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ОглавлениеPino...
Pino lebte mit seinen Eltern an einem großen Fluss. Er war ein nicht besonders großgewachsener Knabe mit strohblonden Haaren und blauen Augen. Sein Wesen wurde erfüllt von dieser ganz besonderen, aufgeweckten Art, welche ihn den anderen Menschen, die um ihn herum lebten, sogleich sympathisch erscheinen ließ.
Jedermann sah ihn gerne, wenn er fröhlich singend durch die Gassen des kleinen Städtchens dem Ufer des großen Stromes zulief, denn es war sein Liebstes, lange Tage an dem Wasser zu sitzen und dem ewigen Fließen, Rinnen, Plätschern und Strömen zu lauschen.
Er genoss die warmen, sonnendurchfluteten Stunden des Sommers, wenn ihn keinerlei Alltagspflichten ermahnten.
Vielmehr war es dieses gewisse Schimmern, dieser Glanz des Sommersonnenlichtes, welches ihn ganz gefangen nahm, und Pino gleichsam mit dem sanften Rhythmus der Wellen auf die Reise gehen ließ.
Während er, sich der leidigen Last seiner Schuhe und Strümpfe entledigt, die bloßen Füße tief in den warmen Uferkies bohrte, mitunter aber auch zur Erfrischung die nackten Zehen dem zarten Spiel der Wellen überließ, fuhr er alsbald den breiten Strom mit einem Fischerkahn hinab, war einmal Aaljäger, zu anderen Zeiten jedoch auch ein gefürchteter Pirat, der zum Schrecken der Flussfischer Reusen aushob oder Lastkähne kaperte.
Er liebte es, das Ufer nach allerlei schönen Glitzerdingen abzusuchen und stundenlang einmal diese Muschel aufzuklauben, einmal jenen Stein behutsam in der hohlen Hand zu wiegen.
Die Zeit nach der Schneeschmelze jedoch, wenn unmerklich das schwellende Wasser abnahm und nach den oftmals verheerenden Überschwemmungen das Land erneut zu Tage trat, war ihm die Schönste, denn dann zog er beinahe rastlos umher, auf der Suche nach Dingen, die angeschwemmt und trockengelegt, ihm von der weiten Welt erzählten.
Schätze waren es, die er barg; Dinge deren Geschichte auf geheimnisvolle Weise verborgen, sich ihm und seiner Phantasie doch erschlossen.
In diese Welt der Vorstellungen und Träume gab es für die anderen Leute keinen Zugang. Stattdessen wanderten diese Gegenstände von des Jungen Sammelkorb in den Keller seines Elternhauses, wo sorgsam gewaschen und vom mitgespülten Erdreich befreit, so manches Schöne dann zutage kam.
Oft trat in jenen Zeiten ein bedenklicher Zug in das Gesicht seiner Eltern, wenn wieder einmal das Kind von Stolz erfüllt, seine Schätze vorwies, und an nicht wenigen Tagen im Jahreslauf konnte die Mutter, unter dem Eindruck der sich mehr und mehr füllenden Kisten und Kasten im Zimmer ihres Sohnes, sich eines Seufzers nicht ganz erwehren.
Die feinsten und wertvollsten Dinge aber, die Pino den Launen des Flussgottes verdankte, verbarg er sorgsam eingeschlagen in einem Beutel aus Wachstuch, den er in einem Blechkästchen verstaute.
Dieser Schatz lag versteckt in der Höhlung einer alten Weide, deren überhängende Zweige oft zart die Wasseroberfläche berührten, und leise wippend ein Gefühl der tiefen Geborgenheit bei dem Jungen weckten.
Diesem Baume vertraute das Kind seine wertvollsten Besitztümer an, gab diesem jene seltsam geformte Flasche zur Obhut, von der er in seiner Vorstellung annahm, dass sie vor urdenklichen Zeiten einmal diesen Dschinn der tausendundeinen Nacht gefangen gehalten haben müsste.
In der Höhlung verborgen lag auch die goldene Münze, deren Prägung mit Worten einer fremden Sprache ihm bedeutsam erschien. Stammte diese etwa aus der Schatztruhe eines unglücklichen Ritters, der stromabwärts fahrend, an einer Untiefe zerschellt den Tod fand, während dort weit überm Meer ein schönes Fräulein vergebens auf ihre Morgengabe wartete?
Nun, dieser Art waren die Gedanken, denen sich der Knabe hingab, während er dort am Ufer hockend, den Strom hinab in die dunstige Ferne schaute.
So verstrichen diese, mit Magie erfüllten Tage seiner Knabenzeit, und unmerklich begann die Wirklichkeit Pinos Aufmerksamkeiten und Anstrengungen ganz für sich einzunehmen.