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Meine Mission

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Das Jahr 1927 neigte sich. Vor meinen nachdenklichen Blicken wiederholte sich draußen ein ewiger Zyklus. Der Herbst ließ erste Blätter von den Bäumen und Sträuchern zu Boden fallen, gelbe, rote und braune. Der Wind formte sie zu bunten Häufchen. Wenn Kinder diese mit den Füßen auseinander stießen, raschelten sie zärtlich. Das knisternde Geräusch und der lustige Anblick erinnerten jeden erwachsenen Menschen an die vergangene eigene Kindheit. Die unbeschwerte Freude an diesem natürlichem Spiel erstarb jedoch mit jedem Lebensjahr.

Für mich war es noch immer eine wunderschöne Jahreszeit, denn ich war erst achtzehn Jahre jung. Allerdings verbrachte ich sie inzwischen doch lieber daheim.

„Percy, was ist nur mit dir los?“, drang eine zuckersüße Stimme bestimmt in meine träumerischen Gedanken vor.

Ertappt zuckte ich zusammen. Etwas brauner Tee ergoss sich dabei ungewollt auf die Untertasse.

„Ich habe mich verliebt!“, gestand ich errötend die Wahrheit. Es wurde Zeit. Ein innerer Zwang zum Teilen dieses wundervollen Zustandes hatte mich verleitet. Geteilte Freude verdoppelt sich nun einmal.

„Wie wunderbar!“, hauchte meine Besucherin.

Grace sah mich mit ihren warmen Augen geradezu inniglich an. Die Hübsche sah sich offenbar am Ziel ihrer Wünsche. Aufgeregt kratzte ihr abgespreizter kleiner Fingernagel in den blonden Locken, die einen minimalen Rotstich aufwiesen. Gerade dieser verlieh ihr eine ganz besondere Note. Sie war eine gottesfürchtige hellhäutige anglikanische Schönheit, aus guter Familie, reich und somit der Traum eines jeden Heiratswilligen. Die bezaubernde Grace war die Tochter einer mit Mama befreundeten Unternehmergattin. Ihr wohlproportionierter Anblick brachte bei jungen Männern das Blut zum Kochen. Aus einer eigenwilligen Laune heraus hatte sie sich vor einiger Zeit in mich verguckt und anscheinend in den Kopf gesetzt, mich mit ihrer Zuneigung zu beglücken.

Seit drei Monaten besuchte sie uns daher auffällig oft. Mehrmals in der Woche schaute sie angeblich zufällig vorbei. Als Vorwand dafür dienten zumeist kleine Einkäufe, die sie meiner Mutter und auch zunehmend mir präsentierte. In der Nähe unseres Domizils gab es glücklicherweise einige Geschäfte, die sie regelmäßig beehrte. Mama schickte den hübschen Gast dann jedes Mal aus irgendeinem fingierten Grund zu mir. Heute war es eine Tasse Tee und etwas frisches Gebäck.

Der sinnliche Busen meiner Besucherin sprengte fast die Enge der weißen Bluse. Grace wusste natürlich genau um ihre erotische Ausstrahlung, gab sich äußerlich jedoch für gewöhnlich züchtig und naiv. Dies fesselte Männer noch mehr. Schalkhaft ließ sie in manchen Momenten diese Hülle fallen und verdeutlichte so, welche reizvollen Möglichkeiten sie einem Auserwählten bieten konnte. Ihr Auftritt wirkte jedoch immer vollkommen natürlich und nett. Grace war einfach ein Kind des Glückes. Reichtum, Schönheit und Grazie hatten sich in ihrem Wesen natürlich vereint. Auch ich fühlte mich in ihrer Nähe ausgesprochen wohl und genoss sogar die Momente unseres Beisammenseins auf gewisse Art.

Grace erhob sich und trat nun jeden Schritt bewusst wählend ganz dicht an mich heran. Ihr blumiges Parfüm erfüllte kraftvoll die Luft meiner Umgebung. Sacht berührte sie mit ihren weichen Fingern meinen Arm. Ich empfand dies als sehr angenehm und war zugleich erstaunt darüber.

„In wen?“ Die Frage war kurz und prägnant.

Die Neugierige wollte unbedingt die Wahrheit wissen.

„Sie ist einfach vollkommen!“, erklärte ich begeistert mit leuchtenden Augen.

Die Schöne kam noch näher. Ihr Atem roch etwas nach Kaviar. Sogar das wirkte bei ihr nicht unangenehm, obwohl ich Fisch nicht mochte. Es war nur eine kleine Brise, so als stände man am Rand des Ozeans und ließ dessen erhabenen Odem ganz bewusst auf sich wirken.

„Wer ist sie?“, flüsterte sie sinnlich und erhoffte dabei eine ganz bestimmte Antwort.

Ich entfernte mich kurz und holte geschwind ein Blatt von meinem Schreibtisch.

Grace sah es sich mit einem äußerst verblüfften Ausdruck im Gesicht an. Sie verstand rein gar nichts. Mathematik gehörte nicht zu den Dingen, mit denen die Hübsche sich gern beschäftigte.

„Was ist das?“ Ihre blauen Augen musterten unverständig und geradezu geringschätzig die langen Zahlenreihen.

„Das ist der Beweis, dass es sie geben muss?“ Ich war innerlich euphorisch. Das Ergebnis stellte einen Durchbruch dar und bewies, dass meine Theorie absolut richtig war.

„Wen?“ Meine Besucherin war schockiert und riss ihre großen Augen noch erstaunter auf. Diese schienen fast aus den Höhlen zu fallen. Ihre Augäpfel waren mir noch nie so groß erschienen.

„Na die Vollkommenste!“, stieß ich abermals enthusiastisch hervor.

„Percy, das sind doch nur ganz blöde Zahlen!“, brachte es Grace gekonnt auf den Punkt. Man sah, dass das Mädchen in diesem Augenblick maßlos von mir enttäuscht war. Ich ahnte unterbewusst, dass sie offenbar etwas anderes erwartet hatte, doch ich wollte sie keinesfalls belügen oder ihr falsche Hoffnungen machen. Mit uns konnte es nun leider nichts werden, obwohl sie mir keineswegs unsympathisch war. Nein es war noch mehr, ich mochte sie. Es war Grace sogar gelungen, ein Teil meines Lebens zu werden. Mich konnte mit ihr aber nur eine platonische Freundschaft verbinden, da ich mein Herz urplötzlich an eine Andere vergeben hatte. Was kann man schon gegen machtvolle Gefühle tun? Sie sich aus dem Herz reißen?

Die inzwischen äußerst aufgebrachte Besucherin tat mir in diesem Moment natürlich sehr leid. Sie rang um Beherrschung. Wie hatte ich nur denken können, dass sie sich über diese Offenbarung freuen würde.

Ich lächelte tapfer.

„Das sind nicht nur Zahlen!“, erklärte ich bestimmt. Ein wenig gekränkt war ich schon, dass sie dahinter nicht das erkannte, was mein junges Herz zum Klopfen brachte.

„Du musst vollkommen verrückt sein!“, brach es aus ihr heraus.

Wütend warf sie das Blatt auf die Erde, trat symbolisch mit ihrem feinen Schuh darauf und brachte demonstrativ ihre bezaubernde weibliche Figur in Erscheinung

„Hallo, bist du blind?“ Sie reckte ihre großen prallen Brüste vor. Ja, die waren sehenswert. In ihren Augen standen erste kindliche Tränen. Das leicht geschminkte Gesicht wirkte vollkommen fassungslos, als hätte sie den Boden unter den Füßen verloren.

„Du siehst selbstverständlich wundervoll aus!“, gestand ich ihr stammelnd zu.

„Was heißt denn das? Percy, ich mag dich wirklich, besonders deinen merkwürdigen Humor!“, murmelte sie. Noch immer hoffte sie wohl, dass alles sich als ein dummer jungenhafter Scherz entpuppen würde.

Das machte es noch schwerer. Nun wurde es mir sogar etwas peinlich.

„Tut mir leid, ich liebe eben eine andere!“, zog ich mutig den Schlussstrich. Gerade, weil wir Freunde waren und ich Grace schätzte, musste ich vollkommen ehrlich zu ihr sein.

Eine Trennung ist immer dann schwierig, wenn eine Seite Gefühle entwickelt, die andere jedoch nicht. Das war mir schon klar. Was sollte ich aber sonst tun? Mir blieb nur Aufrichtigkeit.

Die Aufgebrachte nahm fassungslos und von Zorn erfüllt ihren Mantel. Sie fühlte sich gekränkt und zudem ihrer weiblichen Würde beraubt.

„Mein Gott, ich verliere gegen eine Zahlenreihe!“

Tränen liefen ihre Wangen hinunter.

Einen kurzen Moment hielt sie inne und zog ein kleines Päckchen heraus. Sie warf es in meine Richtung. Es verfehlte mich jedoch.

„Fast hätte ich dein Geschenk vergessen!“

Ohne Gruß schmetterte sie wütend die Tür hinter sich zu. Das Mädchen besaß viel Temperament. Für eine Sekunde bereute ich meine Offenheit. Ich hatte sie keineswegs aus meinem Leben vertreiben wollen.

Vielleicht war das aber am besten für uns beide. Es gibt vielleicht keine platonische Freundschaft zwischen einem richtigen Mann und einer Frau. Nur Dummköpfe halten so etwas offenbar für möglich.

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