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2. Raumpatrouille

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D.S. Aberdeen, Kreuzer APS-B-Klasse, Registernummer145

Captain Sean McIntosh behauptete steif und fest, es hinge mit der besseren Akustik zusammen, wenn er das Schott zu seiner Kapitänskabine offen ließ. Manche Besatzungsmitglieder sprachen hingegen von psychischer und akustischer Folter. Jedenfalls mochte es bezeichnend sein, dass ‒ im Gegensatz zur Kapitänsunterkunft ‒ alle anderen Schotts auf Deck Drei stets geschlossen waren, wenn sich McIntosh wieder mit seinem Dudelsack einließ und man es, wenn nur irgendwie möglich, vermied, den oberen Korridor zwischen Zentrallift und Brücke zu benutzen.

Sean McIntosh war fraglos stolz auf seine schottischen Vorfahren und pflegte deren Traditionen, wo immer es ihm möglich war. Er trug einen üppigen Vollbart, sauber gestutzt, so dass kein Härchen vor dem anderen stand. Dies allerdings mit dem Bild von englischem Rasen zu vergleichen, hätte Sean auf das Übelste beleidigt. Ebenso wie der Verdacht, die intensive kupferrote Farbe seiner Haartracht könnte einem irischen Eindringling in den Clan geschuldet sein. Sean McIntosh verabscheute Tee als Getränk der Engländer und versuchte der Clantradition gerecht zu werden, in dem er Whiskey trank. Jenen alkoholfreien und angeblich authentischen schottischen Whiskey, den der Captain allerdings nur „das Grauenhafte“ nannte. Seine Liebe zu alten Traditionen ging so weit, dass er schon dreimal den Antrag gestellt hatte, man möge die Paradesäbel der Sky-Cavalry doch endlich durch schottische Breitschwerter ersetzen.

Trotz seiner Eigenheiten, die in ähnlicher Form durchaus üblich für die Captains der Sky-Navy war, galt Sean McIntosh als harter, jedoch durchaus fairer Kommandant. Das Einzige, was seiner Liebe zu Schottland gleichkam, war die Liebe zu seinem Schiff.

Die D.S. Aberdeen war das erste Assault-Patrol-Ship der neuen B-Klasse, trug im Flottenregister die Identifikationsnummer 145 und unterschied sich in manchen Dingen von den APS der A-Serie. Die Neukonstruktion war aus der Not geboren, denn die Sky-Navy benötigte dringend mehr Schiffe und sie benötigte die dafür erforderlichen Besatzungen.

Der Rumpf entsprach dem Standard der Navy. Von allen Seiten betrachtet wirkte er wie ein flach gedrücktes Achteck mit lang gezogenem Bug. Dabei war der zweihundertdreißig Meter lange und sechzig Meter breite Rumpf mit dreißig Metern Höhe so flach, dass er innerhalb einer stabilen Lufthülle als Tragfläche diente und so die mächtigen Boeing-Jentao-Atmosphärentriebwerke unterstützte, die in nahezu jeder Luftzusammensetzung funktionierten.

Auf dem hinteren Drittel der Rumpfoberseite erhob sich eine zwanzig Meter durchmessende und zehn Meter hohe Kuppel mit einer einläufigen Railgun. Bei der Aberdeen saß die zweite Railgun nicht wie üblich in einer Kuppel an der Unterseite, sondern in einem kantigen Vorsprung im Bug. Durch den Verzicht auf die zweite Kuppel senkte sich der Rumpf im gelandeten Zustand auf nur fünf Meter über dem Boden ab.

Der gesamte, im standardgemäßen Weiß-Grau der Navy gehaltene, Rumpf schien sich aus achteckigen Segmenten zusammenzusetzen. Sie zeigten an, dass der neue Kreuzer über das neue „Wabenfeld“ verfügte, einen energetischen Schutz vor Energiestrahlen und Projektilen, der auf der formbaren goldenen Energie basierte und deren Technik man von den insektoiden Norsun übernommen hatte. Dieser Schutz war nur dort unterbrochen, wo sich die Gitter und Öffnungen der verschiedenen Antriebe, der Waffensysteme, Sichtluken, Schleusen und die einziehbare Brücke befanden.

Die B-Klasse verfügte über zwei Nullzeit-Scanner mit dreißig Lichtjahren Reichweite, die in die schützende Kuppel der oberen Railgun und die Unterseite des Rumpfes eingebaut war. Ältere Schiffe besaßen nur einen dieser Scanner an der Oberseite und mussten um ihre Längsachse rotieren, um eine 360-Grad-Raumüberwachung zu erzielen.

Neben den beiden Railguns besaß die B-Klasse noch sechs ausfahrbare Waffentürme, in denen ein kombiniertes Waffensystem aus Raketenwerfer, Hochenergie-Laser und 20-Millimeter-Gatlingkanone installiert war, die dank der eingebauten Tetroniken autark oder manuell genutzt werden konnten.

In der Mitte des Äquators lag der Hangar, der eines der Fast Landing Vehicles beherbergte, die als Beiboot und Landungsfahrzeug dienten. Der Raum für das zweite FLV und die beiden Jagdbomber vom Typ Superbolt, die manche Schiffe der A-Klasse mitführten, fehlte hier. Maschinenraum und Energieproduktion hatten deutlich erweitert werden müssen, um im Gefecht die Funktion des Wabenschirms gewährleisten zu können.

Die Brücke befand sich weiterhin im Übergang vom vorderen zum mittleren Drittel der Oberseite, eine flache und eckige Konstruktion, die im Gefecht in den Rumpf eingefahren und durch Panzersegmente geschützt wurde.

Von der Mitte des hinteren Drittels bis zur Mitte des Äquators verlief ein breiter Farbbalken im einstigen UNO-Blau, der den Kreuzer als Schiff der Sky-Navy kennzeichnete. Ein schmaler, davor verlaufender gelber Balken zeigte an, dass sich ein Kommando der Sky-Cavalry an Bord befand.

Die Besatzung eines APS der A-Klasse bestand aus einhundertfünf Personen, die ihren Dienst in drei Schichten versahen. Bei der neuen B-Serie war die Crew auf fünfunddreißig Personen reduziert, was nur durch zunehmende Automatisierung und eine hingenommene Überlastung der Menschen möglich war. Doch, wie schon erwähnt, die Navy brauchte Schiffe und sie brauchte Besatzungen und so hatte Captain Sean McIntosh, wie viele andere Captains auch, den Rang eines Ensign hassen gelernt. Die unterste Stufe der Offizierslaufbahn war das Sprungbrett zum Lieutenant und die Aufgabe eines Captains war es, seine Ensigns bestens auszubilden und dann, wenn sie dies waren, abzugeben und einen neuen Schwung unerfahrener Anwärter auszubilden. So kämpfte Sean McIntosh mit Zähnen und Klauen darum, seine erfahrenen Besatzungsmitglieder behalten zu können, denn sein Schiff war zu einer der vielseitigsten, aber auch gefährlichsten Tätigkeiten in der Navy abkommandiert – der Raumpatrouille.

Zu den Aufgaben gehörte die Überwachung der interstellaren Verkehrswege, auf denen sich immer mehr Fracht- und Kreuzfahrtschiffe sowie interstellare Shuttles und andere private und kommerzielle Fahrzeuge bewegten. Viele nutzten die Möglichkeit des Hiromata-Nullzeitantriebs, um direkt von Sonnensystem zu Sonnensystem zu „stürzen“, wie man die Nutzung der zeitlosen Distanzüberwindung der Nullzeit nannte. Doch es gab Kreuzfahrtschiffe, Prospektoren, Forscher und andere, die mit dem vergleichsweise langsamen Cherkov flogen, der einem Schiff die zwanzigfache Lichtgeschwindigkeit ermöglichte.

Neben der Überwachung dieses Verkehrs gehörte auch die Überprüfung der Schiffe dazu, sowohl was deren Sicherheit als auch deren Fracht betraf, wobei die Patrouille notgedrungen auf Stichproben angewiesen war. Die Patrouillenkreuzer besuchten auf ihren festgelegten Routen die verschiedensten Welten, um dort das Direktorat zu repräsentieren, boten Hilfe in Notfällen und untersuchten mögliche Gefahren. Einer dieser Gefahren schien man gerade zu begegnen.

„Nav an Captain. Sir, ich glaube, ich habe hier einen Wanderer entdeckt.“

Die unsichere Stimme gehörte Petty Officer Alonzo Chialvo. Alonzo war Quereinsteiger aus der zivilen Raumfahrt und ein sehr kompetenter Navigator und Ortungsspezialist. Er kämpfte seit Längerem mit den verschiedensten Diäten gegen sein Übergewicht. Ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen, da er sich in seiner Freizeit ausgiebig dem Studium der Sternenkataloge widmete und dabei „Nervennahrung“ zu sich nahm.

Bei Captain Sean McIntosh hob sich die rechte Augenbraue. „Präzisieren Sie, Nav: Glauben oder wissen Sie?“

Alonzo zögerte kurz, doch dann klang seine Stimme selbstsicher und fest. „Definitiv ein Wanderer. Sir, ich melde einen bislang nicht erfassten Wanderer.“

Die Augenbraue senkte sich wieder. „Ich schätze präzise Beobachtungen und Meldungen, Nav. Gute Arbeit. Legen Sie die Daten auf meinen Schirm.“

„Daten werden übertragen, Sir“, bestätigte Alonzo.

Die Brücke der D.S. Aberdeen hatte die Form eines Hufeisens. Die Arbeitsstationen des Rudergängers, des Navigators, des Kommunikationsspezialisten, Waffenspezialisten und Systemtechnikers waren entlang dieses Hufeisens angeordnet. An seinem Ende standen die leicht erhöhten Kommandosessel des Captains und des ersten Offiziers. Vor ihnen baute sich nun ein holografischer Monitor auf. Eine dreidimensionale Karte des Nahbereichs des Kreuzers erschien, auf dem ein Symbol das erkannte Objekt markierte und ein Pfeil seine bisherige und weitere Flugbahn anzeigte.

Neben Sean beugte sich Eins-O Commander Francine Dykes vor. Sie war eine schlanke Schönheit mit kurzen, blauviolett gefärbten Haaren und großen rehbraunen Augen, deren eindringlicher Blick den Captain gelegentlich bewog, seine Meinung zu ändern oder sein Urteil zu mildern. Sie las die Daten vom Monitor ab. „Knapp dreihundert Meter Durchmesser. Eis, aber ein solider Eisenkern.“

„Nav, Realbild und vergrößern.“

„Aye, Sir, kommt.“

Der zwischen den Sternen wandernde Asteroid wurde nun im Realbild gezeigt und ähnelte einer unregelmäßig geformten Kartoffel.

McIntosh strich sich nachdenklich durch seinen Bart. „Hier draußen, ohne direktes Sonnenlicht, kaum eine Lichtreflexion und auch kein Schweif. Wird sich ändern, wenn er einer Sonne nahekommt. Trotzdem ein übler Bursche, wenn er unerwartet einem Schiff begegnet, das mit zwanzigfach Licht fliegt und nur die altmodischen Cherkov-Scanner besitzt.“ Der Captain lehnte sich zurück. „Nav, übernehmen Sie die Daten. Beim nächsten Hafen übergeben wir sie an das I.T.S.B., damit der Bursche in die Sternenkarten übernommen wird. Gut gemacht, Nav, das bringt Ihnen einen lobenden Eintrag ein.“

Alonzo war erfreut, tat aber bescheiden. „Danke, Sir, aber die Arbeit hat im Grunde der Scanner gemacht. Ich brauchte die Daten ja nur abzulesen und zu interpretieren.“

„Hm.“ Diesmal hob sich die linke Augenbraue des Captains. „Eigentlich haben Sie recht, Nav. Na schön, Petty Officer, vergessen Sie den lobenden Eintrag. Ich werde einen entsprechenden Vermerk über die gute Funktion des Scanners machen.“

„Äh, Aye, Sir. Danke, Sir“, brummelte Alonzo enttäuscht.

Die Stimme von Francine war kaum mehr als ein Hauch. „Sean …“

Der Captain gab einen undefinierbaren Laut von sich. Auch seine Reaktion war nur von ihr zu hören. „Schon gut. Er bekommt seinen Eintrag. Aber der Bursche muss endlich mehr Selbstsicherheit gewinnen. Von wegen ‚ich glaube‘ … Ich erwarte klare und präzise Beobachtungen und Meldungen.“

„Selbstverständlich, Sir“, bestätigte Francine mit zufriedenem Lächeln.

Der kosmische Wanderer stellte eine Gefahr dar. So unwahrscheinlich eine Kollision auch sein mochte, so war sie nicht zur Gänze auszuschließen. Daher würde man die Daten des Wanderers an den nächsten Vertreter des „Interstellar Transportation and Safety Board“, die interstellare Behörde für Transportwesen und Raumsicherheit, übergeben. Mit dem nächsten Nullzeit-Shuttle würden die Daten dann der zentralen Bibliothek auf dem Mars übergeben, wo man sie in den New Cosmic Catalogue, den Sternenkatalog, eintrug. Dort wurden sie entsprechend vervielfältigt und an jede bewohnte Welt oder Station verschickt. Jedes Schiff, welches dort vor Anker ging, erhielt dann das Update seiner Karten. Vielleicht fand die Harvard University of Mars den Brocken sogar interessant genug, um ein Forschungsschiff zu entsenden.

Die D.S. Aberdeen strebte mit gemächlicher zehnfacher Lichtgeschwindigkeit ihre Patrouillenroute entlang. Der Schichtwechsel stand an und Sean McIntosh erhob sich aus seinem Kommandosessel. „Eins-O, übernehmen Sie und lassen Sie die nächste Brückenwache aufziehen.“

„Aye, Sir.“ Francine aktivierte die schiffsinterne Kommunikation und erhob ihre Stimme. „Achtung, der Captain verlässt die Brücke. Eins-O hat das Schiff. Brückenwache aufziehen.“

Im Schiff machte sich die nächste Schicht auf den Weg. Während die Besatzung noch den Vorteil eines Drei-Schicht-Betriebes genoss, galt dies nicht für Captain und Eins-O. Sie mussten eine durchgehende Vierzehn-Stunden-Schicht hinnehmen, was auch dazu führte, dass sie vier Stunden gemeinsamen Dienstes versahen. Fähige Kommandooffiziere hatten sich längst die Eigenheit angewöhnt, „mit einem Auge im Sessel zu schlafen“, um sich ausreichend regenerieren zu können.

Sean ging die drei Stufen zum Ausgang der Brücke hinauf und verließ diese. Diese Stufen würden verschwinden, wenn das Befehlszentrum des Kreuzers im Gefecht eingefahren wurde. Der Captain trat auf den oberen Zentralkorridor hinaus, der bis zur Mitte des Decks 3 führte und dort am Zentralschacht mit Lift und Nottreppe endete. Hier sperrte eine der Seitenwände des Hangars den weiteren Weg. Konstruktionsbedingt nahm der Hangar einen erheblichen Raum in den Decks 2 und 3 ein und seine Schotts konnten nach beiden Seiten des Kreuzers geöffnet werden. Hinter dem Hangar begann der Maschinen- und Antriebsraum, der die Höhe aller drei Decks beanspruchte. Ihn direkt zu betreten, war von Deck 1 aus möglich oder indem man den Hangar durchquerte.

Trotz einer Höhe von dreißig Metern im mittleren Rumpfbereich, gab es nur drei Decks, was den Schrägen und der dicken Hüllenpanzerung geschuldet war. Im unten gelegenen Deck 1 befanden vor allem die Depots und Lagerräume, auf dem mittleren Deck 2 Hangar, medizinische und Forschungssektion, das Arsenal, das tetronische Hauptgehirn direkt unterhalb der Brücke, dann die Bug- und Hecktriebwerke für Unterlichtgeschwindigkeit und die Ausstoßrohre für Raketentorpedos. Letztlich beherbergte Deck 2 die zwei an Bord befindlichen Raumsonden sowie die im Bug untergebrachte Railgun. Das oberste und dritte Deck bot das, was die Navy der Besatzung zum Leben zubilligte. Die direkt an die Brücke anschließenden Quartiere von Captain und Eins-O, die Kabinen der Flugbesatzung, ein Gästequartier, die „Kaserne“ genannten Quartiere des Bordkommandos der Sky-Trooper, Offiziers- und Mannschaftsmesse, einen kleinen Konferenzraum, Aufenthalts- und Fitnessbereich sowie die Bordküche, in der ein vollautomatisierter Koch seinem Handwerk nachging, unterstützt von wechselnden Besatzungsmitgliedern mit ebenso wechselnden Fähigkeiten, was die kulinarische Kunst betraf.

Die starke Reduzierung der Mannschaftsstärke hatte immerhin einen gewissen Luxus mit sich gebracht, denn mit Ausnahme der Vier-Personen-Kabinen der Trooper belegten die Flugmannschaften die Quartiere nur zu zweit und jedes Quartier verfügte über einen eigenen Hygienebereich, inklusive Schalldusche.

Den Luxus einer echten Wasserdusche genossen nur die Offiziere, obwohl ein Raumschiff eigentlich nie von Wasserknappheit bedroht war. Es gab so viele Asteroiden aus Eis, dass es jederzeit möglich war, die Vorräte zu ergänzen.

Sean McIntosh machte seine Eintragung ins Logbuch und begab sich dann zur Ruhe.

Sechs Stunden später duschte er ausgiebig und nutzte dabei den Brausekopf als Mikrofon für seine Version von „Scotland the Brave“, kleidete sich an und begab sich in die kleine Offiziersmesse, um ein ausgiebiges Frühstück zu sich zu nehmen.

Hier traf er auf Sergeant Phuong Nguyen, die als Kommandant des Bordkommandos der Sky-Cavalry den Status eines Offiziers innehatte. Die Frau mit den vietnamesischen Wurzeln war klein, sehr hübsch und ausgesprochen hartgesotten. Phuong befehligte einen Corporal und sieben Trooper. Sie bildeten die Sektion 3 des ersten Platoons des „G“-Troops der vierten Raumkavallerie. Jeder der Männer und Frauen verfügte über Kampferfahrung und hatte etliche Enterungen hinter sich. Sean war froh, über eine so erfahrene Truppe zu verfügen, denn ein Schiff zu entern oder sich einer fremden Welt zu stellen, war immer gefährlich. Man wusste nie, „welche Praline gerade in der Schachtel liegt“, wie Phuong es gerne formulierte.

„Morgen, Sarge“, grüßte Sean und setzte sich neben sie. „Alles wohl?“

Sie hob eine Augenbraue und Sean rätselte immer wieder, ob sie diese Eigenheit von ihm übernommen hatte. „Guten Abend, Sir“, korrigierte sie sachlich. „Selbstverständlich ist alles wohl.“

Phuong war ein vorzüglicher Sergeant und wie alle Unteroffiziere der Sky-Cavalry ließ sie sich nur ungern in ihre Truppe „dreinreden“. Dem Captain war dies nur recht, da ihn das entlastete und das Bordkommando ohnehin „vorzüglich funktionierte“.

„In meiner letzten Schicht haben wir einen Wanderer entdeckt“, berichtete Sean im Versuch, eine Art Konversation aufzubauen.

Phuongs Interesse war mäßig. „Ah, wirklich? Sehr interessant“, murmelte sie und stocherte in dem herum, was die automatische Küche und ihr derzeitiger Helfer als „Eier und Speck“ bezeichneten. Zum Leidwesen des Sergeants war die Küche nicht auf vietnamesische Speisen programmiert.

„Was halten Sie von den neuen MADS, Sarge?“, fragte Sean, im weiteren Bemühen um ein Gespräch, allerdings auch aus echtem Interesse.

Phuong gab ein leises Knurren von sich. „Keine Meinung, Sir. Ich habe noch keinen der Blechheinis in Aktion erlebt.“

Sean akzeptierte, dass der Sergeant kein Interesse an höflicher Konversation hatte und machte sich gerade über sein abendliches Frühstück her, als sich sein Mini-Comp am Handgelenk mit sanfter Vibration meldete. Gleichzeitig erwachte der Lautsprecher der internen Kommunikation zum Leben. „Eins-O an alle, Eins-O an alle: Verdächtiges Raumschiff geortet! Auf Manöverstationen! Kommandooffiziere auf die Brücke!“

„Hervorragend.“ Phuongs merkliche Stimmungsaufhellung war sicher nicht dem Frühstück geschuldet. Der Sergeant schnellte förmlich vom Sitz hoch. „Sir, wir gehen auf Bereitschaft.“

„Ich bin auf der Brücke, Sarge. Mal schauen, was wir da haben.“

Angemessenen Schrittes legte Sean die wenigen Meter zur Brücke zurück.

„Captain auf der Brücke“, meldete Francine prompt.

Sean ließ sich in seinen Sessel sinken. „Ich übernehme.“

„Achtung, Brücke, der Captain hat das Schiff“, verkündete sie und deutete dann vor sich auf den Monitor. „Haben wir vor einigen Minuten entdeckt, Sir. Im Gegensatz zu uns hat der keinen Nullzeit-Scanner, weswegen er uns noch nicht bemerkt hat.“

Sean McIntosh betrachtete das Symbol auf der Karte und las die gemessenen Daten ab. „Sieht nach einem Massefrachter in Modul-Bauweise aus. Kurs?“

„Nach unseren Berechnungen fliegt er das Colween-System an“, antwortete Francine.

Sean strich sich nachdenklich durch den Bart. „Colween … Unser nächster Routinehalt. Da ist nur Planet Vier besiedelt. Fairchild. Eigentlich eine zu kleine Kolonie, um mit einem so großen Frachter beliefert zu werden.“

„Habe ich mir ebenfalls gedacht, Sir“, gestand sie ein. „Selbst wenn alle Bewohner von Fairchild eine Sammelbestellung aufgegeben haben, ist das Ding da viel zu überproportioniert und jeder Frachterkapitän würde sich ausrechnen, dass der Aufwand weit höher als der Gewinn wäre. Es sei denn …“

„Es sei denn, man transportiert etwas, dass enormen Gewinn verspricht“, ergänzte der Captain. „Und das ist in der Regel bei so kleinen Kolonien nur mit Ware zu erzielen, die auf dem Index stehen.“

„Mein Gedanke, Sir“, bestätigte die Eins-O lächelnd. „Deswegen denke ich mir, dass es nicht schaden könnte, an Bord zu gehen und einen Blick auf die Papiere und die Fracht zu werfen.“

„Ganz Ihrer Meinung, Eins-O, ganz Ihrer Meinung.“ Sean lehnte sich entspannt zurück und überlegte kurz. Dann aktivierte er das Interkom. „Hier spricht der Captain. Wir haben einen Frachter in Modul-Bauweise geortet und werden ihn entern. Enterkommando in Bereitschaft. Klarschiff zum Gefecht in Stufe Gelb. Vollzug melden.“

Es war kaum anzunehmen, dass ein altmodischer Modul-Frachter gegen einen modernen Navy-Kreuzer aufbegehren würde, doch McIntosh war ein strikter Anhänger des Grundsatzes „Vorsicht ist besser als Leichensäcke“ und zudem war Entern stets eine gute Übung für die Gefechtsbereitschaft des Schiffes. Allerdings würden die Waffensysteme bei Alarmstufe Gelb eingefahren, wenn auch prinzipiell kampfbereit, bleiben.

Im Schiff wurden die druck- und feuerfesten Trennschotts geschlossen, die Brücke senkte sich in den Rumpf und massive Panzerplatten schoben sich schützend über sie. Die großen Panoramascheiben, die bislang die direkte Sicht in den Weltraum ermöglicht hatten und über eine Reihe technischer Finessen verfügten, verwandelten sich in dreidimensionale Bildschirme.

„Tech an Captain, alle Schiffssysteme melden Bereitschaft, Stufe Gelb. Versiegelung abgeschlossen, Schadenkontrollteams auf Position“, meldete Master-Chief Floyd Eastwood von der Systemüberwachung. „Tarnsysteme sind nicht aktiv.“

„Arms an Captain, Sekundärwaffen in Bereitschaft auf Stufe Gelb“, schloss sich Ensign Luisa Rossi an der Waffenkontrolle an. Wie üblich klang ihre Stimme ein wenig enttäuscht, da sie wieder einmal keinen scharfen Schuss würde abgeben dürfen. Sean sah die Reflexe und das Können der engagierten Frau mit Wohlwollen, war aber gelegentlich ein wenig besorgt, wegen des berühmten heißen Blutes, welches sie wohl von ihren italienischen Vorfahren geerbt hatte.

„Nav, haben wir eine Identifikation?“

„Ney, Sir. Das Schiff strahlt kein Transpondersignal aus.“

Sean sah Francine an. „Das ist gegen die Vorschrift. Mal sehen, welche Ausrede dieser Skipper für uns bereithält. RO, strahlen Sie Echo-Impuls ab und öffnen Sie einen Kanal über den Cherkov-Funk.“

Radio Operator der Aberdeen war Chief Donald „Don“ Brady. Der durchtrainierte Blonde war auf seiner Heimatwelt Gelldorf ein gefragtes Model gewesen, bevor er sich entschloss, bei der Sky-Navy anzumustern. Er war in Sorge, denn auf Gelldorf wuchs, wie auf so vielen Kolonialwelten, der Unmut über die Fesseln, die das Direktorat angeblich der freien Entwicklung auferlegte.

„Wilco, Sir. Echo-Impuls ist abgestrahlt und wird erwidert. Übertrage Dateien auf Ihre Konsole. Kanal ist offen“, bestätigte Brady nach wenigen Sekunden.

Jeder Nullzeit-Sender war mit einer automatischen Identifikation versehen, die unabhängig von den anderen Schiffssystemen funktionierte. Man funkte das Schiff mit der eigenen Identifikation an und erhielt als automatische Antwort die des Empfängers. Es war eine Notfalleinrichtung für den Katastrophenfall, dass die Systeme eines Schiffes ausfielen.

Nullzeit-Funk basierte auf Hiromata-Kristallen, was eine Kommunikation über beliebige Entfernung und ohne Zeitverlust ermöglichte. Der Nachteil war die extrem enge Bündelung des Funkstrahls, der die genaue Kenntnis der Position eines Empfängers notwendig machte, und der Umstand, dass Hiromata-Funk nur in Form kurzer und langer Impulse und damit ohne Bild und Ton erfolgte. Hierfür wurde ein Morse-Code genutzt, der von den Funkgeräten augenblicklich in Klartext umgesetzt wurde und umgekehrt.

Brady hatte die Kennung „DS145“ ausgestrahlt und auf dem Monitor vor dem Captain erschien nun die des unbekannten Frachters. „ITS37452“, las Francine ab. „Moment, Sir, ich rufe das Register auf.“

Die Eins-O tippte die Kennung im Schiffsregister ein und sofort erschienen die eingetragenen Daten auf dem Monitor. Sean grinste. „Chief Brady, das wird Sie freuen. Das Schiff stammt von Ihrer Heimat, Gelldorf. Interstellar Trading Ship Summer of 69. Eingetragener Stückgutfrachter der Conestoga-Baureihe. Gehört einer Firma ‚Waldrons Galactic Enterprises‘. Sagt Ihnen das etwas?“

Der Chief brauchte nicht lange zu überlegen. „Und ob, Sir. Die Familie Waldron hat Gelldorf einst gegründet. Verdammt wohlhabend. Handeln mit nahezu allem und haben zwei alte Conestogas und eine Reihe neuer Langstrecken-FLVs in ihrer Flotte.“

„Danke, Chief, durchaus interessant.“ Sean schaltete sich in den offenen Kanal des Cherkov-Überlichtfunks. „Hier ist der Patrouillenkreuzer D.S. Aberdeen unter Captain Sean McIntosh. I.T.S. Summer of 69, behalten Sie Kurs und Geschwindigkeit bei. Wir kommen an Bord.“

Aufgrund der Entfernung dauerte es einige Sekunden, bis die Antwort eintraf. Auf dem Monitor erschien der Oberkörper eines Mannes in abgetragener Handelsuniform mit den Abzeichen der Firma Waldron Galactic Enterprises. „Verdammt, Navy, was soll das? Wir befördern verderbliche Ware und jede Verzögerung kostet uns Geld.“

„Da Sie Kurs und Geschwindigkeit beibehalten können, wird unser Besuch Sie wohl schwerlich Zeit kosten“, antwortete McIntosh freundlich. „Halten Sie sich für die Aufnahme des Enterkommandos bereit.“

„Nur unter Protest, Mister Navy“, kam die geknurrte Antwort. „Schön, wir halten uns bereit. Kommunikation Ende.“

„Verderbliche Ware im Weltraum?“ Francine lächelte. „Der will uns nun aber wirklich auf den Arm nehmen. Alles Verderbliche würde eingefroren oder ginge in den Kryo-Schlaf. Das ist selbst auf den alten Conestogas problemlos möglich.“

„Ja, ein uncharmanter Bursche. Hat sich nicht einmal vorgestellt“, brummte der Captain. „Ruder, gehen Sie auf Abfangkurs. Ich will ein erstklassiges Anpassungsmanöver sehen.“

„Aye, Sir. Erstklassiges Anpassungsmanöver“, antwortete Lieutenant Coleen Preston. Der Kopf der schlanken Frau mit dem braunen Stoppelhaarschnitt verschwand fast unter dem Pilotenhelm mit der Virtual Reality. „Bestätige. Datenübertragung mit Nav geht synchron. Berechnungen abgeschlossen, ich gehe auf Abfangkurs.“

Während das Schiff rasant beschleunigte, um den Frachter einzuholen, stellte Sean die Verbindung zum Bordkommando her. „Sergeant, Sie haben mitgehört und sind bereit?“

„Beides positiv, Sir. Wir haben die Fluggeräte angelegt und stehen in der Mannschleuse 2 bereit.“

„Warten Sie auf mich, ich werde Sie begleiten“, entschied Sean. „Eins-O, ich gehe selber rüber. Sie haben die Brücke.“

Francine Dykes seufzte unmerklich. Der Captain schnappte ihr wieder einmal einen Ausflug weg. „Aye, Sir. Achtung, Captain verlässt die Brücke. Eins-O hat das Schiff.“

Die Hauptschleuse des Schiffes, Nummer 1, befand sich im untersten Deck. In Höhe des Schiffsäquators, unmittelbar neben dem Hangartor, befand sich Schleuse 2, die nur für Personen und nicht für größere Objekte geeignet war. Hier wurde der Captain von den neun Sky-Troopern erwartet. Während diese die gepanzerten Kampfanzüge und ihre volle Bewaffnung führten, trug McIntosh nur den leichten Bordoverall, der mit aufgeblasenem Folienhelm als Raumanzug geeignet war. Er hatte nun auch die Handschuhe angelegt. Die Energie- und Atemluft-Patronen am Gürtel konnten ihn zwei Stunden lang ausreichend mit Atemluft und Wärme versorgen. Der Captain verzichtete auf eine Seitenwaffe. Die sanft glühenden blauen Dioden an den Griffstücken der M73-E-Karabiner waren Mahnung genug. Die sofortige Feuerbereitschaft beruhte nicht nur auf allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen des Schiffskommandanten, sondern auch den Erfahrungen des Sergeants.

„Entfernung noch zweitausend Kilometer und aufkommend, Sir“, meldete Francine von der Brücke. „Alles ruhig. Die Summer of 69 folgt den Anweisungen und hat ihren Weihnachtsbaum eingeschaltet. Ich melde, wenn wir auf Position sind.“

„Danke, Eins-O.“

Niemand brauchte Francine Wachsamkeit einzuschärfen. Mit Weihnachtsbaum waren die Positionsblitzer gemeint sowie zusätzliche Scheinwerfer, welche die verschiedenen Schleusen des Schiffes anstrahlten. Im Fall der Conestoga-Klasse galt dies für die kleine Fracht- und Personenschleuse der Bugkugel.

Ein Conestoga bestand aus Bug- und Heckmodul. In der Bugkugel lagen alle Steuerelemente und die Aufenthaltsbereiche der kleinen Flugmannschaft. Das kantige Heckmodul beinhaltete die Energieversorgung sowie die Triebwerke, inklusiver zweier Ausleger, in denen die starken Bremstriebwerke untergebracht waren. Zwischen diesen beiden Modulen gab es nur ein dreieckiges Gittergerüst, in dem ein luftdichter Verbindungsgang entlangführte. Die Länge des Gerüstes wurde der Menge an Fracht angepasst. Vom Verbindungsgang aus konnten die einzelnen Frachtcontainer erreicht werden. Es waren Standardcontainer, deren Anzahl bis zu fünfzehntausend betragen konnte. Ein Zugriff auf sie, auch während des Fluges, hatte sich im Einzelfall schon als rettend für ein Frachtschiff erwiesen. Gelegentlich wurde gefährliche Fracht transportiert oder es kam zu Beschädigungen durch kosmische Vagabunden, wie größere oder kleinere Meteoriten, denen das Schiff nicht rechtzeitig ausweichen konnte.

„Entfernung zweitausend Meter und abnehmend“, war Francines Stimme zu hören. Wenig später: „Entfernung zweihundert Meter und konstant. Kurs und Geschwindigkeit synchron. Summer of 69 öffnet Schleuse.“

„Verstanden, Eins-O. Wir beginnen mit Entervorgang.“ Sean nickte Phuong zu. „Es kann losgehen, Sarge.“

Sie brauchte nicht viele Worte. „Corporal.“

Man sagte dem ungewöhnlich großen und muskulösen Corporal Jeremy Walters ein intimes Verhältnis mit Phuong nach. Wenn man beide nebeneinander sah, war das anatomisch kaum vorstellbar, da Jeremy den zierlichen Sergeant um anderthalb Kopfeslängen überragte. Jetzt nickte er dem neben ihm stehenden Trooper Tobias Fellmer zu. Beide stießen sich vom Rand der Schleuse ab und schwebten gemächlich zu dem Frachter hinüber, dessen Bugmodul wie eine gewaltige Wand vor ihnen aufragte.

Im Licht der Scheinwerfer war die weiße Hülle des Conestoga gut zu erkennen. Zahllose Schrammen von Mikrometeoriten hatten ihr zugesetzt. Zwei Rumpfplatten in relativ frischem Lack zeigten, wo unlängst eine Reparatur vorgenommen worden war. Knapp unter dem Äquator des Bugmoduls zeichnete sich in der Wölbung das gerundete Rechteck einer offenen Schleuse ab.

Gekonnt bremsten Walters und Fellmer ihren Flug mit den Flugmodulen, die sie zusätzlich an ihren Kampfanzügen angebracht hatten.

„Sauber“, meldete der Corporal und nur einen Augenblick später nahmen Phuong und ein weiterer Trooper Sean McIntosh zwischen sich. Die übrigen Trooper folgten in Zweiergruppen.

In der Personenschleuse der Summer of 69 angekommen, konnte Sean durch das transparente Fenster im Innenschott die Gestalt eines Besatzungsmitgliedes des Frachters erkennen. Dann war der letzte Trooper an Bord und leitete den Schleusenvorgang ein. Das Außenschott schloss sich lautlos, Atemluft strömte ein und schon bald zeigte das Leuchtelement über dem Innenschott, dass der Druckausgleich hergestellt war.

Während die Trooper ihre Kampfhelme geschlossen hielten, öffnete der Captain seinen Folienhelm und faltete ihn auf den Rücken zurück. Dann betätigte er den Öffner.

Das weibliche Besatzungsmitglied trug ebenfalls den schmucklosen Einteiler von Waldron. Sie starrte mit finsterem Gesicht auf die gepanzerten Gestalten hinter McIntosh.

Der Captain lächelte betont freundlich. „Captain Sean McIntosh von der D.S. Aberdeen der Sky-Navy. Gemäß den Direktiven des Direktorats führen wir eine routinemäßige Überprüfung durch. Wenn Sie mich freundlicherweise zu Ihrem Captain bringen würden?“

„Nur Sie oder auch Ihre gesamte Sturmtruppe?“

Das Lächeln von McIntosh vertiefte sich. „Trooper sind sehr ängstliche Wesen und fürchten sich unglaublich, wenn sie alleine sind.“

Ihr Gesicht verfinsterte sich noch mehr. „Folgen Sie mir. Ich bringe Sie zu Mister Alexander.“

„Besten Dank. Gehen Sie bitte voraus, damit wir uns nicht verlaufen.“ Sean gab Phuong einen verstohlenen Wink, worauf sie den Troopern mit einer weiteren Geste befahl, die Karabiner zu sichern und in die Halterung des Brustgurtes zu hängen.

Die Brücke des Frachters lag im Bugbereich der Äquatorialebene. Auf dem Weg dorthin registrierte Sean McIntosh, dass man an Bord keinen sonderlichen Wert auf Behaglichkeit legte, es sei denn, dass man eine gewisse Unordnung und Schmutzbelastung als solche erachtete. Doch alle für das Schiff wichtigen Systeme und Gerätschaften wirkten gut gepflegt. Offensichtlich legte Waldron Galactic Enterprises durchaus Wert auf die Funktionalität seiner Schiffe. Die Besatzung mochten entsprechende Schecks oder die Sehnsucht nach dem Weltraum locken.

Die Brücke war deutlich größer als die der Aberdeen, obwohl es hier nur vier Arbeitsplätze gab, den Kommandanten eingeschlossen. Ein niedriges, aber sehr breites Panoramafenster erlaubte auch hier den direkten Blick in den Weltraum. Raumfahrer waren eine besondere Spezies, die es nicht akzeptierte, wenn dieser Blick durch Kamerabilder ersetzt wurde.

Die Plätze auf der Brücke waren zur Hälfte besetzt. Das würde sich wohl erst wieder ändern, wenn sich das Schiff zum Entladen bereit machte. Entweder würde es an einer Orbitalstation anlegen und dieser die Container übergeben oder man würde sie per Shuttle vom Boden holen.

Mister Alexander wirkte noch immer ein wenig schmuddelig, nun jedoch bedeutend freundlicher als bei der ersten Kontaktaufnahme. Er hielt das vom I.T.S.B. vorgeschriebene schriftliche Logbuch bereit, das auch dann noch über das Schicksal eines Schiffes berichten konnte, wenn es als energieloses totes Wrack durch den Weltraum trieb. Daneben war natürlich auch die tetronische Datei verfügbar.

„Logbuch, Schiffspapiere und die Frachtpapiere“, sagte er durchaus freundlich, während er sie an Sean übergab. „Tut mir leid, wenn ich vorhin ein wenig ruppig war, aber wir haben schon zwei anstrengende Touren hinter uns und sind froh, wenn wir nach Fairchild wieder heimwärts dampfen können.“

„Durchaus verständlich, Captain Alexander.“ Sean setzte sich in einen freien Sitz und deutete um sich. „Etwas dagegen, wenn sich meine Jungs ein wenig umschauen? Sie wissen ja sicher, wie das geht. Ein paar Blicke auf die Sicherheitsinstallationen, Vorräte, die Bordküche, die Lebenserhaltung und in den Maschinenraum sowie ein oder zwei Stichproben der Fracht. Ganz nach Vorschriften der Raumsicherheit.“

„Ja, ich kenne die Vorschriften des I.T.S.B.“, brummte Alexander. „Durchaus lästig, aber natürlich erkennt jeder Raumfahrer an, dass die Sicherheit in der Raumfahrt gewährleistet sein muss. Ich habe schon einige Trampdampfer gesehen, deren Verkehrstüchtigkeit durchaus fragwürdig war. Aber Sie werden sehen, McIntosh, dass auf unserem Kahn alles in Ordnung ist.“

„Da bin ich mir sicher, Captain“, versicherte Sean lächelnd. „Ist eben reine Routine. Die übliche Stichprobe auf Raumpatrouille.“

„Ja, klar.“ Alexander sah, wie Phuong und ihre Trooper Anstalten achten, die Brücke zu verlassen. Nur einer von ihnen, Trooper Wolkov, postierte sich neben dem Schott. Die Helmscheibe seines Helms war auf transparent geschaltet und man konnte sehen, dass der Kavallerist einen eher schläfrigen Eindruck machte.

„Flora, sei so gut und zeige den Troopern, wo alles ist“, bestimmte Alexander der Frau, die ihm zunickte und den Soldaten rasch folgte.

Sean musste ein Grinsen unterdrücken, als er den verächtlichen Ausdruck im Gesicht des Frachterkapitäns sah. Falls der Mann tatsächlich glaubte, Wolkov sei nicht in höchstem Maße alert, dann konnte er eine ausgesprochen böse Überraschung erleben. Die scheinbare Schläfrigkeit war Wolkovs „Dienstgesicht“ bei Enterungen, mit dem es ihm durchaus gelang, den Eindruck zu vermitteln, das gesamte Enterkommando sei schludrig und unaufmerksam. Schon manchen hatte das in falsche Sicherheit gewiegt.

„Tragen die Burschen eigentlich immer ihre volle Montur mit geschlossenen Helmen?“, erkundigte sich Alexander. „Kaffee oder Tee oder etwas anderes?“

„Ja und nein“, antwortete Sean, der sich auf die Eintragungen konzentrierte. Dann hob er kurz den Blick. „Die tragen sie immer. Macht der Gewohnheit. Und Danke, aber ich benötige nichts. Sehr freundlich.“

Natürlich blieben die Helme geschlossen. Nicht wegen der verschiedenen individuellen Duftnoten, die es auf Raumschiffen durchaus gab, sondern aus praktischen Gründen, denn die Scanner und vor allem Sensoren in den Kampfhelmen waren aktiv und hatten schon manche illegale Substanz erschnüffelt.

Die Besatzungsmitglieder der Summer of 69 schienen McIntosh und den Trooper zu ignorieren, doch Sean kannte die Gepflogenheiten ziviler Mannschaften und dass sie sich gewöhnlich nicht durch die Anwesenheit der Raumpatrouille beeindrucken ließen. Die schwatzten fröhlich miteinander und wurden allenfalls dann schweigsam, wenn es etwas zu verschweigen galt und sie sich nicht verplappern wollten. Die Brücke dieses Frachters fühlte sich derzeit wie das Zentrum einer fröhlichen Party von Taubstummen an. Lediglich Alexander versuchte jovial zu wirken.

„Wie ich sehe, hatten Sie vor drei Monaten Probleme mit dem Cherkov-Antrieb?“, erkundigte sich Sean.

„Wie Sie sicher lesen können, gingen wir zwei Wochen ins Orbital-Dock. Unser Cherkov ist brandneu. Na ja, generalüberholte Austauschanlage“, korrigierte sich Alexander. Er zuckte mit den Schultern. „Als Modul-Schiff haben wir ja keinen Hiromata und da unterliegt der Cherkov einer erheblichen Dauerbelastung.“

„Ja, ist in Ordnung“, bestätigte Sean nach kurzem Blättern. „Die Abnahme durch die I.T.S.B. liegt vor. Schiffslog und Schiffspapiere sind soweit in bester Ordnung.“

„Sagte ich doch.“

„Eine kleine Frage zu den Frachtpapieren … Da steht ‚organisches Material, 2.000 Einheiten Shadowneck‘, der Begriff ist mir nicht bekannt.“

„Es handelt sich um eine Fleischlieferung. Shadowneck ist bestes Rindfleisch. Wird auf vier Beinen auf Gelldorf gezüchtet.“ Alexander grinste. „Natürlich auch von Waldron.“

„Hm, natürlich.“ Sean McIntosh erhob sich und ging gemächlich über die Brücke. „Das hier ist die Systemüberwachung, nicht wahr?“

„Äh, sicher, ja“, murmelte Alexander, der sein ewiges Lächeln ein wenig verlor. „Wie Sie sehen, ist alles in bester Ordnung und funktioniert.“

„Ja, Sie halten Ihr Schiff in Schuss.“

„Will ich meinen.“

„Hm. Diese 2.000 Einheiten bestes Rindfleisch … Wie ich sehe, sind hier keine großflächigen Kühlanlagen in Betrieb.“

„Äh, es ist eine Lebendlieferung“, ließ Alexander nun die sprichwörtliche Katze aus dem Sack. „Die Viecher werden auf Fairchild sofort zu Dosennahrung verarbeitet. Die können nicht mal ‚Muh‘ sagen, so schnell geht das.“

„Captain Alexander, Ihnen und Ihrer Firma sind fraglos die Direktiven für den Handel bekannt, nicht wahr? Es dürfen keine fremden lebenden Organismen, seien es nun Insekten, Pflanzen oder Tiere, auf eine andere Welt transferiert werden.“

„Verdammt, Mister Navy, wie ich schon sagte … Die landen sofort in der Dose.“

Sean schüttelte den Kopf. „Die Gefährdung durch eine invasive Lebensform ist einfach zu hoch. Lebend kann sie sich oft unkontrollierbar durchsetzen, weil sie keine einheimischen Feinde hat. Sie wissen sehr genau, dass diese Bestimmungen überlebensfähige und fruchtbare Keimzellen, Spermien und alles umfassen, dass der Vermehrung dient. Es gab schon genug verheerende Erfahrungen. Auf der alten Erde ebenso wie auf einigen bedauernswerten Kolonialwelten.“ Er warf Wolkov einen kurzen Blick zu. „Der Sarge hat mitgehört?“

Trooper Dimitri Wolkov nickte.

Sean wandte sich Alexander zu. „Mein Sergeant wird der Sache auf den Grund gehen.“

„Die wird wohl kaum viel von Fleischlieferungen verstehen“, knurrte der Captain des Frachters.

„Dafür versteht sie sehr viel von guten Steaks“, versicherte McIntosh.

Er schlenderte zu seinem Sitz zurück und spürte, wie die Anspannung auf der Brücke sprunghaft anstieg. Die Frachterbesatzung wusste sehr wohl, dass sie einen Verstoß gegen die Direktiven beging.

Eine knappe halbe Stunde später trat Sergeant Phuong Nguyen auf die Brücke. Diesmal nahm sie den Helm ab, zeigte ihr hübsches Gesicht und verführerischstes Lächeln und meldete Sean McIntosh weit mehr, als dieser befürchtet hatte.

„Wir haben zwei der Container mit dieser lebenden organischen Fracht untersucht, Sir, soweit dies in der Kürze der Zeit möglich war. In jedem stehen zehn Fleischportionen vom Typ Shadowneck. Automatische Entsorgung von Mist, automatische Melkanlagen, automatische Versorgung mit Wasser, Nahrung und Wärme. Besonders interessant ist ein separierter Bereich, in dem ein Zuchtbulle steht.“

„Zuchtbulle?“

Der Sergeant grinste Alexander an. „Vielleicht hat die Firma Waldron ein Verfahren erfunden, wie man Fleischkonserven züchten kann.“

Sean sah Alexander noch immer freundlich an. „Offensichtlich geht es hier um etwas mehr als nur eine Fleischlieferung. Kann es sein, dass Ihre Firma auf Fairchild eine lohnende Rinderzucht plant?“

„Diese ganze Direktive zu invasiven Lebensformen ist großer Mist und schränkt die freie Entwicklung der Marktwirtschaft ein“, entgegnete Alexander, sichtlich um Ruhe bemüht.

„Ja, das mag Ihre Meinung sein, aber diese Direktive schützt die Welten davor, von fremden Lebensformen übernommen zu werden“, hielt McIntosh dagegen. „Sehen Sie, Mister Alexander, alle Direktiven werden im hohen Rat auf dem Mars nach demokratischer Mehrheit beschlossen. Wobei ich persönlich der Auffassung bin, dass die schlimmste invasive Lebensform sicher der Mensch selbst ist.“

„Dann dürften auch keine Menschen auf fernen Welten siedeln. Da sehen Sie ja selbst, welcher Blödsinn diese Bestimmung ist. Der hohe Rat des Direktorats sollte sich um wirkliche Probleme kümmern und nicht private Unternehmen drangsalieren, deren Wirtschaftskraft immerhin erheblich zur Finanzierung des Direktorats beiträgt. Auch zur Finanzierung Ihrer verdammten Navy, Mister Captain.“

Sean McIntosh liebte Schottland, sein Schiff und er liebte die Navy. Sein freundliches Lächeln wich nun einem ernsten Gesicht, während er sich kurz durch den Bart strich. „Da Sie keine Einsicht zeigen, Mister Alexander, bin ich bedauerlicherweise gezwungen, das Recht des Direktorats durchzusetzen.“ Er nannte die betreffende Direktive, gegen die hier verstoßen worden war, und deren Ausführungsbestimmungen in knapper Form und fuhr dann fort. „In Übereinstimmung mit geltendem Recht bestimme ich im Namen des Direktorats folgendes: Der Anflug auf Fairchild ist Ihnen hiermit verboten. Sie werden augenblicklich Ihre Heimatwelt Gelldorf anfliegen und die Fracht dort entladen. Ferner bestimme ich, dass die Summer of 69 für einen Zeitraum von sechs Monaten Standardzeit Flugverbot hat. Alle Beweismittel für den Verstoß werden dokumentiert und den zuständigen Behörden übermittelt, welche die Höhe der finanziellen Strafe für Ihre Firma festlegen werden.“

„Sie sind ja irre, Mann“, fuhr Alexander auf. „Das lasse ich mir nicht bieten!“

„Gegen diesen Bescheid, den ich Ihnen gleich als rechtskräftiges Dokument ausstellen werde, können Sie auf Ihrer Heimatwelt, innerhalb vierzehn Standardtagen nach Ankunft, Widerspruch bei der dortigen Vertretung des Direktorats einlegen.“

„Ich werde den Teufel tun!“, brüllte Alexander auf.

„Sollten Sie meiner Anweisung nicht Folge leisten, so bin ich bevollmächtigt, Ihr Schiff auf der Stelle zu beschlagnahmen. In dem Fall wird innerhalb von wenigen Stunden ein Langstrecken-FLV von der nächsten Sky-Base eintreffen und ein Kommando aus Sky-Troopern sowie eine Flightcrew der Navy das Schiff übernehmen und nach Gelldorf überführen. Sie und Ihre Crew werden für ein Jahr unter Hausarrest gestellt, natürlich unter tetronischer Überwachung.“

Alexanders Gesicht war stark gerötet, doch er fing sich. „Schön, Mister Navy-Captain, ich beuge mich der Gewalt und werde Ihre Anweisungen ausführen.“ Er wandte sich halb zur Seite. „Rudergänger, sobald wir diese Elitetruppe los sind, setzen wir Kurs auf Gelldorf.“

Die üblichen Formalitäten und Dokumentationen wurden erledigt, dann dankte Sean McIntosh dem Frachterkapitän für dessen Kooperation und das Enterkommando machte sich auf den Weg zurück zur Aberdeen.

Während I.T.S. Summer of 69 auf Gegenkurs ging, beschleunigte der Kreuzer, um seine Raumpatrouille fortzusetzen.

Captain Sean McIntosh nahm wieder in seinem Kommandosessel Platz. „Getränkefreigabe für die Brücke. Wenn mir jemand bitte das Grauenhafte bringen würde?“

Francine Dykes ging persönlich zu dem kleinen Getränkespender, der neben dem Zugang zur Brücke stand. Sie kannte die Gewohnheiten der diensthabenden Brückenbesatzung und füllte ein Tablett mit den Bechern und jeweiligen Getränken. McIntosh hatte bei der Indienststellung des Schiffes für jedes Besatzungsmitglied einen solchen Becher anfertigen lassen, der das Logo des Schiffes und den Namen des Besitzers zeigte. Rasch verteilte sie Tee oder Kaffee an die Brückenbesatzung, nahm sich selbst einen stark gesüßten und starken Navy-Kaffee und reichte Sean den Becher mit dem „Grauenhaften“.

„Schrecklich“, knurrte Sean verdrießlich, während er an dem garantiert originalen und alkoholfreien schottischen Whiskey nippte.

Francine nickte. „Ja, Sir, ich frage mich auch immer wieder, wie Sie dieses Zeug trinken können.“

„Verdammt, Eins-O, ich meine doch nicht das Grauenhafte. Ich meine diesen verdammten Mister Alexander und seine verdammte Fracht. Sie haben doch mitgehört?“

„Aye, Sir, jede einzelne Silbe wurde von Ihrem Gerät an uns übertragen und aufgezeichnet“, bestätigte sie.

„Irgendetwas ist oberfaul“, sagte Sean nachdenklich. „Noch vor Kurzem hätte kein Frachterkapitän derart gegen einen Patrouillenbefehl aufbegehrt. Nein, irgendetwas verändert sich gerade im Direktorat.“ Er nippte erneut an seinem Getränk, verzog das Gesicht und wandte sich dann Chief Brady zu. „Don, eine private Frage … was halten Sie von der Sache?“

Der Radio Operator brauchte nicht lange zu überlegen. „Da braut sich eine miese Stimmung gegen das Direktorat zusammen, Sir. Ich habe ja des Öfteren Kontakt zu meinen Eltern auf Gelldorf und die haben gelegentlich durchblicken lassen, dass es eine Bürgerinitiative gibt, die für die Unabhängigkeit Gelldorfs vom Direktorat eintritt. Das wäre damals, als der Krieg zwischen den Norsun und den Negaruyen tobte, noch undenkbar gewesen.“

Francine sah den Captain ernst an. „Das High-Command und der hohe Rat auf dem Mars werden das sicher ebenso wissen und im Auge behalten.“

„Vermutlich“, stimmte er zögernd zu. „Unser nächster Routinehalt ist Fairchild, das eigentliche Ziel der Summer of 69. Ich werde diese Sache bei meinem Treffen mit dem planetaren Chief-Constabler ansprechen. Ich kenne Maurice Margon seit vielen Jahren. Bin gespannt, was er davon hält.“

An diesem Abend kam die Besatzung erneut in den Genuss einiger traditioneller schottischer Musik, bei denen gelegentliche Zwischentöne ein Beleg für die Interpretationsfähigkeit des Captains waren.

Sky-Navy 21 - Raumpatrouille

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