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Vorwort

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Ich entdeckte Walter Benjamin um 1978, als ich begann, über den revolutionären Messianismus in der jüdischen Kultur Mitteleuropas zu arbeiten. Besonders getroffen – im Sinne eines Schlages – hat mich die Entdeckung der Thesen Über den Begriff der Geschichte (1940). Ich berichte darüber in dem Buch, das ich diesem einmaligen Dokument gewidmet habe, das ich für einen der wichtigsten Texte des kritischen Denkens seit Marx’ Thesen über Feuerbach (1845)1 halte. Auf meinem intellektuellen Weg gibt es ein vor und ein nach dieser profanen Erleuchtung.

Von da an begann ich, viele andere Schriften Benjamins zu lesen, zu studieren, zu diskutieren und zu durchdenken, um seinen geistigen und politischen Weg besser zu verstehen. Die in diesem Band versammelten Essays sind das Ergebnis dieser Versuche, die sich über zwei Jahrhunderte erstrecken (das zwanzigste und das einundzwanzigste). Für diese Ausgabe wurden sie leicht überarbeitet und aktualisiert. Wie aus dem Inhaltsverzeichnis erkennbar, sind die behandelten Themen äußerst vielfältig und bezeugen eine sehr selektive Lektüre: Einige der wichtigsten oder bekanntesten Schriften Benjamins werden nicht einmal erwähnt.

Gibt es einen Leitfaden – im elektrischen Sinne des Wortes – in dieser willkürlichen, bunten und gemischten Sammlung? Vielleicht. Wenn es einen gemeinsamen Nenner, eine durchgehende Problematik, einen magnetischen Kompass gibt, dann ist es wahrscheinlich die Idee der Revolution bei Walter Benjamin. Handelt es sich also um eine politische Lektüre (einiger) seiner Schriften? Ja, vorausgesetzt, wir verstehen Politik nicht im üblichen Sinne als das Handeln von Staaten, als Rolle von Institutionen, Wahlen, Parlamenten usw., sondern – in den dem Verfasser der Thesen eigenen, besonderen, untrennbar sozialen, politischen, kulturellen, moralischen, geistigen und theologischen Begriffen – als historische Erinnerung an Kämpfe und Niederlagen, als Aufruf zum erlösenden Handeln der Unterdrückten.

In dieser Form (sie ist nicht die von Politikwissenschaftlern, politischen Parteien oder Regierungsmanagern) ist „Politik“ in allen Überlegungen Benjamins präsent, die in dieser Sammlung behandelt werden – nicht nur in denen über Marx, den Anarchismus oder den Kapitalismus, sondern auch in denen über den Surrealismus, die Theologie, den Urbanismus von Haussmann, die Natur als großzügige Mutter oder die Geschichte Lateinamerikas.

Ab 1924, mit der Lektüre von Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewußtsein (1923) und der Begegnung mit der lettischen Bolschewisten Asja Lacis, wurde der Marxismus – oder der „historische Materialismus“ – zu einem wesentlichen Bestandteil von Benjamins Denken, oder besser gesagt, von seinem Sitz-im-Leben2. Gleichzeitig verschwindet, wie wir zu zeigen versuchen werden, die anarchistische Dimension nicht aus seinem intellektuellen Horizont, sondern verknüpft sich in verschiedenen Formen mit dem Marxschen Erbe. Dasselbe gilt für seine romantische Weltanschauung und seine tiefe Beziehung zum jüdischen Messianismus, die sein Freund Gershom Scholem zu Recht hervorhebt.

Die meisten dieser Aufsätze haben auf die eine oder andere Weise mit seiner völlig heterodoxen, höchst selektiven und manchmal wunderbar willkürlichen Neuinterpretation des Marxismus zu tun. Benjamin kritisiert Marx nur selten: Er greift meistens seine Epigonen, Sozialdemokraten oder – nach 1939 – Stalinisten an. Eine der wenigen ausdrücklichen Distanzierungen vom Autor des Kommunistischen Manifests ist jedoch wichtig: Sie betrifft Benjamins neue Definition der Revolution, nicht als „Lokomotive der Weltgeschichte“, sondern vielmehr als „Notbremse“ einer Welt, die ihrem Untergang entgegengenrast. Deshalb haben wir sie als Titel für diese Sammlung gewählt.

Das soll natürlich nicht heißen, dass seine vormarxistischen politischen Schriften belanglos wären: Einer seiner interessantesten, aktuellsten, entschiedensten und treffendsten Texte ist das Fragment Kapitalismus als Religion (1921), das Marx gegenüber völlig fremd, wenn nicht gar ablehnend ist. In diesem Text bezieht sich Benjamin hauptsächlich auf Max Weber, aber ich denke, man kann ihn im politisch-theologischen Universum des anarchistischen religiösen Atheismus zum Beispiel eines Gustav Landauer ansiedeln, von dem die Rede sein wird.

Dieser „politische“ Aspekt ist bei weitem nicht sein einziger Schwerpunkt. Seine philosophischen oder literarischen Forschungen, seine Neugierde, seine Leidenschaften sind unendlich vielfältig: Sie schließen nicht nur die deutsche Romantik (Doktorarbeit) und das Barockdrama ein (Habilitationsschrift, die von der Universität abgelehnt wurde), sondern auch Sprach- und Übersetzungstheorien, Kindheitserinnerungen, Kinderbücher und Spielzeug, Film, Pariser Passagen, Mode und natürlich Literatur, von Goethe und Hölderlin bis zu Dostojewski und Brecht, oder Fragen des Judentums und des Messianismus – diese Aufzählung ist bei Weitem nicht vollständig.

Entfernt man jedoch aus seinem Denken die subversive, revolutionäre, ja sogar aufständische Dimension, wie es leider sehr oft in akademischen Arbeiten über sein Werk der Fall ist, entgeht einem etwas Wesentliches, Kostbares, Unschätzbares, das Walter Benjamin zu einer besonderen, ja einmaligen Gestalt macht, zu einem brennenden Kometen, der das kulturelle Firmament des zwanzigsten Jahrhunderts durchquert, bevor er in Port Bou an den Ufern des Mittelmeers erlischt. Diese bescheidene Sammlung soll dazu beitragen, diese explosive Seite seiner philosophischen Alchemie herauszustellen.

ad Walter Benjamin

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