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Vorwort

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Es gibt Momente in einem Autorenleben, die nicht mit Geld aufzuwiegen sind. Es sind diese Momente, ideelle Erfolge, die viel nachhaltiger sind als ein Blick auf den erhöhten Kontostand.

Ein schönes Beispiel dafür ist ein Erlebnis, das mir vor ein paar Jahren passiert ist. Der Postbote klingelte nachmittags an meiner Wohnungstür und gab mir ein Päckchen, dessen Absender mein damaliger Verlag war. In dem Päckchen befand sich ein Buch, teilweise in französischer Sprache, mit dem ich erst gar nichts anfangen konnte. Es war kein Anschreiben dabei, und Französisch habe ich nie gelernt. In Ost-Berlin, wo ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, lernte man Russisch. Eine Sprache, von der ich heute noch ungefähr zehn Worte beherrsche. Nach sechs Schuljahren. Nicht einmal zwei Worte pro Schuljahr, und das ist nun wirklich kein guter Schnitt.

Trotzdem begriff ich natürlich, während ich in dem Buch blätterte, dass es sich um ein Schulbuch handelte. Das war der Augenblick, in dem es Klick machte. Ich blätterte schneller, um dann überrascht festzustellen, dass es einer meiner Texte in ein französisches Schulbuch geschafft hatte. Es war ein unwirkliches Gefühl. Die Zeilen waren nummeriert und auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich Arbeitsanweisungen, wie die Schüler den Text analysieren sollten. Es war das Erfolgserlebnis schlechthin, einer meiner schönsten Momente als Autor.

Kürzlich hat mich nach einer Lesung in Frankfurt ein Zuhörer angesprochen, um mir zu danken. Er hatte meinen Text „Die Bedeutung eines ‚Zuletzt Online‘ “ gelesen, der sich auch in diesem Buch befindet und den wohl am besten dieser schöne Satz zusammenfasst: „Wir wissen nicht, was andere denken oder fühlen, wir interpretieren ihr Verhalten und sind dann wegen unserer eigenen Gedanken beleidigt.“ Der Mann erzählte mir, dass dieser Text die Situation seiner Familie wiederspiegelte, in der einige Mitglieder schon seit Jahren nicht mehr miteinander sprachen. Kurzerhand berief er ein Familientreffen ein und las den Text dort vor. Noch an diesem Nachmittag war die Fehde beendet.

„Das hat ihnen die Augen geöffnet“, sagte er und gab mir die Hand. „Und dafür wollte ich dir danken.“

Ich wusste zuerst gar nicht, was ich sagen sollte, wieder hatte ich dieses unwirkliche Gefühl. Ich spürte, dass das hier gerade einer dieser großartigen ideellen Erfolge war, die so selten vorkommen.

Ich glaube, die Geschichte des Frankfurters beschreibt die Texte in diesem Buch sehr gut. Dieses Buch ist kein Ratgeber. Keine Anleitung. Ich bin weder Psychologe noch Soziologe, ich bin Beobachter und Erzähler. Vielleicht findet man die Antworten, die man sucht, zwischen den Zeilen. Mein Schreiben sehe ich eher in der belletristischen Tradition, ein authentisches Abbild des Lebens zu schaffen. Das echte Leben abzubilden und meine Schlüsse daraus zu ziehen. Ich selbst habe mehr über das Leben aus guten Romanen gelernt als aus jedem Ratgeber.

Als mein Text „Generation Beziehungsunfähig“ in dem Online-Magazin Im Gegenteil veröffentlicht wurde, wurde er schon am ersten Abend so oft aufgerufen, dass der Server immer mal ­wieder nicht erreichbar war. Er war kurz davor zusammenzubrechen. Allein in der ersten Woche lasen ihn eine Million Menschen, noch in derselben Woche kauften sich die Macher von Im Gegenteil einen neuen Server. Der Erfolg dieses Textes hat mich offen gestanden überrascht, denn er unterscheidet sich ja eigentlich nicht von meinen anderen Texten. Es ist derselbe Ansatz.

Ich habe in den letzten Monaten Tausende Nachrichten bekommen, in denen sich Menschen bei mir bedankt haben. Dafür, dass meine Texte sie berührt und bewegt haben, dass sie nach der Lektüre über sich und ihr Leben nachgedacht haben. Viele ­schrieben mir, ich hätte ein vages Gefühl, das sie schon vorher hatten, in Worte gefasst. Dinge, die ich beim Schreiben nie geplant habe. Wahrscheinlich kann man es auch nicht planen, so etwas passiert einfach. Jede einzelne dieser Nachrichten war eins dieser ideellen Erfolgserlebnisse. Denn das ist das größte Kompliment für mich als Autor. Im Leser etwas zu berühren, in ihm etwas auszulösen.

Vor einigen Monaten habe ich eine Nachricht von einer Siebzehnjährigen bekommen, die mir unbedingt schreiben musste, weil sie ganz überrascht von sich selbst war. Sie hatte einen meiner Texte gelesen – und sie hatte ihn zu Ende gelesen. „Eigentlich lese ich gar nicht, es sei denn, die Schule zwingt mich dazu“, schrieb sie. „Aber meiner Generation spricht das halt echt aus der Seele. Wenn wir solche Texte in der Schule behandeln würden, würden wir dort auch gern wieder lesen.“

Ich lächelte und dachte daran, wie mir der Postbote vor einigen Jahren das Päckchen mit dem französischen Schulbuch überreichte.

Wie gesagt, wer einen Ratgeber sucht, wird hier nicht fündig werden. Und auch wem Ironie fremd ist, wird an diesen Texten nur bedingt Freude haben.

Allen anderen wünsche ich viel Spaß beim Lesen!

Michael Nast

Berlin, im Januar 2016

Generation Beziehungsunfähig

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