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Kapitel 1


Jess

Ich zählte langsam in meinem Kopf: Einundzwanzig ... Zweiundzwanzig ... Dreiundzwanzig ... Vierundzwanzig ... Fünfundzwanzig ... Bummmmm !!! Das war’s. Fünf Meilen. Das Gewitter kam immer näher. Ich war kein ängstlicher Mensch, doch Gewitter versetzte mich jedes Mal in Panik. Was mich im Moment am meisten beunruhigte war jedoch, dass Jasper irgendwo da draußen war. Klar, er war eine Katze und wahrscheinlich übertrieb ich es ein wenig, doch ich machte mir Sorgen, meinen Kater bei dem Unwetter allein da draußen zu wissen.

„Verdammt!“

Ich stand Hände ringend in meiner Küche und starrte auf die Tür. Mir innerlich einen Ruck gebend ging ich zögernd auf die Tür zu und legte die Hand an den Knauf.

Komm schon, du Schisser!

Ein paar Mal tief durchatmend fand ich schließlich die Courage, die Tür zu öffnen. Mit klopfendem Herzen trat ich auf die Veranda. Blitze erhellten den Nachthimmel und ich zuckte zusammen.

„Jaspeeeer! Komm, Miezi Miez. – Jaspeeeeeer!“

Von meinem Kater war weit und breit nichts zu sehen. Ein lautes Krachen ließ mich erschrocken aufschreien. Es musste irgendwo ganz in der Nähe eingeschlagen haben. Vor meinem geistigen Auge sah ich die dampfenden Überreste von Jasper und mein Atem kam in panischem Schluckauf.

„Jaspeeeeer! Komm schon, Junge. Komm zu Mama.“

Von drinnen konnte ich das Telefon hören. Ich ging zurück ins Haus und schloss die Tür. Ich eilte zum Telefon und nahm ab.

„Ja?!“

„Jess? – Hier ist Molly. Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass Jasper vor einer viertel Stunde bei uns aufgetaucht ist. Ich dachte mir du würdest dir sicher Sorgen machen, deswegen ruf ich an um dir zu sagen, dass er sicher ist. Im Moment leert er die zweite Schüssel Milch.“

Erleichterung durchflutete mich.

„Danke Molly. Ich bin ja so erleichtert“, sagte ich dankbar.

„Ich weiß, wie sehr du Gewitter hasst. – Geht es dir gut da draußen? Soll ich Jack vorbei schicken?“

„Nein, nicht nötig. Ich bin jetzt dreißig Jahre alt. Zeit, endlich erwachsen zu werden.“

„Es wäre Zeit aus deinem Schneckenhaus hervor zu kommen und endlich die Vergangenheit hinter dir zu lassen“, bemerkte Molly.

Mit Vergangenheit meinte sie Dallas. Meine Jugendliebe und – ich sah auf den Ring an meinem Finger hinab – der Mann, mit dem ich verheiratet war, der jedoch vor genau zwölf Jahren das Weite gesucht hatte und nun ein gefeierter Schauspieler in Hollywood war.

„Er kommt nicht mehr zurück, Honey“, erklang Mollys warme Stimme durch das Telefon. „Es wird Zeit für dich, ihn zu vergessen und wieder auszugehen. Du bist hübsch und clever. Du kannst eine neue Liebe finden. Ich weiß zum Beispiel dass Luke dich sehr gern hat. Du solltest mal mit ihm ausgehen. Er hat einen guten Job, ist ehrlich und kinderlieb.“

„Gib es auf, Molly“, sagte ich mit Nachdruck. „Ich weiß, dass Dallas nicht zurückkommt, doch ich bin mit ihm verheiratet und gedenke nicht, meine Ehe zu beflecken.“

Molly stieß ein ironisches Lachen aus.

„Als wenn es Dallas interessiert, wenn er eure Ehe mit seinen unzähligen Hollywood Sternchen befleckt, Hon.“

Mollys Worte verpassten mir einen schmerzhaften Stich. Besonders weil ich wusste, dass sie recht hatte. Dallas war immer mit einer schönen Frau am Arm zu sehen, wo er auch auftauchte. Frauen, denen ich nie das Wasser reichen könnte. Doch ich war seine Frau. Ich hatte ihn in einer verrückten Laune in Las Vegas geheiratet, als wir beide Teenager gewesen waren. Ich hatte ihn geliebt. Die kurze Zeit, die wir ein Paar gewesen waren, hatte ich nie vergessen. Ich hütete die glücklichen Stunden wie einen kostbaren Schatz. Dann hatten wir diesen Trip nach Vegas gemacht. Dallas hatte mich gefragt, ob ich seine Frau werden wolle und ich hatte ja gesagt. Wir waren beide betrunken gewesen und da war nicht viel an das ich mich von unserer Hochzeit erinnern konnte. Kurz nach der Hochzeit war ich schwanger geworden, doch ich hatte das Baby im dritten Monat verloren. Einen Monat nachdem Dallas ohne ein Wort verschwunden war. Er hatte mich sitzen lassen, hatte Small Woods für immer hinter sich gelassen. Er besuchte nicht einmal seine Familie. Doch wenn ich an Dallas dachte, dann sah ich nicht den Jungen der mich sitzen ließ und auch nicht den Mann, der als gefeierter Star eine Geliebte nach der anderen hatte. Ich sah den Jungen, mit dem ich in dieser kleinen Stadt aufgewachsen war und in den ich verliebt war, seit ich denken konnte.

Dallas

„Ich verstehe nicht, warum du ausgerechnet jetzt verreisen musst!“, rief Nicole aufgebracht und ich rollte unwillkürlich mit den Augen.

„Ooooch! Hör auf damit!“, schrie Nicole und verschränkte die Arme vor ihrer Brust, mir einen mörderischen Blick zu werfend.

„Womit? Ich hab nichts getan!“

„Hast du doch!“, schluchzte Nicole. Sie zog ein Papiertuch aus der Box, die neben ihr auf dem Nachttisch stand und tupfte sich eine imaginäre Träne aus den Augen.

„Was? Was hab ich getan?“, wollte ich wissen.

Langsam verlor ich die Geduld. Ich hatte keine Lust auf einen neuerlichen Streit. Ich wünschte, sie würde nicht immer gleich so theatralisch werden.

„Du hast wieder mit den Augen gerollt! Du ... du denkst, dass ich über reagier. Du hast überhaupt kein Verständnis für mich oder meine Gefühle! – Vielleicht sollten wir die Hochzeit abblasen!“

Ich widerstand der Versuchung, erneut mit den Augen zu rollen und zwang mich zur Ruhe. Langsam machte ich einen Schritt auf Nicole zu und zog sie in meine Arme.

„Nein, dass stimmt nicht, Nikki. Du hast recht, ich hätte nicht mit den Augen rollen sollen. Du weißt doch, dass ich dich liebe. Du bist ein wenig emotional wegen der bevorstehenden Hochzeit und all dem Stress. Ich denke ... ich denke, du solltest die Planung einem Wedding Planer überlassen, das würde dir den ganzen Stress ersparen.“

„Wedding Planer? Du ... du denkst, ich kann keine verdammte Hochzeit planen, dass ich ... dass ich – Hilfe brauche?“

Gott, verdammt! Warum mussten Frauen einem immer das Wort im Mund herum drehen und etwas hinein interpretieren, was man gar nicht gesagt hatte?

„Natürlich denke ich nicht, dass du es nicht kannst. Ich dachte nur, es würde dir ein wenig mehr Zeit geben. All dieses Planen nimmt dich sehr ein und ich weiß, dass du gerne mehr an deiner Rolle arbeiten würdest. Es ist immerhin die Rolle deines Lebens.“

„Glaubst du das wirklich? Denkst du, ich bin gut in dieser Rolle?“

„Baby, die Rolle ist dir wie auf den Leib geschrieben. Du wirst sicher einen Oskar dafür abräumen.“

Nicole befreite sich aus meinen Armen und begann nachdenklich im Schlafzimmer auf und ab zu gehen. Ich atmete erleichtert auf, dass ich ihre Gedanken auf etwas anderes gelenkt hatte und hoffte, dass sie nicht wieder davon anfangen würde, mich wegen meiner Reise auszuquetschen. Ich wollte nicht, dass sie auf die Idee kam, mich zu begleiten. Das wäre eine Katastrophe. Nicht nur, dass eine Kleinstadt wie Small Woods ihr unmöglich den Komfort bieten konnte, den sie gewöhnt war, sie würde hinter mein kleines Geheimnis kommen und das musste ich verhindern. Ich hatte ihr nicht erzählt, dass ich auf dem Papier schon lange verheiratet war. Ich hatte es selbst vergessen, bis mein Manager mich gedrängt hatte, Nicole einen Antrag zu machen. Ich hatte kaum Erinnerungen an Jessica. Wir waren zusammen zur Schule gegangen und ich hatte sie kaum beachtet. Auf einer Party waren wir uns näher gekommen und dann ein Paar geworden. Dann, in einer betrunkenen Laune, während eines Trips nach Vegas, hatten wir geheiratet. Es war ein Fehler gewesen. Ich war zu jung, mich zu binden und ich hatte Pläne. Pläne, die ich nicht in Small Woods verwirklichen konnte. Also war ich davon gegangen. Klar, es war ziemlich mies von mir, Jessica einfach so sitzen zu lassen, doch sie verdiente einen Mann, der sie glücklich machen konnte. Wahrscheinlich lebte sie längst mit einem netten Farmer oder Polizisten zusammen und hatte ein halbes Dutzend Kids. Sie hatte mich nie wegen Scheidung kontaktiert, doch das hieß ja heutzutage nicht, dass sie nicht mit jemanden ohne Trauschein zusammen leben konnte. Meine Reise nach Small Woods hatte nur ein Ziel, die Scheidungspapiere, die mein Anwalt zusammengestellt hatte, von ihr unterschreiben zu lassen und dann sofort zurück zu kommen. Das Ganze sollte nicht länger als drei oder vier Tage in Anspruch nehmen.

„Florian Denner!“

Aus meinen Gedanken gerissen schreckte ich auf und starrte meine Verlobte verständnislos an.

„Was?“

„Du sagtest doch, ich sollte mir einen Wedding Planer nehmen. – Florian Denner ist der beste.“

„Oh! Ja, ja, natürlich. Ausgezeichnete Wahl, meine Liebe. Ich bin sicher, er wird eine großartige Hochzeit planen.“

„Ich muss ihn gleich anrufen und einen Termin machen“, erklärte Nicole glücklich.

Ich nickte abwesend, mit meinen Gedanken wieder bei meiner Reise. Ich hatte meine Eltern seit zwölf Jahren nicht gesehen. Ich hatte Nicole gesagt, dass ich nach Small Woods fuhr, um ihnen ihre Einladungen zur Hochzeit persönlich vorbei zu bringen, doch ich rechnete nicht damit, dass sie kommen würden, denn sie nahmen mir noch immer übel, dass ich Small Woods verlassen hatte. In all den Jahren hatten wir, wenn es hoch kam, vielleicht vier oder fünf Mal miteinander telefoniert. Doch sie waren meine Eltern und ich hatte das Gefühl, dass ich sie zumindest einladen sollte, egal, ob sie nun kommen würden oder nicht.

***

Es war ein seltsames Gefühl, am Ortsschild von Small Woods vorbei zu fahren. Zwölf Jahre waren eine lange Zeit und in der kleinen Stadt in der ich aufwuchs, hatte sich nichts verändert. Ich passierte das Baker’s Inn und Miller’s Convenience Store, und bog in die Church Lane, wo sich das einzige größere Hotel des Ortes befand. Als ich meinen Porsche vor dem White Lion parkte kam mir ein furchtbarer Gedanke. Was, wenn Jess gar nicht mehr in Small Woods lebte? Die Hochzeit sollte in vier Wochen stattfinden. Nicht gerade viel Zeit um meine Noch-Ehefrau durch die Welt zu verfolgen, um die verdammte Scheidung unter Dach und Fach zu bringen. Vielleicht hätte ich vorher mit meinen Eltern reden sollen, um sie nach Jess zu fragen. Seufzend öffnete ich die Tür und stieg aus.

„Oh mein Gott! Er ist es!“, erklang ein schrilles Kreischen zu meiner Linken.

Eine Gruppe von vier Mädchen stand etwa zwanzig Meter von mir entfernt vor Ann’s Book Shop und starrte zu mir herüber. Ich rollte mit den Augen. Und ich hatte gehofft, dass wenigstens in diesem Kaff niemand den Schauspieler Dallas Winter erkennen würde. Immerhin trug ich eine Sonnenbrille und ein Baseball Cap. Jetzt, wo die vier Mädels mich erkannt hatten, würde sich die Nachricht über meine Ankunft wie ein Lauffeuer verbreiten. Nun gut, es war ja nur für ein paar Tage. Solange würde ich hier schon irgendwie überleben. Ich schenkte den Mädchen ein strahlendes Lächeln, welches nervöses Gekicher auslöste. Sich gegenseitig an stupsend und Mut zusprechend kamen sie zögerlich auf mich zu.

„Hallo Ladies, was kann ich für euch tun?“, fragte ich und die Mädchen kicherten erneut.

„Könn... können wir vielleicht – ein Autogramm haben?“, wagte sich eine Schwarzhaarige vor. Ihre Freundinnen nickten begeistert.

„Natürlich. Mach ich doch gern“, erwiderte ich und zog vier Autogrammkarten aus meinem Rucksack. Die Schwarzhaarige ansehend fragte ich: „Wie ist denn dein Name?“

Nachdem ich die signierten Autogrammkarten verteilt hatte, entschuldigte ich mich und floh ins Innere des White Lion. Eine ältere Dame stand hinter der Rezeption und blickte von einem Buch auf, als ich die Halle betrat. Hastig legte sie das Buch beiseite.

„Immer noch diese Schnulzenromane, Miss Gordon?“, grüßte ich mit einem Lächeln.

Miss Gordon errötete, lächelte jedoch freundlich.

„Misses Baker“, erwiderte sie und streckte mir ihre Hand entgegen, an der ein goldener Ring steckte. „Ich hab geheiratet.“

„Gratuliere. Haben Sie den armen Elias endlich erhört?“

Misses Baker errötete erneut.

„Nun ja, es erschien mir, dass er nie mit seinen Anträgen aufhören würde, es sei denn, ich sage ja.“ Sie schmunzelte. „War die einzige Lösung, um dem Ganzen endlich ein Ende zu setzen.“

Ich lachte.

„Nun, mein Junge, was führt dich denn zurück in dieses Kaff? Hast dich ja lange nicht blicken lassen!“, es lag ein Hauch von Vorwurf in Misses Bakers Stimme und ihre intelligenten Augen musterten mich scharf.

„Ich bin gekommen, um meine Angelegenheiten hier zu regeln. Ich werde nämlich auch bald heiraten.“

„Hmm. Dann willst du also die Scheidung von Jess? Armes Ding. Sie hat es nicht leicht genommen, dass du sie sitzen lassen hast, mein Junge.“

Ich schaute schuldbewusst. Ja, ich hatte damals wirklich egoistisch gehandelt, doch nach zwölf Jahren musste Jess das Ganze doch langsam vergessen haben.

„Jess ist nie wieder ausgegangen, seit du fort bist. Dabei gibt es genug anständige Kerle hier, die sich gern das Mädel schnappen würden. Ist nicht recht, dass so ein nettes Mädchen allein leben muss, doch Jess will einfach nichts von Männern wissen. Du hast ihr wirklich arg zugesetzt. Sie hätte dich gebraucht, besonders nachdem sie das Kleine verlor.“

Hellhörig geworden starrte ich Misses Baker an.

„Was? Wovon reden Sie. Welches – Kleine?“

„Jess war schwanger als du sie sitzen ließt. – Wusstest du das denn nicht?“

Entsetzt schüttelte ich den Kopf. Scham und Schuld stiegen in mir auf. Bisher hatte ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, wie es für Jess gewesen sein musste. Ich hatte gedacht, sie würde mich einfach vergessen und mit ihrem Leben fortfahren. Wir waren beide so jung gewesen und die Hochzeit in Vegas war einfach nur eine verrückte, kindische Sache gewesen. Ich hatte nie geglaubt, dass sie das Ganze so ernst genommen hatte. Und ich hatte absolut keine Idee, dass sie schwanger gewesen war.

„Also du hattest keine Ahnung, hm?“

„Nein“, erwiderte ich leise. „Ich wusste nicht ...“

„Wir machen alle Fehler mein Junge, doch ich denke, dass du Jess eine Erklärung schuldest. – Und eine Entschuldigung.“

Ich nickte betreten. Hier stand ich. Dallas Winter, erfolgreicher Schauspieler, ein Weltmann, der es ganz nach oben geschafft hatte, und ich fühlte mich plötzlich wieder wie ein kleiner Junge, der von Miss Gordon beim Kirschen stehlen erwischt wurde.

„Lebt sie noch hier – in Small Woods?“

Misses Baker nickte.

„Ja, sie lebt seit vier Jahren in der alten Kabine am Fluss. Ganz allein da draußen. Doch sie will es nicht anders. Züchtet und trainiert Pferde, das Mädel. Und sie ist gut. Ist ne Starke, die Jess, nur nicht wenn es ums Herz geht.“

„Ich werde mit ihr reinen Tisch machen, das versprech ich Ihnen“, sagte ich bestimmt.

Misses Baker nickte.

„Ja, mach das, mein Junge. Das Mädel verdient eine Erklärung.“

Misses Baker wandte sich zu dem Bord mit Zimmerschlüsseln um und griff nach einen Bund. Das war typisch Small Woods, altmodische Zimmerschlüssel anstelle von Karten. Die Zeit hier schien wirklich stehengeblieben zu sein.

„Hier! Zimmer 214 für dich, mein Junge. Unser Bestes. Wünsche einen angenehmen Aufenthalt.“

Ich ergriff die Schlüssel und lächelte dankbar.

„Danke Misses Baker.“

Ich schulterte meinen Rucksack und ging auf den Fahrstuhl zu. Ich spürte Misses Bakers Blick in meinem Nacken. Es sah ganz so aus als würde mein Aufenthalt hier doch nicht so einfach werden. Ich hatte eine Menge zu erklären, das wurde mir nun bewusst. Und nicht jeder hier in Small Woods würde sich mir gegenüber so verständnisvoll zeigen wie Misses Baker. Besonders nicht meine Eltern. Seufzend drückte ich auf den Knopf des Aufzuges und wartete, bis die Türen sich mit einem Pling öffneten und ich hastig in die Kabine stieg.

Jess

Die Nacht über hatte es heftig geregnet und der Boden war aufgeweicht und machte schmatzende Geräusche bei jedem Schritt. Doch die Luft war angenehm frisch und die erdrückend schwüle Hitze der letzten Tage war milden Temperaturen mit einem leichten Wind gewichen. Da nahm ich auch gern in Kauf, dass ich die Kabine ohne Gummistiefel nicht verlassen konnte. Die Pferde wieherten freudig, als ich in den Stall trat. Ich hatte vier Stuten und meinen Hengst Gringo. Dazu zwei wunderschöne Fohlen, während die Stute Velvet ihr erstes Fohlen erwartete. Es würde im Frühjahr geboren werden. Noch war ihr das Fohlen nicht anzusehen, doch mein Tierarzt hatte letzte Woche per Ultraschall bestätigt, dass sie tragend war.

„Guten Morgen, ihr Hübschen. Wie habt ihr denn das Gewitter überstanden?“, begrüßte ich meine Pferde, was erneut von einem aufgeregten Wiehern beantwortet wurde. Gringo scharrte unruhig in seiner Box und begann, mit den Huf gegen die Gitter zu schlagen.

„Sei doch nicht so ungeduldig“, ermahnte ich ihn. „Du bekommst dein Futter schon rechtzeitig.“

Gut gelaunt begab ich mich in die Futterkammer und begann die Schüsseln mit Hafer und Pellets zu füllen. Ich konnte Gringos ungeduldiges Schnauben hören. Nachdem alle Schüsseln gefüllt waren, stapelte ich sie ineinander und trug sie hinaus auf den Gang, um ihren Inhalt in die Futtertröge zu verteilen. Gringo bekam stets als Erstes, sein Privileg als Macho der kleinen Herde. Meine Stuten waren etwas geduldiger als er und warteten artig, wenn auch deutlich aufgeregt, darauf, dass sie an der Reihe waren. Nachdem ich auch noch Heu in die Boxen verteilt hatte, war es Zeit für mein eigenes Frühstück.

Ich konnte das Telefon hören, als ich schmatzenden Schrittes auf die Kabine zuging. Wer mochte das sein? Es war nicht einmal sieben Uhr morgens und Anrufe zu so früher Stunde konnten nur bedeuten, dass es wichtig sein musste, also lief ich die letzten Meter bis zur Veranda, eilte die Stufen hinauf, riss die Haustür auf und hetzte in den Flur ohne mir die Mühe zu machen, die schlammigen Gummistiefel auszuziehen.

„Ja?“, rief ich atemlos, als ich das Gespräch angenommen hatte.

„Jess, Darling, hab ich dich geweckt?“, fragte Gillian Baker, die Rezeptionsdame unseres einzigen Hotels, dem White Lion.

„Nein, ich war gerade vom Stall auf dem Weg zum Haus, als ich das Telefon hörte. Ich dachte, es müsse wichtig sein, deswegen hab ich mich beeilt.“

„Oh! – Tut mir leid, wenn ich dich so gehetzt hab, Darling, doch ich dachte mir, dass du diese Neuigkeiten unbedingt hören willst. Rate mal, wer gestern hier im Hotel abgestiegen ist.“

„Ich weiß nicht. Der Präsident?“, scherzte ich.

„Dallas ist zurück, Jess. Ich geh mal nicht davon aus, dass der Bengel sich schon bei dir gemeldet hat.“

Mir wurde mit einem Mal ganz flau auf dem Magen und mein Herz begann, unruhig zu klopfen. Mit weichen Knien ließ ich mich auf den Stuhl nieder, der neben dem Telefontisch stand. Dallas! Er war zurück. Und das, seit gestern.

„Bist du noch dran, Süße? Ist alles in Ordnung?“

„Ja ... ja, ich bin noch dran“, erwiderte ich mit schwacher Stimme.

„Ich weiß, dass es ein Schock für dich sein muss, doch ich wollte nicht, dass du es von einer der Klatschtanten erfährst. Du weißt, wie die sein können.“

„Ja ... ja, danke, Misses Baker.“

Als ich das Gespräch beendet hatte, saß ich für eine ganze Weile auf dem Stuhl und starrte vor mich hin. Ich war geschockt. So oft hatte ich mir ausgemalt, dass Dallas irgendwann genug von seinen Hollywoodsternchen hatte und nach Small Woods zurück kehren würde, reumütig für das was er getan hatte und mit der Erkenntnis, dass ich immer noch die Frau war, die er eigentlich wollte. Ja, ich weiß, naiver geht es nicht mehr, doch ich konnte nicht ändern, dass Dallas die Liebe meines Lebens war. Nun war er wirklich zurück, doch ich bezweifelte stark, dass es auch nur annähernd so werden würde, wie in meinen Tagträumen. Vielleicht besuchte er einfach nur seine Eltern. Er hatte sich bisher nicht hier blicken lassen, also war ich wohl kaum der Grund für seine Wiederkehr. Vielleicht würde ich ihn überhaupt gar nicht zu Gesicht bekommen, ehe er sich wieder verpisste. Unbewusst drehte ich unablässig den Ring an meinem Finger, während die Gedanken durch meinen Kopf gingen. Zwölf Jahre waren eine verdammt lange Zeit. Da ich Dallas’ Hollywoodleben all die Jahre verfolgt hatte, wusste ich nicht nur, wie die Zeit ihn optisch verändert hatten, ich wusste auch, dass er ein Partylöwe, Casanova und Rüpel war. Nicht, dass das irgendetwas an meinen Gefühlen geändert hätte. Ich war eben ein hoffnungslos naives Mädchen, trotz meiner dreißig Jahre. Vielleicht hatte Molly recht, und ich sollte mir meinen untreuen Mann aus dem Kopf schlagen und wieder ausgehen, doch ich konnte mich einfach nicht überwinden, mich mit Männern zu treffen, welche ich ohnehin nur mit Dallas vergleichen würde. Hier in unserer kleinen Stadt gab es keinen einzigen Mann, der es mit ihm aufnehmen könnte und mich woanders umzusehen kam für mich nicht infrage. Ich war hier geboren und aufgewachsen. Ich würde Small Woods niemals verlassen. Mich zog es nicht in die Ferne, in die großen Städte mit all ihrer Anonymität, Smog und Hektik. Ich liebte das beschauliche Leben in einer Kleinstadt, wo jeder jeden kannte und wo alles einen langsamen Gang ging. Die meisten meiner ehemaligen Schulfreunde waren weggezogen. Es gab mehr ältere als junge Leute in Small Woods, wie in so vielen Kleinstädten. Junge Leute wollten einen guten Job, Karriere machen und vor allem ein reiches Angebot an Freizeitaktivitäten, gute Einkaufsmöglichkeiten und ein reges Nachtleben.

Das erneute Klingeln meines Telefons riss mich aus meinen Gedanken. Mein Herz begann schneller zu klopfen, als ich nach dem Telefon griff. Vielleicht war es Dallas. Vielleicht hatte er doch Interesse daran, seine Ehefrau wiederzusehen.

„Ja?“, krächzte ich.

„Hi, Hon, ich bin’s“, meldete sich Molly am anderen Ende.

Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte, dass es nicht Dallas war. Zumindest beruhigte sich mein Herzschlag wieder.

„Hi Molly. Wenn du anrufst um mir die Sache mit Dallas zu berichten – ich weiß Bescheid. Misses Baker hat mich gerade angerufen.“

„Oh. – Ja, hätt ich mir ja denken können, dass sie die Erste ist. Ich hab es auch gerade erst erfahren, als ich für Jack die Zeitung geholt hab.“

Ich seufzte.

„Ich wette noch vor Mittag weiß es die ganze Stadt“, sagte ich.

„Natürlich. Du weißt wie es ist. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass bei zehn es schon alle wissen. – Wie geht es dir? Hat er sich bei dir gemeldet? Weißt du, warum er hier ist? Brauchst du jemanden zum Ausweinen?“

Trotz meiner Bestürzung über Dallas Heimkehr musste ich lachen.

„Welche Frage soll ich dir nun zuerst beantworten. Die Hälfte hab ich schon wieder vergessen.“

Molly lachte.

„Okay. Ich weiß, ich rede zu viel und zu schnell. Hat er sich bei dir schon gemeldet?“

„Nein, Misses Baker hat gerade zehn Minuten oder so vor dir angerufen, um mich zu informieren. Ich hatte bis dahin keine Ahnung. Und Dallas ist ohnehin kein Frühaufsteher. Der wird jetzt noch in den Federn liegen. – Falls er sich überhaupt meldet.“

„Dann weißt du also auch nicht, warum er hier ist? Ob es überhaupt etwas mit dir zu tun hat?“

„Ich hab keine Ahnung“, erwiderte ich seufzend.

„Und wie geht es dir jetzt? – Sicher bist du geschockt und aufgeregt ...“

„Das kannst du laut sagen. Ich musste mich erst einmal hinsetzen als Misses Baker sagte, dass Dallas hier ist. Und ich sitze immer noch.“

„Oje! Armes Ding. Soll ich vorbei kommen?“

„Nicht nötig, Molly. Jack braucht dich im Laden dringender als ich. Ich hab heute ohnehin eine Menge zu tun. Und Arbeit lenkt mich immer gut ab.“

„Okay, aber wenn du was Neues weißt, oder wenn du mich brauchst, dann melde dich.“

„Mach ich. Danke Molly.“

„Keine Ursache, Hon. Wenn du dich nicht vorher meldest, dann ruf ich dich heute Abend noch mal an.“

„Gut.“

„Bis dann.“

„Bis dann.“

Second Chances

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