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Kapitel 1


Ein Jahr später

Despair

Meine Sinne erwachten langsam. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln und andere mir wohl vertraute Gerüche waren überwältigend und mein Magen drohte zu rebellieren. Das stetige Piepsen der Monitore klang unnatürlich laut in meinen Ohren.

„Ich glaube, er kommt langsam zu sich“, sagte eine mir unbekannte Stimme. „Sind Sie sicher, die Fesseln sind stark genug? Ich will nicht riskieren, dass jemand verletzt wird.“

„Die Fesseln sollten ausreichen“, erwiderte eine andere Stimme. „Außerdem haben Sie vier von uns hier. Wir können ihn schon handhaben, Doc.“

Ich versuchte meine Lage so gut es ging zu analysieren, ohne preis zu geben, dass ich bereits voll erwacht war. Ich roch nur zwei Menschen. Die anderen Gerüche die ich wahrnahm waren Breeds wie ich. Es waren vier, wenn ich mich nicht täuschte. Das irritierte mich, denn es schien, als wenn die Stimme die ich zuletzt gehört hatte, einem Breed gehörte und er schien mit den Menschen zu kooperieren.

Verräter!, dachte ich zornig. Wut erfüllte mich und ich hörte, wie das Piepsen der Geräte schneller und lauter wurde.

„Er ist wach“, sagte die Stimme des verräterischen Breeds.

Jemand berührte mich an der Schulter und ich riss knurrend die Augen auf und starrte in das Gesicht eines Alien Breeds den ich nie zuvor gesehen hatte.

„Verräter!“, sagte ich mit krächzender Stimme.

„Beruhige dich“, sagte der Breed. „Es ist nicht so wie du denkst. Du bist nicht mehr bei DMI. Wir haben dich befreit, doch du warst schwer verletzt und musstest lange Zeit behandelt werden. Alles wird gut, das verspreche ich. Du bist jetzt frei und niemand wird dir mehr wehtun.“

„Warum bin ich dann gefesselt, wenn ich frei bin?“, krächzte ich hasserfüllt.

Ich glaubte diesem Verräter kein Wort. Ich hatte keine Ahnung, was für ein Spiel hier gespielt wurde, doch ich wusste, dass der Hurensohn lügen musste.

„Es ist lediglich eine Schutzmaßnahme. Wir konnten nicht riskieren dass du unerwartet aufwachst und eine der Schwestern oder einen der Ärzte verletzt. Wir werden dich los machen, wenn du uns glaubhaft machen kannst, dass du niemandem etwas antun wirst.“

Ich knurrte drohend, dann schnaubte ich verächtlich.

„Lügner! Verräter!“

Der Breed seufzte. Er wandte sich zu dem Arzt um, der mit bleichem Gesicht bei der Tür stand, eine Schwester mit großen ängstlichen Augen neben ihm.

„Ich denke, Sie sollten lieber gehen. Wir müssen unseren Freund hier davon überzeugen, dass wir die Wahrheit sprechen“, sagte er.

Die Augen des Arztes weiteten sich vor Angst.

„Sie wollen ihn doch nicht etwa los machen? Dies ist ein Krankenhaus mit vielen Menschen, die Sie da in Gefahr bringen.“

„Wir haben die Lage unter Kontrolle“, brummte der Breed. „Wir werden ihn heute mit uns nehmen, dann sind Sie uns los.“

Der Arzt und die Schwester eilten aus dem Raum und der Breed wandte sich wieder mir zu.

„Sie haben nur Angst vor dir“, sagte er. „Niemand hier will dir etwas Böses. Mein Name ist Steel, dies hier sind Night, Joker und Shark. Ich denke, du müsstest Shark kennen, er war in derselben Einrichtung wie du.“

Ich ließ meinen Blick über die Breeds gleiten und tatsächlich erkannte ich einen von ihnen. Wir waren stets getrennt gehalten worden, doch ich hatte ihn ein paar Mal gesehen, wenn sie ihn bewusstlos an meiner Zelle vorbei geschoben hatten. Er nickte mir zu.

„Ich mache dich jetzt los“, sagte der Breed der sich Steel nannte. „Niemand will dir etwas Böses, als wäre es hilfreich, wenn du uns keinen Ärger machen würdest.“

Ich nickte grimmig. Ich war noch immer mehr als skeptisch, doch die Anwesenheit von diesem Shark gab mir zu denken. Vielleicht sprach Steel doch die Wahrheit. Ich musste es herausfinden, doch ich würde auf der Hut sein.

Vier Monate später

Nadja

Ich eilte den schmalen Pfad zur Eingangstür der Krippe entlang. Ich war spät und das Letzte was ich gebrauchen konnte war, dass ich den Platz hier verlor. Ich konnte nicht arbeiten und Geld verdienen gehen, wenn ich keinen Platz für Summer hatte. Im Inneren der Krippe waren Reinigungskräfte bereits dabei die Flure zu wischen. Ich stürmte durch den Gang zur Igel-Gruppe als die Tür aufging und eine der Betreuerinnen mit Summer auf dem Arm heraus kam. Sie sah mich und ich errötete heftig.

„Tut mir so leid“, sagte ich entschuldigend. „Ich hab den Bus verpasst. Es wird nicht wieder vorkommen.“

„Das ist schon okay, doch wir müssen uns über etwas anderes unterhalten, Miss Romanow.“

Mein Herz sank. Das hörte sich nicht gut an. Seufzend und mit einem flauen Gefühl im Magen nahm ich meine Tochter entgegen und folgte der Betreuerin zum Büro. Sie deutete mir, mich zu setzen und nahm dann in einem Stuhl mir gegenüber Platz.

„Summer hat heute eines der anderen Babys gebissen, Miss Romanow. Ich fürchte, wir können sie leider nicht länger hier behalten. Ich weiß, dass Sie jemanden für Summer brauchen, doch ich muss an die Sicherheit der anderen Kinder denken.“

Mein Herz sank und ich presste Summer unwillkürlich fester an mich. Tränen traten mir in die Augen. Was sollte ich tun? Ich brauchte einen Platz für sie. Ohne das konnte ich nicht arbeiten und von was sollten wir dann leben?

„Haben Sie einmal darüber nachgedacht, eine private Nanny zu engagieren? Sie könnte Summer bei Ihnen zu Hause betreuen“, sagte die Betreuerin mitfühlend.

„Ich denke nicht, dass ich mir eine Nanny leisten kann“, sagte ich leise.

„Ich kenne zufällig jemanden, der perfekt für Sie wäre und sie würde nur wenig mehr kosten als der Platz hier. Sie ist noch jung, doch sie hat fünf jüngere Geschwister und hat wirklich ein Händchen mit Kindern.“

„Ich ... ich weiß nicht ...“

„Ich könnte den Kontakt für Sie arrangieren. Ich kann sie gleich anrufen und sie könnte noch heute vorbei kommen, um vorzusprechen. Ich bin sicher, Sie können mit Gina zu einer Einigung kommen.“

„Danke. Ich ... Das wäre wirklich nett von Ihnen.“

Die Betreuerin erhob sich und setzte sich hinter den großen Schreibtisch, um das Telefonat zu machen. Summer begann zu quengeln und ich schaukelte sie beruhigend auf meinen Armen. Sie spürte, dass ihre Mama unruhig war. Summer war so sensibel. Sie reagierte stets auf meine Stimmungen. Ich seufzte.

„Gina wird in einer viertel Stunde hier sein“, sagte die Betreuerin, als sie sich wieder mir gegenüber setzte.

Despair

„Ich denke, du bist so weit, dass du nach Eden kannst“, sagte Night, mich über den Schreibtisch hinweg ansehend.

„Ich habe nicht vor, nach Eden zu gehen“, sagte ich. „Jedenfalls noch nicht. Ich muss meine Gefährtin und mein Kind finden.“

Night lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Sie ist untergetaucht, Despair. Sie will nichts mit uns zu tun haben. Wir hatten ihr angeboten, nach Eden zu gehen. Immerhin ist das Kind halb Alien Breed. Doch sie sagte, sie wollte nie wieder einen Alien Breed zu Gesicht bekommen. Sie hasst uns. Ich weiß nicht was zwischen euch vorgefallen ist, doch es ist offensichtlich, dass sie nicht deine Gefährtin sein will.“

Ich seufzte leise. Ich hatte erwartet, dass sie mich nicht sehen wollen würde. Immerhin hatte ich ihr Unaussprechliches angetan. Doch es waren die verdammten Drogen gewesen. Ohne die verdammten Medikamente wäre ich niemals über sie her gefallen. Ich hätte mich nicht einmal auf freiwilliger Basis mit ihr eingelassen. Ich hasste die Menschen. Ich hätte mir niemals eine menschliche Gefährtin genommen. Doch sie war von mir schwanger geworden und das machte sie zu meiner Verantwortung. Sie und das Kind waren mein. Ob sie es nun wollte oder nicht, ich würde für sie sorgen. Sie beschützen. Der Gedanke, dass sie und mein Kind irgendwo ohne meinen Schutz lebten, beunruhigte mich zutiefst.

„Sie ist die Mutter meines Kindes“, sagte ich bemüht ruhig. „Ich werde sie finden und mich um sie kümmern. Mit der Zeit wird sie es akzeptieren. Sie wird verstehen, dass ich ihr ohne die verfluchten Drogen niemals Gewalt angetan hätte.“

Night runzelte die Stirn.

„Dann war die Paarung gewalttätig“, stellte er fest.

„Ich stand unter Drogen. Ich hätte sie sonst nie angefasst.“

Night schüttelte den Kopf.

„Es ist nichts so, dass ich dir Vorwürfe mache, Mann, wir alle wissen, was die Drogen aus uns machen können, doch du musst verstehen, dass es für die arme Frau traumatisierend gewesen sein muss, von einem Breed wie dir vergewaltigt zu werden. Es ist ein Wunder, dass sie es überlebt hat.“

Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, als die Erinnerungen an den verfluchten Tag zurück zu kommen drohten. Nicht jetzt! Ich schob die furchtbaren Bilder energisch in einen verborgenen Winkel meines Gehirns, wo ich alle die schrecklichen Erinnerungen meiner Vergangenheit aufbewahrte. Als ich die Augen erneut öffnete, sah ich Night direkt an.

„Ich bin nicht stolz auf das was ich getan habe, Night. Doch ich würde ihr nie wieder Gewalt antun. Ich werde ihr beweisen, dass ich ihr ein guter Gefährte und dem Kind ein guter Vater sein kann. Ich würde sie mit meinem Leben beschützen.“

Night seufzte.

„Daran zweifle ich nicht, dennoch denke ich, dass die beiden ohne dich besser dran wären. Menschen sind emotional viel schwächer als wir. Ein solches Erlebnis wird sie tief traumatisiert haben und wenn du plötzlich auf der Bildfläche auftauchst, dann wird sie sicher in Panik geraten. Ich kann dir keine Zustimmung dazu geben. Sorry, Despair, ob es dir passt oder nicht, du wirst nach Eden gehen. In drei Tagen geht dein Shuttle.“

Zwei Tage später

Ich hatte keine Ahnung wie ich es anstellen sollte, allein auf mich gestellt in der Welt der Menschen, doch eines war klar für mich: ich würde nicht mit dem Shuttle nach Eden fliegen. Ich musste meine Gefährtin und das Kind finden. Ich war gestern heimlich in das Büro des Alien Breed Task Force geschlichen und hatte den Namen und die letzte bekannte Adresse von meiner Gefährtin herausgefunden. Ihr Name war Nadja. Es gab kaum Informationen über das Kind, nur dass es wohl ein Mädchen war. Ich hatte eine Tochter. Nadja und die Kleine waren jetzt die oberste Priorität in meinem Leben. Ich würde sie finden und ich würde für sie da sein. Mir war klar, dass Nadja sich sehr wahrscheinlich vor mir fürchtete, mich sogar hasste, doch ich würde alles tun um zumindest dafür zu sorgen, dass sie lernte mir zu vertrauen und dass wir für das Wohl unserer Tochter irgendwie zu einer Übereinkunft kommen konnten. Ich machte mir keine Illusionen, dass Nadja mich jemals lieben würde, dafür hatte ich ihr zu viel angetan. Es war ja auch keine Liebe von meiner Seite. Ich hatte sie unter dem Einfluss von DMIs Drogen vergewaltigt und geschwängert. Doch auch wenn ich mich schemenhaft an die Tat erinnern konnte, so war ich damals nicht in der Lage gewesen, irgendeine emotionale Bindung zu formen, wie das sonst bei den Breeds und ihren Gefährtinnen der Fall war. Ich hatte in den Monaten nach meiner Befreiung ein paar Alien Breed-Menschen Pärchen getroffen und was sie miteinander hatten würde ich mit Nadja nie haben können. Doch das war nicht wichtig. Wichtig war, dass ich meine Gefährtin und mein Kind schützen und für sie sorgen konnte.

Sieben Monate später

Wieder eine verdammte Sackgasse. Frustriert ließ ich mich auf das Bett meines billigen Motelzimmers fallen und schloss die Augen. Seit über einem halben Jahr jagte ich den Spuren meiner Gefährtin hinterher. Sie schien nie lange an einem Ort zu bleiben, wahrscheinlich aus Angst, gefunden zu werden. Doch sie war hier gewesen. Die Nachbarin hatte sich an sie erinnert. Sie und das Baby. Die Frau wusste nicht, dass das Kind halb Alien Breed war. Ebenso wenig wusste sie wer oder was ich war. Ich versteckte meine ungewöhnliche Kopfform unter einer Mütze und meine Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille. Ich war vorsichtig, niemals die Lippen zu weit zu entblößen, um meine Fänge nicht zu zeigen. Seit Monaten schaffte ich es, mich unter den Menschen zu bewegen ohne dass sie wussten, mit wem sie es zu tun hatten. Ich nahm hier und da ein paar Gelegenheitsjobs an um Unterkunft, Verpflegung und Transport bezahlen zu können. Ich hatte wieder einmal eine Sackgasse erreicht und würde in diesem Kaff bleiben müssen, bis ich den nächsten Hinweis gefunden hatte. Meine Geldmittel gingen auch wieder zu Neige, also würde ich meine Zeit hier in Dodger’s Hill nutzen, um ein wenig Geld zu verdienen. Ich hatte am anderen Ende des Kaffs eine Sägemühle gesehen. Ich würde morgen sehen, ob man dort einen Mann gebrauchen konnte. Ich bevorzugte harte Arbeit, denn es half mir etwas von meinem Frust abzubauen. Hin und wieder hatte ich Geld mit ein paar illegalen Street-Fights verdienen können. Das war mir am Liebsten gewesen. Doch in einem Kaff wie Dodger’s Hill gab es keine Street-Fights.

Mein Magen begann zu grummeln. Ich beschloss, etwas im Burger Laden um die Ecke zu essen und mich dann zurück zu ziehen. Morgen hatte ich einiges zu tun. Mir einen Job zu beschaffen hatte oberste Priorität, doch ich würde mich auch ein wenig umhören ob irgendjemand eine Ahnung hatte, wohin Nadja mit der Kleinen gezogen sein konnte.

Despair

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