"Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen so gründlich zu betreiben, bis alle schlechte Laune haben." Im Frühjahr 2021 hatte Matthias Politycki genug vom deutschen Debattensumpf und zog nach Wien. In diesem fulminanten Buch begründet er seine Entscheidung und rechnet mit den Restbeständen unsrer Streitkultur ab – ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Restriktionen einer grassierenden Gegenaufklärung, vor allem aber auch eine Einladung zum wilden Denken über weltanschauliche Gräben hinweg. Als klassischer Linker steht Politycki für eine (fast) unbegrenzte Freiheit der Meinung, der Phantasie und der Literatur. Seine Verteidigung einer über Jahrhunderte gewachsenen Sprache gegenüber all jenen, die sie für ideologische Zwecke zu instrumentalisieren suchen, ist das Bekenntnis eines überzeugten Demokraten und Stilisten zugleich. „Nichts Geringeres wird gerade in der westlichen Welt verhandelt als unser Begriff von Freiheit. Wo manche noch glauben, es ginge lediglich um die Verbannung gewisser Wörter und Formulierungen, geht es in Wirklichkeit um die Art und Weise, wie wir in Zukunft leben wollen.“
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Matthias Politycki. Mein Abschied von Deutschland
Freiheit
Realsatire
Querendes Getier
Dazwischen
»Bleib erschütterbar und widersteh« –
Umbegreifung der Begriffe
Framing
Gegenaufklärung
Zivilgesellschaft
Medienhygiene
Reduktion des Arbeitsmaterials: Wörter
Reduktion des Arbeitsmaterials: Stoffe
Zensur, rückwirkend
Zensur, vorbeugend
Die neue Rolle des Schriftstellers
Sattelzeit
Beschädigung des Arbeitsmaterials: Grammatik
Sichtbarmachung
Gendern als zivilgesellschaftlicher Ungehorsam
Wovon ich rede, wenn ich von Sprache rede
Finale Neurose
Das Alte Europa
Wien
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Endnoten
Über Matthias Politycki
Impressum
Отрывок из книги
Matthias Politycki
Mein Abschied von Deutschland
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Nachdem ich meinen Abschied von Deutschland in der FAZ begründet hatte,[3] meldeten sich auch bei mir ein paar Wokisten und versuchten, mich gönnerhaft über meine neue Heimat zu belehren (»fast schon sowas wie Ungarn«) und dabei nonchalant auszugrenzen. Offenbar wußten sie nicht, daß »das Rote Wien« auch nach 1945 ununterbrochen von der SPÖ regiert wurde. Ihre Mails machten mir noch einmal klar, wie richtig es war, dem deutschen Debattensumpf zu entfliehen: nicht nur den Scharfmachern, sondern auch den opportunistischen Mitläufern. Letztere sind im Grunde nichts weiter als eine neue Version des Spießers. In ihrem permanenten Pochen auf Moral und Anstand ähneln sie den Sittenwächtern der Nachkriegszeit, auch wenn sie sich in ihrer Selbsteinschätzung als deren »linkes« Gegenteil wahrnehmen.
Wenn es demnächst vielleicht auch eine »MeToo«-Bewegung gibt, in der sich Opfer von Stigmatisierung und Ausgrenzung melden, so ist dies schon mal mein Beitrag. J’accuse …? Eher: Ab dafür!