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Das schöne Mädchen

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Als Pommes am Donnerstag letzter Woche mittags von der Schule heimkam, war er sichtbar schlechter Laune. Die Spötteleien waren heute wieder besonders grässlich gewesen. Die Mädchen hatten ihm hinterher gerufen:

„Watschelente, Watschelente, Watschelente,“, denn Pommes ging nicht so leichtfüßig wie die anderen daher, sondern hatte einen eher watschelnden Gang, weil er so viele Pfunde mit sich herum schleppte. Aber das mit der Ente hatten sie noch nie gerufen und er fand diesen Ausdruck abscheulich. Wortlos und mit mürrischer Miene setzte er sich an den gedeckten Tisch.

Nachdem er seine geliebten Pommes frites und dazu eine große Portion Mayonnaise verspeist und zwei große Gläser Cola getrunken hatte, verzog er sich verdrossen in sein Zimmer zurück. Er hatte die Tür so geräuschvoll zugeworfen, dass die Mutter erschreckt zusammen gezuckt war, denn sie machte sich Sorgen um ihren Sohn.

Nach einer Stunde kam Pommes wieder zum Vorschein und schnappte sich vom Schlüsselbrett im Flur den Schlüssel für das kleine mit roter Farbe angestrichene Holzhäuschen. Es stand auf ihrem großen Grundstück hinter dem Haus am Rande einer Wiese. In dem alten fensterlosen Schuppen waren die Fahrräder und einige aussortierte Sachen untergebracht, die im Haus keinen Platz mehr hatten.

„Was hat du dann jetzt noch vor?“ fragte ihn die Mutter erstaunt, als sie ihren Sohn mit dem Schlüssel in der Hand skeptisch begutachtete. Was hatte er im Schuppen zu suchen?“ fragte sie sich in Gedanken.

„Fahrradfahren,“ antwortete dieser kurz angebunden und noch immer missgelaunt.

„Was?“ wunderte sich seine Mutter und freute sich, dass ihr Sohn etwas unternehmen wollte. War er etwa zur Vernunft gekommen?

„Das hast du ja schon lange nicht mehr gemacht,“ meinte sie und strich ihm über das struppige Haar. „Das ist schön. Du hast doch dein neues Fahrrad erst einmal benutzt. Weißt du noch? Im letzten Jahr, als wir alle zusammen zur Oma gefahren sind?“

Pommes nickte mürrisch, denn er wollte noch ein bisschen schlechte Laune haben und er fand, seine Mutter redete entschieden zu viel. Er ging wortlos hinaus in Richtung Schuppen. Klar konnte er sich noch an die letzte Fahrradtour erinnern. Nach der Strapaze war er so aus der Puste gewesen, dass er kaum noch die Treppen zu seinem Zimmer hinauf gekommen war. Danach hatte er erst einmal eine Stunde tief geschlafen.

Womöglich kommt er ja doch noch zur Besinnung, überlegte die Mutter. In den letzten Wochen hatte Pommes schon wieder ein paar Pfunde zugenommen. Das ging einfach nicht mehr so weiter. Sie beobachtete mit besorgtem Blick hinter dem Küchenfenster, wie ihr Sohn gemächlich um die Ecke watschelte und schließlich hinter dem Haus verschwunden war.

Pommes ging auf die Bretterbude zu und steckte den Schlüssel in das Schloss. Er hielt vor Schreck die Luft an, denn die Tür war gar nicht abgeriegelt. Hatte etwa jemand vergessen, sie zu verschließen? Er selbst war lange nicht hier gewesen und konnte es nicht gewesen sein. Sofort hatte er seine kleine Schwester in Verdacht. Die war doch immer so schusselig. Das würde ihr ähnlich sehen.

Vielleicht war nun sein Fahrrad gestohlen? Sekunden lang freute er sich, denn dann müsste er sich gleich nicht abstrampeln. Schon jetzt brach ihm der Schweiß aus, wenn er an die Anstrengungen dachte, die mit dem Fahrradfahren verbunden waren. Aber der Gedanke war schnell vergessen, denn er wollte doch etwas Bewegung haben. Rasch öffnete er die Tür, die in ihren Angeln erbärmlich quietschte. Im Schuppen gab es leider kein Licht, weil die Glühbirne schon lange kaputt war. Der Vater kam einfach nicht dazu, sie auszuwechseln. Durch die halb geschlossene Tür stahl sich ein heller Lichtstrahl durch die Dunkelheit und er sah sein Fahrrad unversehrt an der Bretterwand stehen. Es war also doch noch da!

Erleichtert atmete Pommes auf. Er hatte sich fest vorgenommen, gleich eine ausgiebige Radtour zu unternehmen. Weil die Mädchen „Watschelente“ hinter ihm hergerufen hatten. Das war ihm wirklich sehr nahe gegangen. Bewegte er sich denn wirklich wie eine Watschelente?

Aber erst einmal musste er die platten Reifen aufpumpen. Als er sich suchend nach der Luftpumpe umsah, erblicke er in den Augenwinkeln etwas Helles in der hinteren rechten Ecke. Das wird wohl das Campingzelt sein, dachte Pommes beruhigt. Das Zelt hatte sein Vater im Winter hier untergebracht. In den Sommerferien würden sie es im Garten wieder aufstellen. Wehmütig dachte er daran, wie es wohl wäre, wenn er mit ein paar Freunden im Zelt übernachten würde. Aber sofort verwarf er diese Idee wieder. Das war Quatsch! Niemand wollte doch etwas mit ihm zu tun haben.

Er besann sich, denn ihm schien die Sache nun doch ein wenig unheimlich zu sein.

Seine Gedanken spielten verrückt. Das hell schimmernde Etwas sah doch nicht aus wie ein Zelt! Pommes versuchte jedoch tapfer, seine aufsteigende Angst zu bekämpfen und einfach nicht mehr hinzuschauen. Er nahm die Luftpumpe, die auf einem Regal lag, in die Hand.

Gerade als Pommes im Begriff war, diese an das Ventil zu setzen, vernahm er ein seltsames Geräusch. Es klang wie lautes Schluchzen. Das kann doch nicht sein! Und, um ganz ehrlich zu sein, begann er sich nun wirklich zu ängstigen. Auf seiner Stirn glänzten kleine Schweißperlen. Beherzt griff er nach der auf dem Boden liegenden Taschenlampe und leuchtete mit geschlossenen Augen in alle Winkel. Natürlich konnte er nichts sehen! Pommes war nicht der Mutigste. Dennoch nahm er nun allen Mut zusammen und zwang sich, wenigstens ein Auge zu öffnen und in die Ecke zu schauen, dorthin woher er das seltsame Geräusch vernommen hatte.

Er riss vor Schreck beide Augen auf und ließ voller Entsetzen Luftpumpe und Taschenlampe auf den Boden fallen. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Pommes blieb wie angewurzelt stehen und wollte auf der Stelle weglaufen, aber seine Beine bewegten sich kein Stück vom Fleck. Es ist ja wie im Traum, kam ihm in den Sinn, wenn ich um mein Leben renne und nicht vorwärts komme. Dies aber war kein Traum, obwohl er sich wünschte, es wäre einer. Denn dann würde er spätestens in diesem Augenblick in seinem Bett aufwachen und entspannt wieder die Augen schließen um weiterzuschlafen. Mutig hob er die Taschenlampe wieder auf und beleuchtete noch einmal die Ecke. Und er hatte sich doch nicht getäuscht! Dort saß zitternd und schluchzend ein Mädchen. Es trug ein langes weißes Seidenkleid, das mit lauter silbernen Sternen verziert war. Pommes hatte noch nie in seinem ganzen Leben ein so bezauberndes Gesicht, umrahmt von langen goldblonden Haaren, gesehen. Nicht einmal im Kino oder Fernsehen.

Dagegen waren die Mädchen, die er kannte, allesamt hässliche Entlein. Er starrte auf die märchenhaft schöne Erscheinung und rührte sich immer noch nicht. Pommes stand da wie festgewachsen. Soll ich davonlaufen? überlegte er fieberhaft. Oder soll ich bleiben? Aber das Mädchen nahm ihm die Entscheidung ab.

„Kannst du mir helfen?“ flehte es leise weinend,

„Helfen?“ staunte Pommes und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. War das Mädchen vielleicht krank oder konnte nicht mehr gehen? Jedoch krank sah es überhaupt nicht aus. Vielleicht hatte es sich ein Bein gebrochen? Oder einen Arm?

Langsam traute er sich näher, denn die bezaubernde Märchengestalt blieb still auf ihrem Platz sitzen.

„Wie kann ich dir denn helfen?“ fragte Pommes zweifelnd und hielt sich krampfhaft am Regal fest. Nun stand der Engel auf.

„Ich bin ein so dummer Engel, dass ich noch nicht einmal heil zum Himmel zurück komme,“ sagte das Mädchen und es schien nun zornig auf sich selbst zu sein. Pommes erstarrte und musste nun heftig schlucken. Engel? Die gibt es nicht, versuchte er sich sofort einzureden. Irgendetwas ist hier faul. Und zwar sehr faul!

Da erhob sich das Mädchen und er zweifelte an seinem Verstand, denn es hatte tatsächlich silbern glänzende Flügel. Gib es denn wirklich Engel? fragte er sich verwirrt und in seinem Kopf schwirrte es wie im Bienenschwarm. Nein, das kann einfach nicht sein! Aber ein Engel stand doch leibhaftig vor ihm und er war weder ein Trugbild noch ein Traum.

„Sieh mal,“ sagte der Engel, „ein Teil meines rechten Flügels ist abgebrochen.“

Der Engel dreht sich um und zeigte ihm die Bescherung. Tatsächlich fehlte ihm eine kleine Ecke seines silbernen Flügels.

Der Engel begann erbärmlich zu schluchzen und dicke Tränen sprangen aus seinen großen Engelaugen.

„Ich muss am Ast eines Baumes hängen geblieben sein. Dabei ist ein Stück meines Flügels abgebrochen und ich kann nicht mehr fliegen,“ weinte der Engel bitterlich.

„Und weil ich unvollständig bin,“ und er zeigte auf den beschädigten silbernen Flügel, „bin ich für die Menschen sichtbar geworden. Du siehst mich doch auch oder? Und fliegen kann ich auch nicht mehr.“

Pommes nickte heftig. Und wie er den Engel sah. Das ließ sich nicht bestreiten.

„Und sonst sieht man euch nicht?“ fragte er mit zitternder Stimme und bewunderte noch immer die strahlende Schönheit des Engels.

„Nein,“ antwortete dieser, „wir sind Lichtgestalten und erscheinen für euch Menschen auf der Erde nur als schwaches Licht.“

Pommes schwankte zwischen Mitleid und Entsetzen. Er fühlte sich ein wenig überfordert und wusste nicht so recht, was er nun tun sollte. Er konnte doch nicht das arme Geschöpf seinem Schicksal überlassen? Das brachte er einfach nicht übers Herz trotz seiner Angst, die sich immer noch nicht vollständig gelegt hatte.

Im Himmel gibt es keine Pizza

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