Читать книгу Samarkand Samarkand - Matthias Politycki - Страница 6

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Als die Dämmerung einsetzte und die Deutschen zu rennen anfingen, auf daß sie noch rechtzeitig nach Hause kamen, rief der Muezzin vom Turm der St.-Johannis-Kirche zum Gebet. Wie immer antworteten die Russen von der anderen Alsterseite mit Maschinengewehrsalven, kurz darauf mit russischem Hardrock. Sie hatten die Minarette der Blauen Moschee, in der sie ihr Hauptquartier eingerichtet, mit solch gewaltigen Boxen bestückt, daß die Musik über der zugefrorenen Alster stand, ohne zu verzerren. Vom Gesang des Muezzins war nichts mehr zu hören, stattdessen das Gedröhn der Geschütze, die nun von türkischer Seite abgefeuert wurden. Auch wenn keine einzige Rakete in den Himmel steigen würde, sobald um Mitternacht das ’27er-Jahr anbrach, gehörig knallen würde es, das stand fest. Dazu hatte es in den letzten Tagen zu viele Provokationen gegeben, die Selbstmordanschläge rund um Weihnachten im russisch kontrollierten Ostteil, die Rachefeldzüge der Todesschwadronen durch den Westteil. Ohnehin wurde nach Einbruch der Dunkelheit auf jeden geschossen, den Milizen, Jugendbanden oder Scharfschützen entdecken konnten. An den Demarkationslinien der geteilten Stadt rüstete man selbst heute zum Häuserkampf, Straßen und Plätze leergefegt. Nur auf der Krugkoppelbrücke, wo nachts immer der Deutschenstrich war, herrschte bis zum Morgengrauen Waffenstillstand, Freischärler wie reguläre Soldaten kamen von beiden Seiten. Kaufner war öfters dort gewesen, solange er noch eine Hoffnung gehabt und gesucht hatte, sogar bis zum Anbruch der Ausgangssperre gesucht hatte, obwohl er sich damit beim Heimweg in Lebensgefahr gebracht. Überall Straßensperren, Kontrollpunkte, glücklicherweise kannte er fast alle, die auf Dächern, in Hauseingängen, hinter Barrikaden oder Müllcontainern ihr Terrain bewachten. Der Krieg war zum Alltag geworden, man hätte sich damit arrangieren können, wenn man es gekonnt hätte. So ging es nun schon seit eineinhalb Jahren; wenn nicht bald einmal jemand aufstand und ein Ende machte, würde es immer so weitergehen.

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