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Prolog
ОглавлениеLeipzig, April 2007
Er hasste es, zu spät zu kommen. Deshalb saß er jetzt fast eine Stunde vor der Zeit in seinem Maserati und wartete.
Am Nachmittag hatte er sich hier umgeschaut und den Schuppen entdeckt. Die Türen hingen windschief in den Angeln. Doch sie ließen sich überraschend leicht öffnen. Ein ideales Versteck. Eine Seitentür führte von hier in die stillgelegte Ziegelfabrik. Hinter der Tür führte eine Eisentreppe nach oben. Mike war die rostigen Stufen emporgestiegen. Im ersten Stock hatte er entdeckt, wie ideal dieser Zugang war. Der Raum, in dem die Übergabe stattfinden sollte, lag nur wenige Meter entfernt. So musste er nicht den Haupteingang benutzen und den langen Flur entlang schleichen.
Eigentlich ging ihn dieser Einsatz nichts an. Oliver Grabowski observierte zusammen mit seinem Kollegen Enrico Klein seit Monaten ein paar albanische Dealer der Leipziger Rauschgift-Szene. Vor sechs Wochen hatte er einen großen Deal eingefädelt und heute Abend würde er zwei Männer aus dem Verkehr ziehen. Doch vor ein paar Stunden hatte sich Enrico Klein krank gemeldet und Oliver hatte sich an Mike gewandt. Immerhin waren die beiden jahrelang Kollegen im Morddezernat gewesen.
„Ich treffe mich mit den beiden um zwanzig Uhr“, hatte Oliver zu ihm gesagt. „Dann ist es dunkel. Du kommst zehn Minuten später, damit sie keinen Verdacht schöpfen.“ Oliver hatte Mike Fotos sowie einen Grundriss der alten Fabrik zugeschoben. Mit Textmarker war ein ehemaliges Büro im ersten Stock markiert.
„Wir schnappen uns die beiden allein. Keine Kavallerie. Auch bei uns gibt es ein paar undichte Stellen und ich will nicht, dass mir jemand die Übergabe vermasselt.“
Oliver war äußerst ehrgeizig und es ging um eine ungeheure Menge Heroin: zehn Kilo. Wenn alles gut ging, wäre Oliver eine Beförderung sicher. Und nun saß Mike in seinem Maserati und dachte an Susan. Warum hatte er es so weit kommen lassen? Hatte er mit seiner Eifersucht alles zerstört oder gab es noch eine Chance für ihre Beziehung?
Ein Schuss ließ ihn hochschrecken. Mike riss die Autotür auf und stürmte, die Heckler & Koch im Anschlag, nach oben. Er stürzte ins Büro. Oliver, das Gesicht kalkweiß und die Augen ein wenig zusammen gekniffen, warf sich herum und wollte soeben abdrücken, als er Mike erkannte. Er senkte die Waffe und Mike machte einen Schritt auf ihn zu. Einer der Albaner lag auf dem Boden und um seinen Kopf breitete sich eine rote Lache aus. Neben ihm stand ein schwarzer Lederkoffer. Der andere, fast noch ein Junge, hatte die Hände erhoben und starrte Oliver an, die Augen vor Todesangst aufgerissen. Sein Mund war wie zu einem stummen Schrei geöffnet. Irgendetwas an dieser Szene irritierte Mike. Er machte einen Schritt auf den Dealer zu.
„Achtung!“ Der Schrei von Oliver gellte in Mikes Ohren, aber da war es schon zu spät. Der Dealer hatte unter seine Lederjacke gegriffen und hielt plötzlich eine Waffe in den Händen. Mike hörte, wie ein Schuss aufpeitschte und dann noch einer. Er spürte, wie sein linker Oberarm feucht wurde. Seltsam, fuhr es ihm durch den Kopf, es tut gar nicht weh. Dann wurde er ohnmächtig.
Als Mike die Augen aufschlug, sah er in das Gesicht von Dr. Langer, dem Polizeipräsidenten. Für einen Augenblick dachte er, er habe nur schlecht geträumt und sitze in seinem Büro. Aber dann bemerkte er all die Schläuche, die aus seinem Körper ragten und hörte einen leisen Piepton. Mühsam drehte er den Kopf und sah schräg hinter sich einen Monitor. Neben seinem Bett hingen an einem Ständer mehrere Infusionen. Als Mikes Augen dem Blick des Polizeipräsidenten folgten, sah er es. Dort wo sein linker Arm sein sollte, war nur noch ein kurzer Stumpf.
„Wie lange bin ich schon hier?“, fragte Mike.
„Zehn Tage. Sie wurden ins künstliche Koma versetzt. Die Ärzte meinen, Sie sind über den Berg.“ Der Polizeipräsident versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Mike spürte, wie erschöpft er war und am liebsten hätte er die Augen geschlossen und wäre wieder weggedämmert. Aber der ernste Blick von Dr. Langer ließ ihn nicht los.
„Innendienst?“, fragte Mike leise.
Der Polizeipräsident nickte mechanisch. Mike wusste selbst, dass er mit einem Arm nur noch fürs Büro taugte.
„Und Sie werden zum Kriminaldirektor befördert“, sagte Dr. Langer. Aber die Anspannung in seinem Gesicht verschwand nicht. Hinter seinem Blick verbarg sich noch etwas Anderes, Schlimmeres.
„Oliver?“, fragte Mike.
„Dem geht's gut.“ Noch immer entspannte sich die Miene von Dr. Langer nicht. Eine grässliche Angst stieg in Mike hoch, wie er sie erst einmal erlebt hatte – beim Tod seiner Mutter. Was konnte schlimmer sein, als einen Arm zu verlieren und den Rest seines Lebens in den Innendienst versetzt zu werden?
„Susan“, sagte der Polizeipräsident.
Da spürte Mike wie ein glühendes Eisen in seinen Armstumpf fuhr und ein rasender Schmerz erwachte zum Leben. Und mit ihm der Hass.