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ОглавлениеVorwort
Die vergangenen 60 Jahre deutscher Entwicklungspolitik waren geprägt durch ein Wechselbad unterschiedlicher strategischer Ansätze – deutschlandpolitische, außenpolitische, sicherheitspolitische, wirtschaftspolitische, rohstoffpolitische, umweltpolitische und friedenspolitische Interessen waren und sind durchwoben von moralischhumanitären Motiven. Dieses Buch verdeutlicht den häufigen Paradigmenwechsel in der deutschen Entwicklungspolitik.
Auf den folgenden Seiten beschreibe und bewerte ich die Strategien, Inhalte und Ergebnisse von 14 Etappen deutscher Entwicklungspolitik, beginnend mit den mühseligen Anfängen in den 1950er-Jahren und dem ersten Entwicklungsminister Walter Scheel in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre bis hin zum Entwicklungsminister Gerd Müller heute.
Das erste Kapitel skizziert die Kernelemente der deutschen Entwicklungspolitik. Es definiert Ziele, Arten, Instrumente und Formen der Entwicklungspolitik und vermittelt Ihnen dadurch einen guten Einstieg. Diese Begriffsklärungen erleichtern es Ihnen, die in den folgenden Kapiteln genannten Fachausdrücke zu verstehen und in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen.
Um den zeitgeschichtlichen Hintergrund zu verdeutlichen, werden Äußerungen einzelner Minister an verschiedenen Stellen im Originalwortlaut wiedergegeben und zu allen Epochen deutscher Entwicklungspolitik Stimmen von Zeitzeugen aufgenommen. Sie erläutern und bewerten die entwicklungspolitischen Inhalte der einzelnen Phasen und die Arbeit der verschiedenen Minister.
Das Buch schließt mit einer Bilanz. Fortschritte und Rückschläge werden deutlich benannt.
Die Erfolgsgeschichten betreffen vor allem die verbesserte wirtschaftliche und soziale Lage in Entwicklungsländern – auch in Afrika. Angesichts einer Medienlandschaft, in der oft gilt: „bad news sells“, zeige ich anhand faktenbasierten Wissens auf, wie sich in den letzten 20 bis 30 Jahren die Armut, die Kinder und Müttersterblichkeit, die Ausbreitung von Tuberkulose, Malaria und AIDS verringert haben und wie sich der Grundschulbesuch und der Zugang zu sauberem Trinkwasser drastisch erhöht haben – auch in Afrika. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist, da sie überdeckt wird durch aktuelle Katastrophenmeldungen, z.B. Ebola in Sierra Leone, oder politische Krisen in Syrien, Yemen, Mali und Südsudan.
Ich schildere allerdings auch die Rückschläge: Die Misserfolgsgeschichten betreffen vor allem die Hungerbekämpfung und die ökologische Lage (Zerstörung der Wälder, Verlust der Artenvielfalt, Anstieg der Treibhausgasemissionen, Überfischung der Meere). Der Anteil der Entwicklungspolitik an diesen positiven und negativen Entwicklungen wird deutlich benannt.
Der Blick in die Zukunft verlangt von der Entwicklungspolitik sich gegen die Globalisierung der Gleichgültigkeit zu stemmen. Sie verlangt aber auch einen intelligenten strategischen Mix, denn in den vergangenen Jahren wurde die Welt von zwei heftigen Turbulenzen erschüttert, der globalen Finanzkrise und der Nahrungsmittelkrise. Hinzu kommt ein drastischer Klimawandel als eine Art Schiffbruch in Zeitlupe. Diese drei Faktoren zusammen haben unsere Vorstellung davon, wie sich die Welt entwickelt, gründlich verändert. Hier gilt es, „neu zu denken“ und UN-Konventionelle entwicklungspolitische Antworten zu finden. Das Buch zeigt deswegen fünfzehn große Herausforderungen auf dem Weg von der Entwicklungszusammenarbeit zur globalen Kooperation auf.
Die nächsten Jahrzehnte werden entscheiden, ob Armut und Hunger ebenso Geschichte werden wie die Sklaverei oder ob ein neues von Konflikten und Chaos bestimmtes Zeitalter die Fortschritte der vergangenen 60 Jahre wieder zunichtemachen wird.
Zusammenwirken staatlicher Entwicklungspolitik, nicht-staatlicher Organisationen und Partnerland
Konkrete Politik wird nicht nur von Ministern gemacht, die entscheidenden Akteure sind daneben die Staatssekretäre und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der entwicklungspolitischen Institutionen. Deshalb werden in einem Anhang die Namen aller Minister, aller beamteten und parlamentarischen Staatssekretäre, der Abteilungsleiter (die sog. politischen Beamten) und der Unterabteilungsleiter des BMZ von 1961 bis heute aufgeführt. Auch die Vorsitzenden des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Deutschen Bundestag von 1961 bis heute werden genannt. Ferner werden Organisationspläne aus allen Perioden des BMZ zugänglich gemacht, aus denen die Namen aller Referatsleiter seit 1961 bis heute zu ersehen sind. Des Weiteren wird eine Liste wichtiger entwicklungspolitischer Institutionen (mit dem Namen der derzeit Verantwortlichen) beigefügt.
Politik wird nicht nur „von oben“ gemacht, sondern entscheidend auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien im Zusammenspiel mit den Durchführungsorganisationen, mit dem Parlament und vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Da in historischen Abhandlungen fast ausschließlich die „Oberen“ genannt werden, halte ich es für angemessen und notwendig, stellvertretend für die entwicklungspolitische Community die Namen der BMZPersonen aus den vergangenen über 60 Jahren zu nennen, die die eigentlichen „Gestalter“ waren.
Zu warnen ist vor einer „MachbarkeitsEuphorie“ von Ministern, Machern im Apparat und Experten in Entwicklungsorganisationen (die „MetaEbene“), deren Ideen und Vorschläge häufig an der harten Realität vor Ort zerbröseln. Nicht Verkündung von Politik ist oberstes Gebot, sondern die Umsetzung, und die bedarf einer Bodenhaftung an die Wirklichkeit von Armut, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen vor Ort. Die Menschen in den Partnerländern sind es letztendlich, die entscheiden, ob ein Weg aus der Armuts und Ökologiefalle gefunden wird. Entwicklungszusammenarbeit ist immer nur Hilfe zur Selbsthilfe.
Es muss deutlich betont werden, Entwicklungspolitik ist nicht nur eine staatliche Aufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche. Die sog. nicht-staatliche Entwicklungszusammenarbeit, d.h. die Arbeit vieler großer und kleiner zivilgesellschaftlichen Organisationen leistet einen beachtenswerten Beitrag zur Bewältigung von Hunger und Armut, doch letztlich gilt: Entwicklung braucht Selbstbestimmung. Änderungen, die die Wurzel der Armut erfassen, können nur die Betroffenen selbst herbeiführen. Generell stellt sich für unsere entwicklungspolitischen Konzeptionen die Entlastung von uneinlösbaren Ansprüchen, die Rückkehr zum Gedanken der Eigenverantwortlichkeit der Entwicklungsländer. Mut ist gefordert, um eine andere Art der Definition von Entwicklungspolitik ins Auge zu fassen: Entwicklungspolitik ist Rücksichtnahme auf das, was andere können.
Bonn, im Mai 2019
Michael Bohnet