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Der wütende Papst und der Prominenten-Jaeger

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Seit eine Münchner Bank in den achtziger Jahren Pleite gegangen ist, residiert Georg Kapellmann unter der frommen Adresse Kardinal-Döpfner-Passage inmitten der Münchner Innenstadt.

Den Besucher empfing ein Palais aus dem neunzehnten Jahrhundert, erstellt aus Marmor, Stein und Schmiedeeisen, prunkend mit einem Portal, über dem das Bayern-Wappen schwebte, von dicken Putti gehalten, spätes neunzehntes Jahrhundert.

An zwei mächtigen Marmorsäulen vorbeischreitend, betrat der Magazin-Reporter Harry Gundlach ein Foyer, das eines Staatstheaters würdig gewesen wäre. Säulen trugen einen Himmel, der von allerlei Getier und ätherischen Wesen bevölkert war. Rechts vom Eingang befand sich eine Loge, wo zwei Pförtner gelangweilt Wache schoben.

Als der Reporter den weiten Raum betrat, merkte einer von ihnen auf, erhob sich, verließ seinen durch Glas gesicherten Verschlag und trat auf den Eindringling zu, noch lächelnd, noch höflich.

„Guten Tag, der Herr. Was kann man für Sie tun?“

Als Harry Gundlach vom Magazin, Hamburg, stellte sich der Reporter vor. Und er habe eine Verabredung mit Herrn Georg Kapellmann.

„Um diese Zeit?“

Dabei sah der Pförtner, Herr Matuschke las der Reporter auf einem winzigen Schildchen, stirnrunzelnd auf seine Uhr, ein glitzerndes Rolex-Ding.

„Um diese Zeit, mein Herr, feiert Herr Kapellmann doch die Heilige Messe!“

Georg Kapellmann, den sie in der Branche nur Geo den Großen nennen, heißt auch „der Papst“, weil er erstens sich so fromm wie jener in Rom gebärdet, und zweitens, weil er in dem selben Dorf wie der Benedikter-Papst aufgewachsen ist.

Dort betrieb Georgs Vater das Dorfkino. Geo ist also von Kindesbeinen an mit Kino und Film, der Vorführung in dunklen Sälen, dem Verleih und dem Handel desselben aufgewachsen. Nach dem Krieg ist Geo dann selbst in den Filmhandel eingestiegen, wobei er sein Vermögen mit einem einzigen Film aus dem

Nachkriegsfrankreich gemacht hat: Kinder des Olymp, ein Werk von betörender Poesie, ein schwarz-weiß Schmankerl für Nachkriegscineasten, noch während des Kriegs in Frankreich von Marcel Carne´ inszeniert. An dem ein wenig der haut gout der Kollaboration haftete.

Kapellmann wird auch deswegen der Papst genannt, weil er über ein Konglomerat aus verschiedenen Fernseh- , Video-, Phono- und Filmproduktionsfirmen gebietet, auch Geos Kirchen und Kapellen genannt. Einerseits hält er Beteiligungen an Kommerz-Fernsehsendern, Tageszeitungen, Zeitschriften, Frauenblättern und der kunterbunten Unterhaltungspresse; andererseits arbeiten seine Produktionsfirmen vor allem für das öffentlich-rechtliche Fernsehen; eine Art sichere Bank, auf die Geo immer setzen konnte.

„Eins, zwei. Sprechprobe. Drei, vier. Sprechprobe. Besuch bei Papst Geo dem Großen“, murmelte Gundlach in sein Mini-Mikro, wobei er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

Im Palais befand sich, extra für den frommen Mann eingerichtet, seine private Kapelle. Tief unten im Keller, wo einst das Allerheiligste der Bank war, der Tresor.

„Was lachen Sie, mein Herr. Wir sind ein frommes Haus.“

Ich weiß, ich weiß, nickte der Reporter und fragte nach dem Zeitpunkt seines Rendezvous.

Wieder dieser grübelnde Blick auf die Rolex.

In einer Viertelstunde sei er wohl so weit. Der Herr könne so lange in der Halle warten. Wobei Matuschke diesmal vage raumgreifend in eine der vielen Nischen wies.

Als ob dem Depp dieses alles gehörte, dachte der Reporter, ehe er es sich bei den diversen Hochglanzbroschüren, die von den medialen Aktivitäten von Papst Geo prahlten, gemütlich machte.

Auf die von weit her gerufene Frage nach einem Kaffee nickte der Reporter zufrieden. Stil hat man hier wenigstens, wenn auch keinen Geschmack. Das Interieur muss ein Dekorateur entworfen haben, der eine heftige Abneigung auf die Gesetze der Geometrie, der Proportionen und die natürliche Ordnung der Dinge gehabt haben muss.

Als plötzlich Bewegung in die starren Pförtner kam, als sich in der Ferne eine Tür öffnete und Stimmen bis ins Foyer trugen, schien die Messe beendet.

Amen. Gehet hin in Frieden.

Es erschien Papst Geo, geleitet von einem in grau gehaltenen Herrn. Seitdem er vom Alterszucker gezeichnet ist, ist Geo Kapellmann fast blind. Also führte ihn sein Begleiter nun direkt auf den Reporter zu, der sich von den Broschüren losgerissen und sich erhoben hatte.

„Eins, zwei, eins zwei“, murmelte er in sein winziges Aufnahmegerät, „Aufnahme: Der Papst hält Audienz.“ Und ließ es in der Innentasche seines Sakkos verschwinden.

In Kapellmans Begleitung befand sich ein Dutzend Menschen: Der Pfarrer, der die Messe gelesen hatte mitsamt einem Ministranten strebten geziert dem Ausgang zu. Die anderen, in dunkles Tuch gehüllte Männer und eine Frau liefen zu den Aufzügen. Endlich war Papst Geo beim Reporter angelangt.

„Herr Gundlach, nehme ich an.“

Während der nickte, hielt Kapelmann Gundlach die Rechte hin. Geos warme, trockene, traf auf Harrys kalte, feuchte.

„Gehen wir in mein Büro. Da ist bereits alles vorbereitet.“

Im Schlepptau der beiden betrat der Reporter einen vierten um die Ecke gebauten Aufzug, der nur dem Papst vorbehalten war. Darin ging es ohne Aufenthalt in den siebten Stock des ehrwürdigen Hauses, zu den Zimmerfluchten, wo Geo Kapellmann seine Wohn- und Arbeitsräume hatte.

Auch sein Büro, dessen Türen sich magisch öffneten, war mit etlichen Monitoren und Breitwandapparaten vollgestellt. Riesige Lautsprechertürme deuteten auf das Handicap des Gebieters über ein Medien-Imperium hin. Geo Kapellmann war zudem fast taub und konnte nur mit Hilfe einer grotesk großen Brille, in deren Bügel Hörgeräte versteckt waren, hören, eher Geräusche wahrnehmen.

Als ob er seine Gedanken hätte lesen können, sagte der Medien-Papst:

„Ich kann meine eigenen Produktionen kaum noch, äh, betrachten, äh, verfolgen, wenn ich mal so sagen darf.“

Darauf brach er in ein kleines, kokettes Lachen aus, das dem Reporter die Spannung nahm. Eine Spannung die, so oft er auch bereits solcherart Persönlichkeiten besucht und befragt hatte, dennoch sein ständiger, unangenehmer Begleiter blieb.

„Waren Sie schon dabei, als Ihr Chefredakteur mich und mein Haus vernichten wollte?“, fragte Kapellmann nun kalt und schneidend seinen Besucher. „Beim Magazin, meine ich?“

„Sie vernichten? Nein, damals war ich noch nicht beim Magazin.“ Und über diese Geschichte wisse er nichts Näheres – außer, dass das Magazin einst, lang ist`s her, über die fruchtbaren Beziehungen zwischen Kapellmanns Firmenkonglomerat und einem der größten europäischen öffentlich-rechtlichen Sender berichtet hatte. Mit eidesstattlichen Erklärungen der Beteiligten. Mit Beweisen der Bestechungen und Bestechlichkeit. Beim öffentlich-rechtlichen Sender flogen daraufhin ein paar Redakteure raus, andere wurden degradiert oder in andere Redaktionen abgeschoben, es gab, so erinnerte sich Gundlach vage, auch einen Selbstmord auf dem Mainzer Erlenberg.

Bei Geos Firmen hinterließ der Skandal keine Spuren.

Deswegen auch heute diese gewisse Leutseligkeit des Chefs.

Wenn das so sei, so solle er sich doch setzen und sich bedienen, meinte Kapellmann noch, ehe er mit einer Fernbedienung einen der Flachbildschirme zum Leuchten brachte.

„Deshalb sind Sie doch hier. Schauen wir uns zusammen die Bescherung an“, sagte er, indem er sich in seinen Lesersessel sinken ließ.

Livehaftig! Euer Ronny“, das Logo der Sendung erschien quietschbunt auf der Mattscheibe, musikuntermalt mit Fanfarenstößen. Man sah Ronny inmitten der Bühne seiner Sendung, alles wie immer so schön bunt hier. Sah die Ab- und Ansage des Moderators und wie Ronny zu erstaunen schien, als ein Mann im weißen Kaftan erschien. Wie sind wir hier doch multikulti schien Ronnys Miene zu sagen. Und wie Ronny noch dummdreist blickte, als der Neue den Kaftan öffnete, wie ein Exhibitionist. Und wie Ronnys Lächeln gefror und die Augenbrauen unter die grässlich schwarz gefärbte Haarpracht zu schlüpfen schienen. Und wie sein Gesicht verfiel, als man diesen fatalen Satz, „was gilt die Wette, wenn ich mich jetzt mitsamt dem Scheiß hier in die Luft...“ .

Das Wort sprenge war bereits in dem darauffolgenden Getöse untergegangen.

Aus der Ecke des Papstes hörte der Reporter einen tiefen Seufzer.

„Ich sehe keinen Sinn in diesem Akt. Keinen Sinn. Keinen Sinn“, murmelte er stetig. „Keinen Sinn.“ Und schüttelte dabei betrübt sein Haupt.

„Darin liegt auch kein Sinn, meiner Meinung nach lediglich Unsinn“, ließ sich der Reporter vernehmen.

„Halten Sie den Mund!“, raunzte ihn Geo Kapellmann an. „Schauen wir uns gemeinsam die anderen Aufzeichnungen an. Dann können wir darüber debattieren.“

Man hörte die überlauten Singles einer Sondersendung. Achtung, Sondersendung. Achtung. Sondersendung, bleckte es aus dem Apparat. Dann erschien ein Mann in Schwarz, blickte freudlos in seine Kamera und verlas mit belegter Stimme seinen Text.

Während unserer beliebten live-Sendung Livehaftig!Euer Ronny verschaffte sich ein Attentäter muslimischer Herkunft Zugang ins Studio, zündete eine an seinem Körper angebrachte Bombe und tötete sich dabei. Auch der Moderator der Sendung, Ronny Akkermann, wurde schwer verletzt und ringt mit dem Tod. Über die Beweggründe des Attentats tappen die Behörden noch im Dunkeln. Wir schalten jetzt in unser Studio, um ihnen das Ausmaß der Zerstörungen zu zeigen. Hallo, Irmgard, kannst du mich hören?

Es folgte ein Schnitt ins Studio Fünf, in dem noch vor zwei Tagen und etlichen Stunden die Sendung lief, live und mit Publikum. Die Reporterin Irmgard, ebenfalls in Schwarz gewandet, stand inmitten der Bühnen- und Kulissen-Trümmer, ein schauriger Anblick. Und überall dieses Blut, oder was auch immer das ist, dachte der Reporter vor dem Bildschirm zynisch. Rote Farbe. Damit kennen sich die Kulissenmaler doch aus.

Ja, meine Damen und Herren, Sie sehen mich hier inmitten der Szenerie des Schreckens, der vor kurzem in unsere beliebte Unterhaltungssendung gefahren ist. Doch wer verbirgt sich hinter dem Attentäter? Welches kranke Hirn? Welcher verquere Geist? Welche tödliche Ideologie? Wir und die Ermittler wissen das noch nicht, und die Betonung liegt auf dem Wörtchen noch. Seien Sie gewiss, meine Damen und Herrn, dass wir Sie auf dem Laufenden halten und auch auf das warum bald eine Antwort haben.

„Mit der Betonung auf dem Wörtchen bald“, ließ sich Reporter Harry Gundlach vernehmen. Doch Geo Kapellmann fuhr ihm noch einmal mit einer Geste über den Mund. Dann lauschten beide den Erklärungen auf einem anderen Kanal, derselbe Text, dieselben Bilder.

Gundlach sah sich den großen Geo Kapellman, den sie den Papst nannten, genauer an. Fotos von ihm waren seit zwanzig, ja dreißig Jahren Mangelware; oder eben so alt. Kapellmann ließ sich womöglich aus Gründen der Eitelkeit nur ungern fotografieren, der Reporter sah einen unförmigen Riesen, der seine Augen hinter einer großen Sonnenbrille verbarg. Den Anzug von der Stange sprengte ein Wulst von einem Bauch fast aus den Nähten. Die Hosenbeine waren zu kurz für die langen, feisten Beine, so dass zwischen den Socken und dem Hosenschlag bleiches Fleisch zu sehen war. Kappellmanns Füße steckten in ausgelatschten, ungepflegten schwarzen Tretern, Größe fünfundvierzig schätzte der Reporter. Die Hände, von Gichtknoten grotesk verkrampft, fuhren ihm immer wieder wie unter Zwang ins Gesicht, an Mund und Nase, als ob sie da etwas verscheuchen wollten, Fliegen oder anderes eingebildetes Ungeziefer.

Sehen so millionenschwere Film-Produzenten aus, fragte sich Gundlach.

Da knipste der Papst mit leichtem Druck den Ton der Monitore aus. In dem Moment betrat ein anderer Anzugträger den Raum und flüsterte dem Chef etwas ins Ohr. Der sah nur in Richtung des Reporters, schüttelte dann, er schien enttäuscht, sein Haupt und bellte:

„Verlassen Sie sofort mein Büro und mein Haus. Sie sind gar nicht derjenige, als den Sie sich ausgegeben haben. Sie sind ein Betrüger, jawoll! Raus jetzt!“

In beschwichtigender Geste hob der Reporter die Hände in die Höhe, hörte noch mal Geos „raus!“, murmelte, o.k. ich bin kein Redakteur mehr bei dem Magazin, o.k., o.k., doch immer noch dessen Freier Mitarbeiter. Und bei einem Dutzend anderer Blätter auch noch.

Doch das ging im Getöse der Monitore, die Kapellmanns Adlatus laut aufgedreht hatte, unter.

„Manni Jaeger?“

Keine Antwort.

„Hallo! Ist da Manfred-Manni Jaeger? Auch Prominenten-Jaeger genannt?“

„Ja“ kam es zögerlich von anderen Ende der Leitung. Es folgte wieder Stille.

„Hier spricht Harry Gundlach. Vom Magazin, Hamburg.“

Stille, nur ein leises Rauschen der Verbindung, und immer noch keine Reaktion.

„Herr Jaeger, wir haben uns vor langer Zeit mal zu einem Gespräch getroffen. Erinnern Sie sich?“

Schweigen am Ende der Leitung. Dann ein Seufzer.

„Zusammen mit dem Kollegen Wendig und einem Fotografen. Erinnern Sie sich jetzt? Wir sprachen damals über die TV-Serie, die nach Ihrem Bild, nach Ihrer Person gestrickt wurde. Promi-Klatsch und Tratsch.“

„Ja, jetzt ist der Groschen gefallen. Wir zogen damals zu dritt durch die Gemeinde, gell.“

Die TV-Serie hatte jedoch wenig mit seinem wirklichen Leben und seiner Arbeit zu tun gehabt, erklärte Jaeger. Die beiden Erfinder, Regisseur Helm Blum und sein Storyflüsterer Pierre Kindler, hätten das Blaue vom Himmel fabuliert, fantasiert, berichtigte Jaeger sich. Das sei dann auch das Ende ihrer Freundschaft gewesen. Der Freundschaft von Helm Blum, Pierre Kindler und Manni Jaeger, erklärte er für Begriffsstutzige.

Gundlach nickte, aber das konnte Manni Jaeger ja nicht sehen.

„Und seit er mit dieser Historienplotte Der Seifensieder von Marseille reich und berühmt geworden ist, ist Kindler wie vom Erdboden verschluckt, von der Bildfläche verschwunden, merkwürdig, gell.“

„Ja, merkwürdig“, wiederholte Gundlach.

Manni Jaeger war einmal eine bekannte Münchner Medienfigur gewesen. Unter der Marke Prominenten-Jaeger hatte er zunächst für eine Münchner Boulevard-Zeitung, später dann für das berüchtigte Bundesboulevard-Blatt mit den extragroßen Lettern und dem vielen Blut auf der Tittenseite eine tägliche Klatschkolumne geschrieben. Tausend Mark hatte er dafür bekommen, täglich, hieß es.

Jaeger war in München nicht nur als Klatschreporter berüchtigt, sonder auch ein bekannter Prominentenwirt, der im Hinterzimmer seiner Schickeria-Kneipe auch ein Kabarett betrieb und noch, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, andere spaßige Dinge, Glücksspiel, Drogenspielchen. Die und das Spießerdelikt Steuerhinterziehung brachten ihn schließlich ins Gefängnis Stadelheim, wenn auch nur für acht Monate. Der Rest war auf Bewährung.

Heute, so ist zu hören, ist Manni Jaeger gänzlich Pleite und soll von der Sozialhilfe leben. Deshalb die kargen Reaktionen, dachte der Reporter.

„Ich bin hier in München auf einer interessanten Fährte, um nicht zu sagen, auf einer heißen Spur. Doch plötzlich verstummten meine Gesprächspartner oder legten auf...“

Ein Kichern als Reaktion auf der anderen Seite der Leitung. Damit kannte sich Promi-Jaeger aus. Mit vor der Nase zufallenden Türen und aufgelegten Telefonhörern.

„Und jetzt denken Sie, dass ich Ihnen als Türöffner dienen könnte. Nein, danke, mein Lieber.“

„Genau das dachte ich mir. Sozusagen aus Kollegialität.“

Es springe auch ein Informationshonorar dabei heraus, fügte er noch an.

Wieder dieses Jaegersche Kichern.

„Sie wissen doch, dass ich kein Kollege mehr bin. Mein Kollege ist derzeit mein Bewährungshelfer und der Sachbearbeiter beim Sozialamt“, sagte Jaeger.

„Was man so hört. Wenn Sie mir helfen...“

Gundlach hörte, wie Jaeger den Hörer beiseite legte, irgendwo kramte, irgendetwas notierte.

„Geben Sie mir ihre Mobilnummer. Ich melde mich bei Gelegenheit.“

„Bei Gelegenheit ist mir zu vage. Meine Nummer müsste auf ihrem Display aufscheinen. Wollen wir uns nicht mal irgendwo treffen? Ich würde Ihnen gerne unter vier Augen von den Recherchen erzählen.“

„Holen Sie mich morgen um zehn ab. Haidhausen, Sie kennen die Adresse? Ich ahne, worum es Ihnen geht. Der Fall Ronnie A., gell!“

Aus dem einst feisten Klatschreporter Manni Jaeger war ein hageres Männchen geworden. Das einstmals üppige, dunkle, tief in die Stirn reichende Haar war einer grauen, schütteren Matte gewichen. Keine Lach-, sondern Sorgenfalten zierten Jaegers Gesicht. Jaeger hatte krumm stehende, gelbliche Zähne. Dennoch strahlte er den Reporter aus Hamburg an, als er ihn in der Tür seiner Appartementwohnung in Münchner Stadtteil Haidhausen erwartete. Barfuss stand er dort an der Schwelle, ein mit Essensresten verkleckertes Hemd hing ihm aus der Hose, ein leichter, muffiger Geruch ging von ihm aus, aber der mochte auch aus dem Inneren der wüsten Wohnung kommen.

„Jetzt erinnere ich mich an unsere Begegnungen. Es waren doch damals mehrere, gell?“ sagte Jaeger und hielt Harry die Pfote hin. „Haben Sie ein paar Jahre später nicht Aufsehen mit einem Roman erregt? Erregt, haha. Erinnere ich mich da auch richtig?“

Jaegers Worte hallten aus dem Raum hinter ihm nach, als ob die Wohnung gänzlich leer geräumt war.

Jaeger bat Gundlach herein und führte ihn am Ärmel seines Sakkos durch einen schmalen, dunklen Flur in einen hellen, offenen Wohnbereich. Der schien tatsächlich wie leergeräumt.

„Der Gerichtsvollzieher hat damals alles mitgenommen, was nach Wert aussah“, erklärte Jaeger seinem Gast grinsend. „Meine Designermöbel, meine Schallplatten, meine Bücher. Die Stereoanlage und Videoanlage. Lediglich den Fernseher hat er mir gelassen, der gute Mann. Der zählt wohl zu den unverzichtbaren Lebensmitteln. Die gesamte Porsche-Küche wurde abtransportiert. Mir blieb mein Bett, ein Tisch, zwei Stühle und eine alte Couch.“

Von der er eben gerade aufgestanden schien.

An den Wänden blieben lediglich Jaegers Trophäen: Wohl Hunderte von Prominenten-Fotos, edel silbern gerahmt, Bilder von reichen, schönen und berühmten Menschen, die irgendwann einmal in Jaegers Kolumnen aufgespießt worden waren. Gunter Sachs und Günter Grass hingen dort friedlich nebeneinander, Uschi Glas, Romy Schneider, Alfred Hitchcock, Jack Nicholson. Und etliches Gundlach unbekanntes Personal.

„Die Großen, Berühmten und Reichen“, kommentierte Jaeger ironisch seine Galerie. Seine Vergangenheit. Mehr war da nicht, dachte Harry. Mitleidig? Nö.

„Und Geo Kapellmann und Alf Franke-Welser und Ronnie Akkermann sind nicht dabei?“

„Geo – wer?“, fragte Jaeger grinsend und ließ sein gelbes Gebiss sehen.

„Georg Kapellmann, genannt Geo, Sie wissen schon. Der Allesfresser aus der Kardinal-Döpfner-Passage.“

Als Jaeger seinen Gast bat, sich zu setzen, servierte er ihm gleich einen Kir Royal. Champagner, plopp, auf schwarzem Johannisbeerextrakt. Wobei beide einvernehmlich lachen mussten. Waren das Zeiten! Jaeger war jemand, der sein Leben lang über seine Verhältnisse gelebt hatte.

„Der Sektkühler ist aus dem Haushalt von Gunter Sachs und BB“, sagte Jaeger und zeigte auf die ineinander geschlungenen Monogramme der beiden Berühmtheiten, BB und GS, in einem Herzchen vereint. Auch längst vorbei, diese yellowpress Romanze. GS geht jetzt am Stock und BB füttert ihre tausend Tiere.

„Um Ihnen ein paar mehr Informationen über die dunklen Seiten des Medienhauses des großen Geo Kapellmann zu verschaffen“, sagte Jaeger wichtigtuerisch, “werden wir uns heute Abend mit einer seiner Ex treffen, o.k.?“

O. K. nickte der Reporter und sah seinen Kollegen fragend an. Der blätterte bereits in seinem Telefonbuch.

„Ein fast vergessenes Sternchen. Cindy Mueller-Leile nennt sie sich. Die hat so eine Wut auf Geo, dass sie darüber gerne mit Ihnen sprechen möchte. Ich habe einen Tisch beim Wittukind bestellt. Ein alter Freund von mir.“

Klar, nickte Gundlach und leerte mit einem Zug sein Glas. Dann lehnte er dankend den Nachschub ab. Für das Rendezvous galt es fit zu sein. Jaeger kippte den Rest hinunter, entschuldigte sich dann und watschelte ins Bad, sich frisch machen. Seinem Gast knipste er noch den Fernsehapparat an, damit der ein wenig Unterhaltung habe.

Gundlach zappte sich durch etliche Programme, Talkshows am Nachmittag, bis er im Spezial-Programm aus Mainz landete, das die Geschichte um Ronnys Attentat von Tag zu Tag fortstrickte. Er stellte den Apparat lauter und sah einer Runde Experten zu, darunter einem Uniformierten, die sich anscheinend über die Absicht des Attentäters stritten.

„Ein Verrückter“, hörte man einen finsteren Mann immer zu murmeln, „ein Verrückter, der der muslimischen Welt schaden will.“

„Aber der Attentäter wurde doch immerhin als aus dem arabischen Raum stammend identifiziert“, warf die Moderatorin ein, eine dümmlich lächelnde Brünette, die etwas Phlegmatisches ausstrahlte. „Oder, Herr Polizeipräsident?“, fragte sie den Uniformierten.

Woraufhin der eine abwehrende Handbewegung machte.

„Wir geben erst eine Stellungnahme heraus, wenn sämtliche Umstände abgeklärt sind.“

Abgeklärt murmelte Gundlach in seinen grauen Bart.

„Und damit gebe ich zurück in unser Nachrichtenstudio,“ konnte man die Brünette noch vernehmen, ehe Gundlach mit einem Klacken den Fernseher ausknipste.

Sogleich erfüllte Stille die halbleere Wohnung in dem bunten Münchner Stadtteil. Irgendwo konnte man eine Dusche rauschen hören, der Kerl scheint ja das große Reinigungsprogramm zu machen, dachte Gundlach noch, als der auch schon im schmuddeligen Bademantel erschien und sich das bisschen Haar trocken rubbelte.

„Nichts Neues unter der Sonne?“

„Nichts aus Mainz von unserem Freund.“

Jaeger lachte bei der Bemerkung.

„Von wegen aller Welt Freund! Der ist im Lauf seiner Karriere so manchem ganz schön auf die Füße getreten. Schenken Sie sich doch noch nach. Das Zeug verliert ja sonst seinen Esprit, gell.“

„Manni!“, strahlte Cindy, auch von Nahem gesehen eine noch gut erhaltene Blondine um die vierzig, Promi-Jaeger an. „Du siehst aber recht mitgenommen aus. Ziemlich schlecht, wenn ich mal so sagen darf.“

Dann kicherte sie verlegen ob ihrer Aufrichtigkeit und zuckte die Schultern. Vieles Lachen hatten kleine Fältchen um ihre blauen Augen gegraben, süß sah das aus, fand Harry Gundlach.

„Cindy! Immer charmant!“, entgegnete Jaeger der Blonden. „Dafür strahlst du wie ein polierter Diamant.“

Cindy Mueller-Leile, wie sie mit vollem Namen hieß, hatte Promi-Jaeger Harry auf dem Weg hierher verraten, sei eine Sammlerin! Ausrufezeichen!

Harry schaute verständnislos drein. „Die Sammlerin, la collectionneuse, wie der Film von Eric Rohmer heißt – kennen Sie den nicht ?“, fragte Jaeger.

Doch, doch nickte Harry.

„Unsere Sammlerin sammelt Marken und Männer“, grinste Jaeger mit seinem mit einem Mal polierten Gebiss. Hatte er sich im Bad frische falsche Zähne eingesetzt? Cindy sammle Modemarken und Markenmänner, sagte er noch vergagt.

Indessen warf Cindy Mueller-Leile einen Blick aus großen Augen auf Mannis Begleiter, ehe sie die beiden hineinwinkte, sich umdrehend, um ihnen ihren tiefen Rückenausschnitt zu präsentieren.

„Bravo“, applaudierte Jaeger, „die große Blonde mit den schwarzen Pumps.“

Nur Harry schwieg sich aus angesichts des Raums, der sich auftat und der ganz in schwarz-weiß gehalten war, wohl, dachte Gundlach, um das Farbenspiel der Bewohnerin optimal zur Geltung zu bringen: schwarz-weißer Teppichboden, zwei weiße Eames-Sessel, zwei schwarze Breuer-Couches, die um einen niedrigen Tisch mit Glasplatte postiert waren. Sah nach Ikea aus. Auf dem drei Champagnerkelche warteten, noch leer, also trocken. Schon wieder die Witwe.

Endlich schaute Cindy fragend an dem Mann hoch, den Manni einfach mitgebracht hatte. Interessant kam ihr dem Mann vor.

Cindy hatte das Haar halblang knapp über den Schultern geschnitten, mit einem Pony, der fast auf ihre Augenbrauen fiel. Frisch gefönt und gefärbt, glänzte es wie lackiert. Dunkle Augenbrauen zu blauen Augen, interessant, dachte Harry, wohl ein Überbleibsel aus der brünetten Phase. Das türkisfarbene Kleid, das sie zum Blond trug, blendete die beiden Besucher geradezu in diesem schwarz-weißen Ambiente. An den nackten Füßen trug sie Wildlederpumps der Marke Arche. Eine Sammlerin.

„Das ist Harry Gundlach. Ein Kollege vom Magazin. Du weißt schon, dem berühmten aus Hamburg.“

Cindy klapperte nun noch theatralischer mit den dunkel getuschten Wimpern.

„Der berühmte Harry vom noch berühmteren Magazin? Heute ist ja mein Glückstag“, meinte sie kokett und drehte sich noch mal um die eigene Achse. Dabei wurde ein betörendes Parfum frei gesetzt.

Harry grinste zu Jaeger, pardon, zu Manni hin. Der Abend lässt sich ja heiter an und verspricht noch mehr. Bei dem Gedanken regte sich etwas in Harry Hose.

Dann machte sich Harry an eine Besichtigung der Wohnung. Wanderte zum Fenster, das von luftigen weißen Gardinen verhüllt wurde. Schob einen der wolkigen Stoffe beiseite und sah im Hof auf einen riesigen Kastanienbaum in voller Blüte, wie in einem Biergarten, dachte er. Und hatte sofort den Duft von süßen Blüten und von bitterem Bier in der Nase. Dann schlenderte er zu dem gerahmten Poster an der gegenüberliegenden Wand, dem Titelbild einer längst vergessenen Zeitschrift, Twen, an die er sich immerhin noch erinnern konnte. Darauf war eine superschlanke Brünette mit kleinen Brüsten, eigentlich nur dunklen Erhebungen mit harten braunen Nippeln abgebildet. Beim Entziffern der verschiedenen Zeilen auf dem Twen-Titel traf ihn erneut der Hauch jenes Parfums von hinten, Envy von Gucci glaubte er schnuppern zu können.

Cindy nahte. Sie legte ihm ihre rechte Hand federleicht auf die Schulter und fragte: „Was glauben Sie, wer das wohl ist?“

„Na, Sie aus dem Schulmädchenreport.“

Sie knuffte ihn in die Seite und wandte sich von ihm ab.

„Dein Freund ist ja ein Schelm“, sagte sie zu Jaeger. „Der hat mich tatsächlich identifiziert. Seufz. Ist das lange her.“

„Dafür sind Sie heute schön blond und haben eine richtige Figur!“, grinste Gundlach und hob den Kelch zum Wohl. „Ich verehre Blonde!“ Ja nie Blondinen sagen!, mahnte er sich.

„Und ich bin Cindy“, sagte Cindy ins Geklingel der Gläser.

„Harry“, tat er, und verneigte sich ironisch, um sich den Wangenkuss der Gnädigsten abzuholen. Bussi. Bussi.

„Wisst Ihr, wer eben bei mir war?“

Nein, nein echoen die beiden Männer.

„Ein neuer Liebhaber?“

Niemals, schmollte Cindy. Der käme sowieso nie in Frage. Der?

Wer?

„Claas Bruhn, der Filmemacher. Auch der wollte sich an Ronnys Leid weiden. Will eventuell darüber einen TV-Film drehen. Alles redet nur noch von Ronny.“

„So soll es sein“, meinte Harry, „genau so.“

Weil er den Sinn der Rede endlich begriffen hatte, brach Manni in heftiges Gelächter aus.

„Fahren wir zum Wittukind! Los!“

Beim Wittukind hatte man den dreien einen Tisch in einer der Nischen reserviert.

Nachdem sie der Chef persönlich begrüßt hatte, warf ihnen einer der Ober die Menus wie ein Kartenspiel auf den Tisch, danke, danke, keinen Apero, Champagner hatten wir bereits satt.

Bestellt wurde dann eine Artischocken-Trüffel-Suppe als Einstand, gefolgt von Lammkoteletts auf diversen Gemüsen.

Danke, heute keinen Fisch. Und nur ein leichtes Dessert, wie wär`s mit Tiramisu?

Dazu immer den gleichen Wein: Einen Rose´ von der Cote d`Azur, auch wenn sich der Weinknecht zurückhaltend mokiert hatte. Langsam wurden die drei ausgelassener, und machten sich ihrerseits über den Mundschenk, der hier Sommelier hieß, lustig. Der Wittukind hat schließlich beim Robuchon, Paris, New York, Tokio und Abu Dabi gelernt, das merkt man am Service und an der Karte.

„Genießbar, der Fraß?“, fragte Jaeger seine Gäste aufgeräumt.

Seine Gäste? Hoffentlich nicht. Es wird schon der Kerl mit dem fetten Spesenkonto zahlen.

„Noch einen vom Rose´, Mundschenk!“, rief Jaeger quer durch den Saal, der einmal sein zweites Zuhause war. „Aber bitte etwas kühler! Sie wissen es vielleicht nicht, aber der Rose´ wird bei höchsten sieben Grad Celsius verkostet, gell Cindy!“

Cindy legt das Besteck aus der Hand und dieselbe Manni Promi-Jaeger auf den Arm.

„Alle reden von Ronny. Tun wir es auch.“

Einvernehmliches Nicken am Tisch, begleitet vom Klingeln des Silbers. Schon stand wieder der Sommelier bei den Dreien, eine neue Flasche zu entkorken und zu kosten. Rein. Astrein.

„Sieben Grad Celsius“, meinte der noch, ehe er wieder diskret verschwand.

„Geo, als ich mit dem noch liiert war“, kam Cindy endlich raus, „also Geo wollte Ronny immer von Franke-Welsers Firma wegkaufen. So, wie sich die Ligavereine die Fußballspieler gegenseitig wegschnappen. Ronny war ja einmal der Kaiser unter den Moderatoren, gell, Manni.“

„Wie der Einäugige unter den Blinden, gell.“

Manni nickte und mampfte, also fuhr Cindy fort: „Geo wollte endlich in seinem Laden, in seiner großen Fernsehwelt, auch so einen Magneten, so einen Star, bei dem jeder reinschaut, so einen wie Ronny.“

Um die Spannung zu erhöhen, probierte Cindy erst einmal von den Lammkoteletts, zart sind die wie Butter. Und wie sie da putzig auf ihrem Bett aus Fenchel, Zucchinischeiben und jungem Lauch liegen! Daneben hatte der Künstler in der Küche ein paar geniale Kringel aus einer Art Soße gemalt, filigran, wie mit einem Einhaarpinsel.

„Lecker. Geo hat sowohl Ronny eine Stange Geld geboten, wie auch Ronnys Förderer AFW...“

„AFW?“, fragte Harry doof.

“Alf Franke-Welser”, fuhr Cindy fort, „also AFW eine Art Ablöse geboten, viel Geld, wie beim Fußball halt. Doch die beiden haben nicht angebissen. Geos Gemischtwarenladen war ihnen wohl zu...“

„Zu fromm? Zu verstaubt? Sag es schon, spuck es aus. Aber nicht dein Kotelette!“

Cindy nahm erst noch einen Schluck vom Rose´, der besonders gut zum Fleisch und seinen Beilagen passte.

„Geo war den beiden Schlaumeiern schlicht zu alt und zu krank. Das hätte nicht zum Image von Jugend und Frohsinn und Blödsinn und Schwachsinn gepasst, nehme ich mal an. Aber ich habe das alles ja nur aus einer gewissen Entfernung mitbekommen. Sozusagen vom Katzentisch aus, wohin mich Geo bei seinen Geschäftsessen immer verbannt hatte“, sagte Cindy bescheiden.

Katzentisch, Kätzchen, Musch, Muschi, dachte Harry ganz leise, damit es niemand hörte.

„Und jetzt vermuten wir drei,“ ließ er sich vorlaut vernehmen, „dass sich Geo wegen dieser Verweigerung der Übernahme an Ronny und AFW gerächt hat?“

„Aber doch nicht auf so brutale Art!“

Cindy tat richtig empört. „Leo hätte bei den von ihm abhängigen Sendern gegen die beiden intrigiert. Aber er hätte niemals einen Bombenleger bestellt, die Bombe während der Sendung platzen zu lassen. Niemals. Dazu ist der alte Herr wirklich zu katholisch. Also wirklich!“

Über soviel Unterstellung schüttelte Cindy die blonde Mähne, die sie neulich erst bei Marga Möller hat auffrischen lassen. Hübsch sieht das aus, dachte Harry. So dass sein Blick ein wenig zu lange auf Cindy hängen blieb. Was Manni nun wiederum irritierte, da er doch die Hauptperson an diesem Abend sein wollte. Also hob er den Arm zum dritten Mal und rief nach dem Sommelier:

„Mundschenk! Ihr wisset schon!“

Seifenoper

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