Читать книгу Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann - Страница 44
II. Die BAG-Rechtsprechung als Tendenzschutz in neuen Kleidern
ОглавлениеEin weiterer, eng verzahnter Kritikpunkt entzündete sich daran, dass trotz der ausdrücklichen Differenzierung durch das BAG260 der den Kirchen nun gewährte Schutz materiell deckungsgleich mit dem Schutz säkularer Tendenzunternehmen und -träger gestaltet wurde, denn auch hier sind die Loyalitätsobliegenheiten nur abgestuft zu befolgen.261 Dies verkenne jedoch das Anderssein des kirchlichen Dienstes, der sich, eben gerade anders als Tendenzschutz aus übrigen Grundrechtsgewährleistungen, auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt.262 Eng verwandt zum vorgenannten Kritikpunkt bemängelt diese Ansicht also, dass die kirchliche Dienstgemeinschaft, die „Homogenität im christlichen Ethos“ nicht künstlich aufgespalten werden könne.263 Außen- und Innentätigkeit, Ordnung und Bekenntnis, Verkündigung und Unterstützung, all diese Tätigkeiten dürften nicht getrennt betrachtet werden.264
Die Gegenmeinung konterte mit einer ausdrücklichen und gewollten Gleichstellung von Kirchenautonomie und Tendenzschutz. So formulierte Ruland: „Insoweit nehmen die Kirchen gegenüber anderen Tendenzträgern jedoch keine Sonderstellung ein.“265 Beide verwirklichten grundrechtlich geschützte Freiheiten, die wiederum in Kollision auf Grundrechte ihrer Arbeitnehmer träfen.266 Beide seien also auch gleich zu behandeln.
Wie oben dargelegt wurde, ist das BAG im Ergebnis der letztgenannten Ansicht gefolgt – zwar mit vorsichtigerer Formulierung und ausdrücklicher Differenzierung zwischen Kirche und säkularen Tendenzbetrieben, aber inhaltlich dann eben doch.
207 BVerfGE 70, 138.
208 So etwa Hammer, AuR 2011, 278, 281.
209 BAGE 2, 279 = AP Nr. 15 zu § 1 KSchG = NJW 1956, 646.
210 Can. 1055 § 1 CIC sowie Can. 1055 § 2 CIC, Can. 1085 CIC.
211 BAG NJW 1956, 646, 647.
212 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645.
213 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645.
214 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645, 646.
215 So fehlte es z.B. an katholischem Bibelunterricht, tägliche Gebete waren nicht üblich und in großem Umfang wurden auch Kinder anderer Konfessionen aufgenommen.
216 Als Grund für die lange Pause vermuten Geck/Schimmel, AuR 1995, 177, 179, Fn. 17 die allgemeine Arbeitsmarktlage.
217 BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG = NJW 1978, 2116. Zwar lässt das Gericht ausdrücklich offen, ob am Anstreicher-Urteil festzuhalten ist, inhaltlich bewegt es sich jedoch von diesem fort.
218 Vgl. dazu auch BVerfG NJW 1978, 581.
219 BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG sowie BAG NJW 1980, 2211.
220 BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG.
221 BAG NJW 1980, 2211. Zur kirchenrechtlichen Würdigung eines solchen Sachverhalts vgl. Can. 277 § 1, 599, 1073, 1087, 1378, 1329 § 2 CIC.
222 LAG Mainz NJW 1980, 2213: Die ordentliche Kündigung eines geschiedenen Arbeitnehmers, der in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, aber nicht an der kirchlichen Verkündigung teilhat, ist „offensichtlich“ rechtswidrig.
223 BAGE 34, 195 = AP Nr. 7 zu Art. 140 GG = NJW 1981, 1228.
224 Eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin wurde mangels Erfolgsaussichten nicht angenommen, BVerfG NJW 1983, 2570.
225 BAG, Urteil vom 03.11.1981, 1 AZR 38/81 (nv, juris).
226 BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG.
227 Can. 1398 CIC: „Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung die Tatstrafe der Exkommunikation zu.” Vgl. auch Can. 1041 § 4 CIC.
228 BAG AP Nr. 16 zu Art. 140 GG; beachtenswert ist der Hinweis, dass der Kirchenaustritt ja schließlich nur aus „Verärgerung“ über die Kirche in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber geschehen wäre, was nicht etwa die Abwendung von katholischen Glaubenssätzen zu bedeuten habe.
229 BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG; die Kündigung war aufgrund einer fehlenden Abmahnung als rechtswidrig anzusehen.
230 BAG AP Nr. 20 zu Art. 140 GG; die Kündigung hatte Bestand, da die Klägerin, eine Lehrerin, hinreichend am Sendungsauftrag teilhatte. Wiederum ist es bemerkenswert, dass das Gericht postuliert, dass die Eignungsvoraussetzungen durch das katholische Kirchenrecht in verbindlicher Weise für die staatlichen Gerichte festgelegt würden, um diese dann doch selbst zu prüfen.
231 BAG AP Nr. 21 zu Art. 140 GG.
232 Vgl. Stein, Anm. zu BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG.
233 Vgl. § 2 C. IV. Inhalt der Loyalitätsobliegenheiten.
234 Vgl. BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG: personen- und betriebsbedingter Grund; BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG: personenbedingter Grund; BAG NJW 1980, 2211: personen- und betriebsbedingter Grund; BAG AP Nr. zu Art. 140 GG: wohl verhaltensbedingter Grund; BAG, Urteil vom 03.11.1981, 1 AZR 38/81 (nv, juris): verhaltensbedingter Grund; BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG: verhaltens- und personenbedingter Grund; BAG AP Nr. 16 zu Art. 140 GG: kein betriebs-, personen-, oder verhaltensbedingter Grund. Vgl. aber auch Rüthers, NJW 1976, 1918, 1923, nach dem regelmäßig personen-, verhaltens- und betriebsbedingte Kündigungen zusammenfallen könnten.
235 BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG.
236 So Dörner, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 1 Rn. 375; Küttner, in: Röller, Personalbuch 2011, personenbedingte Kündigung, Rn. 39; MüKo/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 128.
237 So ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rn. 26.
238 BAG AP Nr. 137 zu § 626 BGB. Vgl. aber bereits BAG AP Nr. 8 zu §1 KSchG 1969 = NJW 1985, 2158.
239 Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht, S. 386.
240 Vgl. auch die ähnliche Kategorisierung in Groh, Einstellungs- und Kündigungskriterien, S. 19.
241 Vgl. BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG = NJW 1978, 2116.
242 Vgl. BAG NZA 1984, 287; BAG NJW 1985, 2781.
243 Vgl. BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG.
244 Vgl. BAG NJW 1984, 1917.
245 So z.B. Ruland, NJW 1980, 89, 95.
246 So die bisherige Rechtsprechung, s. oben.
247 BVerfGE 70, 138.
248 Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht der Kirchen, S. 184; Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG; Rüthers, NJW 1976, 1918, 1919; von Tiling, ZevKR 22 (1977), 322, 339. Insoweit irrt Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht, S. 45, wenn sie feststellt, dass das BAG selbst den Inhalt wesentlicher Glaubenssätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre definieren wollte. Ganz so weit ging das BAG dann doch nicht; lediglich eine umfassende Kontrolle der kircheneigenen Kompetenz sprach es sich zu. In Essenz sind die Unterschiede natürlich nur marginal.
249 Eine weitergehende Ansicht vertrat Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG, der eine Stufung generell ablehnte, weil sie zu „Standesrecht“ in der Kirche führe, was die kirchliche Glaubwürdigkeit nur noch mehr gefährde. Vgl. auch das Beispiel in Richardi, ZfA 1984, 109, 127: Verstieße eine Vielzahl auch völlig sendungsferner Arbeitnehmer gegen Loyalitätsobliegenheiten, so wäre die betroffene Einrichtung der Kirche nur noch formal zuzuordnen, die somit sehr wohl an Glaubwürdigkeit einbüßen würde. Ähnlich auch Marx, Arbeitsrechtliche Kirchlichkeitsklausel, S. 35.
250 Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG.
251 von Tiling, ZevKR 22(1977), 322, 323.
252 Isensee, in. FS Obermayer, S. 203, 210.
253 Isensee, in: FS Obermayer, S. 203, 210.
254 Vgl. Mayer-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 16 zu Art. 140 GG: „[…] einer Sondermeinung zum Durchbruch zu verhelfen.“
255 Ruland, NJW 1980, 89, 91.
256 Ruland, NJW 1980, 89, 94-95.
257 Ruland, NJW 1980, 89, 96. Auf eine genaue Auseinandersetzung kann verzichtet werden, entscheidendes Faktum ist, dass diese Abwägungen nach dieser Meinung überhaupt vom Juristen vorzunehmen seien.
258 A.A. beispielsweise Fey, Anm. zu BAG AP Nr. 15 zu § 1 KSchG.
259 Ruland, NJW 1980, 89, 93 ff.
260 BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG = NJW 1978, 2116.
261 Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht der Kirchen, S. 181; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. S. 89; von Campenhausen, EssG 18 (1984), 9, 19; wohl auch von Tiling, ZevKR 22 (1977), 322, 341. Vgl. auch oben zur Darstellung des säkularen Tendenzschutzes § 2 C. III. Abgrenzung der Loyalitätsobliegenheiten zum allgemeinen Tendenzschutz.
262 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, S. 89; Ders., Anm. zu BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG. Rüthers, NJW 1976, 1918, 1923 schien demgegenüber allein von einem quantitativen Unterschied auszugehen.
263 Isensee, in: FS Obermayer, S. 203, 210.
264 Isensee, in: FS Obermayer, S. 203, 210; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, S. 89.
265 Ruland, NJW 1980, 89, 97. So i.E. wohl auch – wenn nicht gar noch weitergehend – Dudenbostel/Klas, AuR 1979, 296, 305.
266 Ruland, NJW 1980, 89, 97.