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II
IM NÖRDLICHEN ATLANTISCHEN OZEAN

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Ungünstige Winde und Windstille. An Madera und an den Kapverden vorbei. Schiffsleben und Zänkereien. Nationale Gegensätze. Kindstaufen, Geburtshilfe auf See und ein zärtlicher Gatte. Die Polakei in Aufruhr. Das gestohlene Salzfleisch. Zoologische Belustigungen. Schleppnetzbeute. Fliegende Fische. Vergebliches Harpuniren. Haifischfang. Korrespondenz mit anderen Schiffen. Besuch auf einem Portugiesen. Unsicherheit in der Nautik.

Am 27. November warfen wir den Ofen aus der Kajüte. Es war bereits warm genug, um während des Tages ohne Ueberzieher auf Deck zu sitzen.

Das Wasser begann wieder unruhig zu werden, und die bekannten langen, hohen Wogen des Ozeans, höher als in der Nordsee, aber auch viel angenehmer weil länger, hoben und senkten das Schiff. Das Barometer fiel, der Wind wurde flau. Die Segel klapperten an den Raaen, wir machten keinen Fortgang, doch rollten wir unter dem Einfluss der zunehmenden hohlen See und des Haltes der Segel entbehrend wie noch nie. Schwerfällig beugte sich die Euphrosyne nach rechts und nach links, und bei jeder Neigung stöhnten und krachten die Balken und Bretter, eigenthümlich die sonstige feierliche Ruhe unterbrechend. Der Kapitän hatte die guten Tage benutzt, um die Riggen der Masten fester anzuziehen. Auch im Innern war Alles festgenagelt und festgestaut worden. Wir waren jetzt vollkommen seetüchtig und konnten es mit jeglichem Wetter aufnehmen.

Ein kleiner Sturm aus Südwest trieb uns zwei Tage rückwärts. Dann kam abermals flauer Wind, der in einen kleinen Nordsturm umsprang, mit dessen Hilfe wir rasch nach Madera hinuntergelangten, welches wir ausser Sichtweite am 2. Dezember passirten.

Wir hofften jetzt alle Tage auf den Nordostpassat, aber leider vergeblich. Ganz unvorschriftsmässige West- und Südwestwinde wechselten statt dessen mit einander, und die Folge davon war, dass wir immer näher gegen Afrika zu trieben und, beständig mit halbem oder viertels Wind segelnd, knapp zwischen den Kapverdischen Inseln und Senegambien hindurch fahren mussten. Kaum hatten wir diese passirt, so sprang der Wind nach Süden um, und wir steuerten Südsüdwest gegen Brasilien zu. Nur hie und da wehte es auf kurze Zeit in einer uns günstigeren Richtung, aus Norden oder aus Nordost, und der Kapitän verfehlte dann nie, mich auf die geballten Passatwolken rings am Horizont aufmerksam zu machen und sanguinisch eine anhaltende Besserung unserer Reise in Aussicht zu stellen. Doch immer von Neuem wurde sein Vertrauen getäuscht, und hatten wir vierundzwanzig Stunden eine gute Brise von hinten mit sechs Knoten per Stunde gehabt, so schlief sie regelmässig wieder ein, die Segel begannen wieder zu klappern, und ein Gegenwind erhob sich.

Oder, was noch schlimmer war, die Stille wollte nicht mehr weichen, drei, vier Tage lagen wir regungslos auf dem Wasser, der Abfall des Schiffes trennte sich nicht mehr von unserer Nähe, und was wir des Morgens über Bord geworfen hatten, konnten wir am Abend noch immer draussen herumschwimmen sehen. Die Sonne brannte glühend herab, und eine träumerische Stimmung lag über dem Deck, auf dem die Passagiere in hellen Gruppen faul herumlungerten. Selbstverständlich war unter solchen Umständen die Laune des Kapitäns nicht die rosenfarbigste. Tag und Nacht wurde geschimpft und geflucht, am Barometer geklopft, ob es nicht ein bischen fallen möchte, der Kajütsjunge in die Ohren gekniffen, zwecklos und nur vielleicht zur Aufmunterung für den Wind Leesegel gesetzt und wieder weggenommen.

Für mich waren solche Zeiten der Windstille im Anfang nicht ohne Reiz. Es herrschte, namentlich Nachts, eine wohlthätige Ruhe. Allerdings hörte das Schiff fast niemals auf, langweilig hin und her zu schaukeln, und das Holzwerk, ebenso langweilig zu knarren. Dies war aber auch meistens das einzige vernehmbare Geräusch, und ich konnte relativ ungestört mich meinen Lieblingsbeschäftigungen hingeben.

Unsere Tagesordnung ging ihren stetigen Gang. Wir lebten zu dritt in der Kajüte zusammen, nämlich ein Kajütspassagier, der Kapitän und ich – grösstentheils einträchtig, wir beide letzteren hie und da in gespanntem Verhältniss.

Der Kajütspassagier, ein harmloser, junger Mann des Handelsstandes, Mister Ross genannt, besass glücklich genug nicht die geringste Anlage zur Grimmigkeit, und schimpfte der Kapitän auch Tage lang unausstehlich, oder versuchte er gar in guter Laune Witze zu machen, was noch viel unausstehlicher war, Mister Ross blieb ungerührt. Er spielte gehorsam Tag für Tag seine Partie Sechsundsechzig mit ihm, wenn er dazu kommandirt wurde, liess ihn pflichtschuldigst gewinnen, kam pünktlich zu Tisch, legte sich pünktlich zweimal täglich zu Bett, und lungerte die übrige Zeit, wenn es schön Wetter war, auf Deck herum, friedlich seine Thonpfeife rauchend. Ich selbst huldigte dem Prinzip vollkommenster Neutralität und Isolirtheit, und meine Bücher und die Thiere des Meeres waren mir viel interessanter als Alles, was der Kapitän und Mister Ross zu sagen wussten.

Die Verpflegung, welche wir genossen, unterschied sich vortheilhaft von jener auf Postdampfern nach Amerika üblichen dadurch, dass man nie in Versuchung kam, aus Mangel besserer Beschäftigung den Magen zu überladen. Von der Ablösung der ersten Wache des Morgens um 4 Uhr an war schwarzer Kaffe zu haben. Um 8 Uhr wurde das Frühstück, Kaffe mit kondensirter Milch nebst Zwieback und Butter sowie die kalten Fleischüberreste des vorigen Tages servirt. Um 1 Uhr folgte, nachdem die Mittagsobservation genommen und der Ort des Schiffes berechnet war, das Dinner. Salzfleisch und Büchsenfleisch, Reis und Kartoffel, Erbsen und Bohnen, Pflaumen und Sauerkraut waren die wechselnden Hauptfaktoren desselben. Um 3 Uhr gabs abermals Kaffe, manchmal mit einem frischgebackenen Kuchen von sehr zweifelhafter Qualität, und um 7 Uhr den Abendthee, einschliesslich Butter und Salz- oder Büchsenfleisch. Dazu wurde jedesmal harter Zwieback geknabbert, nachdem der Vorrath an heimischem Schwarzbrot in den ersten vierzehn Tagen aufgezehrt war. Ein schmieriger Wachstuchüberzug bedeckte den Tisch, schmierig waren Gabel und Messer und schmierig der vielgeprüfte Kajütsjunge Hannes, der uns bediente.

Besonders heilige Festtage auszuzeichnen, hatte man uns einige Käslaibe, Schinken und Würste mitgegeben. Wir, die Honoratioren der Kajüte, erfreuten uns jedoch nur zwei- oder dreimal dieser Kostbarkeiten. Eines schönen Tages waren sie verschwunden, es hiess, die Matrosen hätten sie gestohlen und aufgefressen.

In Bezug auf Spirituosen lebten wir äusserst mässig. Eine Flasche Bier zu dritt war die tägliche Ration. Ich hatte zwar kontraktlich Anspruch auf eine halbe Flasche Rothwein pro Tag, es war aber nichts davon an Bord aufzufinden. Der in Seegeschichten eine so wichtige Rolle spielende steife Grog existirte auf der Euphrosyne nicht, existirt überhaupt wohl nur auf den Schiffen der Seegeschichten. In der Wirklichkeit sind die Seeleute zu arm und die Rheder nicht splendid genug, um einen solchen Luxus zu gestatten. Wenn ein Kapitän auf zwei Jahre hinaussegelt, so kriegt er vielleicht ein paar Dutzend Flaschen Kognac und Wein für sich und ein kleines Fässchen Rum für die Mannschaft mit. Erstere sind bestimmt zur Repräsentation, wenn das Schiff im fremden Hafen liegt und Besuche an Bord kommen, letzteres reicht gerade, um zwei- oder dreimal ein Fest zu feiern.

Die Euphrosyne besass eine sehr hübsche, helle und luftige Kajüte frei auf Deck stehend, zu beiden Seiten schmale Gänge zwischen ihr und den Borden. Ein roh getünchter Tisch, ein Sopha, etliche Klappstühle, zwei grosse Medizinkisten, ein Spiegel, ein Barometer, ein Thermometer und ein Kompass bildeten das Mobiliar des kleinen Salons derselben. Rechts hatte der Kapitän seine Kammer, links ich die meinige. Gleich vor dem Salon wohnte Mister Ross. Dann kamen die Badezimmer und das Frauenhospital, und in dem vordersten Theil der Kajüte hausten die Offiziere des Schiffs, der Steuermann, der Proviantmeister und der Bootsmann. In einem anderen Häuschen über Deck zwischen Gross- und Fockmast waren die Küche, das Männerhospital und das »Logis« für die Mannschaft.* Meine Kammer liess an Gemüthlichkeit nichts zu wünschen. Sie war zwar eng und klein, und wenn ich eine Schublade aufmachen wollte, musste ich erst meinen Koffer und den Stuhl in den Salon hinaussetzen, aber sie hatte ein grosses Fenster und eine Menge Licht. Leider ging es gerade vor dem Fenster über eine Treppe hinauf nach dem Achterdeck, auf welches die einzelnen Mädchen gebannt waren, und mit Vorliebe setzten sich diese, meine Kammer verdunkelnd, auf jene Treppe, bis ich mit dem Stock hinauslangte und sie von dannen stupfte.

Unser Zwischendeck war das schönste, welches ich jemals gesehen habe. Es hatte die ungewöhnliche Höhe von 2,7 Meter und war sehr gut ventilirt. Es war jedoch keine Stätte des Friedens, sondern der Schauplatz beständiger Kämpfe. In den Verschlägen der einzelnen Männer vorne und der einzelnen Mädchen hinten ging es noch leidlich. In der Mitte aber bei den Familien mit ihrem Kindersegen hörten die Reibereien nie auf. Fast immer waren es natürlich die Weiber, welche anfingen und ihre respektiven Ehegatten auf einander hetzten.

Zwei feindliche Parteien standen sich voll Hass gegenüber, die Skandinavier und die Polen. Erstere waren musterhaft reinlich und hatten viel Sinn für Ordnung. Bei den letzteren galt mit wenigen Ausnahmen ungefähr das Gegentheil. Man konnte sich kein schmutzigeres und armseligeres Volk denken als jene unglücklichen Abkömmlinge der Weichselgegend. Alle Tage kamen Klagen über ihre Unsauberkeit, die selten grundlos waren, alle Tage musste ich über acquirirte Pediculi vestium jammern hören. Die Dänen erklärten mit Ueberzeugung, dass jene Thierchen nichts Geringeres beabsichtigten als sie alle aufzufressen. Ich bestimmte eine Frist, bis zu welcher die Polen dieselben abgeschafft haben mussten, vertheilte Sabadillaessig, Petroleum und Perubalsam, und bei wem ich nach zwei Wochen noch Spuren davon fand, bekam nichts zu essen. Dies half einigermassen. Die Betten wurden, so oft es das Wetter erlaubte, gesonnt, die Kleider gebrüht und die Kinder mit der bisher unbekannten Gewohnheit einer täglichen Reinigung vertraut gemacht.

Die nationalen Gegensätze übertrugen sich auch auf das religiöse Gebiet. Wir hatten vier deutsche protestantische Missionäre an Bord, die theils für Neuseeland, theils für Australien bestimmt waren, und denen ich den vorgeschriebenen Gottesdienst und die Schule übertrug. Sie bildeten unsere offizielle Staatskirche, und im Anfang kam Alles einträchtig bei ihnen zum Sonntagsgebet zusammen. Auf einmal fiel es den skandinavischen Völkerschaften ein, dass sie ihren eigenen Gottesdienst in dänischer Sprache haben wollten. Sie wählten einen alten Mann aus ihrer Mitte zum Vorbeter und blieben weg. Dieses Beispiel wirkte ansteckend, und sofort wurden auch die katholischen Polen schismatisch und bildeten eine dritte Religionsgemeinde, so dass die Missionäre mit ihren salbungsvollen Worten nur mehr auf ein sehr kleines Häuflein beschränkt waren.

Diese Dreiheit führte zu wahrhaft österreichischen Zuständen, und fast jeden Sonntag gab es Reibereien. Fingen die Einen hier ein deutsches Kirchenlied an, so erhob sich dort ein polnischer Gesang, und daneben begann wieder eine andere Gruppe, dänisch zu singen. Gerade so gings mit der Schule. Mit dieser wollten sich die Polen niemals befreunden. Sie schickten ihre Kinder nicht regelmässig, oder ihre Kinder waren widerspänstig und wollten nichts lernen. Recht gerne würde ich ihnen ebenso wie den Dänen eine eigene Schule eingeräumt haben, wenn unter den Polen ein einziger Mann fähig gewesen wäre, Unterricht zu ertheilen. Die ausgezeichneten englischen Vorschriften, nach denen ich regieren musste, waren eben für Auswanderer englischer Nation, nicht für das Sprachen- und Nationalitätengewirr, welches auf deutschen Schiffen zu sein pflegt, gemacht.

Nur bei den Kindstaufen herrschte merkwürdiger Weise eine vollkommene Parität der Konfessionen. Fünfmal war es uns vergönnt, dieses Fest zu feiern. Und zwar geschah es jedesmal, da wir nöthigenfalls damit warteten, bis gutes Wetter eintrat, unter dem grössten uns möglichen Pomp, um keine Gelegenheit zu einer die Stimmung auffrischenden Volksbelustigung vorübergehen zu lassen. Unsere feinste Suppenschüssel wurde als Taufbecken mit rothen Bändern auf das Gangspill vor der Kajüte befestigt. Sämmtliche vierundzwanzig Signal- und etliche alte Nationalflaggen mussten herhalten, eine Art Presbyterium zu formiren. Die Missionäre zogen ihren besten Ornat an, predigten und beteten fast eine Stunde lang, und die Schuljugend sang fromme Lieder dazwischen.

Gleich bei dem ersten kleinen Weltbürger, der protestantischer Abkunft war, machten die Missionäre ihre Sache so schön und so erhebend, dass selbst die religiösen Vorurtheile der Polen nicht mehr Stand hielten und alle vier im Mutterwerden folgenden Polinnen sich steif und fest in den Kopf setzten, dass auch ihre Sprösslinge von den Missionären getauft werden sollten. Die Stammesgenossen remonstrirten zwar dagegen und machten Vorwürfe, während die gestrengen Diener des Herrn betheuerten nur unter der Bedingung taufen zu können, dass dann die Kinder auch protestantisch werden müssten. Die Eitelkeit der Weiber überwand alle Bedenken und bekannte sich auf einmal zu den freiesten Grundsätzen, wohl unter dem geistlichen Vorbehalt, dass später der Katholizismus wieder in seine Rechte treten sollte.

Die erste Geburt an Bord werde ich nie vergessen. Dieser Fall war komplizirt mit Schwierigkeiten, die in keinem Lehrbuch der Geburtshilfe vorhergesehen sein dürften, und auch später knüpften sich an ihn einige Thatsachen, die in Bezug auf Psychologie und Kulturgeschichte nicht ohne Interesse sind. Es war eine vorzeitige Greisin von vierzig Jahren, Erstgebärende und Gattin eines Wittwers mit acht Kindern, die den Reigen unserer Volksvermehrung eröffnete, und die ich in einer unwirschen Sturmnacht kurz vor Madera ins Hospital schaffen musste.

Nicht nur die süsse Frucht unterm Herzen der pommerschen Hekuba äusserte ein intensives Widerstreben die schnöde Welt zu erblicken, auch die Elemente schienen sich verschworen zu haben, ihren Austritt aus dem holden mütterlichen Organismus zu hintertreiben. Das Rollen und Stampfen des Schiffs war so heftig, dass ich die chloroformirte Wöchnerin im Bett anbinden und mich selbst durch den Kapitän festhalten lassen musste, während der erste Offizier mit einer trüben Laterne leuchtete und zugleich das Chloroform handhabte. Mehr als drei Mann hatten nicht Platz vor der Koje. Ungefähr eine Viertelstunde lang wurden wir vier oder vielmehr fünf betheiligten Personen von dem Sturm hin- und hergeschleudert, wie ein Rattenkönig hartnäckig aneinanderhängend – da siegte endlich die Zange. Abgesehen von einer auch auf dem festen Lande ziemlich häufigen Beschädigung, die durch die Nähnadel wieder gut gemacht werden konnte, war die Operation ganz ausgezeichnet gelungen. Nicht blos der Vater wurde gerettet, womit so oft in schwierigen Fällen das Bewusstsein des Arztes sich trösten muss, auch die Mutter und der kleine Junge erfreuten sich des besten bis zum Schluss der Reise andauernden Wohlbefindens.

Dieser Triumph meiner Kunst zog mir indess den Hass des zärtlichen Gatten und Vaters zu. Er war nämlich in der angenehmen Hoffnung befangen gewesen, dass jene beiden zu Grunde gehen möchten, und sah sich nun getäuscht. Die Zeit stimmte nicht mit seiner Berechnung. Er hatte sich schon zu Hause scheiden lassen wollen, aber die Agenten hatten ihm gesagt, dass dies in Neuseeland viel leichter sei und viel weniger Umstände mache. Nachdem er vergebens mich zu bewegen versucht, ihm hierin bei seiner zukünftigen Regierung behilflich zu sein, wurde er mein erbitterter Feind, und später, als wir auf einer einsamen Insel in Quarantäne lagen, war er der Rädelsführer einer kleinen gegen mich gerichteten Rebellion. In solcher Art waren die Gemüther besaitet, mit denen ich zu wirthschaften hatte.

Aber auch von dem Lenker und Befehlshaber des Schiffes blühten mir Schwierigkeiten.

Die Anschauungen der Passagiere über Quantität und Qualität des ihnen verabreichten Proviants gaben zuweilen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kapitän und mir Veranlassung. Jene glaubten fast alle Tage, dass sie zu wenig zu essen bekämen, der Kapitän war stets der entgegengesetzten Ansicht. Wenngleich jene fast nie zufrieden zu stellen und ganz unglaubliche Massen zu vertilgen im Stande waren, auch zweifellos die Mehrzahl hier an Bord besser genährt wurde, als jemals früher in ihrem Dorf zu Hause, so konnte ich doch nicht jedesmal ihnen Unrecht geben. Meine antagonistische Pflicht, dem Schiff und seinem Führer gegenüber die Interessen der Neuseeländischen Regierung und ihrer Immigranten zu vertreten, gebot mir, vom Kapitän die genaue Befolgung der Instruktionen zu verlangen. Dies war ihm unangenehm, er schimpfte und schlug mit der Faust auf den Tisch, ich drohte, die Angelegenheit in meinem Journal niederzulegen, er schimpfte noch ärger und schlug zweimal auf den Tisch – aber die Passagiere erhielten was ich verlangt hatte. So trieben wirs beinahe die ganze viermonatliche Reise hindurch, nur dass später in der zweiten Hälfte derselben die Umstände etwas unangenehmer und die Wuthausbrüche heftiger wurden. Ein- bis dreimal wöchentlich dieselbe Komödie. In mein Journal ist niemals eine Klage gekommen, die blosse Drohung damit genügte.

Andrerseits war es jedoch nicht minder geboten, den Beschwerden gegenüber möglichst vorsichtig zu sein. Kaum war ich dem einen gerecht geworden, und kaum hatten andere gesehen, dass man sich nur an mich zu wenden brauchte, um ein Stück Fleisch oder Speck mehr zu erlangen, als auch gleich Alle kamen und klagten. Da kamen nicht nur Krapülinski und Waschlapski, Schubiakski und Schmieriumski mit Weib und Kind an Backbordseite im Gänsemarsch zu mir aufs Achterdeck anmarschirt, auch die Skandinavier wollten nicht zurückbleiben, und an Steuerbordseite erschien eine Prozession von lauter Nielsen, Christensen, Andresen und Johannsen, und jeder brachte seine Schüssel Salzfleisch, Sauerkraut und Bohnen mit, um sie mir zu zeigen.

Wenn es nun nicht blosse Unverschämtheit und Gefrässigkeit war, der die reichlich zugemessenen Rationen nicht genügten, und die ich energisch zurückweisen oder selbst strafen musste, so stellte sich bei näherer Untersuchung nicht selten heraus, dass man bereits einen Theil verzehrt oder bei Seite gelegt hatte, um mich zu täuschen. Die Skandinavier trollten sich in solchen Fällen beschämt von dannen und nahmen ihre Strafe als etwas Selbstverständliches hin. Die Polen aber, wenn ertappt, geriethen in Verzweiflung. Lautes Zetergeschrei und Schwüre der Unschuld erfüllten die Luft. Die Männer rauften sich in den Haaren, die Weiber rutschten mit ihren blärrenden Kindern auf den Knieen herbei, suchten mir Hände und Rockschoss zu küssen, Erbarmen flehend, obwohl es sich nur um die Entziehung der Bohnen oder des Sauerkrautes für einen Tag handelte.

Wir besassen leider kein Arrestlokal und überhaupt keinen hierzu verwendbaren Raum im ganzen Schiff, und so willigte ich denn einmal mit Widerstreben ein, dass der Kapitän einem Polen, der sich eine grobe Widerspänstigkeit gegen ihn hatte zu Schulden kommen lassen, Handschellen anlegte, um ihn so zum warnenden Beispiel auf zwei Stunden vor dem Grossmast an den Pranger zu stellen. Der Mann geberdete sich wie ein Wahnsinniger in seiner Wuth darüber, versuchte erst mit einem Messer sich in den Hals zu schneiden, und rannte dann voller Verzweiflung nach der Verschanzung, um über Bord zu springen, heftig mit den zwei Matrosen kämpfend, die ihn zu bewachen hatten. Die ganze Polakei bis zu den Säuglingen herab wurde rebellisch, kreischte und heulte, und das Deck bot einen Anblick, als ob ein ernstlicher Aufruhr ausgebrochen sei.

Täglich um 10 Uhr war Proviantausgabe. Die Passagiere waren in Tischgesellschaften von ungefähr je einem Dutzend Köpfen eingetheilt, jede solche Tischgesellschaft, »Back« genannt, hatte ihre Nummer, und der Proviantmeister wog vor Aller Augen die Rationen ab. Das konservirte Fleisch wurde in den Büchsen von bestimmtem Gehalt verabreicht, die Salzfleischportionen wurden mit Blechnummern versehen und über Nacht in einen grossen Bottich zum Auswässern gelegt.

Dieser Bottich machte uns viel Kummer. Bald fanden sich regelmässig Diebe ein und bestahlen seinen Inhalt. Ich entwarf nun eine Wachliste und stellte Posten davor hin. Aber die Posten schliefen ein, und am Morgen fehlten wieder etliche Fleischstücke, wie zuvor. Ich liess nun ein entbehrliches Schloss von einer Thür wegnehmen und an den Bottich befestigen. Nach zwei Tagen hatte der Proviantmeister den Schlüssel verloren, und als ein anderes Schloss angebracht war, wurde der Deckel aufgebrochen.

Diebstähle jeglicher Art gehörten überhaupt zur Tagesordnung. Es war, als ob bei der Beschäftigungslosigkeit unseres Gesindels das Bedürfniss nach Thätigkeit und Unterhaltung sich nur in dieser einen Richtung geltend machen wollte. Sie stahlen aus reinem Sport.

Trotz all dieser fast unaufhörlichen Widerwärtigkeiten meines Amtes boten mir die ersten zwei Monate der Reise doch viel Genuss, und ich habe mich während dieser Zeit nicht ein einziges mal gelangweilt. Eine der Hauptabsichten, die ich ins Auge gefasst, war, die Thiere des Meeres zu studiren, insbesondere jene Unzahl kleinerer Lebensformen, an denen die Salzfluth so reich ist, die zwar dem oberflächlichen Beobachter, weil unscheinbar, meistens entgehen, die aber gerade deshalb nur um so interessanter sind. Auf Dampfern, die rasch hindurch fahren, lernt man die See und ihren Reichthum nicht kennen. Nur auf Segelschiffen bietet sich hiezu Gelegenheit. Hauptsächlich aus diesem Grunde war ich auf die Euphrosyne gegangen.

Schon bei Biscaya hatte ich meine Schleppnetze ausgepackt. Aber lange wollte kein passendes Wetter zum Fischen kommen. Ich verlor die Geduld, und als wir eines Tages kaum eine Meile per Stunde machten, während die See noch ziemlich hoch ging, wagte ich den ersten Versuch.

Nach fünf Minuten war mein Netz abgerissen und verloren. Ich hatte den Fehler begangen, dem fachmännischen Urtheil des Kapitäns mehr zu glauben als es verdiente. Der Kapitän, gerade in guter Laune und beseelt von dem Wunsch, mit mir in gutem Einvernehmen zu leben, unterstützte mich in meinen zoologischen Bemühungen, so sehr sie ihm innerlich auch zuwider sein mussten. Ich legte ihm mein Netz, einen einfachen Sack aus sehr starkem Strammin an einem verzinkten eisernen Ring von ein halb Meter Durchmesser, und die Leine, welche den Ring an drei Strippen hielt, zur Prüfung vor und frug ihn, ob diese wohl den herrschenden Seegang aushalten würde. Er lachte über meine Besorgniss, und ich warf das Netz über Bord. Wie sehr staunte ich, als ich den gewaltigen Zug fühlte, den dieser kleine Körper dem Wasser entgegensetzte. Das Schiffshintertheil stampfte in Schwingungen von etwa drei Meter Bogenlänge auf und nieder, und jedesmal wenn es sich erhob, spannte sich die Leine bis zum Platzen, so dass ich sie kaum mehr halten konnte und ein gutes Stück auslassen und festschlingen musste, um rasch wieder einzuziehen sowie wir wieder hinabtauchten. Ein Dutzend mal hatte ich dieses beschwerliche und ermüdende Manöver vollzogen, da kam eine etwas gröbere Aufwärtsbewegung, ein leichter Knall, und ich hatte die leere Leine in der Hand, das Netz, noch etliche Sekunden hell durch das Dunkelblau der hinten hinwegrollenden Wogen schimmernd, verschwand in die Tiefe.

Von nun an war ich vorsichtiger, folgte mehr meinem eigenen Urtheil, nahm eine stärkere, gut fingerdicke Leine, und versuchte nur bei ganz ruhiger See zu fischen, wenn wir keine schnellere Fahrt als höchstens vier Knoten machten. Schon bei drei Knoten war Ein Mann allein kaum im Stande, das Netz wieder einzuziehen, und man musste immer dabei bleiben und loslassen wenn ein stärkerer Windstoss kam. Es musste dann überhaupt ziemlich viel Leine ausgesteckt werden, sonst fing das Netz, wenn es zu kurz gehalten war, an, über die Oberfläche des Wassers hinwegzutanzen, ohne etwas zu fangen. Ein grosser Missstand war, dass die Baumwollefäden des Strammins aufquollen, wodurch die Maschen verengt wurden und zu viel Widerstand boten. Ich würde deshalb in künftigen Fällen ein Geflecht aus anderem Material vorziehen.

Eines der ersten Thiere, welches mir aufstiess und mich im höchsten Grad überraschte, war ein Insekt, Halobates, ein Wassertreter, ganz ähnlich dem sehr gemeinen Hydrometra, der in unseren Teichen und Sümpfen mit gespreizten Beinen ruckweise auf dem Wasser spazieren geht. Ein Wassertreter, ein so kleines und zartes Wesen, mitten auf dem Ozean über die Wellen schreitend! Von den Kapverden bis einige Grade südlich vom Aequator an der brasilianischen Küste fand ich allenthalben dieses interessante, muthige Thierchen, und es fehlte fast nie im Netz. Noch weiter südlich wurde das Wetter auf lange Zeit zu unruhig, um das Fischen zu gestatten, und im Indischen Ozean erschien es nicht wieder.

Ich hatte sogar das Glück, Halobateseier in jedem Stadium, die ganze Entwickelungsgeschichte des Thierchens, zu erwischen. Im Netz fing sich häufig aller mögliche Unrath vom Schiffe mit, und einmal fand ich auch eine Vogelfeder darin, die sehr gebraucht aussah, so dass ich im Anfang dachte, einer unserer Passagiere habe damit seine Pfeife gereinigt und sie dann über Bord geworfen. Bei näherer Betrachtung aber entdeckte ich, dass sie mit einem hellen Schleim überzogen war, in dem röthliche bis schwärzliche Körperchen steckten. Ich legte einen Theil davon unter das Mikroskop, und siehe da, die Körperchen waren fötale Halobatesindividuen, vom nahezu unentwickelten Ei bis zum vollständig ausgebildeten, sich bereits lebhaft bewegenden Thier von Stecknadelkopfgrösse, das ebenso wie sein Süsswasserbruder bei uns keine Metamorphose durchmacht. Leider ist mir gerade jenes Spiritusglas, in welchem ich die kostbare Feder verwahrte, später in Neuseeland, während ich einige Wochen abwesend war, zerbrochen worden. Ich habe sie zwar abermals in Spiritus gesetzt und nach Hause gebracht, aber als einmal vertrocknet wird das Präparat kaum mehr zu brauchen sein.

Nicht minder merkwürdig, wenn auch minder überraschend, da sie nicht unerwartet kamen, waren mir die Pteropoden, jene eigenthümlich gestalteten Schnecken, welche in den frühen Morgenstunden schaarenweise an die Meeresoberfläche emporzusteigen pflegen, um mit dem Erscheinen des Tages wieder in die Tiefe zu tauchen. Doch fing ich deren auch an trüben Nachmittagen und nie mehr als ein Dutzend auf einmal.

Man darf sich unter diesen »Flügelfüssern« keine Schnecken im gewöhnlichen Sinn des Wortes vorstellen. Ihre Gehäuse, sofern sie überhaupt eines besitzen und nicht ganz nackt sind, haben die verschiedensten Formen, nur keine Schneckenform, sie sind bald glashelle, bald wie Emaille glänzende, braun bis bläulich gefärbte Düten, einfach oder mit 3 bis 4 Stacheln besetzt, glattgewölbt oder kantig, drehrund oder plattgedrückt, mit einer freien oder lippenartig zusammengepressten Oeffnung, aus welcher die Thiere blos ihren zu förmlichen Flügeln oder Flossen umgebildeten Fuss strecken, um damit im Wasser herumzuflattern ähnlich eben flügge gewordenen Vögeln. Wenn ich sie aus dem Netz in einen Glastopf oder in meine weisse Waschschüssel setzte, lagen sie erst wie betäubt einige Minuten regungslos auf dem Grunde. Viele wurden, wahrscheinlich durch die im Netz erlittene Quetschung getödtet, nicht wieder lebendig, andere aber fingen bald an, langsam und allmälig aus dem Gehäuse ihre Flügel herauszustrecken und leise sie auf und nieder zu heben. Bei den meisten blieb es bei diesen schwachen Versuchen, in die Höhe zu fliegen. Einige jedoch, weniger bedeutend verletzt, bewegten sich immer rascher, stiessen sich ab vom Boden, stiegen, emsig flatternd, ruckweise immer höher, bis sie zuletzt an der Oberfläche des Gefässes herumhüpften, nach einigen Sekunden, wie um auszuruhen, wieder hinabsinkend und dann das Aufwärtsstreben von Neuem beginnend.

Es gewährte mir ein unschätzbares Vergnügen, diese kleinen kaum zentimeterlangen Geschöpfe zu beobachten, und ganze Nächte fischte ich oft, durchsuchte mit der Blendlaterne mühselig das Netz und besah meine Beute drunten auf dem Tisch der Kajüte beim Lampenlicht. Wie paradox klingt es, von Schnecken zu hören, die im Wasser herumflattern gleich jungen Vögeln, die ihre ersten Fliegversuche machen. Später auf der Viti-Insel Kandavu sollte ich noch eine Muschel von 3 Zentimeter Länge kennen lernen, die ebenfalls im Glase stossweise herumfuhr, so dass ich sie anfänglich für einen zweischaligen Krebs hielt. Es war eine Lima.

Auch Janthinen fing ich zuweilen, aber immer nur junge, nicht ausgewachsene Individuen. Es sind dies jene bekannten pelagischen Schnecken mit zartem blauem Gehäuse, welche sich aus Luftblasen, die sie durch eine schleimartige Absonderung zusammenkleben, einen Schwimmapparat bereiten. Dieser Schwimmapparat, der auf den ersten Blick aussieht, wie ein Häufchen Schaum und an der stets nach oben gerichteten Bauchseite des Thieres sitzt, ist merkwürdig widerstandsunfähig. Geht er verloren, so sinkt die Schnecke unter und kann die Meeresoberfläche nicht wieder erreichen. Bei allen Janthinen, die ich fing, war derselbe durch den Zug des Netzes mehr oder minder verletzt. Einige fielen in der Schüssel zu Boden und lagen regungslos und in die Schale zurückgezogen unten, ohne einen Versuch zu machen, in die Höhe zu kommen. Andere aber, deren Schwimmapparat sie noch trug, gingen sogleich daran, ihn auszubessern. Mit dem vorderen lappenartig verlängerten Theil ihres Bauchfusses griffen sie aus dem Wasser heraus in die Luft, umfassten wie mit einem Schöpflöffel einen Lufttropfen und drückten ihn an den noch vorhandenen Schaum. Zogen sie den Fuss dann wieder zurück, um dieselbe Bewegung zu wiederholen, so war eine neue Blase angefügt. So schöpften sie Blase um Blase aus der Luft, alle 5 oder 10 Sekunden eine.

Ich würde bedenklich scheitern, wollte ich alle die Lebensformen zu beschreiben versuchen, die oft ein einziger Zug des Netzes mir vor Augen brachte. Wie wimmelte es oft in der Waschschüssel oder im Glastopf von Krustern, Salpen und Quallen, kein Thier länger als höchstens drei Zentimeter. Namentlich erstere lieferten die grösste Anzahl an Individuen und manchmal auch an Arten. Blaue Zyklops- und Gammarusartige Krebse schossen kreuz und quer stürmisch herum, kleine röthliche Garneelen mit grünlich leuchtenden Augen zogen, an einander geklammert, rastlos ihre Kreise, winzige Krabben von Erbsengrösse mit komisch glotzenden unverhältnissmässigen Augen krabbelten bedächtig am Boden, und vollkommen durchsichtig und glashell, nur durch den leichten Schatten, den sie warfen, erkennbar, schlichen gespensterhaft groteske Phyllosomen, die Jugend des Palinurus, oder die seltenere Kaprella durch das Gesindel der gemeinen Verwandten. Man musste rasch nach dem Werthvolleren sich umsehen und es retten. Denn die Garneelen und Zyklopoiden verschonten nichts, und kaum lag ein Fischchen oder eine Salpe todt auf dem Grunde, so hingen sie auch schon dutzendweise daran und frassen. Und hat so ein nichtsnutziger kleiner Krebs einmal etwas erfasst, so lässt er nicht mehr los, und alles Herumstossen und Zerren ist vergeblich.

Fast alle diese Thierchen leuchteten. Schon im Netz, oben auf Deck in der Dunkelheit, verriethen sie sich durch geheimnissvoll phosphoreszirende grünliche Punkte. Es leuchteten die Augen der kleinen Garneelen, die Salpen und Quallen, besonders aber die sehr häufigen formlosen Schleimklümpchen, welche vielleicht Noktiluken waren. Selbst unten in der Kajüte beim Lampenlicht verloren sie ihre Phosphoreszenz nicht vollständig, sondern leuchteten etwas schwächer fort.

Sehr unangenehm war die Gegenwart von Physalien. Wir waren zuweilen Tage lang umgeben von Tausenden junger, kaum wallnussgrosser Individuen dieser nesselnden Quallen, und auch sie wurden dann regelmässig als unwillkommene Beigabe gefangen. Das kleinste abgerissene Partikelchen ihrer blauen Anhängsel, das man kaum sah, genügte, die Hand empfindlich zu stechen, wenn ich die Falten des Netzes durchsuchte. Unter den Seeleuten plaudert einer dem anderen nach, dass solche Berührungen äusserst gefährlich, zuweilen sogar tödtlich seien. Wenn dies auch nicht der Fall ist, so hinterliessen sie doch auf einige Stunden ein höchst lästiges intensives Jucken nebst Röthung und quaddelförmiger Schwellung der Haut.

Nur im Anfang fischte ich häufiger während des Tages, später fast nur mehr bei Nacht. Ich fand bald, dass während des Tages, wenn die Sonne glühend herabbrannte, ausser Wassertretern und Janthinen, kleinen Fischchen und Salpen nicht viel zu erwischen war. Bei Tage wurde auch immer zu viel über Bord geworfen, und Proben von den Abfällen des Schiffes geriethen ins Netz, wenn man nicht fortwährend Acht gab.

Allerdings waren die Schwierigkeiten bei Nacht um so grösser. Es war zuweilen nicht leicht, auf dem fast stets langweilig hin und her schwankenden Achterdeck das Netz zu durchsuchen, in der einen Hand eine schlechtbrennende Diebslaterne, die man nicht hinstellen durfte, weil sie sonst umfiel, mit der anderen Hand zugleich den nicht minder gefährlichen Glastopf beschirmend, in kauernder Stellung und in beständigem Kampf mit dem Rollen unserer Euphrosyne, welches auch bei der ruhigsten See niemals ganz aufhörte.

Erst wenn es dunkel und kühl wurde, kamen mehr Thiere an die Oberfläche, und besonders in der allerersten Frühe vor Sonnenaufgang erhielt ich die reichste Beute. Gar oft sah mich der roth hinter den Wolkenbänken des Horizonts heraufdämmernde Morgen noch bei der Arbeit.

In der Stimmung solcher Stunden lag so viel Erfrischendes und Poesievolles. Träge wälzte die See ihre bleigrauen Wogen und schaukelte leise das Schiff, über dem noch tiefe Ruhe lag. Allmälig regte sichs in den unteren Räumen. Der Zimmermann fing an zu arbeiten und feilte an seiner Säge, und das schrille Geräusch rief Erinnerungen an so manche Ferientage, die ich zu Hause auf dem Lande verlebt, in mir wach. Die Sonne blitzte über das Meer. Ich zog meine Netze ein und ging zu Bett.

Die Seeleute hatten von ihrem Standpunkt ganz recht, wenn sie mich auslachten. Fing ich ja nie etwas was man essen konnte. Gleichwohl wunderten sie sich, dass es im Meere, auf dem sie schon zwanzig Jahre herumfuhren, so viel »Ungeziefer« gebe. Thiere, die kleiner sind als einen Fuss, existiren dem durchschnittlichen Jan Maat, dem schlechtesten Beobachter in naturhistorischen Dingen, den ich kenne, nicht. Als ich auf einer meiner ersten Seereisen einmal zwei ganz gewöhnliche Quallen, von denen im Sommer jeder Hafen wimmelt, in ein Glas geschöpft hatte, fragte mich mein alter Kapitän, was denn das für komische Dinger wären, die er niemals gesehen.

Viel weniger glücklich als mit dem Netz war ich mit der Angel. Ich hatte mich mit Angelhaken jeder Sorte ausgerüstet, und meine ganze Kammer hing voll von Angelzeug verschiedener Grössen. Aber bis auf drei Haie und später im Indischen Ozean zwei Dutzend Albatrosse habe ich nie etwas damit gefangen. Auch hierbei lernte ich den negativen Werth der Rathschläge unserer Seeleute schätzen. Jeder von ihnen wollte bereits unzählige Makrelen, Bonitos und Delphine geangelt haben, jeder wollte mir zeigen, wie man es mache, jeder auf eine andere Methode, und nur der Proviantmeister schien den richtigen Bescheid zu wissen, indem er schwor, alle Fische, die ich erwischte, lebendig mit Haut und Haaren zu fressen.

Einmal als wir ganz ruhig lagen, kam ein Rudel fliegender Fische so nahe ans Schiffshintertheil geschwommen, dass ich sie deutlich von oben beobachten konnte. Das Meer war spiegelglatt, die Sonne glitzerte blendend darauf, kein Laut als das Klappern der Segel regte sich weit und breit. Die Passagiere lagen herum und träumten.

Etwa zehn oder zwölf fliegende Fische schwänzelten zierlich neben dem Steuer unten heran, dicht neben einander sich haltend, hie und da einer die langen Flossen spreizend wie ein Kanarienvogel, der im Käfig den Flügel dehnt, um sich daran zu kratzen. Plötzlich schwirrt der vorderste in die Luft, und die anderen folgen ihm. Ich höre deutlich das Plätschern des abtropfenden Wassers und das Geräusch ihres Fluges, welches an fliegende Heuschrecken erinnert. Nach einiger Zeit kamen sie zurück. Ich warf ihnen kleine Stückchen Speck zu, die sie, sich zankend und beissend, verschlangen, endlich versuchte ich es auch mit einer feinen Angel. Der Köder war ihnen entschieden verführerisch. Wiederholt schnupperten sie an ihm herum, wandten sich ab, schnupperten wieder, spreizten gereizt die langen Flossen und streckten sich lüstern vor. Ich befestigte glitzernde Stanniolblättchen über dem Speck, ich nahm Fleisch, ich nahm Käse – alles umsonst. Sie schnupperten vorsichtig und lange daran herum, aber keiner biss. Ich holte nun meine Pilke, einen schweren Nagel an einer Leine, um den rings Angelhaken gebunden sind, jenes Instrument, mit welchen die Kabeljaufischer auf den Neufundlandbänken durch Anreissen einzelne Kabeljaus aus den Schwärmen herauszuhaken pflegen. Kaum liess ich vorsichtig die Pilke hinab, als die ganze Gesellschaft aus dem Wasser raschelt und hinwegschwirrt wie ein Heuschreckenschwarm. Fort waren sie und kamen nicht wieder.

Oft sollen fliegende Fische auf das Deck oder in die Rüsten von Schiffen fliegen. Unsere Euphrosyne war aber hierzu, weil leicht geladen, zu hoch, und nie gerieth ein fliegender Fisch auf diese Weise an Bord.

Ebenso vergeblich wie das Angelzeug hatte ich eine Harpune mitgenommen. Es glückte mir nie, einen Tümmler damit zu erbeuten. Die Euphrosyne ragte auch hierzu zu weit aus dem Wasser. Selbst einer unserer Matrosen, der im Harpuniren ziemlich erfahren und geschickt zu sein schien, hatte nicht mehr Erfolg.

Das Harpuniren dürfte überhaupt zu den schwierigeren Arten des Sports gehören. Man stellt oder setzt sich auf die beiden untersten Ketten, welche vorne vom Stampfstock unter dem Bugspriet nach den Krahnbalken auseinanderlaufen, mit der Brust an den Stampfstock gelehnt, in der Linken einige schwerwiegende Buchten Tau, in der Rechten den nicht minder gewichtigen drei Meter langen Schaft der Harpune. Will man nicht riskiren, ins Wasser zu fallen, so bindet man sich noch eine Tauschlinge um den Leib, büsst aber dafür diese relative Sicherheit mit einer sehr fühlbaren Erschwerung der ohnehin schon ziemlich unbequemen und belasteten Situation. Oben auf Deck stehen einige Mann bereit, das Tau der Harpune einzuziehen, sobald man geworfen hat. Gewöhnlich erscheinen Tümmler nur bei unruhiger See. Das Schiff stampft auf und nieder, der Schaum, den der in rascher Fahrt durchschneidende Kiel aufwühlt, spritzt hoch empor, man balanzirt mühselig mit seiner Last hin und her.

Nun kommen die Fische. Schon von Weitem haben wir eine lange Schaar von Hunderten auf uns zusteuern sehen, in mehreren Reihen einer hinter dem anderen lustig sich über die Wellen vorwärtswälzend. Kaum dass wir unter das Bugspriet geklettert und mit Harpune und Tau klar zum Gefecht sind, spielen sie auch schon zu unseren Füssen vor dem Kiel herum. Links und rechts eilen sie voran, springen im Bogen empor, schiessen deutlich sichtbar im Wasser fort, kehren zurück, tauchen unter dem Schiff von einer Seite zur anderen und kreuzen sich vor dessen Steven, nach allen Richtungen aufschnellend, übereinander purzelnd und plumpsend gerade senkrecht unter dem Stampfstock, auf dessen Kette ich stehe.

So oft ich auch warf, ich habe nie einen Tümmler getroffen. Meine Harpune fiel langsamer hinab, als sie vorüber schossen, und jeder vergebliche Wurf schien ihre Fröhlichkeit zu vermehren. Zu zweit und zu dritt springen sie manchmal nahe zu mir herauf, dass ich sie fast in der Luft hätte spiessen können, und deutlich hörte ich oft das tönende Geräusch, mit dem sie die feuchte Athemluft aus den Nasenlöchern schnaubten. Es klang mir wie ein höhnisches Johlen.

Bei den Kapverden fing ich meinen ersten Haifisch. Der Mann am Steuer war instruirt, mir zu melden, sobald sich ein solcher zeigen würde. Die Haifischangel, ein fusslanger und schwerer Haken von zehn Zentimeter Bogendurchmesser, mit Kette und einem Wirbel am Ende derselben, an dem sie sich frei drehen konnte, war bereits seit mehreren Tagen mit einem kindskopfgrossen festgebundenen Stück Speck versehen und hing fertig hinten am Bollwerk.

Wir sassen gerade bei unserem kärglichen Mittagsmahl, als der Ruf »Hai achterut« ertönte. Das langweilige Salzfleisch konnte jetzt warten, ich eilte hinaus. »Der Hai ist nach vorne gegangen«, sagte der Mann am Steuer, »er wird aber jedenfalls zurückkommen.« Ich nehme das nächste Tau, das zu Buchten gerollt in der Nähe liegt, stecke es durch die Oese des Wirbels der Angelkette, schlinge einen kunstgerechten Knoten, und die Angel fliegt plumpsend ins Wasser.

Dieser lauten Einladung konnte unser Hai nicht widerstehen. Wir warten keine Minute und er erscheint. Da rechts taucht seine lange spitze Rückenflosse aus der blauen Fläche. Er kommt langsam näher. Jetzt ist auch sein Körper zu erkennen, es ist ein Prachtexemplar, wohl drei Meter lang. Gemessen und würdevoll, als ob ihn der Köder eigentlich gar nicht recht interessire, schwimmt er heran, majestätisch sich wendend, kaum merkbar die gewaltigen Brustflossen bewegend. Er taucht tiefer hinab und je tiefer er geht, desto herrlicher braun färbt ihn der grünliche Glanz des Wassers. Er taucht wieder in die Höhe, und siehe, dicht vor seiner spitzen Schnautze, dicht vor dem unersättlichen Rachen schwimmen geschäftig und zierlich schwänzelnd vier kleine quergeringelte Lootsenmännchen, je nachdem der Hai sich wendet, bald ober ihm, bald vor ihm.

Der Köder scheint übrigens doch nicht so ganz verächtlich zu sein. Der Hai fasst den Speck ins Auge, beschnuppert ihn und wendet sich ab. Er kehrt in einem langsamen Bogen, ohne seiner Würde durch Eile etwas zu vergeben, zurück und beschnuppert wieder den Köder, diesmal aufmerksamer. Ich halte oben das Tau, dessen Ende festgemacht ist, und mir pocht das Herz vor Freude. Welch aufregendes Vergnügen, ein so riesiges Thier an der Angel zu fühlen.

Hinter mir stehen ein halb Dutzend Matrosen, um das Tau einzuholen, sobald der Hai angebissen hat. Plötzlich dreht das Ungeheuer sich auf den Rücken, die helle Bauchseite zeigend, ein mächtiger Ruck, und mit einem wilden Halloh ziehen wir ihn in die Höhe, er zappelt an der Angel. Aber gemach! Leicht kann er abreissen. Nur mit dem Kopf aus dem Wasser gezogen, krümmt er sich wüthend und schlägt und stampft, und schäumender Gischt, wie von den Schlägen einer Dampferschraube, wühlt empor. Ein zweites Tau, in einer Schlinge um das erste gelegt, wird hinabgelassen, stülpt sich ihm um den Kopf, wir hissen ihn ein wenig höher und suchen die Schlinge über die gewaltigen Brustflossen hinabzubringen. Sie gleitet drüber weg und bis zum Schwanze hinab, sie wird angezogen. Jetzt haben wir ihn doppelt gefasst, er kann uns nicht mehr entgehen, so sehr er sich auch krümmt und zappelt und sich bäumend um seine Axe dreht. Wir wollen ihn nicht auf das enge Achterdeck bringen, sondern längsseits schleppen und auf das Hauptdeck niedersetzen.

Im ganzen Schiff hat sich bereits die Kunde des Ereignisses verbreitet, und das ganze Zwischendecksgesindel, barfüssige Kinder, säugende Weiber, pfeifenrauchende Männer, läuft aufgeregt und stürmisch sich vordrängend durcheinander oder klettert in die Wanten und auf die Deckhäuschen. Noch ist der grosse Fisch nicht über dem Horizont des Bollwerks erschienen, und alle strecken erwartungsvoll die Hälse und recken sich auf den Zehen.

Ein paar Offiziere brüllen, Platz zu machen, die Matrosen ziehen heulend an den Tauen, der grosse Fisch kommt herauf und in Sicht, hoch in der Luft noch immer sich krümmend und um sich schlagend. Ein allgemeines Ah des Erstaunens, die Vordersten drängen furchtsam zurück, die Hintersten neugierig vorwärts. Ein paar halberdrückte Weiber fangen an zu schreien, und ein paar Männer zu schimpfen. Die Offiziere hören nicht auf zu brüllen, und das Getümmel vermehrt sich. Nur der Haifisch ist im Stande Platz zu schaffen. Er wird niedergelassen, und man weicht entsetzt vor seinen Schlägen zurück.

Der Matrose ist bekanntlich ein erbitterter Feind des Haies. Die Behandlung, die sich unser Opfer nun gefallen lassen musste, war dementsprechend grausam genug. Es galt zunächst den gefährlichen Schwanz abzuhacken. Man schiebt ein Brett unter, um nicht mit dem Beil das Deck zu verletzen, aber immer wieder schnellt sich das Ungethüm hinweg, sowie der Bootsmann zum wuchtigen Hieb ausholt. Mit einem Pfahl machte man ihn endlich gefügig. Er wurde ihm in den gähnenden Rachen gestossen und mit vereinten Kräften der Länge nach durch den Leib getrieben, um ihn so an dieser festen Axe zu bändigen. Der Schwanz fällt, lange noch auf eigene Faust zuckend und hüpfend, und das Volk der Matrosen wirft sich blutgierig mit Messern über den Wehrlosen, ihn förmlich zu zerfleischen. So scheint es die richtige Seemannsart vorzuschreiben, und auch unsere Jungen beeilten sich, ihre messerbewaffneten Hände zum ersten mal in das Blut des Erbfeindes zu tauchen.

Etwa fünfzig lebende Junge mit frei endigenden Nabelschnüren kamen ans Tageslicht. Der Magen, den ich mir zur Untersuchung ausbat, enthielt nichts als mehr oder weniger verdaute Reste von Sepien und deren papageischnabelartige Gebisse. Der Hai war also durchaus nicht üppig genährt, wie ich aus seinem Vornehmthun dem Speck gegenüber erwartet hatte. Ein paar Schmarotzerkrebse, die ich ihm aus der Haut schnitt, waren die einzige aufhebenswerthe Beute, die er gewährte. Ich versuchte zwar sein Gebiss zu präpariren, gab es aber auf, nachdem ich zwei Messer daran verdorben, meine Hände vielfach an den halbversteckten Zähnen verletzt und mit dem spezifischen widerlichen Geruch des Haifischfleisches verunreinigt hatte.

Die vier Lootsenmännchen blieben noch den ganzen Tag beim Schiff. Sie schienen ihren Hai lebhaft zu vermissen und schwammen ängstlich und aufgeregt um uns herum, eine nach ihnen strebende feine Angel gänzlich ignorirend. Den nächsten Morgen waren sie verschwunden. Welch bizarres Räthsel der Natur, diese Anhänglichkeit und Freundschaft zwischen zwei so verschiedenartigen Wesen.

Der erste Hai von drei Meter Länge war auch der letzte grösseren Kalibers auf der ganzen Reise, den wir an Bord bekamen. Er hatte die schwere, eiserne Angel gerade gebogen, es gelang mir nicht, die richtige Krümmung wieder herzustellen, und der nächste Hai, der bald darauf anbiss, machte sich los ehe wir ihm eine Schlinge um den Schwanz legen konnten.

Später fing ich noch ein sehr jugendliches Individuum mit einer gewöhnlichen Lachsangel. An diesem sass ein ebenfalls sehr jugendlicher Saugefisch. Merkwürdiger Weise kamen uns überhaupt auf der ganzen langen Reise mit ihren vielen windstillen und heissen Tagen nur etwa sechsmal Haie in Sicht.

Wir waren in jenen Tagen der Windstille fast immer in Gesellschaft einiger anderer Segelschiffe, die theils nur eben über dem Horizont sichtbar wurden, theils aber auch zuweilen so nahe kamen, dass wir mit ihnen Flaggensignale wechseln konnten. Wir hissten zum Zeichen, dass wir sprechen wollten, unsere deutsche Flagge, drüben stieg dann die englische, französische, spanische oder portugiesische Flagge in die Höhe. Hierauf tauschten wir die Schiffsnamen, Heimathshäfen, Bestimmungsorte aus und die Länge und Breite, die jeder berechnet hatte. Alles durch die 24 Buchstaben des internationalen Signalkonversationsbuches.

Wir fuhren auf einer Strasse, die sich in allen möglichen Richtungen spaltete, und auf der alle möglichen Schiffe passirten. Sie kamen sämmtlich von Europa oder Nordamerika. Der Rückweg dorthin lag weiter östlich. Da waren Schiffe von London nach Kapstadt, Kalkutta und Melbourne, von Lissabon nach Rio-de-Janeiro, von New-York nach Bahia, nach Montevideo und San Franzisko.

Zum Schluss solcher Unterredungen wünschten wir glückliche Fahrt und dippten höflich dreimal die Trikolore zum Grusse. Manchmal liessen wir uns auch auf längere Gespräche ein. Wir suchten alle möglichen Fragen aus dem Signalbuch zusammen, die für die Gelegenheit passten, so zum Beispiel des Morgens, wenn wir uns noch immer neben einander sahen, »Haben Sie gut geschlafen?« »Wie geht es Ihnen?« oder »Haben Sie Kranke an Bord?« »Ist Ihr Proviant von guter Beschaffenheit?« und ähnliche Dinge, die zwar an sich nicht besonders interessant, uns doch die angenehme Unterhaltung gewährten, uns im Signalisiren zu üben und ihre Antworten oder Gegenfragen im Buch nachzuschlagen und zu erwidern. Einige hatten nicht immer die Geduld, uns Rede zu stehen. Andere aber waren sehr artig und gaben uns schmeichelhafte Aeusserungen zurück. So namentlich eine französische Bark aus Bordeaux, die nach Mauritius wollte. Zwei oder drei Tage lagen wir mit ihr zusammen und trieben. Da kam am Abend etwas Wind, und am Morgen darauf war sie verschwunden. Aber den nächsten Tag hatten wir wieder Stille und ganz nahe lag wieder eine Bark, ganz ähnlich unserm Franzosen. Wir zweifelten keinen Augenblick, dass er es sei und begrüssten ihn sofort mit unserer Flagge. Auch er hisste die seine. Wir konnten sie zwar nicht deutlich erkennen, weil sie bei der regungslosen Luft nicht auswehte und auch das Konversiren wollte heute nicht recht gehen, da die Signale schlaff herabhingen.

Ich bat den Kapitän um ein Boot und vier Mann, um hinüberzufahren und einen Besuch zu machen. Die Jolle wurde hinabgelassen, der Sitz am Steuer hinten zierlich mit buntem Flaggentuch belegt. Vier Matrosen zogen frischgewaschene Hemden an, ich selbst schmückte mich wieder zum erstenmal nach längerer Zeit mit einem gesteiften Hemdkragen, um repräsentabel zu erscheinen, und wir stiessen ab.

Der Franzose lag etwa drei Seemeilen von der Euphrosyne entfernt. Die vier Burschen hatten fast eine Stunde zu rudern, die Sonne stach grell herab, und der Schweiss rieselte ihnen von der Stirne. Das blaue Wasser war spiegelglatt, und fast trübe von Millionen kleiner Thiere, Krebse, Salpen, Quallen und Schleimklümpchen. Eine sanfte lange Dünung hob und senkte das Boot, und unsere Euphrosyne lag, nur leise den Klüverbaum auf und nieder bewegend, so seltsam starr wie ein Kastell und so einsam und verlassen aus der Fläche emporragend auf dem Meere, die Zinnen des Bollwerks und die Wanten gedrängt voll von den neugierigen Köpfen der Passagiere, die uns mit Taschentüchern nachwinkten. Kleine Sturmvögel flogen lautlos hin und her, und eine zauberhafte Ruhe schwebte über dem glitzernden Spiegel.

Die Bark wurde grösser und deutlicher, die Flagge wurde erkennbar – es war kein Franzose, sondern ein Portugiese. Einige Gestalten mit Ferngläsern beobachteten unsere Annäherung. Wir legen längsseits an, ich grüsse mit dem Hute hinauf, mein Gruss wird erwidert, man reicht mir eine Jakobsleiter herab, und ich klimme an Bord.

Der Kapitän, ein noch junger Mann, südlich gebräunt und schwarz bebartet, in weissen Hosen und weisser Jacke, auf dem Kopf einen Strohhut, empfängt mich etwas verlegen und überrascht, und wir schütteln Hände. Ich stelle mich auf Englisch, ich stelle mich auf Französisch vor. Meine höflichen Geberden werden ebenso höflich zurückgegeben, aber meine Worte finden kein Verständniss. Die Verlegenheit steigt. Ich habe die Kühnheit, auf Spanisch zu fragen, ob er Spanisch spreche, ohne zu bedenken, dass mit dieser Frage, welche er freudig bejaht, mein Spanisch eigentlich bereits erschöpft ist, und ohne zu merken, dass alle weiteren meinerseits darangeknüpften Redensarten eigentlich Italienisch sind. Keine Möglichkeit, mich verständlich zu machen. Ich werde nun selbst verlegen. Zwei zivilisirte Menschen aus Europa stehen wir einander gegenüber, fern der Heimath auf dem Atlantischen Ozean, nach den Mienen zu schliessen, einander äusserst wohlwollend gesinnt, aber wir können uns nichts sagen, am meisten unangenehm mir, der ich ganz unmotivirt auf das fremde Schiff gekommen war.

Das Wort »Mediko« schien endlich das Räthsel zu klären, es zuckte wie ein Lichtstrahl in seinen Augen, er lud mich ein, in die Kajüte zu treten. Das Innere war vollgestaut von Ladung, von Fässern und Säcken. Mein Portugiese kramt hastig unter einem alten Segel, auf welchem zwei Katzen schliefen, die ärgerlich über die Störung davontrollen, eine staubbedeckte Kiste hervor, schickt nach dem Schlüssel, der Schlüssel erscheint, er öffnet und zeigt mir den Inhalt, eine Menge durcheinander geworfener Töpfe, Gläser und Schachteln, Pillen, Salben und Tinkturen, mit einer Handbewegung, ich möge nehmen, was ich wolle. Es war die nicht sehr ordentlich gehaltene Medizinkiste des Schiffes. Er glaubte, ich sei um Medikamente zu ihm gekommen.

Grosses Erstaunen auf meine Geberde dankender Ablehnung. Wir zucken abermals verlegen die Achseln und lächeln mitleidig über uns selbst ob unserer Hilflosigkeit. Wir blicken gleichzeitig zu Boden auf unsere gegenseitigen Füsse – er hat Hausschuhe aus Glanzleder an – wir schweifen mit unseren Blicken über die vollgestaute Kajüte, und treffen gleichzeitig auf einer Flasche Portwein, die auf dem Tisch steht, zusammen. Hier kömmt ihm der erste vernünftige Gedanke. Eine Handbewegung seiner-, ein anerkennendes Neigen des Kopfes meinerseits. Zwei Gläser werden gebracht, er schenkt ein, wir stossen an und trinken.

Aeusserst froh, noch einen so günstigen Abschluss meines räthselhaften Besuches gefunden zu haben, hielt ich es jetzt gerathen, mich zurückzuziehen. Ich dankte ihm, erhob mich, deutete auf meine Uhr, dass es höchste Zeit sei, und wir traten auf Deck. Als ob der Wein ihm die Zunge gelöst, fing mein freundlicher Portugiese auf einmal an, mir unter verbindlichen Geberden eine längere portugiesische Rede zu halten, von der ich kein Wort verstand, wenn ich auch nicht anders konnte, als ihm geduldig zuzuhören.

Dies gab mir eine erfreuliche Gelegenheit, sein höchst interessantes Schiff flüchtig zu mustern. Das Deck trug eine malerische Unreinlichkeit zur Schau. Ein halbes Dutzend Schweine trieb sich unter einem ganzen Dutzend halbnackter bräunlicher Matrosen mit phrygischen Mützen auf den Köpfen herum. Vorne hingen zwei grosse Kochtöpfe über einem offenen Feuer und in der Takelage sassen vollkommen frei einige hübsche weisse Tauben, gurrten miteinander und flogen von einem Tau zum anderen, eine reizende Idylle mitten auf hoher See.

Auf dem Rückweg benutzte ich eine der vielen Pausen, die meine Leute machten, um vom Rudern auszurasten, entkleidete mich und stürzte ins Meer. Aber die Furcht vor Haifischen verdarb den Genuss dieses einzigen Bades, es gruselte mir, und ich schwang mich bald wieder ins schützende Boot.

Als wir einige Tage später Wind bekamen, allerdings keinen günstigen, sondern Gegenwind, der uns zu kreuzen zwang, erlebte ich ein recht charakteristisches Symptom der Unsicherheit, die in der Nautik zu herrschen pflegt. Wir waren noch sehr weit von der brasilianischen Küste entfernt, das wussten wir, und die mit uns segelnden Schiffe wussten es hoffentlich ebenfalls. Aber keiner von diesen schien viel Selbstvertrauen auf das eigene Besteck zu haben. Denn so oft wir wendeten, wendeten auch sie und segelten gleichen Kurs. Keiner hatte den Muth auf eigene Faust zu steuern. Mein Kapitän sagte mir, es sei immer so, wenn mehrere Schiffe zusammenkämen. Wie die Schafe gingen alle einem Leithammel nach, und zwar gewöhnlich dem grössten Schiff, weil dieses aller Wahrscheinlichkeit nach am besten ausgerüstet und in den besten Händen sei, und demzufolge den Weg am besten verstehen müsse.

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Seeleute sagen »Logies«, nicht »Loschie«.

Reise durch den Stillen Ozean

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