Читать книгу Käpt'n Sansibo — Die Canneloni auf fernen Meeren - Micha Luka - Страница 4

2. Kapitel: Ein Käpt’n zuviel

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»Der Berg ist fertig, Käpt’n!«, erscholl Bullerjans Stimme.

»Is nur ‘n kleiner Berg, Käpt’n«, ergänzte Kullerjan. Als die beiden aus der Kombüse traten, zuckte Käpt’n Arbuk leicht zusammen. Sie mussten ihm wie Riesen vorkommen, so klein wie er war.

»Welcher Berg?«, fragte er misstrauisch.

»Ich habe mir erlaubt, Luis in die Kombüse abzukommandieren. Er hat meinen Männern geholfen, eine gehörige Portion Bratkartoffeln für uns alle vorzubereiten«, sagte Käpt’n Sansibo. »Ich hoffe, das war in Ihrem Sinne, Käpt’n Arbuk.« Käpt’n Arbuk lachte laut auf.

»Sie haben was getan? Sie haben meinen besten Mann zum Kartoffelschälen geschickt? Na – das wird ihm nicht geschadet haben, ha!«

Kullerjan machte ein großes Auge, genau wie Bullerjan, als sie das vollbesetzte Deck sahen.

»Wir ham keine Teller nich für alle, Käpt’n«, stammelte er.

»Das macht nichts. Bringt einfach die Pfannen raus und verteilt die Löffel. Und unsere Portion bringst du in meine Kajüte.« Kullerjan nickte und verschwand mit Bullerjan in der Kombüse. Luis hatte sich inzwischen zu Käpt’n Arbuk gesellt und machte ein finsteres Gesicht.

»Ich nehme an, Sie werden bei Ihren Männern essen wollen, Käpt’n!«, sagte Käpt’n Sansibo, winkte Toby zu sich und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verschwenden in seiner Kajüte. Toby fing einen stechenden Blick von Käpt’n Arbuk auf und folgte dann seinem Käpt’n.

»Mach die Tür zu, Toby«, sagte der leise.

»Mir kommt das alles nicht ganz geheuer vor, ich hab da ein paar Dinge beobachtet und irgendetwas stimmt da nicht«, sprudelte Toby hervor, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Käpt’n Sansibo setzte sich an seinen Tisch und kraulte seinen roten Bart.

»Na dann lass mal hören«, sagte er. Toby zählte an seinen Fingern ab:

»Dieser Living Tom hat einem der vier Männer, die angeblich alle bewusstlos waren, heimlich etwas zugeflüstert. Keiner von denen verhält sich, als ob er gerade aus Seenot gerettet worden ist. Es sieht vielmehr so aus, als ob die alle auf etwas warten. Warum sonst sagen die nichts? Die sehen auch gar nicht aus, als ob sie vier Tage in einem Ruderboot in der grellen Sonne verbracht hätten. Der Living Tom hat ganz bleiche Arme, kein Sonnenbrand, gar nix. Der andere, der sich Luis nennt, hat einen Schnitt am Kinn und als einziger keinen Bart. Nehme ich denn, wenn ich von einem angeblich sinkenden Schiff in ein Rettungsboot springe, noch mein Rasierzeug mit?«

»Du musst dich ja noch gar nicht rasieren«, sagte Käpt’n Sansibo und grinste.

»Ich nicht, aber dieser Luis. Da ist doch was faul, oder können Sie mir das alles erklären?« Käpt’n Sansibo schüttelte den Kopf.

»Im Gegenteil, ich hab selbst noch ein paar Fragen. Warum erzählt der Living Tom was von vier Tagen, die sie angeblich in den Booten waren, und ihr Käpt’n spricht von acht Tagen. So durcheinander kam mir dieser Living Tom gar nicht vor. Und überhaupt: Diese Namen. Ich kenne bestimmt alle Dreimaster auf den südlichen Meeren, aber von einer Molly Black habe ich noch nie gehört. Und von einem Käpt’n Arbuk erst recht nicht.« Toby kratzte sich am Kopf.

»Und wenn der Name nun falsch ist? Arbuk hört sich wirklich irgendwie künstlich an. Aber wenn …« Er zog die Nase kraus und rieb sich die Stirn.

»Was wäre, wenn wir den Namen einfach rückwärts buchstabieren? Dann kommt Käpt’n Kubra raus. Haben Sie von dem schon mal gehört?« Käpt’n Sansibo hörte auf, seinen Bart zu kraulen. Er war blass geworden. Zumindest der Teil seines Gesichtes, den man hinter seinem Bart sehen konnte.

»Heiliger Klabautermann!«, flüsterte er und starrte Toby an. »Heiliger Klabautermann!«, flüsterte er gleich noch einmal.

In diesem Moment klopfte jemand an die Tür und gleich darauf ging sie auf. Es war Kullerjan, der das Essen brachte.

»Bullerjan will draußen bei den anderen essen«, sagte er, während er die Teller verteilte und sie aus einer dampfenden Pfanne mit gezwiebelten Bratkartoffeln füllte.

»Soll ich auch … Käpt’n?«

»Nee, du bleibst hier! Und mach die Tür zu, sofort!«, erwiderte Käpt’n Sansibo heftig. Trotz aller Aufregung hatte Toby einen mächtigen Hunger.

»Fie kennen alfo Käpt’n Kubra?«, fragte er mit vollem Mund. Käpt’n Sansibo stocherte in seinem Teller herum. Ihm war der Appetit vergangen.

»Bin ihm nie persönlich begegnet, Gottseidank! Aber ich hab von Leuten gehört, die ihm begegnet sind«, brummte er in seinen Bart.

»Wiefo Käpt’n Kubra?«, fragte Kullerjan. »Iff benk, ber heifft Abuk?«

»Der hat gelogen, Kullerjan«, flüsterte Toby.

»Wir haben den Teufel an Bord geholt, Jungs«, sagte Käpt’n Sansibo und sah sie aus seinen großen, schwarzen Augen an. Toby musste schlucken.

»Aber was will er denn von uns? Wenn die Bande nur so getan hat, als wäre sie in Seenot, wo ist dann ihr Schiff? Und wie heißt es wirklich? Und was machen wir jetzt?« Käpt’n Sansibo nickte langsam.

»Das sind viele gute Fragen, Toby.«

»Ich hab auch eine Frage«, sagte Kullerjan jetzt ebenfalls mit leiser Stimme. Er hatte seinen Teller, der noch halbvoll war, zur Seite geschoben. Es war ganz still in der Kajüte und ihnen allen wurde bewusst, dass es auch draußen an Deck ganz still war, obwohl dort sechzehn ausgewachsene Männer plus Bullerjan saßen und aßen. Es war so still wie in einem Kloster um Mitternacht.

»Soll ich Bullerjan lieber zu uns holen?«, flüsterte Kullerjan. Käpt’n Sansibo nickte.

»Tu das! Sag ihm, dass ich mit euch reden muss!«

»Sag, es ist wegen des Frühstücks morgen!«, ergänzte Toby, »das ist nicht so auffällig.«

»Ja, das ist gut«, sagte Kullerjan. Er verschwand eilig durch die Tür nach draußen.

»Was hat dieser Kubra bloß vor?«, brummte Käpt’n Sansibo.

»Vielleicht hat Bullerjan ja irgendetwas mitbekommen«, flüsterte Toby, obwohl er selbst nicht so recht daran glaubte.

Bullerjan hatte tatsächlich etwas mitbekommen, und zwar einen Schlag auf den Kopf. Er war für kurze Zeit so betäubt, dass er nicht mitbekam, wie sechs Hände ihn blitzschnell fesselten und eine siebte ihm einen Knebel in den Mund steckte. So konnte er die anderen nicht warnen. Die Männer von Käpt’n Kubra hatten ihn zu viert hochgehoben und an den Fockmast gestellt, wo er wieder zu sich kam. Er hatte so einen Brummschädel, dass ihm die Augen tränten. Er konnte nur ganz verschwommen sehen, wie die Tür der Kapitänskajüte aufging und Kullerjan heraustrat. Der sah dagegen mit einem Blick, was passiert war. Doch er war so überrascht davon, dass er erstmal wie gelähmt war. Käpt’n Kubra hatte schon darauf gewartet, dass jemand aus der Kajüte käme und sich gleich neben der Tür postiert. In der rechten Hand hatte er eine geladene Pistole, die er Kullerjan unter das Kinn hielt. Er musste sich ganz schön strecken, aber der Schrecken war trotzdem groß genug für den großen, starken Matrosen.

»So, mein Junge«, sagte Käpt’n Kubra mit seiner hohen Stimme, die einem eine Gänsehaut den Rücken runterjagen konnte, »du siehst, deinem Kumpel geht es gut. Aber das kann sich schnell ändern. Liegt ganz bei dir, was mit ihm passiert.«

»Aber ich …«

»Klappe halten, Großer! Mein Zeigefinger zuckt manchmal ganz komisch. Könnte dir schlecht bekommen. Du drehst dich jetzt schön langsam um, machst die Tür auf und meldest deinem Käpt’n meinen Besuch an. Schließlich weiß ich, was sich gehört.« Kullerjan warf einen Blick auf die Männer, die plötzlich allesamt bewaffnet waren und ihn kampflustig anstarrten. Jeweils zwei von ihnen standen rechts und links von Bullerjan. Von dem Knebel hatte er ganz dicke Backen. Er blickte ihn mit seinem einen Auge an. Und dann zwinkerte er zum Zeichen, dass Kullerjan Kubra gehorchen sollte.

»Wird’s bald!«, fauchte Käpt’n Kubra ihn an und schleuderte ihm einen solch giftigen Blick aus seinen stechenden Augen entgegen, dass Kullerjan gar nichts anderes übrigblieb. Er öffnete die Kajütentür.

Toby und Käpt’n Sansibo waren aufgesprungen. Sie hatten Kubras Stimme nicht überhören können.

»Der Arbuk, Käpt’n, äh …, Käpt’n Kubra …, Käpt’n äh …, jedenfalls der Bullerjan …«, stammelte Kullerjan. Kubra stieß ihm seine Pistole in den Rücken.

»Mach Platz, Herrgott nochmal! Kannst du nicht mal einen einfachen Satz geradeaus sagen?« Kullerjan stolperte zur Seite und blieb an der Wand stehen.

»Das hört sich aber nicht sehr höflich an, Kubra«, sagte Käpt’n Sansibo mit ruhiger Stimme. Er redete den kleinen, dicken Mann absichtlich nicht mit Käpt’n an. Der grinste breit und zeigte seine gelben Zähne, zwischen denen noch ein paar Zwiebelstückchen hingen.

»Aber, aber, Käpt’n Sansibo, wir wollen doch bei der richtigen Anrede bleiben. Ich bin Käpt’n, genau wie Ihr.«

»Warum haben Sie dann einen falschen Namen genannt«, platzte Toby heraus. Kubra richtete seine kleinen, blauen Augen auf ihn.

»Wen haben wir denn da, der sich so vorlaut einmischt?«, sagte er leise.

»Das ist Toby, der cleverste Schiffsjunge, den ich kenne«, erwiderte Käpt’n Sansibo. »Er ist sehr schnell darauf gekommen, dass Arbuk in Wahrheit Kubra ist. Ihr hättet euch etwas mehr Mühe geben müssen«, fügte er hinzu.

Kubra biss die Zähne aufeinander. Toby sah es an seinen malmenden Kiefern. Er konnte offensichtlich nur mühsam seine Wut beherrschen.

»Käpt’n Sansibo, ich würde es vorziehen, wenn Sie mich mit Käpt’n Kubra anreden würden.« Käpt’n Sansibo lächelte schmal.

»Und ich würde es vorziehen, wenn Sie mein Schiff wieder verlassen und Ihre Männer mitnehmen. Ich nehme an, sie sind alle satt geworden.« Kubra verschränkte die Arme.

»Die Bratkartoffeln waren tatsächlich äußerst lecker, das muss ich zugeben. Deshalb habe ich auch beschlossen, Ihren Koch auf dem Schiff zu behalten. Ich denke, ich habe ihn schon davon überzeugt, dass es besser für seine Gesundheit ist.«

»Sie ham Bullerjan gefesselt, Käpt’n!«, stieß Kullerjan hervor, »und geknebelt, Käpt’n! Er hat gar nix sagen können. Gar nie nich, Käpt’n!« Toby stürzte zur Tür, die nur angelehnt war.

»Es stimmt, Käpt’n, Bullerjan sieht ganz bleich aus«, keuchte er vor Schreck. Käpt’n Sansibo baute sich vor Kubra auf, den er um einen Kopf überragte und verschränkte ebenfalls seine massigen Arme.

»Ist das Ihre Art, sich bei uns zu bedanken, Kubra?«

»Käpt’n Kubra, ich sag’s zum letzten Mal! Und wofür zum Teufel sollen wir Ihnen dankbar sein?«, zischte der kleine Teufel.

»Richtig«, sagte Käpt’n Sansibo ungerührt, »ihr seid ja alles andere, als schiffbrüchig. Mal wart ihr vier Tage im Boot, mal acht Tage, ihr könnt nach so langer Zeit ohne Essen und ohne Wasser immer noch rudern, als ob ihr ein Wettrennen veranstaltet, und manch einer hat sogar noch Zeit gehabt, sein Rasierzeug mit ins Rettungsboot zu nehmen, nicht wahr?« Kubra zeigte wieder seine gelben Zähne. Er grinste böse und verschränkte seine Arme.

»Ah ja, ich verstehe. Ich hab Luis schon tausendmal gesagt, er soll das Rasieren sein lassen. Ich denke, ich werde ihm mal zeigen, was man mit so einem Rasiermesser alles anstellen kann.«

»Ich würde gern wissen, was Ihr mit Eurem Schiff angestellt habt«, sagte Käpt’n Sansibo. »Living Toms Erzählung kam mir doch eher wie ein Märchen vor. Von wegen: ›Irgendetwas Großes hat uns ein Loch ins Schiff gemacht.‹ Das stinkt doch fürchterlich nach einer Lüge.« Kubra fuchtelte ungeduldig mit seiner Pistole herum.

»Lächerlich! Living Tom sagt viel, ohne groß nachzudenken. Jetzt wo wir hier an Bord sind, ist es vollkommen egal, was mit meinem Schiff ist.«

»Aber untergegangen ist es doch wohl nicht«, warf Toby ein. Kubra warf ihm einen spöttischen Blick zu.

»Scheinst ja wirklich ein schlaues Kerlchen zu sein. Natürlich ist mein Schiff nicht untergegangen. Es wartet hinter dem Horizont auf mich.«

In diesem Moment öffnete Oma Zitrona, die die ganze Zeit über auf ihrer Stange an der Wand gedöst hatte, ihre Augen und starrte Kubra an. Die gelben Federn auf ihrem kleinen Kopf sträubten sich.

»Horizont, Horizont«, krächzte sie, »kenn ich, kenn ich gut!«

»Ha!«, rief Kubra aus, »du hast nicht nur ‘nen cleveren Schiffsjungen, sondern auch noch ‘nen oberschlauen Vogel, was?« Käpt’n Sansibo nickte und grinste grimmig.

»Schön, dass wir jetzt beim Du angelangt sind, Kubra. Dann verrat mir doch mal, wozu du ein zweites Schiff brauchst.« Kubra richtete seine Pistole auf Käpt’n Sansibo.

»Du bist ganz schön neugierig, Sansibo«, sagte er leise in seiner hohen Stimme, so dass es Toby fröstelte. Kullerjan stand stumm an der Wand und wusste vorerst nicht, was er tun sollte. »Es geht dich zwar überhaupt nichts an, was meine Pläne angeht. Aber du und deine Leute, ihr werdet sowieso bald in einem kleinen Boot auf dem weiten Meer unter der Sonne verdorren. Niemand wird euch finden.« Kubra machte eine Pause und Oma Zitrona konnte ihre gelben Federn überhaupt nicht mehr beruhigen. »Also kann ich es dir auch verraten, mein lieber Sansibo.«

»Dann lass mal hören, mein lieber Kubra.« Kubras Gesicht verzerrte sich vor Wut. Er war es nicht gewohnt, dass jemand so mit ihm redete. Aber er hatte sich gleich wieder in der Gewalt und verzog seine Lippen zu einem schmalen, hässlichen Grinsen.

»Schon mal vom Silberschatz von Fürst Colimar gehört? Soviel Silber auf einem Haufen gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Und dieser Schatz ist gerade auf hoher See, weil der feige Fürst ihn auf seiner Insel in Sicherheit bringen will.« Käpt’n Sansibo hatte davon gehört, aber er antwortete Kubra nicht. Stattdessen behielt er seine Pistole im Auge.

»Das Silber gehört aber dem Fürsten, oder?«, fragte Toby. Kubra machte eine ungeduldige Handbewegung.

»Was bedeutet das schon? Darum hab ich mich noch nie gekümmert, wem was gehört. Der Schatz wird einfach neu aufgeteilt.« Er zeigte wieder sein böses Grinsen.

»Genau genommen wird er gar nicht aufgeteilt. Es ist nicht meine Art, zu teilen, und wenn ich mit zwei Schiffen auftauche, wird der Fürst das viel eher einsehen. Es wird keine hässlichen Kämpfe geben, keinem passiert etwas und alle gehen zufrieden ihrer Wege. Nur der Silberschatz wird künftig mir gehören. Ich finde, das ist ein genialer Plan, was meinst du, Sansibo?« Der Käpt’n antwortete absichtlich mit sehr lauter Stimme.

»Was willst du mit dem Schatz anfangen? Wo wirst du ihn verstecken? Wer wird ihn bewachen? Wem kannst du trauen? Wie schnell wird sich herumsprechen, dass du den Schatz geklaut hast? Ich wette, dass du daran noch keinen Gedanken verschwendet hast. Leute wie du, denken einfach nicht so weit.« Kubras Männer draußen an Deck bekamen jedes Wort mit. Kubra gefiel das ganz und gar nicht, vor allem, weil er keine Antworten auf Käpt’n Sansibos Fragen hatte. Er richtete seine kleinen, giftigen Augen auf ihn.

»Da sind ein Schiffsjunge, ein einäugiger Tölpel und ein vertrockneter Papagei deine einzigen Freunde, Sansibo, und du plusterst dich hier auf, als hättest du hundert Mann hinter dir. Hast du daran schon gedacht?« Toby schaute seinen Käpt’n an, der Kubra ins Gesicht starrte. Darauf hatte er keine Antwort. Kubra schlug mit der flachen Hand einmal auf den Tisch. »Ich will dir sagen, was jetzt passiert, nämlich genau das, was ich mir vorher überlegt habe. Willst du es wissen, Sansibo, willst du es wissen?« Käpt’n Sansibo schnaubte verächtlich.

»Du wirst es ja doch nicht für dich behalten, also spuck’s schon aus!« Kubra bleckte seine gelben Zähne und stach mit seinem Zeigefinger in die Luft.

»Du kletterst als erster die Strickleiter runter und steigst in ein Boot!«, befahl er Kullerjan mit seiner unangenehmen Stimme. Dann deutete er auf Toby. »Du Bürschchen, folgst ihm und versuch keine Tricks!« Kullerjan und Toby schauten ihren Käpt’n hilflos fragend an.

»Und du, mein lieber Sansibo«, säuselte Kubra betont freundlich, »verlässt als letzter dein Schiff, wie es sich gehört. Und nimm gefälligst dein gelbes Federvieh mit!« Wieder richtete er seine Pistole auf Käpt’n Sansibo.

»Ich geb’ dir einen guten Rat. Bis hierher waren wir alle sehr freundlich zueinander. Wenn man so eine kleine Mannschaft hat wie du, sollte man auf seine Leute aufpassen. Wenn ihr alle schön brav ins Boot steigt, kommt ihr mit dem Leben davon. Und das ist doch schon was. Wir lassen euch sogar Trinkwasser. Wie gefällt dir das, Sansibo?« Der Käpt’n tauschte Blicke mit Kullerjan und Toby. Dann wischte er mit der Hand über sein Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Was ist mit Bullerjan?«, fragte er. Kubra grinste.

»Wie ich schon sagte: Dein Koch bleibt hier. Er hat die beste Karte gezogen. Ihr müsst künftig ohne ihn auskommen.

»Dat geht nich, Käpt’n, dat geht überhaupt gar nie nich!«, rief Kullerjan, »dann bleib ich auch hier an Bord!«

»Ha!«, schrie Kubra, »Du hast wohl nicht zugehört!« Er fuchtelte wild mit der Pistole herum. »Los, Sansibo, sag’ dem Einauge, was die Stunde geschlagen hat.« Käpt’n Sansibo holte tief Luft. Toby hielt die Luft an. Kullerjan hielt es nicht mehr an der Wand. Er stürmte zur Tür und wollte seinen Kumpel Bullerjan von den Fesseln befreien.

»Kullerjan!«, schrie Käpt’n Sansibo mit Donnerstimme, so dass der sofort stehenblieb. »Wir sind zu wenige. Steig in das Boot! Im Augenblick können wir nichts anderes tun.«

»Aber Käpt’n …«

»Aber …«, schnaubte Käpt’n Sansibo und brachte sein Gesicht ganz dicht vor Kubras Gesicht, wobei er sich etwas hinabbeugen musste, »wir kommen zurück, Kubra, das versprech’ ich dir, und deine Männer werden froh sein, dieses Schiff, mein Schiff, die Canneloni mit heiler Haut verlassen zu dürfen. Sie wissen nämlich noch gar nicht, was mit der Canneloni los ist!« Wieder hatte er so laut gesprochen, dass Kubras Männer jedes einzelne Wort verstanden. Kubra verzog angewidert sein Gesicht. Er sah nicht, wie Käpt’n Sansibos Worte auf die Männer draußen wirkten.

»Was soll schon los sein, mit dem alten Kahn? Hat genug Segel, schwimmt wie ‘ne Ente und hat genau die richtige Größe für mich. Also halt die Klappe, schnapp deinen grässlichen Vogel und geh mir aus den Augen! Du warst lange genug an Bord!«

»Du sagst es, Kubra, ich war lange genug an Bord, um alles zu wissen über die sonderbare Geschichte der Canneloni«, sagte Käpt’n Sansibo und trat aus seiner Kajüte an Deck. Vierzehn Männer starrten ihn an. Nur Living Tom stand abseits und blickte gelangweilt aufs Meer hinaus. Luis stand ganz vorn und grinste den Käpt’n frech an.

»Na Sansibo, darfst dir jetzt wohl ‘nen neuen Koch suchen, wie?«, knurrte er.

»Halt die Klappe, Luis!«, brüllte Kubra, »Du redest nur, wenn du gefragt wirst!«

»Aye Käpt’n«, sagte Luis mit seiner knarzigen Stimme, aber das Grinsen war wie eine hässliche Fratze in sein Gesicht eingeritzt.

Käpt’n Sansibo blickte an ihm vorbei auf Bullerjan, der immer noch gefesselt und geknebelt am Fockmast stand und seinen Blick mit einem großen Auge erwiderte. Oma Zitrona saß auf Käpt’n Sansibos Schulter und starrte die fremden Männer einen nach dem anderen an.

»Merk dir ihre Gesichter!«, sagte Käpt’n Sansibo zu ihr, »merk sie dir ganz genau!« Toby, der neben dem Käpt’n stand, bemerkte, wie ein paar der Männer ihren Kopf zur Seite drehten, oder eine Hand vors Gesicht hielten. Kubra stieß seine Pistole schmerzhaft in Kullerjans Rücken und trieb ihn aus der Kajüte raus.

»Los jetzt! Beweg deine großen Füße, sonst verpass ich dir ein paar Löcher!« Kullerjan stolperte an Toby vorbei zur Reling, wo immer noch die Strickleiter hing. Käpt’n Sansibo drehte sich zu Kubra um.

»Wie es aussieht hast du keine guten Nerven, Kubra. Glaub’ mir, die Männer haben ein Gespür dafür. Die merken es, wenn du nervös wirst und sie merken es, wenn du Angst hast. Aber du wirst nicht merken, wenn sie Angst haben und das ist viel gefährlicher für dich. Du wirst sie immer anbrüllen und durch die Gegend scheuchen, weil sie dir ganz egal sind. Und dann dauert es nicht mehr lange, bis du ihnen egal bist.« Käpt’n Sansibo stand breitbeinig vor Kubra und hatte die Arme in die Hüften gestemmt. Außerdem war er einen Kopf größer und nahm ihm so die Sicht. Toby hatte das schnell erkannt und nutzte es aus. Bevor irgendeiner von Kubras Männern ihn aufhalten konnte, war er zu Bullerjan gerannt und an ihm hochgesprungen. Er klammerte sich an seiner Schulter fest und flüsterte ihm eilig etwas ins Ohr. Dann ließ er sich wieder aufs Deck runterfallen und folgte Kullerjan. Der war bereits über die Reling geklettert und wartete auf der obersten Sprosse der Strickleiter. Toby warf noch einen Blick auf Bullerjan und der zwinkerte mit seinem Auge.

Kubra hatte von alldem nichts mitbekommen. Er grinste Käpt’n Sansibo spöttisch an. Dann streckte er seine Pistole in die Luft und gab ohne Vorwarnung einen Schuss in den Himmel ab. Der unerwartete Knall ließ alle zusammenzucken. Dann richtete er die Pistole auf Käpt’n Sansibo. Oma Zitrona war ruhig auf dessen Schulter sitzengeblieben. Sie war derlei Krach von früher gewohnt.

»Schöne Rede, die du da verzapft hast, Sansibo. Aber ich sag dir was: Das Einzige, was sich meine Männer davon merken werden, ist mein Schuss. Wollen wir wetten? Und jetzt ist genug palavert. Du bist ab sofort Käpt’n auf einem Ruderboot. Kannst ja mal zeigen, wie gut deine Nerven sind in, sagen wir mal fünf oder sechs Tagen, wenn das Wasser alle ist und ihr von Bratkartoffeln nur noch träumen könnt!«

Käpt’n Sansibo blieb davon unbeeindruckt. Er schenkte Kubra ein dünnes Lächeln und drehte sich zu den Männern um, die während der ganzen Zeit wortlos dagestanden waren.

»Denkt an meine Worte. Ihr werdet euer blaues Wunder erleben!«, rief er mit seiner Donnerstimme. Dann winkte er Bullerjan zu und kletterte Toby und Kullerjan hinterher in das Ruderboot.

»Kubra! Kubra!«, krächzte Oma Zitrona und schaukelte auf seiner Schulter hin und her. »Kenn ich nicht! Kenn ich überhaupt nicht, Kubra!« Ihre raue, kratzige Stimme war noch eine ganze Weile zu hören, nachdem Kullerjan schon mit Rudern angefangen hatte. Bullerjan musste grinsen, aber weil er einen Knebel im Mund hatte, merkte das keiner. Er war sicher, dass er seine Mannschaft bald wiedersehen würde.

Käpt'n Sansibo — Die Canneloni auf fernen Meeren

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