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Meine Mutter kam in mein Zimmer. Und da war wieder dieser gequälte Blick; ich glaube fast, er ist ihr angeboren.

„Gute Nacht, Liebes“, meine Krankheit hatte ihre Stimme immer sanfter, immer leiser werden lassen, „fühlst du dich gut?“

Ich gab ihr keine Antwort, ich lag flach ausgestreckt unter der Decke, mein dünner Leib war ein einziger Protest gegen dieses Getue.

„Fühlst du dich gut, Liebes?“ wiederholte sie, und Sorge zitterte in ihrer Stimme.

„Ja“, sagte ich endlich ganz ruhig, das Ja mehr ein Seufzer als ein Wort; in Wirklichkeit war es ein Nein, ein lautes, ärgerliches Nein.

„Schlaf gut“, flehte sie und verließ geräuschlos das Zimmer.

In dieser Nacht wollte ich nicht nachdenken. Manchmal denke ich nach, aber dann entgehen mir die Geräusche in diesem Haus. Ich lag still, ganz still, bis ich ihr demütiges Klopfen an Vaters Türe hörte.

„Lieber“, rief sie, „darf ich für einen Moment hineinkommen?“

Zuerst gab er keine Antwort, dann antwortete er ebenso kurz wie ich vorhin, und ich wußte, ihre Finger waren jetzt an der Klinke seiner Tür, und das Schlurfen ihrer Hausschuhe bedeutete: „Vergib mir mein Eindringen.“ In ihrer Stimme war Schwermut, dabei war sie einmal ein fröhliches Mädchen gewesen.

Ich hörte die tiefe Stimme meines Vaters, und obgleich ich durch die Wand von ihnen getrennt war, hüpfte mein Herz, als ich den Ärger in seiner Stimme bemerkte. Sie blieb nur für eine Minute, ohne Zweifel erzählte sie ihm, mir ginge es gut und ich schliefe bald. Dann konnte ich hören, wie sie die Tür des kleinen angrenzenden Zimmers öffnete, welches vorher einmal ihr Ankleideraum gewesen war.

Vorher … Vorher und nachher; das war der Aspekt, unter dem wir alles betrachteten.

Vorher – das lebensuntüchtige Erbgut meiner Mutter, der faule Kern der Familie zeigte sich in meinem 13. Lebensjahr.

Es war ihre Krankheit, und mein Körper sank aufs Bett, ins Grab, und sanft zog ich sie mit mir. Als sich das Haus zur Ruhe begeben hatte, überließ ich mich meinen Träumereien, Träumereien voller Unwissenheit, „Unschuld“ sagt man dazu. Ich erinnere mich, es war vor drei Jahren, der Arzt stand an meinem Bett und sagte: „Sie ist ein Engel.“ Dabei berührte er mein glattes, weißblondes Haar. „Wir werden alles tun, um sie zu retten, Mrs. Ferdinand.“

Meine Mutter sagte voller Trauer: „Sie ist so jung und immer so hinfällig.“

Das war alles, was sie sagte. Mein Vater jedoch antwortete dem Arzt genauer.

„Mutter und Schwester meiner Frau“, sagte er voller Sarkasmus, ja Verachtung, „waren mit dem gleichen Leiden geschlagen.“

„Natürlich“, fügte er hinzu, „diese waren damals erheblich älter, während Adriane sich schon immer als besonders anfällig zeigte.“

Ich fühlte seine Hand auf meiner Stirn.

„Sie hat kein Fieber.“

„Nein“, der Arzt stimmte ihm zu, „dabei gibt es kaum Fieber. Aber sie muß eine lange Zeit vollkommen ruhig liegen. Wenn wir Glück haben, heilt die Ader. Sollte jedoch ein weiterer Anfall folgen – und ich muß Sie darauf hinweisen, daß dies immer im Bereich des Möglichen liegt – bleibt uns wenig zu tun.“

Meine Mutter verschluckte ihre Tränen, und mein Vater sagte mit milder Stimme:

„Margret, wenn du glaubst, daß dir Tränen Erleichterung verschaffen, tue dir keinen Zwang an“, und damit verließ er mit dem Arzt das Zimmer. Mutter saß noch eine lange Zeit an meinem Bett. Mir schienen es Tage zu sein. Ich schlief gelegentlich ein, und wenn ich erwachte, saß sie noch immer da, bis sich endlich der Schmerz wie ein Krebs auf ihrem Gesicht ausgebreitet und sich in ihren Augen eingenistet hatte.

Unschuld 1

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