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2.

Was geschah (1)

Klavs Herm Luetyens hatte Onker Dou beauftragt, das Einschleusungsmanöver der ZALTERTEPE-Jet zu überwachen. Dou würde ab dem Augenblick, da Icho Tolot und seine Reisegefährten die RAS TSCHUBAI betraten, die Verantwortung übernehmen.

Er sah sich um. Man wich ihm aus oder ignorierte ihn. Er war an Bord des Schiffs nicht sonderlich beliebt. Das wusste er. Es entsprach auch nicht seinen Aufgaben, Beliebtheitspreise zu gewinnen. Er war für Sicherheit zuständig.

Die Jet setzte im Hangar auf, die Prüfroutinen liefen an. Dou hatte sich ausbedungen, dass sie besonders gründlich ausfallen würden. Das Standardprozedere wurde durch ein exakt protokolliertes Manöver ersetzt, das mindestens eine Viertelstunde in Anspruch nehmen würde.

Weil die Reste einer Superintelligenz mit an Bord der Jet sind!, rief sich Onker Dou in Erinnerung. Mag sein, dass sie nicht so recht bei sich ist. Aber sie ist dennoch ein in allen Belangen überlegenes Wesen, über das wir so gut wie nichts wissen.

Die Verwaltungsleute der Halle hielten sich auf seine Anweisung hin peinlich genau an die Sicherheitsvorkehrungen. Sie trugen schwere Schutzanzüge und waren in Schirme gehüllt. So wie er selbst. Jede Untersuchung, die ANANSI und ihre Roboter durchgeführt hatten, musste von diesen Leuten doppelt und dreifach überprüft werden.

Dou wartete. Im Hintergrund, so wusste er, stand eine Hundertschaft an Kampfrobotern bereit. Sie würden eingreifen, sollte es notwendig werden.

Die Freigabe der Hallencrew erfolgte. Dou bewegte sich auf die Jet zu, begleitet von einem halben Dutzend seiner besten Leute.

Das Schott öffnete sich, Icho Tolot sprang aus der Schleuse und brachte damit den Boden zum Beben.

Der Haluter war der größte Risikofaktor. Ihm war im Kampf kaum beizukommen. Dou hatte ANANSI angewiesen, sich insbesondere auf ihn zu konzentrieren.

Hinter ihm kam Penelope Assid, die halb Báalol, halb Terranerin war. Dann Bru Shaupaard, ein Cairaner und in Personalunion ein überheblicher Dreckbatzen.

Auf Antigravplattformen schwebten drei betäubte Phersunen in die Halle. Einer der Geweihträger hieß Skorishol Kontash, die Namen der beiden anderen waren Dou nicht bekannt.

Sechs Wesen. Sie tragen Substanz der VECU in sich. Gemeinsam dienen sie als Speicher für eine Superintelligenz.

Er blieb nach außen hin gelassen, durfte sich keine Blöße geben. Man erwartete von ihm, dass er Ruhe und Selbstsicherheit ausstrahlte.

Nur zu gerne hätte er einen Epsal-Dackel bei sich gehabt. Die Tiere galten auf seiner Heimatwelt als Landplage; aber sie besaßen einen untrüglichen Geruchssinn. Ein Epsal-Dackel hätte die sechs Komponententräger beschnüffelt und herausgefunden, ob einer von ihnen eine Gefahr darstellte.

Gry O'Shannon und Jalland Betazou verließen nun ebenfalls die Jet. Sie waren die einzig unbeeinflussten Personen jenes Einsatzteams, das die VECU auf dem Planeten Zpud befreit hatte.

Icho Tolot trat einen Schritt auf ihn zu, Onker Dou hob die Hand. Der Haluter blieb stehen, als sich die Läufe mehrerer Strahlwaffen auf ihn richteten.

»Diese Halle wurde vom Rest der RAS TSCHUBAI isoliert«, sagte Dou so laut, dass jedermann ihn hören konnte. »Ich habe sie mit Paratronschirmen umhüllen lassen. Ich erlaube vorerst nicht, dass ihr das eigentliche Schiff betretet.«

Assid, O'Shannon und Betazou unterhielten sich leise miteinander, der Cairaner Bru Shaupaard blieb isoliert stehen. Insofern fielen die Reaktionen genau so aus, wie Dou erwartet hatte.

»Du verstehst mich, Tolot?«, fragte er den Haluter.

»Selbstverständlich«, sagte der und gab Geräusche von sich, als würde er Felsbrocken zerkauen. »An deiner Stelle hätte ich das Beiboot auf Distanz zur RAS TSCHUBAI gehalten. Ihr befürchtet, dass wir mit der VECU ein gefährliches, unberechenbares Wesen an Bord bringen.«

»Richtig.«

»Ich versichere dir, dass mit uns alles in Ordnung ist«, sagte Shaupaard.

Dou ignorierte ihn. Er konzentrierte sich auf Icho Tolot. »Was empfiehlst du mir?«

»Isolation. Untersuchungen. Befragungen. Wäre ich an deiner Stelle, würde ich uns in ein Kleinschiff stecken und in möglichst großem Abstand hinter der RAS TSCHUBAI herziehen lassen.«

»Das war mein Vorschlag.«

»Aber Luetyens, dein Vorgesetzter, hat sich dagegen ausgesprochen.«

»Richtig.« Sein Vorgesetzter war überaus kompetent, aber Dous Meinung nach zu risikofreudig. Er ignorierte die Dimension der Gefahr. Unglücklicherweise hatte sich Holonder Luetyens' Ansicht angeschlossen.

»Also werden wir isoliert. Hier, in dieser Halle.«

»Euch wird es an nichts fehlen. Wir werden eine Medoabteilung aufbauen und das notwendige Fachpersonal herankarren, das euch untersuchen soll.«

»Wir sind nicht krank!«, unterbrach Bru Shaupaard neuerlich das Zwiegespräch. »Wir tragen eine unendlich wertvolle Fracht in uns! Ich versichere dir ...«

»Du kannst mir versprechen, was du willst. Ich werde dir nicht erlauben, die RAS TSCHUBAI zu betreten. Erst dann, wenn wir wissen, wer und was die VECU ist und was sie vorhat.«

Der Cairaner schwieg. Alles an ihm war Ablehnung. Es war ganz klar zu sehen, dass er in dieser Gruppe ein Außenseiter war.

»Die Phersunen werden medizinisch versorgt«, fuhr Dou fort. »Nebenbei können unsere Mediker mehr über ihre Physis herausfinden. Zudem setzen wir Psychologen ein, die euch befragen werden.«

»Was soll das bringen?«, brauste Shaupaard auf. »Wir müssen der VECU helfen! Du legst uns Steine in den Weg. Es geht um das Schicksal meiner Galaxis ...«

Eine Sirene gellte. Holos erschienen aus dem Nichts und informierten sie über den Grund des Alarms.

»Phersunenschiffe nähern sich«, sagte ANANSI mit ihrer Jungmädchenstimme. »Mit der PALAGUN an der Spitze. Also vermutlich mit Jashol Zhaushun und dem Advokaten Synn Phertosh an Bord.«

Dou unterdrückte einen Fluch. Ausgerechnet Phertosh. Der Advokat war der erbittertste Feind, dem sie bislang in Ancaisin begegnet waren.

*

»Ein Ausschleusen der ZALTERTEPE-Jet kommt nicht infrage«, übermittelte ihm der über ein Holo zugeschaltete Luetyens knapp. »Die RAS TSCHUBAI geht in den Verteidigungsmodus, wir flüchten vor der Übermacht. Die Schirme um den Hangar werden desaktiviert. Wir brauchen Betazou auf seiner Station als Grauspäher. Womöglich bekommen wir es mit Vektormaterie zu tun. Gry soll sich in die Suspension begeben, damit sie nicht ertastet werden kann. Icho Tolot erwarten wir in der Zentrale!«

Dous Chef unterbrach die Verbindung gleich wieder.

Wir haben also die Wahl zwischen Pest und Cholera, machte Dou bei einem altterranischen Sprichwort Anleihe. Wir müssen einen Teil der Mitglieder der ZALTERTEPE-Jet ins Schiff lassen, um den Phersunen entkommen zu können – und gehen damit ein gehöriges Risiko ein.

Onker Dou fühlte für einen Augenblick so etwas wie Bitterkeit. Er verlor die Kontrolle über die Geschehnisse.

Rasch gewann jedoch wieder sein Pragmatismus die Oberhand. Er gab Anweisungen und sorgte dafür, dass die Schutzvorkehrungen reduziert wurden. Jene Schirme, die den Hangar umspannten, erloschen. Individuelle Paratronschirme umhüllten Icho Tolot und seine Gefährten.

Ein Teil von Dous Sicherheitsleuten wurde abgezogen. Sie galten als bestausgebildete Notfallspezialisten, die bei Gefahrensituationen in der RAS TSCHUBAI dafür sorgten, dass die Rettungs- und Versorgungsketten funktionierten.

Kaum hatte sich das Hangarschott geöffnet, stürmte Tolot davon. Die halutische Kampfmaschine war der beste Berater, den ANANSI und Kommandant Holonder in dieser kritischen Phase bekommen konnten. O'Shannon und Betazou folgten Tolot im Laufschritt, waren aber deutlich langsamer.

Shaupaard wirkte wie verloren. Er wusste offenbar nicht so recht, wie er sich verhalten sollte, während Penelope Assid in der Nähe der bewusstlosen Phersunen blieb.

Fünf Träger der VECU waren also an Bord. Zumindest diese Gefahrenträger konnte Dou weiterhin isolieren.

Icho Tolot war individuell isoliert. Und er war wohl derjenige, der dem Druck einer vermeintlichen Superintelligenz am ehesten standhalten konnte.

Red es dir bloß ein, Onker. Niemand von uns widersteht den mentalen Kräften eines höheren Wesens. Wir sind wie Fliegen für die VECU. Sie mag zu den konstruktiven Mächten des Universums gehören – aber Fliegen, die ihr lästig sind, wird sie dennoch erschlagen.

*

Der RAS TSCHUBAI gelang die Flucht nach kurzem Geplänkel. Auch dank der Umsicht und der Ratschläge Icho Tolots.

Wollte der Advokat, dass sie entkamen? Verfolgte er bestimmte Pläne?

Onker Dou wusste es nicht und wollte sich auch nicht an Diskussionen über die gelungene Flucht beteiligen. Dies gehörte nicht zu seinen Pflichten.

Er ließ einen Quartierbereich in unmittelbarer Nähe des Hangars vorbereiten. Dort waren im Normalfall Einsatzkräfte der Bereitschaft untergebracht. Nun wurden die Räumlichkeiten auf Dous Anweisung umgebaut, vergrößert und abgesichert. Er ließ weitere Schirmprojektoren in Stellung bringen und schwere, mobile Paralysatoren heranschaffen. TARAS bezogen rings um die kleine Siedlungsinsel Position, einige seiner Mitarbeiter koordinierten die Überwachungssysteme mit ANANSIS Unterstützung

Jeder trug einen SERUN mit eingeschaltetem Schutzschirm. Funkgespräche gingen kreuz und quer. Dou arbeitete eng mit dem Schiffsrechner zusammen und schuf eine optimierte Infrastruktur für die Träger der Superintelligenz. Dou unternahm sein Möglichstes, um die Sicherheit der Schiffsbesatzung zu gewährleisten.

Er hörte ein lautes Stampfen, gleich darauf trat Tolot in die Halle. »Willst du mich nach wie vor isolieren?«, fragte der Haluter schmerzhaft laut.

»Selbstverständlich.«

»Du weißt nicht, ob die Paratrons die VECU aufhalten. Die Superintelligenz hätte längst aus mir und meinen Begleitern entweichen können.«

»Und? Ist sie das?«

»Nein.«

»Kannst du mir Beweise dafür liefern, Icho?«

Die Augen des Haluters glühten dunkelrot. Auch er kam nicht gut mit Dous schroffer Art zurecht.

»Ich liefere dir gerne eine Situationsanalyse meines Planhirns. Es ist unbestechlich, wie du weißt.«

»Eine Superintelligenz kann selbst ein Wesen wie dich hintergehen, wie du weißt.«

»Respektlosigkeit und Zynismus sind eine schlechte Mischung, Onker Dou.« Tolot trat näher an ihn heran.

Dou musste den Kopf weit in den Nacken legen. Der halutische Riese war mehr als doppelt so groß wie er. Nur in der Körperbreite konnte er ihm beinahe Paroli bieten.

»Ich habe keine Zeit für den Austausch von Freundlichkeiten. Ob du nun einer der Expeditionsleiter bist oder nicht – du befolgst meine Anweisungen.« Leise fügte er hinzu: »Es geht um das gesamte Schiff. Um unser aller Heimat. Wir sind in eine fremde Galaxis gereist. Die psychische Belastung für die Besatzung ist groß, zumal wir immer wieder in Kämpfe und Scharmützel verwickelt werden.«

»Dass unsere Mission in Ancaisin kein Spaziergang werden würde, wusste jedermann vor dem Abflug.«

»Richtig. Die Therapeuten und Psychologen geben ihr Bestes, um für unser seelisches Wohlbefinden zu sorgen. Und dann sind da noch wir, die Leute von der Inneren Sicherheit. Wir kümmern uns um die alltäglichen Probleme. Wir sind vor Ort, bevor ein psychisch angeknackstes Bordmitglied durchdreht. Wir schlichten Streitigkeiten. Wir entdecken Gefahrenherde, bevor sie akut werden. Wir trennen Mitglieder der Bodentruppen, der Waffeneinheiten und aller anderen militärischen Einheiten, bevor sie sich im Konkurrenzkampf die Schädel einschlagen. Oder sich, wie bei einem Paarungstanz vorgestern in einer Schiffskneipe, zwei Angehörige der Lamanas gegenseitig die Blätter auszupfen.«

»Ich kenne eure breit gestreuten Aufgaben, Onker. Was willst du mir sagen?«

»Dass du dich um deine eigenen Aufgaben kümmern und mich meine Arbeit machen lassen sollst. Du besitzt mehr Lebenserfahrung als ich und jedes andere Bordmitglied. Aber du bist ein Haluter. Das Einzelgängertum ist in deiner DNS verankert. Luetyens und ich hingegen müssen diesen riesigen Körper, in dem fünfunddreißigtausend Wesen umherwimmeln, beherrschen. Manchmal tun wir es, indem wir gemeinsam mit Col Tschubai Feste organisieren und für gute Stimmung sorgen. Manchmal verlangen wir strikte Disziplin. So wie derzeit. Ich mag es nicht, wenn mir jemand in einer kritischen Phase ins Handwerk pfuscht. Auch ein Icho Tolot hat mir in diesem Fall zu gehorchen. Verstanden?«


Illustration: Swen Papenbrock

Die Antwort kam überraschend schnell.

»Verstanden«, sagte der Haluter. »Mein Planhirn gibt dir recht.«

Onker Dou atmete erleichtert durch. Tolot war ein sanfter Riese, aber dennoch ein Riese. Einer mit gewaltigen Kräften. Es war nicht auszudenken, was geschah, wenn der Haluter seine Meinung durchsetzen wollte.

»Danke.« Dou nickte. »Dann lass uns mit der Befragung und den Untersuchungen loslegen. Die Bordpsychologen und die Mediker warten. Wenn du mir bitte folgst ...?«

*

Wissenschaftler suchten nach Spuren der VECU. Nach auffälligen Strahlungsbildern in den Köpfen ihrer sechs Träger. Sie forschten im hyperenergetischen wie parapsychischen Spektrum, soweit es sich mithilfe von Milchstraßentechnik abbilden ließ. Sie suchten nach mentalen Bildern, nach Irritationen der ÜBSEF-Konstante.

Eine medotechnische Abart des Kantor-Sextanten kam ebenso zum Einsatz wie herkömmliche Hypnostrahler. Psychoanalytiker stellten Fragen, mehrere Mediker interessierten sich für die körperliche Gesundheit der VECU-Träger.

Die drei Phersunen blieben sediert. Sie waren für Onker Dou vorerst nicht interessant. Sie waren Gegner, die Gespräche mit ihnen würden weitaus komplizierter verlaufen als mit Assid, Tolot und Shaupaard.

»Wie fühlt es sich an, einen Teil der VECU in sich zu tragen?«, fragte Matho Thoveno, der araische Chefmediker des Schiffs.

»Gut«, antwortete Shaupaard.

»Angsterregend«, meinte Penelope Assid.

»Interessant«, sagte Tolot.

Onker Dou wohnte allen Unterhaltungen bei. Natürlich fanden sie getrennt statt. Die Räumlichkeiten waren bestmöglich geschützt.

Shaupaard, der Cairaner, ließ sie spüren, dass er nichts von dieser Befragung hielt. Assid wirkte unsicher. So, als würde sie immer wieder in sich hineinhören und mit jemandem Zwiesprache halten. Tolots Beschreibungen waren am präzisesten, aber auch sie halfen nicht weiter.

Er sagte: »Es ist, als wäre mein Körper wie eine Gussform mit flüssigem Metall gefüllt worden. Da ist Hitze, da ist ein Brennen. Ich kann das Zentrum dieser Gefühle allerdings nicht lokalisieren.«

»Das sind die Wahrnehmungen, die du mit dem Ordinärhirn machst«, meinte Marje a Hainu, eine der kompetentesten Xenopsychologen an Bord. »Was sagt das Planhirn?«

»Dasselbe. Ich wurde mit etwas ... geflutet.«

»Hast du positive oder negative Empfindungen?«

»Es ist weder gut noch schlecht. Es ist.«

»Sucht die VECU die Unterhaltung mit dir?«

»Sie wirkt unruhig, aber nicht drängend. Womöglich versucht sie, ein Gespräch mit mir zu führen.«

»Bist du bereit zu diesem Gespräch?«

Tolot schwieg. Lange. »Nein«, sagte er schließlich. »Mag sein, dass mein Geist dabei verbrennt. Womöglich kommt deshalb kein Dialog zustande.«

Irgendwann machten sie eine Pause. Die drei von der Superintelligenz belegten Wesen wurden in ihre Quartiere zurückgebracht.

Dou versammelte die Mitglieder seiner Expertengruppe um sich.

»Wir sind keinen Schritt weiter«, resümierte er den Zwischenstand. »Die VECU ist nicht zu fassen. Weder in einem bestimmten Strahlungsspektrum noch als Persönlichkeit oder als Wesenheit.«

»Ungeachtet dessen ist sie da.« Marli Willka, die wuchtig gebaute Xenotechnologin, ließ Holos rings um sich entstehen. »Das, das und das sind scheinbare Unreinheiten in den Messverfahren. Ich sage scheinbar, weil ich die Bilder mehrfach überprüft habe. Sie existieren. Sie bilden meiner Meinung nach die VECU ab. Zumindest einen Teil der Superintelligenz.«

»Unsinn!«, mischte sich Chaib Lessing ein. Ein Hyperfeld-Messtechniker, der auf Rudyn aufgewachsen war. »Du kannst nicht jedem Fliegendreck eine Bedeutung zugestehen.«

»Fliegendreck? Erlaube mal ...«

»Ruhe!« Dou hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich will mehr über diese Unreinheiten hören, Marli.«

Willka kramte Cashew-Schokodrops aus einer Tasche und knabberte sie. »Meiner Meinung nach handelt es sich um Peaks. Um geistige Imprintpunkte, die nur für wenige Augenblicke sicht- und erkennbar bleiben. Es ist, als würde jemand für ganz kurze Zeit einen bestimmten Gedanken fassen und ihn gleich wieder, nun ja, vergessen.«

»Soll ich das so deuten«, mischte sich Marje a Hainu ein, »dass die VECU sich selbst vergessen hat und keinen Weg zurückfindet, nachdem ihre Restsubstanz auf sechs Wesen aufgeteilt wurde?«

»Hanebüchener Unsinn!«, behauptete Lessing. »Das würde bedeuten, dass die VECU eine dezentralisierte Persönlichkeit hätte. Dass ihr Geist durchs Hyperspektrum changiert, vom UHF-Bereich bis in den SHF-Bereich!«

»Und darüber hinaus. Weshalb sollte das nicht möglich sein?« Willka schob sich eine weitere Schokonuss in den Mund.

»Auch eine Superintelligenz muss sich an Naturkonstanten halten. Und die sind nun mal unverrückbar.«

Onker Dou klinkte sich geistig aus dem Streitgespräch aus. Er betrachtete die Holos der Xenotechnologin, schob sie hin und her, sortierte sie um. Immer wieder.

»Wie viele Messungen hast du vorgenommen?«, fragte er Willka nach einer Weile.

»Es gab sieben Testreihen«, antwortete sie. »Drei im Abstand von jeweils wenigen Minuten, danach haben wir eine Stunde pausiert und weitere vier Durchgänge durchgeführt.«

»Bei den ersten drei Tests habt ihr deutlich weniger dieser Peaks oder Verunreinigungen verzeichnet. Bei allen Probanden.«

»Richtig. Wir gingen von einer ... einer Bewusstseinszunahme aus. Allerdings ist sowohl bei Tolot als auch bei Assid und Shaupaard jeweils ein Einbruch in den späteren Tests zu bemerken, bevor die Peaks wieder mehr werden.«

»ANANSI? Was meinst du dazu?«

Die Stimme der Semitronik erklang; kurz darauf projizierte sie ein Holo und wurde so zum optischen Ansprechpartner. »Man müsste mehr Untersuchungen machen. Die Häufung der Peaks ist bemerkenswert, selbst wenn es sich tatsächlich um Verunreinigungen beim Messverfahren handeln könnte.« ANANSI machte eine kurze Pause. »Mag sein, dass die VECU sich sammelt und versucht, zu sich zu kommen.«

»Die Wachstumsrate ist bei Tolot weniger stark ausgeprägt als bei Assid und Shaupaard.«

»Das kann Zufall sein«, meinte Willka. »Das Material ist zu wenig aussagekräftig ...«

ANANSI hob die Hand und blickte beiseite, als befände sich außerhalb ihres Holos ein Gesprächspartner.

»Tolot möchte mit dir sprechen, Onker.«

»Her damit!«

Der riesige Kopf des Haluters tauchte übergangslos in einem zweiten Bild auf.

»Was gibt's?«

»Der mentale Druck wird stärker. Das Gefühl, mit flüssigem Metall ausgefüllt zu werden. Ich kann vorerst widerstehen. Aber ihr solltet euch um die anderen fünf Komponententräger kümmern. Besonders um Penelope.«

»Verstanden und danke. Die Mediker sind unterwegs.« Dou wischte durch die Luft, das Holo verschwand. »Los, los! Kümmert euch um die Leute.«

»Assid hätte sich gerührt, wenn ...«

»Vielleicht kann sie es nicht mehr, Thoveno. Da sitzt der Teil einer Superintelligenz in ihr und beherrscht sie womöglich. Schon vergessen?«

Der spindeldürre Ara erhob sich, rückte das rote Tuch auf seiner Stirn zurecht und stakste raschen Schritts davon.

Dou ließ Bilder aus den Kabinen der Komponententräger zuschalten: Tolot ging in seinem Zimmer auf und ab; die Phersunen schliefen; Shaupaard hielt die beiden Handpaare ineinander verschränkt und wirkte seltsam zufrieden; Assid saß ruhig auf einem Sessel und hielt die Augen geschlossen.

»Die biologischen Werte sind in Ordnung«, sagte Dou zu sich selbst. »Es ist alles bestens. Womöglich konzentriert sich die VECU auf Tolot. Schließlich ist er der stärkste Komponententräger. Sie will ihn für sich haben, seinen zweigeteilten Geist infiltrieren ...«

Dou stutzte und betrachtete nochmals das Bild aus Penelope Assids Kabine.

Sie atmete ruhig, der Puls war im Normbereich. Doch ihre Hände krampften sich um die Lehne des Sessels. So stark, dass die Haut um die Knöchel weiß anlief.

»Sie wird von der VECU ruhig gehalten!«, rief er und eilte Matho Thoveno hinterher.

Es waren nur wenige Meter bis zu der gesicherten Wohninsel. Medoroboter waren bereits in die Kabine vorgedrungen und kümmerten sich um die völlig verkrampft dasitzende Xenolinguistikerin. TARAS umringten den kleinen Komplex, ihre Waffen waren aktiviert.

»Die VECU erwacht«, sagte Dou. »Sie greift auf ihre Träger zu.«

»Tolot ist stabil.« Matho Thoveno tauchte neben ihm auf und betrachtete ein handgroßes Analysegerät. »Shaupaards Werte scheinen ebenfalls normal zu sein.«

Dou fühlte, dass es nicht so war. Er ahnte die Katastrophe, ohne sagen zu können, in welcher Form sie kommen würde.

»Höchste Abschirmung!«, befahl er einem seiner Leute. »Ich will mehrfach gestaffelte Schutzschirme. Sichert den Bereich so ab, dass er jederzeit aus der RAS TSCHUBAI gesprengt werden kann.«

»Das ist verrückt«, sagte Thoveno. »Selbst für einen Terranischstämmigen.«

»Ich bin Epsaler. Es ist Jahrtausende her, dass meine Vorfahren Terra verlassen haben.«

»Jaja, schon gut.« Thoveno packte seine schwebende Medotasche. »Wenn du erlaubst, kümmere ich mich selbst um meine Patienten. Vor allem um Assid. Ihr geht es am schlechtesten.«

»Betäub sie! Sorg dafür, dass sie schläft! Shaupaard und Tolot ebenfalls.«

»Einen Haluter kann man nicht einfach so ...«

»Es ist mir egal, wie du es anstellst! Hauptsache ist, dass die VECU nicht über ihre Körper verfügen kann.«

Ein Funkruf erreichte ihn. Er stammte von Marli Willka, der Xenotechnologin.

»Ist es wichtig?«, fragte Onker Dou. »Die VECU macht sich immer deutlicher bemerkbar.«

»Genau deswegen melde ich mich bei dir. Es gibt Hinweise darauf, dass die punktuelle Peak-Strahlung im Bereich der Quartiere drastisch zunimmt. Sie konzentriert sich vor allem auf einen der Komponententräger.«

»Das wissen wir längst. Thoveno kümmert sich um Penelope.«

»Dann schätzt ihr die Lage falsch ein. Die Messungen zeigen, dass die VECU es zuerst bei Icho und dann bei Penelope probiert hat und sich nun um Shaupaard kümmert.«

Dou unterdrückte einen Fluch. »Er ist von allen Trägern der bereitwilligste. Er wird sich der VECU öffnen. Richtig?«

»Richtig.«

Er brach die Unterhaltung ab, änderte den Funkkanal und wandte sich an seine Einsatzkräfte. »Shaupaard betäuben!«, befahl er.

War es richtig, was Dou tat? Schließlich handelte es sich bei der VECU um eine mögliche Verbündete. Um jemanden, der die Lage in Ancaisin stabilisieren und den Kampf gegen die Kandidatin Phaatom aufnehmen würde, bevor sie sich in eine Materiesenke verwandelte.

»Lasst es bleiben!«, hörte Onker Dou eine Stimme, die über alle Funkkanäle zu hören war. »Mein Parolgeber darf nicht angegriffen werden.«

Es war Bru Shaupaards Stimme. Dennoch klang sie anders. Verändert. Die Schutzschirme rings um den isolierten Kabinentrakt erloschen, ein einzelnes Wesen trat daraus hervor: Bru Shaupaard.

Er ging mit federnden Schritten und schien dabei den Boden kaum zu berühren. Seine vier Hände vollführten sonderbare Gesten, als dirigierte er eine Gruppe unsichtbarer Musiker. Über seinem Kopf flimmerte die Luft, Goldfunken entstanden und vergingen gleich wieder.

Die TARAS richteten ihre Strahler auf den Cairaner. Der machte eine knappe Handbewegung – und die Kampfroboter sackten zu Boden.

»Ich danke euch für eure Unterstützung«, sagte die VECU durch den Cairaner. »Vor allem aber danke ich euch dafür, dass ihr mir dieses Schiff zur Verfügung stellt.«

*

Alarm erklang.

ANANSI tat, was vom Zentralrechner eines Raumschiffes in einem solchen Fall erwartet wurde. Gewiss wusste man in der Zentrale bereits Bescheid, was an Bord geschah.

Holonder würde sich mit Magebe Lenski besprechen, mit seiner Ersten Offizierin. Mit Luetyens und anderen Entscheidungsträgern an Bord des Schiffs. Die Posbis, die meist still blieben und sich kaum einmal in strategische Belange einmischten, würden in die Gespräche miteinbezogen werden. Das militärische Führungspersonal. Womöglich spezielle Einsatzkräfte wie Tenga, der Siganese.

Onker Dou aber war vor Ort. Er stand dem Vertreter der VECU gegenüber.

»Was ist ein Parolgeber?«, fragte er Bru Shaupaard und trat näher auf den Cairaner zu.

»Ein Titel«, antwortete Shaupaard bereitwillig. »Eine Ehrerbietung. Eine Prägnanz. Oder bloß das Wort für meinen Vertreter an Bord dieses Schiffs.«

»Du vertrittst die VECU?«

»Ich bin sie, sie ist ich.«

»Was willst du von uns? Was erwartest du?«

»Vor allem anderen muss ich dieses Schiff und seine Funktionalität erforschen. Es ist primitiv, aber interessant. Wenn ich ein wenig mehr Zeit und Kraft hätte, würde ich es nach meinem Geschmack umformen.«

»Du gibst zu, dass du geschwächt bist. Wir sollten über eine Partnerschaft reden. Wie wir dir am besten helfen können ...«

Bunte Lichter irrlichterten über Shaupaards Gesicht. Der Cairaner hatte seine Mimik für eine Weile nicht unter Kontrolle. Dann lachte er plötzlich kurz auf. »Eine Partnerschaft?«

»Überzeug uns von deinem Vorhaben, dann sind wir zu einer Zusammenarbeit bereit.« Onker Dou sagte, was ihm einfiel, während er sich gedanklich mit Notfallszenarien beschäftigte.

»Ich habe keine Zeit für weitere Unterhaltungen.« Shaupaard zeichnete Bilder in die Luft. »Die Übernahme der RAS TSCHUBAI vollzieht sich gerade. Du und alle anderen Bordmitglieder seid von euren Aufgaben entbunden.«

»Was hast du vor?«

»Ich tue, was zu tun ist«, antwortete Shaupaard kryptisch.

Alle Beleuchtungskörper im Raum flackerten und erloschen dann ganz. Nur rötliches Notlicht blieb.

Shaupaard wirkte mit einem aus sich selbst leuchtenden Körper wie eine diabolische Gestalt auf einer Bühne. Die Flecken in seinem Gesicht traten deutlich hervor.

»Geht in eure Kabinen!«, befahl der Cairaner mit geistesabwesend klingender Stimme, die mit einem Mal aus jedem einzelnen Interkom-Gerät schallte. »Ich werde euch instruieren, sobald ich euch brauche. Das betrifft auch dich, Onker Dou. Deine Anwesenheit stört mich. Ich muss mich mit dem Schiffsgehirn und seinen Ablegern beschäftigen. – ANANSI?«

»Ja, Parolgeber?« Eine Holoprojektion des Avatars, dessen ANANSI sich als Schnittstelle zum Normalraum bediente, entstand vor Shaupaard.

»Sorg dafür, dass ich ab sofort in Ruhe gelassen werde.«

ANANSI schwieg für eine Weile. Mehrmals setzte der Avatar zum Sprechen an. Das Bild flackerte, erlosch und kehrte dann wieder.

»Hast du meine Anweisung verstanden?«, hakte Shaupaard nach.

»Ja, Parolgeber.« ANANSI senkte ihren Kopf. »Niemand darf dich stören.«

Leben kehrte in die TARAS zurück. Es war, als erwachten sie aus einem langen Schlaf. Sie erhoben sich in die Luft, drehten sich wie Kreisel mehrmals um die eigene Achse und richteten anschließend Waffenarme auf jedes einzelne Besatzungsmitglied.

»Tut, was die VECU befohlen hat«, sagte ANANSI. »Geht in eure Kabinen und wartet auf Anweisungen.«

Perry Rhodan 3055: Die VECU

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