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II. Religionsgeschichtliche, philosophische und theologische Dimensionen der Gotteslehre

1. Horizonte des Gottesbegriffs

Im Allgemeinen verweist der Got tesbegriff auf eine letztgültige Wahrheit und Seinsgrundlage sowie auf ein allumfassendes Geheimnis und eine unverfügbare Eigenwirklichkeit. In der Vielfalt der religiösen und philosophischen Gottesvorstellungen zeigt sich dem personalen Wesen des Menschen gemäß immer wieder das Verlangen nach einem personalen Gott. Als solcher hat sich Gott laut biblischem Zeugnis offenbart. Durch sein dreieiniges Wesen besteht ein Verhältnis von „Gegenüber und Nähe“ zu den Menschen, das die Voraussetzung für ein persönliches Gottesverhältnis in freier und liebender Gemeinschaft bildet.

Das Wort „Gott“ enthält zwar für sich genommen noch keine bestimmte Gottesvorstellung oder eine spezifische Verständlichkeit, aber das menschliche Reden von Gott weist einen gewissen Resonanzboden auf, der das Moment des Letztgültigen und des existentiellen Angegangenseins anklingen lässt, also die Dimension einer unbedingten Bedeutung für das menschliche Leben. Dabei führt der Begriff „Gott“ als „Grenzwort“ an den Horizont der Realitäten von Mensch und Welt.1 In allen bekannten Sprachen gibt es einen Begriff für das Bedeutungsspektrum, das mit dem deutschen Wort „Gott“ verbunden ist. Der ursprüngliche semantische Gehalt des deutschen Begriffs „Gott“ lässt sich nicht mehr eindeutig klären, als wahrscheinlich erscheint es aber, dass der Begriff aus dem substantivierten zweiten Partizip des indogermanischen „ghuto-m“ der Verbalwurzel „gheu“ entstanden ist, wonach Gott als „das angerufene Wesen“ zu verstehen wäre.

Im Blick auf das religionsgeschichtliche Spektrum der Vorstellungen, die sich mit dem Gottesbegriff verbinden, können hier nur einige Hinweise gegeben werden. Insgesamt ist der Entwicklungsgang der verschiedenen Formen von Gottesvorstellungen nicht exakt zu greifen. Nach evolutionistisch geprägten Theorien werden Höherentwicklungen aus primitiv-religiösen Vorstellungen angenommen (N. Söderblom), während sogenannte Dekadenz- oder Depravationstheorien von einem Urmonotheismus ausgehen, der zu niederen – etwa polytheistischen – Formen abgesunken ist (P. W. Schmidt). Im Monotheismus, durch den besonders das Judentum, das Christentum und der Islam gekennzeichnet sind, wird ein Gott verehrt, dessen Allmacht und Ewigkeit Universalität beansprucht. Der in etlichen Kulturen des Altertums oder etwa auch im Hinduismus vorfindliche Polytheismus verteilt die göttlichen Eigenschaften auf mehrere Götter, wobei im Polytheismus häufig Rangordnungen zwischen den Göttern bestehen, die dann wieder zum jeweils subjektiven Eingottglauben führen können, was als Henotheismus oder Monolatrie bezeichnet wird. Der als personalistischer Glaube existierende Theismus geht im Monotheismus von einem transzendenten Gott als Gegenüber zur Welt aus. Dieses Gottesverhältnis kann sowohl dualistisch durch Trennung von Gott und Welt als auch identifizierend durch Gleichsetzung von Gott und Welt beeinträchtigt oder aufgelöst werden. Der nach der Aufklärung aufkommende dualistische Deismus sah Gott nur noch als den Initiator der Welt, der diese dem naturgesetzlichen Ablauf überlässt. Demgegenüber versteht der identifizierende Pantheismus, wie er etwa in der antiken Stoa oder bei dem Aufklärer Baruch Spinoza zu finden ist, die Welt als identisch mit dem Göttlichen, da alles als göttlich bezeichnet wird. So stuft sich das Göttliche zum Beispiel nach der neuplatonischen Emanationstheorie vom Absoluten über das Geistige bis in die Materie ab. Verwandtschaft mit dem Pantheismus weist der bei Naturvölkern verbreitete Animismus auf (lat. anima: die Seele), für den die Materie vom göttlichen Geist beseelt ist. Zu nennen wären ferner Naturgottheiten (z.B. Sonnen- und Mondgötter) und Gottheiten von sozialer Funktion (z.B. Dorfgötter, Kriegsgötter, Götter der Heilung) sowie mythologische Gottesvorstellungen.2

Die Ursprünge des philosophischen Gottesbegriffs lagen in der Abwendung von den zuletzt genannten Gottesvorstellungen, so bei den Griechen durch die großen attischen Philosophen wie Platon (427–347) und Aristoteles (384–322). Nachdem bereits die Vorsokratiker durch die Überwindung mythischer und polytheistischer Gottesbilder der Vorstellung von der Einheit der Gottheit Raum gegeben hatten, kam die Ahnung der Einzigkeit und Einheit des Göttlichen als Urgrund des Seins bei Platon und Aristoteles vollends zur Geltung. In Analogie zum menschlichen Denken ließ sich Gott als sich selbst denkendes Sein verstehen. Der Mensch hat nach Platon durch seine immaterielle und unsterbliche Seele, die vom Leib lediglich eingeengt wird, aufgrund der eingeborenen apriorischen Ideen seines Geistes die Fähigkeit, am höchsten Urgrund zu partizipieren. Entsprechend wird der Mensch als vom Leib-Seele-Dualismus bestimmtes Geistwesen Teil des kosmischen göttlichen Geistes. In gleicher natürlich-theologischer Ausrichtung beschreibt Aristoteles den ewigen Geist als sich selbst denkende Selbstbeziehung, wobei sich der menschliche Geist zum göttlichen Geist aufschwingen kann, so dass das Göttliche in uns das Göttliche an sich berührt (eth. Nic. 1177 b 28). Die Vernunft gilt als das Ewige und Unsterbliche im Menschen. So werden in der Antike bereits religionsphilosophische Vorstellungen abgebildet, die sich in aktualisierter Form in der Aufklärung mit ihren Konzeptionen idealistischer Überschneidung von göttlichem und menschlichem Geist wiederfinden.3

Dennoch hat sich stets aufs Neue das Verlangen nach einem Gott gezeigt, der als persönliches Wesen verstanden werden kann, weil das der personalen Konstitution des Menschen entspricht. Nach dem biblischen Zeugnis hat sich Gott selbst als personales Gegenüber des Menschen erschlossen, das den Menschen als Ebenbild Gottes (lat. imago Dei) transparent werden lässt und ihm ganz nahe ist. Dieses durch das dreieinige Wesen Gottes ermöglichte Verhältnis von „Gegenüber und Nähe“ eröffnet im Unterschied zu dualistischen und identifizierenden Gottesvorstellungen eine freie personale Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. So kann Gott als Vater das Gegenüber der Menschen bleiben, während er ihnen als Sohn und Heiliger Geist ganz nahe ist – ja sogar im Sohn selbst Mensch werden kann.4 Gegenüber der abstrakten Jenseitigkeit Gottes in einem unitarischen Monotheismus und gegenüber polytheistischen sowie emanatorischen Gottesvorstellungen erschließt das biblische Zeugnis also einen konkreten Monotheismus5, der die lebendige dreieinige Liebe in Gott als Voraussetzung einer persönlichen Gottesbeziehung in freier Gemeinschaft und Liebe offenbart.

Im Blick auf seine allgemeine Verwendung haftet dem Gottesbegriff immer wieder der Horizont der letztgültigen Wahrheit und Seinsgrundlage an – und damit die Dimension des Geheimnisses, das sich aus den weltlichen Zusammenhängen nicht greifen lässt. Dahinter vermag sich eine unverfügbare Eigenwirklichkeit (Aseität) zu verbergen, die auf eine selbstursächliche Einzigartigkeit verweist. So scheint der Gottesbegriff verbreitet ein grundloses Sein zu enthalten, das aus sich selbst existiert – und sich deshalb eigentlich auch nur selbst erschließen kann. Der Gottesbegriff transportiert also zum einen ein Geheimnis, das sich dem Menschen als entzogen erweist, das ihn aber zum anderen als definitives „Worauf hin“ seines Lebens unbedingt angeht. Denn dieses Geheimnis verbindet sich mit der Ahnung einer ersten, aus sich existierenden und alles Sein umfassenden Ursache. Deshalb ist „die Rede von Gott [letztlich] nur dann sinnvoll […], wenn sie ‚Gott‘ als ein auf das Ganze gehendes Wort zu verstehen gibt, dessen besonderer Anspruch universale Geltung einschließt“: Was „im sachgemäßen Gebrauch des Wortes ‚Gott‘ zur Sprache kommt, geht jeden Menschen unbedingt an“6.

2. Die Transzendenz von Welt und Kosmos

In ihrer Endlichkeit weisen Welt und Kosmos zwischen ihrem „Woher“ und „Wohin“ über sich selbst hinaus. Diese Transzendenz erlaubt lediglich die Ahnung eines letzten Grundes und Ziels, so dass Gott nicht aus natürlichen Gegebenheiten zu rekonstruieren ist. Zwar finden sich in der Schöpfung Spuren des Schöpfers, doch aufgrund der von menschlicher Selbstbehauptung geprägten Erkenntnis bleiben sie ambivalent, weshalb angemessene Gotteserkenntnis auf die Selbsterschließung Gottes angewiesen ist. Diese bedarf allerdings um der universellen Nachvollziehbarkeit willen der natürlichen Anknüpfungspunkte. Erst die trinitarisch-heilsgeschichtliche Dynamik von Schöpfung, Erlösung und Vollendung erlaubt die sachgemäße Zuordnung von natürlichen Erkennt nisvoraussetzungen und göttlicher Selbsterschließung. Dabei behalten die drei Glaubensartikel die gesamte Schöpfungswirklichkeit von Welt und Kosmos im Blick, die mit der Glaubenswirklichkeit übereinstimmen muss, wenn der Glaube nicht in innere Widersprüche führen soll.

Den aufgezeigten Horizonten des Gottesbegriffs korrespondiert die Transzendenz von Welt und Kosmos, welche über sich selbst hinausweisen (lat. transcendo). Denn sowohl der Wirklichkeit von Welt und Kosmos als auch der Universalhistorie und dem Menschen haften eine Selbsttranszendenz an, die sich zwischen den Dimensionen des „Woher“ und des „Wohin“ bewegt, wobei niemand diese Dimensionen letztgültig kennt oder in der Hand hat. Aufgrund der Kontingenz (Möglichkeit statt Notwendigkeit) und Endlichkeit ist die gesamte Wirklichkeit einer radikalen Fraglichkeit unterworfen, die im Staunen über das Wunder des Seins Frag-Würdigkeit enthält und die die Ahnung eines letzten Grundes beinhaltet. Damit verbunden ist die Frage nach einem letzten Sinn oder Ziel sowie das Phänomen der Gottesidee – alles Dimensionen, die „die Form eines unthematischen Gewahrseins haben“, weil „der Mensch von allem Anfang an in ein ihn übersteigendes ‚Geheimnis‘ hineingestellt ist, und zwar in der Weise, daß sich ihm ‚die unverfügbare […] Unendlichkeit der Wirklichkeit als Geheimnis dauernd zuschickt‘“7.

Weil die Selbsttranszendenz lediglich die Ahnung eines letzten Grundes bzw. eines Gottes ermöglicht, erlaubt sie keine spekulative Rekonstruktion Gottes aus natürlichen Gegebenheiten, seien sie kosmologischer oder anthropologischer Natur. Zwar ist laut alt- und neutestamentlichem Zeugnis die Erkennbarkeit Gottes aus seiner vom Schöpfergeist durchdrungenen Schöpfung gegeben (z.B. Ps 8; 19; 29; 104; 148; Act 14,16f.; 17,22ff.; Röm 1,19f.), weshalb es sich als unentschuldbar erweist, wenn der Mensch Gott die Ehre verweigert (Röm 1,20). Das bezeugt auch das menschliche Gewissen, insofern als das Gesetz Gottes dem Menschen ins Herz geschrieben ist (Röm 2,14f.). Der Mensch, dem sich auf diesen Wegen die Ahnung eröffnet, dass Gott ist, aber noch nicht, wer Gott ist (Luther), neigt jedoch nach Röm 1,18ff. zur Identifikation Gottes mit Geschöpflichem oder mit sich selbst – statt zu einer sich öffnenden Anerkennung Gottes. Denn die in Gen 3 erkennbare Versuchung des Menschen, sein eigener Gott sein zu wollen, zieht notwendig eine Selbstbehauptung und Selbstbegründung (Selbstvergöttlichung) nach sich, die auch das Gottesbild betrifft, weil der Mensch dann auch versucht ist, Gott selbst zu konstruieren bzw. zu rekonstruieren. Deshalb bedarf es zunächst der hermeneutischen Umkehr von selbstbehauptendem und spekulativem Denken zu empfangender Anerkennung der Kreatürlichkeit des Seins, was mit der Einsicht verbunden ist, dass Gott sich nur selbst erschließen kann.

Aufgrund der gezeigten Ambivalenz „natürlicher“ Gotteserkenntnis müssen „Natur und Gnade“ sowie „Vernunft und Glaube“ aufeinander bezogen bleiben, da sich die Gnade die Natur voraussetzt und der Glaube die Vernunft in Dienst nimmt. „Deshalb ist die Natur kein eigenständiger, in sich abgeschlossener und aus sich vollendbarer Wirklichkeitsbereich. Sie ist dynamisch über sich hinaus auf eine Erfüllung ausgerichtet, die sie sich selbst nicht geben kann, die sie vielmehr allein durch die Gnade erhält. Erst durch die Gnade erlangt die Natur ihre eigentliche Bestimmung. Wo sie sich dagegen sündhaft gegen die Gnade versperrt, da gerät sie in Widerspruch mit sich selbst, da wird sie zutiefst verkehrt.“8 Somit ist der Zusammenhang zwischen Schöpfungs- und Heilsordnung bzw. zwischen allen drei Artikeln des Glaubensbekenntnisses gegeben. Entgegen der linear trennenden Stufenordnung von natürlicher (De Deo uno) und übernatürlicher Gotteserkenntnis (De Deo trino) besteht eine trinitarisch-heilsgeschichtliche Dynamik von Schöpfung, Erlösung und Vollendung. In ihr kommt sowohl das jeweils spezifische Handeln von Vater, Sohn und Heiligem Geist in den drei heilsgeschichtlichen Phasen zum Ausdruck als auch deren gemeinsames Handeln in jeder dieser Phasen. Die Trinitätslehre lässt so im Kontext von Gesetz und Evangelium den hermeneutisch relevanten Zusammenhang von Schöpfungs- und Heilsordnung erkennen. In der dynamischen Zuordnung von natürlichen Erkenntnisvoraussetzungen und göttlicher Selbsterschließung ist neben den natürlichen Anknüpfungspunkten der Selbsterschließung auch die mit der Kreuzestheologie hervortretende Krisis zu beachten, welche die sündhafte Verkehrung und Ambivalenz der natürlichen Grundlagen offenlegt. „Die Schöpfung muß daher so interpretiert werden, daß sie von Anfang an auf die Verwirklichung der vollendeten Gemeinschaft des trinitarischen Gottes mit seiner Schöpfung abzielt, die angesichts des Widerspruchs der Sünde nur durch die von Gott gewirkte Versöhnung verwirklicht werden kann. Die Versöhnung muß in dieser Weise als Ausdruck der Treue Gottes zu seiner Schöpfung und in dieser Weise als erneute Einbeziehung des Gott widersprechenden Menschen in die ursprüngliche Zielsetzung der Schöpfung verstanden werden. Die Vollendung der Welt darf darum nicht nach apokalyptischer Manier als radikale Neuschöpfung verstanden werden, sondern muß als Vollendung der versöhnten Schöpfung interpretiert werden, also als neuschöpferisches Handeln Gottes an der ursprünglichen Schöpfung.“9

Als Schöpfung des dreieinigen Gottes enthält die Schöpfung naturgemäß Spuren der Trinität (lat. vestigia trinitatis). Denn das „Geschaffene ist auf Grund seines Ursprungs und seiner Entfaltung vom dreieinen Gott durchwirkt und deshalb dessen Abbild“10. Die vielen Spuren analoger Einheit in Vielfalt im Kosmos und im Menschen haben zwar unter anderem in der Gottebenbildlichkeit des Menschen (imago Dei, Gen 1,26f.) ihre Berechtigung, aber es bleiben aufgrund des Unterschieds zwischen Gott und seiner Schöpfung analoge Spuren. So ist Gott zum Beispiel die Gleichzeitigkeit von inner- und zwischenpersonaler Struktur (ein Gott und zugleich die Gemeinschaft dreier Personen), während der Mensch beide Aspekte auch hat, aber nur in Gemeinschaft mit anderen Menschen oder mit Gott (siehe Kap. IX,2). Durch die Analogie zwischen geschöpflicher und göttlicher Wirklichkeit ist es allerdings überhaupt erst möglich, die Offenbarung Gottes verstehen zu können und die Universalität der speziellen Offenbarung wahrzunehmen, was durch den Zusammenhang der drei Artikel des Glaubensbekenntnisses gewährleistet wird. Der integrale Zusammenhang von „Schöpfungs- und Heilswirklichkeit“ sowie von „Vernunft und Geist“ besteht, weil die Inkarnation (Zweiter Artikel) sowohl auf die mit der Schöpfungswirklichkeit gegebenen Voraussetzungen (Erster Artikel) verweist als auch auf die eschatologische Vollendung durch den Heiligen Geist (Dritter Artikel). Dieser ist wiederum nicht nur an der Schöpfung beteiligt, sondern vollzieht neben der Vollendung auch die Erhaltung der Schöpfung und die Erlösung in Christus.11

Vor dem gezeigten Hintergrund verbietet sich eine oft zu beobachtende anthropozentrische oder existentialistische Reduktion der Glaubenswirklichkeit, was der Erste Artikel mit seiner Bezugnahme auf den gesamten Kosmos (Glaube an Gott den Schöpfer) ebenso belegt wie der Dritte Artikel mit seiner kosmischen Perspektive der eschatologischen Vollendung. Der neuzeitliche Anthropozentrismus, der sich etwa in rein sittlicher Religiosität neukantianischer Prägung oder in existentialistischer Ausblendung der kosmologischen Dimension äußert, wird der ganzheitlichen Selbsttranszendenz des Menschen und seiner Einbindung in Welt und Geschichte nicht gerecht. Deshalb „würde ein völlig akosmisches Gottesbild, Wirklichkeits- und Selbstverständnis des Menschen […] eine bedenkliche Ausfallerscheinung darstellen“12. Davor bewahrt das trinitarische Bekenntnis, indem es Schöpfung und Erlösung umschließt und sich „für den umfassenden Horizont des Wirklichen“13 öffnet. Es bedarf also der Wahrnehmung der Dimension natürlich-metaphysischer Transzendenz in ihrer ganzheitlichen Perspektive, weil man Gott die Wirklichkeit von Welt und Kosmos nicht entziehen kann und der universale Wahrheitsanspruch der Offenbarung im Erfahrungskontext der Menschen gewährleistet bleiben muss, um zu verhindern, „daß der Glaube auf den Standpunkt eines ‚credo, quia absurdum‘ verwiesen wird“14. Denn der Glaube wird absurd, wenn die Wirklichkeit des Glaubens und die Wirklichkeit der Welt nicht in Übereinstimmung kommen. (Siehe dazu Kap. X,1.2: „Theologie und Naturwissenschaft“.)

Insgesamt behält die natürlich-metaphysische Dimension den Charakter der Ahnung von Gott und des natürlichen Anknüpfungspunktes seiner Selbsterschließung, auf welche die Ahnung wiederum angewiesen bleibt. So verweist die Transzendenz von Welt und Kosmos nicht nur auf die Ahnung von Gott, sondern auch auf die Notwendigkeit seiner Selbsterschließung – und damit zugleich auf die anthropologischen Voraussetzungen der Gotteserkenntnis im Kontext dieser Welt.

3. Die Transzendenz des Menschen

Da der Mensch letztlich weder seine Herkunft noch seine Zukunft selbst in der Hand hat, erfährt er sich als Frage und Geheimnis und weist so über sich selbst hinaus. Diese Transzendenz verbindet sich mit der personalen und sprachlichen Konstitution des Menschen, durch die sich der Mensch als personales Geheimnis selbst mitteilen kann und durch die er auf Anrede angewiesen ist. Indem sich der dreieinige Gott ebenfalls als personal und sprachlich konstituiertes Wesen erschlossen hat, wird der Mensch als Ebenbild Gottes transparent. Lässt sich der Mensch glaubend auf die Anrede Gottes ein, entspricht er also sowohl dem Wesen Gottes als auch seinem eigenen Wesen.

Wie es bereits aus der Transzendenz von Welt und Kosmos hervorging, spürt der Mensch, der die Begrenztheit seines Lebens ernst nimmt, dass er zum einen von Voraussetzungen lebt, die er nicht selbst geschaffen hat. So ist er nicht aufgrund eigener Entscheidung in dieser Welt, sondern er wurde sozusagen „in das Leben hineingeworfen“. Der Mensch hat also keine Verfügungs- und Begründungsmacht im Blick auf seine Herkunft. Zum anderen kann er zwar seine Zukunft im Leben planen und beeinflussen, doch sie bleibt letztlich nicht vorhersehbar. Erst recht steht die Zukunft über das Lebensende hinaus nicht in der Verfügbarkeit des Menschen. Dadurch erfährt sich der Mensch als Frage und als Geheimnis, es existiert eine Unruhe der Unabschließbarkeit und somit das Gefühl, aus sich herausgerufen zu sein. Die sich in solcher „Frag-Würdigkeit des Geheimnisses“15 und im existentiellen Verwiesensein dokumentierende Selbsttranszendenz des Menschen erwartet eine „Antwort auf die mit dem Menschen als Person gegebene Frage nach dem Ganzen der Wirklichkeit“16 und nach deren universalem Sinn. In diesem „Gefordertsein der menschlichen Existenz“17 existiert sowohl das mit menschlicher Personalität und Liebeserfahrung gegebene Grundvertrauen als auch eine unauslotbare Verborgenheit: „Insofern die Erfahrung des Geheimnisses ein unerreichbarer Horizont aller unserer Erfahrung ist, begegnet es uns als das ganz Andere […]. Insofern es uns in allen Dingen nahe ist, erscheint es uns als bergender Grund“18. Durch die Erfahrung beider Dimensionen des Geheimnisses, welche die Frage nach dem universalen Sinn beinhalten, wird das Denken über sich selbst hinausgewiesen. Bereits im antiken griechischen Begriff „Anthropos“ (Mensch) ist das über sich hinausweisende Wesen des Menschen angedeutet, insofern als der Begriff etymologisch mit dem griechischen Wortstamm anatrein (nach oben blicken) in Verbindung steht.

Die gezeigte Transzendenz des Menschen beinhaltet den anthropologischen Aspekt des Herausgerufenseins bzw. des Angewiesenseins auf Anrede, was bereits in der personalen und sprachlichen Konstitution des Menschen angelegt ist. Beide Konstitutionsmerkmale, Personalität und Sprachlichkeit, bedingen sich gegenseitig. Denn die mit selbstreflexiver Subjektivität verbundene Personalität des Menschen verkörpert Selbstsein im Gegenüber- und Mitsein, so dass menschliche Personalität einerseits die Dimension des von außen nicht zugänglichen personalen Geheimnisses beinhaltet, während sie andererseits durch die Dimension der Gemeinschaft und des Angegangenseins von außen geprägt ist. Weil sich der Mensch als personales Geheimnis nur selbst mitteilen kann und zugleich auf personale Gemeinschaft und damit auf Anrede angewiesen ist, bedarf er ontologisch der sprachlichen Konstitution. Die Sprachlichkeit ermöglicht nämlich nicht nur die Handhabung des Aspekts des personalen Geheimnisses, indem sich der Mensch anderen erschließen oder verschließen kann, sondern auch die freie Ansprechbarkeit des Menschen und die freie intersubjektive Gemeinschaft der Menschen untereinander.19

Angesichts dieser Zusammenhänge geben Sprachlichkeit und Personalität die Selbsttranszendenz des Menschen zu erkennen. Denn so wie die Sprachlichkeit des Menschen bewusste Beziehungen in personaler Gemeinschaft voraussetzt und so wie die im personalen Geheimnis gegebene Sinnfrage auf ein personales Gegenüber verweist, das allein die Antwort auf diese Frage erschließen kann, so kann das menschliche Wesen „seine Erfüllung als Person nur in der Gemeinschaft mit einem höheren persönlichen Wesen finden“20. Dabei beinhaltet die Sprache selbst schon eine transzendierende Dimension: „Die Sprache lebt vom Vorgriff auf einen Gesamtsinn der Wirklichkeit und bringt diesen in Metaphern und Gleichnissen zum Ausdruck. So ist die Sprache zugleich Erinnerung an eine unabgegoltene Hoffnung der Menschheit und zugleich Antizipation dieser Hoffnung. Noch bevor die Sprache zur expliziten religiösen Sprache wird, impliziert sie je schon eine religiöse Dimension. Erst die religiöse Sprache bringt die Sprache zu sich selbst. Nicht das Wort Gott ist ein sinnloses Wort, vielmehr ist dort, wo Gott totgeschwiegen wird, das Sprechen selbst gefährdet.“21 Entsprechend meint das Wort „Gott“ laut Gerhard Ebeling „die Tatsache, daß der Mensch in der Ganzheit seines Lebens und damit im Hinblick auf die Wirklichkeit im ganzen in einer letztgültigen Weise sprachlich angegangen ist“22.

Vor dem Hintergrund dieser anthropologischen Voraussetzungen ist es aufschlussreich, dass sich Gott in der trinitarischen Heilsgeschichte als personale Gemeinschaft der Liebe erschlossen hat und die Menschen immer wieder durch sein Wort anredet. Aufgrund des Umstandes, dass sich der Sohn Gottes wesensmäßig als Wort (griech. Logos) Gottes erschließt („Das Wort ward Fleisch“ – Joh 1,14), wird vollends offenbar, dass neben der Personalität auch die Sprachlichkeit zum innersten Wesen Gottes gehört. So wird der Mensch auch diesbezüglich als imago Dei (Ebenbild Gottes) transparent. Von daher kann das Wort Gottes die als Wortsituation bestehende Grundsituation des Menschen treffen, weshalb gilt: Wenn sich der sprachlich konstituierte Mensch glaubend auf die Anrede Gottes einlässt, handelt es sich um „dasjenige Verhalten, in dem der Mensch gleichursprünglich sowohl Gott als auch sich selbst entspricht“23, da er Gott als den von sich aus Redenden gelten lässt und sich das wahre Menschsein zusprechen lässt. „Letztlich geht es um das einzige Wort, ‚das den Menschen menschlich macht, indem es ihn zum Glaubenden macht‘“24. Dabei gewährt die im Sohn Gottes bestehende einmalige Identität von Wort und Sein den Menschen wahre Gotteserkenntnis und Heilsgewissheit, weil sich Gott in seinem Wort selbst entspricht.

So verweist die Transzendenz des Menschen auf das Geheimnis, in das der Mensch gestellt ist und das er selbst nicht erschließen kann, weshalb das Denken über sich hinausgewiesen ist, bis hin zum Grenzbegriff „Gott“, der zu der Einsicht führt: „Vor ihm muß unser Denken verstummen. Soll uns das Unendliche zugänglich werden, dann muß es sich uns selbst erschließen.“25 In dieser empfangenden Hermeneutik kann der Mensch die biblisch bezeugte Selbsterschließung des dreieinigen Gottes in der Heilsgeschichte wahrnehmen, die erkennen lässt, dass der personal und sprachlich geprägte Gott den personal und sprachlich konstituierten Menschen als Adressaten seiner Liebe geschaffen hat. Gott, der die innertrinitarische Beziehung der Liebe verkörpert, nimmt „die Menschen als seine von ihm selbst geschaffenen Kommunikationspartner in diese Beziehung auf […], so daß diese – von der grenzenlosen Beziehungswilligkeit Gottes ergriffen und sich ihr öffnend – den Mitmenschen wie auch ihrem Gott entsprechen und zu ihrem menschlichen Wesen kommen können“26.

4. Implikationen des Gottesbegriffs

Die Implikationen des Gottesbegriffs, die auf Gott als unverfügbare Eigenwirklichkeit hinweisen, korrespondieren mit dem personalen Wesen des dreieinigen Gottes, weil sich Gott als personales Geheimnis nur selbst erschließen kann. Soll Gott nicht depotenziert oder vereinnahmt werden, ist er als sich selbst erschließendes Geheimnis ernst zu nehmen. Der verborgene Gott verweigert sich menschlicher Vereinnahmung und ermöglicht so wahre Gotteserkenntnis durch den offenbaren Gott.

Die beiden Abschnitte über die Transzendenz des Menschen und die Transzendenz von Welt und Kosmos lassen erkennen, dass der Mensch im Kontext des Kosmos über sich selbst hinausgewiesen ist – auf einen letzten Grund und ein letztes Ziel. Diese Dimensionen sind wiederum verbreitet mit dem Gottesbegriff verbunden, wie es im Abschnitt über die Horizonte des Gottesbegriffs deutlich wurde (siehe Kap. II,1). So trat ein gewisser Resonanzboden des Gottesbegriffs hervor, da Gott weitgehend als Ursache aller Wirklichkeit verstanden wird und somit als selbstursächliche und unverfügbare Eigenwirklichkeit, die hinter dem Geheimnis menschlicher Transzendenz steht. Nimmt man diese Implikationen des Gottesbegriffs ernst, kann es keine aus den weltlichen Bedingungen rekonstruierbare Notwendigkeit Gottes geben, wie es falsch verstandene Gottesbeweise scheinbar vorgeben (siehe zu den Gottesbeweisen Kap. VI,3). Denn bei dem göttlichen Horizont der unverfügbaren Eigenwirklichkeit geht es um den grundlosen Grund, der erst über Sein und Nicht-Sein entscheidet. Deshalb kann weder vom Sein noch vom Nicht-Sein die metaphysisch-theistische „Notwendigkeit“ oder die atheistische „Nicht-Notwendigkeit“ Gottes abgeleitet werden („Gott ist mehr als notwendig“ – E. Jüngel).27 Vielmehr lässt die aus menschlicher Selbsttranszendenz resultierende Ahnung von der Existenz Gottes erkennen, dass der diesem Anschein nach aus sich selbst existierende Gott um seiner selbst willen ernst zu nehmen ist: Er muss sich selbst verifizieren, wenn er erkannt werden soll. „Letztlich kann Gott nicht von einer äußeren Instanz her bewiesen werden. Er muß sich selbst erweisen. Man kann den Gottesgedanken nur daran bewähren, daß man ihn an seinen eigenen Implikationen mißt.“28

Das gilt auch für die Implikationen des Gottesbegriffs, die sich aus der personalen Konstitution des Menschen ergeben (siehe Kap. II,3). Als Anknüpfungspunkt und Voraussetzung für den Zugang zu Gott verweist die menschliche Personalität auf ein personales göttliches Gegenüber, das Antwort auf das Geheimnis anthropologischer Personalität und ihres Kontextes geben kann und das sich als personales Geheimnis ebenso erschließen oder verschließen kann wie der Mensch. Wie „schon zur Anwesenheit eines Menschen dessen Entzogensein gehört“, ist „Gottes Anwesenheit […] überhaupt nur mit seiner Abwesenheit zugleich erfahrbar. Deshalb ist seine Anwesenheit auch nur als Offenbarung erfahrbar.“29 Die mit dem Wesen der Personalität verbundenen Aspekte unterstreichen also die Implikationen des von einer unverfügbaren Eigenwirklichkeit ausgehenden Gottesbegriffs, weil sich das personale Geheimnis in seiner Eigenwirklichkeit auch frei entziehen oder erschließen kann. Durch die damit verbundene Kategorie der selbstursächlichen Freiheit drängt sich die personale Dimension für den Gottesbegriff auf, wobei zu unterstreichen ist, dass sich Gott in der Geschichte als personaler Gott erschlossen hat.

Der kommunikative Charakter der Personalität bildet die Voraussetzung für eine freie Gemeinschaft der Liebe und somit die Grundlage für eine derartige Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Im Blick auf die Bedingungen angemessener Gotteserkenntnis, die Gott wirklich Gott sein lässt und ihn nicht eigenen Vorstellungen unterwirft, bleibt deshalb festzuhalten, dass Gott nur in einer empfangenden Hermeneutik ernst genommen wird, die sich seiner Selbsterschließung öffnet, statt ihn selbst rekonstruieren zu wollen. Denn wie der Mensch das personale Geheimnis seiner Mitmenschen vorurteilsfrei zur Kenntnis nehmen sollte, so sollte er auch das Geheimnis Gottes als solches wahrnehmen. „Gott ist um seiner selbst willen interessant […]. Was man Menschen zugesteht, sollte man Gott auch nicht einmal in der Theorie vorenthalten.“30 Wenn man Gott als göttliche Wirklichkeit ernst nimmt, kann er nur als sich offenbarender Gott als Gott gedacht werden: „[…] für Gott als den, über den hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, kann es nicht nochmals einen größeren und umfassenderen Horizont geben, von dem her und innerhalb dessen wir ihn begreifen können“31. Soll Gott nicht depotenziert oder vereinnahmt werden, muss man ihn als sich selbsterschließendes Geheimnis wahrnehmen. Nur so lässt man ihn als Gott gelten, während man sich selbst unter Berücksichtigung der eigenen Transzendenz als empfangende menschliche Kreatürlichkeit annimmt. Denn „Gott denken heißt: Gott allein als denjenigen denken, der de deo etwas zu sagen hat. […] Gott denken kann nicht heißen, daß die menschliche Vernunft ihm gleichsam vorschreiben könnte, wie er sich ihr zu zeigen hat.“32

„Gott kann deshalb nur durch Gott erkannt werden; er kann nur erkannt werden, wenn er sich selbst zu erkennen gibt.“33 Zu einer solchen empfangenden Hermeneutik fordert schon das Wort „Gott“ selbst heraus, indem es ein „Sprachereignis“ impliziert: „Das Wort Gott bringt die Wirklichkeit so zur Sprache, daß es zugleich an der Welt selbst ‚etwas‘ aufleuchten läßt, was mehr als Welt ist. […] Damit ist die […] Rede von Gott […] immer ein wirksames Wort. In ihm geht es nicht um das, was die Welt immer schon war, um ihr bleibendes Wesen, sondern um ihre offene Zukunft.“34 Von daher hat der Gottesbegriff an sich bereits Begegnungscharakter, weil er den sprachlich konstituierten Menschen schon allein als Begriff auf die Gemeinschaft mit Gott anspricht. 35 Dabei verlangt die in der Gottesrelation gegebene „Antwort auf die Fraglichkeit des Menschen und der Welt“36 Aussagen tragfähiger Erkenntnis- und Heilsgewissheit – im Unterschied zu den immer nur annähernden Aussagen, welche die Weltrelation des Menschen betreffen.37 „Jedenfalls für die Gotteserkenntnis ist es charakteristisch, daß sie – als Erkenntnis der Alles (also auch den Erkennenden selbst) bestimmenden Wirklichkeit – erst dann an ihr Ziel kommt, wenn sie im Menschen daseinsbestimmendes Vertrauen weckt und findet.“38 Das wiederum gelingt nur, wenn Gott sich in seiner Heilsrelevanz selbst tragfähig (erfahrbar) zusagt und nicht Produkt menschlicher Gottesspekulation ist. Diese kann nämlich aufgrund ihrer eigenen Grenzen, die mit der Transzendenz gesetzt sind, keine letzte Gewissheit erlangen. „Die Gottesgewissheit soll uns von sich aus und durch sich selbst vergewissern; sie will und soll uns verbindlich und verantwortlich in Anspruch nehmen“, weil „es hier tatsächlich um alles geht, um Heil und Unheil, um Wahrheit oder Lüge“39. Entsprechend geht es beim Gottesbegriff um „einen Beziehungsbegriff, dessen Maß und Norm Gott selbst in dieser Beziehung“40 setzen muss, wenn solche Gottes-Gewissheit erlangt werden soll.

So wird Gott nur als sich selbsterschließendes offenbares Geheimnis zugänglich, dessen Verborgenheit positiv die Eigenständigkeit von Personalität charakterisiert, wobei sich der verborgene Gott der Versuchung menschlicher Vereinnahmung verweigert und damit die wahre – und definitiv zugesagte – Gotteserkenntnis durch den offenbaren Gott ermöglicht. Gottes Verborgenheit impliziert also weder die Undefinierbarkeit Gottes für menschliche Erkenntnis noch die Möglichkeit der rationalen Ableitbarkeit seines Wesens, sondern die notwendige Öffnung für seine Selbsterschließung. Eine resignative Hermeneutik, die meint, über das Wesen Gottes nur schweigen zu können (L. Wittgenstein), ist gegenüber den aufgezeigten Implikationen des Gottesbegriffs also ebenso unangemessen wie eine spekulativ-rationale Hermeneutik, die die Möglichkeit einer Rekonstruktion des Wesens Gottes aus natürlichen Voraussetzungen postuliert. Vielmehr bedarf es einer empfangenden Hermeneutik der Offenheit.

5. Hermeneutische Bedingungen für die Erkenntnis Gottes

Aus der Transzendenz von Welt und Mensch und den Implikationen des Gottesbegriffs geht hervor, dass der Mensch aus sich selbst keine tragfähige Gotteserkenntnis ableiten kann, sondern sich in empfangender Hermeneutik der Selbsterschließung Gottes zu öffnen hat. Nur so wird er dem Zusammenhang von „Ahnung“ und „Offenbarung“ gerecht. Dieses Begriffspaar kann die geschichtliche Selbsterschließung des dreieinigen Gottes angemessen zum Ausdruck bringen: Die Offenbarungswirklichkeit wäre ohne eine vorläufige Ahnung von der göttlichen Dimension kaum verständlich zu vermitteln, während umgekehrt eine natürlich ableitbare Gotteserkenntnis die Offenbarung in feststehende Kategorien zwängen würde. Entsprechend verweist die aus menschlicher Selbsttranszendenz resultierende Ahnung von Gottes Existenz auf die Notwendigkeit seiner Selbsterschließung, welche um der allgemeinen Verständlichkeit willen wiederum an die natürlichen Voraussetzungen anknüpft. So ermöglicht die sich in Wort und Tat vollziehende heilsgeschichtliche Offenbarung des dreieinigen Gottes authentische Gotteserkenntnis und damit Heilsgewissheit. Im Blick auf das Geheimnis von Mensch, Welt und Geschichte wird offenbar, dass Gott und Mensch in der Liebe dasselbe Geheimnis teilen.

Aus den gezeigten Dimensionen der Transzendenz von Welt und Mensch sowie aus den dargelegten Implikationen des Gottesbegriffs gehen bereits die – in diesen Abschnitten angeklungenen – Bedingungen für eine angemessene Gotteserkenntnis hervor. Demnach erkennt die vernünftige Vernunft, dass sie aufgrund der kosmologischen und anthropologischen Selbsttranszendenz und der Verborgenheit Gottes nur zur Gottesidee als einem Grenzbegriff der Vernunft gelangen kann.41 Bei bewusster Betrachtung gelangt die menschliche Perspektive lediglich zu einer Ahnung von Gott, weil der Mensch aufgrund seiner über sich selbst hinausweisenden Grenzen die alles bestimmende göttliche Wirklichkeit nicht zu erfassen vermag – zumal sich der Grund des Seins als selbstursächliche und unverfügbare Eigenwirklichkeit aufdrängt, die hinter dem Geheimnis menschlicher Transzendenz steht. Werden diese Bedingungen ernst genommen, müsste den Menschen deutlich sein, dass sie Gott weder aus anthropologischen noch aus kosmologischen Voraussetzungen ableiten können. Die Menschen sind nicht in der Lage, sich selbst ein tragfähiges Bild bzw. Bildnis von Gott zu machen, weil sie keine dem Erkenntnisgegenstand angemessene Möglichkeit haben, diesen zu rekonstruieren. Zudem verweist die personale Struktur des Menschen als Bedingung und Anknüpfungspunkt der Got tes idee auf ein personales göttliches Gegenüber, das sich dem Menschen vermitteln kann und Antwort auf das Geheimnis menschlicher Personalität in ihrem universalen Kontext zu geben vermag. Die mit der Charakteristik von Personalität einhergehende unverfügbare Eigenwirklichkeit korrespondiert den entsprechenden Dimensionen der Gottesidee und beinhaltet, dass sich Gott wie der Mensch verschließen und erschließen kann. Wird diese in unterschiedlichen Facetten hervortretende selbstursächliche Freiheit wahrgenommen, die sich mit der für die Menschen nicht greifbaren Dimension Gottes verbindet, kann der Mensch Gott nicht spekulativ konstruieren, sondern muss sich in empfangender Hermeneutik der – möglicherweise erfolgenden bzw. erfolgten – Selbsterschließung Gottes öffnen, wenn er zu tragfähiger und begründeter Gotteserkenntnis gelangen will. Denn nur wenn sich der Mensch in hermeneutischer Offenheit „auf den Ort der (erhofften) Selbsterschließung Gottes“42 ausrichtet, werden die Gottheit Gottes und die Kreatürlichkeit des Menschen ernst genommen.

Vor diesem Hintergrund ist das Verhältnis von „Natürlicher Theologie“ und „Offenbarungstheologie“ bzw. das Verhältnis von „natürlicher und übernatürlicher Offenbarung“ (De Deo uno – De Deo trino) zu modifizieren. Denn schon in der Scholastik wurde die Trinitätslehre durch die natürliche Vorordnung des Traktats „De Deo uno“ zunehmend funktionslos für die Lehre von Gott und die Lehre vom Heil des Menschen (Soteriologie), so dass der christliche Gottesbegriff seine theologische und kirchliche Tragweite zugunsten einer aus natürlichen Grundlagen rekonstruierten Einheit Gottes verlor. Deshalb ist daran zu erinnern, dass bereits der Kirchenvater Gregor von Nazianz (ca. 325–390) aus gutem Grund die Alternative zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung überwand, indem er die natürliche bzw. ableitbare rationale Erkenntnis (kataphatisch) mit der übernatürlich orientierten Erkenntnis vermittelte, die das göttliche Geheimnis nicht zu umschreiben vermag (apophatisch). Die Vermittlung geschieht durch die dritte Dimension der existentiellen Erkenntnis (Erfahrung), in der sich kataphatische und apophatische Dimension verbinden (Oratio 28ff.). Wie in der paulinischen Theologie (Röm 1,18–20; 2,14f.) existiert eine natürliche Gottesahnung, die auf Gottes Existenz hinweist, aber aufgrund der Transzendenz von Mensch und Welt sowie der menschlichen Selbstvergöttlichungsneigung (Verkehrung natürlicher Hinweise) ambivalent bleibt (Röm 1,21ff.). So bedarf die natürlich-kataphatische Ahnung von Gott der apophatischen Offenbarungserkenntnis, insofern als das apophatische Moment nicht die Unerkennbarkeit Gottes beinhaltet, sondern auf die trans zendente, personale und somit freie Wirklichkeit Gottes verweist, die nur durch die Selbsterschließung Gottes zugänglich wird. Diese Selbsterschließung vollzieht sich in der Heilsgeschichte – und damit unter den Bedingungen der Welt. Die Selbsterschließung Gottes in der heilsgeschichtlichen Wirklichkeit knüpft also um der Verständlichkeit des Offenbarten willen an die natürliche Ahnung von Gott an, welche wiederum der selbsterschließenden Offenbarung des göttlichen Geheimnisses bedarf. Dadurch ist sowohl die Gottheit Gottes bzw. die Eigenständigkeit der Offenbarung gewährleistet als auch deren Relevanz für die Wirklichkeit des Menschen und der Welt (Universalität).

Um dieses differenzierte Offenbarungsverständnis, das den Bedingungen der Gotteserkenntnis angemessen ist, zum Ausdruck zu bringen und vor bisherigen Einseitigkeiten zu schützen, hat der Verfasser das Begriffspaar „Ahnung – Offenbarung“ eingeführt. So schützt der Begriff Ahnung gegenüber den Begriffen „natürliche Theologie“ oder „natürliche Offenbarung“ besser davor, durch rationale Ableitungen oder metaphysische Rückschlussverfahren aus natürlichen Voraussetzungen einen spekulativen Gottesbegriff zu rekonstruieren. Gleichzeitig beinhaltet der Begriff aber auch die natürlichen Anknüpfungspunkte der Gotteserkenntnis. Er erlaubt also weder eine natürlich-theologische Definition Gottes, die zum Kriterium der übernatürlichen Offenbarung wird (Vorordnung des „De Deo uno“), noch eine Offenbarungstheologie, die natürliche Anknüpfungspunkte als Voraussetzung der Verständlichkeit und Universalität des Offenbarten vernachlässigt. So wird der in den bisherigen Begriffspaaren bestehenden Gefahr einer pauschalen Polarität gewehrt. Der in dem neu gewählten Begriffspaar nur einmal vorkommende Begriff Offenbarung schützt wiederum vor der Gefahr einer undifferenzierten Nivellierung, die bei der Rede von „natürlicher Offenbarung“ und „übernatürlicher Offenbarung“ besteht, weil eine solche Terminologie die Offenbarungsqualität beider Seiten als gleichwertig erscheinen lässt, wodurch natürliche Erkenntnis erneut zum Maßstab heilsgeschichtlicher Offenbarung werden kann (kriteriologische Vorordnung des Traktats „De Deo uno“). So gewährleistet das Begriffspaar „Ahnung – Offenbarung“ die Beachtung des folgenden offenbarungstheologischen Zusammenhangs: Die Offenbarungswirklichkeit wäre ohne eine vorläufige Ahnung von der göttlichen Dimension kaum verständlich zur Sprache zu bringen, während umgekehrt eine natürlich-apriorische Gotteserkenntnis die Offenbarung lediglich unter feststehende Kategorien subsumieren würde, die zudem den Charakter spekulativer Rekonstruktion hätten.43

Die genannten offenbarungstheologischen Zusammenhänge werden auch durch die Implikationen der biblischen Aussage bestätigt, dass niemand den in einem unzugänglichen Licht wohnenden Gott je gesehen hat (Joh 1,18a; 6,46; I Tim 6,16; I Joh 4,12). Denn damit ist nicht die grundsätzliche Unkenntlichkeit Gottes gemeint, sondern der Aspekt seines transzendentalen und personalen Geheimnisses, welches Gott als von sich aus Redender und Handelnder selbst in der menschlichen Geschichte erschließt: „[…] der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt“ (Joh 1,18b). Zugleich deutet sich hier eine weitere zentrale hermeneutische Bedingung angemessener Gotteserkenntnis an, nämlich die Tatsache, dass sich die trinitarische Selbsterschließung Gottes in der gegenseitigen Abhängigkeit bzw. Interdependenz von Wort- und Tatoffenbarung vollzieht. Weil sich die biblisch bezeugte Wort- und Tatoffenbarung Gottes in gegenseitiger Bestätigung zu einer großen Geschichtslinie verbindet, wird die authentische44 personale Selbsterschließung Gottes ermöglicht: Der sich im Heiligen Geist und im Sohn Jesus Christus auch als himmlischer Vater erschließende dreieinige Gott erweist sich nämlich nicht nur als verkündigtes Objekt der Gotteserkenntnis, sondern auch als bleibendes Subjekt dieser in der Heilsgeschichte sich vollziehenden Erkenntnis. Wie Gott im Heiligen Geist den Menschen die im Wort bezeugte Geschichte ihres Heils existentiell erfahrbar werden lässt, so steht in Christus die Tat des von Gottes Liebe erzählenden Wortes vor Augen, wobei der verkündigte Christus als Auferstandener im Heiligen Geist selbst das Werk der Verkündigung weiter vorantreibt (der Verkündigte ist zugleich der Verkündiger).

Da im Kontext dieses biblischen Offenbarungsbegriffs die Dimension des Geheimnisses nicht wie in neuplatonisch oder aufklärerisch geprägten theologischen Traditionen auf Über-Ra tionales oder die Unbegreiflichkeit Gottes verweist, sondern auf das in der personalen Selbsterschließung offenbare Geheimnis, ist Gott weder schweigend als unsagbar zu bejahen (Mystik) noch atheistisch als undenkbar zu negieren oder theistisch im Rückschlussverfahren abzuleiten. Vielmehr ist er als personales Geheimnis in seinen selbsterschließenden Worten und Taten ernst- und wahrzunehmen.

Dann werden auch die heilsrelevanten Inhalte der christologischen und pneumatologischen Selbsterschließung des dreieinigen Gottes erkennbar, was hier zunächst nur grundsätzlich im Blick auf die Erkenntnismöglichkeiten erörtert wird. Die christologische Selbsterschließung lässt erkennen, dass sich Gott der Vater in seinem ewigen Sohn bzw. seinem ewigen Wort (Logos) als sein eigenes innertrinitarisches Bild offenbart (Joh 14,9), in welchem er sich selbst aussagt und selbst Ziel und Gemeinschaft ist. Dabei tritt durch die Identität des Wortes Gottes mit Gott (Joh 1,1) nicht nur die sprachliche Konstitution Gottes hervor, sondern auch die wesensmäßige Voraussetzung dafür, dass sich die Selbstmitteilung Gottes an die ebenfalls sprachlich konstituierten Menschen im Sohn (Logos) vollzieht. Weil der Sohn sowohl das Bild Gottes (Kol 1,15) als auch das Bild des wahren Menschen verkörpert, insofern als die Menschen nach dem Bild des Sohnes geschaffen wurden (Kol 1,16f.), erklärt sich, warum der sprachlich und personal konstituierte Mensch Ebenbild Gottes ist (imago Dei), warum gerade der Sohn Mensch wurde und warum im Sohn Gottes wahre Gottes- und Menschenerkenntnis gegeben ist. Denn in ihm wird sowohl die innergöttliche liebende Antwort des Sohnes an den Vater offenbar als auch die vertrauensvolle Glaubensantwort der Menschen an den himmlischen Vater. Deshalb vermittelt der Sohn das Wort des Angebots und des Lebens, das den Menschen in der Freiheit ihrer Ansprechbarkeit die Freiheit der lebensbejahenden Antwort ermöglicht.

Die Annahme dieses Angebots und die damit verbundene freiheitliche Liebesgemeinschaft der Menschen mit Gott werden durch die pneumatologische Selbsterschließung Gottes gewährt. Denn der Heilige Geist erschließt innertrinitarisch den Vater für den Sohn und umgekehrt, wobei er ermöglicht, dass beide nicht in egoistischer Liebe aufgehen, sondern sich auf einen Dritten beziehen können, den Heiligen Geist. Deshalb gewährt der Geist eine vollkommene heilige Gemeinschaft der Liebe, was sich im Begriff Heiliger Geist widerspiegelt. Weil der Geist das innergöttliche Leben auf die freie Gemeinschaft der Liebe hin öffnet und vollendet, kommt ihm seinem Wesen entsprechend in der Heilsgeschichte die Aufgabe zu, die Gemeinschaft freier personaler Liebe zwischen Gott und Mensch sowie zwischen den Menschen untereinander zu eröffnen und zu vollenden. Die der menschlichen Transzendenz eingepflanzte Hoffnung auf Vollendung gelangt im Heiligen Geist zum Ziel. Insofern als der Heilige Geist der Vollzug der innergöttlichen Gemeinschaft der Liebe in Person ist, verkörpert er nicht nur die Gabe göttlichen Lebens und göttlicher Liebe, sondern auch den personalen Geber dieser Gabe. So wird der Heilige Geist den Menschen einerseits als Gabe zuteil, indem die Menschen die von ihm verliehenen Charismen (Gnadengaben) erhalten, während er andererseits als Geber das personale Gegenüber der Menschen zu bleiben vermag und so die Gleichzeitigkeit von „Gegenüber und Nähe“ Gottes garantiert. Damit realisiert der Heilige Geist selbst noch einmal, was das trinitarische Wesen Gottes ohnehin schon ermöglicht, wenn etwa der unsichtbare Vater als ble i ben des Gegenüber den Menschen in der Inkarnation seines Sohnes ganz nahe kommt. Durch diese Struktur von „Gegenüber und Nähe“ Gottes kann eine freie personale Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch entstehen, die die Personalität der Gottheit Gottes ebenso zulässt wie die Personalität der Menschlichkeit des Menschen („wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ – II Kor 3,17). Auf diese Weise wird die pneumatologische Selbsterschließung Gottes sowohl dem Wesen Gottes als auch dem Wesen des Menschen gerecht, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass der Geist in der Schöpfung waltet (Schöpfergeist), die er in Vergegenwärtigung des Christusheils heiligt, um sie zur eschatologischen Vollendung zu führen.

Soll die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes nicht der Gefahr einer spekulativen Konstruktion des innertrinitarischen Wesens ausgesetzt werden, bedarf es der Orientierung an der biblisch bezeugten heilsgeschichtlichen Selbstmitteilung der trinitarischen Personen. Von daher ist die immanente (Wesens-) Trinität nur durch die ökonomische (heilsgeschichtlich erschlossene) Trinität zu erkennen. Diese Erkenntnisordnung (ökonomisch→immanent) ist allerdings von der das göttliche Wesen betreffenden Seins ordnung (immanent→ökonomisch) zu unterscheiden: Zwar bilden die heilsgeschichtlichen Sendungen erkenntnistheoretisch die Voraussetzung für die Wahrnehmung der ewigen innertrinitarischen Hervorgänge, aber umgekehrt liegt in der innertrinitarischen Seinsstruktur die ontologische Voraussetzung für die heilsgeschichtliche Selbsterschließung: „Gott wird als dreieiniger Gott in der Heilsgeschichte im Glauben erfahren und erkannt, aber er wird nicht erst in dieser Geschichte zum dreieinen Gott. Er ist dieser vielmehr immer schon, ja seine lebendige dreieinige Lebensgemeinschaft ist seinsmäßige Voraussetzung dafür, daß Gott als er selbst über sich selbst hinaustreten und sich uns als er selbst in der Geschichte offenbaren will und kann“45, und zwar in freier und ungeschuldeter Selbsterschließung für das Heil der Menschen, um diesen Anteil an seiner in sich selbst schon vollkommenen Liebe zu geben.

Dabei ist es für die Gottes- und Heilsgewissheit maßgeblich, dass es Gott selbst ist, der sich im Sohn und im Geist erschließt, da sonst keine definitive Gotteserkenntnis und keine definitive Heilszueignung gegeben wären. Entgegen der Annahme Immanuel Kants (1724–1804), die Trinitätslehre enthalte keinerlei praktische Bedeutung,46 erweist sich somit die zentrale hermeneutische Relevanz der trinitarischen Selbsterschließung Gottes. Denn allein die heilsgeschichtlich gewährte Gemeinschaft mit dem trinitarischen Gott entspricht wahrer göttlicher und menschlicher Personalität und offenbart diese, woraus letztgültige Heilsgewissheit erwächst: „Heil ist intensive Gemeinschaft mit Gott […]. Mit dem Kommen des Heiligen Geistes und des Glaubens kommt der dreieinige Gott selbst zum Menschen, um in ihm Wohnung zu nehmen.“47 Selbstgewissheit sowie Gottes- und Heilsgewissheit kann der Mensch aufgrund seiner ambivalenten Selbsttranszendenz nicht aus sich erlangen, sondern nur durch den empfangenden Glauben. Weil der Mensch noch unter den Bedingungen der von Gott entfremdeten Welt erkennen darf, dass Gott und Mensch in der Liebe dasselbe Geheimnis teilen, erweist sich die trinitarische Selbsterschließung Gottes als das Heilsmysterium des Menschen. Dieses wird sowohl im Kontext der natürlichen Anknüpfungspunkte (vestigia trinitatis) als auch in Überwindung der natürlichen Entfremdungen (Krisis) erfahrbar: „Die [trinitarische] Offenbarung ist also die Bestimmung des unbestimmtoffenen Geheimnisses des Menschen, seiner Welt und Geschichte.“48 Um die im Heiligen Geist ermöglichte Gewissheit über die in Christus offenbarte Wahrheit der von Gott geschenkten Schöpfungs- und Heilswirklichkeit zu erlangen, öffnet sich der Glaube der Liebe Gottes und nimmt sie an. Da der – Gottes Heilshandeln gegenüber – passive Glaube sich so zugleich als aktive Glaubensantwort erweist49, ist er weder mit synergistischen Vorstellungen (z.B. Werkgerechtigkeit) noch mit deterministischen Vorstellungen (z.B. doppelte Prädestination) zu vereinbaren (siehe Kap. X,2.3).

Die durch die Offenbarungserkenntnis zuteil gewordene Gewissheit wird erst dann zu einem daseinsbestimmenden Vertrauen, wenn sich der Mensch im Glauben existentiell darauf einlässt.50 Insofern als die Erkenntnisbedingungen dem Erkenntnisgegen stand zu entsprechen haben, verlangt die im Wort vollzogene und sich im Heiligen Geist vergegenwärtigende Selbsterschließung Gottes mit ihrer Heils-Anrede eine empfangende Hermeneutik, welche die Glau bensantwort als personale Selbstübereignung des Menschen an Gott beinhaltet. Denn die men schliche Freiheit der Ansprechbarkeit ist ausgerichtet auf die Freiheit der Antwort auf Gottes Heilszusage, in der die Menschen zu ihrer eigentlichen Entsprechung finden, weil Liebe, Gemeinschaft und Glaube die zerstörerische Selbstbegründung bzw. -behauptung des Menschen überwinden. Auf diese Weise wird das Wesen der auf Gottes Liebe angewiesenen menschlichen Existenz ebenso ernst genommen wie das Wesen Gottes, den man in der Offenheit für seine Selbsterschließung Gott sein lässt.

6. Glaube und Vernunft

Weil der Mensch in seiner Kreatürlichkeit aus Gottes Liebe lebt und Gott ihm diese Liebe immer wieder zusagt, ist der Glaube als vernünftig zu bezeichnen. Denn er kann in empfangender Öffnung die vom verborgenen Gott gegebene Heilszusage als Heilsgewissheit erlangen. Die Vernunft ist vernünftig, wenn sie dem geschenkten Heil „nach-denkt“, in der Einsicht, dass sie Gott aus sich selbst nicht ergreifen bzw. konstruieren kann. Glaube und Vernunft sind aufeinander angewiesen, da nur der Glaube die natürlichen Voraussetzungen auf ihre eigentliche Bestimmung hin befragen kann, während die Vernunft die nachvollziehbare Universalität des Glaubens ermöglicht. So ist weder eine Trennung noch eine Identifizierung von Glaube und Vernunft angemessen.

Es wurde deutlich, dass der empfangende Glaube die einzig angemessene und ursprüngliche Weise ist, auf die der Mensch die im göttlichen Wort angebotene Heilsgemeinschaft annehmen kann. Denn aufgrund der menschlichen Selbsttranszendenz, die den Aspekt des Geheimnisses und die Grenzen menschlicher Erkenntnis beinhaltet, ist der sprachlich und personal konstituierte Mensch auf die Heils-Anrede Gottes angewiesen, der er sich vertrauensvoll im Glauben überlassen darf. Damit entspricht der Mensch sowohl seiner kreatürlichen Angewiesenheit auf die Liebe des Schöpfers als auch dem Angebot der hingebungsvollen Liebe Gottes, der sich als vollkommene Liebesgemeinschaft offenbart. So erkennt die „vernünftige Vernunft“ die Vernünftigkeit des Glaubens, dessen Wesen der trinitarisch erschlossenen Gleichzeitigkeit von Verborgenheit und Sichtbarkeit Gottes entspricht („Ge gen über und Nähe“). Denn nur der Glaube vermag in empfangender Öffnung die vom verborgenen Gott (Gegenüber) definitiv zugesagte Gottes- und Heilsgewissheit (Nähe) zu erlangen.51

Eine dem Glauben entsprechende Vernunft ist vernünftig, wenn sie dem Ergriffen-Sein von dieser Gemeinschaft mit Gott auf reflexe Weise nach-denkt, zumal wenn sie sich eingesteht, dass sie aufgrund der kosmologischen und anthropologischen Selbsttranszendenz und der Verborgenheit Gottes nicht in der Lage ist, Gott selbst zu ergreifen bzw. zu konstruieren. Deshalb hat sich die Vernunft im Glauben der Selbsterschließung Gottes zu öffnen. Damit geht es auch für die Vernunft darum, ob sie als selbstbehauptende Vernunft fungiert und „zuerst bei sich“52 ist, wie es in einigen durch die Aufklärung vertretenen Vorstellungen von der autonomen menschlichen Vernunft zum Tragen kommt (siehe Kap. VI,1), oder ob sie in empfangender Hermeneutik Offenheit für die Anrede von außen zeigt. Erst durch solche Anrede kann die Infragestellung bisheriger „natürlicher“ Vernunfterkenntnis erfolgen (Krisis), indem etwa durch die Heils-Anrede Gottes die selbstbehauptende Verkehrung der eigentlichen menschlichen Bestimmung hervortritt. Umgekehrt vollzieht sich diese Heils-Anrede im Kontext der „natürlichen“ Schöpfungsvoraus setzungen, die der Vernunft direkt zugänglich sind. So partizipiert die Vernunft im heilsgeschichtlich-trinitarischen Zusammenhang von Schöpfung, Erlösung und Vollendung sowohl an den natürlichen Voraussetzungen des protologischen Lebensodems der Schöpfung als auch an der eschatologischen Geist-Gabe Christi. Diese knüpft wiederum an die natürlichen Voraussetzungen an, indem die Gnade sich die Natur voraussetzt und diese kritisch auf ihre Verkehrungen hin befragt, wodurch die Natur auf ihre eigentliche Wahrheit angesprochen wird. Zugleich ist der Glaube auf die Universalität und Vernünftigkeit des in ihm enthaltenen Sinnziels ausgerichtet, weil er Rechenschaft gegenüber allen Menschen geben soll (I Petr 3,15). Deshalb gilt auch: Der Glaube fragt nach der Vernunft (lat. fides quaerens intellectum).

Von daher kann es weder eine dualistische Trennung von Glaube und Vernunft geben, die in rein fideistischer Fixierung auf den Glauben dessen vernünftig nachvollziehbare Relevanz außer Betracht lässt, noch ist eine rationalistische Identifizierung von Glaube und Vernunft angemessen, die den Glauben rein rational natürlichen Prämissen unterwirft. Ein rein rationaler Glaube erweist sich also ebenso wenig als vernünftig wie ein rein fideistischer Glaube. Vernünftig ist vielmehr allein der empfangende Glaube, der sich vor dem Hintergrund der kosmologischen, anthropologischen und theologischen Ahnung von Gott (Anknüpfungspunkte) der Selbsterschließung Gottes öffnet. Denn das vom trinitarischen Gott Geschaffene findet seine „volle Verwirklichung erst dann, wenn es in das Licht des Urbilds, welches Maß und Ziel seines Seins und Wirkens ist, gestellt wird. Deshalb ist es die vom Glauben an den dreieinigen Gott geleitete Vernunft, welche die tiefsten Potentialitäten alles Wirklichen zu entdecken und zu aktuieren vermag.“53 Im Kontext der als Krisis und Integral der Wirklichkeit fungierenden trinitarischen Selbsterschließung erweist sich nicht nur der von seinem Gegenstand bestimmte Glaube als trinitarisch geprägt, sondern auch die Vernunft, die aufgrund ihrer Schöpfungsvoraussetzungen letzt lich trinitarisch ausgerichtet ist. Geschöpfliche Natur und Vernunft bleiben nämlich trotz der Sünde Anknüpfungspunkte für die Erschließung der Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott, weil sie darauf ausgerichtet sind: „Wenn es faktisch keine natürliche Ordnung (im traditionellen Sinn) gibt und ‚Natur‘ (Schöpfung) immer schon Anfang von trinitarischer Offenbarungs- und Heilsgeschichte ist, so gibt es auch keine natürliche Vernunft im Sinne eines ‚neutralen‘ Vermögens als jener geistigen Fähigkeit, mit der der Mensch sich die Wirklichkeit zu eigen macht, seinen eigenen Ort darin bestimmt und allenfalls noch eine unbestimmte Offenheit auf Transzendenz erfährt. Vielmehr ist auch die Vernunft faktisch geprägt von dem und ausgerichtet auf das von Gott in Freiheit eröffnete und geschenkte Ziel des Lebens mit dem dreifaltigen Gott. Und da dieses Ziel sich dem Menschen in einem geschichtlichen Offenbarungsprozeß darbietet, ist die Vernunft nicht indifferent gegenüber den sie an-gehenden geschichtlichen Bestimmungen.“54 Unter diesen Voraussetzungen wird die Offenheit der Vernunft für die Heils-Anrede Gottes transparent.

Schließlich bleibt noch darauf hinzuweisen, dass es sich beim Glauben als existentiell vertrauende Selbstübereignung an die Liebe Gottes um eine die gesamte Existenz betreffende Lebenshaltung handelt. Deshalb spielen für den Glauben neben der Vernunft auch noch das Gefühl und der Wille eine zentrale Rolle. Denn das „Bestimmtwerden durch den Adressaten des Glaubens, Gott, hat […] unmittelbar den Charakter des Sich-bestimmt-Fühlens, mittelbar den Charakter des Sich-bestimmt-Wissens und des Sich-bestimmen-Lassens. Erst in dieser Ganzheit und Einheit ist der Glaube, was er ist.“55 Dabei entspricht das Gebet, das der Haltung des Glaubens angemessen ist, in seiner sich zuwendenden, offenen, hingebenden und empfangenden Haltung der sich frei zuwendenden und hingebenden Liebe Gottes.

Literatur

Härle, Wilfried: Dogmatik, Berlin/Boston 42012.

Haudel, Matthias: Die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes. Grundlage eines ökumenischen Offenbarungs-, Gottes- und Kirchenverständnisses (= FSÖTh 110), doppelte Aufl., Göttingen 2006.

Jüngel, Eberhard: Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen (= BEv Th 88), München 1980.

Jüngel, Eberhard: Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 82010.

Kasper, Walter: Der Gott Jesu Christi (= Das Glaubensbekenntnis der Kirche 1), Mainz 1982.

Lønning, Inge: Art. „Gott VIII: Neuzeit/Systematisch-theologisch“, in: TRE 13, S. 668–708.

1 Vgl. zum Resonanzboden des Gottesbegriffs G. Ebeling: Dogmatik I, S. 182ff.

2 Vgl. zum religionsgeschichtlichen Spektrum G. Lanczkowski: Art. „Gott I“, S. 601ff.

3 Vgl. J. Hirschberger: Geschichte I, S. 14–243.

4 Das wird in den folgenden Kapiteln noch ausgeführt. Vgl. auch M. Haudel: Selbsterschließung, S. 565–585.

5 Vgl. W. Kasper: Gott, S. 358. Kasper wählt diese Formulierung in Anlehnung an J.E. Kuhn und F.A. Staudenmaier. Vgl. auch W. Pannenberg: Systematische Theologie 1, S. 363, der diesen Begriff ebenfalls übernimmt.

6 E. Jüngel: Entsprechungen, S. 195 u. 185. Vgl. I. Lønning: Art. „Gott VIII“, S. 691: „Als Platzhalter eines definitiven Woraufhins ist das Wort ‚Gott‘ für das Gesamtgefüge der sprachlichen Kommunikation von eminenter Wichtigkeit.“

7 W. Pannenberg: Systematische Theologie 1, S. 128, wo er auf K. Rahner zurückgreift.

8 W. Kasper: Gott, S. 101.

9 C. Schwöbel: Trinitätslehre, S. 143 (Hervorhebung v. Vf.).

10 G. Greshake: Gott, S. 41.

11 Vgl. Gemeinschaft, S. 88, und E. Lessing: Art. „Geist V“, S. 229ff.

12 C. Schütz: Tendenzen, S. 281.

13 F. Schmid: Erwägungen, S. 68.

14 C. Schütz: Tendenzen, S. 275.

15 Ebd., S. 283.

16 W. Kasper: Gott, S. 27. Vgl. E. Jüngel: Gott, S. 541: „Man kann vor der ehernen Tatsache der eigenen Begrenztheit, die angesichts der Todesgrenze und ihres non plus ultra besonders peinlich ist, auch resignieren. Man würde damit aber gegenüber dem Menschsein des Menschen, man würde vor sich selbst resignieren.“

17 I. Lønning: Art. „Gott VIII“, S. 699.

18 W. Kasper: Gott, S. 115.

19 Vgl. D. Staniloae: Dogmatik I, S. 26f. u. 137ff.

20 Ebd., S. 27. Vgl. C. Schütz: Tendenzen, S. 283f.: „Dem […] Zusammenhang von Geschichte und Sinnfrage bzw. Sinnerfahrung wird kein apersonales Erklärungsmodell letztlich gerecht.“

21 W. Kasper: Gott, S. 124.

22 G. Ebeling: Dogmatik I, S. 190.

23 E. Jüngel: Gott, S. 219.

24 M. Haudel: Bibel, S. 73.

25 W. Kasper: Gott, S. 151.

26 J. Werbick: Trinitätslehre, S. 557 (im Original kursiv). Vgl. zu den kosmologischen und anthropologischen Dimensionen der Transzendenz M. Haudel: Selbsterschließung, S. 464ff.

27 Vgl. E. Jüngel: Gott, S. 29ff.

28 W. Kasper: Gott, S. 143.

29 E. Jüngel: Gott, S. 137.

30 Ders.: Entsprechungen, S. 196.

31 W. Kasper: Gott, S. 158.

32 E. Jüngel: Gott, S. 211. Vgl. P. Siller: Gotteslehre, S. 18: „Es gibt also keine Enthüllung Gottes vom Menschen her, aber ein Sichselbstzeigen Gottes.“ – Auch nach Luther ist darauf zu hören, „was Gott selbs sagt und leret“ (WA 37;45,7).

33 W. Kasper: Gott, S. 147 (im Original kursiv).

34 Ebd., S. 123.

35 Vgl. E. Jüngel: Gott, S. 12f. u. 208.

36 W. Kasper: Gott, S. 15.

37 Vgl. I. Lønning: Art. „Gott VIII“, S. 701f.

38 W. Härle: Dogmatik, S. 234.

39 J. Werbick: Gott, S. 11f.

40 F. Schmid: Erwägungen, S. 67.

41 Vgl. E. Jüngel: Gott, S. 211: „Die Vernunft ist vernünftig, wenn sie begreift, daß sie von sich aus keinen Gott konstruieren kann. Die Vernunft ist vernünftig, wenn sie begreift, daß ein Gott überhaupt nur dann als Gott gedacht wird, wenn er als sich offenbarender Gott gedacht ist.“

42 W. Härle: Dogmatik, S. 229.

43 Vgl. insgesamt M. Haudel: Selbsterschließung, S. 485ff. Zu Gregor von Nazianz vgl. ebd., S. 129ff.

44 Auch die Authentizität menschlicher Worte bedarf der Übereinstimmung mit den Taten.

45 B.J. Hilberath: Gott, S. 37.

46 Zu Kant siehe Kap. VI,1.

47 E. Jüngel: Entsprechungen, S. 258f.

48 W. Kasper: Gott, S. 154. Vgl. ebd., S. 167: „Das Bekenntnis vom Offenbarungs- und Heilshandeln Gottes des Vaters durch Jesus Christus im Heiligen Geist ist die Explikation dieses einen Geheimnisses unseres Heils.“

49 Vgl. C. Schwöbel: Human Being, S. 146f. Vgl. insgesamt E. Jüngel: Gott, S. 466f. u. 219, der zeigt, dass der Glaube als die vom redenden Gott ermöglichte und eröffnete existentielle Relation des sich auf den anredenden Gott einlassenden Menschen die „Verschränkung von Aktivität und Passivität des Erkennens im Gottesgedanken“ beinhaltet (ebd., S. 218).

50 Vgl. W. Härle: Dogmatik, S. 234.

51 Vgl. E. Jüngel: Entsprechungen, S. 171ff. u. 242ff.

52 J. Werbick: Gott, S. 43.

53 G. Greshake: Gott, S. 41.

54 Ebd., S. 39.

55 W. Härle: Dogmatik, S. 68f.

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