Читать книгу Populäre Vorträge - Max von Pettenkofer - Страница 4
DAS VERHALTEN DER LUFT ZUM BEKLEIDETEN KÖRPER DESMENSCHEN.
ОглавлениеWenn ich es wage, hier vor einer so zahlreichen und gewählten Versammlung zu sprechen, so könnte man erwarten oder voraussetzen, dass ich ungewöhnliche Dinge mitzuteilen hätte, die man nicht von München aus nach Dresden schreiben könnte, sondern derentwegen man persönlich kommen, welche man selbst vortragen müsste. Ich bitte meine Zuhörer, eine derartige Erwartung oder Voraussetzung ja nicht zu hegen, Sie würden sonst durch meine Vorträge enttäuscht werden. Diese handeln nur von längst bekannten Dingen, welche Jedermann schon aus dem täglichen Gebrauche kennt, und auch was ich Ihnen darüber sagen werde, ist vielleicht Alles schon einmal irgendwo gesagt oder gedruckt worden.
Ich habe vom Direktorium des Albert-Vereins die ehrenvolle Einladung erhalten, hier in Dresden einige populäre Vorlesungen über Gegenstände der öffentlichen Gesundheitspflege zu halten. Es ist vielleicht eine nicht unpassende Einleitung, wenn ich Ihnen offen sage, was ich von populären Vorlesungen halte.
Was sind populäre Vorlesungen und was lässt sich von ihnen erwarten? Ich zähle mich zwar nicht unter diejenigen, welche bei allem, was sie tun oder anstreben, sofort ängstlich nach dem sogenannten praktischen Nutzen fragen, wie er sich etwa in Prozenten des Anlagekapitals berechnen und ausdrücken und weiter verwerten oder verhandeln lässt, aber ich dispensiere mich doch auch nicht gern von aller Pflicht, wenigstens nach dem Zwecke meines nach gewöhnlichen Begriffen unrentablen Geschäftes zu fragen. Durch populäre Vorträge kann Niemand bis zu dem Grade unterrichtet werden, dass er dadurch sofort Sachverständiger würde. Man könnte daher sagen, populäre Vorträge sind eher schädlich, als nützlich, denn sie erzeugen und vermehren nur jenen Dilettantismus, an dem unsere Zeit ohnehin schon genug zu leiden hat, und der auch in unseren Schulen schon einen solchen Umfang zu nehmen beginnt, dass Einem vor der unabsehbaren Ausdehnung des Wissens unserer Kinder angst und bange werden möchte, und nur die geringe Tiefe desselben macht es wieder erklärlich, dass es doch nicht so gefährlich ist, dass zuletzt doch so viel gelernt und auch wieder vergessen werden kann. Ich gestehe Ihnen offen, dass auch ich nicht im Stande bin, den Einwurf zu entkräften, dass populäre Vorträge keine eigentlichen Sachverständigen zu bilden im Stande sind.
Aber ich glaube, darauf kommt es gar nicht an, dazu sind populäre Vorlesungen auch nicht bestimmt. Sie sind weder ein erschöpfender wissenschaftlicher noch praktischer Unterricht, sondern nur eine wissenschaftliche Erbauung, Erhebung und Anregung, die unsere Blicke und Herzen emporrichten und auf uns wirken soll, ähnlich wie etwa das Anhören eines guten Konzertes, einer Symphonie, deren Zweck auch nicht ist, alle Zuhörer zu Musikern zu machen. Es ist genug, die Harmonie zu empfinden, welche in dem Vorzutragenden von Natur aus liegt. In allem menschlichen Wissen und Thun, Dichten und Trachten, soweit es Wahrheit ist, liegt Harmonie, welche zu empfinden der Sinn im Menschen glücklicherweise so allgemein verbreitet ist, wie der Sinn des musikalischen Gehörs. Diese Harmonie, welche in allen Wahrheiten liegt, kann und soll Jedermann zum Bewusstsein, zur Empfindung gebracht werden, damit sich möglichst Viele daran erfreuen, dafür erwärmen, mit neuen Gegenständen zunächst befreunden und dann vielleicht befassen, oder dass sie doch aus Überzeugung und mit Sympathie denjenigen nach Kräften beistehen, welche sich berufsgemäß mit den Gegenständen eingehender befassen müssen. In dieser Hinsicht haben populäre Vorträge sogar eine sehr hohe ernste Mission, sie sollen richtige allgemeine Vorstellungen schaffen, das Verständnis dafür erleichtern, eine gewisse Liebe für verschiedene Aufgaben der Zeit und des Lebens erwecken und verbreiten, sie sollen Freundschaftsbande knüpfen zwischen Dingen, Ideen und Menschen. Wovon die Menschen nie etwas gehört haben, wovon sie gar nichts wissen und gar keine oder eine falsche Vorstellung haben, dafür darf man billigerweise von ihnen auch keine Teilnahme verlangen, am allerwenigsten aber eine Opferwilligkeit erwarten.
Und so möchte ich durch einige Vorträge nun Ihre Teilnahme für Gegenstände der öffentlichen Gesundheit oder Hygiene erregen, ich möchte Ihnen namentlich recht lebhaft zur Empfindung bringen, wieviel in dieser Richtung noch zu tun und zu schaffen ist, wozu wir Alle zusammensteuern und zusammenarbeiten müssen.
Der Gegenstand, den ich mir für diese Vorträge gewählt, scheint ein sehr bekannter, leichter und einfacher zu sein, die Luft, in der wir leben, wie der Fisch im Wasser.
Es bedarf der Mensch der Luft beständig, er mag sein wo er will, auf dem Lande, auf dem Meer, über und unter der Erde, im Freien und in der eng geschlossenen Wohnung.
Wir brauchen die Luft zu verschiedenen Zwecken, hauptsächlich aber zu zweien, erstens als Nahrung, zweitens zur Abkühlung. Schon die Menge Luft, welche ein erwachsener Mensch in 24 Stunden ein- und ausatmet, beträgt im Durchschnitt 9000 Liter oder circa 360 Kubikfuß oder 150 Eimer. Was wir an fester und flüssiger Nahrung und an Getränken in 24 Stunden einnehmen und wieder ausscheiden, nimmt durchschnittlich den Raum von etwa 3 Litern ein, beträgt also dem Volumen nach nur den dreitausendsten Theile des Volums der Atemluft. Im Jahre beträgt dieser Luftgenuss 3 285 000 Liter. Man erstaunt förmlich über diese Menge, wenn man sie zum ersten Male ausrechnet oder hört, und es beschleicht einen ein sonderbares Gefühl, wenn man denkt, dass diese Arbeit Tag und Nacht fortgeht. Von der Geburt bis zum Tode unausgesetzt müssen wir auf diese Art Blasbalg ziehen, damit die Orgel unseres Lebens nicht verstumme.
Die Luftmenge, welche uns außerdem noch beständig auf der ganzen Oberfläche umfließen muss, ist noch viel, viel grösser.
Man könnte einwerfen, die Luft sei ein so leichter Körper, dass ihr Gewicht nicht in Betracht komme. Schon gut: aber ein Gewicht hat sie doch, sie ist bloß 770mal leichter als Wasser, und die 9000 Liter, die wir täglich atmen, haben schon ein Gewicht von 111/2 Kilo oder 23 Zollpfunden. Doch ich habe nicht vor, mich gegenwärtig mit dem Luftgenuss als Sauerstoffnahrung zu befassen, über die Stoffwechselverhältnisse in Bezug auf unsere Ernährung möge an dieser Stelle einmal ein Anderer das Wort ergreifen, ich will heute namentlich nur den zweiten Gebrauch, den wir von der Luft machen, die Entwärmung unserer arbeitenden Maschine, ins Auge fassen.
Sie Alle wissen, dass die gesamte Liebestätigkeit an chemische Prozesse gebunden ist, welche in unserm Innern ununterbrochen vor sich gehen, welche Prozesse wir durch Einnahme von fester und flüssiger Nahrung und von Sauerstoff aus der Luft unterhalten. Der regelrechte Vorgang dieser Prozesse ist unter anderen Bedingungen
Auch an eine bestimmte Temperatur gebunden, über und unter welcher die Prozesse zwar nicht stillstehen, aber anders verlaufen, so dass sie die Zwecke des normalen Lebens nichtmehr erreichen – und Krankheit oder Tod zur Folge haben. Beim Menschen ist diese Gleichmäßigkeit der Temperatur seiner Organe eine der allerwichtigsten Lebensbedingungen. Das Blut des Negers, welcher in der heißen Zone unterm Äquator lebt, ist nicht um 1/10 Grad wärmer, als das Blut des Eskimo im höchsten Norden zur kältesten Jahreszeit, immer ist es 371/2° Celsius. Die Extreme der Temperatur, unter welchen Menschen leben, sind in den Tropen 35 bis 40° C. über Null, und in den Polargegenden 32, ja selbst 47° C. unter null, also eine Differenz von 100 Graden. Selbst die mittleren Monatstemperaturen mancher Gegenden differieren um mehr als 40 Grade, und doch sind die Organe des Menschen überall gleich warm.
Wodurch, mit welchen Mitteln vermag der Mensch so kolossale Differenzen auszugleichen? Welche Waffen gebraucht er in diesem riesigen Kampfe?
Vergegenwärtigen wir uns etwas näher die absoluten Wärmegrößen, über welche der lebendige Organismus verfügt. Die chemischen Prozesse welche in einem erwachsenen Menschen unter gewöhnlichen Umständen vor sich gehen, erzeugen in 24 Stunden annähernd etwas über 3 Millionen Wärmeeinheiten. Unter einer Wärmeeinheit versteht man jene Wärmemenge, welche erforderlich ist, um 1 Gramm Wasser in seiner Temperatur um 1°C. Zu erhöhen. Mit der von einem Menschen im Tage produzierten Wärme könnte man also 3000 Liter Wasser in seiner Temperatur um 1°C. Erhöhen, oder 30 Liter von 0 bis 100°, d. h. bis zum Sieden erhitzen.
Es gibt Zustände, in denen der Mensch mehr und weniger Wärme produziert, z. B. in dem Maße, als er mehr oder weniger Nahrung genießt, mehr oder weniger Muskelanstrengungen macht; solche Abweichungen vom Mittel können zeitweise bis zu 50 Pro Cent der ganzen Größe betragen – aber immer ist es Aufgabe des Körpers und unerlässliche Bedingung für seine Gesundheit, dass die Wärme seines Blutes sich nicht wesentlich ändere, höchstens innerhalb eines Grades auf- und abschwanke.
Wir müssen uns als warme und feuchte Körper in die kühlere umgebende Luft hineingestellt betrachten. Solche Körper verlieren Wärme auf dreierlei Wegen: 1) durch Strahlung; 2) durch Verdunstung; 3) durch Leitung. Dass die Wärme nicht auf einem einzigen Wege abfließt, sondern auf dreien, gewährt große Vorteile für den Wärmehaushalt, für die Wärmeökonomie des Körpers, weil die Benutzung verschiedener Wege eine feine Regulierung des Abflusses nach Bedürfnis gestattet. Was wir in einem Falle mehr verlieren durch Strahlung, das lässt sich durch geringere Verluste auf den beiden anderen Wegen wieder ausgleichen, und umgekehrt. Die Verluste durch Strahlung und Leitung sind durchschnittlich bei gleichbleibender Umgebung die konstantesten, und die Wasserverdunstung das Hauptmittel zum Ausgleich teils von Differenzen, welche von Verschiedenheiten in der Menge der erzeugten Wärme herrühren, teils von funktionellen Störungen der beiden anderen Wege.
Mir liegt daran, dass Jedermann eine Vorstellung von diesen drei Abflusswegen der Wärme habe, — gestatten Sie mir daher, Sie auf einige alltägliche Erscheinungen aufmerksam zu machen, in welchen dieselben recht deutlich hervortreten.
Denken Sie z. B. an den Fall, dass man -im strengen Winter auf der Reise in einen Gasthof kommt und sich schnell ein Zimmer will heizen lassen. Der Ofen kann sehr heiß sein, das Thermometer im Zimmer eine hohe Temperatur der Luft zeigen aber es wird Einem nicht behaglich, es fröstelt Einen trotz 16° R., und sobald das Feuer im Ofen aus ist, sinkt auch wieder sehr rasch die Temperatur des Zimmers, die Wärme will sich nicht halten, das · Zimmer ist gleich wieder kalt. Wenn wir dasselbe Zimmer ein paar
Tage lang bewohnen und es regelmäßig heizen lassen, dann fühlen wir uns ganz anders darin; — wenn es uns anfangs bei 160 R. noch gefröstelt hat, finden wir es zuletzt bei 14° R. sehr behaglich warm. Sie Alle werden denken, dass ich Ihnen da gar nichts Neues sage, ja Sie werden mir auch sofort die Erklärung geben, warum es mich anfangs bei 16°R. in diesem Zimmer gefröstelt hat, während es mir bei 14° R. später warm genug war, indem Sie mir einfach sagen, ein Zimmer, was mehrere Tage ganz kalt gestanden hat, muss eben erst – wie man sagt - ausgeheizt sein, und das geht nicht auf einmal, das braucht Zeit. Aber was unterscheidet ein nicht ausgeheiztes Zimmer von einem ausgeheizten in dem Grade, dass ich den Unterschied in meiner Wärmeökonomie so deutlich spüre? Nichts, als die Größe des Verlustes durch vermehrte Strahlung in dem noch nicht ausgeheizten Zimmer. Die Strahlung vermehrt sich oder wächst mit der Temperaturdifferenz zweier ungleich warmer Körper. Da uns in einem Zimmer nicht bloß Luft von 16°R., sondern auch Wände, Möbel usw. umgeben, die vielleicht erst nur 2 oder 30 haben, während die Luft schon 16', so strahlt mein viel wärmerer Körper auch viel mehr Wärme gegen sie aus, als wenn sie einmal 12 und mehr Grad warm geworden sind. In einem so unausgeheizten Zimmer geht es mir nicht besser, als dem Ofen, der auch bei gleichem Aufwand von Brennmaterial anfangs viel rascher abkühlt, als nachher, wenn das Zimmer einmal – wie wir sagen – ausgeheizt ist. Der gewöhnliche Sprachgebrauch sagt daher ganz richtig: das Zimmer heizen, und nicht: die Luft im Zimmer heizen. Alles im Zimmer muss geheizt werden.
Die nämliche Erfahrung hat jeder von uns auch schon in umgekehrter Weise gemacht, in Fällen, wo der Verlust durch Strahlung ungewöhnlich beschränkt wird. Ich erinnere Sie an einen gedrängt vollen Saal bei warmer feuchter Luft. Wie heiß wird einem da oft der Kopf und der ganze Leib, und wenn man zufällig auf ein Thermometer im Saale blickt, glaubt man, es zeige nicht richtig – man liest oft nur 16 bis 170 R. ab, eine Temperatur, bei der man sich in seinem Zimmer ganz anders und so viel behaglicher befindet. — Auch diese Erscheinung erklären Sie mir ganz richtig, wenn Sie sagen, das macht eben das Gedränge. Wie leicht atmen wir auf, wenn wir aus dem Gedränge in ein Nebenzimmer treten, um dort — wie wir sagen – etwas frische Luft zu schöpfen, und wenn wir aufs Thermometer sehen, ist es im Nebenzimmer oft so warm, wie im Saale, und wenn wir die Luft eudiometrisch untersuchen, so ist der Unterschied im Saale und im Nebenzimmer so unbedeutend, dass man daraus unmöglich unsere verschiedenen Empfindungen erklären kann. Worin liegt also wohl der Unterschied zwischen einem von Menschen vollen und leeren Saale, wenn in beiden Fällen die Temperatur der Luft gleich ist? In einem Gedränge fällt die seitliche Strahlung der Wärme größtenteils ganz weg. Jeder Körper ist umgeben von gleich warmen anderen Körpern, Einnahme und Ausgabe durch Strahlung decken sich, die Entwärmung der Einzelnen wird wesentlich auf die beiden anderen Wege, auf Leitung durch die Luft, die inzwischen über einen hinzieht, und durch Wasserverdunstung aus der Körperoberfläche beschränkt. Die Poren der Haut öffnen sich bei solchen Gelegenheiten deshalb auch oft wie Schleusen. Zugleich treibt es uns, die Luft rascher, d. h. in größerer Menge über uns weg zu führen, den Abfluss durch Leitung und womöglich auch durch Verdunstung zu vermehren, wir greifen zum Fächer, um die steigende Hitze auf diesen beiden anderen Wegen los zu werden.
Der Verlust durch Strahlung kann unter Umständen ein sehr beträchtlicher sein, 50 Prozent der ganzen Wärmemenge fließen gewöhnlich auf diesem Wege ab. Sie verdient deshalb alle Beachtung. Namentlich ist ungleichseitige Abstrahlung schädlich, Sitzen oder Liegen an einer kalten Wand, die nicht mit schlechten Wärmeleitern bedeckt ist, am Fenster u. s. w. [In den Schulbänken werden an den Eckplätzen namentlich die gegen die Fensterseite gekehrten Körperteile der Kinder immer etwas anders entwärmt, als die einem Nachbar zugekehrten.] Es gibt da überhaupt eine große Anzahl von praktischen Fällen, die lange noch nicht gehörig gewürdigt sind.
Betrachten wir nun einige Fälle, in denen die Entwärmung durch Verdunstung in den Vordergrund tritt, oder vorwaltend empfunden wird. Am bekanntesten ist das Experiment, das man oft im Freien bei ganz ruhiger Luft und wolkenlosem Himmel macht, um zu erkennen, von welcher Seite die Luft kommt. Man befeuchtet den Zeigefinger und streckt ihn in die ruhige Luft empor. Man spürt dann in der Regel den Finger an einer Seite kühler werden, das ist die Seite, von welcher die Luft kommt, in welcher mehr Wasser verdunstet. Ist die Luft verhältnismäßig trocken, so geht das Experiment immer sehr gut, ist sie aber mit Wasserdunst schon ganz oder nahezu gesättigt, dann gelingt es schlecht, weil vom Finger zu wenig Wasser verdunstet, um deutlich fühlbare, vermehrte Abkühlung zu erzeugen.
Ganz ähnlich verfährt unser Organismus in allen Fällen, wo entweder im Innern mehr Wärme erzeugt wird als gewöhnlich, oder wo die beiden anderen Wege weniger Wärme abführen. Unser Organismus besitzt die Fähigkeit, die feinsten Blutgefäße in der Haut und in den inneren Organen zu erweitern und zu verengern. Die Gefäßnerven, welche diese Bewegungserscheinungen auslösen, heißen vasamotorische, sie sind zwar unserer Willkür entrückt, aber sie werden von äußeren Einflüssen, sogenannten Reizen, zu unwillkürlichen Reflexbewegungen veranlasst. Wer errötet, dem gehen buchstäblich auch die Hitzen aus, dessen Blutgefäße in der Haut der Wangen erweitern sich und es strömt mehr Blut nach der Peripherie und fließt dadurch mehr Wärme ab. Unter ähnlichen Umständen strömt in Folge vasomotorischer Nerveneinflüsse überhaupt mehr Blut in die Haut und nach der Oberfläche als sonst, die ganze Oberfläche unseres Körpers wird so zu sagen wärmer und wasserreicher, es kann nicht bloß mehr Wärme durch Strahlung und Leitung abgegeben werden, sondern es verdunstet in gleicher Zeit auch viel mehr Wasser.
Welchen Wert für die Entwärmung die Verdunstung hat, kann daraus abgenommen werden, dass ein Gramm Wasser, um gasförmig zu werden, 560 Wärmeeinheiten bindet, oder absorbiert.
Professor Voit und ich haben mit Hilfe des großen Respirationsapparates, welcher zum Attribut der Hygiene an der Universität München gehört, und der ein großmütiges Geschenk des höchst seligen Königs Max II. von Bayern ist, an Menschen und Tieren die in 24 Stunden ab dunstenden Wassermengen bestimmt, und konstant gefunden, dass bei gesteigertem Stoffwechsel, es mochte die Steigerung von größerer Nahrungsaufnahme, oder von vermehrter Muskelanstrengung herrühren, stets mehr Wasser unter sonst gleichen Verhältnissen verdunstet wurde. Wir haben den Menschen bei Ruhe und Arbeit darauf untersucht und gefunden, dass er durch Atem und Haut an einem Ruhetage z. B. oft nur 900 Grammen Wasser in 24 Stunden verdunstet hat, an einem Tage mit anstrengender Arbeit hingegen 2000 Grammen, wodurch einmal 504 000, das andere mal 1 120 000 Wärmeeinheiten dem Körper durch Verdunstung abgenommen wurden.
Das erklärt auch, wie es kommen kann, dass selbst bei der anstrengendsten Arbeit unser Blut nicht heißer, ja gar nicht selten sogar etwas kühler wird. Letzteres hat man in neuerer Zeit namentlich bei Bergbesteigungen mehrfach konstatiert. Professor Lortet in Lyon hat bei einer Besteigung des Montblanc in Mund und Achselhöhle während des Steigens eine geringere Wärme gehabt, als die normale, welche sich erst beim Ausruhen wieder einstellte. Auf so hohen Bergen begünstiget schon der Nachlass des Atmosphärendruckes den peripheren Kreislauf, auch liefert die Anstrengung viel mehr Wasser zur Verdunstung auf die Oberfläche, und dieses verdunstet auch wieder schneller da oben als im Thale, entsprechend dem geringeren Luftdrucke. Auch Luftschiffer klagen in bedeutenden Höhen sehr regelmäßig über große Trockenheit im Munde. Ähnliches haben Professor Voit und ich bei den Versuchen gefunden, welche wir gegenwärtig in Verbindung mit Professor Recknagel speziell zum Studium der Wärmeökonomie anstellen, für welchen Zweck wir den Respirationsapparat auch in ein Kalorimeter für einen Menschen umgewandelt haben. Namentlich bei sechsstündiger anstrengender Arbeit kommt der Mensch in der Regel kühler aus dem Apparate, als er hineingegangen, oder als er nach sechsstündiger Ruhe heraus kommt. Eine Bedingung ist, dass die Ventilation des Apparates kräftig sei. Gewöhnlich strömen bei diesen Versuchen in der Stunde 50 000 Liter oder 50 Kubikmeter Luft durch den Apparat. Bei geringerer Ventilation würde weniger Wasser verdunsten können, und dem entsprechend weniger Wärme auf diesem Wege abfließen.
Sie sehen, welch wirksames Mittel der Entwärmung unserm Körper durch Entwickelung des peripheren Blutkreislaufes und gesteigerte Wasserverdunstung zu Gebote steht, wenn die anderen Wege nicht genug abführen, aber auch, wie gefährlich dieses Mittel werden kann, wenn es in Tätigkeit gesetzt wird oder bleibt, sobald auch auf den anderen Wegen beträchtliche Wärmemengen abfließen. Wenn man erhitzt mit feuchter Haut plötzlich in einen kalten Raum tritt, wo die Abstrahlung der Wärme sich sofort steigert, wo auch viel Wärme an die kalte Luft durch Leitung abgegeben wird, erleidet man teils so abnorme Wärmeverluste, teils so gewaltsame plötzliche Änderungen im Kreislaufe, dass man darnach krank wird. Die sogenannten Erkältungskrankheiten sind zahlreich und manche sehr schmerzlich und gefährlich. Wenn wir hingegen so große Wechsel nicht schnell oder grell, sondern langsam vornehmen, setzen sich die drei Abflusswege von selbst wieder in ein Gleichgewicht. Unser Organismus ist ein treuer und kluger Diener, er hilft sich selbst und seinem Herrn, wenn wir ihm nur etwas Zeit lassen, und ihn nicht allzu sehr misshandeln. Ich werde bei der Ventilation noch eigens auch von der Zugluft sprechen.
Auch der dritte Weg des Wärmeabflusses durch Leitung, durch Erwärmung des uns von allen Seiten umgebenden Mediums, der Luft, ist von großer Wichtigkeit, und muss unter Umständen oft bis zu einem beträchtlichen Grade für die beiden anderen Wege eintreten. So lange unser Körper wärmer ist, als die ihn umgebende Luft, wird diese überall, wo sie ihn berührt, wärmer, im nämlichen Augenblicke aber wird sie auch leichter und wird von der umgebenden kälteren und schwereren Luft verdrängt, die sich gleichfalls wärmt, um von einer nachfolgenden kälteren Schicht wieder verdrängt zu werden. Jeder Mensch, welcher in der ruhigen Luft eines Zimmers steht, verursacht an seinem Körper einen aufsteigenden Luftstrom, wie jeder Zimmerofen tut, sobald er geheizt wird. Wenn man zwischen Rock und Weste ein empfindliches Anemometer bringt, so beobachtet man in der Regel, dass dieser aufsteigende Luftstrom so lebhaft ist, dass er sogar die kleinen Windflügel des Instrumentes dreht. Wir halten die Luft in diesem Saale für ruhig, jeder glaubt ganz windstill zu sitzen, und doch ist die in diesem Raume befindliche Luft in tausendfacher Bewegung und beständiger Unruhe nach allen Seiten hin, wir sind nur so glücklich, Nerven zu haben, die davon nichts empfinden, und deshalb behaupten wir mit derselben Zuversicht, es rühre sich nichts, wie ein Schwachsichtiger die Gegenwart eines Gegenstandes verneint, welchen er nicht sieht, der aber auch für ihn zu sehen ist, sobald er ein Fernglas anwendet. — Wer jetzt im Augenblicke alle Bewegungen der Luft in diesem Saale sehen oder fühlen könnte, der müsste rasend werden. Das deutlichste Bild geben die Riechstoffe in der Luft. Wenn an irgendeiner Stelle ein sehr intensiver Geruch entwickelt wird, wenn z. B. Leuchtgas ausströmt, in wenigen Sekunden wird es im ganzen Saale wahrgenommen. Unsere Nerven sind glücklicherweise so organisiert, dass sie die Luft als bewegten Körper erst zu fühlen anfangen, wenn ihre Geschwindigkeit schon 1 Meter in der Sekunde erreicht. Bei einer Geschwindigkeit von 1/2 oder 1/3 Meter in der Sekunde glauben wir noch absolute Ruhe, völlige Windstille wahrzunehmen. Den meisten Menschen erscheint das unwahrscheinlich, weil der Beweis nicht in unserer unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung liegt, welche uns sogar zum entgegengesetzten Glauben bestimmt, sondern nur in Schlussfolgerungen aus anderen Beobachtungen ruht; davon aber kann sich Jedermann jeden Augenblick in der ruhigen Luft eines Zimmers überzeugen, dass unsere Nerven Geschwindigkeiten der Luft von 1/2 Meter in der Sekunde noch gar nicht wahrzunehmen im Stande sind. Es ist ganz der gleiche Fall, ob die Luft stillsteht und z. B. meine Hand mit einer bestimmten Geschwindigkeit in derselben bewegt wird, oder ob meine Hand stillsteht, und die Luft darüber bewegt wird. Wenn ich nun meine Hand ausstrecke, und sie in der Luft dieses Saales binnen einer Sekunde einen Weg von einem halben Meter machen lasse, so macht diese Geschwindigkeit auf meine Nerven nicht den geringsten Eindruck; um einen Widerstand oder eine vermehrte Abkühlung zu spüren, muss ich die Hand viel schneller bewegen.
Ich benutze die Gelegenheit, um Sie gleich auf die durchschnittliche oder mittlere Geschwindigkeit der Luft im Freien aufmerksam zu machen, ein Gegenstand, welcher von den Wenigsten richtig beurteilt wird, ohne dessen richtige Erkenntnis man aber nie eine richtige Vorstellung von dem eigentlichen Unterschiede zwischen dem Aufenthalte im Freien und im Zimmer bekommt. Die Bestimmung der Luftgeschwindigkeit erfolgt durch Anemometer, auf deren nähere Beschreibung ich nicht eingehen kann. Die Geschwindigkeit der Luft im Freien wechselt bekanntlich sehr, wird aber von den Meteorologen in unserm gemäßigten Klima im Mittel zu 3 Metern in der Sekunde angegeben. Die Luft macht also durchschnittlich 10 bis 11 Kilometer Weg in einer Stunde, 7.24 km. = 1 deutsche Meile. Denken Sie sich diese Geschwindigkeit auf einen Querschnitt oder Rahmen angewendet, in welchen etwa ein Mensch passt, nicht ganz 2 Meter hoch und etwas über 1/2 Meter breit, dass er eben einen Quadratmeter Fläche misst, so können Sie leicht berechnen, wie viel Kubikmeter Luft im Freien bei mittlerer Geschwindigkeit über einen Menschen hinziehen, wenn Sie Querschnitt mit Geschwindigkeit multiplizieren, nämlich
in der Sekunde 3 Kubikmeter
in der Minute 180 ,
in der Stunde 10800 Ich werde Sie in einer der nächsten Vorlesungen, wenn ich von Ventilation der Wohnungen spreche, an diese Größe wieder erinnern. Ich habe sie Ihnen jetzt bereits mitgeteilt, damit es Ihnen dann nicht zu sehr auffällt und Sie es als keine zu übertriebene Forderung betrachten, wenn man bei Ventilationsanlagen für Krankenhäuser z. B. 60 Kubikmeter Luftwechsel per Bett und Stunde verlangt. Es ist diese Menge, welche vielen so enorm scheint, immer erst der 180‘te Teil der Luftmenge, welche im Freien bei mittlerer Luftgeschwindigkeit auf einen Menschen heranströmt. Sie sehen daraus, dass wir im Freien viel mehr Wärme auf dem dritten Wege, auf dem der Leitung abgeben, als im Zimmer, und dass daher im Zimmer verhältnismäßig mehr durch Strahlung und Verdunstung fortgeschafft werden muss.
Ein welch mächtiger Faktor der Wärmeverlust durch Leitung ist, erfahren wir am allerdeutlichsten, wenn wir die uns umgebende Luft mit einem andern flüssigen Medium vertauschen, welches die Wärme besser leitet als Luft, und welches überhaupt viel mehr Wärme aufzunehmen vermag, ich meine mit Wasser. In einer Lust von nur einigen Graden Celsius über Null können wir mäßig bekleidet sehr gut aushalten, wenn wir aber mit der nämlichen Kleidung in ein Wasser steigen, welches auch nur einige Grade über Null hat, so frieren wir empfindlich, — und würden in einigen Stunden zu Tode frieren, obschon die Verluste durch Verdunstung ganz aufhören, und die Verluste durch Strahlung auf ein Minimum herabsinken. In heißen Klimaten sind daher tägliche Bäder sehr dienlich zur nötigen Abkühlung des Körpers, wenn das Wasser auch nicht viel, oder gar nicht kühler als die Luft ist.
Auch in der Luft wird der Wärmeverlust durch die Leitung umso grösser, je niedriger die Temperatur der Luft ist, welche uns umfließt, und je grösser die Geschwindigkeit ihrer Strömung. Das erklärt einerseits, warum es uns überflüssig scheint, bei ruhiger und kühler Luft einen Fächer zu brauchen, während dieses Instrument bei höheren Temperaturen oft so wohltätig wirkt, und anderseits, warum überhaupt eine bewegte warme Luft uns viel kühler vorkommt, als eine ruhige von ganz gleicher Temperatur. Denken Sie an die Schwüle vor einem Gewitter, so lange die Luft noch ganz ruhig ist, und um wie viel leichter uns augenblicklich wird, sobald sich vom Wetter her der erste Wind erhebt. Die Luft ist da noch nicht kühler geworden, nicht weniger mit Wasserdunst gesättigt als zuvor, und doch nimmt sie uns so viel mehr Wärme ab, dass sie uns weniger schwül, ja selbst kühl dünkt, nur weil sie rascher über uns wegzieht. Wenn wir uns in einer heißen feuchten Luft fächeln, geht ganz das Nämliche vor sich, auch da geht in der Zeiteinheit nur eine größere Luftmasse über uns weg, als wenn die Bewegung der Luft sich selbst überlassen wird. Der Fächer ändert nichts an der Temperatur und nichts am Wassergehalte der Luft, er vermehrt bloß die Geschwindigkeit derselben, und verschafft uns, namentlich an den unbedeckten oder nur leicht bedeckten Körperteilen, Kühlung durch vermehrte Ableitung von Wärme. Deshalb ist auch der Fächer bei solchen Gelegenheiten mehr Instrument für Damen als für Herren, weil bei Damen teils die unbedeckten Körperteile größere Flächen darbieten, teils viel leichter bedeckt sind, als bei Herren, namentlich was Rumpf- und Halsgegend betrifft.
So lange die Luft das uns umgebende Medium ist, verbindet und vergesellschaftet sich mit dem gesteigerten Verlust durch Leitung gleichzeitig in der Regel auch eine vermehrte Verdunstung, wenigstens so lange der periphere Kreislauf des Blutes in der Haut lebhaft entwickelt bleibt und die Luft nicht ganz mit Wasserdunst schon gesättigt ist. Der Fächer kühlt selten ausschließlich nur durch vermehrte Leitung, sondern teilweise meistens auch noch durch vermehrte Verdunstung. Das Fächeln mit trockner Luft wirkt daher noch viel kühlender, als mit feuchter Luft von gleicher Temperatur. Wir alle wissen, um wie viel rascher nasse Wege und nasse Wäsche · trocknen bei lebhaftem Winde, als bei ruhiger Luft. Im Winde ganz feuchter Luft aber trocknet nichts, wenn er auch noch so heftig weht. Wenn unser Körper sich mit Schweiß übergießt, dann bietet die Turgescence der Haut nicht bloß eine Gelegenheit zum Abfluss einer größeren Wärmemenge durch Erweiterung aller Hautgefäße an die vorüberziehende Luft durch Leitung, sondern meistens auch noch durch Verdunstung dar.
In südlichen Klimaten, zur heißesten und feuchten Zeit des Jahres, wo der Körper sehr wenig Wärme durch Strahlung an kältere Gegenstände losbringen kann, wo auch die Temperatur der umgebenden Luft sich zeitweise sehr der Temperatur unseres Blutes nähert, ja dieselbe manchmal, wenigstens für einige Stunden im Tage, sogar übertrifft, da wird dem Europäer oft zum Verschmachten heiß, und er hat, abgesehen von zeitweisen Bädern, kein anderes praktisches Mittel dagegen, als den Schatten und den Fächer. Im Schatten ist die Luft nicht bloß kühler, sondern auch immer bewegter, als in der Sonne. Der Schatten lässt die von ihm bedeckte Fläche von der Sonne nicht so hoch erwärmen, als die von dieser beschienenen Umgebung erwärmt wird. Jede Temperaturdifferenz aber zwischen sich nahe liegenden Luftschichten ist auch Ursache zur Luftbewegung, zu Luftströmungen, denn ungleich war nie Luftschichten sind ungleich schwer, daher nicht im Gleichgewicht und suchen die Störung desselben durch Bewegung auszugleichen. Jedermann kann sich davon leicht überzeugen, der im Sommer bei ruhiger Luft über eine zeitweise von der Sonne beschienene, abwechselnd von einer Wolke beschattete Fläche, über einen großen Platz, über ein Feld oder eine Wiese geht. So lange uns die Sonne bescheint, fühlen wir keine Bewegung der Luft, ist es ganz windstill, sobald wir aber in den Schatten der Wolke, oder in den Schatten eines Hauses oder Baumes kommen, erhebt sich sofort ein sanfter Wind. Der Schatten hat also nicht bloß den Wert, dass er die direkten Sonnenstrahlen von uns abhält, sondern er vermehrt auch die Ventilation der beschatteten Stelle.
Der Fächer wirkt in der nämlichen Richtung. Jeder Engländer im Süden der indischen Halbinsel braucht zu gewissen Zeiten des Jahres ein paar Eingeborene als Diener, welche in seiner Wohnung, dem luftigen Bungalow, die Fächermaschine, das Pankah, fortwährend in Bewegung setzen, damit die Luft des Südens dem fremden Herrn durch vermehrte Leitung und Verdunstung so viel Wärme abnehme, dass sein Blut nicht heißer wird, als in seiner nordischen Heimat, 371/2°C. Zur Zeit, wo die Luft wärmer als unser Blut, z. B. 40°C., warm ist, was in der heißen Zone nicht selten einige Stunden des Tages hindurch der Fall ist, und wo der Mensch ja auch noch existieren soll, namentlich wenn auch die Wände des Hauses nicht mehr kühl genug sind, um an sie noch Wärme durch Strahlung zu verlieren, wird man lediglich auf den Wärmeverlust durch Verdunstung angewiesen sein. Die Wirkung derselben hängt unter anderem wesentlich auch davon ab, wie trocken oder feucht die uns umgebende Luft bereits ist. Je trockner die heiße Luft ist, desto mehr Wasser vermag sie unserer Haut und unseren Atemwegen oder unserer absichtlich befeuchteten Umgebung zu entziehen, und damit auch umso mehr Wärme auf diesem Wege abzunehmen, — je feuchter sie bereits ist, desto weniger.
Damit Sie ein Bild, eine Vorstellung bekommen, um welche quantitative Unterschiede es sich da handelt, wollen wir die Entwärmung durch die Atemluft bei verschiedenen Temperaturen und verschiedenem Wassergehalt der eingeatmeten Luft betrachten. Bei gleichem Körperzustande haben wir bei 0° und bei 30° C. das ganz gleiche Atembedürfnis, was wir in Übereinstimmung mit unserer obigen Annahme in 24 Stunden auf 9000 Liter setzen wollen. Nach Berechnungen verliert ein Erwachsener durch den Atemprozess 293 040 Wärmeeinheiten, wenn die geatmete Luft 0° hat und ganz trocken ist; 279 090 Wärmeeinheiten, wenn sie bis zur Hälfte mit Wasserdunst gesättigt ist, und 265 050, wenn sie ganz gesättigt ist. Der Unterschied zwischen Minimum und Maximum beträgt etwa 28 000 Wärmeeinheiten, also noch nicht 1 Prozent des Gesamtwärmeabflusses. Beim Atmen einer Luft von 30° C. aber verlieren wir 274050 Wärmeeinheiten, wenn die Luft ganz trocken, 189 720 Wärmeeinheiten, wenn die Luft halb gesättigt, und nur 105 390 Wärmeeinheiten, wenn die Luft ganz mit Wasser gesättigt ist. Bei dieser hohen Temperatur beträgt der Unterschied zwischen Maximum und Minimum 168 660, also sechsmal mehr als im vorigen Falle bei niedriger Temperatur.
Höchst lehrreich ist der Vergleich zwischen den Größen des Wärmeverlustes beim Atmen von absolut trockner und von mit Wasserdunst gesättigter Luft bei 00 und 30° C.
Wir verlieren bei 0°C warmer und trockner Luft 293040 W.-E.
bei 300
274050
also nur ein Unterschied von etwa 19 000 ,
bei 0°C warmer und ganz feuchter Luft 265 050
bei 300
also ein Unterschied von fast 160 000 oder achtmal so viel, was man beim Atmen von so warmer und feuchter Luft weniger anbringt, als wenn die Luft gleich warm, aber ganz trocken ist. Man sieht, um wie viel die verschiedene Trockenheit der Luft mehr ausgibt, als die verschiedene Temperatur derselben, und weshalb wir uns in Luft von ein und derselben Temperatur einmal kälter, ein andermal wärmer fühlen können. - Sie sehen auch, dass es oft viel schwerer ist, die Wärmeökonomie in der heißen Zone, als in der kalten richtig zu führen. Wir haben durchschnittlich viel bessere Mittel, uns warm zu halten, als uns abzukühlen. Deshalb degeneriert die europäische Rasse so unvermeidlich unterm Äquator. Die Leistungsfähigkeit des Körpers hängt von einem gewissen Stoffverbrauch ab, und dieser erzeugt unvermeidlich eine bestimmte Menge Wärme, welche regelmäßig abfließen muss. Der Hindu in Indien, welcher den Engländer dort fächeln muss, erträgt die Hitze in dem Maße besser, als er weniger isst und weniger Wärme in sich erzeugt und abzuführen hat. Seine Gesamtleistungsfähigkeit steht aber auch wieder in Verhältnis zu seinem Gesamtstoffverbrauch. Der Europäer wird so lange in der heißen Zone degenerieren, als man nicht Mittel findet, ihn besser und regelmäßiger auf irgendeinem der drei Wege nach Bedürfnis zu entwärmen. Auf ein ziemlich wirksames Mittel sind die reichen Engländer in Indien bereits verfallen, sie bauen sich Häuser mit sehr dicken Mauern und großen Quadern. Solche Wände erwärmen sich während der heißeren Jahreszeit nur wenig über die mittlere Temperatur des Jahres. Solche Wände kühlen dann nicht bloß die Luft, die im Hause wechselt, sondern der Körper verliert auch ebenso durch Strahlung Wärme an sie, wie bei uns in dem Falle vom unausgeheizten Zimmer. Der einzige Unterschied ist, dass dieser Verlust in einem heißen Klima wohltätig, bei uns im kalten Klima schädlich wirken kann. Ein weiteres Mittel wäre, die Luft im Hause durch Wasserentziehung trockener zu machen.
Ich habe mich bei dem Prozess der Entwärmung des Menschen, welcher Gegenstand doch nur die Einleitung zu meinen angekündigten Vorträgen bilden soll, etwas lange aufgehalten, – aber ich konnte Ihnen dieselbe nicht ersparen und wüsste sie auch nicht viel kürzer zu machen. Wer von diesen Prozessen kein richtiges Bild hat, kann die Funktionen unserer Kleidung und Wohnung nie richtig auffassen und verstehen lernen. Ich habe deshalb geglaubt, auf Ihre Nachsicht und Geduld rechnen zu dürfen.
Eine der Hauptwaffen, deren sich der Mensch in seinem Kampfe ums Dasein auf den verschiedensten Punkten der Erde bedient, ist die menschliche Kleidung. Im gewöhnlichen Leben wird die große kulturgeschichtliche physiologische Bedeutung der Bekleidung fast gar nicht mehr beachtet, man spricht gewöhnlich bloß von den sittlichen und ästhetischen Zwecken, welche mit der Kleidung nebenbei verfolgt werden, der eigentliche Hauptzweck derselben aber, welcher ein rein hygienischer ist, wird nur selten besprochen. Ich halte das für ein Übel, denn es hat dieses Vergessen der Hauptsache die Menschen allmählich zu sehr unter die Herrschaft von Nebensachen gebracht, sie lassen sich unter Umständen viel mehr von der jeweiligen Sitte und Mode, als von der Zweckmäßigkeit der Kleidung bestimmen. Sittlichkeit und Schönheit sind nicht von Kleidern abhängig, können nicht mit Kleidern hervorgerufen und nicht damit erhalten werden, diese großen Eigenschaften könnten auch ohne alles Gewand bestehen, als nackte Tugend, als nackte Schönheit, - aber der menschliche Leib könnte so, wie er ist, in unserm Klima nicht, oder nur höchst notdürftige und unvollkommen bestehen ohne Kleidung, welche für unsere Gesundheit viel unentbehrlicher ist, als für unsere Tugend und Schönheit.
Die Frage, was wir in unserm Befinden alles dadurch ändern, dass wir uns mit verschiedenen Kleidungsstücken bedecken, erheischt eine lange, lange Antwort, die ich Ihnen unmöglich in einigen Stunden ganz geben kann, aber wenn ich Ihnen die Frage auch nicht vollständig beantworten kann, so will ich es doch bruchstückweise versuchen.
Wenn ich einen Teil meines Körpers mit einem Stoffe bedecke, so ändere ich den Wärmeabfluss auf allen drei vorhin bezeichneten Wegen, ohne aber einen einzigen ganz zu versperren oder auszuschließen.
Betrachten wir zuerst den Weg der Strahlung. Diese erleidet ein Hemmnis, insofern unsere Oberfläche nicht nach entfernten kälteren Gegenständen im Raume direkt ausstrahlen kann, sondern zunächst nur nach dem bedeckenden Stoffe, welcher diese Wärme aufnimmt. Nach dem Gesetze der Wärmeleitung und Strahlung muss nun die von meinem Körper in den Kleidungsstoff übergestrahlte Wärme durch den Stoff hindurch weiterstrahlen oder geleitet werden, und erst auf der Oberfläche angekommen, kann dann die Wärme wieder so nach entfernteren kälteren Gegenständen hin ausstrahlen, wie sie von der nackten Körperfläche ausstrahlen würde. Durch die Kleidung behalten wir daher die sonst sofort ausstrahlende Wärme in der unmittelbarsten Nähe unserer Körperoberfläche noch längere Zeit zurück. Die leichteste Bedeckung macht sich schon als eine Verlangsamung, als ein Hindernis der Strahlung bemerkbar, der dünnste Schleier hält schon wärmer als gar nichts. Unser Körper verhält sich genauso, wie der Körper unserer Mutter Erde. In windstillen heiteren Nächten verliert die Erde so viel Wärme an den kalten Weltenraum, dass auf ihrer Oberfläche durch Strahlung eine solche Kälte entsteht, dass sich das Wasser der Luft als Tau und unter Umständen sogar als Reif, als Eis darauf niederschlägt, wie das Wasser einer warmen Zimmerluft auf eine kalte Fensterscheibe, die von außen abgekühlt wird; aber wenn die Erde während der Nacht nur mit einem Wolkenschleier bedeckt ist, erkältet sie sich nie so weit, dass es zur Taubildung kommt.
Es gibt Stoffe, welche die Wärmestrahlen unabsorbiert durch sich hindurchgehen lassen, sogenannte diathermane Stoffe, zu denen z. B. der Kochsalzkristall gehört, aber wir kleiden uns nicht in solche Stoffe, alle unsere Kleidungsstoffe sind nicht diathermane Stoffe, welche alle Wärmestrahlen, die von einer Seite kommen, aufsaugen. Die absorbierte Wärme muss erst durch das ganze Kleid gehen und kann erst auf der Oberfläche desselben wieder weiter so ausstrahlen, wie sie von der unbedeckten Haut ausgestrahlt wäre. Der Durchgang der Wärme durch diese künstliche Körperoberfläche hängt wesentlich von der Wärmeleitungsfähigkeit des Stoffes und von seiner Masse ab, d. i. von der Länge der Zeit und des Weges, welche die Wärme zurücklegen muss, bis sie von der Hautoberfläche zur jenseitigen Oberfläche des Gewandes gelangt. Wir heizen auf diese Art mit der abstrahlenden Wärme die ganze unmittelbare Umgebung unseres Körpers beständig in einer gleichmäßigen Weise und befreien dadurch unsere nervenreiche Haut von den so höchst zahlreichen, teils lästigen, teils schädlichen Einflüssen jedes raschen Wechsels der Wärme unmittelbar auf der Haut.
Die Wärme bleibt nicht in den Kleidern, sie geht beständig durch, nur schneller oder langsamer, und erwärmt bis zu einem bestimmten Grade auch die Luftschicht, welche unsere nerven- und gefäßreiche Haut in den Kleidern umgibt, und die, wie wir gleich sehen werden, beständig wechselt, ja wechseln muss, wenn wir uns behaglich fühlen sollen. Wir verlieren in der Winterkälte im Freien aus unseren richtig gewählten Kleidern unsere Körperwärme ohne jede Empfindung von Frost, bloß weil wir den Ort, wo sich die große Differenz zwischen der Temperatur unseres Blutes und der Temperatur der Winterluft ausgleicht, von unserer nervenreichen Haut hinweg in ein lebloses, empfindungsloses Stück Zeug verlegen, wir lassen nicht unsere Haut, sondern nur unsere Kleider kalt werden, diese müssen für uns frieren. Genauso wie die Kleider des Menschen verhalten sich die nervenlosen Gebilde der tierischen Haut, Haare und Federn, wie wir bald sehen werden.
In dem Maße als die Wärmeverluste nach außen wachsen, während die Wärmebildung im Innern sich nahezu gleich bleibt, fühlen wir das Bedürfnis, die Wärme immer langsamer aus der unmittelbaren Nähe unseres Körpers zu entlassen.
Dieses Geschäft einer gewissen Regulierung besorgt bis zu einem gewissen Grade schon der unbekleidete Körper von selbst, ohne unser Zutun. Ein gewisser Wärmeverlust löst eine gewisse Bewegung unserer vasamotorischen Nerven aus, ähnlich wie ein gewisser Kohlensäuregehalt des Blutes die Atembewegungen. In Folge dieses Nerveneinflusses verengern sich alle feinen Blutgefäße unserer Körperoberfläche, es strömt weniger Blut und damit auch weniger Wärme zum Abfluss an die Oberfläche, und es darf uns eine Zeit lang frieren, ohne dass zu befürchten ist, dass wir auch im Innern kälter werden. Das Gefühl des Frostes auf der Haut ist nicht maßgebend für die Temperatur im Innern des Körpers, es gibt sogar eine Krankheit, das sogenannte kalte Fieber, oder Wechselfieber, wo während des Frostanfalles die Temperatur der inneren Organe beträchtlich steigt, weil in Folge eines Gefäßkrampfes in der Haut, welcher hier nicht wie beim gewöhnlichen Froste eines Gesunden von äußerer Kälte, sondern wahrscheinlich von dem Malariagifte ausgelöst wird, zu wenig Wärme in die Haut geführt wird. Dieser natürliche Regulator für den Wärmeabfluss kann aber nur bis zu einem gewissen Grade und bis zu einer gewissen Zeit der Wärmeökonomie genügen. Bei höherer Kälte oder längerer Andauer auch geringerer Kältegrade würde das Zurückdrängen des peripherischen Kreislaufes doch nicht mehr genügen, teils weil der Wärmeabfluss zu groß würde, teils weil die Spannkraft des Regulators allmählich doch erlahmen müsste, so dass wir besser tun, den Wärmeabfluss durch mehr Kleider zu verlangsamen und die vasamotorische Kraft zu schonen. Auf vielfache Erfahrung gestützt, ziehen wir dann mehrere Kleider übereinander, und es verhält sich das untere zu dem oberen Kleide stets ebenso, wie die Haut zur untersten oder ersten Umhüllung. Von diesem Gesichtspunkte aus bitte ich die Aufeinanderfolge von Hemd, Weste, Rock, Überrock und Mantel u. s. w. zu betrachten, wodurch wir den vasamotorischen Nerven den größten Teil ihrer Arbeit ersparen.
Es ist eine offene Frage, welche gegenwärtig bei dem unvollkommenen Stande unseres hygienischen Wissens noch nicht gehörig beantwortet werden kann, wie weit wir die Regulierung des Wärmeabflusses durch Kleidung vornehmen sollen, wie weit wir sie mit Vorteil unserm Organismus und seiner Fähigkeit, mehr oder weniger Wärme aus den Centren nach der Peripherie des Körpers zu schaffen, überlassen können. Diese Mithilfe, diese Selbsttätigkeit des Organismus und die Fertigkeit, welche durch häufige Übung dieser Funktion erlangt wird, bezeichnet man gewöhnlich mit dem Ausdrucke Abhärtung, das Gegenteil mit Verweichlichung. Die Abhärtung wird zwar nie ganz entbehrlich sein, man darf sie aber doch auch nicht zu hoch anschlagen, oder zu sehr in Anspruch nehmen. Man muss die Fähigkeit besitzen und bereit haben, braucht aber nicht immer Gebrauch davon zu machen. Der Zweck aller Kultur ist, die größte Wirkung mit dem geringsten Aufwand von Mitteln zu erzielen, man soll immer das Mittel wählen, was den Zweck erreichen lässt, ohne unsere Kräfte zu erschöpfen, um diese nicht höheren Zwecken zu entziehen; und so sollte man auch bei Lösung der Aufgaben, welche uns die Verwaltung der Wärmeökonomie stellt, in allen Fällen, wo es angeht, die Kleider jeder überflüssigen Abhärtung vorziehen. Es ist nicht bloß überflüssig, sondern auch geradezu schädlich, sich abzunützen. ,
Dass von der Oberfläche unserer Kleider die Wärme unseres Körpers teilweise ausstrahlt, – ich glaube, dafür brauche ich Ihnen keine besonderen Beweise mehr beizubringen, das halten Sie schon für bewiesen und selbstverständlich; aber es wäre möglich, dass je nach der Natur, Beschaffenheit oder Farbe des Stoffes das Ausstrahlungsvermögen seiner Oberfläche sehr verschieden wäre. Darüber hat Dr.Krieger , einer der wenigen Ärzte, welche sich um die Kleidung etwas näher umgesehen haben, die Versuche an Wolle, Waschleder, Seide, Baumwolle, Leinwand und Kautschukzeug angestellt und keinen wesentlichen Unterschied gefunden.
Krieger bekleidete Blechzylinder, welche mit warmem Wasser gefüllt sind, mit verschiedenen Stoffen und auf verschiedene Weise, und beobachtete die Abnahme der Temperatur des Wassers in bestimmten Zeiträumen. Bei einer Doppelschicht aus verschiedenen Zeugen, z. B. aus Leinwand und Wolle, Leinwand und Seide u. S. W., konnte man untersuchen, ob mehr Wärme abstrahlt, wenn Leinwand oder wenn Wolle u. s. w. die Außenseite bildet. Für verschiedene Stoffe ergaben sich folgende Verhältniszahlen: mit warmem Wasser und folgenden Stoffen
Wolle ............ = 100
Waschleder . . . . = 100-5
Seide ..... ... =102.5
Baumwolle ....= 101 Leinwand ...... = 102
Auch die Farbe der Zeuge hat keinen wesentlichen Einfluss auf die Abstrahlung der Wärme, wir verlieren auf diesem Wege durch einen schwarzen Rock nicht mehr und nicht weniger Wärme, als durch einen weißen oder blauen.
1) S. Anhang.
Anders verhält es sich bei der Aufnahme der sogenannten leuchtenden Wärme, bei den Wärmestrahlen, welche von leuchtenden Körpern, wie von der Sonne oder von Flammen, ausgehen; da zeigen sich Unterschiede, die zwar bei den verschiedenen Kleidungsstoffen von gleicher Farbe auch nicht sehr erheblich sind, die aber groß werden bei verschiedenen Farben. Für weiße oder überhaupt gleichfarbige Zeuge ergaben sich folgende Verhältniszahlen:
Baumwolle . . . 100
Leinen ..... 98
Flanell . ....102
Seidenzeug . . . 108 Bei verschieden gefärbten Shirting aber wurden folgende Verhältniszahlen gefunden:
weiß. ..... 100
blass schwefelgelb 102
dunkelgelb ... 140
hellgrün... 155
dunkelgrün . . . 168
türkischrot . . . 165
hellblau... 198
schwarz .... 20
Wir ersehen daraus, was wir selbst schon oft wahrgenommen, dass im Sommer die Sonne, wenn sie uns bescheint, am wärmsten macht, wenn wir schwarz, am wenigsten warm, wenn wir weiß gekleidet sind. Das Auffallendste ist eigentlich, dass mit Ausnahme von Blassschwefelgelb jede Farbe die Absorption der leuchtenden Wärmestrahlen beträchtlich steigert, und dass Blau in dieser Hinsicht nicht viel weniger tut, als Schwarz. Sobald wir aber im Schatten sind oder unter einem Schirme, ist fast kein Unterschied mehr.
Wenn wir beim Wärmeverlust des bekleideten Menschen zunächst nur die Verluste durch Strahlung ins Auge fassen, und die beiden anderen Wege vorläufig unberücksichtigt lassen, so müssen wir uns noch fragen, um wie viel der Wärmeabfluss durch Strahlung verlangsamt wird, je nachdem die Wärme von der Oberfläche des Bekleideten durch mehrere Schichten von Zeugen hindurch zu wandern hat, ehe sie wieder von dem obersten ausstrahlen kann? Es ist das eigentlich die Frage nach der Wärmeleitungsfähigkeit der Stoffe und Zeuge.
Es ist bemerkenswert und ein deutliches Zeichen, wie wenig man bisher die Hygiene vom Standpunkte der exakten Wissenschaften aufgefasst hat, dass über diese Frage noch so wenig experimentiert ist. Man kennt die Wärmeleitungsverhältnisse der verschiedenen Metalle, verschiedener Mineralien und chemischer Verbindungen, von Silber, Kupfer, Eisen, Kalkspat, Bleiweiß, Kohle u. s. w., – aber nicht von Wolle, Leinwand oder Leder. Wir sprechen zwar allgemein davon, dass wir uns der Kleider als schlechter Wärmeleiter bedienen, aber die einzige Versuchsreihe, welche mir darüber bekannt ist, widerspricht unseren landläufigen Vorstellungen ganz entschieden. Krieger hat bestimmt, wie viel Wärme ein mit warmem Wasser gefüllter Blechzylinder in einer bestimmten Zeit weniger verliert, wenn er mit enganliegender einfacher oder doppelter Schicht umwickelt ist. Da der Verlust durch Strahlung in beiden Fällen gleich bleibt, so muss bei doppelter Umhüllung der sich ergebende Unterschied ein Ausdruck für die Verzögerung des Wärmeverlustes durch Leitung sein. Da haben nun verschiedene Zeuge überraschend kleine Unterschiede gegeben. Die folgenden Zahlen geben an, um wie viele Prozente durch straff angezogene Zeuge weniger Wärme abfließt, wenn sie in doppelter Schicht liegen, als wenn sie einfach sind. Eine Hemmung des Wärmeabflusses wird erzeugt durch
doppeltes dünnes Seidenzeug um · 3
Guttapercha .......... 4
Shirting. .........
feine Leinwand ..........
dickeres Seidenzeug ....... 6
dickere hausgemachte Leinwand . . 9
Waschleder. .......... 10 bis 12
Flanell. ............ 14
Sommerbockskin ........ 12
Winterbockskin . ........ 16 bis 26
Doppelstoff. .......... 25 bis 31
Prozent, d. h. wenn durch einfaches dünnes Seidenzeug 100 Wärmeeinheiten abfließen, so fließen durch dasselbe Zeug in doppelter
Schicht 97 ab u. s. w.
Mit diesen Versuchen ist allerdings die ganze Frage der Wärmeleitung der Kleidungsstoffe noch lange nicht erschöpft, aber eins geht unzweideutig schon aus diesen Zahlen hervor, nämlich dass nicht die Substanz und ihr Gewicht, sondern ihre Form und ihr Volumen die Hauptunterschiede bedingt. Dünnes Seidenzeug und dickes Seidenzeug, feine Leinwand und grobe Leinwand sind dieselbe Substanz, und gleiche Flächen auch im Gewicht nicht so verschieden, als sie durch verschiedene Leitung den Wärmeabfluss hemmen, der bei doppelter Zeugschicht noch nicht 10 Prozent weniger, als bei einfacher Schicht beträgt.
Es lässt sich ferner beweisen, dass man wirklich bei ganz gleichbleibender Substanz des Stoffes und bei unverändertem Gewichte desselben große Änderungen im Wärmeabfluss durch bloße Veränderung der Form und des Volums eines und desselben Stoffes erzielen kann. Bekleidet man einen mit warmem Wasser gefüllten Versuchszylinder mit gewöhnlicher Watte und beobachtet an dem eingesenkten Thermometer die Abnahme der Temperatur, so ergibt sich ein gewaltiger Unterschied, sobald man die nämliche Watte fest zusammen- oder plattdrückt, wodurch man bloß ihr Volumen verkleinert, ohne das Geringste am Gewicht zu ändern. Da steigert sich der Wärmeabfluss um 40 Prozent. Das ist auch die Erklärung der Allen bekannten Tatsache, dass ein wattiertes Kleidungsstück im neuen Zustande uns wärmer erscheint, als wenn es abgetragen ist. Die Menge der Watte bleibt sich ganz gleich, nur ihre Elastizität, ihr Volumen ändert sich beim Tragen.
Diese Beobachtung führt zu einem andern lehrreichen Versuche über den Einfluss doppelter Lagen oder Schichten. Wird nur die erste Schicht straff auf den erwärmten Zylinder gespannt, die zweite Schicht 1/2 oder 1 Zentimeter davon abstehen gelassen, etwa so, wie wir bequem anliegende Kleider tragen, so verlangsamt unter diesen Umständen eine zweite Schicht den Wärmeabfluss sehr beträchtlich. Nach Abzug des Betrages für die Leitung beträgt die Hemmung durch die zweite Gewandschicht für verschiedene Zeuge nahezu gleich viel, aber bei allen beträchtlich viel,
bei Leinwand eine Verlangsamung von
32 %.
Shirting
33 %
Seide
Flanell
: 29 %
, Waschleder
, 30% Guttaperchatuch.
Hieraus folgt der wichtige praktische Satz, dass wir uns mit den gleichen Mengen von Stoffen sehr verschieden warm kleiden können, je nachdem wir sie über die Körperteile gespannter oder lockerer tragen. Dafür weiß jeder aus eigener Erfahrung Tausende von Belegen, ich erinnere nur an sehr enge Schuhe und Handschuhe im Winter.
Diese Tatsache bringt mich nun auf eine andere Reihe von Tatsachen, in welchen die Erklärung dafür zu suchen ist, warum Watte wärmer hält, so lange sie elastisch und locker ist, als wenn sie einmal platt gedrückt ist. Es ist das der Luftgehalt der Kleider.
Gewöhnlich fasst man die Kleider als Apparate auf, welche dazu bestimmt sind, die Luft von uns abzuhalten. Diese Auffassung ist ganz falsch, im Gegenteil, wir ertragen keine Kleidung, welche nicht eine beständige Ventilation unserer Körperoberfläche zulässt, ja wenn man die verschiedenen Kleidungsstoffe und Zeuge auf ihre Fähigkeit Luft durchzulassen untersucht, so ergibt sich zum großen Erstaunen, dass gerade die Stoffe , welche uns erfahrungsgemäß am wärmsten kleiden, viel größere Luftmengen durchlassen, als diejenigen, welche wir als kühle Stoffe bezeichnen. Ich habe die Permeabilität mehrerer Zeuge für Luft untersucht, sie lässt sich leicht ermitteln. Man verschließt eine Reihe von Glasröhren von einem ganz gleichen Durchmesser mit den verschiedenen Zeugen, und beobachtet, wie viel Luft bei gleichem Drucke in einer bestimmten Zeit durch verschiedene Zeuge geht. Man erhält auf diese Art unter sich vergleichbare Werte. In gleicher Zeit, bei gleichen Druckverhältnissen, durch gleiche Flächen der folgenden Zeuge gingen folgende relative Luftmengen, das luftigste der untersuchten Zeuge, ein Flanell, wie er gewöhnlich zu Unterkleidern verwendet wird, als 100 angenommen:
Flanell ....... 100
Mittelfeine Leinwand . 58
Seidenzeug. ..... 40
Bockskin. .......
Weißgares Leder . .. 1
Sämisches Leder . . . 51
Wenn das Warmhalten der Kleider von dem Grade abhinge, in welchem sie die Luft von unserm Körper abschließen, so müsste Glacéhandschuh Leder 100mal wärmer halten als Flanell, was doch, wie Jedermann weiß, nicht der Fall ist, ja es ist umgekehrt, trotzdem dass Flanell 100mal mehr Luft durchlässt, als weißgares Leder, hält er doch viel wärmer, ebenso wie auch sämisches oder sogenanntes Waschleder, was wir häufig anstatt Tuch für Handschuhe, Beinkleider u. S. W. verwenden, gleichfalls viel wärmer ist, obschon es 50mal mehr Wärme durchlässt, als weißgares Leder.
Wenn man von einem Zeuge mehrere Schichten übereinander legt, so sinkt die Ventilation bei der zweiten Schicht nur um ein sehr Geringes weiter, als bei der ersten, denn die Geschwindigkeit, welche die Luft beim Durchgang durch die erste Schicht erlangt, wird durch die folgende Schicht nicht mehr wesentlich geändert, die nur wie eine Fortsetzung oder eine Verlängerung ein und desselben Kanales oder ein und derselben Röhre aufzufassen ist, welche bei gleichbleibendem Durchmesser die einmal angenommene Geschwindigkeit einer darin strömenden Flüssigkeit nur mehr um den Reibungeffizienten verlangsamen kann.
Durch unsere Kleider zieht also beständig ein Luftstrom, dessen Größe abhängig ist – wie bei jeder Ventilation – von der Größe der Öffnungen, von der Größe der Temperaturdifferenz zwischen innen und außen, und von der Geschwindigkeit der uns umgebenden Luft. Unsere Kleider brauchen den Zutritt der Luft daher nicht ängstlich abzuhalten, sondern ihn nur zu regeln, und bis zu einem Grade zu mäßigen, dass unsere Nerven die Luft nicht mehr als bewegten Körper empfinden, welchen Grad wir mit Windstille bezeichnen. Dieser Grad ist aber noch lange nicht Bewegungslosigkeit der Luft. Wenn wir im Freien Windstille annehmen, so beträgt die Geschwindigkeit der Luft, wie ich schon sagte, mindestens immer noch einen halben Meter in der Sekunde, oder fast 2 Kilometer in einer Stunde.
Unsere Kleider machen die Luft nicht nur windstill, sondern regulieren zugleich auch die Temperatur derselben. Mit der Wärme, welche von unserm Körper ausgeht, heizen wir die Kleidungsstoffe, und diese heizen auch beständig die durch die Maschen und Poren der Zeuge wechselnde Luft. Unsere Kleider sind einer kalorischen Maschine oder einem Ofen vergleichbar, der von der Abhitze unserer Körpermaschine geheizt wird, damit er wieder die über unsere Körperoberfläche hịnziehende, sie zunächst umgebende Luftschicht heize. Von diesem Wärmeverluste der Kleider an die durchziehende, auf diese Art präparierte Luft haben wir keine Empfindung, wie wir sie haben würden, wenn die Luft unvorbereitet unsere Hautoberfläche treffen würde, denn der Ausgleich der Temperaturdifferenz erfolgt in dem Bekleidungsstoffe, in welchen sich unsere Hautnerven nicht fortsetzen. Wir tragen in unseren Kleidern im Freien und selbst im hohen Norden die Luft des Südens mit uns herum. Wenn man die Temperatur der Luft misst, welche zwischen unseren Kleidern und unserer Körperoberfläche sich findet, so beträgt sie durchschnittlich 24 bis 30° C. Wir befinden uns in unseren Kleidern wie wenn wir im Paradiesischen Zustande in einer windstillen, freien Atmosphäre mit 24 bis 30° C. wären.
Jetzt kann ich Ihnen auch klar machen, warum krause, lockere Zeuge so gut wärmen, frisch kartätschte Watte besser, als alte zusammengesessene, warum sich für Kleidungsstoffe am meisten Gewebe aus feinen Fasern und Gespinsten eignen. Sie wissen, wie warm ein Pelz ist, der aus Haut und Haaren besteht. Stofflich chemisch betrachtet, sind Haare und Haut eigentlich identisch. An einem Pelze ist das Gewicht oder die Masse der Haut unverhältnismäßig grösser, als die der Haare, und doch sind es eigentlich nur die feinen Härchen, die man wegblasen kann, wenn sie für sich sind, welche dem Pelze seine warmhaltende Eigenschaft verleihen. Man kann darüber sehr interessante Versuche anstellen. Krieger beobachtete den Abfluss der Wärme, nachdem er seinen Versuchszylinder mit Pelz im nicht geschorenen und im geschorenen oder rasierten Zustande bedeckt hatte. – Wenn man die Wärmeabgabe durch den unberührten Pelz gleich 100 setzt, so stieg sie durch denselben Pelz, nachdem er geschoren war, also durch die nackte Haut des Pelzes, auf 190. Die trockene Haut ist bekanntlich immer noch etwas porös. Wenn man einen solchen geschorenen Pelz mit Leinölfirniss bestreicht, so steigt die Wärmeabgabe sogar von 100 auf 258, und wenn man einen solchen geschorenen Pelz mit einer Lösung von arabischem Gummi bestreicht, sogar auf 296.
Dass sich der lebendige Organismus in seiner Wärmeabgabe durch Strahlung und Leitung nicht anders verhält, als ein mit warmem Wasser gefüllter Blechzylinder, wurde gleichfalls nachgewiesen. Es ist schon länger bekannt, dass Pelztiere, wie Hunde, Kaninchen usw. sterben, wenn man ihnen alle Haare nimmt und ihre Haut firnisst oder mit Öl bestreicht. Man hat den Tod gewöhnlich von einer Aufhebung oder Unterdrückung der Hautausdünstung abgeleitet, es lässt sich aber beweisen, dass diese Tiere in einem verhältnismäßig warmen Zimmer buchstäblich den Tod des Erfrierens sterben. Krieger schor ein Kaninchen, nachdem er dessen Körpertemperatur und Atemfrequenz zuvor bestimmt hatte. Das Tier zeigte 39.8°C. und machte 100 Inspirationen in der Minute. Nachdem es geschoren, und, um die Hautausdünstung nicht zu unterdrücken, wie man annimmt, dass es durch Firniss geschieht, nur in ein nasses Tuch eingeschlagen war, verlor es in einem Zimmer, wo die Temperatur 190 über Null war, doch so viel Wärme, dass nach 5 Stunden die Temperatur im Innern des Tieres von 39.8 auf 24:50 C., und die Atemfrequenz von 100 auf 50 in der Minute gesunken war, In diesem Zustande in einen heizbaren Käfig gebracht, erholte es sich bei einer Wärme der Luft von 30°C. darin wieder vollständig.
So ein Pelz fängt mit seinen in die Luft ragenden Härchen alle Wärme auf, welche von der Hautoberfläche durch Strahlung oder Leitung abfließt und gibt sie in Folge seiner zarten und feinen Struktur und Verteilung an die zwischen den einzelnen Härchen strömende Luft ab; je feiner das Haar eines Pelzes, desto besser wird die abziehende Wärme ausgenutzt von der Luft, die dann auch bei Winterkälte unsere Hautnerven nur als gewärmte Luft trifft, so dass wir nichts spüren. Die Pelztiere fühlen sich im Winter oberflächlich sehr kalt an, erst näher der Haut sind die Haare warm. Bei starker Kälte kommt sicherlich wenig Körperwärme mehr bis an die Spitzen der Haare, um dort auszustrahlen oder durch Leitung an die Luft überzugehen, der Luftstrom im Pelze entwärmt die einzelnen Härchen von ihren Spitzen gegen ihre Wurzeln zu, eine stärkere Kälte dringt nur etwas weiter in den Pelz ein, als eine geringere, ohne deshalb notwendig bis auf die Haut durchzudringen. Das geschieht nur, wenn die äußere Luft ganz ungewöhnlich kalt oder sehr stark bewegt ist. Reisende im hohen Norden, z. B. Nordpolfahrer, berichten sehr übereinstimmend, dass sehr hohe Kältegrade bei windstiller Luft noch recht gut ertragen werden, hingegen bei lebhaftem Winde höchst empfindlich sind. Das deutet darauf hin, dass bei hohen Kältegraden der Wärmeverlust durch die Haut wesentlich nur mehr auf einem einzigen Wege, auf dem der Leitung, an die Luft im Pelze oder in den Kleidern erfolgt, es kommt beim Pelz keine Wärme zur Ausstrahlung auf die Oberfläche, sobald die Spitzen der Haare die Temperatur der äußern Umgebung haben. Auch die Verdunstung sinkt auf ein Minimum, denn 200 unter null hört jede Wasserdampfbildung bereits auf, fast alle Wärme im Pelz und in den Kleidern wird aufgewendet, um die eindringende Luft zu heizen, deren Geschwindigkeit entsprechend der Temperaturdifferenz wächst. In einem mit gutem Pelz versehenen Tiere ändert die äußere wechselnde Wärme und Kälte eigentlich nur die relativen Breiten oder Breitengrade der kalten und warmen Zonen der Luft im Pelze, nur der Ort des Ausgleichs der Körper- und Lufttemperatur verrückt sich zwischen Wurzel und Spitze der Haare, und deshalb befinden sich solche Tiere trotz ihres Pelzes auch im Sommer nicht wärmer als im Winter, ihr Blut behält unter allen Umständen die gleiche Temperatur, im Sommer wird nur ein großer Teil der Wärme erst an den Spitzen der Haare durch
Strahlung und Leitung abgegeben, während sie im Winter entsprechend näher der Wurzel der Haare abfließt.
Luftdichte Zeuge sind deshalb zur Bekleidung gar nicht, oder nur mit großer Einschränkung zu brauchen. In Gummi- oder Guttaperchazeugen halten wir es oft nicht aus, wenn wir uns nur einigermaßen stark bewegen müssen, oder sonst mehr Wärme abzuführen haben. Sie werden uns lästig, nicht weil sie den Luftwechsel ganz aufheben, denn das tun sie ja nicht, wenn sie z. B. die Form eines Überrockes haben, wo die Luft von unten und durch weite Ärmel reichlich hinein und oben ausströmen kann, sondern sie werden uns lästig, lediglich nur weil sie den allseitigen Luftwechsel in den Unterkleidern beschränken. Sie sind gut, um sich vor Nässe von außen zu schützen, aber machen unsere Haut gern auf andere Weise nass, durch Beeinträchtigung der Verdunstung. Wir können solche Regenmäntel daher wohl gebrauchen bei Nässe und Kälte oder starkem Winde, aber nicht bei Nässe und Wärme und ruhiger Luft.
Zum Schluss muss ich Sie noch auf die Beziehungen unserer Kleidungsstoffe aufmerksam machen, welche sie zum Wasser haben, welches ihre Funktionen teilweise stark abändert. Alle unsere Kleidungsstoffe sind hygroskopisch, d. h. sie kondensieren aus der Atmosphäre eine gewisse Menge Wasser. Die hygroskopische Eigenschaft, welche bei verschiedenen Körpern sehr verschieden groß ist, wächst mit der Abnahme der Temperatur der Luft, so dass sie alle bei 0° mehr Wasser kondensieren, als bei höheren Temperaturen. Teilweise wird sie auch von dem relativen Wassergehalte der Luft beeinflusst, so dass ein hygroskopischer Körper in einer Luft von 20° C. über Null mehr Wasser aufnimmt, wenn diese Luft mit Wasserdunst nahezu gesättigt ist, als wenn sie weit von ihrem Sättigungspunkte entfernt ist. Es sind diese Verhältnisse für unsere Kleidungsstoffe einstweilen nur sehr unvollständig ermittelt. Ich habe einige vorläufige Bestimmungen gemacht, bloß um zu sehen, mit welchen Größen man ungefähr zu tun hat: sie haben sich grösser ergeben, als man von vornherein annehmen möchte. . Ich nahm als Repräsentanten der beiden wichtigsten Kleidungsstoffe aus Pflanzenfaser und Tierfaser gleich große Stücke Leinwand und Flanell und trocknete sie bei 100° C., wo sie fast all ihr hygroskopisches Wasser verlieren, und wog sie in gut schließenden Blechbüchsen eingeschlossen, deren Gewicht bekannt war. Sie wurden dann in verschieden temperierten Räumen der Luft ausgesetzt, und von Zeit zu Zeit wieder in die Blechbüchsen eingeschlossen unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln gewogen. Es ließen sich dadurch die Änderungen im Gewichte, d.i. in der Menge hygroskopisch gebundenen Wassers für Leinwand und Wolle leicht verfolgen. Die folgende Tabelle gibt die Menge des hygroskopisch gebundenen Wassers auf 1000 Gewichtsteile Leinwand und Wolle in verschiedenen Lokalitäten, bei verschiedenen Temperaturen, nach verschiedener Zeit.
Was vor allem auffällt, ist die viel größere hygroskopische Eigenschaft der Schafwolle gegenüber der Leinwand. Unter allen Umständen bleibt die hygroskopische Wassermenge in der Schafwolle viel grösser, oft fast nochmal so groß, als bei der Leinwand. Beim Maximum hat Flanell 175, Leinwand 111, beim Minimum Flanell 75, Leinwand 41 pro ml Wasser hygroskopisch gebunden.
Was ferner sofort auffällt, ist, dass die Leinwand ihren hygroskopischen Wassergehalt verhältnismäßig schneller, in einer steileren Kurve ändert, als die Wolle. Die Beobachtungen 5 bis 8 lassen dies deutlich erkennen. Die beiden Stücke Wolle und Leinwand lagen 12 Stunden im Keller, dann befanden sie sich unmittelbar darnach 4 Stunden in einem unbeheizten Hörsaal, binnen welcher Zeit die Leinwand von ihrem absolut viel geringeren Wassergehalte 18, die Wolle 15 promille Wasser verlor. In den nächsten 3 Stunden verlor die Leinwand nur mehr 2, die Wolle hingegen noch 12 promille.
Als die Stoffe vom unbeheizten Hörsaal in ein beheiztes Zimmer gebracht wurden (Beobachtung 9 bis 15), zeigte sich das gleiche Verhalten, die Leinwand hörte viel rascher auf, Wasser abzugeben, als die Wolle. Das Nämliche zeigte sich in umgekehrter Richtung bei den Beobachtungen 15 bis 18, als die Temperatur im Zimmer wieder von 19 auf 15 Grade sank. Mit der Abkühlung nimmt die hygroskopische Eigenschaft aller Körper zu, aber die Gewichtszunahme erfolgt ebenso, wie die Gewichtsabnahme, verhältnismäßig schneller bei Leinwand als bei Wolle.
Je mehr die Luft aus einem Zeuge durch Wasser verdrängt wird, um o weniger warm vermag er zu halten, umso besser leitet er die Wärme, daher das leichte Erkälten in nassen Kleidern, daher das Empfindliche der sogenannten Nasskälte. Wenn wir bei einer kalten und trockenen Luft ins Freie gehen, frieren wir oft lange nicht so, als wenn wir bei ebenso kalter, aber viel feuchterer Luft ausgehen. Im letzteren Falle werden auch unsere Kleider viel feuchter, und leiten dann mehr Wärme ab. Man darf diese Größen nicht unterschätzen. Wir haben vorhin gesehen, dass 1000 Gewichtsteile Flanell in einer Kellerluft 157 Gewichtsteile, also fast 16 % Wasser aufgenommen haben. Rechnet man das Gewicht eines ganzen Anzuges in Wolle auf 10 Pfund, so kann das Mehr oder Weniger von hygroskopisch gebundenem Wasser 11/2Pfund betragen, was zur Verdunstung 420 000 Wärmeeinheiten erfordert.
Ähnlich wie gegen das hygroskopische Wasser verhalten sich Leinwand und Flanell beim Benetzen mit tropfbar flüssigem Wasser und die nassen Zeuge beim Trocknen. Leinwand lässt sich sehr leicht benetzen, saugt sehr schnell Wasser auf, Wolle viel langsamer, auch vom tropfbar flüssigen Wasser nimmt Leinwand weniger auf als Wolle, aber die Leinwand tut es viel schneller. Mit einem leinenen Tuche ist Wasser leicht aufzusaugen, mit Wolle geht es schwer. Ebenso ist die Verdunstung; von einer Leinwandfläche verdunstet das Wasser schneller, als von einer wollenen Fläche. Leinwand und Flanell in Wasser gelegt, und dann mit den Händen
solange ausgepresst, bis keine Tropfen mehr abfließen, halten auf 1000 Theile trocknes Zeug sehr ungleiche Mengen Wasser zurück. Leinwand 740, Flanell 913 pro mille nach einem von mir gemachten Versuche. Eine viel größere Differenz ergibt sich aber noch in den Mengen Wasser, welche innerhalb gleicher Zeiten von nasser Leinwand und nassem Flanell verdunsten. Die folgende Tabelle mag als Bild für das gleichzeitige Fortschreiten des Trocknungsprozesses in einem geheizten Zimmer für diese beiden Stoffe dienen.
In den ersten 75 Minuten verdunsteten von 1000 Teilen Leinwand 511, von 1000 Teilen Wolle nur 456 Wasser, darnach aber dreht sich die Menge um, in den folgenden 30 Minuten verdunsteten von der Leinwand 130, vom Flanell 148 pro mille, in den folgenden 30 Minuten von der Leinwand gar nur mehr 44, vom Flanell noch 115 pro mille. Die Leinwand arbeitet also in jeder Beziehung schneller, als die Wolle, die Leinwand gibt allen Veränderungen der Feuchtigkeit schneller nach, als die Wolle. Um wie viel gleichmäßiger der Trocknungsprozess in der Wolle verläuft, als in der Leinwand, geht deutlich hervor, wenn man vergleicht, wie viel binnen 135 Minuten in den ersten 15 Minuten, und wie viel in den letzten 15 Minuten Wasser verdunstete. Bei Leinwand verdunsteten in den ersten 15 Minuten 219, in den letzten nur mehr 28 pro mille, was sich nahezu wie 8 zu 1 verhält, bei Flanell anfangs 212, zuletzt noch 97, was fast 2 zu 1 entspricht.
Ich bemerke noch, dass bei diesen Versuchen gleiche Gewichte der trockenen Zeuge auch fast gleichen Flächen entsprachen, die gleich groß über eine Schablone geschnitten waren, das Stück Leinwand wog 11.731, das Stück Flanell 10.649 Gramm. '
Es ist selbstverständlich, dass alle Zeuge in dem Maße, als sie benetzt werden, an ihrer Permeabilität, an ihrer Durchlässigkeit für Luft verlieren, da das Wasser die Poren wenigstens teilweise verstopft. Gröbere Zeuge mit größeren Poren werden länger für Luft durchgängig bleiben; bei gleich großen Poren entscheidet die Adhäsion des Wassers zur Substanz des Zeuges, ob sich die Poren schneller oder langsamer, andauernder oder vorübergehender schließen. Da ist nun ein sehr großer Unterschied zwischen Leinwand, Baumwolle und Seide einerseits, und Schafwolle andererseits. Die ersteren werden durch Benetzen sehr schnell luftdicht geschlossen, letztere fast gar nie, oder doch erst nach langer Einwirkung beständiger Benetzung. Die Soldaten im Kriege wissen davon zu erzählen, wie dunstig die Luft unter einem Zelte während eines Regens ist, so lange es nass ist, und wie es sofort luftig wird, sobald es zu trocknen beginnt. Da die Porosität aller Gewebe hauptsächlich von der Elastizität der Fasern abhängt, welche das Gewebe bilden, so wird es von großem Einfluss sein, ob die Elastizität der Fasern im nassen und trocknen Zustande gleich ist oder wie weit sie sich gleich bleibt. Das ist nun wieder ein Hauptunterschied zwischen Wolle und den anderen drei genannten Stoffen, nur die Wollfaser behält ihre Elastizität auch im nassen Zustande ziemlich bei, während die anderen von dem Grade, welchen sie im trocknen Zustande besitzen, fast alles bei der Benetzung einbüßen. Nasse Leinwand, nasse Seide ist genauso, wie ein geschorener, mit Firniss oder Gummilösung bestrichener Pelz, wie ihn Dr. Krieger auf seine Versuchszylinder gespannt hat. Um was aus einem Leinwand- oder Seidenzeuge alle Luft durch Wasser leichter verdrängt wird, als aus einem Wollzeuge, um das erkältet man sich leichter in Leinwand und Seide als in Wolle, wenn man nass wird. Ein nasser schafwollener Strumpf wirkt auch deshalb viel weniger erkältend auf den Fuß, als ein nasser leinener.
Auf der andern Seite gewährt diese Eigenschaft von Leinwand und Seide auch wieder große Vorteile, wo es sich darum handelt, den Körper kühl und trocken zu erhalten. Mit dem leinenen oder seidenen Hemde nehmen wir Wärme und Wasser, wie sie abfließen, viel besser von der Hautoberfläche weg, und übergeben es weiteren Schichten zu weiterer, gleichmäßiger Verarbeitung und Ableitung.
Der Reihenfolge nach sollte ich jetzt eigentlich einzelnen Kleidungsstücken, und von den Kleidungsstoffen für einzelne besondere Zwecke sprechen, aber teils ist die Zeit schon zu weit vorgerückt, teils liegen über viele Einzelheiten, die da zur Sprache kommen müssten, noch zu wenige Untersuchungen vor, um wissenschaftliche Betrachtungen daran knüpfen zu können. Gestatten Sie mir, Sie nur ganz kurz noch auf ein einziges Kleidungsstück aufmerksam zu machen, und gerade deshalb, weil man es für gewöhnlich gar nicht unter die Kleidungsstücke zählt, es ist das Bett, ein Bekleidungsapparat, in welchem der Mensch von seiner Geburt bis zum Tode bekanntlich einen großen Teil seiner Lebenszeit verbringt. Gesunde und Kranke haben es gleich notwendig, und von jeher schon wurde es als Zeichen der bittersten Not angesehen, wenn Einer nicht hatte, wohin er sein Haupt legen sollte. Das Bett ist nicht bloß ein Lager, es ist hauptsächlich unser Schlafkleid, und muss uns für manche Entbehrung während des Tages und der Arbeit schadlos halten und wieder dafür stärken. Es wird aus denselben Stoffen gemacht, wie die Kleidung des Tages, aus Leinwand, Seide oder Baumwolle, die Schichten, welche uns zunächst umgeben, dann aus tierischen Fasern, Pferdehaaren oder Federn, wollenen Decken etc. die entfernteren Schichten. Auch das Bett muss luftig sein und warm zugleich. Wir wärmen mit unserm Körper das Bett, genauso wie unsere Kleider, und das Bett wärmt die in ihm beständig von unten nach oben strömende Luft. Die die Wärme regulierenden Schichten sind mächtiger, als bei jedem andern Gewande, das wir den Tag über tragen, was aus zwei Gründen notwendig ist: erstlich sinkt bei völliger Ruhe und im Schlafe der Stoffwechsel sehr beträchtlich herab, und wird weniger Wärme entwickelt, und dann wird unser Körper in horizontaler Lage durch einen aufsteigenden Luftstrom viel mehr entwärmt, als in vertikaler Stellung, wo immer etwas von der Wärme der unteren Teile den oberen zugutekommt. Die Bettwärme hält auch ohne größeren Stoffumsatz, bei geringer Wärmeproduktion und vollständiger Ruhe den peripheren Kreislauf in der Haut auf einer bestimmten Höhe, und entlastet dadurch die inneren Organe, sie ruhen auf diese Art gleichsam aus. Das Bett ist daher ein höchst wichtiger Apparat für unsern Wärme- und Bluthaushalt. Wer mehrere Tage hinter einander in keinem Bette schlafen kann, der ruht nicht bloß schlecht aus, sondern erleidet nicht selten namhafte Störungen in seiner Wärmeökonomie oder den Kreislauferscheinungen, vor denen ihn sonst das Bett schützt. Ich erwähne das, und hebe es hervor, damit Ihr Wohltätigkeitssinn für die Armen sich nicht bloß auf Nahrung, Wohnung und gewöhnliche Kleidung, sondern auch noch auf das Bett, dieses außerordentliche Kleidungsstück, erstrecken möge.
Ich habe damit die Funktionen der Kleidung allerdings noch lange nicht erschöpfend dargestellt, aber ich glaube, doch auf so wesentliche Punkte aufmerksam gemacht zu haben, dass Sie vollkommen von der Wichtigkeit einer wissenschaftlichen Betrachtung derselben im Interesse der Wärmeökonomie des menschlichen Körpers überzeugt sind. Da unsere Gesundheit mit unserm Wärmehaushalt auf das Innigste zusammenhängt, so muss jede bessere Einsicht in die Zwecke und Leistungen der verschiedenen Mittel zuletzt auch der Gesundheit im Allgemeinen zugutekommen. Der letzte Krieg, aus dem Deutschland so ruhmvoll hervorgegangen ist, hat uns namentlich wieder darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig die Verpflegung der Armeen nicht nur mit Nahrungsmitteln, sondern auch mit Kleidungsmitteln ist, und dass einige Tage lang mangelhafter Mundvorrat, wenn er zeitweise vorkommt, viel weniger Soldaten durch Krankheiten kampfunfähig macht, als empfindliche Störungen in der Wärmeökonomie, wie sie namentlich der Spätherbst 1870 in Frankreich allgemein brachte.
Unsere Kleider sind Waffen, mit denen der zivilisierte Mensch seinen Kampf gegen die Atmosphäre kämpft, soweit sie ihm feindlich ist, mit denen er sich sein Element, den Luftkreis, untertan macht. Es ist etwas ganz Natürliches, ich darf sagen Instinktives, dass jeder ordentliche Mensch etwas auf ein ordentliches Gewand hält, was auch schön sein soll: nur sollen wir uns besser als bisher des Zweckes bewusst werden, jede Ziererei muss Nebensache bleiben, die Mode darf nie die Oberherrschaft erringen, der Schneider darf nie den Zweck der Kleider unter seine Schere bekommen. Man ringt heutzutage nach Neuem in allen Richtungen, auch nach neuen Formen und Stylen in Bekleidung und Baukunst, wir werden aber zu nichts Neuem mit unseren alten Gesichtspunkten kommen. Neue Gesichtspunkte in dieser Richtung können sich aber bloß aus einer vermehrten und neuen Einsicht in die Funktionen der Kleidung und des Hauses entwickeln. Die Erkenntnis der Funktionen bedingt die äußeren Formen, und die Funktionen werden nur durch theoretische Studien erkannt. Erst als man die richtige Theorie von der Bewegung des ober- und unterschlächtigen Wasserrades hatte, kam man auf die Erfindung der Turbine.
Die Theorie hat auf die Entwickelung der Praxis einen viel größeren Einfluss, als man gewöhnlich annimmt und zugibt. Der Anwendung der Gesetze der Mechanik auf Dampfmaschinen Eisenbahnen und Dampfschiffe musste die Entdeckung und Feststellung dieser Gesetze erst vorausgehen, und es ließe sich unschwer nachweisen, warum die großen Erfindungen eines Watt und Stephenson nicht früher gemacht worden sind, und dass sie eine Folge oder eine Frucht des Samens waren, welcher aus den theoretischen Untersuchungen eines Kopernikus, Kepler und Newton entsprungen war. Vielleicht unterscheiden sich die Mittel zur Bestreitung unserer Wärmeökonomie in der Zukunft von unseren gegenwärtigen in ihrem Aussehen oder Style einmal nicht weniger, als eine Turbine vom alten Mühlrad, oder eine Dampfmaschine vom Pferdegöpel.
Ich schließe hiermit meine erste Vorlesung, und werde in meiner zweiten von der Luft des Hauses handeln.