräften versuchten seine Gefährten ihn festzuhalten, doch immer wieder befreite er sich aus ihrem Griff und traf vor allem Richard mehrmals schmerzhaft an den Rippen.

„Nein!“, schrie er gellend. „Bleibt weg! Bleibt weg von mir!“

Dann erschlaffte er und schaute sich verwirrt um.

„Wo bin ich?“, krächzte er zwischen krampfhaften Atemstößen.

„Du bist hier“, beruhigte ihn Tabea, „in unserem Zelt. Es ist alles in Ordnung.“

Er blickte sich um wie ein gehetztes Tier, dann stürzte er nach draußen.

„Bleib hier“, bat Richard Tabea eindringlich. „Es ist besser, wenn ich ihn allein zurückhole.“

Ohne auf ihre Antwort zu warten, eilte er Theo hinterher. Der war einige Meter auf die Teufelsfinger zugerannt, bevor er abrupt stehen geblieben war. Schwer atmend starrte er auf die Ruine. Richard gesellte sich zu ihm. Trotz der Dunkelheit konnte er das Grauen in den Augen seines Freundes erkennen.

„Was hast du geträumt?“, begann Richard.

Theo schüttelte den Kopf.

„Du musst mit mir darüber sprechen. Bitte. Das ist besser, als wenn du es mit dir herumträgst.“

Theo schüttelte abermals den Kopf. „Solche Schrecken sind nicht für diese Welt bestimmt“, raunte er.

„Hast du von ihr geträumt?“

Theo nickte langsam. Schauder der Erinnerung durchzuckten ihn. Dann sah er seinem Freund in die Augen.

„Geh zurück zu Tabea. Sie wartet auf dich. Und dann verlasst dieses Tal, gleich morgen.“ Theo deutete auf die Ruine. „Dort wartet sie. Mein Tod wartet da. Sie will nur mich. Nicht euch.“

Richard spürte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte. „Du hast es mir versprochen, Theo …“

„Ich weiß. Ich werde mein Versprechen halten. Und jetzt lass mich allein.“

„Wir halten zusammen, Theo. Komm mit rein.“

„Ich kann sowieso nicht mehr schlafen. Ich bleibe lieber hier.“

„Dann bleib’ ich auch.“

„Tabea macht sich sicher Sorgen. Lass sie nicht warten.“ Theo legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. „Sie liebt dich“, fügte er einfühlsam, aber auch ein wenig ungeduldig hinzu.

Hier wusste wohl jeder besser über ihn und Tabea Bescheid als er selbst, ging es Richard durch den Kopf. Vergeblich suchte er nach Argumenten, die Theo überzeugen würden.

„Ich möchte allein sein“, beharrte der Biologe auf seiner Entscheidung. „Bitte gönn mir diese Freude.“

„Wenn es denn eine Freude ist“, zweifelte Richard. „Also gut, aber bleib bitte von diesem Gemäuer weg, klar?“

„Ja, Mutti.“

Wortlos kroch Richard in das Zelt zurück.

„Ist er in Ordnung?“, sorgte sich Tabea.

„Wie man es nimmt“, antwortete Richard. „So langsam denke ich, dass hier gar nichts in Ordnung ist. Also schlaf gut.“

An Schlaf war allerdings überhaupt nicht zu denken. Schließlich kroch Richard leise zum Zelteingang. Er sah seinen Freund nur wenige Meter entfernt im Gras sitzen und auf die drei Felstürme starren. Einigermaßen beruhigt krabbelte Richard wieder in seinen Schlafsack.

Etwa drei Stunden später schreckte er aus einem belanglosen Traum. Es war inzwischen hell geworden. Tabea neben ihm schlummerte noch tief und fest. Aus dem benachbarten Zelt konnte Richard Victors Schnarchen vernehmen, das sie die ganze Nacht hindurch begleitet hatte. Richard zog Hose und Schuhe an und wankte noch ein wenig schlaftrunken nach draußen, um nach Theo zu sehen. Doch der saß nicht mehr im Gras. Gähnend stapfte Richard durch die feuchte Wiese, aber auch hinter dem Zelt und am Eingang der Furche konnte er den Biologen nicht entdecken. Er blickte ein wenig misstrauisch zu den feucht in der verschleierten Morgensonne glänzenden Basaltfelsen und machte sich auf den Weg zur Ruine.

Theo saß auf der Rückseite des Turms neben der Araukarie. Nachdenklich betrachtete er eine kleine, rote Frucht, die er zwischen seinen Fingern bewegte.

„Wie geht’s?“, begrüßte Richard seinen Freund. „Hast du irgendwelche Drachen entdeckt?“

„Nein“, murmelte Theo nach einer Weile. „Hier gibt es nichts dergleichen: keine Schlangen, keine Vogelspinnen, keine exotischen Insekten. Nichts deutet auf ein altertümliches Biotop hin. Vielleicht gab es ja wirklich einmal einen Wanderzirkus oder einen Insektenzoo in der Gegend, und denen sind die Tiere ausgebrochen. Aber sicherlich haben sie den Winter nicht überlebt.“

„Und diese Klaue?“, warf Richard gähnend ein.

„Irgendwer muss sie hierher gebracht haben. Wieso, warum und um was es sich handelt, weiß ich nicht, aber sie stammt auf jeden Fall nicht von einem Tier, das hier überleben könnte.“

„Und warum haben die Gräser überlebt?“

„Es sind halbwegs kälteresistente Arten. Aber wie sie hierher kommen … völlig rätselhaft. – Schau dir einmal das da an.“

Theo warf ihm die Frucht zu, mit der er die ganze Zeit gespielt hatte.

„Von diesem Baum da?“, wollte Richard wissen. „Dieser Ara … dingsda?“

„Nein, von dort.“ Theo zeigte auf einen kleinen Strauch, der sich direkt an der Mauer zwischen die Brombeerranken gezwängt hatte.

„Südamerikanisch?“

„Wahrscheinlich. Eine Solanazee, ein Nachtschattengewächs, aber kein einheimisches. Ich tippe auf Lycopodium. Muss auf jeden Fall ein naher Verwandter unserer Tomate sein.“

Richard schnupperte an der Frucht. „Riecht aber nicht gerade wie eine To…“ Er unterbrach sich. Diesen Duft roch er nicht zum ersten Mal. Aufgeregt ritzte er die Frucht mit seinem Daumennagel und lutschte daran.

„Das hättest du jetzt besser nicht machen sollen“, bemerkte Theo trocken. „Ist höchstwahrscheinlich giftig. Vielleicht sogar tödlich.“

„Danke“, überging Richard Theos Warnung und versuchte, sich auf den Geschmack zu konzentrieren.

„Ich kenne die Sorte“, stellte er fest.

Überrascht zog Theo die Augenbrauen hoch. „Wann warst du in Südamerika?“

„Aus Edirne.“

„Das ist keine Frucht aus dem Mittelmeerraum. Das wüsste ich. Das verwechselst du.“

„Aus einer solchen Frucht hat deine Schöne die Salbe zubereitet, mit der sie meine Wange bestrichen hat.“

Theo wurde blass. „In deinem Traum?“

„Ja. Die hier ist wohl noch nicht ganz reif, aber der Geschmack ist sehr ähnlich. Natürlich kann das Zufall sein, aber komisch ist es schon.“

„Gib her.“

Theo saugte ebenfalls an der Frucht. „Nicht schlecht. Aber irgendein Gift ist da drin.“

„Ein Heilmittel“, widersprach Richard.

„In kleinen Konzentrationen wirken viele Gifte wie Heilmittel“, dozierte Theo und hielt Richard die Frucht vor die Augen. „Sie hat dir also davon auf die Wange gestrichen?“, vergewisserte er sich.

„Ja“, bestätigte Richard. „Warum fragst du?“

Theo wies auf die Staude, von der die Frucht stammte.

„Sie hat mir diese Pflanze gezeigt“, erklärte er.

„Sie?“ Jetzt war Richard endgültig wach geworden. „Im Traum?“

Theo schüttelte den Kopf. „Hier und jetzt. Ich habe sie gesehen.“

„Was hast du?“

„Als die Sonne aufging. Sie stand da, vor der Ruine, in einem weißen Gewand, mit Kapuze. Sie hat mir zugewinkt, wie in meinem Traum. Ich hab’ am Zelt gesessen und sie angestarrt. Ich dachte, ich bilde mir das nur ein, machte die Augen zu und wieder auf, aber sie stand immer noch da. Dann bin ich zu ihr gegangen, ganz vorsichtig, ich habe sie ja schließlich heute Nacht im Traum gesehen – und das war ein furchtbarer Traum. Die Tatsache, dass sie nun vor mir stand, hat mir Angst gemacht. Aber ich musste zu ihr. Ich musste sehen, ob sie wirklich dort stand. Als ich näher kam, lief sie hierher hinter den Turm. Ich ihr nach. Dann bückte sie sich, legte ihre Hände auf diese Pflanze, und dann war sie plötzlich weg.“

„Hat sie sich aufgelöst?“

„Nein, ich habe nur einen Moment woandershin geschaut, weil ich über eine Wurzel gestolpert bin, und als ich wieder zu ihr hinsah, war sie weg. – Werde ich verrückt?“

„Nein“, beruhigte ihn Richard. „Du warst schon immer verrückt.“

„War es eine Halluzination?“

„Was sonst?“

„Aber es kam mir so wirklich vor.“

„Das kann ich verstehen. Mein Traum in Edirne … ich denke auch immer, dass das alles dort wirklich geschehen sein muss. Besonders, wenn dann solche Dinge passieren, wie gerade eben: Dass ich die Frucht in den Händen halte, mit der sie mich geheilt hat. Dann denke ich auch, dass ich einen Sprung in der Schüssel habe.“

„Dann werden wir wohl beide verrückt.“

„Irgendetwas ist da faul. Du träumst von ihr und ich auch. Als ob sie oder irgendein anderer unsere Träume beeinflusst. Durch Telepathie oder so.“

„Das gibt es nicht.“

„Sicher? Sie gehört zu dieser schwarzen Sekte, da bin ich mir sicher. Vielleicht haben die ja irgendeine Meditationstechnik entwickelt, mit der sie die Träume anderer verändern können.“

„Deine Fantasie geht mit dir durch, Richard.“

„Aber seltsam ist es schon.“

„Ja, das stimmt. Aber ich halte immer noch eine Reihe von Zufällen für wahrscheinlicher.“

Richard seufzte. Eigentlich hielt er sich ja auch für einen rationalen Menschen. Aber die Ereignisse der letzten Zeit hatten für seinen Geschmack einige Zufälle zuviel hervorgebracht. Er ging zur Ruine, um die Pflanze näher zu betrachten. Sie ähnelte tatsächlich der Staude auf der Zeichnung Martin Finks und der auf dem Relief in der Opferhalle der Bogomilen. Noch ein Zufall?

„Da“, stellte er fest, „an der Mauer, da sind noch mehr Früchte, glaube ich.“ Er drückte die Brombeerranken, die ihm im Weg standen, mit seinen Schuhen zur Seite. Dahinter wuchs eine weitere Staude mit drei oder vier unreifen Früchten, und hinter der Staude gähnte ein Loch in der Mauer.

„Theo!“, rief Richard aufgeregt. Doch sein Freund stand schon neben ihm.

„Da geht es in den Turm“, zeigte Richard.

„In meinem Traum habe ich hier einen Eingang gesehen“, raunte Theo. „Wir sollten ein wenig buddeln. Vielleicht finden wir da drin die Lösung unserer Rätsel.“

Das Erdreich war locker, und nachdem sie ein paar widerspenstige Wurzeln beseitigt hatten, konnten sie rasch die Öffnung zu einer Größe erweitern, die ihnen gestattete, sich hindurchzuzwängen.

Im Inneren allerdings bot sich ihnen eine Enttäuschung. Im Halbdunkel stellten sie fest, dass sie sich am oberen Ende einer runden Kammer befanden. Die Decke war so niedrig, dass sie nicht einmal aufrecht sitzen konnten. Der Grund unter ihnen bestand aus feuchter, klumpiger Erde. Sie füllte anscheinend den größten Teil der vermutlich tief nach unten reichenden Kammer aus. Der Boden fiel schräg nach der dem Zugang gegenüberliegenden Seite hin ab. An den Wänden oder der Decke war in dem unzureichenden Licht weder ein Relief noch die Spur eines Gemäldes zu erkennen. Aber vielleicht würden sie ja mit ihren Taschenlampen mehr entdecken.

„In dieses Loch kann sie also nicht verschwunden sein“, stellte Richard fest. „Es sei denn, sie hat sich in die Erde eingegraben. – Wir sollten zu den anderen zurück.“

„Gut.“

Theo kroch als Erster hinaus. Als er draußen war und wieder Licht in den Raum fiel, suchte Richard, dessen Augen sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, noch einmal die Kammer ab. Und tatsächlich: Vielleicht einen halben Meter vom Eingang entfernt bemerkte er eine ungewöhnliche Struktur in der Wand, eine Struktur, die nicht an diesen Ort passte. Sie sah aus wie ein Pfeil, den jemand in den Stein geritzt hatte. Aber wer sollte sich hier verewigt haben? Handelte es sich um ein Relikt aus dem Mittelalter? Aus der Zeit der „Schwarzen Katharer“? Verwundert betastete Richard den Pfeil, der mit seiner Spitze schräg auf den Boden zu weisen schien. Richard untersuchte die Erde unter der Spitze, und plötzlich spürte er einen harten Gegenstand zwischen seinen Fingern: einen Griff aus Kunststoff. Neugierig zog er daran und förderte eine braune Kunstledermappe zutage. Hastig durchwühlte er die Umgebung der Fundstelle, aber die Mappe war anscheinend das einzige Artefakt in der Kammer. „Interessant genug“, murmelte Richard.

„Wo bleibst du?“, rief Theo von draußen.

„Ich komme“, beruhigte Richard seinen Freund und zwängte sich mit der Mappe in der Hand durch die Öffnung. „Ich habe etwas gefunden“, sprudelte er aufgeregt hervor. „Ich sollte auf Archäologie umschulen. Ich bin ein ‚Digger’.“

„Ein bedeutender Fund“, witzelte Theo. „Sehr antik sieht das nicht gerade aus.“

Richard ignorierte den Spott und öffnete die Mappe. Klamme Papiere kamen zum Vorschein, Kopien, Zeichnungen, einige Originalarbeiten und außerdem ein kleines, blaues Büchlein mit defektem Klettverschluss. Dessen Innenseiten waren mit einer nur schwer entzifferbaren Handschrift bedeckt, die stellenweise schon ziemlich verblasst war. „Notizen einer bedrängten Seele. Tagebuch des Martin Fink“, las Richard mit einiger Mühe. „Bingo“, jubelte er dann. „Ich glaube, jetzt werden wir tatsächlich die Rätsel dieses Orts lösen.“

Wächter des Paradieses - Teil 3

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