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2. EIN UNMORALISCHES ANGEBOT

Voller Schmerz und immer wieder kopfschüttelnd hielt Barbara Fuchs den Zettel in der Hand, den ihr Lebensgefährte, Dr. Frederik Schneider, kurz vor seiner Abfahrt in den Skiurlaub verfasst hatte: „Ich will nur in Bad Brückenau bestattet werden.“ Frederik war zwei Tage vorher bei einem Skiunfall in der Schweiz tödlich verunglückt. Der Hergang konnte nie genau geklärt werden, insbesondere nicht, ob seinen Brüdern, die mit ihm im Skiurlaub waren, eine Mitverantwortung an seinem tödlichen Unfall anzulasten war, da sich alle in ein abgesperrtes Gebiet begeben hatten.

Einen Tag nach dem tödlichen Unfall benachrichtigte die Mutter des Verstorbenen, Frau Brigitte Schneider, die ein gespanntes Verhältnis zu Frau Fuchs hatte, diese in einem kurzen Telefonat telefonisch über den Todesfall und teilte ihr mit, sie werde ihren Sohn in Bremen beerdigen lassen. In einem späteren Telefonat informierte sie sie darüber, dass die Überführung nach Bremen zwei Tage später erfolgen solle. Diese Aussagen kamen nur mechanisch, ohne Barbara Fuchs gegenüber irgendeine Art von Mitgefühl oder dergleichen zum Ausdruck zu bringen. Barbara Fuchs wusste noch nicht einmal, wo und wann die Beerdigung stattfinden sollte. Alleinerbe des Verstorbenen war Michael Fuchs, der gemeinsame Sohn von Dr. Frederik Schneider und Barbara Fuchs. Die Richterin am Landgericht sagte zu dem Anwalt von Michael Fuchs, dass Frau Schneider millionenschwere Eigentümerin des „Bremer Tagesblatts“ und deshalb in Bremen „eine große Nummer sei“: Dies hinderte das Gericht allerdings nicht, folgende Entscheidung zu treffen: Auf Michael Fuchs’ Antrag hin untersagte das zuständige Landgericht Frau Brigitte Schneider, den Verstorbenen in Bremen beerdigen zu lassen, und drohte ihr für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, an. In dem Beschluss hieß es, dass es das ausschließliche Recht des Sohnes als des nächsten Angehörigen, vertreten durch seine Mutter Barbara Fuchs, sei, über den Ort der Beerdigung des Vaters zu entscheiden. Seltsam war, dass die zuständige Richterin vor Erlass des Beschlusses noch versucht hatte, Frau Brigitte Schneider telefonisch zu erreichen. Die Richterin hatte versucht, die Mutter des Verstorbenen mündlich anzuhören. Auf ihrem Telefonanschluss hatte sich jedoch nur eine weibliche Person gemeldet, die nicht bereit gewesen war, ihre Identität anzugeben. Was dieses „Spielchen“ von Frau Schneider zu bedeuten hatte, kann nur gemutmaßt werden – wollte sie dadurch die Untersagungsentscheidung des Gerichts verhindern? Das Gericht hatte auch den Zettel mit dem Beerdigungsort rechtlich gewürdigt. Das Motiv für diese rechtliche Würdigung bestand darin, dass Barbara Fuchs ihren Lebensgefährten darauf angesprochen habe, was denn sei, wenn er entweder einen Unfall habe oder an medizinische Geräte angeschlossen werden müsse oder versterben würde.

Weil die Beerdigung kurz bevorstand, mischte sich auf einmal der Vater des Verstorbenen, der geschiedene Ehemann von Brigitte Schneider, Herr Hans Schneider, ein, und nahm telefonischen Kontakt zum Prozessbevollmächtigten von Michael Fuchs auf. Mit diesem wurde Folgendes schriftlich fixiert:

1 Die Trauerfeier für Ihren Sohn Dr. Frederik Schneider findet am Montag, dem 08.03., um 9 Uhr 30 in Bremen statt.

2 Ich bestätige die mit Ihnen mündlich getroffene Vereinbarung, dass Frau Barbara Fuchs an der Trauerfeier teilnimmt.

3 Unter dieser Voraussetzung bestätigen wir Ihnen hiermit gegenüber, dass wir aus dem Urteil des Landgerichts, in dem die Bestattung untersagt war, keine Rechte mehr herleiten.

Der Vater des Verstorbenen faxte dann noch folgenden handschriftlichen Zusatz an den Prozessbevollmächtigten von Michael Fuchs: „Ich nehme an, dass mit Ziffer 3 auch auf alle Rechte auf späteres Umbetten des Verstorbenen verzichtet wird. Wenn ich nichts Gegenteiliges von Ihnen höre, gehe ich davon aus, dass dieser Zusatz von Ihnen akzeptiert ist.“

Brigitte Schneider ließ ihren verstorbenen Sohn am 08. März in der Grabstelle in Bremen bestatten. Die Rechnungen – unter anderem für die Rettungsaktion und die Überführung von der Schweiz, für die Bestattung einschließlich Friedhofsgebühren sowie für die Trauerfeier, Bewirtung und einen Grabstein in Höhe von insgesamt mehr als 23.000 Euro – übersandte Frau Schneider, die selbst außerordentlich wohlhabend ist, an den Testamentsvollstrecker des Verstorbenen, seinen früheren Studienkollegen Dr. Hammel.

Im darauffolgenden April besuchten Michael und Barbara Fuchs das Grab und stellten einen weißen Schutzengel aus Porzellan sowie ein emailliertes Bild auf, das Michael gemalt hatte. Brigitte Schneider ließ diese Gegenstände entfernen und teilte dem Testamentsvollstrecker Dr. Hammel telefonisch mit, sie erlaube derartiges nicht. Bei einem Friedhofsbesuch eineinhalb Jahre später stellte Michael Fuchs fest, dass zwei von ihm und seiner Mutter Ende November des vorhergehenden Jahres aufgestellte Steine mit der Gravur „Jeder Tag mit Dir war ein Geschenk“ und ein Trockengesteck vom Grab entfernt worden waren. Über seinen Anwalt bat Michael Fuchs seine Großmutter Brigitte Schneider um die Erlaubnis, auf dem Grab seines Vaters einen Grabstein errichten und Blumen oder Grabpflanzen oder auch Bilder oder Spielzeug aufstellen zu dürfen. Ihm sei unverständlich, dass sie das Bild, welches er für seinen Vater gemalt habe, wieder vom Zaun an der Grabstätte habe entfernen lassen. Brigitte Schneider schrieb zurück, „… dass eine Grabplatte für unseren verstorbenen Sohn bei einem Steinmetz in Auftrag gegeben wurde. Da genaue Vorstellungen bezüglich der Gestaltung vorliegen, wird die Ausführung einige Zeit in Anspruch nehmen. Frau Barbara Fuchs kann wie jeder Friedhofsbesucher am Grab trauern, sie kann Blumen und eine Kerze am Grab aufstellen. Da das Grab seit Generationen die Ruhestätte unserer Familie ist, sind andere Betätigungen jeglicher Art hier nicht gestattet.“ Daraufhin forderte Michael Fuchs durch seinen Anwalt die Großmutter zur Zustimmung zu einer Umbettung nach Bad Brückenau auf, was Brigitte Schneider anwaltlich zurückweisen ließ.

Noch nicht einmal das Kondolenzbuch rückte Frau Brigitte Schneider heraus. Infolgedessen wurde sie vom zuständigen Amtsgericht zur Herausgabe verurteilt, während sie bis dahin die Herausgabe unter Berufung auf ihr Eigentum abgelehnt und angeboten hatte, ihrem Enkel Michael Fuchs eine hochwertige Kopie zu übermitteln, wenn er das Alter und die sittliche Reife habe, die Kommentare und die schriftlichen Beileidswünsche zu begreifen und zu verstehen. Dem trat das Amtsgericht entgegen und führte aus, dass auch das Kondolenzbuch vom originären Totenfürsorgerecht des Sohnes des Verstorbenen umfasst ist. Er und er allein ist Inhaber der Totenfürsorge für seinen verstorbenen Vater. Das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg hatte die Klage von Michael, die Stadt Bremen und die beigeladene Brigitte Schneider zu verpflichten, einer Umbettung des Verstorbenen aus dem Familiengrab auf den Friedhof in Bad Brückenau zuzustimmen, abgewiesen. Damit war Barbara Fuchs – im Namen ihres Sohnes Michael Fuchs – nicht einverstanden und sie legte gegen dieses Urteil Berufung ein.

Der zuständige Bayerische Verwaltungsgerichtshof bejahte den Umbettungsanspruch von Michael und seine Berufung war erfolgreich. Die Schutzwürdigkeit seiner Interessen an der Umbettung von Dr. Frederik Schneider ergibt sich daraus, dass er sein Vater gewesen war und ihm als seinem einzigen Kind das vorrangige, andere Berechtigte verdrängende Totenfürsorgerecht für seinen verstorbenen Vater zusteht. Außerdem entsprach dies dem ausdrücklichen Wunsch Frederiks, in Bad Brückenau bestattet zu sein. Das Gericht hatte weiter ausgeführt, dass in der ausdrücklich als Entscheidung über den Ort seiner Bestattung formulierten Erklärung sogleich die sinngemäße Bestimmung seines Sohnes als derjenigen Person liegt, die für den Fall seines Ablebens totenfürsorgeberechtigt sein sollte. Das Gericht hatte sich auch mit dem Schriftwechsel zwischen dem Vater des Verstorbenen und dem Prozessbevollmächtigten von Michael auseinandergesetzt. Insbesondere ist nicht die Erklärung zu Ziffer 3 rechtswirksam geworden, wonach Michael aus dem Beschluss des Landgerichts keine Rechte mehr herleiten werde. Das Gericht führte zutreffend aus, dass schriftliche, inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen beider Seiten nicht vorlägen. Der Vater Hans Schneider hatte es mit seinem um 20 Uhr 34 übermittelten Fax im Rechtssinn abgelehnt, den Antrag seines Enkelkindes anzunehmen. Dies galt somit als Ablehnung des Antrags, und wurde als neuer Antrag ausgelegt. iesen neuen Antrag hatte der Prozessbevollmächtigte von Michael für ihn nicht angenommen, so dass es bei einem Einigungsmangel verblieben ist. Das bedeutet, dass Michael nicht rechtswirksam auf die Umbettung verzichtet hatte.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof war Frau Brigitte Schneider nicht anwesend. Lediglich ihr Sohn Sebastian war dabei, als das Gericht zum Ausdruck brachte, dass es dem Begehren von Michael stattgeben werde. Sebastian Schmidt äußerte beim Hinausgehen aus dem Gerichtssaal lediglich: „Mein Bruder Frederik wird sich im Grabe herumdrehen!“

Frau Brigitte Schneider wollte noch eine letzte Trumpfkarte ziehen: Barbara Fuchs erhielt von einer Rechtsanwältin von Frau Schneider einen Telefonanruf. Eine weibliche Stimme meldete sich nur mit „Anwaltskanzlei“. Diese Dame führte dann gegenüber Barbara Fuchs sinngemäß aus, dass sie es Frederik nicht antun könne, dass sein Leichnam ausgegraben werden müsse. Sie appellierte an Barbara Fuchs, die Totenruhe von Frederik zu wahren.

Dann führte sie weiter aus, dass sie von Frau Schneider ein Angebot unterbreiten solle, mit dem sie alle glücklich werden sollten. Sie bot Barbara Fuchs 500.000 Euro an, damit Frederik in seinem Grab in Bremen bleiben dürfe. Darauf antwortete Barbara Fuchs nur: „Sagen Sie Frau Schneider einen lieben Gruß von mir, selbst wenn sie mir 5.000.000 Euro bieten würde, solle sie sich mit dem Geld den Allerwertesten abputzen.“

Frau Brigitte Schneider musste letztendlich also Folgendes feststellen und als Strafe für sich ansehen,

 dass ihr Sohn in Bad Brückenau bestattet ist und

 dass sie zu der Erkenntnis gelangen musste, dass man mit Geld nicht alles erreichen kann!

Barbara Fuchs ließ ein wunderschönes Haus in unmittelbarer Nähe zum Friedhof von Bad Brückenau mit Blick auf das Grab von Dr. Frederik Schneider errichten.

Gerechte Strafe?

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