Читать книгу EHEAUS - Michael Brandenburg - Страница 3
PROLOG
ОглавлениеBitter beklagte er sich im Krankenhaus bei der Therapeutin Steffi, dass er sich bei den Übungen fast wie bei einer Sitztanzgruppe für betagte Senioren fühle. Sie erklärte ihm, dass er doch erst einmal zwischen dem leben soll, wozu sein Körper vorher zu leisten imstande war und was sein Körper seit zwei Wochen erst wieder kann. Abfinden konnte er sich mit dieser Aussage nicht. Das war keine Option, die ihm nach seiner Infektion listeria enzephalitis Hoffnung auf eine schnelle Rekonvaleszenz machte. Durch welches kontaminierte Lebensmittel er sich infiziert haben könnte, wird ihm bis ans Ende seiner Tage ein Rätsel bleiben. In der Vorweihnachtszeit hatte ihm alles geschmeckt. Nichts war dabei, was ihm nicht ganz astrein erschien.
Ungefähr einen Monat lag er seit Heiligabend auf der Intensivstation im Koma. Minute für Minute, Stunde um Stunde rang er dem Tod ab. Bei einer Visite meinte der Oberarzt zu seiner Stellvertreterin: "wenn der Kerl mir irgendwann auf dem Flur auf seinen eigenen zwei Beinen entgegenkommt, dann glaube ich an Wunder."
Nach dem Koma brauchte er noch mehr als zwei Monate Aufwachphase aus dem Delir. In dieser Zeit lag er zunächst mit Ledergurten vollständig am Körper fixiert und in einem späteren Stadium auch noch mit weißen Fäustlingen an beiden Händen im Bett. Er war einfach zu unruhig gewesen. Er hatte sich den Katheter, die Kanülen an Hals und Armen herausgerissen und einem indonesischen Pfleger, der sich in Reichweite über das seitliche hochgezogene Bettgitter beugte, mit der bloßen Faust eine krachende Linke auf die rechte Wange verpasst.
In den ersten Tagen war es im großen Haus ohne ihren Mann komisch für sie und sie benahm sich einige Zeit auch komisch. Jeden Abend, nachdem sie sich zum Schlafen ins Bett legte, streichelte sie vor lauter tiefem Mitgefühl Kopfkissen und Laken seiner Bettseite und betete auch für ihn, obwohl sie nicht an Gott glaubte. Dann holte sie die Realität ein und fühlte sich befreit. Zuhause konnte sie ohne anzügliche Bemerkungen ihres Mannes Weinschorle trinken, wenn ihr da nach war und auch so viel sie wollte. Auch zwang sie am späten Abend niemand mehr in ein polizeigenaues Alkoholmessgerät mit digitaler Anzeige zu pusten, wenn sie mehr als nur leicht angeschickert, manchmal sogar bis zur Bettschwere angetörnt, vom monatlichen Mädelstreff mit ihren Kolleginnen im portugiesischen Café Rossio zum Tapas essen und Vino Verde trinken zurückkam oder, nachdem sie zusammen mit ihren beiden besten Freundinnen Brigitte und Martina bei einem Italiener war. Noch tagelang hatte sie von ihrem Mann immer wieder ein und dieselbe Leier anhören müssen, wenn ihre Promillezahl sehr hoch war: "haben deine Eltern dich im Suff gezeugt oder hatte deine Mutter salzige Titten, als sie dich als Baby stillte?"
Im Bett spielte sich auch nicht mehr viel ab. Ihm kam es alle vierzehn Tage nur noch darauf an, schnell fertig zu werden und schredderte sie förmlich unters Laken. An ihre Bedürfnisse verschwendete er nicht einen Gedanken.
Absolut wichtig für ihn war, dass das Abendessen auf dem Tisch stand, wenn er aus Berlin zurückkehrte. An der Grenze zwischen Mecklenburg - Vorpommern und Schleswig - Holstein kündigte er per iPhone jedes Mal telefonisch an, dass er noch eine gute halbe Stunde brauchen würde, bis er zuhause sei.
Wie auch in Hamburg betreute er in Berlin vor seiner Infektion als Projektleiter in Festanstellung bei einem Bauträger jeweils zwei Neubauvorhaben für die freie Vermietung von Wohnungen. In Berlin war er immer von Dienstag bis Donnerstag und übernachtete in einem möblierten Apartment, das seine Firma für ihn angemietet hatte. Es wurde sein Liebesnest. Er genoss die Nächte mit ständig wechselnden Frauen, die er abends in angesagten Kneipen oder Restaurants kennengelernt hatte und fuhr stets aufs Neue auf die gekonnten Hüftschwünge der reichlich pummeligen und dauerkiffenden Ghanaerin Abla ab wie nichts Gutes. Wenn Abla klamm und deshalb nervös war, drückte er ihr 40 Euro in die Hand, damit sie sich beruhigte.
Noch als ihr Mann im Dämmerzustand lag, hatte sie genug nach ihrer Halbtagsarbeit und den fast täglichen Besuchen im Krankenhaus jeden Nachmittag auf irgendeine Weise die freie Zeit tot zu schlagen oder zuhause zu hocken, wo ihr vor lauter Langeweile die Decke auf den Kopf zu fallen schien und handelte. Sie fragte ihre Chefin, ob sie ganze Tage arbeiten könne und erhielt ein paar Tage später die prompte Zusicherung der Personalabteilung ab Mai, bis eine entsprechende Vollzeitstelle in der Administration in dem Chocoladenwerk eines weltweiten Nahrungsmittelunternehmens für sie frei ist, zunächst als Springerin ganze Tage arbeiten zu können. Freudestrahlend erzählte sie es im Büro ihren engsten Kolleginnen. Sie gratulierten ihr. Denise meinte, sie solle es machen wie sie. Denn ganztags zu arbeiten und dazu noch den gesamten Haushalt zu schmeißen, wäre zu viel und empfahl ihr Frau Sack, die bei ihr putzte. Zwei Tage danach fand sie den Flyer "Wir machen Ihren Garten schön" im Briefkasten. Da Gartenarbeit und Rasenmähen noch nie so richtig ihr Ding war und sie mehr als nur leise Zweifel hegte, ob ihr Mann jemals wieder in der Lage sein wird, sich um den großen Garten zu kümmern, rief sie die Telefonnummer an, die auf dem Flyer stand.
Eine Woche später erschien das Schwulenpärchen Karli und Marco bei ihr und inspizierte den Garten. Problemlos wurde sie sich mit Karli und Marco einig. Am 25. April wollten sie loslegen. Frau Sack wollte am Freitag, den 5. April, beginnen.
Überdurchschnittlich schnell war ihr Mann nach dem Erwachen aus dem Dämmerzustand geistig beieinander.
Sie erhielt einen Anruf vom Krankenhaus mit der Bitte, ihn die kommenden zwei Tage nicht zu besuchen, damit er sich in Ruhe daran gewöhnen soll, weshalb er im Krankenhaus ist und man seine Entwicklung beobachten wolle. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, dass er das Schlimmste überstanden hatte und packte so nach und nach an Kleidung und für die körperliche Pflege, alles, was er nach ihren Vorstellungen brauchen wird, in seine mausgraue Tennistasche.
Am Tag, an dem sie ihn wieder besuchen durfte, öffnete sie voller Erwartung die Tür zum Krankenzimmer. Als sie ihn neben dem Bett im Rollstuhl sitzen sah, ging sie lächelnd auf ihn zu und streckte den rechten Arm aus, um seine linke Wange zu tätscheln. Spontan drehte er den Kopf zur Seite.
Er: "Rühre mich nicht an!"
Erschreckt weicht sie einen Schritt zurück und setzt die Tennistasche ab. Er d reht den Kopf zurück.
Er: "Ich brauche keine übertriebene Beachtung."
Verblüfft schaut sie ihn an.
Er: "Mir reicht der Scheiß, weshalb ich hier bin."
Sie: "Darf ich jedenfalls fragen, wie es dir geht?"
Er: "Beschissen!"
Sie: "Deine Stimme klingt so anders. So blechern."
Er: "Ich trage einen Sprechaufsatz in der Luftröhre. Das sieht man doch. Oder bist du etwa blind geworden?"
Sie schweigt.
Er: "Ich muss sehen, dass ich schnell wieder auf die Beine komme."
Er grunzt.
Er: "Ich kann meine Armbanduhr nicht finden. Oder liegt sie vielleicht zu Hause?"
Sie: "Ich wüsste nicht, wo."
Er: "Dann muss sie mir hier geklaut worden sein."
Verärgert winkt er ab.
Er: "Besorge mir schnellstens eine neue Uhr. Aber keine teure. Hast du verstanden?"
Sie schweigt.
Er: "Wenn ich wieder zu Hause bin, kaufe ich mir eine Rolex."
Sie schweigt.
Er: "Ich will nur dich hier am Dienstag und Donnerstag sehen und sonst niemand weiteren. Meine Infektion geht nur mich und außer meinem Chef und Füten, keiner anderen Person etwas an. Hast du meinen Chef informiert?"
Sie nickt.
Er: "Muss ich dir jedes Wort aus der Nase ziehen? Was sagt er?"
Sie: "Er wünscht dir alles Gute und möchte auch weiterhin alle vierzehn Tage von mir über deinen Zustand informiert werden."
Er: "Dann rufe ihn Morgen an und sage ihm, dass ich körperlich noch neurologische Defizite habe, aber geistig voll klar bin."
Sie nickt. Er blic kt zur Tennistasche.
Er: "Hoffentlich hast du mir da keinen unnötigen Mist rein gepackt."
Sie schweigt.
Er: "Ich möchte, dass du jetzt gehst. Deine künftigen Besuche sollten auch nicht länger dauern."
Sie war brüskiert über sein Verhalten, doch glaubte den Grund zu kennen. Er ertrug es nicht, in ihrer Anwesenheit im Rollstuhl sitzen zu müssen und dadurch Schwäche zu zeigen. Dass man ihn bestohlen hatte, tat ihr leid. Die stilvolle Armbanduhr war zum Aufziehen und ein Erbstück seines Großvaters. Als sie sich im Frühling an einem herrlichen Samstagnachmittag das zweite Mal trafen und bei der Alsterperle auf einer Bank saßen, hatte sie die Uhr bewundert. Mit einem diskret charmanten Lächeln schaute er ihr erst tief in die Augen, ehe er sagte: "eine schöne Uhr zeigt die Zeit an, doch eine schöne Frau lässt sie vergessen", und eroberte mit diesem Kompliment ihr Herz.
Damals und auch die kurze Dauer, während sie zusammen in der Maisonettewohnung zur Miete wohnten, war er liebenswürdig, umgänglich und zuvorkommend. Manchmal las er ihr sogar die Wünsche von den Lippen ab. Da glaubte sie noch an eine Liebe, bis dass der Tod sie voneinander scheidet.
Doch mit der Idee, sich unbedingt etwas Eigenes leisten zu müssen, dem raschen Baufortschritt durch seinen direkten Einfluss auf die Unternehmen, die teilweise schwarz oder umsonst arbeiteten und erst recht mit dem Einzug in das teilunterkellerte, zweistöckige und luxuriös ausgestattete Haus mit extensiv begrüntem Flachdach, den immer größeren Bauvorhaben, die er im Job an sich riss, begann er sich zu verändern und entwickelte sich mit der Zeit zu einem unberechenbaren Besserwisser, Wichtigtuer und Großmaul mit kaum zu überbietender Arroganz und Überheblichkeit, der allen ansagte und nur allein wusste, wo es langgeht. Wer zum Beispiel mit Vierzig noch zur Miete wohnen würde, war für ihn auf der Strecke geblieben. Wer bei einem Discounter seine Lebensmittel kaufte, in Geschäften für billige Textilien und Schuhe shoppte oder in Ramschläden wie diese Ein - Euro - Shops ging, hatte die Kontrolle über sein Leben verloren und sollte es wie er, einmal mit richtiger Arbeit versuchen. Ihm könne keiner so schnell das Wasser reichen. Er wird in seiner Firma noch groß herauskommen. Nicht umsonst nennt man ihn im Büro Meister des geschliffenen Wortes.
Bis auf Füten, mit dem er zusammen eingeschult wurde, hatten sich alle Freunde von ihm abgewendet. Ihre Freundinnen Brigitte und Martina, die sich in Winterhude eine große Altbauwohnung teilten, kränkte er mit der Behauptung Leckschwestern zu sein und wurde für beide zu einem roten Tuch.
Und sie selbst? Sie hatte sich fast immer gefügt und häufig wie eine Magd, die zu gehorchen hatte, von ihm hin und her scheuchen, ohne triftigen Grund kritisieren lassen und seine ständigen boshaften Anspielungen ertragen. Nicht selten weinte sie nachts leise neben ihm im Bett.
Jeder normale Mensch wäre glücklich und dankbar bei einer derartigen Infektion mit dem Leben davon gekommen zu sein und hätte Demut empfunden. Und er? Er hatte sich nicht verändert. Als er in der vierten Woche auf dem langen Flur des Krankenhauses bereits sicher ging, aber für seine Verhältnisse noch recht langsam, bot sie ihm ihren linken Arm als Unterstützung an und streckte ihn aus. Brutal schlug er ihn weg.
Er: "Fass´ mich nicht an! Ich kann allein gehen!"
Sie: "Ich wollte dir doch nur behilflich sein."
Er: "Liege du einmal drei Monate stramm im Bett. Da hüpfst du auch nicht sofort wie ein junges Reh durch die Gegend. Übrigens will ich nicht, dass du mich bei jedem Schritt und Tritt beobachtest."
Verdattert blickt sie ihn an.
Er: "Nur ich bestimme, wie ich gehe und mich verhalte. Hast du mich verstanden?"
Sie: "Wie ich sehe, bist du heute wieder sehr umgänglich."
Er: "Du gehst mir auf den Keks!"
Zwei Tage lief sie mit dem Gedanken schwanger, sich von ihm zu trennen, ehe sie sich Brigitte und Martina anvertraute. Beide konnten sie überzeugen, dass das ein vielversprechender Schritt wäre. Durch ihre Unterwürfigkeit wäre sie schon lange nicht mehr die, die sie einmal war. Es ist ihr Leben und nur sie kann es ändern. Täte sie es nicht, riskiert sie langsam von innen aufgefressen zu werden. Ab sofort sollte sie auch die Augen offen halten, mit ihren beiden Freundinnen oder allein ausgehen und dabei als gutaussehende Frau versuchen ihren nicht mehr ganz so gertenschlanken Körper geschickt ins Feld zu führen.