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Kapitel 1

New York, USA

8 April 2033 / 6:56 a.m. Ortszeit

Miriam

Hat der Schlitzer erneut zugeschlagen?

New York, April 08 Erneut wurde ein Mordfall gemeldet, der offensichtlich auf das Konto des berüchtigten Schlitzers geht. Bei dem Toten handelt es sich um einen ehemaligen hochrangigen Mitarbeiter des FBI (63). Sein Sohn (38) fand die Leiche gestern Abend gegen 10.00 pm im Penthouse des Opfers. Nachdem sein Vater zwei Tage nicht auf Anrufe reagiert hatte, hatte der Sohn sich von New Jersey aufgemacht, um bei seinem im Ruhestand befindlichen Vater nach dem Rechten zu sehen. Er fand seinen Vater mit durchschnittener Kehle in der Badewanne vor. Wie schon bei anderen Opfern zuvor, gab es keinerlei DNA-Spuren am Tatort und der Buchstabe T wurde mit dem Blut des Opfers auf dessen Stirn geschrieben. Dies wäre dann das sechste Opfer des Schlitzers in nur vier Monaten. Bisher konnte das FBI noch keine Gemeinsamkeiten zwischen den Opfern herstellen, die vielleicht auf den Täter oder sein Motiv schließen könnten. Niemand weiß, wann und wer das nächste Opfer sein wird. HotNews, Miriam McDonald

Ich legte die Zeitung beiseite und griff nach meinem Kaffee. Schon wieder hatte er zugeschlagen! Wenn ich es schaffen würde, den Täter ausfindig zu machen, dann wäre das ein großer Durchbruch für meine Karriere. Die Zeitungen würden sich um mich reißen. Vielleicht würde ich sogar ein Angebot der Times bekommen. Das FBI hatte angeblich noch keine Spur, doch ich war schon etwas weiter. Ich war etwas Großem auf der Spur, dessen war ich mir sicher. Es gab eine Gemeinsamkeit zwischen den Opfern, die dem FBI offenbar entgangen war. Alle sechs hatten vor zehn Jahren in derselben Pressekonferenz in Washington gesessen, als man die Alien Breed befreit hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Sache mit den Hybrids aus Alien- und Menschen-DNA, etwas mit den Morden zu tun hatte. Alle sechs Opfer hatten bei der Konferenz zusammen in einer Reihe gesessen. Mit ihnen noch vier weitere Männer und Frauen und ich ging jede Wette ein, dass das nächste Opfer eine der vier Personen sein würde. Die Frage war nur, warum?

Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war kurz vor zehn und ich hatte einen Termin mit Viktor Romanow, plastischer Chirurg und einer der vier verbliebenen möglichen Opfer. Ich nahm noch einen Zug von meinem mittlerweile kalten Kaffee und sprang vom Stuhl auf. Nachdem ich mein Handy, Portmonee und Schlüssel in meiner Tasche verstaut hatte, verließ ich meine Wohnung, um mich auf den Weg zu machen.

ICE

Ich lehnte mich auf der Parkbank zurück und blickte an dem Gebäude hinauf. Dort! Im sechzehnten Stock befand sich die Praxis von Dr. Romanow. Er war Ende fünfzig, klein und untersetzt. Er rauchte zu viel und trank zu viel. Außerdem hatte er ein kleines, pikantes Geheimnis. Jeden zweiten Freitag besuchte er ein kleines Domina-Studio und ließ sich für Geld von Madam Juliette quälen. Gegen ein paar Dollar extra Cash hatte Madam Juliette mich von einem Nebenraum aus zusehen lassen, wie Romanow seine Behandlung bekam. Ich empfand nichts als Verachtung für diesen fetten schwitzenden Mann, der winselnd zu Füßen seiner Herrin um Schläge gebettelt hatte. Was für ein Mann tat so etwas? Das ging über mein Verständnis. Es war wahrlich nicht schade um den Mann, wenn er starb. Nicht, dass ich sonst irgendein Gefühl von Bedauern verspürt hätte. Ich hatte keine Gefühle! Darum hatte ich meinen Namen erhalten: Ice! Ich war kalt! Emotionslos! Es war keine Grausamkeit in mir. Ich genoss es nicht, wenn ich meine Opfer tötete. Nein! Ich war einfach nicht fähig irgendetwas zu empfinden. Ich bekam einen Auftrag, ich erfüllte ihn. So einfach war das. Dafür hatte man mich ausgebildet. Von klein auf hatte man meinen Körper trainiert, meinen Verstand gedrillt. Wenn ich meinen Job erledigte, bekam ich meine Belohnung. Dann ließ X ein Callgirl in mein Zimmer kommen. Das war der einzige Moment, wo ich etwas fühlte. Wenn ich in den Armen einer Frau lag. Doch X schickte niemals dieselbe Frau. Er meinte, ich würde mich sonst emotional binden. Dies wollte X nicht.

Mein Blick fiel auf eine Frau, die auf den Eingang des McArthur-Buildings zuging. Sie hatte rotbraune Locken, die ihr in sanften Wellen über die Schultern fielen. Sie war klein, doch sie hatte eine Aura von Stärke um sich. Ihr Gang war entschlossen. Selbstsicher. Der knielange Rock gab den Blick frei auf schlanke, trainierte Waden. Sie trug schwarze High-Heels und zu meinem Erstaunen fühlte ich, wie mein Schwanz zuckte. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise brauchten die Callgirls eine Weile, um mich in Stimmung zu bringen. Doch etwas an der Kleinen, die gerade mit dem Portier des McArthur-Buildings sprach, weckte mein Interesse. Ich schob meine Sonnenbrille hoch, um sie besser sehen zu können. Der Portier lächelte sie an und ich verspürte Ärger. Noch etwas, was nicht natürlich für mich war. Ich ließ die Sonnenbrille wieder an ihren Platz gleiten und schüttelte den Kopf. Was war heute los mit mir? X würde mich bestrafen, wenn er von meinen unerwünschten Emotionen erfahren würde. Natürlich würde ich es ihm nicht erzählen, doch manchmal befragte er mich und wenn das der Fall war, dann war ich dran. Man gab mir vor jeder dieser Befragungen ein Mittel, welches mich am Lügen hinderte. Ob ich wollte oder nicht, ich musste alles erzählen. Ich war lange nicht mehr befragt worden und ich hoffte, dass dies auch noch eine Weile so bleiben würde. Bei meiner letzten Bestrafung war ich vier Tage lang gefoltert worden. Ich brauchte lange, um Schmerz zu empfinden, doch wenn, dann war es unerträglich. Ich war beinahe verrückt geworden. Es hatte zwei Wochen gedauert, bis ich genesen war und das, obwohl man mir Drogen gegeben hatte, die meine Heilung beschleunigten.

Die Kleine mit den rotbraunen Haaren verschwand im Inneren des Gebäudes und ich fragte mich, was sie dort zu tun hatte. Ich erhob mich von meinem Beobachtungsposten und schlenderte auf den Eingang zu.

„Womit kann ich helfen, Sir?“, fragte der Portier. Seine Miene schien professionell undurchdringlich, doch ich sah die Angst in seinen Augen. Ich war es gewohnt, dass mein ungewöhnlicher Anblick Angst bei den Leuten hervorrief. Selbst jetzt, wo eine dunkle Sonnenbrille meine Augen verbarg. Abgesehen von meiner weißen Haut und der Tatsache, dass ich keine Haare hatte, waren meine Augen das, was die Leute an mir am meisten abstieß. Die Iris war blassblau, an den Rändern rot und meine Pupillen waren ebenfalls rot. Es waren die Augen eines Albinos.

„Die junge Frau eben“, begann ich ruhig. „Arbeitet die hier?“

„Ich darf ihnen leider keine Auskunft geben“, erwiderte der Portier nervös.

Ich schob meine Sonnenbrille nach oben und blickte den Mann direkt an. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und die professionelle Maske fiel, machte einem erschrockenen Ausdruck Platz.

„Ich werde ungern gewalttätig, wenn es sich vermeiden lässt, doch ich habe auch kein Problem damit. Ist das klar?“

Der Mann nickte hastig.

„Gut! Also, noch einmal von vorn. Arbeitet die Frau hier?“

„N-nein. Sie ... sie hat einen Termin hier.“

„Mit wem?“

„M-mister Ro-romanow.“

Das war in der Tat interessant. Ich würde sie im Auge behalten müssen.

Miriam

Mein Interview mit Romanow hatte mich nicht wirklich weiter gebracht. Er war sehr vorsichtig und clever. Ein paar Mal hatte ich unauffällig versucht, das Thema in die richtige Richtung zu lenken, ohne preiszugeben, was ich vermutete und was ich wusste, doch er schien zu erahnen, worum es mir wirklich ging und er wich mir stets geschickt aus. Ich hatte an seinen kleinen grauen Augen erkennen können, dass er mir misstraute und Berechnungen anstellte, ob ich ihm gefährlich werden könnte. Romanow war eindeutig kein Mann, den man zum Feind haben wollte. Ich musste zukünftig vorsichtiger sein mit meinen Fragen. Es war an der Zeit, einen guten Freund von mir um einen kleinen Gefallen zu bitten.

Ich trat aus dem Gebäude und schenkte dem freundlichen Portier ein Lächeln. Seltsamerweise erwiderte er diesmal mein Lächeln nicht, sondern sah hastig woanders hin. Er erschien mir nervös. Ich fragte mich, was oder wer dafür verantwortlich war, dass der Mann auf einmal so verändert schien. Ja, hier ging eindeutig etwas vor. Meine Nase trug mich nie. Ich war auf der richtigen Spur, wenn die Leute anfingen, nervös zu werden. Den Portier nicht weiter beachtend, überquerte ich den Vorplatz. Mein Blick fiel auf einen Mann, der lässig an eine Mauer gelehnt stand und zu mir herübersah. Etwas an dem Mann beunruhigte mich und es war nicht sein ungewöhnliches Aussehen allein. Es war eindeutig, dass er mich aus einem Grund beobachtete. War er der Killer? Oder stand er mit dem Killer in Verbindung? Er war keiner der Vier. Kein Opfer. Vielleicht war er auch nur ein Bluthund von Romanow. Ich weigerte mich, Angst zu zeigen und starrte den Mann unerschrocken in das bleiche Gesicht. Seine Gesichtszüge waren markant geschnitten. Er hatte einen sinnlich geschwungenen Mund, hohe Wangenknochen, eine gerade Nase. Die Augen wurden leider von dunklen Gläsern verdeckt. Sein Kopf war kahl und er hatte mehrere Narben an den Seiten die sich bis zum Hinterkopf zogen und wahrscheinlich dort weitergingen. Von der Statur her war er gebaut, wie ein Wrestling-Star. Ich schätzte ihn auf mindestens zwei Meter zehn. Er hatte breite Schultern, massive Arme und auch der Rest seines Körpers schien nur aus Muskeln zu bestehen. Von der Optik her würde ich ihn als Romanows Bluthund einschätzen. Abgesehen davon, dass er ein Albino zu sein schien, war er ganz der typische Schläger.

Ich war berüchtigt dafür, dass ich handelte, ohne zu denken. Auch an diesem Tag machte ich keine Ausnahme. Ich ging geradewegs auf den Mann zu und stellte mich vor ihn hin. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzusehen. Er war tatsächlich mehr als einschüchternd. Doch ich war bereits zu weit gegangen und würde jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Seine emotionslose Maske war ein wenig erschüttert und ein Hauch von Erstaunen zeigte sich auf seinen Zügen. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich so bescheuert sein würde, mich ihm zu nähern.

„Bestell Romanow, dass ich mich nicht so einfach einschüchtern lasse!“, sagte ich und machte auf dem Absatz kehrt, um zum Parkplatz herüber zu gehen.

Meine Beine zitterten etwas, doch ich schaffte den Weg zu meinem Fiat ohne zu stolpern. Die ganze Zeit über spürte ich den Blick des unheimlichen Mannes in meinem Rücken. Erst als ich hinter dem Steuer meines Wagens saß, erlaubte ich mir zu zittern. Mein Herz raste wie wild. Hatte ich eben wirklich diesen Hünen herausgefordert? Ich musste vollkommen den Verstand verloren haben. Irgendwann würde meine Impulsivität mich noch umbringen.

ICE

Verwirrt blickte ich der Frau hinterher, bis sie aus meinem Blickfeld verschwand. So etwas war mir noch nie passiert. Diese kleine Person hatte Schneid, dass musste ich ihr lassen. Wie sie sich vor mir aufgebaut und mich angefahren hatte, als gäbe sie einen Shit darauf, dass sie mir gerade einmal bis zur Brust ging und drei von ihr sich hinter meinem Rücken verstecken könnten. Am verwunderlichsten war aber, dass ich von ihr so paralysiert gewesen war, dass ich nur dagestanden hatte wie ein Trottel, um auf ihre verdammten Lippen zu starren. Wer war sie? Was hatte sie mit Romanow zu schaffen. War sie seine Geliebte? Der Gedanke gefiel mir nicht. Ich stellte mir lieber vor, wie es wäre, sie aus ihren Kleidern zu schälen und jeden köstlichen Zentimeter ihres Leibes mit meinen Händen und Lippen zu erkunden. Ein unbequemes Gefühl in meiner Hose erinnerte mich daran, dass ich tatsächlich hart geworden war. Verdammt! Die Kleine hatte eine sonderbare Wirkung auf mich. Irgendetwas schien mit mir nicht in Ordnung zu sein. Ich war dafür kreiert und trainiert worden, keine Gefühle zu empfinden. Ich war ein Werkzeug. X hatte mir von Kindheit an eingebläut, dass ich kein Mensch war. Ich war ein Produkt, erschaffen, um dabei zu helfen, das Übel dieser Welt auszuschalten. Kerle wie Romanow. Sie waren dazu verurteilt, zu sterben und ich führte die Exekution aus. Emotionen waren in diesem wichtigen Job hinderlich. Sie waren fehl am Platz.

Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung und wandte hastig den Kopf. Shit! Romanows Limousine fuhr aus der Tiefgarage und ich hätte es beinahe verpasst, weil ich über diese Kleine nachgegrübelt hatte. Das war der Beweis, wie schädlich Gefühle für meine Arbeit waren.

Langsam öffnete ich den Kasten der Alarmanlage. Mit ruhiger Hand machte ich mich daran, den Mechanismus lahm zu legen. Ich war mit dieser speziellen Bauart bestens vertraut und konnte den Alarm ausschalten, ohne dass die Geräte oder Monitore der Wachleute irgendetwas bemerkten. Für sie sah alles ganz normal aus, als wäre die Anlage noch immer aktiv. Nachdem ich das erledigt hatte, verließ ich den Raum und ging in einem Bogen zum Fahrstuhl. Ich hatte einige der Kameras manipuliert, dass sie alte Aufnahmen anzeigten anstatt meine Anwesenheit preis zu geben. Einzig diese eine Kamera in der Tiefgarage, der ich gerade auswich, hatte ich unangetastet gelassen, da sie auf eine Uhr gerichtet war und es auffallen würde, wenn sie plötzlich etwas anderes als die aktuelle Uhrzeit anzeigen würde. Ich drückte den Knopf neben dem Aufzug und wartete geduldig. Als sich die Türen mit einem Pling öffneten, stieg ich ein und drückte den Knopf für das Penthouse, wo Romanow lebte. Ich wusste, dass zwei Wachmänner neben dem Fahrstuhl wachen würden und machte mich bereit, sie sofort auszuschalten.

Der Fahrstuhl hielt und ich verließ ruhig die Kabine. Ich hatte eine Waffe in jeder Hand, die Arme vor der Brust über kreuz, feuerte ich nach links und rechts. Ich sah beide Wachen fallen. Die Schalldämpfer hatten dafür gesorgt, dass niemand etwas von dem Vorfall mitbekommen hatte. Ich untersuchte beide Wachen und schoss einem von ihnen, der noch lebte, in den Kopf. Zufrieden, dass beide nun ausgeschaltet waren, machte ich mich auf den Weg zu Romanows Tür. Es stellte sich als kein Problem heraus, sie zu öffnen. Leise betrat ich das Penthouse und schloss die Tür hinter mir. Ich wusste, dass Romanow eine Freundin hatte. Sie war nicht meine Zielperson, doch wenn sie eine Gefahr darstellte, würde ich auch sie eliminieren müssen. Ich trug eine Maske, um nicht erkannt zu werden. Dadurch konnte ich die Frau leben lassen, wenn ich es schaffen würde, sie ruhig zu stellen. Ich hoffte nur, dass die Kleine von gestern nicht seine Freundin war. Das würde mich sicher aus dem Konzept bringen.

Ich schlich durch das Penthouse, dabei von der luxuriösen Ausstattung keine Notiz nehmend. Ich kannte den Grundriss der Wohnung und wusste, wo sich das Schlafzimmer befand. Eine Katze sprang auf ein Sofa neben mir und mauzte leise. Ich strich ihr über den Kopf und sie rieb sich schnurrend an mir.

„Keine Zeit für dich, Kitty“, sagte ich leise und schlich weiter, doch die Katze schlich um meine Beine und behinderte mich.

Ich bückte mich, packte sie vorsichtig und öffnete eine Tür, von der ich wusste, dass das Bad dahinter lag. Ich setzte die Katze ab und schloss die Tür. Da drin würde sie gut aufgehoben sein, bis ich hier fertig war. Lautlos schlich ich weiter bis zum Schlafzimmer. Die Tür ließ sich geräuschlos öffnen und ich stand wenig später vor dem großen Bett und blickte auf die beiden Schlafenden hinab. Ich beugte mich hinab und legte der Frau eine Hand auf den Mund. Augenblicklich erwachte sie und riss die Augen auf. Von ihrer plötzlichen Bewegung alarmiert, erwachte auch Romanow. Er blickte geradewegs in die Mündung meiner Pistole und erbleichte.

„Beweg. Dich. Nicht!“, sagte ich kalt, dann sah ich in die verängstigten Augen der Frau hinab, ohne die Waffe von Romanow zu lassen.

„Du stehst jetzt ganz langsam auf und gehst zum Schrank, Kleine. Dann öffnest du ihn, gehst hinein und schließt ihn wieder. Du kannst wieder rauskommen, wenn du bis Fünfhundert gezählt hast. Erst dann darfst du schreien. Hast du das verstanden?“

Sie nickte und ich nahm meine Hand von ihrem Mund. Sie erhob sich eilig aus dem Bett und floh in den Kleiderschrank, wie ich ihr befohlen hatte. Mein Blick kehrte zu Romanow.

„Wer bist du?“, fragte er panisch. „Was ... was willst du von mir? Geld? Ich kann dir viel Geld geben. Ich hab einiges im Tresor. Auch Schmuck. Ich ... ich kann meine Bank anrufen und ...“

„Ich will dein Geld nicht!“, sagte ich kalt. „Ich bin gekommen, um dich zu exekutieren!“

Er erbleichte und machte Anstalten, zum Bettrand zu rutschen. Ich ergriff ihn und riss ihn zu mir heran. Er schrie. Ich hasste Kerle, die schrien. Es gab Frauen, die mehr Mum in den Knochen hatten, als dieser Jammerlappen. Sofort gingen meine Gedanken zu der Rotblonden von gestern. Ich war mir sicher, dass sie nicht schreien würde. Sie würde mir mit ihren schönen Augen direkt ins Gesicht blicken.

„Bitte!“, winselte Romanow. „Ich weiß, jeder hat seinen Preis. Was ist mit der Kleinen? Du kannst sie haben. Und Geld! So viel du willst!“

„Du würdest mir deine Freundin anbieten?“, fragte ich.

„Ja! Ja, du kannst mit ihr machen, was du willst. Nur lass mich ...“

Ich richtete meine Waffe auf seine Genitalien und schoss. Er schrie gellend auf und schluchzte.

„Ich habe keinen Respekt für Männer, die sich hinter einer Frau verstecken. Deine Freundin ist sicher vor mir. Ich werde ihr kein Haar krümmen. Was dich anbelangt, so kann ich dasselbe leider nicht versprechen.“

Ich drückte den heulenden und schreienden Versager auf das Bett und legte meine Waffe auf den Nachtschrank, außerhalb seiner Reichweite, um mein Messer zu ziehen. Ohne auf Romanows Gezeter zu achten, zog ich die scharfe Klinge durch seine Kehle. Sein Schreien verwandelte sich in ein Gurgeln und erstarb schließlich ganz. Emotionslos starrte ich auf mein Werk hinab. Dann tauchte ich einen behandschuhten Finger in sein Blut und malte den Buchstaben T auf seine Stirn. Und weil mir danach war, noch ein C auf seinen Bauch, oberhalb seiner verstümmelten Genitalien. Denn dieser Mann war nicht nur ein Verräter. Er war auch ein Feigling gewesen. Anstatt dem Tod würdig zu begegnen, hatte er mir tatsächlich seine Freundin anbieten wollen. So ein Hurensohn! Angewidert wandte ich mich ab. Ich warf einen letzten Blick auf den Schrank, aus dem leises Schluchzen zu hören war, und verließ schließlich das Penthouse.

Miriam

Er hatte schon wieder zugeschlagen. Romanow war tot. Diesmal gab es eine Zeugin. Die Freundin des Opfers war bei dem Mord zugegen gewesen. Versteckt in einem Schrank, wie der Killer ihr befohlen hatte. Er hatte eine Maske getragen, doch sie beschrieb ihn als ungewöhnlich groß. Über zwei Meter. Und breit wie ein Schrank. Die Beschreibung passte zu gut auf den unheimlichen Albino, den ich am Tag vor dem Mord vor Romanows Bürogebäude gesehen hatte. Das war kein Zufall! Der Albino musste der Mörder sein. Ich müsste eigentlich zur Polizei gehen und melden was ich gesehen hatte. Ich war in der Lage, eine gute Beschreibung abzugeben. Lediglich seine Augen hatte ich nicht gesehen. Doch irgendetwas hielt mich davon ab, diesen Schritt zu unternehmen. Er schien zumindest nicht vollkommen gewissenlos zu sein, sonst hätte er auch das Mädchen getötet. Merkwürdigerweise wich dieser Mord ein wenig von den anderen ab. Erstens hatte der Killer Romanow die Genitalien weggeschossen und zweitens hatte er nicht nur ein T auf die Stirn, sondern auch ein C oberhalb der Genitalien geschrieben. Wofür standen diese Buchstaben? Das T könnte für Traitor (Verräter) stehen. Was wiederum ein Hinweis auf das Motiv sein könnte. Waren alle Opfer Verräter gewesen? Und wenn ja, wen hatten sie verraten? Und was? Worum ging es? Um DMI? Die Alien Breed? Ich war sicher, dies war ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wofür stand das C? Und warum war es nur bei Romanow verwendet worden? Hatte die Platzierung, oberhalb der zerschossenen Genitalien, etwas damit zu tun?

Vielleicht würde ich der Sache näher kommen, wenn ich mich mit den drei verbliebenen potenziellen Opfern beschäftigte. Ich würde heute mit der Beschattung von Louisa Montiago beginnen. Sie hatte neben Romanow gesessen. Wenn der Killer weiter nach dem Muster vorging, dann arbeitet er die gesamte Sitzbank in der Reihenfolge ab, wie die Anwesenden gesessen hatten. Das machte Louisa zum nächsten Opfer. Sollte ich diesen Albino auch dort bemerken, dann würde ich zur Polizei gehen. Ich musste! Ein Schauer überkam mich bei der Erinnerung an den Mann, der mich um mehr als einen Kopf überragt hatte.


Die Villa der reichen Witwe lag zwei Autostunden von meinem Appartement entfernt. Louisas verstorbener Gatte hatte ein Vermögen mit Aktien und Immobilien gemacht. Er war vor drei Jahren tödlich mit seinem Sportwagen verunglückt. Ich hatte keine Ahnung, wie Louisa mit den Alien Breed in Verbindung stand, doch sie war vor zehn Jahren ebenfalls bei der Pressekonferenz dabei gewesen. Es musste noch etwas geben, das alle Opfer über diese Konferenz hinaus miteinander verband. Doch bisher tappte ich da noch im Dunklen.

Ich parkte meinen Wagen erst einmal ein Stück weit die Straße rauf. Ein guter Freund von mir, mit dem ich manchmal zusammen arbeitete, hatte gestern zwei Kameras und vier Wanzen in Louisas Villa installiert. Die ahnungslose Frau hatte ihn herein gelassen, nachdem ihr Kabelanschluss auf mysteriöse Weise ausgefallen war. Natürlich hatte sie den netten Kabelmann nicht verdächtigt und so konnte sich Ted ans Werk machen, während die ahnungslose Louisa in der Küche Kaffee gemacht hatte. Was ich jetzt wissen wollte war, ob der unheimliche Albino hier auftauchen würde. Um das herauszufinden, war ich hier. Ich trug eine blonde Perücke und hatte eine Sonnenbrille auf der Nase. Zudem hatte ich ein wenig mehr Körperumfang als normal. Dank dem speziellen Korsett von meiner Bekannten Gloria. Gloria arbeitete für die Requisite eines Theaters und sie hatte mir die Verkleidung besorgt. Mit dem Korsett war ich zwar nicht fett, doch um einiges kurviger als sonst. Stark geschminkt, ganz in schwarz gekleidet und einen großen Hut auf dem Kopf, sah ich um einiges älter aus als meine vierundzwanzig Jahre. Ich holte tief Luft, ehe ich aus dem Auto stieg und mich daran machte, die Straße entlang zu schlendern. Ich tat so, als suchte ich eine bestimmte Adresse und sah mich nach allen Seiten um, hielt dabei aber Augen offen nach dem mutmaßlichen Killer.

Als ich ihn erblickte, musste ich an mich halten, um mich nicht zu verraten. Doch mein Gang war unleugbar wackliger, nachdem mein Blick auf ihn gefallen war. Der Instinkt, anzuhalten und zurück zu meinem Wagen zu flüchten war groß. Dennoch zwang ich mich weiter zu gehen. Er saß in einem Auto, welches mit der Front zu mir, entgegen der Fahrtrichtung, am Straßenrand geparkt stand. Sein Blick fiel auf mich, als ich mich ihm näherte. Er hatte die Scheibe heruntergelassen und steckte den Kopf raus. Ich unterdrückte einen panischen Aufschrei und zwang mich zur Ruhe. Er konnte mich unmöglich erkennen.

„Kann ich Ihnen helfen, Miss? Suchen Sie etwas?“

Mit wild klopfendem Herzen schüttelte ich den Kopf.

„Ich ... ich muss mich in der Straße geirrt haben“, sagte ich und bemühte mich, meine Stimme so zu verstellen, dass er mich nicht erkannte. „Danke, für Ihr ... Bemühen, mir zu helfen. Guten Tag!“

Ich wandte mich auf dem Absatz um und ging langsam zurück zu meinem Wagen. Ich wollte rennen, doch das wäre zu auffällig. Die ganze Zeit über versuchte ich mir einzureden, dass er mich nur angesprochen hatte, um mir zu helfen. Er hatte mich nicht erkannt! Unmöglich! Er durfte mich einfach nicht erkannt haben! Der Weg zum Auto erschien mir unendlich lang. Die ganze Zeit lauschte ich angestrengt, ob er hinter mir her kam. Als ich die Tür zu meinem Wagen aufschloss, war ich ein Nervenbündel. Hastig stieg ich ein und warf einen ängstlichen Blick die Straße hinunter. Der Wagen des Killers stand noch immer dort. Ich konnte nicht ausmachen, ob er noch immer hinter dem Steuer saß doch zumindest war er nirgendwo in der Nähe meines Autos. Mit einem kleinen Seufzer der Erleichterung startete ich den Motor und machte, dass ich davon kam.

Was sollte ich tun? Ich wusste jetzt, dass ich recht hatte. Der Albino musste der Killer sein und Louisa war sein nächstes Opfer. Ihr Leben hing von mir ab. Ich musste den unheimlichen Mann melden. Einmal den Entschluss gefasst, bog ich an der nächsten Kreuzung links ab, um zum Polizeirevier zu fahren. Als ich den Wagen auf dem Parkplatz vor dem sechsstöckigen Haus geparkt, und den Motor abgeschaltet hatte, atmete ich erst ein paar Mal tief durch. Dann gab ich mir einen Ruck und stieg aus. Mir fiel ein, dass ich noch immer meine Verkleidung trug. Ich riss mir die Perücke herunter und setzte die Sonnenbrille ab, um die Sachen im Auto zu verstauen und den Wagen abzuschließen. Gegen meine veränderte Figur konnte ich im Moment wenig tun. Mir nervös den Rock glatt streichend, machte ich mich auf den Weg zum Eingang. Das Gebäude war kühl, als ich eintrat. Die Klimaanlage schien auf Hochtouren zu laufen. Ich ging auf die Anmeldung zu und wartete ungeduldig, bis der junge Mann vor mir abgefertigt worden war und die ältere Polizistin hinter dem Tresen mir einen leicht genervten Blick zuwarf. Aufgeregt trat ich vor und räusperte mich.

„Ich komme, um ein paar Angaben zum Serienmörder zu machen, den Sie den Schlitzer nennen“, erklärte ich schließlich.

Die Beamtin schien plötzlich mehr interessiert als noch einen Augenblick zuvor. Sie schob mir ein Formular zu und einen Kugelschreiber.

„Tragen Sie bitte Ihre persönlichen Daten hier ein. Können Sie Sich ausweisen?“

Ich nickte und holte meinen Führerschein aus meiner Tasche. Die Frau nahm ihn entgegen und nickte.

„Ich mache eben eine Kopie, während Sie das Formular ausfüllen.“

Sie verschwand in einem Hinterzimmer und kam gerade in dem Augenblick zurück, als ich mit dem Ausfüllen fertig geworden war. Wir tauschten Führerschein gegen Formular.

„Einen Moment bitte“, sagte die Frau und griff nach dem Telefon, um mich anzumelden.

„Nehmen Sie den Aufzug zum vierten Stock. Zimmer vierhundertundelf. Sie werden erwartet!“, wandte sie sich an mich, als sie das Gespräch beendet hatte.

„Danke“, murmelte ich und wandte mich ab, um zu den Fahrstühlen zu gehen.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe der Aufzug endlich kam und seine Türen öffnete. Ich stieg ein und drückte auf die Vier. Oben angekommen suchte ich das richtige Zimmer. Als ich es gefunden hatte und davor stand, verließ mich plötzlich der Mut. Was, wenn der Killer mich doch erkannt hatte? Würde er nicht vermuten, dass ich ihn verraten hatte?

Dazu muss er erst einmal wissen, dass er von der Polizei gesucht wird, sagte meine innere Stimme. Wenn er erst einmal geschnappt wird, ist es zu spät für ihn, dir etwas anzutun. Außerdem hängt ein Menschenleben von dir ab. Reiß dich zusammen und tu deine Pflicht!

Ein Teil von mir war noch immer unschlüssig, ob ich das Richtige tat, doch ich streckte den Arm aus und klopfte an die Tür. Wenig später erklang eine tiefe Stimme: „Herein!“

Ich griff seufzend nach der Klinke und öffnete die Tür. Ein älterer Polizist saß hinter einem Berg von Akten und blickte zu mir auf, als ich eintrat. Er machte eine Geste mit der Hand, um mir zu deuten, dass ich mich auf einen der drei Stühle vor seinem Schreibtisch setzen sollte. Ich schloss die Tür hinter mir und tat wie geheißen.

„Nun, Miss, was haben Sie zu erzählen? Es geht um den Schlitzer, wenn ich richtig informiert bin?“

Ich nickte. Dann begann ich zu erzählen, wie ich den Albino vor Romanows Bürohaus gesehen hatte bis hin zu meiner Begegnung mit ihm in der Straße, wo Louisa, das vermutlich nächste Opfer, lebte. Der Officer machte sich die ganze Zeit Notizen, sagte jedoch kein Wort. Als ich geendet hatte lehnte sich der Officer in seinem Sessel zurück und sah mich an.

„Ein Albino, also? Was sonst können Sie über den Mann sagen?“

„Er ist riesig, ich schätze zwei Meter zehn. Er ist sehr muskulös gebaut, trägt eine Sonnenbrille und er hat Narben an seinem Hinterkopf. Ach so! Er hat eine Glatze. Sein Gesicht ... sein Gesicht ist ziemlich markant. Kantig. Volle Lippen. Hohe Wangenknochen und eine gerade Nase. Der Wagen, in dem er saß, war ein dunkelblauer BMW gewesen, doch ich weiß nicht, was für einer. Ich ... ich bin kein Experte in diesen Dingen.“

„Hmmm. Ein Albino, noch dazu einer, der über zwei Meter groß ist, müsste eigentlich überall auffallen. Ich danke Ihnen sehr, für die Informationen. Ich muss allerdings sagen, dass es sehr leichtfertig von Ihnen war, zum Haus von Louisa Montiago zu gehen. Sie hätten schon nach dem Mord von Romanow mit ihrer Vermutung zu uns kommen sollen. Wir hätten dann selbst das Haus von Louisa Montiago überwacht. Auch hätten Sie uns von Ihrer Vermutung, was die Zusammenhänge der Opfer anbelangt, erzählen müssen. Hier geht es um mehr als nur die Story Ihres Lebens zu schreiben! Es geht um Mord!“

„Ich ... ich weiß“, sagte ich kleinlaut. „Aber ich hatte den Mann zuerst wirklich nicht für den Killer gehalten. Ich dachte eher, er wäre einer von Romanows Schlägern.“

„Gibt es noch irgendetwas, was Sie vielleicht vergessen haben zu erwähnen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein! Das ist alles, was mir aufgefallen ist.“

„Gut! Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir uns bei Ihnen noch einmal melden werden. Im Falle einer Festnahme werden Sie mit Sicherheit auch eine Zeugenaussage machen müssen.“

„Ja. Ja, natürlich!“

„Dann wünsch ich Ihnen noch einen guten Tag, Miss.“

„Danke. Wiedersehen“, murmelte ich und erhob mich, um zu gehen.

Als ich den Raum verlassen und die Tür wieder hinter mir geschlossen hatte, atmete ich erst einmal tief durch. Ich hatte es hinter mich gebracht, trotzdem hatte ich noch immer ein komisches Gefühl in meinem Bauch.

Als ich über den Parkplatz zu meinem Wagen eilte, sah ich eine große Gestalt aus den Augenwinkeln. Automatisch fing mein Herz an zu rasen. Ich veränderte den Blickwinkel nur leicht, um die Gestalt besser sehen zu können. Der Schock traf mich so tief, dass ich entgegen aller Vernunft stehen blieb und ihn anstarrte. Er trug noch immer Sonnenbrillen, dennoch konnte ich seinen auf mir ruhenden Blick förmlich spüren. Eine Gänsehaut kroch mir über den Rücken. Was sollte ich tun? Er war mir offenbar gefolgt und wusste nun, dass ich ihn der Polizei gemeldet hatte. Panik machte sich in meinem Inneren breit. Ich war verloren. Ich hatte gerade mein eigenes Todesurteil unterschrieben. Langsam öffnete ich den Mund zu einem Schrei, doch kein Laut kam heraus. Ich konnte nicht sagen, wie lange wir uns gegenseitig anstarrten, ehe ich mich aus meiner Trance löste und zurück ins Gebäude floh.

„Er ist da draußen!“, rief ich aufgelöst.

Die Frau an der Anmeldung blickte mich erst erschrocken an, dann griff sie zum Hörer. Wenig später stürmten einige Officer herbei.

„Was ist passiert? Haben Sie den Mann, den Sie für den Schlitzer halten, gesehen?“, fragte ein älterer Officer.

„Ja. Ja, er war ... auf dem Parkplatz“, stammelte ich.

„Schnappt ihn euch“, sagte der Officer zu den anwesenden Polizisten, sechs an der Zahl. Die Männer stürmten aus dem Gebäude und der Officer fasste mich sanft aber bestimmt bei den Armen. „Sie kommen jetzt erst einmal mit.“

Eine Stunde später brachte mich eine Polizeieskorte zu meinem Appartement. Die Polizei hatte den Albino nicht finden können. Er schien wie vom Erdboden verschluckt. Zwei Officer würden bis zum Morgen vor meinem Haus Wache halten, falls der Killer meine Adresse kannte. Ich mochte gar nicht daran denken. Würde ich mich je wieder sicher fühlen? Wohl nicht, ehe man den Killer gefasst hatte.

Ice

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