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Vorwort

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Als die Pandemie für uns alle im Frühjahr 2020 begann, war der Normalzustand für mich schon seit November 2019 außer Kraft gesetzt und meine ganz persönliche Krise lief zu diesem Zeitpunkt bereits auf Hochtouren.

Was mich in den letzten beiden Jahren zunächst als absolute Ausnahmesituation überraschte, ist mittlerweile herrschende Konstante in meinem täglichen Dasein, aber dennoch war und ist es nicht einfach.

Schließlich ging es förmlich von einem Tag auf den anderen von hundert auf null und das, als ich gerade erst das Gefühl gewonnen hatte, fest im Leben zu stehen.

Es begann ein Leben mit Kompromissen, das ich so nicht kannte. Viele Menschen leiden während der Pandemie unter dem notwendigen Wegfall des direkten, sozialen Kontaktes, das unter dem Begriff »social distancing« den Eingang in unseren Sprachgebrauch gefunden hat.

Auch an dieser Stelle hat mir meine Krankheit bereits vor den staatlichen Sanktionen deutlich gemacht, was eine Existenz ohne das »Miteinander« letztlich bedeutet. Es bedeutet fernbleiben vom sozialen Umfeld, vermeiden von Berührungen und Umarmungen, auf Abstand gehen, wo immer dies möglich ist. Selbst die einfachsten Dinge, über die ich früher nie nachgedacht habe, wie ein geselliger Abend mit Freunden, ein kleiner Ausflug, sind nicht möglich. Die Brücken des Miteinanders nicht mehr pflegen zu können, die man jahrelang aufgebaut hat – all das steht seit zwei Jahren mit der Diagnose Leukämie unter Vorbehalt. Für mich als sozial verankerten Menschen erschwert »social distancing« den Heilungsprozess, die Möglichkeit Unterstützung und Kraft zu bekommen, wenn die eigene Kraft an manchen Tagen nicht ausreicht. Es fördert meine psychische Instabilität, wobei doch gerade eine robuste Psyche unerlässlich ist, um für die Widrigkeiten der Krankheit, ihre Wellen, sowohl emotional als auch körperlich, gewappnet zu sein. Es ist eine aufwühlende Zeit, die mit viel Verzicht einhergeht, in der ich auch viel Neues lernen muss, vor allem über mich selbst.

Ströme der Angst fluten meinen Alltag, verzerren die Realität und reproduzieren sich. Es steht außer Frage, dass Angst eine überlebenswichtige Reaktion des Körpers ist, doch sind die Ängste, die mich während der Krankheit überkommen, losgelöst vom Aktion-Reaktion-Schema und werden zum stetigen Wegbegleiter.

Angst kann die körperlichen Blockaden und Symptome verstärken. Glückshormone hingegen sind momentan eher selten, wären aber maßgeblich fördernd für die Heilung. In diesen dunklen Stunden begreife ich das erste Mal wirklich, wie hilfreich, wohltuend und trostspendend es ist, nicht allein zu sein. Partner, Familie oder Freunde sind eine wichtige Stütze in diesen Zeiten.

Seit der Antike versteht man den Menschen als soziales Wesen, das andere Menschen braucht, um zu werden, was es ist und um die Teleologie seiner eigenen Menschwerdung anzustreben. Pandemie und Krankheit unterbinden dieses grundlegende Bedürfnis.

In diesen Zeiten der schweren Krankheit ist die Solidarität von großer Bedeutung, denn sie ist weit mehr als eine Parole oder ein Lippenbekenntnis. Sie ist ein geistiges Prinzip der Verbundenheit.

Sie gleicht einem Fallnetz, wenn man den Drahtseilakt der Therapie begeht, die Krankheit im drohenden Abgrund lauernd, während Hoffnung und Fatalismus einen aus dem Gleichgewicht bringen.

Solidarität braucht ein gemeinsames »Dafür«, ohne »Wenn und Aber«! Der Begriff bezieht sich auf das lateinische Wort »Solidus« und drückt eine verbindliche, zwischenmenschliche Bezogenheit aus, die aus gemeinsamen Werten und Überzeugungen besteht und nicht von persönlichen Interessens- und Nutzenkalkulationen geleitet ist.

In meinem Fall, in der existenziellen Krankheitszeit, zeigt das Prinzip Solidarität seine Stärke als gemeinschaftlich basierter Nutzen zur Linderung des Krankheitsbildes. Für mich, der als Mensch mit beiden Beinen im Leben steht, kam die Diagnose unerwartet und brachte zunächst eine überwältigende Überforderung mit sich und ich musste erst einen Weg finden, mit Krankheit und Diagnose umzugehen.

Wenn man alleine ist, dann hat die Angst ein leichtes Spiel. Durch das Internet ist es jedem möglich, Nachforschungen über das anzustellen, was urplötzlich und ungefragt in unser Leben tritt. Die aus der Unwissenheit geborene Neugierde ist oft stärker als die Vernunft und das Wissen um die Nachteile, die eine weitere private, im Internet stattfindende Auseinandersetzung mit dem Thema hat.

Wir wissen um die Risiken und handeln dennoch töricht. Ich wünschte, ich hätte damals die Recherche nicht betrieben und mich dieser starken Neugierde, wissen zu wollen, was in mir geschieht und dem Bedürfnis nach Beschwichtigung, widersetzt. Sie machte mich zu einem ängstlicheren und nervöseren Menschen.

Ein Sprichwort besagt »Wissen ist Macht, nichts wissen macht auch nichts«. Hätte ich geahnt, welche Zahlen und Statistiken dort im Internet über etwas urteilten, das mein Innerstes, und letztlich mein Leben betraf – ich hätte mir das Netz, dieses freien Falls, gewiss engmaschiger und stabiler geknüpft.

»Zwei« Situationen und »eine« Zukunft, was nun?

Trotz all unserer Individualität und unterschiedlichen Wesenszügen, ist unsere Wahrnehmung doch letztlich, wie es mir scheint, auf ganz einfache Prinzipien zurückzuführen.

Im Menschen an sich ist alles was wir benötigen, was uns ausmacht und was wir sind. Dennoch gibt es Situationen, wo eine Leere spürbar wird, in der wir Fragende und Suchende nach etwas werden, was der »Ursprung« sein mag. In unserer modernen Gesellschaft sind wir entfremdet und entfernt voneinander. Es geschehen Dinge um uns herum, doch wir nehmen sie kaum wahr, denn sie erscheinen weit weg von uns und uns fehlt die Empathie und die Vorstellungskraft, dass auch wir zu diesen »Anderen« werden können. Irgendwann werden wir jedoch gewahr, dass alle Zeit nur geliehen ist, ganz gleich ob es die glücklichsten oder unglücklichsten Stunden waren.

Es ist eine Lektion, die sich dem aufmerksamen Beobachter durch den nostalgischen Blick zurück offenbart. Wenn ich auf die Vergangenheit zurückschaue, ich die Reaktionen meines Geistes und meines Körpers im Angesicht der Umwälzungen der Krankheit betrachte und versuche, in das Gewesene hin einzuspuren, dann öffnet sich mir nicht Dantes Tor zur Hölle. Ich erkenne, dass der vermeintliche Schrecken anderen Gefühlen und Gedanken gewichen ist. In der Tiefe meiner Verzweiflung hat sich Selbstmitleid in Bewunderung und Faszination hinsichtlich des Lebens und der Liebe verwandelt.

Ich war angekommen im Tal der Tränen, am Boden liegend, zerstört, tief im Herzen der Finsternis.

Negative Gedanken kreisen wie Geier über mir, durchdringen Körper und Geist; verschlingen oder nähren sie mich? Phantasie oder Utopie, Triumph oder Niederlage, Freud oder Schmerz, Treue oder Verrat, Leben oder Tod?

Eine innere Stimme nennt mir die Quelle aller Wunder und Heilungskräfte: Ihr Name ist »Liebe«. Sie greift mir unter die Arme, sie zeigt mir den Weg, der mich vom tiefsten Tal, über den steinigsten Weg, zum höchsten Berg führt.

Träume und Hoffnung geben Halt in einem leeren Raum, man muss sie nur gegen die Realität eintauschen und der Raum füllt sich mit Sorglosigkeit und Wärme. Ich liebe das Leben und die Personen, die mir nahestehen. Ich bin ihnen leidenschaftlich für ewig, aber dabei nicht besitzergreifend, mit Herz und Seele, Verstand und Tollheit sowie Geist und Körper, verbunden. Nur hält sich mein Körper nicht an meine Träume, an meine Gedanken bezüglich der Zukunft und erdachten Lebenssituation, nicht an das Diktat von Zahlen und Wahrscheinlichkeiten; aus rational wird irrational.

Im Glanze des Lebens frage ich mich: Ist der Schatten über meinem Haupt der Wirklichkeit oder der Notwendigkeit geschuldet? Der Sog der Realität zieht mir sprichwörtlich das Blut und das Lebenselixier aus den Adern.

Ketzerisch erwacht in mir der Gedanke: »Ist das der Plan Gottes?«. Auch wenn ich dem Glauben nach vielen fehlenden Antworten den Rücken gekehrt habe, möchte ich mich dennoch nicht versündigen und werfe diesen Gedanken umgehend über Bord; auch wenn er mir Antwort und Weisung ein weiteres Mal schuldig bleibt.

Das Ziel dieses Buches ist, neben dem Erzählen meiner ganz eigenen Geschichte mit der Diagnose Leukämie, meinen Umgang mit der Krankheit darzustellen, die Schilderung der Stationen, durch die eine solche Krankheit einen unweigerlich leitet, und der Versuch den Wandel, den ich als Mensch innerhalb der letzten zwei Jahre der Krankheit durchlaufen habe, erfahrbar zu machen.

Weitergehend möchte ich die These untermauern und ausarbeiten, dass wir uns in einem enormen Wandel, einer ständigen Erneuerung des Verhältnisses zwischen Körper und Geist befinden. In ihr sehe ich viel Potential für unsere ganz persönliche Entwicklung, auch wenn der Preis manchmal hoch ist und viel Schmerz mit der Veränderung einhergeht. Selbstgefälligkeit mit dem Status quo hingegen wäre ein Merkmal des Rückschrittes.

Time Out

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