Читать книгу Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein - Страница 14

ERSTES BUCH.
Psychisch-religiöse Welt- und Lebenanschauungen
ERSTES KAPITEL.
Anschauungen der Naturvölker
13. Höhere Anschauungen bei Naturvölkern; Naturreligionen, Naturmythen

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Indem der Naturmensch alles mit Geistern erfüllt, läßt er auch Himmel, Sonne, Mond, Gestirne, Erde, Meer, Flüsse, Quellen, Wolken, Wälder nicht von Geistern frei. Diese besonderen Geister aber haben für ihn nur zeitweise perniziöse Bedeutung, im allgemeinen jedoch spenden sie ihm Wohlleben. Sie treten so nun aus der Reihe der übrigen Geister heraus. Und sie sind es, aus denen sich allmählich die Naturreligion entwickelt. Vor allem der Himmel, als der Ort der Himmelskörper, dann Sonne, Wetter und Erde gewinnen mehr und mehr an Bedeutung. Und indem sie für ganze Völker und Länder entscheidend sind und auf lange Zeiten, werden sie mit den vornehmsten Geistern bevölkert. Aber dieser Prozeß geht langsam vor sich. Und eigentlich muß der Pandämonismus schon bis zu einem gewissen Grade abgeklungen sein, wenn jene höheren Mächte hervortreten sollen. In der Tat haben sie auch bei dem Naturmenschen bei weitem geringere Bedeutung als die unmittelbaren Geister und Dämonen, zumal sie ja ständig sichtbar bleiben und der Mensch so an ihren Anblick gewöhnt ist. Mit ihnen aber beginnt der eigentliche Götterglaube und die Mythologie, die sich dann zuletzt zum Gottglauben steigert. Es ist oft gefragt worden, ob die Wildenstämme schon im Besitz solcher höheren und höchsten Ideen sind. Ich habe schon hervorgehoben, daß bei ihnen keineswegs nur eine Anschauung herrscht, daß ihr Sinnen und Meinen sich vielmehr nach allen möglichen Richtungen wendet. Und so ist es schon zu erwarten, daß, wenn nicht alle, doch einige Stämme außer den unmittelbaren Geistern und Dämonen auch die höheren anerkennen werden, vielleicht den höchsten Geist. Das wird auch vielfach behauptet und durch Beispiele zu erweisen gesucht. Aber es ist mitunter recht schwer, einzusehen, daß dem wirklich so ist. Meist handelt es sich um einen Namen, ohne besondere Angabe der Qualitäten, höchstens unter Bezugnahme auf Schöpfung. Wenn man bedenkt, wie halbselbstverständlich dem Wilden das Wunder ist, begreift man auch, wie wenig die Schöpfung intellektuell für ihn zu bedeuten hat. Sie wird ja oft Menschen übertragen. Frobenius sagt, die afrikanischen Götter hätten dreierlei Ursprung: Geister als vergötterte Ahnen und Herrscher, letztere nicht selten noch zu ihren Lebzeiten. Mystische Gottheiten, die zum Menschen gleichgültig stehen. „Sie entsprossen dem Gefühl, daß neben den von den Afrikanern so sorgsam beobachteten Ausnahmeerscheinungen eine noch unerkannte Regelmäßigkeit in der Natur herrscht; sie sind gleichsam die Personifikation des Rhythmus in der Natur.“ Götter der hohen Mythologie, wie Sonnengötter usf. Eine strenge Scheidung soll es zwischen diesen drei Gruppen nicht geben, sie sollen ineinander übergreifen. Die erste Gruppe kennen wir. Was man mit der zweiten Gruppe anfangen soll, ist nicht recht ersichtlich, zumal sie sich nicht weiter entwickelt hat, wenn wir nicht in die Naturwissenschaft übergreifen wollen. Möglicherweise soll aber auch diese zweite Gruppe gerade zu den Höchstbegriffen führen, dann wäre die dritte Gruppe an die erste anzufügen. Einstweilen können wir in ihr nichts weiter als ein dunkles Fühlen und Ahnen sehen, ohne Namen und Sage, fast die Götter der Mysterien. Ich bekenne, daß ich für diese Götter bei den Naturvölkern keinen rechten Anhalt gefunden habe. Aber Geheimbünde bestehen bekanntlich bei ihnen in reichlicher Zahl, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie Mysterien pflegen wie die Griechen und andere Völker. Wir finden solche Bünde in Nordamerika, Westafrika, den ozeanischen Inseln, in Australien usf., von den Kulturvölkern zu schweigen. Was man von ihrem Tun und Treiben liest, ist freilich kaum geeignet, höhere Begriffe von ihren Geheimnissen einzuflössen; das meiste liegt auf dem Gebiete egoistischer Herrschsucht und der Raub- und Mordgier, auch des bösen Kannibalismus, und ist bei weitem mehr Plage als Wohltat, selbst wenn eine Art Rechtsüberwachung (ähnlich der Fehme) stattfindet. Keineswegs sind diese Mysterien mit den griechischen zu vergleichen, von denen alle alten Schriftsteller mit so hoher Achtung sprechen. Also über die zweite Gruppe weiß ich nichts zu sagen, vielleicht weiß ein anderer mehr.

Die dritte Gruppe wird von Frobenius in mehreren Beispielen behandelt. Aber hier bedarf es mitunter sehr weitgehender Deutungen, um zu höheren Ideen zu gelangen. Nehmen wir einige davon. Schango, bei den Yoruba an der Nigermündung, ist Gott des Donners, Blitzes und Feuers. Er ist Sohn des Meeres (Yemaja); Oschumare, der Regenbogen, ist sein Diener und trägt Wasser von der Erde in seinen Wolkenpalast. Ara, das Donnergrollen, ist sein Bote, Biri, die Finsternis, sein Gefolge. Er hat drei Frauen, die ihm Schnur, Bogen und Schwert tragen. Das alles klingt sehr schön und ganz wie ein hoher Naturmythos. Aber das ist nicht der einzige Mythos von Schango. Nach anderen Mythen stammt er von sterblichen Menschen. „Er war Herrscher in Oyo, der Hauptstadt Yorubas. Er war so grausam, daß Häuptlinge und Volk ihm eine Kalebasse voll Papageieneier schickten mit der Botschaft, daß er durch die Regierungsgeschäfte müde sei und schlafen gehen solle.“ Darüber entsteht ein Krieg; er muß fliehen, alles verläßt ihn, selbst sein Weib. Da hängt er sich auf. Nun erschrecken alle, sie suchen seinen Leichnam und finden eine Kette aus der Erde ragend. Darunter aber hören sie Schangos Stimme. Jetzt bauen sie darüber einen Tempel für Schango als Gott. Und wie Zweifler sagen, Schango sei doch tot, da kommt dieser in einem Gewittersturm und erschlägt die Ungläubigen. Hier ist nichts mehr von hohen Ideen, die Geschichte verläuft richtig fetischmäßig. Noch andere Mythen von Schango stehen nicht viel höher, zumal, wenn man beachtet, was auf S. 16 ff. über die Weltauffassung der einfachsten Naturmenschen gesagt ist. Höchstens eine Art Herrentum nach Art von Mauis erkennt man noch. Eine andere Gottheit ist Hubeane bei den Basuto, hier fehlt eine hohe Sage ganz. Sein Vater war Modimo, „der alles gut erschaffen, nur nicht den Menschen, welcher bald dem Verderben und dem Tode verfiel.“ Hubeane ergeht sich in Nichtswürdigkeiten diesem seinem Vater gegenüber und schlägt ihn sogar. Nun will ihn dieser töten und versucht es mit vergiftetem Brei, durch Meuchelmörder usf. Allen Nachstellungen entzieht sich Hubeane, und zuletzt muß der Vater fliehen. Nach einer anderen Mythe ist Hubeane Sohn eines Weibes, das allein noch übrig blieb, nachdem alle Menschen von einem Ungeheuer verschlungen sind. Er zieht, plötzlich erstarkt, zum Kampf gegen dieses Ungeheuer, wird aber auch verschlungen. Doch weiß er sich zu helfen, denn er schneidet ein Loch durch den Leib des Ungeheuers und schlüpft heraus, hinter ihm her kommen alle Menschen ans Tageslicht. Diese Sage ist in einer anderen, wo Hubeane von einem Schmuck, den er bei der Geburt am Halse schon mitbringt, Litaolane heißt, genauer ausgeführt; namentlich in den Verfolgungen, die er von den durch ihn befreiten Menschen erfährt. So flieht er einmal und verwandelt sich an einem Fluß in einen Stein. Seine Verfolger ergreifen den Stein und werfen ihn an das andere Flußufer hinüber. Dort wird der Stein wieder zu Litaolane, und dieser lacht seine Gegner aus. Die Auslegung, die Frobenius der ersten Sage gibt, meint, Hubeane wird verschlungen = Sonnenuntergang, er kommt wieder ans Tageslicht = Sonnenaufgang. Alle Menschen folgen ihm = erwachen im Schimmer der Morgensonne. Das ist aus Analogien erschlossen. Und alles andere, die Verfolgung durch die Menschen? Man wird gestehen, es ist nicht viel Besonderes an solchen Mythen. Und dabei sagt Frobenius: „Mit Schango und Hubeane haben wir den ganzen Vorrat der unverfälschten Sonnengötter des negerischen Afrika erschöpft.“ Er erzählt dann von dem hottentottischen Heitsi-Eibib, Tsui-Goab, Kauna. Ich kann in allen diesen Erzählungen nur mehr oder weniger törichte Märchen sehen und vermag den Deutungen von Frobenius nicht zu folgen. Nur in einigen Zügen läßt sich etwas Bedeutenderes blicken, wie, daß Heitsi-Eibib durch ein Wasser flieht, das sich vor ihm spaltet, über seine Verfolger aber zusammenschlägt (S. 13), daß Tsui-Goab in einem weißen Himmel über dem blauen Himmel wohnt, und dieser sich, die Menschen zu schützen, vorschiebt, so oft Tsui-Goab zürnt.

Ein Beispiel eines echten Fetischscheusals ist der weiter behandelte O-dente von der Goldküste. Der in einer Höhle bei Date wohnende Geist, er hieß zuerst Konkom, war „ein Mann mit nur einem Auge, einem Arm, krebszerfressener Nase und voller Schwären“. Dieser anmutigen Erscheinung immer zu opfern, ohne sie zu sehen, wurden die Leute müde und bei einem Opferfeste griffen beherzte Männer, als ein Arm aus der Höhle sich streckte, die Fleischstücke in Empfang zu nehmen, diesen Arm und zogen trotz allen Wimmerns die Gestalt nach. Aber entsetzt liefen alle davon unter dem Rufe: „Es ist kein gemeiner Mann, in der Tat, es ist ein Gott.“ Völlig entsprechend dem Standpunkte des Naturmenschen! Deshalb unterhandelten sie mit ihm. Er zeigte sich versöhnlich und legte ihnen als Buße auf, alle Früchte auf dem Felde und im Hause zu verbrennen, sie sollten jegliches hundertfältig zurückerhalten. Die Leute taten’s, da war Konkom gerächt, denn er floh von ihnen und eine Hungersnot brach aus. Er begab sich nach Krakye, wurde dort O-Dente genannt, und die Einwohner behielten ihn gerne. Er zog sich wieder in eine Höhle zurück und Krakye wuchs mächtig. Indessen gefiel es ihm dort nicht, er wollte nach Date zurück. Da erstand in diesem Ort ein Weib Koko, das von ihm, O-Dente, besessen wurde und den Datern alles mögliche verhieß, wenn sie O-Dentes Befehle erfüllten. Der Gott zöge dann selbst wieder zu ihnen. Der Gott verlangte Stiere und Rum, verbot dunkelblaues Zeug zu tragen. Ferner sollte niemand nachts mit einem Licht über die Straße gehen, „er könnte vielleicht eines der Kinder O-Dentes sehen, die im Donner und Windesrauschen gekommen, bei Nacht die Stadt durchwandern, sie zu bewachen.“ Nun geschieht ein Menschenopfer, das ich in seiner Scheußlichkeit nicht erzählen mag, und über diesem Opfer wird ein Altar in Gestalt eines Kegels errichtet. Und das geschah nicht etwa vor Jahrhunderten, sondern in unserer Zeit.

Die anderen ähnlichen Gottheiten darf ich übergehen, sie sind übrigens alle unilateral. Woraus zu entnehmen ist, daß sie Sonnengottheiten bedeuten, kann man nicht immer erfahren. Die Angaben bei den Afrikastämmen sind sehr verschieden. Die Namaqua sehen die Sonne für eine Scheibe Speck an, wovon man sich sogar ein Stück abschneiden kann. Demgegenüber nehmen die Madagassen die Sonne als einen strahlenden Körper an. „Sie betrachten sie als die Quelle des irdischen Besitzes, Genusses und aller Fruchtbarkeit.“ Bei den Ewara an der Guineaküste ist Lisa der Sonnengott, seine Frau ist Gleti, der Mond. Sie haben viele Kinder, davon sind die Töchter die Sterne, welche Gleti stets folgen. Wenn Lisa Gleti schlägt, wird diese dunkel, daher die Mondfinsternisse. Carl Peters in seinem Werke „Im Goldlande des Altertums“ behauptet von den Makalanga einen Sonnendienst gleich demjenigen des semitischen Baal. Er sieht bekanntlich im Makalangadistrikt das biblische Ophir. Max Müller hat nachgewiesen, daß dem Sonnendienst vielfach parallel ein Feuerdienst geht. In Afrika scheint dieser jedoch nicht sehr häufig und wesentlich auf die südlichen Stämme beschränkt zu sein. Die Hereros sollen ein heiliges Feuer, Ukuruo, unterhalten, das von einer Tochter des Häuptlings, die den Titel Ondangere führt, gepflegt wird. Also eine Art Vestalinnendienst, der auch ganz dem römischen gleicht. Den Prometheus spielt ein alter König. Das Feuer erhält auch Opfer, und es dient auch um böse Geister zu verjagen.

Bei den Indianern scheint von höheren Ideen etwas vorhanden zu sein, das Frobenius’ zweiter Gruppe der afrikanischen Gottheiten entspricht. Ratzel, in seiner Völkerkunde, sagt: „Wo sich ein hinreichend abstrakter Begriff (nämlich für Gott) findet, deckt er sich doch nur mit ‚Seele‘, ‚Geist‘, ‚schalten‘ oder einfach ‚wunderbar‘. Manitus (der Algonkins) sind zahllose Geister von bekannter Herkunft, die die ganze Natur bevölkern und bald feindlich, bald wohlwollend dem Menschen begegnen.“ Gleichwohl kennen einige Stämme einen höchsten Weltschöpfer, einen Lichtgott, der die Welt für die Lichtmänner geschaffen hat. Die entdeckenden Europäer wurden für diese gehalten. Sonnenkult haben alle amerikanischen Stämme; Ratzel meint, soweit der Ackerbau reicht (wohl soweit Nutzpflanzen gedeihen). Manche verehren auch Mond und Gestirne. Aber nach den Sagen z. B. der Tlinkitindianer, an der Küste von Nordwestamerika, die Krause in seinem Buche über diese Stämme mitteilt, haben sich Sonne, Mond und Gestirne in drei Kästen befunden, die ein Häuptling, der Onkel Yelchs, besaß. Dieser letztere, als Knabe, setzte es durch, nacheinander mit allen drei Kästen zu spielen, öffnete sie, trotz des Verbots des Onkels, und so flogen erst die Gestirne, dann der Mond, zuletzt die Sonne an den Himmel. Und Yelch, wenn auch die Indianer sagen: „So wie Yelch handelte und lebte, so müssen auch wir handeln und leben“, war keine hohe Gottheit. In den vielen Mythen, die Krause von ihm mitteilt, ist die Hauptsache, daß er als Rabe Streiche über Streiche machte. Ob er Rabe war oder nur ein Rabengefieder trug, er fliegt jedenfalls wie ein Rabe und benimmt sich auch ähnlich. Bei anderen Stämmen sind es andere Tiere, die Yelch vertreten, wie Bär, Schildkröte, Spinne. Es ist also doch eigentlich nur höherer Totemismus und Ahnenglaube, der unter dem Einfluß des Christentums eine neue, mehr aufs Ideale gehende Färbung erhalten hat. Der Indianer unterscheidet sich in dieser Hinsicht vorteilhaft vom Neger. Und nun gar die Kulturvölker des alten Amerika; ich möchte nicht wiederholen, was ich in meinem Buche „Die Entstehung der Welt“ ausgeführt habe, und verweise darauf.

Unter den Ozeaniern haben es die Polynesier, trotz der sonstigen auf Fetisch- und Seelenglauben beruhenden Ansichten, zu einigen hohen Ideen gebracht. Die große Begeisterung, die andere ihren Sagen und Mythen entgegenbringen, teile ich nicht, weil selbst in den besten Kindischheit und Barbarei durchscheinen. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, daß manches auf der Höhe griechischer Schöpfungen gleicher Art steht. Schon das Ehepaar Rangi und Papa, so materiell sie aufgefaßt werden, sind doch als höhere, besondere Wesen, Himmel und Erde, gekennzeichnet. Sie sind zuerst eng aneinander geschmiegt, so daß allgemein Finsternis besteht und ihre Kinder von Licht nichts wissen. Die so vergehenden Zeiten, nach Dekaden gerechnet, werden als Wesen aufgefaßt, Po. Jene Kinder heißen Tangaroa, Rongo-ma-tane, Haumia-tiki-tiki, Tane-mahuta, Tawhiri-ma-tea, Tu-matauenga. Von der gewaltsamen Trennung Rangis und Papas habe ich schon gesprochen. Sobald sie getrennt sind, ist es Licht. Von Sonne und Gestirnen wird nichts gesagt. Aber auch die Bibel kennt Licht ohne Sonne, es ist das erste, was Gott schafft. Nun sollte man erwarten, daß die Kinder Rangis und Papas etwas ganz Besonderes sind. Aber nein, sie sind rein irdisch. Grey, dem ich hier folgen darf, als dem wohl bedeutendsten Kenner polynesischer Mythologie, sagt: „Tangaroa bezeichnet (signifies) Fisch jeder Art, Rongo-matane bezeichnet Kartoffel und alles vegetabilisch als Nahrung Kultivierte, Haumia-tiki-tiki bezeichnet Farnwurzel und alles wildwachsende Eßbare, Tane-mahuta bezeichnet Wälder, Vögel und Insekten, die darin wohnen, und alle Dinge, die aus Holz gemacht werden, Tawhiri-ma-tea bezeichnet Wind und Stürme, Tu-matauenga bezeichnet Mensch.“ Damit ist nicht viel anzufangen. Der Realismus geht noch weiter. Der Wind und Sturm ist mit der Gewalttat, die gegen Himmel und Erde, auf Veranlassung des ersten Menschen, verübt ist, nicht einverstanden und rächt Vater und Mutter, indem er seine Brüder überfällt. Alles unterliegt ihm. Nur Tu-matauenga widersteht allein ohne Hilfe seiner Brüder. Nun zieht er über diese her und zehrt alles von ihnen, was irgend eßbar ist, also vom Wald alles Getier, vom Meer die Fische usf., auf. Zuletzt macht er noch Beschwörungsformeln, um sie zu zwingen, den Menschen immer zur Nahrung zu dienen. Und so wird der erste Mensch als Gott bezeichnet, der die Menschen diese Beschwörungen lehrte. Außer diesem Tu-matauenga läßt nur noch Tawhiri-ma-tea, das Wetter, göttlichere Eigenschaft erkennen. Anderweitig ist Tangaroa ein Hauptgott. Die Nachkommen des ersten Menschen sind die Menschen überhaupt. Sie erst haben Menschengestalt, die vier ersten Geschöpfe gleichen Menschen nicht. Rangi und Papa aber bleiben bis jetzt getrennt. Und wenn Papa voll Sehnsucht seufzt, steigen die Seufzer als Nebel zum Himmel, und wenn Rangi um die Geliebte weint, fallen die Tränen als Tau zur Erde; ein wunderschönes Bild. Rangi und Papa sind auch die Wohltäter der Menschen, indem Rangi Hauche, Menschen und Pflanzen zu kühlen, sendet, und Nebel, Tau und Regen und klares Wetter, damit die Pflanzen wachsen. Papa aber läßt die Pflanzen aus ihrem Schoß hervorgehen. Das tun sie, daß ihre Kinder zu essen haben.

Unter den Nachkommen befindet sich der bekannte Maui, mit vollem Namen Maui-tiki-tiki-a-Taranga. Er ist eine Frühgeburt und von seiner Mutter Taranga in die See geworfen (S. 12). Nach polynesischer Ansicht sollte er verderblicher Geist werden und die Menschen quälen, denn Frühgeburten müssen unter Beschwörungen vergraben werden. Er ist es nicht, zeigt aber in seinem Charakter in der Tat auch bösartige Eigenschaften. So tötet er ohne Grund ein junges Mädchen und macht ganze Ernten verdorren. Seinen Schwager verwandelt er aus Neid über dessen Erfolg beim Fischen in einen Hund, so daß seine Schwester aus Gram sich ins Meer stürzt. Er ist an sich ein Heros, der sich vor den Göttern fürchtet, aber er vollbringt Taten, die göttlich scheinen. Wie er die Sonne zwingt, langsam die Welt zu umgehen und nicht brennend zu strahlen, ist schon erwähnt. Seine zweite Haupttat ist das Heraufziehen der Nordinsel von Neuseeland an einem Kiefer als Angelhaken, aus dem Meere. Er ist aber darum doch nicht Erdschöpfer, da die Erde schon vor ihm bestand; er bewohnt schon ein Land mit seinen vier Brüdern. Die Insel aber zieht er wie zufällig, beim Fischen mit diesen Brüdern, in Gestalt eines Fisches empor. Die dritte Tat, wegen deren man ihn mit Prometheus verglichen hat, betrifft den Raub des Feuers. Indessen ist Feuer längst schon vorhanden, Maui kommt es mehr darauf an, das Feuer seiner Ahnin Mahu-ika zu zerstören. Er löscht aber vorher alles Feuer auf der Erde aus. Warum, ist nicht ersichtlich, da er kein anderes mitbringt, wenn’s nicht ist, daß er indirekt die Feuergöttin veranlaßt, den Rest ihres Feuers in Bäumen zu bergen, denen es die Menschen durch Reiben entlocken können. Er treibt mit der Feuergöttin, trotz der Warnung seiner Mutter, Spott. Er verlangt von ihr Feuer, sie läßt es aus einem Fingernagel hervorsprühen und gibt es ihm. Da löscht er es aus und bittet um neues, um es abermals auszulöschen. So fährt er fort, bis Mahuika die Kraft aller Finger- und Zehennägel verbraucht hat, außer der des Nagels einer großen Zehe. Diesen stampft sie – da sie sich betrogen erkennt – voll Wut auf den Boden. Alles gerät in Brand, Erde, Feld und Wald. Maui flieht als Adler und kann sich zuletzt doch nur retten, indem er seinen Vorfahr Tawhiri-ma-tea um Regen anfleht. Die Göttin aber behält von ihrem ganzen Feuer nur einige Funken, die sie sammelt und mit denen sie verfährt wie angegeben. Wenn diese Mythe nicht sinnlos sein soll, so muß die Feuergöttin irgendeinen bösen Dämon bedeuten, oder es ist in der Sage etwas verloren gegangen. Anderweitig wird der Mythos denn auch anders erzählt, so in Tonga, wo Maui mit dem Erdbebengott ringt, ihn überwältigt und das Feuer, an dem er sich gewärmt hatte, den Menschen bringt. Noch anders holt er das Feuer als Vogel. Sein letztes Abenteuer bringt ihm den Tod und den Tod auch der Menschheit. Eine Ahnin von ihm wohnt am Himmelshorizont, Hine-nui-te-po ist ihr Name, „große Frau Nacht“. Maui zieht zu ihr, begleitet von vielen Vögeln, die seine Genossen sind. Er findet sie schlafend und beschließt, in sie hineinzukriechen, sie ganz zu durchziehen und erst aus ihrem Munde sie zu verlassen. Er bittet die Vögel, nicht zu lachen, bis er wieder heraus ist, damit die Furchtbare nicht erwacht, und begiebt sich in sie hinein. Die Vögel verbeißen krampfhaft das Lachen über die Szene, aber das kleine Vögelchen Tiwakawaka vermag nicht an sich zu halten und lacht plötzlich auf. Da erwacht Hinenui-te-po, springt auf und tötet Maui. Hierin ist zweifellos der Sonnenuntergang geschildert, zumal Grey festgestellt hat, daß der Vogel Tiwakawaka in der Tat nur bei Sonnenuntergang sich hören läßt. Kommt noch dazu, daß Mauis Eltern in der Unterwelt leben, und er bei ihnen weilt und von Zeit zu Zeit emporsteigt, daß er Kraft über die Sonne Tama-nui-te-Ra übt, um verständlich zu machen, daß er als Sonnenheros angesehen wird.

Bastian, in seinem Buche „Die heilige Sage der Polynesier“, teilt aber noch viel höhere Anschauungen aus den Maorisagen mit. Vor Rangi und Papa haben schon andere Dinge bestanden, die zum Teil wesentlich als Begriffe aufzufassen sind. Er zählt deren 17 auf. Zuerst Te-Kore, das Nichts, dann Te-Po, die Urnacht, hierauf Te-Rupunga, das Sehnen, sodann Empfindung, Ausbreitung, das Luftschnappen, Gedanke usf., zuletzt Hau-Ora, Lebensatem, und Atea, Weltall, gespalten in Rangi und Papa. Das geht freilich sehr hoch und weit, und Bastian vergleicht die Reihe mit ähnlichen Reihen in buddhistischen Anschauungen. Von Rangi und seiner zweiten Liebe Atatuhi (Dämmerungsstrahlen) sollen Mond, Sterne, Tagesgrauen, Tag, von ihm und seiner dritten Liebe Werowero (Hitzgezitter), Ra, die Sonne, stammen. Papa mit verschiedenen Männern bringt hervor Blitzesglanz, Donnergeroll, die Hinenui-te-po, sodann Inseln. Hier haben wir eine Kosmogonie in Form einer Theogonie. Noch andere Götter werden aufgeführt, deren Nachkommenschaft immer ihrer Funktion entspricht. So, wenn Tawhiri-ma-teas Geschlecht Erdbeben, Regenbogen, Hagel, Regen, Eis, Sturm, Kälte usf.; Tangaroas Aale, Muscheln, Hai, Walfisch, Seevögel usf. ist. Tu-mata-uenga, in Tiki als Mensch reproduziert, hat Rangis Tochter Kau-ata-ata zur Frau, das wäre also Eva, und von ihr zwei Kinder. Dann entwickelt sich das Geschlecht der Menschen weiter, und es findet sich darunter ein Matuika, Vater des Feuers, ein Fliegengott, ein Gott der Felssteine, ein Trawaru, Vater der Hunde. Die ganze Welt soll aus zehn Himmeln übereinander und zehn Erdschichten untereinander bestehen. In jenen sollen die Götter und Geister thronen – im höchsten weilt Rehua (für Rangi?) – im neunten, achten und siebenten die vergötterten Seelen in der Stufenfolge ihrer Bedeutung. Dann kommen die Untergötter, die Atua, zu denen auch Tawhaki (S. 17) gehört, die Halbgötter. Im vierten Himmel ist ein Lebensquell für Embryonen, im dritten (Nga-Roto) das Wasser über dem Firmament, im zweiten Regen und Sonnenschein. Der erste Himmel ist der feste und das Reich Tawhiri-ma-teas. Wie sich das mit dem auf S. 19 f. Mitgeteilten vereinen soll, kann ich nicht sagen. Auf die Schilderung der Erdschichten kommen wir zurück.

Fast noch verblüffender ist, was Bastian uns von der hawaischen Mythologie erzählt. Er hat auf Hawai in der Bibliothek des Königs (Kalakaua) ein aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts stammendes Manuskript „He Pule Heiau“ entdeckt, dessen Wortlaut er mitteilt und das ein Schöpfungsbild enthält. Die Welt ist mehrmals geschaffen. Die jüngste Schöpfung ging in acht Perioden vor sich. Bis zum Schluß der achten Periode herrscht Po, Finsternis, jedoch mit abnehmender Stärke, indem ein Schimmer stetig wächst. Erst dann tritt Ao, Licht, ganz hervor. Innerhalb dieser Perioden aber erscheinen erst Intelligenz, dann Abgrund (männlich und weiblich). Hierauf entstehen die Lebewesen, von unten nach oben sich entwickelnd. Zugleich füllt sich der Abgrund mit Erde, bis der Abgrund ganz verschwunden ist. Nun, in der achten Periode kommen der Mensch, als Urweib Lalai, indem sie „hervorwächst gleich einem Blatt“, und die persönlichen Götter. Das Weib verbindet sich erst mit den Urkräften, dann mit dem Sonnengott und mit Kane und Kii und anderen Göttern, woraus zuletzt das Heroen- und Menschengeschlecht hervorgeht. Das ganze ist eine Entwicklungsgeschichte, wobei immer zuerst das Geistige und dann das zugehörige Materielle entsteht, und sie wird bis in die historische Zeit hingeführt. Als Probe führe ich nach Bastian die zweite Strophe des Gedichtes an:

Geboren in Nacht.

Geboren Kumuligo, aus der Nacht als männliches,

Geboren Poele, aus der Nacht als weibliches,

Geboren die Milben im Gewimmel,

Geboren das Gewimmel in Reihen,

Geboren die Würmer, die Grabenden, die Erde aufwerfend,

Geboren ihre Mengen mit Nachkommenschaft,

Geboren die im Schmutz sich windenden,

Geboren ihre zuckenden Reihen,

Geboren Seeeier ohne Zahl,

Geboren ihre streifige Nachkommenschaft in Reihen.


Die interessante einleitende Strophe dieser seltsamen Dichtung lautet:

Hier dreht der Zeitumschwung zum Ausgebrannten der Welt,

Zurück der Zeitumschwung nach aufwärts wieder,

Noch sonnenlos die zeitverhüllten Lichter,

Und schwankend nur im matten Mondgeschimmer;

Aus Makaliis mächtigem Wolkenschleier

Durchzittert schattenhaft das Grundgebild künft’ger Welt.

Des Dunkels Beginn aus den Tiefen des Abgrunds,

Der Uranfang von Nacht in Nacht,

Von weitesten Fernen her, von weitesten Fernen,

Weit aus den Fernen der Sonne, weit aus den Fernen der Nacht.

Noch Nacht ringsumher.


Sehr klar ist das nicht. Es soll aber besagen, daß die neue Welt beginnt, nachdem die frühere zugrunde gegangen ist, daß dieses in tiefer, nur schwach durchschimmerter Finsternis geschieht, daß durch das Plejadengestirn (Makalii) die zukünftige Welt ideell durchleuchtet. Die letzten vier Verse, wenn sie nicht die Herkunft des Dunkels und der Nacht schildern sollen, verstehe ich nicht. Aber Bastian gibt selbst die Übersetzung mit dem größten Vorbehalt. Andere Erzählungen stimmen bis auf die Götterzugabe mit biblischen Angaben. Bastian freilich und Achelis erklären es lediglich aus der übereinstimmenden Denkweise der Menschen. Ich glaube aber nicht, daß das bei so speziellen Angaben, wie die Entstehung des Weibes aus der Rippe des Mannes, zulässig ist. Doch sei wenigstens hervorgehoben, daß eine Göttertrias, Kane, Ku, Lono, vorhanden ist, die alles schafft, Himmel, Erde, Sonne, Mond, Sterne und Lebewesen. Anderweitig ist Tangaroa oder Taaroa der Weltschöpfer, von dem bei den Marquesasinsulanern das von Moerenhout aufbewahrte Gedicht die höchsten Gedanken äußert:

Es weilet hier, Taaroa sein Name, in des Raumes unendlicher Leere;

Keine Erde noch, kein Himmel noch, keine See war da, keine Menschen.

Von oben herab Taaroa ruft, in Neugestaltungen wandelnd,

Taaroa, er als Wurzelgrund, als Unterbau der Felsen,

Taaroa als der Meeressand, Taaroa in weitester Breitung.

Taaroa bricht hervor als Licht,

Taaroa waltet im Inneren, Taaroa im Umkreis, Taaroa hienieden.

Taaroa die Weisheit,

Geboren das Land Hawaii.


Und dabei die doch zweifellosen Fetische, Götzen und Geister (Atua). Man muß annehmen, daß neben der Volksreligion, die, wie überall, im rein Konkreten haftet, auch eine höhere Anschauung vorhanden ist, die wenigen zugehört. Auch ist bekannt, daß oft die höheren Stände eine andere Religion haben als die niederen, sogar andere Fetische und Götzen. Und im übrigen stehen die sonstigen Sagen von jenen Göttern keineswegs auf sehr hoher Stufe. Selbst die Sage von Taaroa oder Tangaroa endet nicht sehr hoch. Wie es um ihn hell wurde, rief er den Sand der Küste zu sich. Dieser konnte aber nicht zu ihm fliegen. Dann rief er die Felsen zu sich. Auch diese vermochten es nicht, da sie festgewurzelt seien. Nun steigt er selbst zur Erde, und aus der Muschelschale, in der er bisher gehaust, macht er die Inseln, darauf zeugt er aus seinem Rücken die Menschen, wandelt sich in ein Boot und schwimmt auf dem Meere. Dort verspritzt er im Sturme sein Blut, worauf sich das Meer und die Wolken färben. Zuletzt wird sein Gerippe, „das Rückenbein oben, auf dem Boden liegend, eine Wohnung für alle Götter und zugleich das Vorbild für den Tempel.“ „Tangaroa wurde zum Himmel“, sagt Ratzel in seiner Völkerkunde. Man kann das zugeben, wenn man den Himmel nicht so anschaut wie wir es tun, und wenn man über alle Inkonsequenzen hinwegsieht, da ja ohne Tangaroa schon Land, Meer und Wolken vorhanden sind und man nicht recht begreift, wie dieser Gott da noch zum Himmel werden konnte. Auf Neuseeland ist Tangaroa recht indifferent als Gott der Meere, eigentlich der Tiere darin, und anderweit erscheint er auch als böser Geist, wie der ihm entsprechende Kanaloa. Auf die anderen besonderen Lehren einzugehen ist nicht nötig, nachdem wir die Höhen und die Tiefen kennen gelernt und gesehen haben, wie naiv große Gedanken mit skurrilsten Torheiten bei demselben Naturvolk bestehen können, was wir ja von uns selbst auch rühmen müssen. Auch habe ich weiteres Material schon in meinem mehrmals genannten Buche mitgeteilt.

Können wir nun sagen, daß die Naturvölker sich bis zu dem Gedanken eines Gottes in unserem Sinne durchgerungen haben, auch wenn wir ihre sonstigen Anschauungen beiseite lassen? Ich glaube, nein! Sie mögen bis zu einer Ahnung von etwas sehr Hohem und Übermächtigem gelangt sein. Einige unter ihnen mögen auch, namentlich unter fremdem Einfluß, bestimmtere Begriffe davon gefaßt haben. Aber im ganzen sind sie nicht einmal zu einem Polytheismus, wie ihn Ägypter oder Griechen hatten, gekommen. Der Omnanimismus und Pandämonismus ist die Grundlage ihrer Anschauungen, und das Bedeutendste ist eine Monolatrie innerhalb jener und innerhalb einer Polylatrie. Bastian selbst, der am meisten geneigt scheint, wenigstens den Polynesiern hohe Begriffe von Gott und Welt zuzuschreiben, meint, daß es sich bei ihnen nicht um Schöpfungen handelt, sondern um Aufblühen von Vorhandenem. Und der ganze Kult, den sie geübt haben und üben, mit allen Albernheiten und Grausamkeiten, ist ein greller Widerspruch gegen jeden höheren Begriff. Man hat zuerst die Anschauungen der „Wilden“ nicht hoch genug stellen können, dann nicht niedrig genug, und jetzt scheint man sie wieder erheblich zu überschätzen. Das erste kam aus Unkenntnis und theologischer Voreingenommenheit, das zweite aus Enttäuschung angesichts der Wirklichkeit, das letzte scheint auf Übertragung des Verhaltens des Naturmenschen unter dem Einfluß der Kultur oder unter dem Auge des Kulturmenschen auf Verhältnisse des isolierten Naturmenschen zu beruhen.

Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis

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